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Donnerstag 4.2.2016
Freitag 5.2.2016
2. Abo D
Herkulessaal
20.00 – ca. 22.15 Uhr
KENT NAGANO
Leitung
MOON YUNG OH
Tenor
ANDREAS HIRTREITER
Tenor
CHRISTOF HARTKOPF
Bariton
MICHAEL MANTAJ
Bass
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
KONZERTEINFÜHRUNG
18.45 Uhr
Moderation: Renate Ulm
LIVE-ÜBERTRAGUNG in Surround auf BR-KLASSIK
Freitag, 5.2.2016
PausenZeichen:
Julia Schölzel im Gespräch mit Kent Nagano
On demand: eine Woche abrufbar auf www.br-klassik.de
15 / 16
Guillaume de Machaut
Felix virgo / Inviolata genitrix / Ad te suspiramus gementes et flentes
Vierstimmige Motette
Johann Sebastian Bach
Contrapunctus I
aus: »Die Kunst der Fuge«, BWV 1080/1
Bearbeitet für 11 Instrumentalisten von Ichiro Nodaïra
Guillaume de Machaut
Bone pastor Guillerme / Bone pastor qui pastores / Bone pastor
Dreistimmige Motette
Johann Sebastian Bach
Fuga a tre soggetti (Fragment)
aus: »Die Kunst der Fuge«, BWV 1080/19
Bearbeitet für 15 Instrumentalisten von Ichiro Nodaïra
Guillaume de Machaut
Christe, qui lux es / Veni, creator Spiritus / Tribulatio proxima est
et non est qui adiuvet
Vierstimmige Motette
Pause
4
Programm
Olivier Messiaen
»Éclairs sur l’au-delà …« pour grand orchestre
»Streiflichter auf das Jenseits …« für großes Orchester
Première partie
I. II.
III.
IV.
V.
VI.
Apparition du Christ glorieux
(Erscheinung Christi in seiner Herrlichkeit)
La constellation du Sagittaire
(Das Sternbild des Schützen)
L’Oiseau-Lyre et la Ville-Fiancée
(Der Prachtleierschwanz und die bräutliche Stadt)
Les élus marqués du sceau
(Die mit dem Siegel gekennzeichneten Auserwählten)
Demeurer dans l’Amour …
(In der Liebe bleiben …)
Les sept Anges aux sept trompettes
(Die sieben Engel mit den sieben Trompeten)
Deuxième partie
VII. Et Dieu essuiera toute larme de leurs yeux …
(Und Gott trocknete jede Träne von ihren Augen …)
VIII. Les étoiles et la Gloire
(Die Sterne und die Herrlichkeit)
IX. Plusieurs oiseaux des arbres de Vie
(Mehrere Vögel in den Bäumen des Lebens)
X. Le chemin de l’Invisible
(Der Weg des Unsichtbaren)
XI. Le Christ, lumière du Paradis
(Christus, Licht des Paradieses)
5
Programm
»Großer Rhetoriker der neuen Form«
Die spätmittelalterliche Motette und der Franzose
Guillaume de Machaut
Matthias Corvin
Es ist die Musik einer
längst vergangenen Zeit,
und viele Menschen wussten schon damals kaum
etwas von ihrer Existenz. Die mehrstimmigen
Sakralwerke des ausgehenden Mittelalters waren
eine Kunst für Auserwählte. Aufgeführt wurde
diese Vokalpolyphonie im kirchlichen Rahmen
und bei Festen an den Adelshöfen. Auch reiche
Bürger und eine schmale Bildungsschicht hatten
Zugang zu ihr, kultivierten sie als ausgesprochenes Luxusgut. Die seit dem 13. Jahrhundert gepflegte Motette war die Hauptgattung jener Tage.
»Dieser Gesang darf nicht vor dem Volk dargeboten werden, weil es seine Subtilität nicht bemerkt, auch nicht durch sein Anhören ergötzt
wird, sondern man muss ihn vor den Gebildeten
darbieten und denjenigen, welche die Feinheiten
der Künste suchen.« So formulierte es um 1300
der französische Musiktheoretiker Johannes de
Grocheo in seinem Traktat Ars musicae. Das Volk
auf der Straße genoss hingegen fröhliche Tänze
und einfache Lieder.
Entstehungszeit
»Bone pastor Guillerme /
Bone pastor qui pastores /
Bone pastor« zur Ernennung
des Guillaume de Trie zum
Erzbischof von Reims im
Jahr 1324;
»Felix virgo / Inviolata
genitrix / Ad te suspiramus
gementes et flentes« sowie
»Christe, qui lux es / Veni,
creator Spiritus / Tribulatio
proxima est et non est qui
adiuvet« vermutlich anlässlich der Belagerung von
Reims im Winter 1359/1360
Uraufführungen
Wahrscheinlich im Jahr ihrer
jeweiligen Entstehungszeit
Lebensdaten des
Komponisten
Geboren zwischen 1300
und 1305 nahe Reims in
der Champagne, möglicherweise im Ardennendorf
Machault – 13. April 1377
in Reims
Ihre große Zeit erlebte die Motette in Frankreich
und ganz besonders in Paris, wo mit der neu
erbauten gotischen Kathedrale Notre Dame ein
Zentrum des christlichen Glaubens und der Musikpflege entstand. Ihre Bezeichnung leitet sich
daher aus dem französischen »Mot« für Wort oder
Vers ab. Neben der sakralen bildete sich auch
die weltliche Motette für Adel und Bürgertum
heraus, deren Thema nicht mehr Gott und Glaube, sondern etwa die Liebe war. Zu einer zweiten
Blüte kam der Motettengesang ab ca. 1320. Nun
sprach man von einer »ars nova« in Abgrenzung
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Guillaume de Machaut
Im »Prologue«, dem Vorwort zu den vermutlich zwischen 1360 und 1370 verfassten
Handschriften mit seinen Werken, erzählt der Dichterkomponist Guillaume de Machaut,
er habe den Auftrag der personifizierten Natur angenommen, mehr in der Musik zu
leisten, als bisher geschehen ist. Dafür übergibt ihm die Königin Natur drei ihrer Kinder:
Verstand, Rhetorik und Musik. Dem »Prologue« ist die im Ausschnitt abgebildete
Miniatur dieser allegorischen Szene vorangestellt. Machaut steht rechts im Bild.
zur älteren »ars antiqua«: Alte und Neue Musik – solche Klassifizierungen
gab es später immer wieder.
Der französische Komponist Philippe de Vitry, der den Begriff »ars nova«
in seiner gleichnamigen Abhandlung prägte, meinte damit vor allem die
neue, differenziertere rhythmische Notenschreibweise: die Mensuralnotation. So wurden die Notenwerte in noch kleinere Einheiten aufgeteilt,
und es etablierte sich eine »neue« Variabilität der Rhythmen und Taktarten.
Vor allem wurde das alte System der »perfekten« Dreiermetren (als Glaubenssymbol für die Dreifaltigkeit) mit »imperfekten« Zweiermetren bereichert. Innerhalb einer Motette kam es nun zu zahlreichen Taktwechseln,
was auf die Zeitgenossen geradezu avantgardistisch gewirkt haben muss.
In den handschriftlich überlieferten Notenausgaben sind die Wechsel mit
einem »Farbcode« versehen: Dreiertakte wurden schwarz, Zweiertakte rot
geschrieben. So erkannten sie die Sänger auch aus einiger Entfernung und
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Guillaume de Machaut
»Ad te suspiramus gementes et flentes« – »Klagend und weinend seufzen wir nach dir«,
Ausschnitt aus einer französischen Handschrift, in der sich die »perfekten«, also die
schwarzen dreizeitigen Notenwerte, und die »imperfekten«, die roten zweizeitigen,
farblich voneinander abheben.
bei Kerzenschein. Die Symbolsprache dieser Zeit ist ohnehin aufschlussreich: Der perfekte Kreis vor einem Notensystem kennzeichnet etwa einen
vollkommenen Dreiertakt (noch Johann Sebastian Bach verwendet ihn), der
imperfekte Halbkreis bezeichnet hingegen den unvollkommenen Zweiertakt. Als Bezeichnung für den Viervierteltakt ist das C bis heute gebräuchlich, Spuren der damals entwickelten Notation finden sich also bis in
unsere Tage.
Charakteristisch für die Isorhythmische Motette jener Zeit ist die Schichtung mehrerer Melodielinien über einem bestimmten rhythmischen Schema. Grundlage ist der »Tenor« [sprich: Te- nor], die untere Stützstimme in
langen Notenwerten. Meist enthält sie eine gregorianische oder eine
andere bekannte geistliche Melodie. Sie wurde als Vokalise oder instrumental ausgeführt. Der gebildete Zuhörer und die Sänger kannten den
Text damals ohnehin. Die eigentliche Kunst der Motette bestand in den
genau berechneten Zusammenklängen der zwei deutlich bewegter gestalteten Oberstimmen, dem »Triplum« und dem »Motetus«. Beide bezogen
sich inhaltlich wiederum auf den »Tenor«, nutzten aber ganz unterschiedliche Texte, bisweilen sogar verschiedene Sprachen. Drei Gesangslinien
treten so in einen wundersamen Dialog, bereichert durch die bewusste
Einbeziehung von Asymmetrien. So bildeten die Komponisten in solchen
Motetten metrisch-melodisch äußerst raffinierte Kunstwerke, die Modellen der Architektur nachgebildet waren. Die filigrane Konstruktion begeisterte noch Komponisten im 20. Jahrhundert wie Pierre Boulez oder
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Guillaume de Machaut
Die Kathedrale von Reims,
Krönungskirche der französischen Könige, hier in
einem Kupferstich anlässlich des Einzugs Louis XVI.
in Reims
Karlheinz Stockhausen. Kirchenväter des Mittelalters sahen diese L’art
pour l’art jedoch zunehmend kritisch, da sie von der Andacht ablenkte.
Guillaume de Machaut gehörte zu den bedeutendsten Komponisten solcher Stücke im 14. Jahrhundert. Um 1300 in der Champagne (vermutlich
in Machault) geboren, war er gleichermaßen Musiker und Dichter. In Reims
und in Paris wurde er ausgebildet, trat später in den Dienst des böhmischen Königs Jean de Luxembourg. Dieser nahm ihn als Sekretär auf zahlreiche Reisen mit, vor allem nach Osteuropa. Um 1340 ist seine Anstellung
als Kanoniker an der Kathedrale in Reims belegt. In dieser Salbungsstadt
der französischen Regenten besuchte ihn später sogar der Herzog der Normandie und zukünftige König Karl V. Machaut arbeitete weiterhin für
höfisch-aristokratische Kreise, erlebte Kriege und den in Europa wütenden »schwarzen Tod«, die Pest. Seine Gedichte, Versromane und Schriften
bieten ein anschauliches Zeitbild. Gegen Ende seines Lebens archivierte
er sein musikalisches und literarisches Schaffen akribisch, es ist daher vermutlich vollständig dokumentiert. Allein seine Messe de Nostre Dame,
eine der ersten mehrstimmigen Vertonungen des lateinischen Messordinariums, begründete seinen Rang.
