Institut für deutsche Sprache und Linguistik, Humboldt-Universität zu Berlin, GK Semantik SS 2009, F.Sode Basierend auf Seminarunterlagen von Prof. Manfred Krifka Dienstag, 28. April 2009 Lernbarkeit und Kompositionalität Wieviele Sätze kann ein Sprecher des Deutschen produzieren? a) Wieviele Vorkommnisse (unterschiedlicher) Sätze kann er produzieren? Als endliches Lebewesen: endlich viele. b) Wieviele Sätze (Vorkommnisse wie vieler Sätze) kann er im Prinzip bei jeder Äußerung produzieren, d.h. wie viele Sätze sind durch sein sprachliches Wissen mit Bezug auf das Deutsche (Grammatik, Lexikon) bestimmt? Unendlich viele.Beweis? 3. Logik und Semantik. Aussagenlogik. 3.1 Die Bedeutung der Logik in der Semantik 3.2 Prinzipien der Logik ¾ Wahrheitswerte: 1 (wahr), 0 (falsch) ¾ Polaritätsprinzip: Ein Aussagesatz ist entweder wahr oder falsch. ¾ Prinzip vom Widerspruch: Kein Aussagesatz ist zugleich wahr und falsch. (Keine Ambiguität) ¾ Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten (lat. tertium non datur): Kein Aussagesatz ist etwas anderes als wahr oder falsch. (Keine Vagheit) Das Problem des Lernbarkeit von Sprachen überträgt sich auch auf die Bedeutung. Rekursion (1) (2) (3) ( ) Großvater Urgroßvater Ururgroßvater … 3.3 Logische Eigenschaften von Sätzen [[Großvater]] [[Urgroßvater]] [[Ururgroßvater]] … Tautologien, Kontradiktionen und kontingente Sätze 3.4 Logische Beziehungen zwischen Sätzen (2) Logische Folgerung (auch: logische Implikation, entailment): ĭ Ȍ gdw. gilt: Wenn ĭ wahr ist, dann muss (logisch notwendig) auch Ȍ wahr sein. ĭ die Prämisse (dies können auch mehrere Sätze sein), und Ȍ die Konklusion. (3) a. Hilary ist ein Mann und unverheiratet . Hilary ist unverheiratet. b. Hilary ist ein Junggeselle. Hilary ist unverheiratet. c. Kreuzberg liegt in Berlin, Berlin liegt in Deutschland. Kreuzberg liegt in Deutschland. (4) Logische Äquivalenz: ĭ Ȍ gdw. gilt: ĭ Ȍ und Ȍ ĭ d.h. ĭ ist genau dann wahr, wenn Ȍ wahr ist. (5) a. Hilary ist Junggeselle. Hilary ist ein Mann, und Hilary ist unverheiratet. b. Maria verkauft Hans ein Auto. Hans kauft ein Auto von Maria. c. Petra ist die Mutter von Hans. Hans ist der Sohn von Petra. (6) Kontrarietät: Zwei Sätze ĭ, Ȍ heißen konträr, wenn sie nicht zusammen wahr sein können. (7) a. Die Suppe ist heiß. / Die Suppe ist kalt. b. Heute ist Dienstag. / Morgen ist Freitag. c. Der Hund ist größer als die Katze. / Der Hund ist kleiner als die Katze. (8) Kontradiktion: Zwei Sätze ĭ, Ȍ heißen kontradiktorisch, wenn sie weder zusammen wahr noch zusammen falsch sein können. Rekursive Regel Für alle n ത gilt: F(n) is eine Folge englischer Wörter definiert durch: i) F(0) = the President, ii) Für alle n z 