Teil III Spezielle Behandlungsgebiete 29. Wirbelsäulenverletzungen L. Kinzl, M. Arand und E. Hartwig Problemstellung Postoperative bzw. posttraumatische Wundinfektionen nehmen zwar nur den zweiten Rang in der Häufigkeit nosokomialer Infektionen ein [7], sie sind jedoch in ihrer Auswirkung auf Patient und Arzt weit bedeutsamer als z.B. Harnwegsinfektionen: Für den Patienten führen sie oft zu einer dramatischen Verlängerung der Behandlungsdauer mit häufigen und langen stationären Aufenthaltszeiten, mit vermehrten operativen Eingriffen, mit zahlreichen flankierenden Maßnahmen (z.B. unzähligen Verbandswechseln und Antibiotikaapplikationen) und schließlich in der Regel zu einer nicht selten drastischen Verschlechterung des Ausheilungsergebnisses bezüglich Funktion, Schmerzarmut und äußerem Aspekt der Extremität. Für den behandelnden Arzt sind perioperative Infektionen an Knochen, Weichteilen und Gelenken die nachhaltigste und schwerste Komplikation - zumal sie noch am ehesten (mehr als zum Beispiel Harnwegsinfektionen oder auch postoperative Thrombosen) unmittelbar seiner Behandlung zuzurechnen und im Einzelfall sogar als vermeidbar anzusehen sind. Mitbedingt hierdurch kommt es gerne von ärztlicher Seite zur Verzögerung der Diagnosestellung "postoperative Infektion", zu beschönigenden Benennungen derselben (geringfügige Rötung, oberflächliche Wunddehiszenz, trüb-eitrige Sekretion) und nicht selten zu einer nicht ausreichend konsequenten Therapie derselben. Dies hat zur Folge, daß (nach einer eigenen Untersuchung) unter den zu Arzthaftpflichtverfahren führenden Diagnosen und Problemen die posttraumatische/postoperative Infektion die Spitzenposition einnimmt (in rund einem Drittel der Fälle) und daß in diesen Fällen den behandelnden Ärzten in rund der Hälfte der Fälle der Vorwurf eines Behandlungsfehlers zu machen ist. Dies geschieht kaum wegen des Eintretens der Infektion per se, sondern fast ausschließlich wegen einer verzögerten Diagnostik oder nicht ausreichend konsequenten Therapie. Für die Allgemeinheit der Versicherten ergeben sich Konsequenzen in Form von materiellen und nicht-materiellen "Kosten" durch eingetretene Infektionen einerseits und durch die Bemühungen zur Infektionsvermeidung andererseits. Die Besonderheit der posttraumatischen/postoperativen Infektion an Knochen, Gelenken und Weichteilen liegt zum einen in der ständigen Ambivalenz, in dem immanenten Mixtum aus ärztlicherseits beeinflußbaren und nicht-beeinflußbaren Faktoren, in der stetigen Spannung, welche sich aus der Frage der prinzipiellen oder partiellen Vermeidbarkeit ergibt und zum anderen in der Multikausalität der Entstehung und ergo auch der Therapie und Prophylaxe, welche eine theoretisch saubere Aufarbeitung ausgesprochen schwierig macht. Keine andere postoperative Komplikation erscheint gleichermaßen so gravierend, so häufig und so über weite Strecken vermeidbar und damit für den Behandler so inkriminierend wie die postoperative Wundinfektion. Historisches Über viele Jahrhunderte galt die Eiterabsonderung aus Verletzungswunden als ein Zeichen der normalen Wundheilung. Infektionsraten von nahe 100% nach offenen Verletzungen oder Schußbrüchen waren selbstverständlich, offene Unterschenkelfrakturen gingen mit Letalitätsraten von über 50% einher, operative Behandlungsmaßnahmen limitierten sich nicht nur durch die bis vor 150 Jahren begrenzten Anästhesiemöglichkeiten, sondern insbesondere auch durch die mit Operationen regelmäßig einhergehenden Infektionen. Noch zu Zeiten des deutsch-französischen Krieges 1870/71 ging bei Schußbruchverletzungen eine größere Gefahr von deren chirurgischer Behandlung als von der eigentlichen Verletzung aus. Erst die Entdeckung der "Mikroben" als Ursachen von Infektionen (Koch/Pasteur), die Einführung des antiseptischen Prinzips (Lister), die Einführung der chirurgischen Händedesinfektionen (Semmelweis) sowie die Einführung steriler Instrumentarien und Operationsbekleidung jeweils in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts - brachten hier eine entscheidende Wendung. Der Erfolg der Reduktion des bakteriellen Inokulums bei der Infektprophylaxe ist als historischer Grund anzusehen für die noch heute häufig anzutreffende Vorstellung, die wesentliche Ursache der Infektion seien Bakterien. Die Etablierung der modernen operativen Knochenbruchbehandlung nach 1950 konnte zwar einerseits die Chancen der Ausheilung einer bereits eingetretenen Infektion sowie die Chancen der Heilung von offenen Frakturen deutlich verbessern, andererseits kam es zu einem zunehmend neuen Typus von Infektionen