LEIBNIZ | LICHT Antibiotisches Licht Optische Methoden eröffnen in der Medizin neue Möglichkeiten der Diagnostik. Sogar gegen die grassierenden Antibiotika-­ 36 Bei einer Blutvergiftung zählt jede Minute. Mit jeder abgelaufenen Stunde sinkt die Überlebensrate um sieben Prozent. Deshalb geben Ärzte ihren Patienten Antibiotika, die gegen möglichst viele Erreger helfen, und hoffen, dass sie wirken. Die Werte aus dem Labor, die genau bestimmen, welches Bakterium die Sepsis verursacht hat, bekommen die Ärzte manchmal erst Tage später, was für eine Antibiotika-Behandlung vor allem in schweren Fällen außerhalb des therapeutischen Fensters liegt. 150.000 Menschen sterben so j­edes Jahr in Deutschland an ­einer Sepsis. „Wir brauchen dringend eine bessere Diagnosemethode“, sagt Michael Bauer vom Center for Sepsis Control and Care am Universitätsklinikum Jena, „dann könnten wir die Therapie entscheidend verbessern.“ Genau an einer solchen Verbesserung arbeitet seit einigen Jahren das Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT) in Jena. Im gemeinsam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Freistaat Thüringen geförderten Jenaer Forschungscampus InfectoGnostics (www. infectognostics-jena.de) setzen Wissenschaftler des IPHT gemeinsam mit Partnern auf Licht im Kampf gegen Infektionserreger. „Wir untersuchen Patientenproben per Raman-Spektros­ kopie“, erläutert Jürgen Popp, Wissenschaftlicher Direktor des IPHT. Sein Mitarbeiter Ste- Medizin und Technik: Michael Bauer und Jürgen Popp arbeiten eng zusammen phan Stöckel sitzt vor einem Mikroskop und legt eine Probe auf einer kleinen Metallfolie mit isolierten Bakterien ein. Stöckel sucht nach geeigneten Partikeln für die nach einem indischen Physiker benannten RamanAnalyse. Er stellt die Parameter ein, die er messen möchte, startet die Messung – und nach 15 Sekunden erscheint auf dem Computerbildschirm das Ergebnis. Wie ein optischer Fingerabdruck Die dahinterliegende Technik ist faszinierend: Das Mikroskop ist mit einem Raman-Spektrometer gekoppelt. Die zu messenden Bakte­ rien werden mit einem Laser aus grünem Licht bestrahlt. Dabei kommt es zu Wechselwirkungen mit Molekülen in den Bakterien. Das dabei gestreute Licht wird gemessen. Der Hauptteil ist danach immer noch grün, aber ein Teil ist zum roten Spektrum verschoben. „Unterschiede im Proteom oder in der Zellwand verursachen diese winzigen Abweichungen vom Spektrum“, erklärt Projektleiterin Petra Rösch. Doch auch wenn die Abweichungen nur winzig sind, so sind sie doch für jede Bakterienart charakteristisch. „Diese Lichtverschiebung ist so spezifisch, dass wir sie wie einen optischen Fingerabdruck nutzen können“, erklärt Jürgen Popp. Um eventuelle Fehler auszuschließen, werden in der Probe mindestens 100 Bakterien vermessen. Das Spektrum der vermessenen Bakterien wird mit einer Datenbank verglichen, die alle bereits registrierten Bakterien­ arten enthält. „Wir haben im Moment 95 Prozent aller Sepsis­ erreger in der Datenbank“, so der Institutsdirektor. Es fehlen einige seltene Erreger, deren Analyse allerdings noch dauert. In zwei bis drei Jahren soll die Datenbank vollständig sein. In etwa fünf Jahren, so die Zielstellung, wird in Kliniken ein Raman-Mikroskop stehen, dass nicht nur von speziell ausgebildeten Wissenschaftlern, sondern von allen Laborkräften bedient werden kann. „Wir benötigen für die Analyse einer Probe weniger als drei Stunden“, erklärt Jürgen Popp. Die genaue Zeit hängt von der Art der Probe ab. Während Urin nach maximal einer Stunde untersucht ist, muss zähflüssiges Lungensekret erst Fotos: Sven Döring/IPHT Resistenzen bietet die Biophotonik hoffnungsvolle Ansätze. 2/2015 Foto: Javier Corbo Lopez/Flickr; Protokoll: Armin Simon Foto: Gladieu/Le Figaro Magazine/Laif; Text: David Schelp LEIBNIZ | LICHT Forschung mit Ausblick: Die Raman-Spektroskopie verspricht schnellere Infektions-Diagnostik. 