19. Vorlesung Sommersemester

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19. Vorlesung Sommersemester
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Die Euler-Winkel: Details
Am besten versteht man die Eulerwinkel, wenn man ihre Definition in zwei
Aufgaben trennt. Wenn man zunächst nur an die anfängliche ẑ-Achse und die
daraus zu erreichende z-Achse denkt, so hat jede von beiden zugeordnet die
entsprechende (x̂, ŷ)- bzw. (x, y)-Ebene. Die Schnittlinie beider Ebenen ist die
Knotenlinie. Wenn man die Knotenlinie als Drehachse benutzt, um die (x̂, ŷ)Ebene in die (x, y)-Ebene zu drhen, so wird auch wie gewünscht die ẑ-Achse in
die z-Achse gedreht. Der zugehörige Drehwinkel ist der zweite Euler-Winkel ϑ.
Damit sind nun zwar die beiden z-Achsen und die (x, y)-Ebenen in der korrekten Lage, aber wir müssen noch innerhalb dieser Ebenen die beiden Achsen
in die gewünschte Lage positionieren: dazu dienen zwei zusätzliche Rotationen
um je einen Euler-Winkel und um jeweils die zugehörige z-Achse. Die Vorschrift
ist also:
1. Man drehe um die ẑ-Achse mit einem Drewinkel ϕ, und zwar so, dass die
x̂-Achse in die Knotenlinie gebracht wird.
2. Dann dreht man um den Winkel ϑ um die Knotenlinie, so dass die ẑ-Achse
in die Richtung der z-Achse kommt.
3. Schließlich dreht man noch um die somit erreichte z-Achse, um die Knotenlinie in die gewünschte Richtung der x-Achse zu bringen. Insgesamt ist
damit aus der x̂-Achse die x-Achse geworden.
Da die y-Achsen durch die x- und z-Achsen festgelegt sind, dreht sich dabei
auch die ŷ-Achse automatisch korrekt in die y-Richtung.
Nebenbemerkung: die Namen der Eulerwinkel sind nicht standardisiert.
Sowohl die Buchstaben variieren, so sind z. B. auch (α, β, γ) oder (ϑ1 , ϑ2 , ϑ3 ) gebräuchlich, wobei auch selbst bei gleichen Namen die Reihenfolge der Drehungen
verschieden sein kann.
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Der symmetrische Kreisel
Der symmetrische Kreisel mit den Hautträgheitsmomenten
A = B 6= C
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(1)
hat im Hauptachsensystem die Winkelgeschwindigkeitskomponenten
ω
~ = ~ω(p, q, r),
(2)
und wir hatten die Lösung der Bewegungsgleichungen in der Form
r(t) = r0 = konstant,
p(t) = α sin(Ωt + β),
q(t) = α cos(Ωt + β), (3)
wobei
A−C
r0
(4)
A
war. Das ist zwar die vollständige Lösung, aber da sie im Hauptachsensystem
definiert ist, ist ihre Bedeutung schwer einzusehen. Deswegen verfolgen wir
zunächst das Ziel, ~
ω in Eulerwinkel bzw. deren Zeitableitungen umzurechnen,
und anschließend dann die gesamte Bewegung in den Eulerwinkeln darzustellen.
Die Winkelgeschwindigkeit in Eulerwinkel umzurechnen erscheint zunächst
schwierig, weil jeder dieser Winkel ja um eine andere Achse dreht, und zwar:
Ω=
• φ dreht um die ẑ-Achse, Einheitsvektor ~eẑ ,
• ϑ dreht um die Knotenlinie, Einheitsvektor ~eK , und
• ψ dreht um die z-Achse, Einheitsvektor ~ez
Es entspricht also etwa der Drehung mit ϑ ein Winkelgeschwindigkeitsvektor
~ ϑ = ϑ̇ = ~eK .
ω
Wie gleich gezeigt wird, darf man aber Winkelgeschwindigkeitsvektoren addieren, auch wenn sie sich auf verschiedene Achsen beziehen. Die gesamte Winkelgeschwindigkeit bei einer zeitlichen Änderung aller Eulerwinkel ist also
~ω = ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez .
