Hartmut Weyel Predigt Wege zu unseren Wurzeln: „Wie leben wir miteinander? (Römer 14,7-13.17-19) Einleitung: Im Mittelpunkt der umfangreichen Ermahnung, die der Apostel Paulus an die Gemeinde in Rom richtet, stehen zwei Fragen (V.10), die damals wie heute in einer Gemeinde aktuell sein können: Wieso richtest du deinen Bruder? Wieso verachtest du deinen Bruder? Mit „Bruder“ ist natürlich jeder Mitchrist in der Gemeinde gemeint, also sowohl die männlichen wie auch die weiblichen Mitchristen. Man fragt sich, was in dieser Gemeinde Rom los gewesen sein muss, dass von Paulus ein derartig deutlicher, fast scharfer Ton angeschlagen wird. Die Antwort ist schnell gefunden: Man war wegen unterschiedlicher Auffassungen über den Lebensstil von Christen in ziemlich harte Auseinandersetzungen geraten. Im Grunde ging es um Lapalien, zumindest aus unserer heutigen Sicht. Aber die Symbolkraft dieser Dinge wog für die eine Seite so schwer, dass sie Gewissensprobleme hatte. Es ging z.B darum, ob und welches Fleisch man als Christ essen dürfe (nicht aus medizinischen oder ökologischen, sondern aus kultisch-religiösen Gründen), was und wieviel man trinken dürfe (nicht ob alkoholisch oder alkoholfrei, sondern was jüdisch-religiös erlaubt sei), ob und welche Tage man besonders einhalten müsse (z.B. Fasttage, Festtage, Sabbate, Sonntage). Dass die Symbolkraft dieser Dinge für die einen so schwer wog, lag nicht nur an ihrer Lebensgewohnheit, sondern dahinter stand eine ganze Theologie. Und deshalb ging es für sie um hochwichtige Fragen. Sie verurteilten alle, die sich nicht daran hielten. Für die anderen in der Gemeinde bedeuteten diese Dinge nichts. Sie gingen pragmatisch damit um. Für sie hatten sie keine Symbolkraft. Was gehen uns diese aus der jüdischen Frömmigkeit stammenden Praktiken an? Nichts! Also kümmern wir uns nicht darum! Wir leben in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes! Deshalb verachteten sie diese kleinkarierten, engstirnigen Fundamentalisten. Solche und ähnliche Gegensätze und Auseinandersetzungen gibt es in jeder Gemeinde. Wenn man heutige Gegensatzpaare auflisten wollte, käme eine ganze Palette zu Tage: Da gibt es konservative Christen in der Gemeinde, die den Kopf schütteln über so genannte progressive Christen. Die wiederum verachten die konservativen und ach so rückständigen Mitchristen. Da mokieren sich die Alten über die Jungen. Die Jungen belächeln mitleidig die Alten. Da ärgern sich vielbeschäftigte Mitarbeiter über bloße Mitläufer, und Mitläufer rümpfen die Nase über die Aktivisten, die ständig ihr Christsein durch Taten beweisen wollen. Diejenigen, die es in ihrem Christsein genau nehmen, verurteilen diejenigen, die sich alles mögliche erlauben. Diese wiederum verspotten die ersteren oder kümmern sich gar nicht um deren Einwände. Da verachten die Intellektuellen die Naiven, die kritischen Geister sehen überheblich auf die herunter, die alles mit dem Mantel der Liebe und Harmonie zudecken wollen. Da stehen die Praktiker gegen die Theoretiker, die Leute der Tat gegen die Leute, die nur große Worte machen, die Bibeltreuen gegen die Bibelkritiker, die Charismatiker gegen die Dogmatiker, die Rechten gegen die Linken, die missionarisch Engagierten gegen die Selbstgenügsamen, die Ordnungsliebenden gegen die Liberalen, die Ängstlichen gegen die Freizügigen, die weniger Verdienenden gegen die Gutbetuchten, die freigiebigen Spender gegen diejenigen, die angeblich oder tatsächlich nur einen jämmerlichen Gemeindebeitrag geben. Es ist keine Frage, diese Gegensätze sind oft genug nur Lapalien. Aber oft genug liegen ihnen auch handfeste Bedenken gegenüber dem Glauben und dem Lebensstil des Mitchristen zugrunde. Hinzu können Probleme zwischenmenschlicher Art kommen, die mehr psychologisch oder familiär bedingt sind. Tatsache ist aber, dass es Freiheiten gibt, die für Christen unaufgebar sind. Und Tatsache ist auch, dass es Grenzen gibt, die für Christen unabdingbar sind. Wenn die eine oder andere missachtet werden, dann passieren Verfehlungen mit Schuld vor, die kritisch gesehen und korrigiert werden müssen. Aber wie gehen wir damit um? Wie finden wir immer wieder Wege zueinander und miteinander? Wie leben wir miteinander? Das sind die entscheidenden Fragen. Die Antworten können nicht aus bei der Psychologie oder Soziologie geholt werden, zumindest nicht die entscheidenden. Der Apostel Paulus legt für die Antworten einen geistlichen Grund. Darauf sollten wir aufbauen. Er fragt nämlich, was denn bei uns anders geworden ist, als wir Christen wurden, und kommt zu der Antwort, dass der Christ mit seiner Bekehrung drei grundlegend neue Positionen eingenommen hat: 1. Er lebt nicht mehr für sich selbst 2. Er lebt in Verantwortung vor Gott, und 3. Der Christ lebt für den Aufbau der Gemeinde. Zur Position 1 sagt Paulus: „Keiner von uns lebt für sich selber und keiner stirbt für sich selber. Leben wir, so leben wir für den Herrn. Sterben wir, so sterben wir für den Herrn. Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr über Tote und Lebende zu sein“ (V.7-9). Wenn das die neue Position ist, von der aus wir leben, dann kann kein Christ mehr sagen: „Was ich mache, das ist meine Sache, das geht niemanden etwas an, das entscheide ich allein!“ Wer zum Glauben an Jesus Christus gefunden hat, hat die Herrschaft gewechselt. Er ist nicht mehr sein eigener Herr, Christus ist jetzt sein Herr. Und diese Herrschaft verbindet alle Christen. Sie umfasst alle Christen. Sie umgrenzt alle Christen. Durch sie sind wir von der Herrschaft unseres Egoismus befreit, aber auch von der Herrschaft übereinander. Wir müssen bei unterschiedlichen Auffassungen und Lebensstilen nicht mehr darum kämpfen, wer recht hat, und wer wen beherrscht. Dieser Platz ist mit Jesus Christus besetzt. Diesen Kampf können wir uns schenken. Damit ist schon einmal viel Luft und falscher Ehrgeiz aus der Sache raus. Wenn ihr diese Position behaltet, so meint wohl Paulus, dass keiner mehr für sich selbst lebt, sondern wir alle gemeinsam für den einen Herrn, dann verbindet euch eine gemeinsame Motivation, nämlich alles, was ihr tut, „zur Ehre des Herrn“ zu tun. Dann könnt ihr tolerant und barmherzig miteinander leben, auch wenn ihr unterschiedliche Meinungen und Lebensstile habt, wenn ihr es, egal, ob ihr verzichtet oder eure Freiheit lebt, zur Ehre des Herrn tut (V.6). Damit ist auch die zweite Position des Christen angesprochen: Der Christ lebt in Verantwortung vor Gott. „Wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen... So wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst ablegen“ (V. 10-12). Wenn das die neue Position ist, von der aus der Christ lebt, dann kann keiner den anderen richten oder verurteilen. Wer es trotzdem tut, setzt sich an Gottes Stelle. Er maßt sich göttliches Recht an und fällt damit selbst unter das Gericht Gottes. Dagegen fordert uns die Bibel immer wieder auf, selbstkritisch mit uns selbst zu sein. Weil jeder von uns einmal vor Gott Rechenschaft über sich selbst ablegen muss, haben wir genug damit zu tun, uns selbstkritisch zu fragen, was wir nicht aus Glauben und zur Ehre Gottes getan bzw. unterlassen haben. Das macht uns bescheiden und zurückhaltend im Umgang miteinander. Damit verzichten wir nicht auf die Beurteilung von Lehre oder Ethik, wir verzichten damit nicht auf gegenseitige Ermahnung, aber wir verzichten auf Verachtung und Verurteilung des Mitchristen. Damit sind wir bei der dritten grundlegend neuen Position, die ein Christ mit seiner Bekehrung eingenommen hat: Er lebt für den Aufbau der Gemeinde. „Im Reich Gottes“, sagt Paulus, „geht es nicht ums Essen und Trinken, sondern um Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist... Lasst uns daher nach dem streben, was zum Frieden und zum Aufbau der Gemeinde beiträgt“ (V. 1719). Wenn das die neue Position ist, von der aus der Christ lebt, dann wird er das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden. Dann wird er nicht Nebensächlichkeiten zu Hauptsachen im Reich Gottes machen, an denen sich angeblich alles entscheidet. Genau das ist der Punkt, an denen manche Christen und Gemeinden auseinandergelaufen oder sich gar im Streit getrennt haben. Paulus sagt, dass es bei vielen Problemen doch nicht um letzte Wahrheiten geht, sondern um eine Frage der Sichtweise, denn, so hält er fest: „an sich ist nichts unrein, unrein ist es nur für den, der es als unrein betrachtet“ (V. 14). Genau das ist es! Deshalb soll jeder sich selbstkritisch prüfen, ob er nicht eine subjektive Brille auf hat oder zu stark nur seinen Blickwinkel im Auge hat. Entscheidend bei allen diesen Fragen ist aber, so Paulus, dass ich mich selbstkritisch beobachte und frage, ob das, was ich tue und sage, dem Frieden und Aufbau der Gemeinde dient. Darauf kommt alles an! Das ist der entscheidende Maßstab. Gewiss kann es auch darüber mal verschiedene Auffassungen geben. Dann soll ich mich aber immer fragen, ob ich ich durch mein Verhalten oder Unterlassen meinen Mitchristen aufbaue oder zerstöre, ob ich durch falsche Enge oder falsche Weite ihn schädige, ob ich ihm durch mein Verhalten Steine in den Weg lege oder Knüppel zwischen die Beine werfe, oder Fallen stelle, ob ich ihn aufs Glatteis führe oder ihm den Boden unter den Füßen wegziehe oder ihm Dinge auferlege, die wie ein Joch oder ein Mühlstein auf seinem Hals liegen und ihn niederdrücken. Paulus hat die Gemeinden in Galatien ermahnt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen“ (Gal. 5,1). Und er hat gesagt: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf“ (1.Kor. 10,23). Deshalb: Gehen wir Wege zueinander und miteinander, die uns und die Gemeinde aufbauen. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. This document was created with Win2PDF available at http://www.daneprairie.com. The unregistered version of Win2PDF is for evaluation or non-commercial use only.