Integralrechnung 1. Stammfunktionen In der Differentialrechnung haben wir gelernt, durch Ableiten einer Funktion f eine neue Funktion f’ zu finden, die uns hilft, Eigenschaften von f zu bestimmen (z.B. Hoch- oder Tiefpunkte). Hier gehen wir davon aus, die Ableitung zu kennen und die ursprüngliche Funktion wieder zu finden. Wir kehren die Ableitung um, indem wir eine vorgegebene Funktion f integrieren, um eine Stammfunktion F zu finden. Beispiel: f(x) = x2+1 Welche Funktion ergibt abgeleitet f(x)? F(x) = …………………… Stammfunktion mit F’(x) = f(x) = …………………… Unbestimmtes Integral Es zeigt sich aber, dass alle Funktionen der Form Fc(x) = …………………… Stammfunktionen von f sind. Als Lösung erhalten wir eine ganze Schar von Funktionen! Der Taschenrechner liefert uns zu vielen Funktionen eine Stammfunktion (allerdings immer ohne die Konstante c). Um eine Eindeutigkeit zu erlangen, muss eine Randbedingung gegeben sein. Beispiel: Der Graph der Stammfunktion von f(x) = x2+1 soll durch den Punkt P(1|4) gehen. Fc(x) = …………………… …… = …………………… c = ………… F(x) = …………………… Aufgabe 1. Die Funktion v(t) = 1.5t–0.01875t2 (v in m/s, t in s) beschreibt die Geschwindigkeit eines Autos während einer Minute (d.h. 0 ≤ t ≤ 60). Bestimmen Sie a) die maximale Geschwindigkeit, b) den Weg, den das Auto in der ersten Minute zurücklegt. Lösungen 1a) vmax = 30 m/s bei t = 40 s; b) 1350 m. Seite 1 Integralrechnung 2. Flächen unter Kurven Betrachten wir Flächen, die von einem Funktionsgraphen und der x–Achse beschränkt werden, so geht es nicht alleine um geometrische Fragen. In der Physik tauchen solche Flächen immer wieder auf. Die Flächeninhalte sind dann z.B. ein Weg oder verrichtete Arbeit. Für Spezialfälle lassen sich solche Zusammenhänge ohne Integralrechnung herleiten. Hier sollen zwei allgemeine Anleitungen zur Bestimmung von Flächen gegeben werden, die von einem Funktionsgraphen, der sog. Randfunktion und der x–Achse beschränkt werden. Wir setzen voraus, dass die Randfunktion stetig ist. Die Methoden werden anhand des gleichen Beispiels gezeigt. Gesucht ist jeweils die Fläche zwischen dem Graphen von f(x) = x2+1, der x–Achse und den beiden Vertikalen bei x = 1 und x = 3. 2.1. Die Flächenfunktion 10 9 Wir führen eine Funktion A ein, deren Werte die gesuchten Flächeninhalte liefern, und überlegen uns, wie 8 wir diese Funktion bestimmen können. 7 6 A(x) sei der Flächeninhalt zwischen den Vertikalen bei 5 1 und x. 4 3 2 1 Wir betrachten nun den schmalen Streifen zwischen x 0 und x+h. Es gilt: 0 1 ……… ≤ ………………………… ≤ ……… ……… ≤ ………………………… ≤ ……… 2 3 Wenn wir nun den Grenzwert betrachten, wenn h gegen 0 strebt, so gilt: ⇒ f(x+h) = ………… f(x) = …………………… Das bedeutet, dass die Randfunktion f die …………………… der Flächenfunktion A resp. die gesuchte Flächenfunktion A eine …………………… von f ist. A(x) = …………………… Zudem gilt die Randbedingung, dass A(1) = 0 sein muss. Damit können wir A vollständig bestimmen und auch die gesuchte Fläche berechnen. A(1) = …………………… = 0 A(x) = …………………… A(3) = …………………… = ………… Seite 2 ⇒ c = ………… Integralrechnung 2.2. Die Streifenmethode 10 Wir nähern nun die gesuchte Fläche von oben und 9 unten durch eine Reihe von Rechtecken an, deren Flächen 8 wir aufsummieren. Wir bekommen eine Ober- und eine 7 Untersumme. 6 5 4 3 2 1 Die Näherung wird natürlich umso besser, je mehr 0 0 Rechtecke wir für unser Intervall benützen. Anzahl Rechtecke Untersumme 1 Obersumme 2 3 Mittelwert Wir erhalten für die gesuchte Fläche einen Näherungswert von ………… . 