3
(5)
Addition von Winkelgeschwindigkeiten
Dass man Winkelgeschwindigkeiten auch vektoriell aufaddieren kann, liegt daran, dass infinitesimale, aber nicht endliche, Drehungen vertauschen. Ein Winkelgeschwindigkeitsvektor ~
ω1 beschreibt ja die instantane Drehung von Vektoren,
also ihre Änderung im Zeitintervall dt, und zwar nach der Formel
~r0 = ~r + ~ω1 × ~rdt.
(6)
Wenn man das mit einer zweiten Drehung mit ~ω2 kombiniert, wird daraus
~r00
= ~r0 + ω
~ 2 × ~r0
= ~r + ~
ω1 × ~rdt + ~ω2 × ~rdt + einen Term der Ordnung dt2
= ~r + (~
ω1 + ~
ω2 ) × ~rdt.
(7)
Da man den Term zweiter Ordnung weglassen muss, ist also die gesamte Drehung
durch die Summe der Winkelgeschwindigkeitsvektoren gegeben, und wegen der
Kommutativität der Summe ist auch die Reihenfolge der Drehungen irrelevant.
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4
Umrechnung auf Eulerwinkel
Wir dürfen also tatsächlich schreiben
~ω = ϕ̇~eẑ + ϑ̇~eK + ψ̇~ez ,
(8)
und die Aufgabe ist es jetzt, die Einheitsvektoren darin durch die Einheitsvektoren des körperfesten Hauptachsensystems auszudrücken (wir brauchen immer noch die Vektoren mit Bezug auf diese Richtungen, weil nur dann der
Trägheitstensor konstant und einfach diagonal ist).
Beginnen wir mit ~eK . Aus diesem Vektor entsteht ja der Vektor ~ex bei der
letzten Eulerschen Drehung um den Winkel ψ in der (x, y)-Ebene, und wir
müssen diese Drehung nur rückgängig machen:
~eK = cos ψ~ex − sin ψ~ey .
(9)
Das war’s schon für ~eK .
Für ~eẑ muss man die zweite Eulersche Drehung um den Winkel ϑ rückgängig
machen; bei dieser wurde in der Ebene von z und dem unter ψ zurückgedrehten
~ey gedreht: also bekommen wir folgende Kombination:
~eẑ = sin ϑ sin ψ~ex + sin ϑ cos ψ~ey + cos η~ez
(10)
Damit ist die erste Aufgabe gelöst: wenn man in (8) diese Umrechnungen der
Einheitsvektoren einsetzt, hat man die Zerlegung nach den körperfesten Achsen,
was die Beziehung zwischen (p, q, r) und den Zeitableitungen der Eulerwinkel
ergibt.
Da ab jetzt wieder nicht irgendein körperfestes System, sondern das Hauptachsensystem verwendet wird, bezeichnen wir die Koordinaten nicht mehr mit
(x, y, z) sondern mit (ξ, η, ζ). Die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit im
Hauptachsensystem sind also jetzt
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p
=
ωξ = ϑ̇ cos ψ + φ̇ sin ϑ sin ψ
q
=
ωη = −ϑ̇ sin ψ + φ̇ sin ϑ cos ψ
r
=
ωζ = ψ̇ + φ̇ cos ϑ.
(11)
Lösung für den symmetrischen Kreisel
Ausgangspunkt sind die Lösungen im Hauptachsensystem:
p
= φ̇ sin ϑ sin ψ + ϑ̇ cos ψ = α sin(Ωt + β)
q
r
= φ̇ sin ϑ cos ψ − ϑ̇ sin ψ = α cos(Ωt + β)
= φ̇ cos ϑ + ψ̇ = r0
(12)
Daraus sollte die Zeitabhängigkeit der Eulerwinkel folgen. In dieser Form ist
das Problem aber immer noch viel zu kompliziert: es sind immer noch gekoppelte nichtlineare Differentialgleichungen. Durch spezielle Wahl der raumfesten
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Koordinaten erreicht man aber eine wesentliche Vereinfachung: die raumfeste
ẑ-Achse wird in Richtung des Drehimpulses gewählt. Das geht, weil dieser im
kräftefreien Fall konstant ist.
~ eẑ .
