Pharmazeutische Chemie - Alectinib Alectinib (Alecensa®) Alectinib (Alecensa®) ist ein weitererr oral verfügbarer Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI), der bei Lungenkrebs eingesetzt wird. Wie die bereits zugelassenen TKIs Crizotinib (Xalkori®, seit 2012) und Ceritinib (Zykadia®, seit 2015) (s. Neue Arzneistoffe 2012: Crizotinib und Neue Arzneistoffe 2015: Ceritinib) ist Alectinib ein Inhibitor der ALKRezeptor-Tyrosinkinase (ALK = Anaplastische Lymphom-Kinase). Abbildung 1 Genetische Veränderungen im ALK-Gen wurden zum ersten Mal 1994 bei Patienten mit einem anaplastisch-großzelligen Lymphom (ALCL) entdeckt. Durch eine chomosomale Translokation wird ein Fusionsprotein bestehend aus Nukleophosmin (NPM) und ALK gebildet (Morris et al. 1994, Iams und Lovly 2015). Mehr als ein Jahrzehnt später wurden analoge Fusionsproteine, bei denen ALK mit EML4 (echinoderm microtubule-associated protein like 4) fusioniert war, bei Patienten mit nichtkleinzelligem Bonchialkarzinom (NSCLC) entdeckt (Soda et al. 2007). Bei 3 bis 7% der NSCLC-Patienten kommen solche ALK-Genumlagerungen vor, wodurch Fusionsonkogene entstehen. Zahlreiche verschiedene Gene, die mit dem ALK-Gen fusioniert sind, konnten identifiziert werden, wobei die häufigste die EML4-ALKFusion ist. Das Translationsprodukt dieses fusionierten Gens behält seine katalytische ALK-Kinase-Domäne. Obwohl noch wenig über die physiologischen ALK-Funktionen bekannt ist (ALK wird eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Funktionsfähigkeit des ZNS zugeschrieben, wo es u.a. Zelldifferenzierung und – proliferation kontrolliert (Yao et al. 2013)), kennt man zumindest physiologische Liganden und vermutet, dass die ALK-Rezeptor-Tyrosinkinase normalerweise durch Bindung seiner Liganden, u.a. die Wachstumsfaktoren Pleiotrophin und Midkin, an die extrazelluläre Domäne aktiviert wird und Signale ins Zellinnere weiterleiten kann (Lu et al. 2005). Durch die Fusion der ALK-Kinase-Domäne mit EML4, kommt es zur einer EML4ALK-Dimerisierung ohne Ligandenbindung. Die Dimerisierung ist essentiell für die EML4-ALK-Aktivität (Soda et al. 2007). Somit wird die ALK-Kinase ohne extrazelluäre Bindung eines Liganden konstitutiv aktiviert und ihr onkogenes Potential erhöht. Intrazellulär bedeutet dies nämlich eine dauerhafte Aktivierung des MAPK-Signalweges (mitogen activated protein kinase), des JAK/STAT-Signalweges sowie des PI3K-Signalweges (phosphatidyl-inositol-3-kinase) mit einer dauerhaften Stimulation des Zellwachstums, der Zellmigration, der Angiogenese sowie des Zellüberlebens, was zu einem verstärkten Wachstum von Krebszellen mit Infiltration in andere Gewebe und Metastasierung führt (Iams und Lovly 2015, Holla et al. 2017, Roskoski 2017). Einen Beitrag zum onkogenen Potential des EML4-ALKFusionsproteins leisten zusätzlich auch noch Amplifikationen des ALK-Genlokus und 1 Christian Asche 1.3.2017 Pharmazeutische Chemie - Alectinib aktivierende Mutationen („gain-of-funktion Mutationen“), von denen die meisten in der Kinase-Domäne des Fusionsproteins liegen einschließlich der zwei wichtigsten, den „hot spot“-Mutationen, die ca. 85% aller primären ALK-Mutationen ausmachen: 1) F1174; das Phenylalanin (F) ist substituiert durch Cystein (C), Leucin (L), Isoleucin (I), Serin (S) oder Valin (V). 