9
Guillaume de Machaut
Albani-Psalter, ein Hauptwerk der englischen romanischen Buchmalerei aus dem 12. Jahrhundert aus der Abtei St. Alban in Hertfordshire, der sich heute in der Dombibliothek
Hildesheim befindet. Die reich ausgezierte Initiale D sowie die folgenden Großbuchstaben
SDSMS sind Abkürzungen für »Deus, deus meus« und weiter: »respice me: quare me
dereliquisti« (»MEin Gott, mein Gott, schütze mich, warumb hastu mich verlassen?«).
Aus diesem Psalm 22 hat Guillaume de Machaut den zwölften Vers als Tenor für seine
Motette herangezogen: »Tribulatio proxima est et non est qui adiuvet« (»Die Heimsuchung
ist nahe, und niemand ist da, der hilft.«)
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Guillaume de Machaut
Zwar lieferte Machaut auch weltliche Beiträge zur Gesangskunst (Balladen, Rondeaux und Virelais), doch gelten seine 23 (geistlichen) Motetten
als absolute Meisterwerke. In ihnen zeigt er sich als jener »grant retthorique de nouvelle fourme« (»großer Rhetoriker der neuen Form«), als den
ihn bereits die unmittelbare Nachwelt verehrte. Die beiden Motetten Felix
virgo / Inviolata genitrix / Ad te suspiramus gementes et flentes sowie Christe,
qui lux es / Veni, creator Spiritus / Tribulatio proxima est et non est qui
adiuvet entstanden vermutlich während der Belagerung von Reims im
Winter 1359/1360 durch die Engländer im Hundertjährigen Krieg. Darauf
verweisen entsprechend gewählte Textpassagen, die um göttliche Hilfe zur
Überwindung der anrückenden Feinde flehen, gegen die man sich immer
erschöpfter zur Wehr setzte. Die jeweils drei Titel geben die den Stimmen zugeordneten Texte als Incipits an.
Die Tenormelodie in Felix virgo stammt aus der marianischen Antiphon
Salve regina. Es ist die Passage »Ad te suspiramus gementes et flentes«
(»Klagend und weinend seufzen wir nach Dir«). Der melodische Verlauf
in Felix virgo weist vielfach absteigende Tendenz auf, der den klagenden
Duktus des Textes (»werden wir vom Höchsten zum Niedrigsten hinabgeführt«) in die Gesangslinie überträgt. Der Motette Christe, qui lux es
liegt ein Psalmzitat (22/12) zugrunde: »Tribulatio proxima est« (»Die Heimsuchung ist nahe«). Die Motette startet zunächst mit einer Introduktion
auf der verzierten ersten Silbe, bevor der bewegte Hauptteil anfängt. Der
Pfingsthymnus »Veni, creator Spiritus« (»Komm, Schöpfer Geist«) bildet
hier die Mittelstimme. Am Ende kommt es zu einer Beschleunigung der
stützenden Tenorstimme, ganz typisch für die Motette der »ars nova«. Beide
Werke sind vierstimmig, da dem Tenor noch eine ruhige Gegenstimme
(Contratenor) zugeordnet wird.
Überwiegend komponierte Machaut seine Motetten dreistimmig, so auch
Bone pastor. Sie entstand bereits 1324 zur Ernennung des Guillaume de
Trie zum Erzbischof von Reims und preist den Kirchenmann als »guten
Hirten« seiner Gemeinde. Die Motette ist etwas strenger und blockartiger im Charakter als die beiden später komponierten Werke des heutigen Programms und weist daher noch eine deutliche Anbindung an die
»ars antiqua« auf. Sie gilt als erstes genau datierbares Werk Machauts und
zugleich der abendländischen Musik.
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Guillaume de Machaut
Felix virgo /
Inviolata genitrix /
Ad te suspiramus gementes
et flentes
Glückliche Jungfrau /
Unbefleckte Mutter /
Klagend und weinend seufzen wir
nach dir
Triplum
Felix virgo, mater Christi,
que gaudium mundo tristi
ortu tui contulisti,
dulcissima;
sic hereses peremisti,
dum angelo credidisti
filiumque genuisti,
castissima.
Triplum
Glückliche Jungfrau, Mutter Christi,
die du Freude in diese traurige Welt
mit deiner Geburt brachtest,
du Süßeste;
so hast du das Ketzertum vernichtet,
indem du dem Engel glaubtest,
und einen Sohn hervorgebracht hast,
du Reinste.
Roga natum, piissima,
ut pellat mala plurima
tormentaque gravissima,
que patimur.
Nam a gente ditissima,
lux lucis splendidissima,
de sublimi ad infima
deducimur.
Bitte den Geborenen, du Frommeste,
damit er das größte Übel und die
schlimmsten Qualen vertreibt,
die wir erleiden.
Denn von einem überreichen Volk,
du alles überstrahlendes Licht,
werden wir vom Höchsten zum
Niedrigsten hinabgeführt.
Cunctis bonis exuimur,
ab impiis persequimur,
per quos jugo subicimur
servitutis.
Nam sicut ceci gradimur
nec directorem sequimur,
sed a viis retrahimur
nobis tutis.
Wir werden aller Güter beraubt,
von den Ungläubigen verfolgt,
durch die wir unter das Joch der Knechtschaft
gezwungen werden.
Denn wie Blinde gehen wir dahin,
folgen keinem Anführer,
sondern werden von den für uns sicheren Wegen weggezogen.
Quelle der Anmut und Tugend,
einzige Hoffnung auf unsere Rettung,
erbarme dich den von jeder Hilfe
Verlassenen,
damit uns, von Schuld erlöst,
und auf den rechten Weg geführt,
und von den Feinden befreit,
der Friede voller Freude sei.
Gracie fons et virtutis,
sola nostre spes salutis,
miserere destitutis
auxilio,
ut a culpis absolutis
et ad rectum iter ductis
inimicisque destructis
pax sit nobis cum gaudio.
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Gesangstexte
Motetus
Inviolata genitrix,
superbie grata victrix
expers paris,
celestis aule ianitrix,
miserorum exauditrix,
stella maris,
Motetus
Unbefleckte Mutter,
anmutige Überwinderin des Hochmuts
ohne gleichen,
Pförtnerin der Himmelsburg,
Wächterin der Elenden,
Stern des Meeres,
que ut mater consolaris
et pro lapsis deprecaris
humiliter,
gracie fons singularis,
que angelis dominaris,
celeriter
die du wie eine Mutter Trost spendest,
und für Gestrauchelte
demütig bittest,
Quelle einzigartiger Anmut,
die du den Engeln gebietest,
rasch
para nobis tutum iter
iuvaque nos viriliter,
nam perimus;
invadimur hostiliter,
sed tuimur debiliter
neque scimus,
bereite uns den sicheren Weg,
und helfe uns machtvoll;
denn wir gehen unter,
wir werden von Feinden überfallen,
indes verteidigen wir uns kraftlos,
und wir wissen nicht,
quo tendere nos possimus
nec per quem salvi erimus
nisi per te.
Eia! Ergo poscimus,
ut sub alis tuis simus
et versus nos te converte.
an wen wir uns halten können
noch durch wen wir errettet werden,
wenn nicht durch dich.
Eia! Also flehen wir dich an,
lass uns unter deine Fittiche
neige dich uns zu.
Tenor und Contratenor
Ad te suspiramus gementes
et flentes
in hac lacrimarum valle.
Eia ergo, advocata nostra, illos
tuos misericordes oculos
ad nos converte.
Tenor und Contratenor
Klagend und weinend
seufzen wir nach dir
in diesem Tal der Tränen.
Eia, richte, unsere Beschützerin,
deine barmherzigen Augen
auf uns.
[aus der Marienantiphon
Salve regina]
13
Gesangstexte
Bone pastor Guillerme /
Bone pastor qui pastores /
Bone pastor
Guter Hirte Guillermus /
Guter Hirte, der den Hirten /
Guter Hirte
Triplum
Bone pastor Guillerme,
pectus quidem inerme
non est tibi datum;
favente sed Minerva
virtutum est caterva
fortiter armatum.
Triplum
Guter Hirte Guillermus,
ein wehrloses Herz ist dir
freilich nicht gegeben;
aber durch eine geneigte Minerva
bist du durch der Tugenden Schar
besser gerüstet.
Portas urbis et postes
tue munis, ne hostes
urbem populentur:
mundus, demon et caro,
morsu quorum amaro
plurimi mordentur.
Du befestigst die Tore und Türen
deiner Stadt, damit die Feinde
die Stadt nicht verwüsten:
Welt, Teufel und Fleisch,
von deren bitteren Biss
die meisten gepeinigt werden.
Mitra que caput cingit,
bino cornu depingit
duo testamenta,
que mitrifer habere
debet, tanquam sincere
mentis ornamenta.
Die Mitra, die das Haupt umgürtet,
beschreibt mit ihren zwei Spitzen
die beiden Testamente,
diese muss der Mitraträger besitzen,
gleichsam als Schmuck seines
aufrichtigen Geistes.
Et quoniam imbutus
et totus involutus
es imprelibatis,
ferre mitram est digna
tua cervix, ut signa
sint equa signatis.
Einst auch geweiht,
ganz in Dunkel gehüllt,
bist du keusch,
dein Haupt ist würdig, die Mitra
zu tragen, damit die Zeichen
den Ausgezeichneten ähnlich sind.
Curam gerens populi
vis, ut queant singuli
vagos proficere:
Prima parte baculi
attrahere,
Die Sorge um das Volk auf dich nehmend,
willst du, dass jeder Einzelne sich bemüht,
den im Glauben Schwankenden zu helfen,
angezogen vom ersten Teil
deines Bischofsstabes,
parte quidem alia,
que est intermedia,
morbidos regere,
lentos parte tercia
sis pungere.
vom zweiten Teil freilich,
der sich in der Mitte befindet,
richtest du die Kranken,
mit dem dritten Teil magst du
die Starrköpfigen bekämpfen.
14
Gesangstexte
Oves predicamine
et cum conversamine
pacis laudabili,
demum erogamine
sensibili.
Predige den Schafen
und spreche mit dem
Friedvollen,
zuletzt bitte für den
Feinfühligen.
Det post hoc exilium
huic rex actor omnium,
qui parcit humili,
stabile dominium
pro labili.
Möge nach diesem [irdischen] Zufluchtsort
der König als Richter über alle,
der den Demütigen schont,
diesem eine dauerhafte Heimstatt bieten
anstelle der vergänglichen.
Motetus
Bone pastor, qui pastores
ceteros vincis per mores
et per genus
et per fructum studiorum
tollentem mentes ymorum
celo tenus,
Motetus
Guter Hirte, der den übrigen
Hirten durch redliches Verhalten
und durch seine Art vorangeht
und durch die Frucht seiner Studien
die Gedanken der Abtrünnigen
zum Himmel wendet.
o, Guillerme, te decenter
ornatum rex, qui potenter
cuncta regit,
sue domus ad decorem
remensium in pastorem
preelegit.
O, Guillerme, der König, der alles
machtvoll beherrscht, hat dich,
bescheiden geschmückt,
zur Zierde seines Hauses
in Reims zum Hirten
auserwählt.
Elegit te vas honestum,
vas insigne,
de quo nichil sit egestum
nisi digne.
Er hat dich ausgewählt zum achtbaren Bürgen,
zum ausgezeichneten Bürgen,
von dem nichts herausragen möge
denn die Würde.
Dedit te vas speciale
sibi regi;
dedit te vas generale
suo gregi.
Er übergibt dich als besonderen Bürgen
seiner Herrschaft;
er übergibt dich als allgemeinen Bürgen
seiner Herde.