Lk~
(13)
Mit Hilfe der oben gewonnenen Umrechnungsformel für den Vektor ~eẑ lässt sich
der Drehimpuls im Hauptachsensystem ausdrücken
~ = L~eẑ = L(sin ϑ sin ψ~eξ + sin ϑ cos ψ~eη + cos ϑ~eζ )
L
(14)
und die Komponenten im Hauptachsensystem hängen ja einfach über die Hauptträgheitsmomente mit den Komponenten von ~ω zusammen (B = A wird hier
schon eingesetzt):
Lξ
=
L sin ϑ sin ψ = Ap = Aφ̇ sin ϑ sin ψ + Aϑ̇ cos ψ = Aα sin(Ωt + β)
Lη
=
L sin ϑ cos ψ = Aq = Aφ̇ sin ϑ cos ψ − Aϑ̇ sin ψ = Aα cos(Ωt + β)(15)
Lζ
=
L cos ϑ = Cr = C φ̇ cos ϑ + C ψ̇ = Cr0 .
In diesen Gleichungen sind zusammenfassend folgende Beziehungen enthalten:
der Zusammenhang zwischen den Drehimpulskomponenten im Hauptachsensystem mit denen der Winkelgeschwindigkeit, die Ausdrücke für die Winkelgeschwindigkeit durch die Ableitungen der Eulerwinkel, und schließlich die Lösung
für den kräftefreien symmetrischen Kreisel.
Die Lösung geht nun relativ einfach. Aus
L cos ϑ = Cr0
(16)
folgt
ϑ = ϑ0 = const.,
ϑ̇ = 0.
(17)
Aus den ersten beiden Gleichungen erhält man damit
L = Aφ̇
⇒ φ̇ = const.
(18)
Damit reduzieren sich die Gleichungen aber auf
α sin(Ωt + β)
= φ̇ sin ϑ0 sin ψ
α cos(Ωt + β)
r0
= φ̇ sin ϑ0 cos ψ
= φ̇ cos ϑ0 + ψ̇,
(19)
worin alles außer t und ψ konstant ist. Die ersten beiden können nur dann für
beliebige t erfüllt sein, wenn
ψ = Ωt + β =
A−C
r0 t + β
A
(20)
Außerdem müssen aber auch die Amplituden in (19) gleich sein:
α = φ̇ sin ϑ0 ⇒ φ̇ =
α
αt
⇒φ=
+ φ0 .
sin ϑ0
sin ϑ0
4
(21)
Schließlich kann man noch aus der dritten Gleichung von (19) den Winkel ϑ0
ausdrücken:
α
+Ω
(22)
r0 = φ̇ cos ϑ0 + ψ̇ =
tan ϑ0
und
tan ϑ0 = −
α
αA
α
αA
= − A−C
=−
=
Ω − r0
(A
−
C
−
A)r
r
r
−
r
0
0 C
0
0
A
Der durch
tan ϑ0 =
αA
r0 C
(23)
(24)
bestimmte Winkel gibt nun das erste Ergebnis: es ist der Winkel zwischen der
raumfesten ẑ-Achse, die nach Annahme auch die Richtung des Drehimpulses
angab, und der (körperfesten) Symmetrieachse. Die Symmetrieachse steht also unter einem festen Winkel zum zeitlich konstanten Drehimpuls: ihre Bewegung, die man Nutation nennt, beschreibt also einen Kegel, den Nutationskegel oder Präzessionskegel. Ob die Bezeichnung Nutation (“Nickbewegung”) oder
Präzession (“fortschreitende Bewegung”) richtig ist, ist umstritten. Beim schweren Kreisel beschreiben sie zwei verschiedene Bewegungen; hier erscheint mir die
Bezeichnung Präzession passender.
Die Eulerwinkel beschreiben also insgesamt folgende Bewegungegn:
1. Der Winkel θ gibt einfach die konstante Neigung der Symmetrieachse des
Körpers zur festen Drehimpulsachse an.
2. Der Winkel ψ beschreibt eine konstante innere Drehung des Körpers um
seine Symmetrieachse.
3. Der Winkel φ schließlich beschreibt die Nutation oder Präzession der Symmetrieachse um den raumfesten Drehimpuls: sie läuft mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Nutations- bzw. Präzessionskegel.
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