natur / reise 1821 wurde Comacchio über eine Strasse ans Festland angebunden. Die Trepponti-Brücke ist eines der Wahrzeichen Comacchios. MEHR ÜBER ITALIEN AM TV Wildes Italien Von den Alpen zur Toskana Mo | 28. Juli | 19.30 | Arte Wildes Italien Von Sardinien zu den Abruzzen DI | 29. Juli | 19.30 | Arte L Aal überall Venedigs kleine Schwester befindet sich in der Emilia Romagna: In Comacchio wird eine Geheimsprache gesprochen – und der Aal regiert. Text: Carlotta Henggeler 16 autstark und wild gestikulierend diskutieren zwei ältere Herren im Schatten der Trepponti-Brücke, dem Wahrzeichen von Comacchio. Ihre Fahrräder sind an die Mauer gelehnt, die Signori tragen Jeans und Polohemd. Sie fallen auf, da das Städtchen Ende Mai fast verwaist ist. Doch worüber die beiden debattieren, bleibt selbst Italienischsprachigen verborgen. Ihre Mundart ist eine Art Geheimsprache, war Comacchio doch bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine Lagunenstadt und vom Rest der Welt praktisch abgeschottet. Erst die Trockenlegung im 19./20. Jahrhundert öffnete dem sanften Tourismus die Tore. Elisa, die einheimische Reisebegleiterin, klärt auf: «Die Herren reden über die Europawahlen. Wie geht es mit Italien weiter? Was pas- siert hier mit der Fischerei und dem Reiseverkehr? Das sind unsere Haupteinnahmequellen.» Auf der Trepponti-Brücke weht eine an- genehme Adria-Brise. Ein paar Stufen, und schon hat man volle Sicht aufs Zentrum: eine nahezu perfekte Filmkulisse aus Backsteinhäusern. Alles blitzblank sauber, weit und breit kein Müll. Die Region kennt ihre Juwelen, putzt sie heraus und trägt ihnen Sorge. «Seht ihr die Schiffe vor der antiken Fischerei?», fragt Elisa, «die heissen Batane. Mit den alten Fischerschiffen kann man die Stadt vom Wasser aus erkunden.» Also gleich beim Fischmarkt (Pescheria) in die Lagune stechen, unter die Brücke gleiten und weiter zum Ponte degli Sbirri. Vis-à-vis das alte Gefängnis, heutiges Verwaltungsgebäude, und das Ospedale San Camillo, heute ein Museum. Durch Comacchio mäandern bis zum Canale Maggiore, vorbei an pittoresken Gässchen und lauschigen Restaurants entlang dem Kanal. Ein Gefühl wie in Venedig, nur alles kleiner und relaxter. «Unglaublich, überall Aal!», ruft eine Mitreisende. Stimmt: Auf Plakaten wird das jährliche Aalfestival beworben, in RestaurantLogos und in Lokalnamen ist der Speisefisch wiederzufinden. Elisa macht jetzt Tempo: «Beeilt euch, in zehn Minuten findet in der Manifattura dei Marinati eine Kochdemonstration statt. Und wir dürfen dabei sein!» Alle Hobbyköche wollen sich einen guten Platz im Aalverarbeitungsbetrieb ergattern, schliesslich gilt die Küche der Emilia Romagna als eine der besten Italiens. Lasagne, Tortellini und Sugo sind nur einige Spezialitäten. In voller Kochmontur wartet Mauro Spadoni auf sein Publikum. Aus dem Risotto-Topf dampft’s, Spadonis Brille beschlägt. Der Chef ist Romagnolo, hat für die besten Restaurants den Kochlöffel geschwungen und teilt sein Wissen jetzt als Caterer und Showkoch. Das heutige Menü: Aal-Risotto und Makrele à la minute. Spadoni wirbelt zwi- Der Rosaflamingo ist im Po-Delta heimisch. 