Regress Was kommt nach der Richtgrößenprüfung? Das AMNOG könnte den Regressdruck auf Ärzte eigentlich überflüssig machen und das Versorgungs­ stärkungsgesetz soll demnächst die Richtgrößenprüfung abschaffen. Gute Nachrichten von Dr. Gerhard Nitz, Fachanwalt für Medizinrecht aus Berlin, der aber auch weiß, wo es in der Praxis klemmt. ein teureres Medikament einzusetzen, ist das auch wirtschaftlich, wie das Bundessozialgericht feststellte (AZ B 6 KA 41/03-Volon A vom 20.10.2014) 32 teureres Medikament einzusetzen, ist das auch wirtschaftlich, wie das Bundessozialgericht feststellte (AZ B 6 KA 41/03-Volon A vom 20.10.2014). „Ein Abwägen von Nutzen und Mehrkosten im Alltag ist nicht Aufgabe des Arztes“, sagt Nitz. Fehlsteuerung behoben? Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Gesetz. Bisher erfolgte die Preisgestaltung bei neuen Arzneimitteln frei, ohne dass die gesetzlichen Krankenkassen einen Einfluss darauf hatten. Gesteuert wurde über den Arzt, zuallererst über Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Das führte zu einer Fehlsteuerung, weil neuartige Arzneimittel aufgrund eines sehr hohen Preises möglicherweise nicht immer verordnet wurden, Der Hausarzt 10/2015 Fotos: Cozyta, Sergey Novikov - Fotolia Gibt es einen medizinischen Grund, Regresse sind seltener geworden, denn meist können sie abgewendet werden. Die Richtgrößenprüfung für 2011 führte in Berlin nur zu sechs Regressen, in Brandenburg zu drei, in Sachsen zu keinem einzigen. Wenn Regresse ausgesprochen werden, konnte im Widerspruchsverfahren durch die Erörterung der Praxisbesonderheiten in vielen Fällen der Regress abgewendet werden. Fachanwalt Dr. Gerhard Nitz betont: Alle Regelungen kommen nicht an den gesetzlichen Grundlagen vorbei. Das Qualitätsgebot steht über allem. Der Arzt schuldet dem Kassenpatienten zuallererst und unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen den Standard, der durch Evidenz, Zulassung, den medizinischen Fortschritt und den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Patienten mit seinen Komorbiditäten etc. definiert ist. Gibt es einen medizinischen Grund, ein Praxis Wissen wenn eine Indikation dazu bestanden hätte. „Medizinischer Fortschritt wurde wegrationiert, ohne dass man darüber geredet hat“, meint Nitz. Auf Basis der frühen Nutzenbewertung (nach AMNOG) für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen müssen nun pharmazeutische Unternehmen und GKV-Spitzenverband die Preise für neue Arzneimittel verhandeln. Damit soll die Fehlsteuerung eigentlich behoben werden. Dem steht allerdings die Bewertungspraxis des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) entgegen. Eigentlich war vorgesehen, den Nutzen anhand der Zulassungsstudien zu bewerten. Weil das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und der G-BA aber häufig andere Vergleichstherapien festlegen als in den Zulassungsstudien, entscheidet der G-BA oft aufgrund dann fehlender Vergleichsdaten nicht oder nur sehr eingeschränkt auf einen Zusatznutzen. Stille Rationierung fällt weg Trotzdem betont Nitz das Positive am AMNOG: Es gibt ein Jahr nach dem Markteintritt einen Arzneimittelpreis, den die Kassen mittragen. Denn sie haben ihn verhandelt. Die stille Rationierung könnte damit wegfallen. Als Beispiel nannte Nitz das Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir (Sovaldi®), dessen hoher Preis im ersten Jahr für Wirbel gesorgt hat. Seit 12. Februar 2015 gibt es einen mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelten Erstattungsbetrag von 14.500 Euro pro Packung und die Diskussion ist verstummt. Im nächsten Schritt sollte die Verordnung eines so teuren Mittels auch Gegenstand einer Praxisbesonderheit sein, meint Nitz, damit das Medikament nicht mehr Bestandteil der Richtgrößenprüfung ist – Indikation und Preis sind ja geklärt. Allerdings erfolgt die Regelung der Praxisbesonderheiten auf regionaler Ebene unterschiedlich. „Die Idee bleibt aber richtig“, findet Nitz, „das AMNOG ist ein anderes Instrument der Steuerung als die Richtgrößenprüfung und macht die Richtgrößenprüfung eigentlich entbehrlich.“ Der Hausarzt 10/2015 Beratung vor Regress Das Versorgungsstärkungsgesetz soll ab dem Verordnungsjahr 2017 die Richtgrößenprüfung abschaffen. Der Wermutstropfen: Sie soll ersetzt werden durch regionale Prüfinstrumente. Die Regel „Beratung vor Regress“ ist aber weiter verpflichtend. Nitz nannte als bereits bestehendes Beispiel die bayerische Wirkstoffprüfung. Dabei sei es nicht so, dass das Nichterfüllen der Quote, zum Beispiel von generischen oralen Antidiabetika von 75%, bereits zu einer Prüfung und einem Regress führe. Werde die Quote von allen bayerischen Ärzten oder allen Ärzten der Fachgruppe eingehalten, passiere nichts, so Nitz. Verordnungsfähig oder nicht? Die Bewertung des Zusatznutzens und die Preisverhandlungen benötigen ein Jahr. Das Arzneimittel ist aber vom Markteintritt an zum vom pharmazeutischen Unternehmer festgesetzten Preis zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung muss der Arzt nicht machen, aber er sollte den medizinischen Grund für den Einsatz dieses Arzneimittels dokumentieren, rät Nitz. Die Bitte von Krankenkassen, die Verordnung neu eingeführter Arzneimitteln bis zum Abschluss der frühen Nutzenbewertung oder gar bis zum Ende der Preisverhandlungen zu unterlassen, widerspricht dem Willen des Gesetzgebers: Ein neues Produkt soll weiterhin sofort nach Zulassung zur Verfügung stehen. „Kein Zusatznutzen“ kein Ausschlusskriterium Bestätigt der G-BA einen Zusatznutzen für ein neues Arzneimittel, könnten Ärzte davon ausgehen, dass die Wirtschaftlichkeit bei indikationsgemäßem Einsatz gegeben ist, so Nitz. Entscheide der G-BA auf „keinen Zusatznutzen“, heißt das aber nicht, dass dieses Medikament in der Praxis gar nicht eingesetzt werden kann. Die Wirtschaftlichkeit könne dennoch im begründeten Einzelfall auch bei höheren Kosten gegeben sein. „Sie können weiterhin individuell entscheiden, ob es einen Grund gibt, das Produkt bei einem Patienten einzusetzen“, betonte Nitz. Nur wer unter 60 % liege, komme in die Prüfung und könne dann Praxisbesonderheiten vortragen, etwa, weil ein diabetologischer Schwerpunkt besteht. Wenn das nicht ausreiche, gelte immer noch „Beratung vor Regress.“ Friederike Klein MSD-Forum: „Die Hausarztpraxis im Fokus“, Sitzung „AMNOG – Bewertung und Regressrisiko“ am 27.2.2015 in Berlin 33