Medienmitteilung vom 20. Oktober 2011 Yin und Yang der Nervennetzwerke für Bewegung identifiziert Bewegung entsteht durch das hochkomplexe Zusammenspiel von Nervensystem und Muskeln. Trotz deren Wichtigkeit waren bis anhin die Nervennetzwerke, welche gegensätzliche Bewegungen steuern, weitgehend unerforscht. Silvia Arber, Gruppenleiterin am Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) und Professorin am Biozentrum der Universität Basel, und ihr Team zeigen nun erstmalig eine organisatorische Trennung dieser Netzwerke im Rückenmark auf, die sowohl auf räumlicher Anordnung als auch auf Entwicklungszeit basiert. Diese Trennung spiegelt die verschiedenen Bewegungsabläufe wider und ermöglicht unterschiedliche Steuerungsmechanismen. Arbers Ergebnisse sind in der neusten Ausgabe des Journals Nature veröffentlicht. Bewegung ist eine zentrale Fähigkeit von Mensch und Tier. Dabei muss eine Vielzahl von Muskeln wie ein Orchester vom Nervensystem über gezielte Impulse gesteuert und koordiniert werden. Die Ausführung von gegensätzlichen Bewegungen spielt dabei eine wichtige Rolle. So wechseln sich zum Beispiel Muskeln für Beugung und Streckung in der Arbeit ab, wie dies tagtäglich beim Gehen passiert. Befehle zur Beugung oder Streckung werden über spezielle Nervenzellen im Rückenmark, den Motoneuronen, an die entsprechenden Muskeln weitergeleitet. Den Motoneuronen vorgeschaltet liegen sogenannte Interneuronen, die den Impuls entsprechend an Beuger- oder Strecker-Motoneuronen weiterleiten. In Analogie entsprechen diese vorgeschalteten Interneuronen dem Dirigenten eines Orchesters, der die Befehle zum Spielen oder Schweigen erteilt. Räumliche und zeitliche Trennung von Interneuronen-Gruppen Silvia Arbers Forschungsgruppe ist es erstmalig gelungen, die verschiedenen InterneuronenGruppen dreidimensional im Rückenmark zu lokalisieren und dadurch genauer zu untersuchen. Neu entwickelte Methoden haben es der Forschungsgruppe nun ermöglicht, die Verteilung von Interneuronen, welche für Beugungs- und Streckungsbewegung verantwortlich sind, im Rückenmark darzustellen. Interessanterweise zeigte sich dabei, dass diese beiden funktionell verschiedenen Gruppen von Interneuronen eine markant unterschiedliche Verteilung aufweisen. Die Ursache dieser Unterschiede liegt in deren Entwicklung. Dabei reifen Interneuronen mit Beuger- oder Strecker-Funktion zu unterschiedlichen Zeiten, so dass eine zeitliche Komponente während der Entwicklung eine massgebliche Rolle für die Verbindungen zu funktionell gegensätzlichen Motoneuronen spielt. Entwicklungszeit und räumliche Anordnung dieser Nervenzellen sind somit wichtig für deren spätere Funktionen im Bewegungsablauf. Neue Möglichkeiten für die Forschung Bislang war nicht bekannt, ob Netzwerke von Interneuronen spezifisch einer der beiden Funktionen – Impulsweiterleitung zur Beugung oder Streckung eines Muskels – zuzuordnen sind. Auch dass die Funktionsweise der dafür zuständigen Nervenzellen von ihrer zeitlichen und räumlichen Entwicklung abhängen, ist ein überraschendes Ergebnis. Das bessere Verständnis dieser organisatorischen Prinzipien wird dazu führen, dass gezielte Studien an den nun identifizierten Netzwerken durchgeführt werden können. Krankheiten des Nervensystems führen oft zu motorischen Netzwerkdefekten und Verletzungen am Rückenmark können die Motorik stark einschränken. Ein besseres Verständnis der Funktionsund Organisationsprinzipien der motorischen Netzwerke ist essentiell, um zukünftige Interventionsmöglichkeiten ausfindig zu machen. Quelle: Biozentrum Communications Sandra Ziegler Handschin Communications Maulbeerstrasse 66 CH-4058 Basel T +41 61 696 15 39 F +41 61 697 39 76 [email protected] www.fmi.ch Kontakt Prof. Dr. Silvia Arber, [email protected], Tel. +41 61 267 20 57 oder +41 61 697 54 93 Originalpublikation Tripodi M, Stepien AE, Arber S. (2011) Motor antagonism exposed by spatial segregation and timing of neurogenesis. Nature, doi:10.1038/nature10538, advanced online publication Über das FMI Das Friedrich Mischer Institute for Biomedical Research (FMI) in Basel ist ein weltweit anerkanntes Spitzenforschungsinstitut für Grundlagenforschung in den biomedizinischen Wissenschaften. Es wurde 1970 von zwei in Basel ansässigen Pharmakonzernen initiiert und ist heute ein Teil der Novartis Forschungsstiftung. Die Forschung am FMI fokussiert sich auf die Bereiche Neurobiologie, Wachstumskontrolle und Signalwege, sowie Epigenetik. Zurzeit arbeiten rund 320 Mitarbeitende am FMI. Das FMI leistet einen wichtigen Beitrag zur Aus- und Weiterbildung von Forschenden: Sein PhD Student Programm und sein Postdoctoral Training gehören zu den besten auf der Welt. Das FMI ist ausserdem der Universität Basel angegliedert. Seit 2004 leitet Prof. Susan Gasser das Institut.