2/2015 37 LEIBNIZ | LICHT aufgeschlossen und löslich gemacht werden. Das dauert etwa zwei Stunden. Ein unglaublicher Fortschritt gegenüber der klassischen mikrobiologischen Analyse, bei der die Bakterien erst vermehrt werden müssen, um ausreichend Untersuchungsmaterial zu bekommen. Das kann bei Escherichia coli über Nacht funktionieren, aber im Extremfall wie bei Mykobakterien auch mehrere Wochen benötigen. Ein weiterer Vorteil gegenüber anderen Methoden, die mit Spektralanalyse arbeiten: „Wir sind die einzigen, die eine Technologie haben, bei der die Bakterien nicht noch extra kultiviert werden müssen“, sagt Jürgen Popp. Doch nicht nur die Diagnosezeit soll sich mit der neuen photonischen Technologie verkürzen. Die Wissenschaftler am IPHT arbeiten bereits am nächsten Schritt. „Wir wollen auch gleich ermitteln, gegen welche Antibiotika der jeweilige Sepsiserreger resistent ist“, sagt Popp. Dafür wird zur Probe mit den Bakterien ein Antibiotikum gegeben. Durch die Spektralanalyse können vom Antibiotikum gestresste Bakterien identifiziert werden. Allerdings wird die Datenbank dafür erweitert. Mediziner warten schon Noch steht die Forschung am Anfang. Doch die Mediziner in der Klinik warten auf Ergebnisse. Zu häufig sehen sie, wie Patienten sterben, weil der Sepsiserreger gegen das verordnete Breitbandantibiotikum resistent ist. Eine gezielte Medikamentengabe wäre ein Schritt gegen die um sich greifenden Antibiotika-Resistenzen. „Wir haben gute Antibiotika, aber wir sind dabei, sie durch die unzureichende Diagnostik zu verlieren“, sagt der Mediziner ­Michael Bauer. Am Universitätsklinikum Jena steht mittlerweile ein Analysegerät, das schon bewiesen hat, dass es die richtigen Erreger herausfindet. Mittlerweile gehen die ersten Geräte an wissenschaftliche Institute. „Wir rechnen damit, dass in etwa fünf Jahren die Diagnose per RamanSpektroskopie in Kliniken genutzt werden kann“, sagt Jürgen Popp. Die neue Spektralanalyse ist nur eine Methode, wie Lichttechnologien in Zukunft die Diagnostik verbessern werden. Die Wissenschaftler vom IPHT arbeiten bereits an weiteren Einsatzmöglichkeiten. So hat eine Arbeitsgruppe ein Mikroskop entwickelt, mit dem sich während einer Operation innerhalb weniger Minuten erkranktes und gesundes Gewebe genau unterscheiden lässt. Eine andere Gruppe arbeitet an einer faserspektroskopischen Sonde, mit der Mediziner die biochemische Zusammensetzung von Plaques in Arterien erkennen und damit die richtige Therapie wählen können. Denn ob Sepsis oder Herzerkrankung – die richtige Diagnose ist entscheidend. an n ett z ü n d orf Eine hochwertige, zugleich aber auch bezahlbare medizinische Versorgung ist, vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung, eine wichtige Herausforderung für unsere Gesellschaft. Sie zu entwickeln, steht im Fokus des Leibniz-Forschungsverbundes Medizintechnik. Innovative und schonende Gesundheitstechnologien sollen dabei helfen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, die Wirkung von Therapien genauer zu kontrollieren und besser an den einzelnen Patienten anzupassen. Die Entwicklung von mobil einsetzbaren Schnelltests spielt hier ebenso eine Rolle wie verbesserte bildgebende Untersuchungsmethoden. Dabei arbeiten Mediziner, Naturwissenschaftler und Ingenieure aus unterschiedlichen Leibniz-Instituten zusammen, um sicherzustellen, dass die technischen Lösungen, die zum Teil sogar aus Entwicklungen der Astrophysik stammen, dem medizinischen Problem gerecht werden. Gesellschaftswissenschaftler erforschen Fragen der Marktfähigkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz der entwickelten Produkte. 38 Foto: IPHT Leibniz-Forschungsverbund „Medizintechnik: Diagnose, Monitoring und Therapie“ 2/2015