Tenor
Bone pastor, panis vere,
Jesu, nostri miserere.
Tu nos pasce, nos tuere,
tu nos bona fac videre
in terra viventium.
Tenor
Guter Hirte, wahres Brot,
Jesus erbarme dich unser.
Du weidest uns, du schützt uns,
lass uns das Gute erkennen
auf der Erde der Lebenden.
15
Gesangstexte
Auf diesen beiden Blättern ist die gesamte Motette Bone pastor von Guillaume de Machaut
niedergeschrieben. Notiert wurde sie in der im 14. Jahrhundert charakteristischen Mensuralnotation mit verschiedenen C-Schlüsseln. Das Triplum als textumfangreichste Stimme
ist auf der linken Seite zu sehen und reicht hinüber auf die rechten Seite bis zum goldbraunen B, mit dem der Tenor, die Unterstimme, als text- und notenärmster Part Platz
findet. Der Motetus befindet sich rechts in der zweiten Spalte, beginnend mit dem blauen B.
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Guillaume de Machaut
Im Triplum, der höchsten Stimme, liegt das C auf der untersten Notenlinie, im Motetus
auf der zweiten und im Tenor auf der vierten. Auf diese Weise blieb der Stimmumfang
innerhalb des Systems der fünf Notenlinien, und es war nicht notwendig, mit Hilfslinien
zu arbeiten. In dieser Gebrauchsschrift, die als Aufführungsmaterial diente, sind nur
die Initialen ausgeziert und teilweise mit floralem Rankenwerk erweitert.
17
Guillaume de Machaut
Christe, qui lux es /
Veni, creator Spiritus /
Tribulatio proxima est et non
est qui adiuvet
Christus, der du das Licht bist /
Komm, Heiliger Geist /
Die Heimsuchung ist nahe, und niemand ist
da, der hilft
Triplum
Christe, qui lux es et dies
fideliumque requies,
nos visita.
Triplum
Christus, der du Licht und Tag,
und Erholung für die Gläubigen bist,
besuche uns.
Tu furoris temperies,
tu dulcoris planicies,
nunc excita.
Du linderst die Wut,
du gleichst die Süße aus,
begeistere jetzt.
Posse tuum, precipita
depredantes, qui nos ita
vituperant.
Vermag es deine Macht,
so stürze die Plünderer hinab,
die uns so plagen.
Sicut per te fuit vita
patribus nostris reddita,
qui tunc erant.
So gab es durch dich Leben,
das unseren Vätern wiedergegeben wurde,
die damals lebten.
Nec tueri se poterant,
sed ad te reclamaverant,
Deus fortis,
Sie konnten sich nicht schützen,
aber sie hatten zu dir gerufen,
mächtiger Gott,
sic cave, ne nos atterant,
qui nos in guerris lacerant
nunc subortis.
so achte darauf, dass uns nicht
diejenigen schwächen,
die uns in den Kriegen zerfleischen,
die jetzt entstanden sind.
Et adire nexu mortis,
cuius sumus iam in portis,
nos protegas.
Und komm zu uns in Anbetracht des Todes,
an dessen Pforte wir schon stehen,
du beschützt uns.
Gentem serves tue sortis,
tui fratris ac consortis
causam regas.
Du mögest das Volk vor deinem Los bewahren,
deines Bruders und Wegbegleiters Fall
richtest du.
Qui malos a te segregas
nec iustis opem denegas,
legis lator,
Der du die Schlechten von dir absonderst,
dich nicht dem Werk des Gerechten verweigerst,
du Überbringer des Gesetzes,
18
Gesangstexte
proditores nunc detegas
horumque visum contegas,
consolator,
entlarve jetzt die Verräter
und verhülle deren Blick,
du Tröster,
Danielis visitator
puerorumque salvator
in fornace,
Besucher Daniels
und Retter der Knaben
im Feuerofen,
per Abacuc confortator,
sis pro nobis preliator
et dimittas nos in pace.
Streiter für Habakuk,
Mögest du für uns der Krieger sein
und lass uns in Frieden gehen.
Motetus
Veni, creator Spiritus,
flencium audi gemitus,
quos nequiter gens misera
destruit. Veni, propera,
iam nostra virtus deficit
nec os humanum sufficit
ad narrandum obprobria,
que nobis dant, vecordia,
divisio, cupiditas
fideliumque raritas,
unde flentes ignoramus,
quid agere debeamus.
Circumdant nos inimici,
sed et nostri domestici
conversi sunt in predones:
Leopardi et leones,
lupi, milvi et aquile
rapiunt omne reptile.
Consumunt nos carbunculi,
ad te nostri sunt oculi:
Perde gentem hanc rapacem,
Jhesu, redemptor seculi,
et da nobis tuam pacem.
Motetus
Komm, Schöpfer Geist,
höre das Seufzen der Weinenden,
die ein elendes Volk leichtfertig
vernichtet. Komm, eile,
schon lässt unsere Kraft nach,
und kein menschlicher Mund kann
all die Schande hervorbringen,
die uns angetan wird, Wahnsinn,
Zwietracht, Gier,
und nur wenige Gläubige gibt es,
daher die Tränen, wir wissen nicht,
was wir tun sollen.
Uns umgeben die Feinde,
aber auch unsere Diener
sind zu Räubern geworden:
Leoparden und Löwen,
Wölfe, Falken und Adler
rauben alles, was kriecht.
Geschwüre verzehren uns,
auf dich richten sich unsere Augen:
Vernichte dieses räuberische Volk,
Jesus, Erlöser in Ewigkeit,
gib auch uns deinen Frieden.
Tenor
Tribulatio proxima est et non est
qui adiuvet.
Tenor
Die Heimsuchung ist nahe, und niemand ist da,
der hilft.
(Psalm 22/12)
(Übersetzungen: Renate Ulm)
19
Gesangstexte
Ȇber dieser Fuge ist der Verfasser
gestorben«
Mythen und Fakten zu Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge
Judith Kaufmann
»Der selige Herr Verfasser
dieses Werkes wurde durch
seine Augenkrankheit und den kurz darauf erfolgten Tod ausser Stande gesetzet, die letzte Fuge,
wo er sich bey Anbringung des dritten Satzes
namentlich zu erkennen giebet, zu Ende zu bringen; man hat dahero die Freunde seiner Muse
durch Mittheilung des am Ende beygefügten
vierstimmig ausgearbeiteten Kirchenchorals, den
der selige Mann in seiner Blindheit einem seiner
Freunde aus dem Stegereif in die Feder dictiret
hat, schadlos halten wollen.« Krankheit und Tod,
Fragment und Vermächtnis: Der Erstdruck der
Kunst der Fuge berührt im Vorwort Aspekte, die
zahlreiche Spekulationen zu Entstehung und
Bestimmung des rätselhaften Torsos provoziert
haben. Ohne die offenen Fragen vollständig beantworten zu können, hat die Forschung viele
Brüche der Rezeption aufgeklärt. Und diese beginnen mit der Erstausgabe aus dem Jahr 1751,
als der Schöpfer der Musik, Johann Sebastian Bach,
seit einem knappen Jahr unter der Erde ruhte
und der Herausgeber Carl Philipp Emanuel Bach
bemüht war, den Nachruhm seines Vaters zu
mehren. Der erwähnte »Kirchenchoral« beispielsweise ist eine frühere Arbeit, die Bach sicherlich
nicht für Die Kunst der Fuge vorgesehen hatte.
Da dessen Melodie jedoch mit dem Text »Vor
deinen Thron tret ich hiermit« bekannt war,
erschien sie als idealer Schlusspunkt für den
Schwanengesang eines moribunden Genies.
Ab etwa 1740 beschäftigte sich Johann Sebastian
Bach über mehrere Jahre mit der Komposition
eines Werkes, das in verschiedenen Fassungen
Entstehungszeit
Erstdruck 1751;
Bearbeitungen von Ichiro
Nodaïra 2002
Uraufführung der
Bearbeitungen
24. September 2002 mit dem
Deutschen SymphonieOrchester Berlin unter der
Leitung von Kent Nagano
in Berlin
Lebensdaten des
Komponisten
31. März 1685 in Eisenach –
28. Juli 1750 in Leipzig
20
Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach, porträtiert von Elias Gottlob Haußmann,
mit dem Notenblatt »Canon triplex à 6 voc. par J. S. Bach« (1746)
vorliegt und von fremder Hand mit dem Titel Die Kunst der Fuge versehen
wurde. Der Zyklus ist das instrumentale Pendant zum anderen großen
Spätwerk Bachs, der h-Moll-Messe. Er stellt eine Art Musterbuch für eine
streng polyphone Satzweise dar, die in der vokalen Kunst der Renaissance
wurzelt und auf dem Prinzip der Imitation basiert. Wie die Motette ein
»soggetto« durch alle Stimmen wandern lässt, so durchzieht ein »Subjekt«
alle Stimmen und alle Nummern der Kunst der Fuge. Das Eröffnungsstück
(BWV 1080/1), im Erstdruck »Contrapunctus I« genannt, präsentiert das
Subjekt in seiner Grundgestalt: In ruhig schreitenden Halben wird der
Tonraum d-Moll abgesteckt, am Ende der Phrase setzt eine Überbindung
mit drei angehängten Achteln einen kleinen Bewegungsimpuls. In der
Art einer einfachen Fuge erscheint dieses Thema zeitlich versetzt in allen
Tonlagen und wird von Gegenstimmen abgelöst, die das Motiv der Überbindung aufgreifen. Durch die entstehenden Vorhaltsdissonanzen bleibt
die Musik ständig im Fluss, bis sie in einem verminderten Septakkord
abrupt zum Stehen kommt. Nach zwei effektvollen Generalpausen schwingt
21
Johann Sebastian Bach
Die Thomaskirche zu Leipzig, kolorierter Kupferstich von Joachim
Ernst Scheffler (um 1749)
die erste Fuge mit einem letzten Themeneinsatz über dem Orgelpunkt ›d‹
aus. In den folgenden Nummern entfaltet Bach das Potenzial dieses einen
Soggetto, das er im Laufe des Zyklus freilich Schritt für Schritt variiert.
Die gleichberechtigten Stimmen der (im Erstdruck) 19 Fugen und Kanons
setzt er abwechslungsreich zueinander in Beziehung und operiert dabei
mit wechselnden Einsatzfolgen, unterschiedlichen Einsatzabständen,
Verkleinerung oder Vergrößerung der Notenwerte, Spiegelung der Melodie an einer horizontalen oder vertikalen Achse ... Wenn man schließlich
alle denkbaren Kombinationen dieser Techniken in Betracht zieht, bietet
sich ein weites Feld für die vielfältigsten kompositorischen Kunststücke.