2.3. Die Integralschreibweise Wenn wir die beiden Methoden vergleichen, so wird klar, dass beide ihre Vor- und Nachteile haben: • Die Flächenfunktion ergibt exakte Werte, aber wir müssen die Stammfunktion der Randfunktion bestimmen können, was in machen Fällen schwierig oder gar unmöglich ist. • Die Streifenmethode ergibt Näherungswerte. Exakte Werte sind nur schwer oder gar nicht bestimmbar. Dafür benötigen wir keine Stammfunktion. Ausgehend von der Streifenmethode kommt man zu einer Schreibweise für die gesuchte Fläche, die bestimmtes Integral heisst. Betrachten wir die Berechnung der Obersumme im Detail. Die Randfunktion sei f, die Vertikalen seien bei x = a und x = b, a < b. Das Intervall [a;b] sei in n Teilstücke der Länge Δx unterteilt. Sei maxf(i) der Maximalwert, minf(i) der Minimalwert von f im i–ten Intervall. Dann gilt für die Obersumme: n On = ∑ max (i) ·Δx Un f = …………………… i=1 Für die gesuchte Fläche A gilt: € Un ≤ A ≤ On Existieren die beiden Grenzwerte von Un und On für n→∞ und sind gleich, dann gilt: A = lim On n→∞ = …………………… Seite 3 € Integralrechnung Für den Grenzwert hat sich folgende Schreibweise, die von Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646–1716) stammt, etabliert: b A = ∫ f(x) dx Bestimmtes Integral a Das ∫ symbolisiert dabei die unendliche Summe und dx die Breite der beliebig schmalen Rechtecke. € Wenn wir die Flächenfunktion A(x) wieder verwenden, so gilt: b A(b) = F(b)–F(a) = ∫ f(x) dx a Da die Differenz zweier Werte der Stammfunktion F verwendet wird, ist es nicht relevant, welche der € Stammfunktionen F von f wir für die Berechnung verwenden. Die Konstante c entfällt auf jeden Fall. Für unser Beispiel mit f(x) = x2+1 und den Grenzen a und b erhalten wir A = ………………………… = ………………………… = ………… Wir fassen zusammen: Satz: Ist f(x) ≥ 0 für a ≤ x ≤ b und stetig und F eine Stammfunktion von f, so gilt für die Fläche A, die von der x–Achse, dem Graphen von f und den beiden Vertikalen x = a und x = b beschränkt wird: A = F(b)–F(a) A = ∫ f(x) dx b Bestimmtes Integral a Aufgabe 2. € Der Satz oben ist bewusst für f(x) ≥ 0 formuliert. Hier sollen Sie untersuchen, was passiert, wenn auch f(x) < 0 gelten darf. Betrachten Sie dazu die Randfunktion f(x) = x2–4x. Was liefert das bestimmte Integral in den Intervallen [0;3], [2;5] resp. [4;7]? Was können Sie aus den Berechnungen oben schliessen? ................................................................................................................................................... ................................................................................................................................................... ................................................................................................................................................... ................................................................................................................................................... Seite 4 Integralrechnung Beispiel: f(x) = 0.5x2–3x+4 Wie gross ist die Fläche, welche der Graph von f und die x–Achse für 0 ≤ x ≤ 5 einschliessen? Die Berechnung der Nullstellen zeigt, dass der Graph im Bereich von 0 bis 5 zweimal die x–Achse schneidet: x1 = ………… und x2 = ………… . Wir berechnen die gesuchte Fläche nun in 3 Schritten: x1 A1 = ∫ f(x) dx = …………………… = ………… 0 x2 € ∫ f(x) dx = …………………… = ………… ⇒ A 2 = ………… x1 5 A3 = € ∫ f(x) dx = …………………… = ………… x2 A = A1+A2+A3 = ………… € Die Berechnung des folgenden bestimmten Integrals liefert zwar auch einen Wert, aber nicht den Flächeninhalt A. Die Unterteilung vorher war also nötig! 