MOBILE COMPUTING SUPER-SCHWERPUNKTTHEMA ÜBER ZWEI AUSGABEN MOBILE COMPUTING QUER DURCHS KRANKENHAUS Mobile Computing ist ein Hype. Marktforscher konstatieren eine steigende Zahl an Unternehmen, die mobile E-MailLösungen innerhalb der nächsten zwölf Monate einführen wollen. Offenbar bietet die Entwicklung zum Mobilen Computing zahlreiche Chancen. Sie stellt einen weiteren Schritt zum pa- pierlosen Datenaufkommen im Gesundheitswesen dar. Sie kann Diagnostik und Therapie bei chronischen Krankheiten verbessern und die Information für und über Patienten wirkungsvoll unterstützen. Ein Beispiel geben etwa die Gießener Johanniter. Sie setzen auf ein mobiles Datenerfassungssystem. Weitere Praxisfälle sind diese modernen Systeme für Aufnahme und Verwaltung patientenbezogener Daten ebenso wie Mobile Point-of-CareLösungen. Mobile Diktiersysteme bieten Nutzen für die Ärzteschaft oder das Pflegepersonal in Krankenhäuser: Effizientere Dokumentation und Zeitersparnis gehören zu den vornehmlichen Potenzialen. TEIL 1 Solche Aspekte ergeben für den Gesundheitssektor Vorteile, wie sie in Studien für Industriebereiche bereits festgestellt wurden: höhere Produktivität und niedrigere Kosten durch leicht zugängliche Informationen. Potenziale von Mobilem Computing im Krankenhaus stellen wir in zwei Folgen vor. Konzepte und Praxisanalysen in diesem ersten, Anwendungen und eine Marktübersicht im folgenden zweiten Teil. Hinweis für Unternehmen und Anwender: Stellen Sie Ihre Lösung uns und den Lesern von Krankenhaus-IT Journal vor. (Redaktionsschluss ist der 28.2.2006) Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie MOBILES COMPUTING ZUM NUTZEN FÜR PATIENTEN, ÄRZTE UND GESUNDHEITSWESEN Ein intensiver Erfahrungsaustausch zwi- Welches sind die Ziele dieser Arbeitsgruppe? schen den Akteuren beim Mobilen Computing in der Medizin soll ein erfolgreicheres Vorgehen fördern. Dieses Anliegen hat die Arbeitsgruppe „Mobiles Computing in der Medizin“ (MoCoMed) der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Über die Ziele berichten Prof. Dr. Torsten Eymann und Dr. Andreas Koop. Andreas Koop: Elektronische Informationssysteme sind zu einem integralen Bestandteil der medizinischen Versorgung geworden. Fast ausnahmslos sind deutsche Arztpraxen mit vernetzten ArbeitsplatzPCs ausgestattet. Ebenso durchdringen Abteilungs-Informationssysteme Ambulanzen und bettenführende Stationen der Krankenhäuser jeglicher Versorgungsstufe. Wenn sich dennoch vielerorts ein Unbe- Dr. Andreas Koop: „Die Arbeitsgruppe dient der Verbesserung der gegenseitigen Information, Kommunikation und Kooperation“ 17 MOBILE COMPUTING hagen mit den bestehenden DV-Lösungen manifestiert, so liegt dies ganz wesentlich auch daran, dass die stationären Systeme die Mobilität des Arztes wie auch die des Patienten nur unvollkommen abbilden. Der PC im Stationszimmer unterstützt eben nicht die klinische Visite am Krankenbett, ebenso wenig gelingt es dem Patienten am Heim-PC, ein lückenloses Krankheitstagebuch zu führen. Technologische Innovationen der letzten Jahre bieten nunmehr die Chance, diesen Missstand zu beseitigen und Informationen unmittelbar beim Endnutzer zu erheben bzw. sie auch dort zu präsentieren. Mobile Kleinstrechner wie Handheld, Palmtop oder PDAs, aber auch Laptops und intelligente Handys – „Smartphones“ – erobern unaufhaltsam die Lebensbereiche der am Gesundheitswesen beteiligen Personen, privat wie im Berufsleben. Die Entwicklung zum Mobilen Computing bietet zahlreiche Chancen: sie stellt einen weiteren Schritt zum papierlosen Datenaufkommen im Gesundheitswesen (z. B. bei der elektronischen Patientenakte, beim Remote Data Entry bei klinischen Studien) dar. Sie verbessert Diagnostik und Therapie bei chronischen Krankheiten. Die Patienteninformierung wird wirkungsvoll unterstützt. Zahlreiche Arbeitsgruppen in der Medizin verfolgen individuelle Ziele beim Mobilen Computing. Ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen den Akteuren verspricht ein erfolgreicheres, weil koordiniertes Vorgehen. Dabei beobachten wir jedoch nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch mögliche gesellschaftliche Auswirkungen. Eine Diskussion der gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Auswirkungen des Mobilen Computings soll dadurch erreicht werden, dass wir uns bei unseren Workshops damit befassen, aber vor allem, indem wir bei den einzelnen Projekten die Evaluation eines Nutzens für Patienten, Ärzte oder das Gesundheitswesen als Ganzes anregen. Welche Aufgaben hat die Arbeitsgruppe „MoCoMed“ innerhalb der GMDS? Torsten Eymann: Die Arbeitsgruppe soll innerhalb der GMDS ein Forum für den Austausch von Informationen und Erfahrungen im Bereich Mobiles Computing sein. Ihre Aufgabe besteht auch darin, zu Ko- 18 operationen von Arbeitsgruppen mit ähnlichen Interessen beizutragen. An diesem Gebiet Interessierte sollen sich in der Arbeitsgruppe über den neuesten Stand der Technik, bereits laufende oder durchgeführte Projekte oder mögliche Kooperationspartner informieren können. Aus den gesammelten Erfahrungen sollen Empfehlungen erarbeitet werden, wann der Einsatz von Mobilem Computing sinnvoll erscheint und wann nicht. Ferner wird von der Arbeitsgruppe eine Zusammenarbeit mit entsprechenden Arbeitsgruppen anderer Fachgesellschaften angestrebt. Um den Kontakt und mögliche Kooperationen mit der Industrie zu fördern, werden Ansprechpartner in der Industrie gesucht und diese Kontakte allen zur Verfügung gestellt. Konkret haben wir unter www.mocomed.org eine Internetpräsenz als Kommunikationsplattform aufgebaut sowie unter [email protected] eine dazugehörende E-Mail-Verteilerliste. Wir führen jedes Jahr einen Workshop durch zur Darstellung und Diskussion der laufenden Projekte und zur Anbahnung neuer Kooperationen. Der nächste Workshop findet im Rahmen der Tagung „Praxis der Informationsverarbeitung in Krankenhaus und Versorgungsnetzen“ (KIS-Tagung) am 02.06. 2006 in Frankfurt statt. Die Ergebnisse dieser Workshops veröffentlichen wir jeweils in einem im Buchhandel erhältlichen Tagungsband. Wie ist die Arbeitsgruppe gegründet worden? Torsten Eymann: Im Juli 2000 wurde von Dipl.-Inform. Med. Andreas Koop, damals Universität Köln, Dr. med. HansBernd Bludau, damals Universität Heidelberg und Prof. Dr. Ralph Mösges, Universität Köln, ein Antrag zur Gründung der Projektgruppe an die GMDS gestellt. Im April 2001 gab es dann den ersten Workshop „Mobiles Computing in der Medizin“ an der Universität zu Köln. Mittlerweile wurde im September 2005 bereits der 5. Workshop „Mobiles Computing in der Medizin“ durchgeführt, eingebettet in die 50. GMDS-Jahrestagung an der Universität Freiburg. Wie werden laufende Projekte von der Arbeitsgruppe unterstützt? Prof. Dr. Torsten Eymann: „Die Arbeitsgruppe soll innerhalb der GMDS ein Forum für den Austausch von Informationen und Erfahrungen im Bereich Mobiles Computing sein“ Andreas Koop: Die Arbeitsgruppe dient der Verbesserung der gegenseitigen Information, Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen, die Projekte zum Einsatz mobiler Informationstechnologie im medizinischen Umfeld selber durchführen oder fördern wollen. Diese Projekte werden auf unserer Webseite aufgelistet. Zu jedem Projekt gibt es eine Kurzbeschreibung und eventuell weiterführende Informationen im Internet. Dazu wird mindestens ein Ansprechpartner genannt. Wir möchten damit „best practices“ weitergeben, d.h. welche Technologien in welchem Anwendungsbereich funktionieren, aber auch welche scheitern und aus welchen Gründen. Die dahinter liegende Idee ist immer eine der Kooperation zwischen Anwendern, Forschungseinrichtungen und der Industrie. Die hier gelisteten Firmen bieten Ansprechpartner an für Mobiles Computing, sind an der Weiterentwicklung der Technologie interessiert, an neuen Anwendungen, vielleicht auch an gemeinsamer Forschung und Entwicklung. Welche Rolle spielt die Leitung der Arbeitsgruppe? Torsten Eymann: Der Leitung fällt die Aufgabe zu, Website und Mailingliste zu be- treiben, Ansprechpartner in Firmen zu suchen und diese Kontakte allen zugänglich zu machen, Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen, Arbeitsgruppensitzungen durchzuführen, Workshops zu organisieren oder dafür zu sorgen, dass Arbeitsgruppenmitglieder Workshops durchführen. Die Arbeitsgruppenleitung freut sich natürlich über jede Mitarbeit bei diesen Aufgaben. Ansonsten führen die Mitglieder der Leitung selber Projekte im Mobilen Computing durch. Dr. Andreas Koop wurde im September 2005 für die nächsten drei Jahre als Leiter der Arbeitsgruppe bestätigt und ich selbst zum Stellvertreter gewählt. Wer ist Mitglied der Arbeitsgruppe? Andreas Koop: Es gibt keine explizite