an Knochen, Gelenken und Weichteilen, nämlich der postoperativen Infektion. Diese zeichnete sich bei zunehmend besseren Hygienebedingungen und gleichzeitig zunehmend invasiveren Operationstechniken und insbesondere unter der Ägide der anatomischen Rekonstruktion von Frakturen durch ein verändertes Erscheinungsbild des infizierten lokalen Situs aus: Im Vordergrund standen immer weniger dramatische Eiteransammlungen; beherrscht wurden die eingetretenen Infektionen immer mehr von der pathophysiologischen Bedeutung des avitalen Gewebes. Nicht mehr die massive Keimeinschleppung war vor rund 10 Jahren das vorherrschende Problem, sondern das "totoperierte Gewebe". Kennzeichnend hierfür war ein zunehmender Vormarsch von Infektionen, welche durch Staphylococcus epidermidis (und andere koagulase-negative Staphylokokken) ausgelöst waren: Keime also, welche sich nur dann halten können und welche nur dann "pathogen werden können", wenn sie auf einen erheblich geschädigten Wundgrund treffen. Nicht etwa die biologische Neuorientierung dieser Keimgruppe war die Ursache für deren zunehmende Pathogenität, sondern die durch iatrogene Maßnahmen zunehmend hierfür ideal vorbereiteten Weichteil- und Knochenlager. Einen entscheidenden Umschwung brachte hier mit Ende der 80er Jahre die Etablierung "biologischer Osteosynthesen", d.h. die Ablösung des Prinzips der Wiederherstellung der anatomischen Form durch das Prinzip der Erhaltung der Vitalität des Knochens und der Weichteile. Durch die entsprechenden Techniken (ungebohrte Marknagelung, überbrückende Plattenosteosynthese, Fixateur externe-Stabilisierung, mehrzeitige Verfahrenstechniken) konnten nunmehr die lokalen Wirtsbedingungen so optimiert werden, daß die Infektionsraten bei offenen Frakturen von rund 10-20% der 70er und 80er Jahre auf nunmehr rund 5-7%, und die Infektionsraten von ca. 5% bei aseptischen Eingriffen auf nunmehr rund 2-3% reduziert wurden. Sowohl die Optimierung der lokalen Wirtsverhältnisse durch eine adäquate Operationstechnik, als auch die optimal geringe perioperative Keimeinschleppung durch hervorragende bauliche und technische sowie verhaltensnormierte Hygienebedingungen haben jetzt in der zweiten Hälfte der 90er Jahre offenbar ihr jeweiliges Optimum erreicht. Weitere Optimierungen durch eine Verbesserung jeweils eines dieser Einflußfaktoren sind kaum mehr vorstellbar; will man die Infektionsraten noch weiter senken, werden nur noch simultane, d.h. multikausale bzw. mehrdirektionale Präventionsmaßnahmen einen Erfolg haben können. Heutiger Stand Pathophysiologie der Infektentstehung Postoperative/posttraumatische Infektionen an Knochen, Weichteilen oder Gelenken entstehen als Folge einer örtlichen bzw. systemischen Abwehrschwäche einerseits und einer örtlichen Keimeinschleppung andererseits (Tabelle 1). Wenn die Keimeinschleppung ausreichend massiv und die Infektabwehr ausreichend gestört ist, dann kommt es zum Zusammenbruch letzterer und zur hemmungslosen Keimvermehrung. Die Korrelation zwischen bakterieller Inokulation auf der einen und örtlicher Wirtsschädigung auf der anderen Seite muß man sich wohl vorstellen wie in Abb. 1 skizziert: Ab einer bestimmten Größe beider Parameter wird zwangsläufig die Grenze zur "Infektion" überschritten. Diese Grenze variiert wahrscheinlich in Abhängigkeit von der Lokalisation bzw. in Abhängigkeit von der systemischen Infektabwehr. Die quantitativen Parameter der beiden Variablen (Abszisse und Ordinate) sind nicht bekannt; ebenso wenig ist be-kannt, inwieweit es sich bei der Grenze zwischen Kontamination und Infektion um einen abrupten oder einen fließenden Übergang handelt. Es ist durchaus vorstellbar, daß sich aus einem minimalen Inokulum im Rahmen des Zusammenbruches der Infektabwehr explosionsartig eine um viele Zehnerpotenzen höhere Keimbesiedlung entwickelt; letztlich gezeigt wurde jedoch dieser "Kippeffekt" noch nie. Sicher oder wahrscheinlich haben folgende systemische Faktoren Einfluß auf die postoperative Infektentstehung: Unterernährung, Alter über 65 Jahre, Dauer des präoperativen Hospitalaufenthalts, Diabetes mellitus, Adipositas, Immunitätslage, Nikotinabusus. Zum Teil ist es schwierig, hierbei Einflußkriterien im engen Sinne abzugrenzen von Epi-Phänomenen: Die Dauer des präoperativen Aufenthalts kann einen eigenen Einfluß auf die Infektrate nehmen; ebenso können andere zugrundeliegende Umstände die eigentlichen Teil-Ursachen der erhöhten Infektanfälligkeit sein (schwerere Grund- oder Nebenerkrankung, welche eine längere präoperative Hospitalisation nötig macht) [3]. Unumstritten ist die