Die im Vorwort der Erstausgabe angesprochene »letzte Fuge« (»Fuga a 3
soggetti« BWV 1080/19) behandelt in deutlich getrennten Abschnitten
drei verschiedene Themen, die jeweils einzeln durchgeführt und sodann
mit den vorhergehenden kombiniert werden. Das Subjekt des ersten Teils
ist aus dem Thema des »Contrapunctus I« abgeleitet und verrät mit seiner
glatten melodischen Struktur und langen Notenwerten Bachs Beschäftigung mit dem »stile antico«, der klassischen Kunst vergangener Jahrhunderte. Einen lebhaften Kontrast bildet das zweite Thema mit seinen per22
Johann Sebastian Bach
lenden Achtelketten. Anhänger der Zahlensymbolik merken an, dass die
41 Töne dieses zweiten Soggetto für den Namenszug J (9. Buchstabe im
Alphabet), S (18.) und Bach (14.) stehen. Spätestens im dritten Abschnitt
gibt sich der Komponist unmissverständlich »namentlich zu erkennen«,
indem er die Noten B-A-C-H als Kopfmotiv des Themas wählt. Die Chromatik dieser Tonfolge trägt ebenso zu einer Verdichtung bei wie die bereits angedeuteten Verfahren von Umkehrung, Engführung oder synkopierten Einsätzen. Mit der Synchronisierung aller drei Soggetti erreicht die
Komposition ihren Höhepunkt – und bricht ab. Dass der Verfasser über
dieser Fuge gestorben sei, wie am Ende des Autographs vermerkt ist, gilt
heute als unwahrscheinlich. Vielleicht wollte Bach die Aufzeichnung auf
dem schadhaften Skizzenblatt nicht fortführen, vielleicht war er mit dem
Er-gebnis unzufrieden und verschob einen erneuten Kompositionsversuch
auf später, vielleicht ist eine weitere Quelle mit der vollständigen Tripelfuge verloren gegangen. Wir wissen es nicht.
Auch wenn die Besetzung der (in Partitur notierten) Kunst der Fuge nirgends benannt ist, gibt es eine weitgehende Übereinkunft, dass die Musik
für den Vortrag auf Tasteninstrumenten bestimmt ist. Zur Bekanntheit
des Werkes trugen allerdings vor allem zahlreiche Bearbeitungen bei –
von der Instrumentierung über die Vollendung der halbfertigen Fuge bis
hin zur schöpferischen Umgestaltung. Ein frühes Beispiel ist Mozarts Transkription eines Satzes für Streichtrio (KV 404a), eine überwältigende Wirkung erzielte 1927 die Einrichtung des Werkes für großes Orchester von
Die angeblich letzte Autographseite von Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge mit
der fälschlichen Anmerkung Carl Philipp Emanuel Bachs »NB: ueber dieser Fuge, wo
der Nahme B A C H im Contrasubject angebracht worden, ist der Verfaßer gestorben.«
23
Johann Sebastian Bach
Wolfgang Graeser (1906–1928). Der japanische Pianist und Komponist
Ichiro Nodaïra (*1953) bearbeitete unter dem Titel L’Art de la fugue eine
Auswahl von sechs Fugen für Kammerorchester. Deren erste Aufführung
unternahm 2002 das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Leitung seines damaligen Chefdirigenten Kent Nagano, der gemeinsam mit
Intendant Dieter Rexroth den Anstoß für Nodaïras Arbeit gegeben hatte.
Die vier Stimmen des Bach’schen Originals überträgt Nodaïra einem Ensemble aus Holzbläsern, Hornisten und Streichern. Gegenüber einem
homogenen Klangbild, wenn das Stück auf einem Tasteninstrument erklingt, werden die Stimmen hier durch unterschiedliche Instrumentalfarben individualisiert. Da die Themeneinsätze dank eines jeweils neuen
Timbres, mitunter auch dank Oktavierung oder Verdopplung klar hervortreten, unterstreicht die Instrumentierung die Struktur des Originals.
In einer eher gegenläufigen Strategie verteilt der Japaner im »Contrapunctus I« einzelne Töne der Gegenstimmen auf verschiedene Instrumente,
wobei er die Linien zunächst kaum, gegen Ende jedoch stark zersplittert.
(In der »Fuga a 3 soggetti« kommt dieses Verfahren gelegentlich auch
beim Vortrag des ersten Themas zum Zuge.) Während so die Integrität
des Melos aufgebrochen wird, erzeugt Nodaïra eine Folge kalkulierter
Farbwechsel und gewinnt damit eine zusätzliche Dimension der Darstellung. Ausdrücklich beruft er sich auf Anton Webern und sein Verständnis
einer »Klangfarbenmelodie«, wie sie etwa in dessen Orchestrierung des
Ricercar zu sechs Stimmen aus Bachs Musikalischem Opfer (1934) zur
Anwendung kommt. Des Weiteren bezieht er sich auf Arnold Schönberg,
wenn er die Besetzung von dessen Erster Kammersymphonie op. 9 exakt
für die »Fuga a 3 soggetti« übernimmt. Jeder der drei Teile dieses Satzes
wird von einer anderen Instrumentenfamilie eröffnet (Holz, Saiten, Blech),
und auch hiermit folgt der Komponist einer Idee Schönbergs, die seinem
Arrangement von Bachs (Präludium und) Fuge in Es-Dur aus dem Jahr
1928 zugrunde liegt. Im Gegensatz zu dessen opulentem Orchestersound
bleibt Nodaïras Bearbeitung indes kammermusikalisch und durchsichtig.
Seine zurückhaltende Adaption vollendet und ergänzt nicht – Instrumentation und Stimmbehandlung zielen allein auf eine veränderte Wahrnehmung der jeweiligen Auftritte von Themen und Gegenstimmen. Jede Aufführung der Kunst der Fuge und insbesondere des letzten, unvollendeten
Satzes wird ein Experiment, ein Vesuch bleiben. Die Antwort auf den
fragmentarischen Charakter des Werkes gibt im heutigen Konzert nicht
der Choralsatz der Erstausgabe, sondern die Verschränkung der beiden
ausgewählten Fugen mit drei Motetten des französischen Dichters und
Komponisten Guillaume de Machaut.
24
Johann Sebastian Bach
BEETHOVEN
MISSA SOLEMNIS
900130
„Das Symphonieorchester
des Bayerischen Rundfunks – ich habe eine so
lange Geschichte mit ihm!
Und der Chor – ich muss
lange nachdenken, wann
ich zuletzt einen Chor auf
diesem Niveau dirigiert
habe.“ Bernard Haitink
Gramophone’s Lifetime
Achievement Award winner 2015
BERNARD HAITINK
„Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen“ – Beethovens
„Missa solemnis“ ist mehr als eine Festmesse: Unter der Stabführung von
Bernard Haitink wird sie zur Bekenntnismusik des großen Klassikers.
GENIA KÜHMEIER I ELISABETH KULMAN
MARK PADMORE I HANNO MÜLLER-BRACHMANN
CHOR UND SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
BERNARD HAITINK
25
Johann Sebastian Bach
www.br-klassik/label
Erhältlich im Handel und im BRshop / www.br-shop.de
Gestirne und Vögel als Wegweiser
ins Jenseits
Zu Olivier Messiaens Éclairs sur l’au-delà
Renate Ulm
Der gläubige Katholik
Olivier Messiaen versuchte an seinem Lebensende, mit seinem nach
der Turangalîla-Symphonie und der Suite Des canyons aux étoiles … größten Orchesterwerk Éclairs
sur l’au-delà (Streiflichter auf das Jenseits) das
Paradies in Töne zu fassen: jenen verheißungsvollen Ort, an dem die Seelen in Ewigkeit verweilen und den Lobpreis Gottes anstimmen;
jenen Ort der Glückseligkeit, an dem das Immaterielle nach dem Tod, endlich dem Gefängnis des
Körpers entronnen, in einen anderen, freieren
Aggregatzustand übergegangen ist. In der musikalischen Umsetzung dessen gelingen dem Komponisten blitzlichtartig erleuchtete Ausschnitte,
die von der Summe seiner Lebensmaximen und
seiner Glaubensüberzeugungen angeregt sind.
So spiegeln die elf Sätze alles, was ihm im Leben
wichtig war: Religiosität, Orgelspiel, Bibelworte,
Vogelstimmen, Licht, Kirchenfensterfarben, Sphärenmusik, indische Rhythmen, griechische Metrik. Die Komplexität der Mittel macht es nicht
leicht, Messiaens Musik zu verstehen, daher fühlte
sich der Komponist in einem Interview einmal
veranlasst, diese Schwierigkeiten zu benennen:
»Die erste [Tragödie meines Lebens] besteht
darin, dass ich als gläubiger Musiker über den
Glauben zu Atheisten spreche. Wie sollen sie
mich verstehen? Meine zweite Tragödie ist, dass
ich Ornithologe bin und über die Vögel zu Menschen spreche, die in Städten leben, die niemals
um vier Uhr morgens aufgestanden sind, um
dem Erwachen der Vögel auf dem Lande zu lauschen. Sie sehen hässliche Tauben auf den Straßen
Entstehungszeit
1987 bis 1991 als
Auftragsarbeit des New York
Philharmonic Orchestra zu
dessen 150. Geburtstag
Uraufführung
5. November 1992 in New
York im Lincoln Center durch
das New York Philharmonic
Orchestra unter der Leitung
von Zubin Mehta
Lebensdaten des
Komponisten
10. Dezember 1908 in
Avignon – 27. April 1992
in Clichy
26
Olivier Messiaen
Olivier Messiaen mit seiner Frau Yvonne Loriod
und Spatzen in den Grünanlagen, aber sie wissen nicht, was ein Vogelgesang ist. Und hier nun meine dritte Tragödie: Wenn ich Klänge höre,
sehe ich geistig Farben. Ich habe das öffentlich gesagt, ich habe es vor den
Kritikern wiederholt, ich habe es meinen Schülern erklärt, aber niemand
schenkt mir Glauben. Ich kann noch so reichlich Farben in meiner Musik
verwenden, die Zuhörer hören, aber sie sehen nichts. Was meine vierte
Tragödie anbelangt, so ist sie weniger schlimm, sie beruht lediglich auf
einem bedauerlichen Missverständnis: Ich bin Rhythmiker, und ich lege
Wert auf diese Bezeichnung. Die meisten Menschen glauben jedoch, unter
Rhythmus seien die gleichmäßigen Zeitwerte eines Militärmarsches zu
verstehen …«
Um diesem Unverständnis zu begegnen, ist es wichtig, Hintergrundwissen
zu den einzelnen Sätzen zu erhalten, mit dem der geistige Überbau und
die Visionen des Komponisten erahnbar werden. Wohlwissend hat seine
Frau Yvonne Loriod alle inhaltlichen Anregungen, die Messiaen zur Komposition von Éclairs sur l’au-delà inspirierten, der Partitur vorangestellt.
Sie werden in diesen Text miteinfließen.
Olivier Messiaen wurde in Avignon geboren, der Stadt mit dem mächtigen, gotischen Papstpalast aus den Zeiten des Kirchenschismas der Päpste
und Gegenpäpste. Im strengen Katholizismus erzogen, war er zeitlebens
ein »von der Unendlichkeit Gottes geblendeter Glaubender« (Claude
Samuel), der die Glaubensinhalte tief verinnerlicht hatte. Dazu gehörte
27
Olivier Messiaen
auch seine stark am Heiligen Franziskus orientierte Lebensauffassung mit
der übergroßen Liebe zur Natur, vor allem zu den Vögeln, jenen gefiederten Wesen, die uneigennützig den Schöpfer Tag für Tag mit ihren Gesängen loben und preisen. Die ersten prägenden Naturerlebnisse machte er
dann, als die Familie von Avignon in die Alpen, in die Nähe von Grenoble,
zog. »Ich bin ein Mensch der Berge, der Natur und der Stille«, bekannte
Messiaen. In seinem Haus in La Grave entstanden zahlreiche seiner Werke,
hier arbeitete er mit Blick auf den Gletscher Pic de la Meije und nachts
weiter hinauf ins All. Das Interesse an den Gestirnen, den Sternenhaufen,
Supernovae und Galaxien findet sich gleichermaßen in seinem Werk, von
dem Messiaen sagte, es sei »geologisch, ornithologisch, astronomisch und
theologisch zugleich«. All diese Elemente greifen auch in den Éclairs ineinander, ergänzen sich und sind omnipräsent.
