Symposium 50 Jahre Dei verbum Wien, Don Bosco Haus, 22. Oktober 2015 Walter Kirchschläger Luzern LEBENDIGES WORT GOTTES. DAS UNAUSGESCHÖPFTE POTENTIAL DER KONZILSKONSTITUTION „DEI VERBUM“ ÜBER DIE GÖTTLICHE OFFENBARUNG 1 EINFÜHRUNG 1.1 Rückblick Kardinal Alfredo Ottaviani (Sekretär des Heiligen Offizium) an Paul VI., 12. Oktober 1965: „Die Kommissionsminderheit war nicht erfolgreich im Bemühen, in [Art.] 9 und 10 deutlicher und ausdrücklicher die auch ‚konstitutive‘ Rolle der Tradition im Schatz der Offenbarung zu verankern.“ 1.2 Kontextualität Paul VI. an Kardinal Joseph Frings (Köln), 17. Oktober 1965: „Wir sind darüber hinaus der Meinung, dass Unsere Intervention gegenüber der Konzilskommission völlig regelgerecht ist, denn es obliegt Uns nicht nur, den in Frage stehenden Text zu ratifizieren oder zurückzuweisen, sondern auch, wie jedem Konzilsvater, durch angemessene Vorschläge an seiner Vervollkommnung zu arbeiten.“ 2 DAS GOTTESBILD – EIN SPRUNG NACH VORNE 2.1 Über die Selbstoffenbarung Gottes Dei Verbum Art. 2: Satz 1: Placuit Deo in sua bonitate et sapientia Seipsum revelare et notum facere sacramentum voluntatis suae (cfr. Eph 1,9), quo homines per Christum, Verbum carnem factum, in Spiritu Sancto accessum habent ad Patrem et divinae naturae consortes efficiuntur (cfr. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). Satz 2: Hac itaque revelatione Deus invisibilis (cfr. Col 1,15 ; 1 Tim 1,17) ex abundantia caritatis suae homines tamquam amicos alloquitur (cfr. Ex 33,11 ; Io 15,14-15) et cum eis conversatur (cfr. Bar 3,38), ut eos ad societatem Secum invitet in eamque suscipiat. Satz 3: Haec revelationis oeconomia fit gestis verbisque intrinsece inter se connexis … Satz 1: „Gott hat es in seiner Güte und Weisheit gefallen, sich selbst zu offenbaren und das Sakrament seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9), in dem die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4).“ Satz 2: „In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus seiner überströmenden Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“ Satz 3: „Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind: …“ Placuit Deo → eudokesen theo → Gott hat es gefallen – vgl. Taufe Jesu (Mk 1,11 par Mt 3,17; Lk 3,22, sowie Mt 8,17); Lk 2,14; Gal 1,15 Eph 1,5: „Er [Gott] hat uns vorherbestimmt zur Tochter- und Sohnschaft durch Jesus Christus auf ihn hin, gemäss dem guten Gefallen seines Willens …“ , dazu Lumen gentium Art. 2. Weish 7,22-8,1: „Machtvoll entfaltet die Weisheit ihre Kraft von einem Ende zum andern und durchwaltet voll Güte das All“ (8,1). 2.2 Offenbarung als Beziehungswirklichkeit Dei verbum Art. 4: „Gott ist mit uns, um uns aus der Finsternis von Sünde und Tod zu befreien 2 und um uns zu ewigem Leben zu erwecken.“ 2.2.1 Liebe als Handlungsmotiv Gottes „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16); vgl. 1 Kor 13,13) 2.2.2 Umfassende Kommunikation. Dei verbum Art. 2, Satz 3 (siehe oben → 2.1). Lk 24,19: „Er war ein prophetischer Mann, machtvoll in Tat und Wort vor Gott und den Menschen.“ Vgl. auch Gen 1,1-2,4a; Lk 6,18 u. ö. Siehe auch Dei verbum Art. 4 und 17. 