prinzipielle Bedeutung einer Kontamination von Wunden mit einer ausreichenden Anzahl pathogener Mikroorganismen für die Genese postoperativer Infektionen. Unter Laminar air flow-Bedingungen sind 8,8% aller aseptischen Operationswunden kontaminiert [5], im konventionellen Operationssaal nachweisbar 32%. Die Rate nachweisbarer Kontaminationen bei offenen Verletzungen liegt bei 84%. Dennoch liegen die Gesamtraten manifester Infektionen bei nur 1 bzw. 2,4 bzw. 12,7%. Bei offenen Verletzungen ist das Primärinokulum in der Regel nicht identisch mit demjenigen Keim, welcher später eine manifeste Infektion verursacht. Bei ca. 90% kommt es bis zum 10. postoperativen Tag zum Keimwechsel mit Überwiegen der hospitaltypischen Flora. Das initiale Keimspektrum ist im wesentlichen fakultativ-pathogen und stimmt in der Regel nicht mit dem Keim späterer manifester Infektionen überein. Die Vorstellung ist etabliert, daß besonders "pathogene" Keime besonders schwerwiegende Infektionen verursachen und weniger pathogene Keime zu weniger dramatischen Infektionen führen. Dies mag in Grenzen zutreffen. Andererseits läßt sich nachweisen, daß in der Tat auch umgekehrt der Wundgrund die Art des Keiminokulums determinieren kann: Eine kontinuierliche Analyse der Keimbesiedlung an infizierten und nicht-infizierten Wunden über 9 Jahre (n = 4339 Wundabstriche) [5] ergab langfristig unterschiedliche Besiedlungsformen für frische bzw. chronische Infekte. Wunden an Händen wiesen überdurchschnittlich häufig eine Besiedlung mit betahämolysierenden Streptokokken auf, Infekte an Endoprothesen vermehrt koagulase-negative Staphylokokken (v.a. S. epidermidis). Anaerobier und Mischinfektionen werden vermehrt bei chronischen oder bei verspätet revidierten Infekten gesehen. Die variable Pathogenität koagulase-negativer Staphylolokken (v.a. S. epidermidis) läßt sich nicht allein durch bakterienseitige Eigenschaften erklären; vielmehr ist davon auszugehen, daß sich offenbar die Pathogenität von S. epidermidis auch aus dem Wundgrund determiniert. Wirtsschaden Eine prospektive Untersuchung zeigt, daß 51 von 74 posttraumatischen Infektionen (nach aseptischen sowie nach kontaminierten Eingriffen) ver-mutlich vorrangig auf dem Boden eines übermäßigen Wirtsschadens ent-standen sind. Umgekehrt war nur bei 13 von 74 Eingriffen innerhalb von sechs Jahren davon auszugehen, daß tatsächlich "hygienische Probleme" im Vordergrund einer Infektentstehung standen [5]. Schlecht durchblutete Wunden, Wunden mit großen avitalen Arealen oder mit Regionen eines Verhaltes können nicht keimfrei gemacht werden; ihre Keimbesiedlung kann allenfalls vorübergehened artifiziell reduziert werden, sie werden (und müssen) sich jedoch obligat stets neu besiedeln. Das Phänomen frustraner Hygienemaßnahmen oder der frustranen systemischen oder lokalen antibiotischen Behandlung bei insuffizienter chirurgischer Therapie ist hinreichend bekannt und wurde mehrfach dokumentiert. Andererseits kann die Reduktion des Wirtsschadens auch unter ungünstigen Bedingungen die Infektrate deutlich senken, wie seit der Einführung der biologischen Osteosyntheseverfahren, der zwei- oder mehrzeitigen Verfahren bei komplexen Verletzungen, der initial offenen Wundbehandlung bei offenen Frakturen, der präliminaren Fixateur externe-Stabilisierung mit oder ohne sekundäre innere Osteosynthese in den vergangenen Jahren deutlich wurde. Darüberhinaus erhöhen allergische Reaktionen möglicherweise die Wahrscheinlichkeit von Infektionen [1]. Infektionsraten Unter den Instrumentarien zur Qualitätssicherung in der Unfallchirurgie nimmt die Infektionsstatistik eine zentrale Rolle ein. Gerne werden deren Ergebnisse auf die Mitteilung der Infektionsraten verkürzt. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, wie problematisch und unsicher deren Zustandekommen ist und wie zurückhaltend deswegen die entsprechenden unkommentierten Werte im interhospitalen Vergleich gewichtet werden sollen. Darüberhinaus können ältere Zusammenstellungen von zu erwartenden Infektionsraten in der Unfallchirurgie wegen der Änderung der zugrundeliegenden Operationstechniken nicht mehr aktuell sein. Eine Zusammenstellung von Infektionsraten, welche in den vergangenen 6 Jahren im deutschsprachigen traumatologischen Schrifttum (n = 71) mitgeteilt wurden, zeigt für Eingriffe in anatomisch problematischen und unproblematischen Regionen sowie für Eingriffe im kontaminierten wie im nicht-kontaminierten Gebiet (bezogen auf Kollektivgruppen der letzten 10 Jahre) überwiegend gleichermaßen Infektionsraten von maximal 2-3%, für offene Frakturen bei