Der erste Satz seiner Éclairs sur l’au-delà – Apparition du Christ glorieux – beschreibt die Erscheinung Christi in seiner Herrlichkeit. Messiaen
stellte Verse aus der Offenbarung des Johannes voran (I, 13–16). Er benutzte die literarische Bible de Jérusalem, für deren Übersetzung hier die
kraftvolle Sprache der Lutherbibel von 1545 herangezogen wurde: »[ich
sahe] einen / der war eines menschen Son gleich / der war angethan mit
einem Kittel / vnd begürtet vmb die brust mit einem gülden Gürtel. Vnd
seine Augen wie ein fewerflamme / […] vnd sein Angesichte leuchtet wie
die helle Sonne / vnd hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand.« Majestätisch langsam wird der Satz allein von den Holz- und Blechbläsern
vorgetragen, die Motive aus dem Gregorianischen Choral zitieren: das
»Alleluja« zum Christkönigsfest am letzten Sonntag des Kirchenjahres.
Der Totensonntag wird hier symbolträchtig zum Ausgangspunkt für den
Blick ins Jenseits. Für Messiaen war der Gregorianische Choral die musikalische Basis aller Musik: Er »allein besitzt zugleich die Reinheit, die
Freude, die nötige Leichtigkeit für das Sichaufschwingen der Seele zur
Wahrheit«. Reinheit und Wahrheit sind Synonyme für den übernatürlich
auftretenden Christus. Der Bläsersatz erinnert zudem an das registerreiche
Spiel der Orgel, dem bevorzugten Instrument Messiaens, auf dem er regelmäßig bis zu seinem Lebensende den liturgischen Dienst in der Église
de la Trinité in Paris versah.
Messiaen interessierte sich, laut Yvonne Loriod, leidenschaftlich für Bücher
über das Weltall und die Galaxien, so hatte er sich bereits 1943 mit dem
Saturn und seinen spektakulären Ringen beschäftigt. Eine Auseinandersetzung damit fand erstmals Eingang in die Komposition Visions de l’Amen.
Als Messiaen in diesem Zusammenhang einmal gefragt wurde, ob ihn
28
Olivier Messiaen
Der Trifidnebel M 20 (NGC
6514) im Sternbild Schütze,
5200 Lichtjahre von der
Erde entfernt, ist ein Emissions- und Reflexionsnebel
die Raumfahrt fasziniere, antwortete er: »Ja, das ist wunderbar, aber ich
denke, dass sie mir nach meinem Tode auf ganz natürliche Weise ermöglicht werden wird, wenn weder Entfernungen noch die Materie mich
mehr werden aufhalten können.«
Auch beim Komponieren des zweiten Satzes der Éclairs – La constellation du Sagittaire (Das Sternbild des Schützen) – inspirierten Messiaen
die Galaxien, genau genommen die Sternennebel und das Sternbild des
Schützen, unter dem er übrigens geboren wurde. Dazu zitiert er den Gesang der drei Jünglinge im Feuerofen aus dem Buch Daniel (III, 63):
»O, ihr Sterne des Himmels, preiset den Herrn!« Da sich Messiaen symbolisch im Sternbild des Schützen sieht, können diese Worte durchaus
auch auf ihn umgedeutet werden.
Die rote Klangfarbe rührt vom rötlich schimmernden Sternennebel ebenso
her wie von vielen der in diesem Satz zitierten rotbauchigen Vögel, deren
Gesang Messiaen auf sechs Flöten verteilt. Wie in einer großen Voliere
lässt er Vögel aus Europa, Afrika und Südamerika gleichzeitig in ihrem
jeweils eigenen Tempo zwitschern, ohne sie auf Grund ihrer getrennten
Lebensräume voneinander auch akustisch abzusetzen.
Der fünfteilige Satz enthält außerdem indische Rhythmen, gestützt durch
Glocken, Gongs und Becken, den solistischen Gesang der Alpenbraunelle
29
Olivier Messiaen
(Piccolo und zwei Flöten), Violinglissandi als das Glitzern der Sterne und
wassertropfenartige Staccati, die einen nächtlichen Regenwald imaginieren.
Im gesamten Satz wendet Messiaen eine deutlich wahrnehmbare Schnitttechnik an, mit der die einzelnen Abschnitte übergangslos nebeneinander
gestellt und nur durch längere Fermaten voneinander abgegrenzt werden.
Diese Technik geht auf Pierre Schaeffer zurück, der ab 1951 in der »musique concrète« mit dem in den 1940er Jahren entwickelten Tonband
experimentierte, indem er unterschiedliche Klänge in harten Schnitten
aneinanderfügte. In diesem Labor der »objets musicaux« hatte auch Messiaen anfangs mitgearbeitet.
Der dritte Satz L’Oiseau-Lyre et la Ville-Fiancée (Der Prachtleierschwanz
und die bräutliche Stadt) ist allein dem vielfältigen Gesang des Prachtleierschwanzes gewidmet, den Messiaen mit der Vision des Johannes in
der Apokalypse in Verbindung bringt: »Vnd ich Johannes sahe die heilige
Stad / das newe Jerusalem / von Gott aus dem Himel herab faren / zubereit / als eine geschmückte Braut jrem Man.« (XXI, 2).
Messiaen hatte im Juni 1988 den Gesang des Prachtleierschwanzes im
Wald von Tidbinbilla, einem Naturschutzgebiet südwestlich von CanDer Prachtleierschwanz,
ein Vogel Australiens,
dessen Schwanzfedern die
Form einer Lyra annehmen
können (Stich von 1890)
30
Olivier Messiaen
berra, der Hauptstadt Australiens, aufgenommen. Gerade in der Paarungszeit singt der Prachtleierschwanz sehr variantenreich, indem er auch andere Geräusche nachahmt, und ist selbst noch aus großer Entfernung zu
hören. Seine Stimme – so Messiaen – »entfaltet sich über mehrere Register, setzt sich aus Jamben (kurz-lang), schnellen Glissandi und sehr ausgedehnten Verzierungen zusammen und endet auf repetierten Tönen«,
die im Xylophon, Marimbaphon und Xylorimba erklingen. Messiaen
konnte den Prachtleierschwanz, der vom Aussehen dem Fasan ähnelt,
bei seinem Australien-Besuch sogar beobachten. In einem Wald aus Eukalyptusbaumgiganten, die Säulen einer Kathedrale glichen, entdeckte
Messiaen nur wenige Meter von sich entfernt den Vogel, der majestätisch
seine Federn hob und daraus eine Lyra formte, das Ur-Symbol der Musik.
Dieses Balz-Ritual ließ Messiaen an die Braut in der Apokalypse denken,
»die sich für ihren Bräutigam schmückt«. Um den so unterschiedlichen
Gesang des Vogels darzustellen, überträgt Messiaen den melodischen Verlauf im schnellen Tempo auf verschiedene Instrumente: vom Holz zu den
Streichern, vom Xylophon zum Blech.
Dem vierten Satz Les élus marqués du sceau (Die mit dem Siegel gekennzeichneten Auserwählten) stellte Messiaen wieder Verse aus der Apokalypse des Johannes (VII, 3) voran: »[Beschediget die Erde nicht / noch das
Meer / noch die Bewme /] Bis das wir versiegeln die Knechte vnsers Gottes
an jren stirnen.« Im siebten Kapitel der Apokalypse wird erzählt, dass vier
Engel die vier Winde zurückhalten, damit die Erde nicht verwüstet wird,
während der Engel das Siegel (das Zeichen des Kreuzes) auf die Stirnen
der Auserwählten setzt.
Messiaen teilte hierfür den Streicherpart auf 23 solistische Stimmen auf,
die sich wiederum auf drei Ebenen symmetrisch verändern, wobei jeder
Wechsel von den Gongs, Glocken und Becken begleitet wird. Die kompliziert zusammengestellten Harmonien ergeben am Ende eine ungeheure Farbigkeit, die an ein Kirchenfenster denken lässt. Hinzu kommt,
dass in Piccolo, vier Flöten, drei Klarinetten und Xylophon Vogelstimmen
anklingen, die vor allem von exotischen Exemplaren aus Afrika, Australien und Papua-Neuguinea stammen. Wie im gesamten Werk bricht
auch dieser Satz abrupt ab und beendet den scheinbar kurzen Einblick
in eine Sphäre außerhalb unserer Wahrnehmung.
Zwei Sätze dieses Opus sind deutlich länger als die übrigen – der V. und
der VIII. Satz: Demeurer dans l’Amour … (In der Liebe bleiben …) und
Les étoiles et la Gloire (Die Sterne und die Herrlichkeit) und behandeln
Kernaussagen des Glaubens: In der Liebe bleiben … beruft sich auf die
31
Olivier Messiaen
Michael Lukas Leopold Willmann, Die Engelsleiter (um 1691)
Erste Epistel des Johannes (IV, 16): »GOtt ist die Liebe / vnd wer in der
Liebe bleibet / der bleibet in Gott / vnd Gott in jm.« Demeurer dans
l’Amour … ist im wahrsten Sinne das Herzstück der Éclairs, und man
wünschte sich, alle Religionen würden sich auf diese friedliche Botschaft
besinnen. Seine Liebe zu Gott hat Messiaen sogar noch auf einem Skizzenblatt näher präzisiert, indem er auf den 42. Psalm, Vers 2 hinweist: »Wje
der Hirsch schreiet nach frischem Wasser / So schreiet meine Seele Gott
zu dir.« Der sehr langsam zu spielende Satz ist mit dem Vermerk »avec
une grande tendresse« (»mit großer Zärtlichkeit«) sowie mit der Spielanweisung »legatissimo« versehen und nur den Streichern ohne Kontrabässe
zugeordnet, wobei die 16 Ersten Violinen mit Dämpfer im Einklang die
Melodie vorgeben. Die Harmonien, beginnend auf dem Akkord c-d-fis-a,
werden von sechs jeweils solistischen Violinen, Bratschen und Celli ohne
Dämpfer gespielt. Der musikalische Fluss wird auch hier immer wieder
durch Ausklingen und Generalpausen unterbrochen, gleich mächtigen
Atempausen auf dem beschwerlichen Weg ins Paradies. Die dritte Melodie erinnert an eine Szene aus Messiaens Oper Saint François d’Assise:
»Wir werden die Himmelsleiter hinaufsteigen.«
32
Olivier Messiaen
Mit der Kontrastwirkung von drei kräftigen Schlägen auf die große Trommel beginnt der sechste Satz Les sept Anges aux sept trompettes (Die
sieben Engel mit den sieben Trompeten), dem wiederum ein Vers aus der
Apokalypse des Johannes vorangestellt ist (VIII, 2): »Vnd ich sahe sieben
Engel / die da tratten fur Gott / vnd jnen wurden sieben Posaunen [französisch: Trompeten] gegeben.« Als Instrumentarium benutzt Messiaen
aber keine Trompeten, wie es die französische Bibelübersetzung vermuten
ließe, sondern 6 Hörner, 3 Posaunen und 3 Fagotte, deren martialischer
Klang (»tenu-puissant et terrifiant« – »gedämpft machtvoll und erschreckend«) besonders durch die große Trommel, drei Tamtams, drei große
Gongs, drei Becken und Peitsche verstärkt wird. Die Zahl drei als Symbol
für die göttliche Trinität setzt Messiaen in vielen Bereichen um, ob in der
Anzahl der Instrumente, der Zahl der Schläge oder der Phrasenlänge. Sie
scheint ihm wichtiger gewesen zu sein als die Zahl sieben, die etwa mit
der Anzahl der Engel in Verbindung stehen würde.