0: F(n) = the mother of F(n-1) Bsp.: n = 3 F(3) = the mother of F(3-1) = the mother of F(2) = the mother of F(2-1) = F(1) = the mother of F (1-1) = F(0) = F(2) the mother of F(1) the mother of F(0) the President (1) the mother of the mother of the mother of Bedeutung von (1): the President a) [[the President]], [[the mother of]] b) semantische Interpretation der rekursiven Regel Kompositionalitätsprinzip (Frege-Prinzip) Die Bedeutung eines komplexen sprachlichen Ausdrucks ist bestimmt durch die Bedeutung seiner unmittelbaren syntaktischen Teile und der Art und Weise, wie sie syntaktisch zusammengesetzt sind. 1 2 (9) a. Die Suppe ist heiß. / Die Suppe ist nicht heiß. b. Es ist Montag, Dienstag oder Mittwoch. / Es ist Donnerstag, Freitag, Samstag oder Sonntag. c. Der Hund ist größer als die Katze. / Der Hund ist nicht größer als die Katze. (10) Kontingenz: Zwei Sätze ĭ, Ȍ stehen in einer kontingenten Beziehung zueinander, wenn sie nicht in einer der vorher genannten logischen Beziehungen zueinander stehen. Vermeidung von Ambiguität durch Klammerung: (16) a. ¬ p1 p2 b. ¬ [p1 p2] c. [¬ p1 p2] 3.6 Die Interpretation der Aussagenlogik (AL) (11) (12) (13) a. Die Suppe ist nicht heiß. / Die Suppe ist nicht kalt. b. Heute ist Montag oder Dienstag. / Heute ist Dienstag oder Mittwoch. c. Der Hund ist größer als die Katze. / Der Hund ist mindestens so groß wie die Katze. Heute ist Montag oder Dienstag. / Heute ist Dienstag oder Mittwoch. p1: Heute ist Montag oder Dienstag. p2: Heute ist Dienstag oder Mittwoch. a. Wahr: Heute ist Freitag. Æ p1 = 0, p2 = 0 b. Wahr: Heute ist Montag. Æ p1 = 1, p2 = 0 c. Wahr: Heute ist Mittwoch. Æ p1 = 0, p2 = 1 d. Wahr: Heute ist Dienstag. Æ p1 = 1, p2 = 1 Die Suppe ist nicht heiß. / Die Suppe ist nicht kalt. p1: Die Suppe ist nicht heiß. p2: Die Suppe ist nicht kalt. a. Wahr: Die Suppe ist lau. Æ p1 = 1, p2 = 1 b. Wahr: Die Suppe ist kalt. Æ p1 = 1, p2 = 0 c. Wahr: Die Suppe ist heiß. Æ p1 = 0, p2 = 1 d. Wahr: ? Æ p1 = 0, p2 = 0 Bedeutung der Satzverknüpfungen (auch: Wahrheitsfunktionen) werden durch WahrheitswertTafeln angegeben: (17) (20) (22) 3.5 Die Sprche der Aussagenlogik (AL) (14) a. Wenn ĭ ein Aussagesatz ist, dann ist ¬ĭ ein Aussagesatz, die Negation von ĭ. b. Wenn ĭ und Ȍ Aussagesätze sind, dann ist [ĭ Ȍ] ein Aussagesatz, die Konjunktion von ĭ und Ȍ, gelesen “ĭ und Ȍ”. c. Wenn ĭ und Ȍ Aussagesätze sind, dann ist [ĭ Ȍ] ein Aussagesatz, die Disjunktion (auch: Alternation) von ĭ und Ȍ, gelesen “ĭ oder Ȍ”. d. Wenn ĭ und Ȍ Aussagesätze sind, dann ist [ĭ ĺ Ȍ] ein Aussagesatz, die (materiale) Implikation oder das Konditional, gelesen “Wenn ĭ, dann Ȍ”. e. Wenn ĭ und Ȍ Aussagesätze sind, dann ist [ĭ ļ Ȍ] ein