Seite 14 / Nr. 38 Forum Foto: AFP/Tiziana Fabi Tageblatt Persönlich erstellt für: Frank Bertemes Donnerstag, 14. Februar 2013 Das Papsttum Die Stellvertreter Gottes auf Erden (1) Patrick Hoss Wenn es darum geht, ihre Machtstellung in der heutigen Gesellschaftsordnung zu verteidigen, beruft sich die katholische Kirche immer wieder auf die christlichen Traditionen in Europa, wobei sie nicht immer gerne an die eigenen römischkatholischen Traditionen erinnert werden möchte. Deshalb ist die Wandelbarkeit, der Opportunismus die hervorstechendste Eigenschaft der katholischen Kirche. ine der überragenden Traditionen der katholischen Kirche ist das Papsttum, die Institution der unfehlbaren Stellvertreter Gottes auf Erden, obwohl dieses „Amt“ im Urchristentum nie vorgesehen war oder auch nur angedeutet wurde. Hier werden die Katholiken sicher widersprechen und sich auf Matthäus (Mt.16,18) berufen: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen (Petra) will ich meine Kirche bauen ...“. Auf diese Stelle begründet die katholische Kirche die Stiftung des Papsttums. In Riesenlettern aus Goldmosaik leuchtet dieses Wort, das wohl meist umstrittene der Bibel, von Michelangelos Kuppel in St. Peter. Es fehlt jedoch in drei der vier Evangelien. Vor allem fehlt es auch bei Markus, dem ältesten Evangelisten. E Denn Jesus hat es nie gesprochen! Das ist heute nach Norbert Brox, einem 2006 verstorbenen deutschen katholischen Theologen, Professor für Alte Kirchengeschichte und Patrologie und Inhaber des Lehrstuhls für Historische Theologie an der Universität Regensburg, aufgrund einer Reihe überzeugender Gründe ein sicheres Ergebnis der biblischen Exegese. Die Petrusverheißung bei Matthäus bildet einen nachträglichen Einschub. Dieser Einschub ist in seiner vorliegenden Form kein Wort des „irdischen Jesus“, sondern eine Bildung des Evangelisten Matthäus. Für das spezielle Primat des Bischofs von Rom geben die neutestamentlichen Texte, mit denen die katholische Kirche bis in die Gegenwart dieses Primat zu begründen pflegte, nichts her. Dieser traditionelle Argumentationsstrang ist exegetisch und historisch nicht zu halten. Selbst bei der Annahme, das „Primatialwort“ stamme von Jesus, könnte die Kirche nie ableiten, wie es von Petrus auf die Päpste übergeht, nie könnte sie erhärten, dass es nicht bloß dem Apostel gilt, sondern auch allen seinen „Amtsnachfolgern“. Weder die Bibel noch irgendeine geschichtliche Quelle weist jemals auf die Ernennung eines Nachfolgers durch Petrus hin, auf eine soge- nannte „petrinische Sukzession“. Der „Erbe“ (haeres), die Nachfolgeschaft Petri, die Einsetzung, die den Papst eben zum Erben ernennt, war eine reine Konstruktion, der jede Beweisbarkeit und damit Rechtsgültigkeit fehlt. Kirchenvater Irenäus, Bischof von Lyon, stellte die älteste römische Bischofsliste, etwa zwischen 180 und 185, in seiner Schrift „Adversus haereses“ auf. Sie liegt nicht im griechischen Urtext, sondern vollständig bloß in einer lateinischen Wiedergabe aus dem dritten oder vierten, wenn nicht gar fünften Jahrhundert vor. Die Literatur allein dazu ist kaum übersehbar, der Text offenbar „verdorben“. Die Herkunft der Aufstellung ist wissenschaftlich nicht belegt. Irenäus führt nicht viel mehr als Namen an. Und nirgendwo wird da von einem Primat des Petrus gesprochen! Petrus wurde im ausgehen- „ den zweiten Jahrhundert in Rom noch nicht als Bischof gezählt. Im vierten Jahrhundert behauptet man dann, er hätte dort 25 Jahre gewirkt! Seinerzeit überlieferte Bischof Euseb die römische Bischofsfolge, ein unredlicher, selbst der Urkundenfälschung schuldiger Geschichtsschreiber. Euseb hat auch die alexandrinische Bischofsliste, die am meisten seiner römischen ähnelt, „verbessert“. Ebenso die antiochenische, wobei er die Namen der Bischöfe Cornelius, Eros und Theophilus je einer Olympiade zuwies. Mit künstlichen Errechnungen arbeitete er auch bei der Jerusalemer Bischofstabelle, von deren Amtsjahren er eingestandenermaßen „überhaupt keine schriftliche Nachricht“ besaß; später datierte sie Bischof Epiphanius genau nach Kaisergleichzeitigkeiten. Um 354 hat der „Catalogus Liberianus“, ein von Petrus bis Liberius (352- Für das spezielle Primat des Bischofs von Rom geben die neutestamentlichen Texte, mit denen die katholische Kirche bis in die Gegenwart dieses Primat zu begründen pflegte, nichts her 366) reichendes Papstverzeichnis, durch Angabe der Monatsund Tagesdaten das Datierungsverfahren fortgesetzt und „vervollkommnet“. Das sagt der Katholik Josef Gelmi, Professor emeritus für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Hochschule Brixen, der jedoch gleich hinzufügt, „dass all diese Daten keinen historischen Wert haben“. Auch wenn die Katholiken sich heute darüber einig sind, betonen sie immer wieder, wie wertvoll die Namensreihe selbst sei – uralt und echt! Der „Liber Pontificalis“ indes – das offizielle Papstbuch, die älteste römische Bischofsliste, die eine Fülle „gefälschten oder legendarischen Materials“ enthält und dieses „durch weitere Erfindungen ergänzt“ (Erich Caspar), kurz, die derart erschwindelt ist, dass sie bis um die Wende zum sechsten Jahrhundert kaum geschichtlichen Wert hat – nennt nicht Petrus, sondern einen Linus als ersten Bischof der Stadt (Rom). Dann setzte man Linus an die zweite Stelle und Petrus an die erste. Zuletzt konstruierte man ein „Petrusamt“, das „in den antiken Verhältnissen“ selbstverständlich „nur gelegentlich“ hervortrat (Otto Karrer), und ließ es sich zum „Papsttum“ mausern. Der 2. Teil erscheint morgen.