17 natur / reise Bei Comacchio, im Po-Delta wird noch traditionell nach Aal gefischt. Qual der Wahl: In der Pescheria gibt es alles für Fischliebhaber. REI E FIEBS ER? www .tr tele.cavel. h Mauro Spadoni in der Manifattura dei Marinati beim Aalzubereiten. schen den Töpfen herum, plaudert seine Geheimnisse aus, Elisa kommt mit dem Übersetzen kaum nach. Zwischendurch probiert er vom Risotto. Immer wieder. Den Zuschauern läuft das Wasser im Mund zusammen, die Mägen knurren. Dann die Erlösung: Der Aal-Risotto ist ein Gedicht, das Fischfleisch bissfest, aber zart, erinnert im Geschmack an geräucherte Forelle. Spadoni verrät: «Für dieses Gericht habe ich Reis aus Jolanda di Savoia verwendet, frischen Aal und eine Prise Parmigiano.» Für den Abend in der Lagune gibt er noch einen Tipp: «La Comacina». Das Restaurant liegt an einem Kanal und ist bei Einheimischen und Touristen gleichermassen beliebt. Spadonis Amuse-Bouche und der Ausflug haben den Appetit angeregt. Strammen Schrittes geht es ins Zentrum zurück an der Piazza vorbei. Da, zwei bekannte Gesichter, Comacchio ist eben klein. Die beiden politisierenden Senioren von der Trepponti-Brücke nippen an einem Glas Pignoletto, ein regionaler Weisswein. Das Diskutieren haben sie eingestellt, sie geniessen die Abendsonne. Noch verschlafen liegt das Restaurant «La Coma- cina» gleich am Kanal. «Jetzt sind wir dann völlig veraalt», sagt eine Reisende nach einem Blick in die Karte und lacht. Wir bestellen Anguilla alla Griglia con Polenta, frischen Aal, gegrillt. Vollgefressen wie ein Ei, «pieni come un uovo», lautet ein italienisches Sprichwort. Besser kann man es nicht ausdrücken. Zum Glück geht es morgen per Velo und zu Fuss ins nahe Naturschutzgebiet Parco del Delta del Po. Dort, wo sich Aal und Rosaflamingo gute Nacht sagen, lassen sich die angefutterten Kilos hoffentlich wieder abstrampeln. n WISSENSWERTES Anreise Zum Beispiel mit Lufthansa/Air Dolomiti über München nach Bologna, jeden Tag, ab ca. Fr. 420.– (lufthansa.ch). Mit dem Auto ca. 1 Stunde Fahrt (Flughafen bis Comacchio Zentrum). Beste Reisezeit: Frühling (Mai) oder Herbst. Aalmanufaktur Die Manufaktur ist zugleich Fischfabrik und Museum. Von Oktober bis Dezember ist die Räucherkammer in Betrieb, hier werden die Aalkörper gesäubert, von Kopf und Schwanz befreit und auf Spiessen gegart. Danach kommen sie in den Essigsaal und werden zum Marinieren von Pökel (Salzlake) bedeckt. Via Mazzini 200, Comacchio. Eintritt: ¤ 2, Kinder bis 11 Jahre gratis. Schlemmen Ristorante, Locanda e Trattoria «La Comacina», Aal und Meeresfisch in allen Variationen; z. B. Aal alla Comacchiese mit Polenta für ¤ 19. Doppelzimmer August ¤ 105, September ¤ 95 (lacomacina.it). 18 Comacchio mit Boot Ein Städtchen mit dem Boot durchqueren? Das kann man in Comacchio, und zwar auf den traditionellen «Batane» (kleine Flachkielboote), die bis vor einigen Jahrzehnten als tägliches Transportmittel dienten und bei der TreppontiBrücke anlegen (bei der alten Fischhandlung). Täglich von März bis Oktober, gratis (lokaler Freiwilligenverein). Parco del Delta del Po Die Tour «Klänge und Farben in der Lagune von Comacchio» beinhaltet eine Fahrt mit den typischen Lagunenbooten und einen Spaziergang im Naturreservat, um die traditionelle Technik des Aalfischfangs kennenzulernen. Das Gebiet ist ein Ornithologen-Paradies mit rund 380 Vogelarten. Auch Flamingos sind hier heimisch. Die Tour dauert zweieinhalb Stunden, Kosten: ¤ 17 für Erwachsene, ¤ 10 für Kinder von 4 bis 10 Jahren (parcodeltapo.it). Venedig ITALIEN Bologna Comacchio Region Website der Region, mit detaillierten Tipps und Vorschlägen – ob zum Schlemmen, für den Städtetrip, die Outdoor-Reise oder für die Strandferien. emiliaromagnaturismo.it/de Guide Bologna & Emilia Romagna, aus dem Dorling-Kindersley-Verlag (2014, Fr. 44.90). Aktuellster Reiseführer, inkl. Mini-Kochbuch zum Herausnehmen mit typischen Gerichten der Region.