Der kurze siebte Satz Et Dieu essuiera toute larme de leurs yeux … (Und
Gott trocknete jede Träne von ihren Augen …) ist inspiriert von zwei
Bibelworten. Zunächst aus dem Evangelium des Heiligen Matthäus (V, 4)
[im Französischen (V, 5)]: »Selig sind / die da leide tragen / Denn sie sollen
getröstet werden.« Des Weiteren aus der Apokalypse des Johannes (XXI,
3–4): »vnd er selb, Gott mit jnen / wird jr Gott sein. Vnd Gott wird abwisschen alle threnen von jren augen / vnd der Tod wird nicht mehr sein /
noch leid / noch geschrey / noch schmertzen wird mehr sein …« Auffallend
ist in diesem Satz das Duett zwischen Lerche im Xylophon und Amsel in
der Flötenstimme, dazu ein zart gewobener Klangteppich aus höchsten
Trillern in den Streichern und ein sich sanft verändernder Klanggrund
in den Holzbläsern. Messiaen hatte hier die »Vision eines Regenbogens
aus Zärtlichkeit, ein Lächeln unter Tränen, ein Gott, der tröstet und die
Tränen in Tautropfen verwandelt«. Auf seinen Skizzenblättern notierte
sich der Komponist noch einen weiteren Satz aus der Apokalypse des
Johannes (VII, 17): »[Das Lamb wird sie] leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen / vnd Gott wird abwasschen alle threnen von jren augen« mit
dem Zusatz: »Wie eine Liebkosung«. Zwei fast romantisch anmutende
Hornakkorde mit Echo in den Flöten rahmen die pastorale Stimmung ein.
Dem längsten Stück des Zyklus, dem achten Satz Les étoiles et la Gloire (Die
Sterne und die Herrlichkeit), hat Messiaen gleich fünf Bibelzitate vorangestellt, die alle vom Licht, den glänzenden Sternen und der göttlichen
Herrlichkeit in einer Art Steigerung berichten. So beschreibt der Prophet
Habakuk Gott (III, 4):»[Sein glantz war wie liecht / Glentzen giengen von
33
Olivier Messiaen
seinen Henden!« und der Prophet Baruch (III, 35): »[Die Sterne leuchten
in jrer Ordenung mit freuden /] vnd wenn er [Gott] sie herfur rüffet /
antworten sie / Hie sind wir / vnd leuchten mit freuden / vmb des willen, der
sie geschaffen hat.« Des Weiteren zitiert er einen Satz aus dem Buch Hiob
(XXXVIII, 7): »Da […] die Morgensterne mit einander lobeten / vnd jauchzeten …« und den 19. Psalm: »Dje Himel erzelen die Ehre Gottes« sowie
aus dem Evangelium des Lukas (II, 14): »Ehre sey Gott in der Höhe.«
Das Hauptthema wird bestimmt von zwei verminderten Quinten in einer
fast schnarrenden Kontrabassklarinette, den Pizzicati der Kontrabässe und
leisen, tiefen Tamtam-Schlägen – als wäre das All noch in finsterstes Dunkel gehüllt durch einen Sternennebel aus interstellarem Staub und Gas,
der wiederum durch die andauernden Triller in den tiefen Streichern
versinnbildlicht wird. Mit dem Licht beginnen die Vögel als engelsgleiche Wesen ihr Konzert zur Ehre ihres Schöpfers: 15 unterschiedliche exotische Vogelstimmen zumeist aus Australien und Papua-Neuguinea sind
hier versammelt, u. a. der lachende Kookaburra, und geben ein Konzert.
Aus Europa stammen nur die Gartengrasmücke und die Mönchsgrasmücke, die deutlich in den Flötensoli anklingen. Erstmals in diesem Stück
wirken alle 128 Instrumente zusammen, auch ein Éoliphone, eine Windmaschine. Kurz bevor alle Instrumente am Ende den Cantus firmus »Ehre
sei Gott in der Höhe« anstimmen, notierte Messiaen zu dieser kraftvollen Musik mit Gongs und Glocken in seiner Partitur: »Lichtreflexe eines
Sternenhaufens in einem Sternbild«.
Zu Messiaens Vorstellungen des Paradieses gehört der mit singenden
Vögeln besetzte Lebensbaum – das Thema des neunten Satzes Plusieurs
oiseaux des arbres de Vie (Mehrere Vögel in den Bäumen des Lebens).
Hierfür stellt Messiaen ausnahmsweise keine Bibelzitate, sondern zwei
Sätze des französischen Mystikers Dom Jean de Monléon voran: »Der Lebensbaum repräsentiert die Menschlichkeit des Wortes« und »Die Auserwählten werden die wunderbaren Früchte dieses Baumes pflücken, und
sie werden in seinen Ästen singen wie die Vögel«. 24 Vogelarten lässt
Messiaen nun in dem recht kurzen Stück jubilieren, dazu sollen die Triangel und das kleine Becken dem Naturereignis einen diskreten Glanz
beimischen. »Was wäre für einen Komponisten-Vogelkundler betörender«,
erklärte Messiaen seine Vorliebe für das Vogelkonzert, »als die Vorstellung des ewigen Lebens als einen unendlich hohen Baum, der Christus
darstellt, mit all den auserwählten Seelen, die wie Vögel in seinen Ästen
singen und die süßen Früchte pflücken? Diese Früchte sind die Gaben
Gottes, aber vielleicht auch die Auszeichnung der Auserwählten? Es ist
auch das Symbol der Ruhe der Heiligen in den Armen Christi.«
34
Olivier Messiaen
»Die Sterne tanzen!« – eine Vision des von bunten Sternen übersäten Himmels: Das
Faksimile einer Manuskriptseite aus dem achten Satz Les étoiles et la Gloire (Die Sterne
und die Herrlichkeit) der Éclairs sur l’au-delà wurde für eine Messiaen-Ausstellung
farbig gestaltet, um die Farbfunktion der oberen Klangschicht deutlich zu machen.
35
Olivier Messiaen
Die Vogelpredigt des
Heiligen Franziskus,
Fresko in der Basilika
San Francesco in Assisi
von Giotto di Bondone
(um 1295)
Mit dem zehnten Satz Le chemin de l’Invisible (Der Weg des Unsichtbaren) spricht Messiaen mit seinen Zitaten und seiner Musik eine tiefe
Glaubensüberzeugung an, so wie sie im Evangelium des Johannes (XIV,
5/6) steht: »SPricht zu jm Thomas / HErr / wir wissen nicht wo du hin
gehest / vnd wie können wir den weg wissen? Jhesus spricht zu jm / Jch
bin der Weg / vnd die Wahrheit / vnd das Leben. Niemand kompt zum
Vater / denn durch mich.« Allein der unverbrüchliche Glaube führe den
Menschen ins Paradies, doch der (Lebens-)Weg ist steinig, steil und lang.
Sein Ziel, so Messiaen, erreiche man erst in der Stunde des Todes. Nach
dem leisen Abschluss des Vogelkonzertes beginnt und endet dieser Satz
erschreckend laut und fast gewalttätig, sein besonderes Kennzeichen ist
vor allem das schnarrende Instrument Reco-reco. Dieses Rhythmusinstrument wird in der brasilianischen Volksmusik verwendet, es besitzt
einen sägezahnartigen, mit Querrillen gekerbten zylindrischen Korpus
aus Bambus oder Holz. Gespielt wird es meist mit einem Holzstab. Im
Wechsel mit den geteilten Streichern klingen auch sechs Hörner an, als
36
Olivier Messiaen
Christus Salvator,
Lindenholzskulptur von
Georg Petel
(um 1630)
Symbol für das Durchhaltevermögen auf dem zu gehenden Weg. Nur ein
Vogel bekommt hier seinen Auftritt: der große, schwarzkehlige Krähenwürger. Er wird von Xylophon, Xylorimba und Marimbaphon gespielt.
Mit Le Christ, lumière du Paradis (Christus, Licht des Paradieses) ist der
suchende Mensch angekommen. »Es ist das Glück, das Paradies, das
Licht, das Christus ist und das die Ewigkeit erleuchtet«, notierte sich
Yvonne Loriod. »Dieses letzte Stück ist der erfolgreiche Abschluss des ganzen Lebens. Die letzte Seite ist umgeblättert, die Erde ist weit weg, die
Zeit ist aufgehoben, es ist die Gegenwart des Glücks, das nicht mehr enden
wird. Die unendliche Liebe Christi in der Seele, die ihn bewundert …«
Die vorangestellten Verse sind der Apokalypse des Johannes (XXI, 23)
entnommen: »Vnd die Stad darff keiner Sonnen noch des Monden / das
sie jr scheine / Denn die herrligkeit Gottes erleuchtet sie / vnd jre Leuchte
ist das Lamb« sowie (XXII, 4/5): »[Seine Knechte] sehen sein Angesicht /
vnd sein Name wird an jren stirnen sein. […] Gott der HERR wird sie
37
Olivier Messiaen
erleuchten.« Zuletzt singen keine Vögel mehr, hier klingt nur noch die
Ewigkeit an, die sich in sehr langsamen Tempi darstellt, gespielt von den
Streichern und Triangeln »unendlich ruhig, und mit einem intensiven
Ausdruck«.
Éclairs sur l’au-delà ist ein Werk des inneren Friedens und der Mystik –
eine »vorgezogene Ruhe in der lichtdurchfluteten Zärtlichkeit Gottes,
im erleuchteten Frieden der göttlichen Liebe«, wie Messiaen bereits 1939
die göttliche Glückseligkeit beschrieb. Die Überlagerungen der harmonischen Farben mit Hunderten von reinen Akkorden und die Tempi der
sich bewegenden Planeten gemeinsam mit den singenden Vögeln lassen
das bruchstückhafte Bild eines ersehnten Paradieses aufschimmern, zu
dem sich der Mensch, in diesem speziellen Fall Messiaen, hinsehnt,
sobald sein Erdendasein vollendet ist.
Die Éclairs, Messiaens letztes vollendetes Werk, sind sein Vermächtnis.
Die Uraufführung hat er nicht mehr erlebt, nur noch die eines zeitgleich
entstandenen, weitaus kleineren Werks, das er anlässlich des 200. Todestages Mozarts komponierte und mit dem Titel Un Sourire bedachte: Ein
Lächeln. Es erscheint wie die Éclairs als die logische Konsequenz am
Ende seines Schaffens.