3 DIE EIGENART DER HEILIGEN SCHRIFT 3.1 Die Bibel – Ausdruck eines Beziehungsweges Johannes XXIII., Ansprache „Gaudet Mater Ecclesia“ [„Es freut sich die Mutter Kirche“] vom 11. Oktober 1962: „Der springende Punkt für dieses Konzil ist es also nicht, den einen oder den andern der grundlegenden Glaubensartikel zu diskutieren, wobei die Lehrmeinungen der Kirchenväter, der klassischen und zeitgenössischen Theologen ausführlich dargelegt würden. Es wird vorausgesetzt, dass all dies hier wohl bekannt und vertraut ist. Dafür braucht es kein Konzil. Aber von einer wiedergewonnenen, nüchternen und gelassenen Zustimmung zur umfassenden Lehrtradition der Kirche, wie sie in der Gesamttendenz und in ihren Akzentsetzungen in den Akten des Trienter Konzils und auch des Ersten Vatikanischen Konzils erkennbar ist, erwarten jene, die sich auf der ganzen Welt zum christlichen, katholischen und apostolischen Glauben bekennen, einen Sprung nach vorwärts, der einem vertieften Glaubensverständnis und der Gewissensbildung zugute kommt. Dies soll zu je grösserer Übereinstimmung mit dem authentischen Glaubensgut führen, indem es mit wissenschaftlichen Methoden erforscht und mit den sprachlichen Ausdrucksformen des modernen Denkens dargelegt wird. Denn eines ist die Substanz der tradierten Lehre, d.h. des depositum fidei; etwas anderes ist die Formulierung, in der sie dargelegt wird. Darauf ist - allenfalls braucht es Geduld - grosses Gewicht zu legen, indem alles im Rahmen und mit den Mitteln eines Lehramtes von vorrangig pastoralem Charakter geprüft wird.“ [Übersetzung (und Nummerierung des Absatzes) bei: Ludwig Kaufmann/Nikolaus Klein, Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis, Fribourg/Brig 21990, 116-150, hier 135-136.] 3.2 Vernetzte Wechselwirkung Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 107: „Die inspirierten Bücher lehren die Wahrheit.“ 3.3 Die menschliche Dimension der Heiligen Schrift Dei verbum Art. 11: Konzil von Trient, „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch, „… Das hochheilige ökumenische und allgemeine Konzil von Trient ... nimmt und verehrt mit dem gleichen Gefühl der Dankbarkeit und der gleichen Ehrfurcht Dekret über die Annahme der heiligen Bücher und der Über-lieferungen (1546), hier DH 1501: alle Bücher sowohl des Alten als auch des Neuen Testamentes, Erstes Vatikanisches Konzil, Konstitution Dei Filius (1870), hier DH 3006: „...Die Kirche hält sie aber nicht deshalb für heilig und kanonisch, weil sie allein durch menschlichen Fleiss zusammengestellt und danach durch ihre Autorität gut geheissen worden wären; 3 weil sie, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben (vgl. Joh 20,31; 2 Tim 3,16; 1 Petr 1,1921; 3,15-16), da der eine Gott Urheber Gott zum Urheber (auctor) haben (auctor) von beiden ist, und als solche der Kirche übergeben sind. Zur Abfassung der Heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten, all das und nur das, was er - in ihnen und durch sie wirksam - geschrieben haben wollte, als echte Verfasser (auctores) schriftlich zu überliefern.“ genau genommen auch nicht deshalb, weil sie die Offenbarung ohne Irr-tum enthielten; sondern weil sie, auf Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche selbst übergeben worden sind.“ Karl Rahner/Josef Ratzinger, Entwurf zu einem Dokument „De revelatione Dei et hominis in Jesu Christo facta („Die Offenbarung Gottes und des Menschen in Jesus Christus“), Oktober/November 1962, Kapitel III Art. 2: Deus ergo ipse est auctor harum Scripturarum et tamen etiam homines, quos ipse arcanis modis ad scribendum movit, ut praedicationem apostolicam litteris consignarent eamque variis modis pro data occasione sincere exhiberent,suo modo auctores sunt. „Gott selbst ist somit der Urheber bzw. Autor der Heiligen Schriften, und trotzdem sind auch Menschen auf ihre Weise Urheber dieser Schriften, insofern Gott sie auf verborgene Weise zum Schreiben bewegte, so dass sie apostolische Verkündigung aufzeichneten und sie je nach Gelegenheit auf verschiedene Weise unverfälscht darlegten.