einzelnen Autoren bis 10%. Vor allem der Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Verletzungen scheint - adäquate Operationstechnik vorausgesetzt - zunehmend nachrangig zu werden. Außerdem kann gezeigt werden, daß ein Rückschluß von Infektionsraten einzelner Operationen auf die allgemeine Gefährdung nicht möglich ist und umgekehrt. Es wird empfohlen, eine einheitliche Definition der postoperativen Wundinfektion zu verwenden, auf die Unterscheidung zwischen oberflächlicher und tiefer Infektion zu verzichten und bei allen Angaben zur Infektionsrate stets klar zu deklarieren, ob es sich um die Infektionsgefährdung in bezug auf einen spezifischen Eingriff oder um eine allgemeine Angabe handelt. Scoring von Infektionen Es besteht das Bedürfnis, für posttraumatische/postoperative Infektionen an Knochen bzw. Weichteilen über konsensfähige, leicht anwendbare und allgemein verständliche Meßsysteme zu verfügen, welche die Kommunikation über den Infekt in seinen verschiedenen Stadien erleichtern. Hierbei kann es nicht "den Infekt-Score" schlechthin geben - genausowenig wie die TNM-Klassifikation gleichermaßen und alleine Auskunft gibt über die Karzinogenese, den einzuschlagenden therapeutischen Pfad und die Prognose eines Tumors. Die TNMKlassifikation erlaubt vielmehr eine vereinheitlichte Verständigung über diagnostische und therapeutische Wege, Erfolgsbeurteilung u.ä., jedoch nur soweit, als sich diese Fragen auf das Tumor-Staging beziehen lassen. Bei der prophylaktischen und therapeutischen Führung von Knochen- und Weichteilinfektionen lassen sich vier Bereiche ausmachen,welche nach einer Vereinheitlichung der Prozeduren und gleichermaßen nach einem Staging verlangen: Pathogenese (Infektvermeidung), Diagnostik, Therapie und Verlaufsbeurteilung/Erfolgskontrolle. Für keinen dieser Bereiche ist ein Scoringsystem fest etabliert: Die Kenntnisse zur Pathogenese sind noch zu wenig strukturiert, um sie in einen Score einbauen zu können, zur Diagnostik und zur Therapie gibt es zwar allgemein geübte Prozeduren, jedoch ohne eine klare Standardisierung. Ein Score zur Verlaufsbeurteilung und Bewertung des Akuitätszustandes befindet sich derzeit in Entwicklung. Infektionstherapie Die Therapie akuter oder chronischer Infekte an Weichteilen, Knochen oder Gelenken ist überwiegend unabhängig von der Lokalisation der Erkrankung; sie läßt sich (für die drei genannten Bereiche getrennt) in wenigen einheitlichen Prinzipien beschreiben. Ihr Ziel ist es, einen Ausweg aus dem Circulus vitiosus "eitrige Sekretion mit Verhalt - sekundäre Gewebedestruktion" zu finden. Teilziele der Therapie sind mithin: • • • • Beseitigung bzw. Eröffnung eines eitrigen Verhaltes, Nekrektomie, Wiederherstellung bzw. Erhalt einer knöchernen Kontinuität/Stabilität bzw. eines intakten Weichteilmantels, bei Gelenkinfekten zusätzlich Wiederherstellung bzw. Erhalt einer Gelenkfunktion. Die schrittweise Minimierung der örtlichen Keimbesiedlung ist in der Regel kein eigenständiges Ziel; sie geht mit der chirurgischen Sanierung Hand in Hand, kann ihr gelegentlich vorausgehen, gelegentlich folgen. Damit ist als weiteres Teilziel lediglich zu formulieren: • Vermeidung einer bakteriellen phlegmonösen bzw. septischen Aussaat. Die einzelnen Behandlungsschritte sind (getrennt für Knochen und Weichteile) jeweils aktuell zu wählen und zu kombinieren nach zwei Gesichtspunkten: Nach dem momentan vorherrschenden Problem sowie nach der momentanen Akuität des Infektes. Keinesfalls werden jedoch stets sämtliche theoretisch zur Verfügung stehenden Maßnahmen in blinder Polypragmasie abgespult. Die Wahl und die Kombination der jeweils anstehenden Behandlungsmaßnahmen kann sich an Tabelle 2 orientieren. Nekrotisierende Weichteilinfektionen Der Begriff "nekrotisierende Weichteilinfektionen" faßt eine Reihe unterschiedlicher klinischer Krankheitsbilder zusammen, deren gemeinsames Merkmal die Rasanz der Progession mit vitaler Bedrohung ist. Der Gasbrand (Clostridienmyonekrose) ist ein eigenständiges Krankheitsbild, bei dem es nach Besiedlung mit Clostridium perfringens (oder einer entsprechenden Mischflora) zur rasch fortschreitenden toxischen Myolyse und zu gleichzeitiger systemischer Beteiligung kommt. Eine (Misch-)Infektion mit Clostridium perfringens ist nicht gleichbedeutend und automatisch gleichzusetzen mit einer Gasbranderkrankung! Lokal führend ist eine sich über Stunden entwickelnde und rasch nach körpernah ausbreitende nekrotisierende Entzündung mit Einbeziehung aller Weichteilstrukturen, typischer süßlicher Geruch, livide Verfärbung der Haut. Systemisch