Olivier Messiaen und Kent Nagano im Muziekcentrum Vredenburg in Utrecht
am 27. September 1986 bei der Probenarbeit
38
Olivier Messiaen
39
Untertitel
www.ard-musikwettbewerb.de
Klaviertrio
Gesang
Bläserquintett
Oboe
Trompete
Klavier
Schlagzeug
Viola
Klarinette
Flöte
Violoncello
Fagott
Posaune
Harfe
Klavierduo
Horn
Streichquartett
Violine
Kontrabass
Orgel
Gitarre
ontrabass
arfe
treichquartett
orn
65. Internationaler
Musikwettbewerb der
ARD München
29. August bis
16. September 2016
Nächster
Wettbewerb 2017:
Klavier
Violine
Oboe
Gitarre
br-klassik
HIGHLIGHTS IM Fernsehen
Bayerisches Fernsehen
Sonntag, 7. Februar 2016 | 10.00 Uhr
Mariss Jansons dirigiert
W. A. Mozart: Klavierkonzert C-Dur, KV 503
Richard Strauss: »Till Eulenspiegels lustige Streiche«
Solist: Emanuel Ax
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Konzertaufzeichnung aus dem Herkulessaal von 2009
Donnerstag, 11. Februar 2016 | 23.25 Uhr
KlickKlack
Das Musikmagazin
Moderation: Sol Gabetta
(Wiederholung am Sonntag, 14. Februar 2016, um 10.30 Uhr)
ARD-ALPHA
Sonntag, 7. Februar 2016 | 11.00 Uhr
U21 VERNETZT
Das Musikmagazin aus dem Radiostudio
Sonntag, 14. Februar 2016 | 11.00 Uhr
Yannick Nézet-Séguin dirigiert
Béla Bartók: Konzert für Violine und Orchester Nr. 2
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur
Solist: Gil Shaham
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Konzertaufzeichnung aus dem Herkulessaal von 2014
Yannick Nézet-Séguin
br-klassik.de
br-klassik
HIGHLIGHTS IM RADIO
Samstag, 6. Februar 2016 | 14.05 Uhr
Das Musik-Feature
Teufelskerl im Opernbetrieb: Der Korrepetitor
Von Sylvia Schreiber
Samstag, 6. Februar 2016 | 19.05 Uhr
Opernabend
Heinrich Marschner: »Hans Heiling«
Königin der Erdgeister – Angela Denoke
Hans Heiling – Michael Nagy
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Constantin Trinks
Sonntag, 7. Februar 2016 | 10.05 Uhr
Symphonische Matinée
Konzert des Symphonieorchesters des
Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mariss Jansons
Mariss Jansons
Solist: Denis Matsuev, Klavier
Emmanuel Chabrier: »España«; Witold Lutoslawski: Variationen über ein Thema
von Paganini; George Gershwin: »Rhapsody in Blue«; George Enescu: Rumänische
Rhapsodie A-Dur, op. 11 Nr. 1; Maurice Ravel: »Rapsodie espagnole«;
Franz Liszt: Ungarische Rhapsodie Nr. 2
Montag, 8. Februar 2016 | 18.05 Uhr
Klassik-Stars
Vladimir Horowitz, Klavier
Werke von Domenico Scarlatti, Claude Debussy, Sergej Rachmaninow,
Frédéric Chopin und Robert Schumann
Dienstag, 9. Februar 2016 | 14.05 Uhr
Panorama
Mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
unter Riccardo Muti, Bernard Haitink, Mariss Jansons u. a.
Werke von Sergej Prokofjew, César Franck, Joseph Haydn,
Claude Debussy und Wolfgang Amadeus Mozart
br-klassik.de
Moon
Yung Oh
Der südkoreanische Tenor Moon Yung Oh
wurde 1980 in Seoul geboren. Er sammelte
seine ersten musikalischen Erfahrungen
im Koreanischen Akademischen Kinderchor. Später, von 2000 bis 2006, studierte
er Gesang an der theologischen Universität in Seoul, bevor er sein Studium an der
Hochschule für Musik und Theater in
München bei Frieder Lang fortsetzte.
Moon Yung Oh begann seine Laufbahn
vor allem als Oratoriensänger u. a. mit
Tenorpartien in Händels Messiah, Mendelssohns Paulus und Elias, in Bachs Weihnachtsoratorium und der Matthäuspassion sowie in Mendelssohns LobgesangSymphonie. Zugleich unternahm er aber
auch Ausflüge ins Opernfach, verkörperte
den Paolino in Domenico Cimarosas Il matrimonio segreto, den Ferrando in Mozarts
Così fan tutte und wirkte in Purcells The
Fairy-Queen mit.
Seit Mai 2011 ist Moon Yung Oh festes
Mitglied im Chor des Bayerischen Rundfunks.
Andreas
Hirtreiter
Andreas Hirtreiter studierte an der Musikhochschule in München und erwarb
sich durch sein Engagement in verschiedenen Chören wie dem Stuttgarter und
dem Saarbrückener Kammerchor sowie
mit der Gruppe für Alte Musik München
und dem Carissimi-Consort bereits früh
wichtige Erfahrungen im Ensemblegesang.
Später war er Mitglied des Vokalensembles
Singer Pur, das ihm auch Kontakte zum
englischen Hilliard Ensemble ermöglichte.
Dem Chor des Bayerischen Rundfunks war
der Tenor bereits im Extrachor seit mehr
als zehn Jahren verbunden, ehe er im September 2003 als festes Mitglied verpflichtet
wurde. Seither ist er auch innerhalb des
Chores oft solistisch hervorgetreten und
kann ein umfangreiches Solo-Repertoire
vorweisen, neben Bach und Händel auch
ausgefallene Partien in Werken von Carissimi, Keiser, Simon Mayr, Monteverdi und
Schütz. Aber neben der Alten Musik ist
Andreas Hirtreiter auch in vielen anderen
Musikstilen zu hören, ob Oper, Operette,
Schlager oder Musical. 2009 gründete er mit
der Sopranistin Priska Eser das Ensemble
Pathos, das mit seinen Veranstaltungen immer wieder für begeisterten Aufruhr sorgt.
Über den Gesang hinaus tritt der vielseitige Künstler auch als E- und Kontrabassist, Schlagzeuger, Komponist, Arrangeur,
Autor und Lehrer in Erscheinung.
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Biographien
Christof
Hartkopf
Seine musikalische Grundausbildung erhielt Christof Hartkopf bei den Regensburger Domspatzen. Später studierte er
Gesang bei Anke Eggers an der Universität der Künste in Berlin. Dort besuchte er
auch die Liedklasse von Dietrich FischerDieskau.
Christof Hartkopf war Stipendiat des
Richard-Wagner-Verbandes und belegte
Interpretationskurse bei René Jacobs, Bernd
Weikl und Thomas Quasthoff. Bereits während des Studiums konzertierte er als Mitglied des Vokalsextetts Singer Pur u. a. mit
dem Hilliard Ensemble und wurde festes
Mitglied beim RIAS Kammerchor. Im Jahr
2004 wechselte er zum Chor des Bayerischen Rundfunks. Solistische Engagements
führten Christof Hartkopf nach Potsdam
(in Wilfried Hillers Traumfresserchen), zum
Freiburger Barockorchester mit Bachs
Johannespassion, an die Bayerische Staatsoper in Prokofjews Liebe zu den drei Orangen sowie zu den Berliner Philharmonikern mit Händels Belshazzar. Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks trat Christof Hartkopf unter der
Leitung von Thomas Hengelbrock als Solist in Bachs Weihnachtsoratorium auf.
Michael
Mantaj
Bereits während seiner Schulzeit genoss
Michael Mantaj eine intensive musikalische Ausbildung bei den Regensburger
Domspatzen. Dort erhielt er auch seinen
ersten Gesangsunterricht bei Richard Brünner. Es folgten weitere Studien bei Nikolaus Hillebrand und Josef Metternich in
München. Neben seiner Konzerttätigkeit
als Lied- und Oratoriensänger, u. a. unter
Dirigenten wie Enoch zu Guttenberg und
Thomas Hengelbrock, war der Bassist auch
immer wieder an verschiedenen Produktionen auf der Opernbühne zu sehen. So
verkörperte er den Moralès in Bizets Carmen, den Guglielmo in Mozarts Così fan
tutte, den Guldensack in Werner Egks Die
Zaubergeige oder den Notar Dr. Falke in
Johann Strauß’ Die Fledermaus. Michael
Mantaj widmete sich von jeher mit besonderer Vorliebe dem Ensemblegesang. Seit
2000 ist er Mitglied des international renommierten Vokalensembles Die Singphoniker. Die sechsköpfige Gruppe hat
mittlerweile mehr als 30 CDs vorgelegt und
wird regelmäßig zu namhaften Festivals
in aller Welt eingeladen. Seit Januar 2008
ist Michael Mantaj Mitglied des Chores
des Bayerischen Rundfunks.
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Biographien
Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks
Schon bald nach seiner Gründung 1949 durch Eugen Jochum entwickelte
sich das Symphonieorchester zu einem international renommierten Klangkörper, dessen Ruf die auf Jochum folgenden Chefdirigenten Rafael Kubelík,
Sir Colin Davis und Lorin Maazel stetig weiter ausbauten. Neben den Interpretationen des klassisch-romantischen Repertoires gehörte im Rahmen
der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegründeten musica viva von Beginn an auch die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Seit 2003 setzt Mariss Jansons als Chefdirigent neue
Maßstäbe. Aber auch viele namhafte Gastdirigenten wie Erich und Carlos
Kleiber, Otto Klemperer, Leonard Bernstein, Günter Wand, Sir Georg Solti,
Carlo Maria Giulini, Kurt Sanderling und Wolfgang Sawallisch haben das
Symphonieorchester geprägt. Heute sind Bernard Haitink, Riccardo Muti,
Esa-Pekka Salonen, Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding,
Yannick Nézet-Séguin, Simon Rattle und Andris Nelsons wichtige Partner.
Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nordund Südamerika. Als »Orchestra in Residence« tritt das Orchester seit 2004
jährlich beim Lucerne Festival zu Ostern auf, 2006 wurde es für seine Einspielung der 13. Symphonie von Schostakowitsch mit dem Grammy geehrt.
Bei einem Orchesterranking der Zeitschrift Gramophone, für das international renommierte Musikkritiker nach »The world’s greatest orchestras«
befragt wurden, kam das Symphonieorchester auf Platz sechs.
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Biographien
BR-KLASSIK.DE
Das neue Klassik-Portal.