“ Lateinischer und deutscher Text dokumentiert in Josef Ratzinger, Gesammelte Schriften 7/1, Freiburg 2012, 183–209, sowie bei Karl Rahner, Sämtliche Werke. Bearbeitet von Günter Wassilowsky. 21/1, Freiburg 2013, 217–236; Zitat nach Übersetzung bei Ratzinger, 199-200. Dei verbum Art. 5: „Dieser Glaube kann nicht vollzogen werden ohne die zuvorkommende und helfende Gnade Gottes und ohne den inneren Beistand des Heiligen Geistes, der das Herz bewegen und Gott zuwenden, die Augen des Verstandes öffnen und ‚es jedem leicht machen muss, der Wahrheit zuzustimmen und zu glauben‘“ (Art. 5).1 Dei verbum Art. 12: „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte.“ Dei verbum Art. 11: „Da also alles, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt zu gelten hat, ist von den Büchern der Schrift mit allen ihren Teilen zu bekennen, Bereinigter Text des Schemas, Endgültiger Text des Schemas 1 Das eingearbeitete Zitat stammt aus Can. 7 der 2. Synode von Orange (529 n. Chr.): DH 377. nach der 4 Intervention von Paul VI., 21. Oktober 1965 11. Oktober 1965 dass sie unerschüttert, getreu, umfassend und dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum ohne Irrtum die Heilswahrheit lehren.“ die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte.“ (veritatem, quam Deus nostrae salutis causa litteris sacris consignari voluit, firmiter, fideliter et sine errore docere profitendi sunt). Dei verbum Art. 13: „In der Heiligen Schrift offenbart sich … eine wunderbare Herablassung der ewigen Weisheit, … Denn Gottes Worte, wie einst des ewigen Vaters Wort durch Menschenzunge durch Annahme menschlichformuliert, schwachen Fleisches sind menschlicher Rede ähnlich geworden, den Menschen ähnlich geworden ist.“ Pius XII., Divinu Afflante Spiritu, hier AAS 35 (1943) 316 [amtliche Übersetzung]: „Wie nämlich das wesenhafte Wort Gottes den Menschen in allem ähnlich geworden ist, ‚die Sünde ausgenommen’ [Anm.: Hebr 4,15], so sind auch Gottes Worte, durch menschliche Zungen ausgedrückt, in allem der menschlichen Sprache ähnlich geworden, den Irrtum ausgenommen. Diese aus der Vorsehung Gottes stammende synkatabasis oder „Herablassung“ hat schon der hl. Johannes Chrysostomus hoch gefeiert und ihr Vorhandensein in den Heiligen Büchern immer wieder vermerkt.“ Phil 2,6-7: „Er hielt nicht an seinem Gottsein fest, sondern entäusserte sich, und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich …“ 3.4 Die Bibel verstehen Päpstliche Bibelkommission, Die Interpretation der Bibel in der Kirche, 15. April 1993. Abschnitt I.F.: „... Der fundamentalistische Zugang ist gefährlich, denn er zieht Personen an, die auf ihre Lebensprobleme biblische Antworten suchen. Er kann sie täuschen, indem er ihnen fromme, aber illusorische Interpretationen anbietet, statt ihnen zu sagen, dass die Bibel nicht unbedingt sofortige, direkte Antworten auf jedes dieser Probleme bereithält. Ohne es zu sagen, lädt der Fundamentalismus doch zu einer Form der Selbstaufgabe des Denkens ein. Er gibt eine trügerische Sicherheit, indem er unbewusst die menschlichen Grenzen der biblischen Botschaft mit dem göttlichen Inhalt dieser Botschaft verwechselt.“ Übersetzung aus: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 115, Bonn o. J. [1993], 63. 4 LEBENDES WORT GOTTES 4.1 Die Sakramentalität des Wortes Gottes 4.2. Wirkvollmacht des Wortes AUSLEITUNG