sind die Patienten binnen Stunden in einem miserablen und alsbald intensivpflichtigen und lebensbedrohlichen Allgemeinzustand. Die nekrotisierende Fasciitis ist eine sich rasch in den Weichteilen ausbreitende phlegmonöse Infektion, hervorgerufen in der Regel durch Streptokokken (häufig in Form einer Mischbesiedlung, auch mit Anaerobiern), oftmals nach Bagatellverletzungen. Das Krankheitsbild ist sehr selten und verlangt entschlossenes Handeln. Ohne radikale lokale Behandlung ist das Krankheitsbild zwar nicht unmittelbar vital bedrohlich, es schreitet jedoch örtlich dramatisch fort und kann über kurze Zeit (wenige Tage) zur Einschmelzung ganzer Muskelgruppen und zum Gliedmaßenverlust führen. Leitsymptom der nekrotisierenden Fasciitis ist die Diskrepanz zwischen einem lokal zwar erkennbaren, jedoch wenig ausgeprägten Infekt und schweren systemischen Infektionszeichen. Spezifische diagnostische Hilfsmittel existieren bislang nicht. Die lokale Behandlung strebt alsbald eine radikale Eröffnung und Nekrektomie der betroffenen Areale an. Infektionsprophylaxe Perioperative Infektionsprophylaxe wird nicht selten gedanklich verkürzt auf die Einhaltung von Desinfektionszeiten im OP, auf die Einrichtung und den Aufbau moderner Schleusenund Lüftungssysteme sowie eventuell auf die prophylaktische Anwendung von Antibiotika. Perioperative Infektionsprophylaxe ist jedoch weit mehr; sie schließt zahllose technische Vorkehrungen ebenso ein wie ein ganzes Bündel von Verhaltensnormen und schließlich ein gut funktionierendes System der Fehlererkennung und Fehlerbeseitigung. Perioperative Infektionsprophylaxe repräsentiert damit geradezu beispielhaft zeitgemäßes Qualitätsmanagement in all seinen Schattierungen [4]. Richtiges infektionsprophylaktisches Verhalten hat (abgesehen von einer niedrigen Infektionsrate) keine positiven Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; punktuelles Fehlverhalten ist auf der anderen Seite mit negativen Folgen nicht oder nur lose assoziiert. Damit sind die verhaltenssteuernden Zugriffsmöglichkeiten äußerst begrenzt. Darüber hinaus tragen zur perioperativen Infektionsprophylaxe zahlreiche Fachdisziplinen und zahlreiche Hierarchiestufen bei. Beides zusammen fördert die Neigung, im Negativfalle Fehler anderenorts zu suchen (externale Kausalattribution). Auf diese Weise wird die "perioperative Infektionsprophylaxe" ein sehr komplexes, kompliziertes und schwer zu durchschauendes, mithin auch störanfälliges Konstrukt. Adäquate Sicherheit für Patienten und Mitarbeiter kann es hierbei nur dann geben, wenn dieses "Gesamtgebäude" in seiner Komplexität allen Mitarbeitern bekannt ist, wenn ausreichende Sicherheitsmargen eingebaut sind und wenn schließlich punktuelle Änderungen soweit als möglich unterbleiben. Nonkontamination im OP Die Techniken der Nonkontamination im OP sind über Jahrzehnte entwickelt; sie sind traditionell weitergegebenes und als bekannt vorauszusetzendes Allgemeingut: Präoperative adäquate Desinfektion von Händen und Patientenhaut, ausschließliche Verwendung sterilen Instrumentariums, korrekte großflächige Wundabdeckung, ausreichende Sicherheitsabstände. Zur Verminderung des Luftkeimeintrages tragen die Anwesenheit möglichst weniger Personen im OP, das Schließen aller Türen und die Begrenzung des Sprechens bei. Ob tatsächlich die zunehmende Reduktion der Luftkeimzahl einen nachweisbaren Beitrag zur Reduktion der Wundinfektionsrate leistet, muß angezweifelt werden: Die Studien von Lidwell sind nicht ohne untersuchungsimmanente Probleme. Darüber hinaus haben sie (wenn überhaupt) nur eine Gültigkeit für aseptische hüftgelenksnahe/kniegelenksnahe operative Eingriffe; inwieweit sie auf kontaminierte Eingriffe oder auf Eingriffe anderer Disziplinen in ihrem Ergebnis übertragbar sind, ist offen. In zahlreichen Studien sollte gezeigt werden, daß die Verwendung von sterilen Abdeckmaterialien und steriler Kleidung aus Einwegmaterial bzw. ausgerüsteter Baumwolle hinsichtlich der Luftkeimbelastung und eventuell auch hinsichtlich der manifesten Infektionsrate günstig sei. Auch hier steht der definitive Nachweis der Übertragbarkeit auf kontaminierte Eingriffe bzw. Eingriffe anderer Disziplinen aus. Die Frage, inwieweit die rein baulichen Bedingungen einer Operationsabteilung einen nachweisbaren Einfluß auf die Infektionsrate haben, kann nur mit äußerster Zurückhaltung beantwortet werden: Früher war es eine Selbstverständlichkeit, Eingriffe der Gruppe C (Operationen bei manifesten Infektionen) nicht nur in anderen Operationssälen/Operationseinheiten, sondern sogar in anderen