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Biographien
Kent Nagano
»Plötzlich hat alles einen Sinn ergeben«, erzählt Kent Nagano von seiner
Begegnung mit seinem einstigen Lehrer und Freund Olivier Messiaen,
der ihm nicht nur den Weg nach Europa geebnet, sondern ihn warmherzig gefördert hatte. Ein »Retter« sei er ihm gewesen, der dem gebürtigen
Kalifornier das fehlende Puzzle-Teil zum Verständnis europäischer Musik
geliefert habe. Bei der Uraufführung von Messiaens Oper Saint François
d’Assise 1984 wurde Nagano von ihm als assistierender Dirigent engagiert,
es folgte 1988 die Berufung nach Lyon als Music Director der Opéra National (bis 1998) und des Hallé Orchestra Manchester (1999–2000). Heute
gehört Nagano, für seine klaren Interpretationen bekannt, zu den weltweit gefragten Dirigenten. Besonders der Neuen Musik erwies er durch
zahlreiche Uraufführungen herausragende Dienste. Mit allen führenden
Orchestern arbeitet er zusammen, seine Einspielungen und DVD-Produktionen, u. a. bei Sony, DECCA und Harmonia Mundi, wurden mehrfach mit Grammys und Music Awards ausgezeichnet. Neben seiner Tätigkeit als Music Director der Los Angeles Opera leitete er Opernproduktionen an verschiedenen Häusern wie Schostakowitschs Die Nase (Staatsoper Unter den Linden, Berlin), Rimskij-Korsakows Der Goldene Hahn
(Châtelet, Paris), Hindemiths Cardillac (Opéra national de Paris), Zemlinskys Der König Kandaules sowie die Uraufführungen von Saariahos
L’amour de loin, Bernsteins A White House Cantata, Eötvös’ Three Sisters
und Adams’ El Niño. 2013 wurde er Principal Guest Conductor der Göteborger Symphoniker, mit denen er 2015 auch in München gastierte. Seit
2006 ist er als Music Director des Orchestre symphonique de Montréal
tätig. Deren ambitioniertes Programm zur Eröffnung des Maison symphonique de Montréal 2011 enthielt sämtliche Symphonien Beethovens und
Mahlers, Schönbergs Gurrelieder, konzertante Wagner-Opern, Honeggers Jeanne d’Arc au bûcher sowie Werke von Dutilleux und Boulez.
Während der Zeit als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in
München wurden unter seiner Leitung die Opern Babylon (Widmann),
Das Gehege (Rihm) und Alice in Wonderland (Chin) erfolgreich uraufgeführt sowie Idomeneo, Ariadne auf Naxos, Die schweigsame Frau, Les Dialogues des Carmélites, Wozzeck und Der Ring des Nibelungen neu inszeniert. Von großer Bedeutung war seine Tätigkeit als Künstlerischer Leiter
und Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin (2000–2006),
das ihn zum Ehrendirigenten ernannte. Seit der Spielzeit 2015/2016 ist er
Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper. Beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks war Kent Nagano zuletzt 2012 mit
Rihms Tutuguri im Rahmen der musica viva zu erleben.
47
Biographien
Ticciati
G
R
E
B
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
Robin Ticciati Dirigent, Sally MAtthews Sopran –
Robert Schumann »Manfred«-Ouvertüre; Alban Berg Sieben frühe Lieder;
Jörg Widmann »Liebeslied«; Edward Elgar »Enigma-Variationen«
€ 18 / 30 / 38 / 46 / 56 / 65 Einführung: Do / Fr 18.45 Uhr, Sa 17.45 Uhr
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Informationen: br-so.de, Tickets: br-klassikticket.de
Schumann
Bureau Mirko Borsche
18. und 19.2. 20 Uhr, 20.2. 19 Uhr Philharmonie
SYMPHONIEORCHESTER
SYMPHONIEORCHESTER
DO. 11.2.2016
FR. 12.2.2016
Philharmonie
20.00 Uhr
Konzerteinführung 18.45 Uhr
4. Abo A
DO. 3.3.2016
FR. 4.3.2016
Herkulessaal
20.00 Uhr
Konzerteinführung 18.45 Uhr
2. Abo B
MARISS JANSONS
Leitung
SYMPHONIEORCHESTER DES
BAYERISCHEN RUNDFUNKS
DANIEL HARDING
Leitung
ANTOINE TAMESTIT
Viola
SYMPHONIEORCHESTER DES
BAYERISCHEN RUNDFUNKS
DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH
Symphonie Nr. 7 C-Dur, op. 60
(»Leningrader«)
ÜBERRASCHUNGSSTÜCK
€ 25 / 35 / 49 / 58 / 69 / 82
JÖRG WIDMANN
Konzert für Viola und Orchester
EDWARD ELGAR
Symphonie Nr. 2 Es-Dur, op. 63
€ 13 / 18 / 30 / 38 / 46 / 56 / 65
49
Vorschau
SYMPHONIEORCHESTER
KAMMERKONZERT
SA. 5.3.2016
Herkulessaal
11.00 Uhr und 13:00 Uhr
Familienkonzert
SA. 5.3.2016
Max-Joseph-Saal | 20.00 Uhr
SO. 6.3.2016
Ev. Akademie Tutzing | 18.00 Uhr
3. Konzert mit Solisten des
Symphonieorchesters
DANIEL HARDING
Leitung
RUFUS BECK
Sprecher
KATHARINA NEUSCHAEFER
Text
MARTIN FENGEL
Illustration
LEONHARD HUBER
Regie
SYMPHONIEORCHESTER DES
BAYERISCHEN RUNDFUNKS
EDWARD ELGAR
Auszüge aus der Symphonie Nr. 2
Es-Dur, op. 63
Für Kinder ab 5 Jahren
Erwachsene € 16 / Kinder € 8 / Familienkarte
(2 Erwachsene und 2 Kinder) € 40
RACHAEL WILSON Mezzosopran
CHRISTOF HARTKOPF Bariton
WERNER MITTELBACH Klarinette
SUSANNE SONNTAG Fagott
HANNES LÄUBIN Trompete
THOMAS HORCH Posaune
JOSEPH BASTIAN Posaune
CHRISTIAN PILZ Schlagzeug
PETER RIEHM Violine
TEJA ANDRESEN Kontrabass
PAUL HINDEMITH
»Musikalisches Blumengärtlein und
Leyptziger Allerley« für Klarinette und
Kontrabass
ERWIN SCHULHOFF
»Bassnachtigall«, drei Vortragsstücke
für Kontrafagott, op. 38
MAURICIO KAGEL
»Zehn Märsche um den Sieg zu
verfehlen« für Bläser und Schlagzeug
(Auswahl)
CHRISTIAN JOST
»Death Knocks«, Oper in einem Akt
nach dem Schauspiel von Woody
Allen für Mezzosopran, Bariton und
Kammerensemble
München: € 15 / 19 / 23
Tutzing: € 25 / 30 / 35 Studenten € 15
50
Vorschau
KAMMERORCHESTER
kartenvorverkauf
SO. 6.3.2016
Prinzregententheater
11.00 Uhr
4. Konzert
BRticket
Foyer des BR-Hochhauses
Arnulfstr. 42, 80335 München
Mo.–Fr. 9.00–17.30 Uhr
Telefon: 0800 / 5900 594
(kostenfrei für Inland)
0049 89 55 80 80 (international)
Telefax: 0049 89 5900 1842326
Online-Kartenbestellung:
www.br-klassikticket.de
[email protected]
München Ticket GmbH
Postfach 20 14 13
80014 München
Telefon: 089 / 54 81 81 81
Vorverkauf in München und im
Umland über alle an München Ticket
angeschlossenen Vorverkaufsstellen
ALISA WEILERSTEIN
Violoncello
RADOSLAW SZULC
Künstlerische Leitung
KAMMERORCHESTER DES
SYMPHONIEORCHESTERS DES
BAYERISCHEN RUNDFUNKS
JOSEPH HAYDN
Cellokonzert C-Dur, Hob. VIIb:1
Cellokonzert D-Dur, Hob. VIIb:2
GIUSEPPE VERDI
Streichquartett e-Moll (Fassung für
Streichorchester)
Schüler- und Studentenkarten
zu € 8,– bereits im Vorverkauf
€ 33 / 43 / 51 / 58 / 63 / 71
Vorverkauf auch über Bell’Arte,
Tel.: (089) 8 11 61 91
51
Vorschau / Karten
Freunde sind wichtig im Leben eines jeden von uns.
Diese Überlegung machten sich musikbegeisterte
und engagierte Menschen zu eigen und gründeten
den gemeinnützigen Verein der »Freunde des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks e. V.«.
Seine heute über 900 Mitglieder fördern die herausragende künstlerische Arbeit des Symphonieorchesters und seiner Akademie nach Kräften. Der Verein
trägt dazu bei, den Ruf dieses weltweit berühmten
Orchesters weiterhin zu mehren. Mit der finanziellen
Unterstützung der »Freunde« werden Instrumente
finanziert, Kompositionsaufträge erteilt, Kammermusikkurse abgehalten und jungen Talenten in der Akademie eine erstklassige Ausbildung an ihren Instrumenten ermöglicht. Den »Freunde«-Mitgliedern werden
zahlreiche attraktive Vergünstigungen angeboten, von
exklusiven Besuchen ausgewählter Proben über bevorzugte Kartenbestellungen bis hin zu Reisen des
Orchesters zu Sonderkonditionen. *
Helfen Sie mit als Freund und lassen Sie sich in die
Welt der klassischen Musik entführen!
Symphonieorchester des
Bayerischen Rundfunks
Mariss Jansons
Chefdirigent
NIKOLAUS PONT
Orchestermanager
Bayerischer Rundfunk
Rundfunkplatz 1
80335 München
Telefon: (089) 59 00 34 111
IMPRESSUM
Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk
Programmbereich BR-KLASSIK
Publikationen Symphonieorchester
und Chor des Bayerischen Rundfunks
REDAKTION
Dr. Renate Ulm (verantwortlich)
Dr. Vera Baur
GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT
Bureau Mirko Borsche
UMSETZUNG
Antonia Schwarz, München
DRUCK
alpha-teamDRUCK GmbH
Nachdruck nur mit Genehmigung
Das Heft wurde auf chlorfrei gebleichtem
Papier gedruckt.
Textnachweis
Matthias Corvin, Judith Kaufmann, Renate
Ulm: Originalbeiträge für dieses Heft; MachautÜbersetzungen: Renate Ulm; Bibelstellen:
D. Martin Luther – Die gantze Heilige Schrifft,
Deudsch 1545 / Auffs new zugericht, hrsg.
Heinz Blanke und Hans Volz, München 1972;
Biographien: Anna-Lena Wende (Nagano),
Archiv des Bayerischen Rundfunks.
Bildnachweis
Wikimedia Commons (Albani-Psalter; Prachtleierschwanz; Himmelsleiter; Vogelpredigt);
Bibliothèque nationale de France, Paris:
allegorische Szene mit Machaut; MachautHandschrift Ms G, fonds Fr. 22545-6, fol. 124
(Ad te suspiramus); Machaut-Handschrift
Ms C, fonds Fr. 1586 fol. 222/223 (Bone
pastor); © Stadtbibliothek Reims (Kathedrale
zu Reims); Bach-Archiv Leipzig (Porträt Bachs;
Thomaskirche; Autograph Bachs); © John
Sotomayor (Messiaen und Loriod); © Michael
Paur 2013 (Trifidnebel); Thomas Daniel
Schlee, Dietrich Kämper (Hrsg.): Olivier
Messiaen, La Cité céleste – Das himmlische
Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten (farbiges Faksimile
Messiaens); Moritzkirche Augsburg (Christus
Salvator); © Co Broerse (Messiaen und
Nagano); © Marco Borggreve (Nézet-Séguin);
© Astrid Ackermann (Jansons, Oh, Hirtreiter,
Hartkopf, Mantaj, Symphonierorchester);
© Benjamin Ealovega (Nagano).
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Impressum
B r- K L aSSI K-Stu di okonzerte
KrIStIan
BeZUIDenHOUt
HAMMERKLAVIER
CHIarOSCUrO
QUartet
Mozart
Haydn
Foto: Marco Borggreve
Dienstag
15. März
20.00 Uhr
Studio 2
im Funkhaus
Karten:
Euro 21,– / 29,–
Schüler und Studenten: Euro 8,–
BRticket 0 800 / 59 00 59 4
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München Ticket 089 / 54 81 81 81
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