5 ∫ f(x) dx = …………………… = ………… ≠ A 0 Aufgaben € 3. a) Bestimmen Sie die Fläche, welche der Graph von sin(x) und die x–Achse zwischen zwei Nullstellen einschliessen. b) Bestimmen Sie die Fläche, welche der Graph von 3·cos(x) und die x–Achse für 0 ≤ x ≤ 2π einschliessen. 4. Die Kraft einer Feder bei der Auslenkung x wird durch F(x) = 200x angegeben (200 ist die Federkonstante und hat die Einheit N/m). a) Welche Arbeit muss verrichtet werden, um die entspannte Feder um 0.5 m auseinander zu ziehen? b) Welche Arbeit muss verrichtet werden, um die Feder, die bereits 0.3 m auseinander gezogen ist, auf 0.8 m zu strecken? Lösungen: 3a) 2; b) 12. 4a) 25 J, b) 55 J. Seite 5 Integralrechnung 3. Flächen zwischen Kurven Wir wollen die Resultate des letzten Kapitels verallgemeinern, indem wir statt einer Funktion f und der x–Achse zwei Funktionen f und g zur Begrenzung einer Fläche nehmen. Die x–Achse ist auch durch eine Funktion beschreibbar: g(x) = 0. Wir mussten beachten, ob f oberhalb oder unterhalb der x–Achse verlief. Entsprechend wichtig waren die Nullstellen. Dies lässt sich einfach auf zwei beliebige Funktionen übertragen. Wichtig ist, welche Funktion oben verläuft und wo sich die Graphen schneiden. Satz: Sind f und g zwei Funktionen mit g(x) ≥ f(x) für alle x mit a ≤ x ≤ b, so ist der Flächeninhalt A zwischen den beiden Graphen von a bis b gleich b A = ∫ g(x) − f(x) dx a Beispiel: f(x) = x2–9x+18 und g(x) = –x2+7x–10 € Welche Fläche begrenzen die beiden Graphen? Dazu müssen wir zuerst die Schnittpunkte der Graphen bestimmen: ………… = ………… …………………… = …………………… a = x1 = ………… b = x2 = ………… A = …………………… = ………… Aufgaben 5. Überzeugen Sie sich von der Richtigkeit der Rechnung und des Satzes von oben, in dem Sie die gesuchte Fläche aus lauter Flächen zusammensetzen, die zwischen einem der beiden Graphen und der x–Achse liegen. 6. Bestimmen Sie die schraffierte Fläche, die von den Funktionen f(x) = |sin(2x)| und g(x) = 2·cos(x) begrenzt wird. Tipp: Nützen Sie die Symmetrie der schraffierten Fläche aus! Lösung: 6) 2. Seite 6 Integralrechnung 4. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Ist f(x) ≥ 0 im Intervall [a;b], so haben wir bereits festgehalten, dass b ∫ f(x)dx = F(b)–F(a) a mit F’(x) = f(x) gilt. Im letzten Kapitel haben wir auch zugelassen, dass f(x) < 0 wird. An der oberen Gleichung ändert sich dadurch aber nichts. Sie gilt weiterhin. Wir formulieren deswegen den folgenden € Satz: Satz: Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Sei f(x) im Intervall [a;b] stetig und integrierbar und F’(x) = f(x) eine Stammfunktion von f. Dann gilt b ∫ f(x)dx = F(b)–F(a). a Genauere Betrachtungen zeigen, dass unter gewissen Umständen die Randfunktion f nicht stetig sein €muss. So können z.B. einzelne Funktionswerte ohne grössere Konsequenzen fehlen. 5. Rechenregeln zu den Integralen Komplizierte Integrale können mit Hilfe einfacher Regeln in kleinere zerlegt werden. Diese Regeln stellen die Umkehrung der entsprechenden Ableitungsregeln dar. Zwei sind sowohl für die Berechnung von Stammfunktionen wie auch für bestimmte Integrale anwendbar. Stammfunktionen Bestimmtes Integral b ∫ Summe Konstanter Faktor € (f(x) + g(x))dx = ∫ f(x)dx + ∫ g(x)dx b ∫ (f(x) + g(x))dx = ∫ f(x)dx + ∫ g(x)dx a b ∫ c ⋅ f(x)dx = c ⋅ ∫ f(x)dx b a a b ∫ c ⋅ f(x)dx = c ⋅ ∫ f(x)dx € a b a a ∫ f(x)dx = − ∫ f(x)dx Änderung der € Integrationsgrenzen € a ∫ € b b a c f(x)dx = ∫ a b f(x)dx + ∫ f(x)dx c Es gibt noch weitere Regeln, die hier nicht aufgelistet sind, insbesondere die partielle Integrationsregel und die Regel für die Integration durch Substitution. Diese € beiden stellen die Umkehrung der Produktund der Kettenregel dar. Die oben aufgelisteten Regeln lassen sich recht einfach beweisen. Hier als Beispiel die Beweise für die Summenregel: ∫ (f(x) + g(x))dx € = (F(x)+G(x))+c = F(x)+cf+G(x)+cg = ……………………………………… mit c = cf+cg Seite 7 Integralrechnung b ∫ (f(x) + g(x))dx = ……………………………………… = ……………………………………… = ……………………………………… a € Aufgabe 7. Beweisen Sie die anderen Regeln analog zu den gezeigten Beispielen! Seite 8 Integralrechnung 6. Rotationskörper Das bestimmte Integral kann nicht nur zur Berechnung von Flächen, sondern auch für Volumen verwendet werden. Besonders einfach ist dies bei Rotationskörpern, deren Drehachse die x–Achse ist. Wir gehen davon aus, dass wir die Begrenzung eines Körpers durch den Graphen einer Funktion f kennen. Die Hülle des Rotationskörpers entsteht dann durch rotieren des Graphen um die x–Achse. Die Funktion f(x) gibt den Radius des Körpers an der Position x an. In Kapitel 2 haben wir eine Fläche durch viele schmale Rechtecke angenähert. Jetzt verwenden wir für ein Volumen dünne Kreisscheiben. Diese entstehen durch Rotation der Rechtecke um die x–Achse. Das Verfahren ist also völlig analog. Statt der Höhe des Rechtecks kennen wir mit f(x) den Radius der Scheibe. Ist die Dicke der Scheibe Δx, dann berechnet sich das Volumen einer Scheibe so: ΔV = …………………… Durch Verkleinern von Δx und damit von ΔV können wir ein Volumen beliebig genau annähern. Erfreulicherweise ist die Berechnung der Volumen auch mit dem bestimmten Integral möglich. Das Vorgehen ist auch hier ganz analog zur Berechnung von Flächen. Satz: Sei f(x) ≥ 0 für a ≤ x ≤ b. Das Volumen des Körpers im Bereich von a bis b, der durch Rotation des Graphen von f um die x–Achse entsteht, ist gegeben durch b V = π⋅ 2 ∫ f (x) dx a Beispiel: Sei f(x) = –0.25x2+x+1, a = 0 und b = 4. Das Graphenstück begrenzt ein fassähnliches € x–Achse rotiert wird. Volumen, wenn es um die Randfunktion Rotationskörper Wie gross ist das Volumen des Fasses? V = …………………… = ………… Seite 9 Integralrechnung 7. Uneigentliche Integrale Wenn bei einem bestimmten Integral eine oder beide Schranken gegen +∞ oder –∞ laufen, sprechen wir von einem uneigentlichen Integral. Wir berechnen dann einen Grenzwert, der natürlich nicht für jede Funktion existieren muss. Auf Flächenberechnungen bezogen, können wir uneigentliche Integrale als obere Schranke möglicher Flächen verstehen. Dazu das folgende Beispiel. Beispiel: Sei f(x) = 1/x2. Wie gross kann die Fläche unter dem Graphen von f mit a = 1 und b > 1 maximal werden? 2 Mit b = 2: A2 = ∫ x1 dx = ………… 2 1 Mit b = 10: = …………………… = ………… Allgemein: A10 € Ab = …………………… = …………………… Grenzwert: A = lim A b = …………………… = ………… b→∞ Ein uneigentliches Integral wird also berechnet, indem zuerst die Schranke durch eine allgemeine Konstante€ausgedrückt, dann das zugehörige bestimmte Integral berechnet und schliesslich die Konstante gegen +∞ oder –∞ geschickt wird. Der Taschenrechner versteht auch diese Variante: ∞ A = ∫ x1 dx = ………… 2 a Aufgaben 8. Bestimmen Sie die € uneigentlichen Integrale. a) f(x) = 1/x mit a = 1 und b = +∞. b) f(x) = ex mit a = –∞ und b = 0. c) Rotationskörper mit Randkurve f(x) = 1/x2 und a = 1 und b = +∞. Lösungen: 8a) +∞; b) 1; c) π/3. Seite 10