Operationsabteilungen durchzuführen als Eingriffe der Gruppe A (aseptische Eingriffe) und B (kontaminierte Eingriffe). Dies wurde mittlerweile verlassen. Die Richtlinie des Robert-Koch-Instituts schreibt vor, daß die entsprechenden Patientenwege und Funktionsabläufe getrennt werden müssen. - Im übrigen konnten wir in einer eigenen Untersuchung zeigen, daß sich auch durch einen Umzug von einem alten OP-Trakt (in dem die einschlägigen baulichen Vorschriften allenfalls marginal erfüllt waren) in einen hochmodernen und den äußeren Ansprüchen in jeder Hinsicht genügenden Operationstrakt weder die Keimbelastung der OP-Luft noch der Flächen ändert und daß sich darüber hinaus die Infektionsrate in den beiden beteiligten Disziplinen (Viszeral-/Gefäß-/Thoraxchirurgie bzw. Unfallchirurgie) nicht geändert hat. Auch hier müßte der Realitätsbezug der baulichen Vorschriften in Korrelation zu den Anforderungen an das Hygieneverhalten bzw. die OP-Technik laufend überprüft werden. Hygieneverhalten Wie bereits ausgeführt, wird hygienisch richtiges Verhalten nicht erkennbar belohnt, hygienisch falsches Verhalten in der Regel nicht erkennbar bestraft. Langfristig gutes Hygieneverhalten gründet sich damit ausschließlich auf Übung und Gewohnheit sowie auf Vernunft und Einsicht. Jeder, der in der Pflicht ist, das Hygieneverhalten von Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern zu überwachen bzw. zu optimieren, muß sich dieser seiner dramatisch schwachen Position bewußt sein und sich hierauf einstellen. Der HygieneVerhaltenskodex wird von den Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern überhaupt nur dann akzeptiert, wenn seine Einzelbestandteile dem gesunden Menschenverstand zugänglich und logisch sind und wenn keine Verhaltensweisen abverlangt werden, welche schlechterdings nicht oder kaum erfüllbar sind. Operationstechnik Die Einführung der biologischen Osteosyntheseverfahren, der zwei- oder mehrzeitigen Verfahren bei komplexen Verletzungen, der initial offenen Wundbehandlung bei offenen Frakturen, eines sorgfältigen Wunddebridements, der präliminaren Fixateur externeStabilisierung mit oder ohne sekundäre innere Osteosynthese haben in den vergangenen Jahren weit mehr zur perioperativen Infektionsprophylaxe beigetragen, als jede noch so ausgeklügelte bauliche oder sonstige Hygienemaßnahme [6]. Infektionsüberwachung Es gibt (zumindest in der Unfallchirurgie) zur Zeit kein technisches Hilfsmittel, welches mit befriedigender Sensitivität und Spezifität die Diagnose des postoperativen Frühinfektes erleichtern würde. Das sicherste Diagnostikum ist nach wie vor die tägliche Beobachtung der Wunde möglichst immer durch dieselbe Person und obligat ausschließlich durch die Ärztin bzw. den Arzt. Allein zum Beispiel die Persistenz des intrakutanen Ödems (und davon abhängig der fehlende Rückgang der postoperativen Rötung und Schmerzen) kann einen beginnenden Frühinfekt signalisieren. Es ist äußerst gefährlich, hier auf die "groben" Zeichen (z.B. Fieber oder Laborveränderungen) zu warten. Eine Infektion ist immer dann als manifest anzusehen, wenn mindestens eines der klassischen klinischen Infektionszeichen neu auftritt zusammen mit einem positiven bakteriologischen Befund und der Zustand behandlungsbedürftig ist (Tabelle 3). Ein fehlender Keimnachweis schließt jedoch eine Infektion ebenso wenig definitiv aus, wie ein positiver Keimnachweis eine Infektion a priori beweist (DD: Kontamination!). Bestandteil der Infektionsüberwachung ist auch das Führen einer richtigen Infektionsstatistik. Diese (scheinbar so simple) Tätigkeit hat zahlreiche Fallstricke und Fehlermöglichkeiten: die vollständige Erfassung des Verdachtsfalls, die richtige Diagnose der "Infektion" (hier insbesondere die korrekte Unterscheidung zur Kontamination), die korrekte Ermittlung der Vergleichszahl ("Nenner" der Infektionsquote) und die adäquate Bewertung eingetretener Infektionen bei der retrospektiven Einzelfallanalyse. Mitarbeiterschutz Traditionell kreisen alle Überlegungen der perioperativen Infektionsprophylaxe zunächst um die Vermeidung nosokomialer Infektionen bei Patientinnen und Patienten. Der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor berufsbedingten Infektionen (berufsbedingtes Panaritium, Hepatitis B und C sowie HIV-Infektion) hat jedoch einen mindestens ebenso hohen Stellenwert. In diesem Lichte sind zahlreiche Diskussionen um die mögliche Verzichtbarkeit einzelner Hygienemaßnahmen neu zu sehen und zu gewichten: Auch wenn nachgewiesen wurde, daß bezüglich des Patientenschutzes die Gesichtsmaske bzw. ein durchgehendes Tragen