Mitgliederliste. Jeder kann sich in die Mailingliste aufnehmen lassen und jeder kann zeigen, mit was er, sie oder das Team sich gerade beschäftigt, indem die eigenen Projekte in die Projektliste eingetragen werden. Die Mitarbeit bei der Arbeitsgruppe ist nicht auf Mitglieder der GMDS oder der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) beschränkt. Insofern würden wir uns natürlich freuen, wenn möglichst viele Leser sich für die Arbeit der MoCoMed-Gruppe interessieren und sich bei uns mit Diskussionen und Projekten einbringen. Profile Dr. Andreas Koop ist Project Manager bei der F. Hoffmann-La Roche AG in Basel. Seine Forschung und Arbeitsschwerpunkte gelten der Medizinischen Informatik seit 1993 und dem Mobilen Computing seit 1998, momentan mit dem Focus auf Electronic Patient Diaries und Electronic Data Capture. Prof. Dr. Torsten Eymann ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik (BWL VII) an der Universität Bayreuth (www.wi.uni-bayreuth.de). Seine Forschung beschäftigt sich mit Informationssystemen des 21. Jahrhunderts, die hochvernetzt über drahtlose Kommunikationswege miteinander interagieren. Das Netz ist der Computer – die Geräte werden für unsere Augen unsichtbar und mit der physischen Umgebung „verwoben“, z. B. als RFID-Chips in Gegenständen, Kleidungsstücken, Möbeln, Wänden oder medizinischen Geräten. MOBILE „JA“ – ABER GEZIELT: Statements von Prof. Dr. Otto Rienhoff, Leiter Medizinische Informatik Universität Göttingen Mobile Computing ist auf dem Weg zum Hype. Doch Skepsis ist angebracht. Prof. Dr. Otto Rienhoff, Medizinische Informatik Universität Göttingen, weist die Richtung. Was ist an Mobile Computing für die Klinik dran? Prof. Rienhoff: Zwar ist viel Werbematerial vorhanden über den großen Durchbruch von Mobile Computing, aber es mangelt bislang an Studien, die diesen Anspruch auch belegen können. Je länger Mobile Computing im Klinikbetrieb braucht, um zum Zugpferd zu werden, desto mehr wird die Werbetrommel gerührt. Mobile Computing ist ein Hype, und wer diese Technik nicht im Einsatz hat, ist offenbar niemand. Ist Skepsis angebracht? Prof. Rienhoff: Die Technik kann Probleme bringen, dazu gehört etwa bei den PDA die Lesbarkeit von Akten. Zudem gibt es ein Präsentationsproblem der Daten vor allem im und Sekundär- und Tertiär-Bereich. Dazu werden erst Konzepte entwickelt. Es gibt immer mehr Daten in immer komplexeren zeitlichen Verläufen. Sie müs- sen ausgewertet werden, um zu einer vernünftigen klinischen Entscheidung zu kommen. Dies ist an den herkömmlichen 2x2, an traditionellen Krankenakten-Tableaus angelehnten Bildschirmdarstellungen, nicht möglich. Zwar ist Archivierung und Retrieval der Daten derzeit ein großes Thema, das jedoch davon ablenkt, wie sich Daten vernünftig präsentieren lassen. Die Reduktion der Daten auf die kleinen mobilen Geräte lässt dieses Problem eskalieren. Hier reicht der Blick weit über die reine Technik hinaus? Prof. Rienhoff: Uns stellt sich nicht mehr die Frage der technischen Innovation mit eineinhalbjährigen Innovationszyklen, sondern vielmehr die Frage der kognitiven Innovation mit zehnjährigen Innovationszyklen. Weiterhin ist die Wirtschaftlichkeit wegen der Faradayeffekte davon abhängig, wie die Gebäudestruktur beschaffen ist. Daher wird es sicher gemischte Strukturen geben. Zudem ist es unklar; wie die Mobile Computing-Strukturen datenschutzrechtlich organisiert werden müssen. Es darf nicht sein, dass Ärzte auf dem PDA – die auch schnell mal verschwinden kön- nen – ungeschützte und unverschlüsselte Patientendaten herumtragen. Prof. Dr. Otto Rienhoff: „Die Frage nach kognitiver Innovation mit zehnjährigen Innovationszyklen“ Wohin investiert man bei IT? Prof. Rienhoff: Wenn Mobile Computing etwas bringen soll, muss sie die Qualität wesentlich verbessern oder die Wirtschaftlichkeit. Bei den vorhandenen Budgets der Krankenhäuser in Deutschland ist eine durchgreifende IT-Realisierung nicht möglich. Also lautet die Frage: Wo erreicht man mit vorhandenen Mitteln das Meiste? Ob das bei Mobile ComputingAccessoires im Klinikbetrieb der Fall ist, bleibt derzeit offen. Lediglich ein gezielter, sehr wohl mit Blick auf Wirtschaftlichkeit und Datenschutz geprüfter Einsatz ist sinnvoll. Keinen Sinn dagegen macht das Gießkannenprinzip oder auch eine plakative Glaubensaussage als Motivation. www.uni-goettingen.de 19