Aussagesatz, die (materiale) Äquivalenz oder das Bikonditional, gelesen “ĭ genau dann, wenn Ȍ”. Wohlgeformte Ausdrücke der Aussagenlogik: (15) a. p1 b. ¬p1 c. [¬p1 p2] d. ¬[¬p1 p2] e. [p3 ĺ ¬[¬p1 p2]] f. [p1 [[p3 ĺ ¬[¬p1 p2]]] Negation ¬ĭ ĭ 1 0 0 1 Disjunktion ĭ 1 1 0 0 (19) Konjunktion ĭ 1 1 0 0 Ȍ 1 0 1 0 (21) Materiale Implikation, Konditional Ȍ 1 0 1 0 [ĭ Ȍ] 1 1 1 0 ĭ 1 1 0 0 Ȍ 1 0 1 0 [ĭ ĺ Ȍ] 1 0 1 1 Materiale Äquivalenz, Bikonditional [ĭ ļ Ȍ] ĭ Ȍ 1 1 1 1 0 0 0 1 0 0 0 1 Wieviele zweistellige (einstellige) Wahrheitsfunktionen gibt es? 3.7 Logische Satzverknüpfungen und die Konjunktionen natürlicher Sprachen Konjunktion (23) (24) Hans ist groß und dunkles Haar. Hans hat dunkles Haar und ist groß. Zusätzliche Information bei Ereignissen: Ereignis1 < Ereignis2. (25) (26) 3 [ĭ Ȍ] 1 0 0 0 Hans ging nach Hause und las sein Buch zu Ende. ‘Hans ging nach Hause und las danach sein Buch zu Ende.’ Hans las sein Buch zu Ende und ging nach Hause. ‘Hans las sein Buch zu Ende und ging danach nach Hause.’ 4 Disjunktion 3.9 Tautologien und logische Folgerung Dies ist die sog. inklusive Disjunktion. Sie wird oft durch Implikatur zur exklusiven Disjunktion verstärkt. Logische Folgerung ĭ Ȍ: In jedem Fall, in dem ĭ wahr ist, ist auch Ȍ wahr. Beispiel: Wir wollen zeigen, dass aus der Prämisse [¬p1 [p2 ĺ p1]] die Konklusion ¬p2 folgt. Hierzu betrachten wir alle Möglichkeiten, für die die Prämisse wahr ist. (27) (28) (29) Maria ist nach Italien gefahren, oder sie ist nach Spanien gefahren. Maria ist nach Italien gefahren, oder nach Spanien, vielleicht sogar in beide Länder. Wer Banknoten fälscht oder gefälschte Banknoten in den Verkehr bringt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Konditional Das natürlichsprachliche Konditional gehört zu den komplexesten semantischen Konstruktionen natürlicher Sprachen. (28) Berechnung des Wahrheitswerts eines komplexen Ausdrucks: (30) [p1 [[ p3 ĺ ¬ [¬ p1 p2]]] 1 1 1 0 0 0 1 1 1 3.10 Aussagenlogische Gesetze (29) Disambiguierung durch Klammerung: (31) ¬ [p1 p2] 1 0 0 1 a. Die logische Folgerung ĭ Ȍ besteht gdw. [ĭ ĺ Ȍ] eine Tautologie ist. b. Die logische Äquivalenz ĭ Ȍ besteht gdw. [ĭ ļ Ȍ] eine Tautologie ist. [¬p1 p2] 1 0 0 0 3.8 Tautologien und Kontradiktionen [ĭ ĭ] ĭ [ĭ ĭ] ĭ b. Kommutativität: [ĭ Ȍ] [Ȍ ĭ] [ĭ Ȍ] [Ȍ ĭ] c. Assoziativität: [ĭ [Ȍ ȍ]] [[ĭ Ȍ] ȍ] [ĭ [Ȍ ȍ]] [[ĭ Ȍ] ȍ] d. Distributivität: [ĭ [Ȍ ȍ]] [[ĭ Ȍ] [ĭ ȍ]] [ĭ [Ȍ ȍ]] [[ĭ Ȍ] [ĭ ȍ]] e. De Morgan: ¬[ĭ Ȍ] [¬ĭ ¬Ȍ] ¬[ĭ Ȍ] [¬ĭ ¬Ȍ] f. Konditionalgesetze: [ĭ ĺ Ȍ] [¬ĭ Ȍ] [ĭ ĺ Ȍ] [¬Ȍ ĺ ¬ĭ] g. Bikonditionalgesetz: [ĭ ļ Ȍ] [[ĭ ĺ Ȍ] [Ȍ ĺ ĭ]] a. Idempotenz: Nachweis von Tautologien und Kontradiktionen: Betrachtung aller Wahrheitswerte. (32) [p1 [[ p3 ĺ ¬ [p1 p2]]] 5 6