von wasserundurchlässiger OP-Kleidung verzichtbar sei, nötigen blutverspritzte Brillen und Gesichtsmasken, blutübergossene Op-Schuhe mit verschmutzten Socken bzw. OP-Kittel,welche bis zur Unterwäsche des Operateurs blutdurchfeuchtet sind, zu der Feststellung, daß unter dem Aspekt des Mitarbeiterschutzes keineswegs auf Haube, Gesichtsmaske, Schutzbrille, dichte Schuhe und flüssigkeitsundurchlässige Sterilkleidung verzichtet werden kann. Völlig unverständlich ist es, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit bloßen Händen Verbände, Gipse oder andere sekretdurchtränkte Externa entfernen; unsterile Handschuhe "aus der großen Box" sollten zu den meist benutzten Gegenständen im Alltag auf Station und im OP gehören. Die Verletzungsgefahr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im operativen Bereich ist in der Traumatologie und Orthopädie besonders hoch, ebenso die Kontaminationsgefahr. Die Kontamination kann hierbei teilweise durch technische Maßnahmen verhütet werden, die Verletzungsgefahr läßt sich fast nur durch sorgfältiges, gekonntes handling reduzieren. Routinemäßige antibiotische Prophylaxe Die Indikationsliste zur routinemäßigen antibiotischen Prophylaxe in der Unfallchirurgie (Tabelle 4) geht für die ersten beiden Positionen auf ältere Studien zurück, für die letzteren vier Positionen lediglich auf theoretische Überlegungen. Ob die Indikation "Endoprothese" noch gehalten werden kann, ist nicht sicher; überzeugende Studien, welche nachweisen würden, daß eine Infektionsrate von ca. 1% (ohne antibiotische Prophylaxe) mit einer solchen weiter gesenkt werden könnte, existieren nicht. Ähnliches gilt für die Indikation "offene Frakturen": Die diesbezüglichen Studien legen operative Behandlungstechniken zugrunde, wie sie heute nicht mehr üblich sind. Ob bei den heute geübten Verfahren zur Behandlung offener Frakturen durch eine routinemäßige Prophylaxe die Infektionsraten weiter gesenkt werden können, ist noch nicht überprüft. Dasselbe gilt für eine neuere Untersuchung zur routinemäßigen Prophylaxe bei geschlossenen Frakturen; auch hier sind die geübten operativen Prozeduren nicht ohne weiteres mit den hiesigen Verhältnissen vergleichbar [2]. Die anderen vier genannten Indikationsbereiche entspringen theoretischen Überlegungen; sie sind weder in der Vergangenheit noch jetzt valide bewiesen. Es ist darauf zu achten, daß insbesondere die Indikationsgruppe "besonders großer operativer Eingriff" bzw. "besonders gestörte systemische Infektabwehr" nicht zu einer uferlosen Ausweitung der Indikation und damit zu einer Behandlung "nach dem Gefühl aus dem Bauch" verleitet. Durchführungstechnik und Präparatwahl stehen nicht zur Diskussion: Die antibiotische Prophylaxe beginnt mit Narkoseeinleitung und umfaßt maximal zwei Dosen. Die Präparatwahl richtet sich nach dem hausinternen Spek-trum. Bei offenen Frakturen spielen die am Unfallort in die Wunde einge-brachten Keime in aller Regel für die spätere Infektentstehung keine Rolle, so daß sich auch hier die Präparatwahl nach den hauseigenen Problemkeimen richten kann. Ökonomische Bedingungen und soziale Folgen für den einzelnen und die Gemeinschaft Eingetretene postoperative/posttraumatische Infektionen an Knochen, Weichteilen und Gelenken belasten die Gemeinschaft der Versicherten durch eine Verlängerung der Behandlungsdauer und damit durch Vermehrung der Behandlungskosten, gleichzeitig durch indirekte Krankheitskosten (Arbeitsunfähigkeitszeit, vermindertes Lohnsteueraufkommen) sowie sekundär notwendige Leistungen der Versicherungsträger. Grobe Kalkulationen gehen von Mindest-Zusatzkosten posttraumatischer Infektionen von 100000,- DM pro Fall aus. Nicht weniger dramatisch sind die materiellen und immateriellen Kosten der Bemühungen um eine Infektionsprophylaxe: Der Aufwand, welchen Lister und Semmelweis treiben mußten, um die Infektionshäufigkeit auf unter die Hälfte des Ausgangswertes zu reduzieren, war minimal. Wenn heute die durchschnittliche postoperative Infektionsrate nach aseptischen Eingriffen am Knochen von größenordnungsmäßig 2% auf größenordnungsmäßig 1% reduziert werden sollte, dann müßten - so dies überhaupt erreichbar sein solle - mutmaßlich folgende Maßnahmen summiert ergriffen werden: Umfassende Einführung von Laminar air flow-Techniken anstelle konventioneller Belüftung, umfassende Einführung wasserundurchlässiger Steril- und Abdeckmaterialien, umfassende und lückenlose perioperative Antibiotikaprophylaxe, ausschließliche Verwendung von Titan-Implantaten, operative Versorgung von Frakturen zum jeweils idealen biologisch vorgegebenen Zeitpunkt unabhängig von jedweden äußeren logistischen Bedingungen, Durchführung aller operativen Eingriffe an Knochen, Gelenken und Weichteilen ausschließlich von extrem erfahrenen Operateuren. Allein diese kursorische Übersicht zeigt, wie exponentiell der Aufwand für eine weitere, auch nur geringfügige Reduktion der Infektionsrate steigen würde, geht man von den heutigen sehr günstigen Bedingungen aus. Dieser Aufwand wäre darüber hinaus nicht nur ein finanzieller, er wäre auch ein personeller und schließlich ein ökologischer; Energie- und Wasserverbrauch und Müllproduktion würden ins Unermeßliche steigen. Offene Fragen und zukünftige Entwicklung In der Ära von Semmelweis und Lister bestand "die Infektionsprophylaxe" in der Anwendung von Karbol bzw. der Händedesinfektion, zum Ende des Zweiten Weltkriegs in der Antibiotikaanwendung. Im Laufe der 70er Jahre erlebte die Infektionstherapie einen ungeahnten Aufschwung durch die Osteosynthese, Anfang der 80er Jahre die Infektionsprophylaxe durch verbesserte raumlufttechnische Anlagen und gegen Ende der 80er Jahre durch eine Verbesserung der sterilen Kleidungs- und Abdeckmaterialien sowie die Verbreitung der "biologischen Osteosynthese". Die Möglichkeiten monokausaler Prophylaxeund Therapiemaßnahmen sind jedoch offenbar nun ausgeschöpft, Verbesserungen in Einzelsektoren werden auch bei extremen Anstrengungen mutmaßlich keinen Effekt mehr auf die Vermeidung von Infektionen bzw. auf die bessere Infekttherapie haben. Weit im Vordergrund steht jetzt und in den nächsten Jahren die multikausale Betrachtung, die gedankliche Vernetzung verschiedener pathogenetischer Einflußfaktoren bzw. Präventionsstrategien oder therapeutischer Maßnahmen. Akzeptiert man, daß gleichermaßen mitgebrachte systemische, akzidentelle lokale und iatrogene lokale Wirtsfaktoren sowie die akzidentelle und die iatrogene Keimbesiedlung einen gemeinsamen Einfluß auf die Infektionsentstehung haben, dann können weitere Optimierungen in diesem System nur dann gelingen, wenn in Zukunft nicht mehr nur lineare Kenntnisse der einzelnen Faktoren vorliegen, sondern wenn exaktes Wissen darüber verfügbar ist, welche relative Bedeutung die einzelnen infektfördernden Faktoren in gegenseitiger Gewichtung haben. Dies bedeutet, daß in Zukunft zum Beispiel nicht mehr nur die Einflußgröße der intraoperativen Keimeinsaat zu betrachten sein wird, sondern vielmehr die Bedeutung der intraoperativen Keimeinsaat in Abhängigkeit von der präoperativen Keimbesiedlung, einer etwaigen Grunderkrankung oder der verwendeten Operationstechnik. Derartiges Wissen über die relative Bedeutung einzelner infektprädisponierender Faktoren und insbesondere über deren quantitative Abhängigkeit voneinander ist bislang nur in Ansätzen vorhanden. Vergleichbares gilt für die relative Wertigkeit einzelner Maßnahmen in der Infekttherapie. - Hier (wie in vielen anderen Bereichen der Medizin) wird also in Zukunft lineares Denken von vernetztem Denken, von Überlegungen zu multidirektionalen Interdependenzen abgelöst werden. Fortschritte in der Prophylaxe und Therapie der posttraumatischen Infektion an Knochen, Weichteilen und Gelenken werden damit nicht nur einen exponentiell zunehmenden finanziellen, sondern gleichermaßen einen exponentiell zunehmenden mentalen Aufwand notwendig machen. Zusammenfassung Posttraumatische und postoperative Infektionen an Knochen, Weichteilen und Gelenken rechnen - gemessen an ihrer Häufigkeit und ihrem Einfluß auf die Morbidität - zu den wichtigsten Komplikationen in der Unfallchirurgie. Für ihre Genese stand über lange Zeit die Keiminokulation (anläßlich des Unfalls oder anläßlich der Operation) im Vordergrund. Mit Etablierung der Osteosynthese kam es zu neuen Formen der Infektion mit minimalem Inokulum und maximaler lokaler Schädigung. Die aktuellen Denkmodelle zur Pathophysiologie der Infektentstehung berücksichtigen beide Einflußgrößen und ihre Wechselwirkung. Dementsprechend müssen sich auch die Infektprophylaxe und die Infekttherapie von der monokausalen Betrachtungsweise lösen und lernen, das jeweils aktuell führende infektfördernde Agens zu identifizieren und zu bearbeiten. Dies gilt in besonderer Weise auch hinsichtlich der ökonomischen, ökologischen und sozialen Folgen: Weitere Optimierungen der Prophylaxe und der Therapie von posttraumatischen Infektionen sind nur noch denkbar (und bezahlbar), wenn das Netzwerk der infektprädisponierenden Faktoren gedanklich aufgearbeitet und zur Grundlage der Behandlung gemacht wird. Literatur 1. 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