2) R1275; das Arginin (R) an Position 1275 ist substituiert durch Glutamin (Q) oder Leucin (L) (Holla et al. 2017). Von den drei jetzt zugelassenen ALK-Inhibitoren Crizotinib (Xalkori®), Ceritinib (Zykadia®) und Alectinib (Alecensa®) wird auschließlich das Crizotinib als Erstlinientherapeutikum bei einem ALK-positiven, fortgeschrittenen NSCLC eingesetzt. Ceritinib und Alectinib werden als Zweitlinientherapeutika eingesetzt nach einer erfolgten Crizotinib-Therapie. Die Erstlinientherapie mit Crizotinib ist einer Standard-Chemotherapie mit einem Platin-Derivat und Pemetrexed überlegen. Die Response-Raten liegen für Crizotinib bei ca. 60%, d.h. schon zu Therapiebeginn liegt in vielen Fällen eine primäre Resistenz vor. Unglücklicherweise entwickelt auch die Mehrzahl der Patienten, die zunächst auf Crizotinib ansprechen, meist innerhalb der ersten 12 Monate eine Resistenz. Für die sekundäre, erworbene Resitenz gegenüber Crizotinib sind hauptsächlich wiederum Mutationen innerhalb der ALK-KinaseDomäne verantwortlich. Zahlreiche solcher sekundärer Mutationen sind bislang beschrieben worden, darunter die beiden häufigsten sekundären Mutationen L1196M, die sogenannte „gate-keeper“ Mutation, bei der das Leucin an Position 1196 durch ein Methionin ersetzt ist, sowie die C1156Y-Mutation (Ersatz des Cysteins an Position 1156 durch Tyrosin). Und erst dann werden die Zweitgenerationen-Hemmer Ceritinib und Alectinib eingesetzt. Alectinib ist bei diesen beiden Mutationen wirksam, allerdings bei anderen seltener auftretenden teilweise auch nicht (s. Tabelle 1) (Choi et al. 2010), Camidge et al. 2012, Sullivan und Planchard 2016). Aktivität gegenüber ausgewählten Mutationen ALKInhibitor L1196M C1156Y Aktivität gegenüber anderen Crizotinib-resistenten Mutationen Ceritinib + - G1269A,I1171T,S1206Y,L1152R, F1174L,V1180L Alectinib + + G1269R,S1206Y, L1152R,F1174L,1151T-ins Tabelle 1: fehlende Aktivität gegenüber Mutationen F1174C,G1202R G1202R,V1280L,I1171T Aktivitäten der Zweitgenerationen-ALK-Inhibitoren Ceritinib und Alectinib gegenüber Mutationen, die eine Crizotinib-Resistenz herbeiführen (nach Sullivan und Planchard 2016) Der neue ALK-Inhibitor Alectinib wird als Monotherapeutikum eingesetzt zur Behandlung des ALK-positiven, fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC) bei Erwachsenen. Zuvor sollten die Patienten mit Crizotinib behandelt worden sein. Dementsprechend sollte auch vor Therapiebeginn ein ALKpositiver NSCLC-Status vorliegen. Damit entspricht die Indikation des Alectinibs der des Ceritinibs (s. Tabelle 2). Die Therapie mit Alectinib erfolgt bis zur Progression der Erkrankung bzw. bis zum Auftreten nicht tolerierbarer Nebenwirkungen/ Toxizitäten. Die Dosierung beträgt zweimal täglich 600mg (4 Hartkapseln mit jeweils 150mg), wobei die Einnahme zusammen mit Nahrung zu erfolgen hat (Fachinformation Alecensa® 2017). Wenn 2 Christian Asche 1.3.2017 Pharmazeutische Chemie - Alectinib Alectinib zusammen mit einer sehr fettreichen Mahlzeit eingenommen wird, erhöhen sich die Alectinib-Exposition, die Exposition seines aktiven Hauptmetaboliten M4 sowie wichtige pharmakokinetische Paramater (cmax, AUC) um ca. das dreifach gegenüber der Einnahme im Nüchternzustand (Morcos et al. 2016, Fachinformation Alecensa® 2017, Morcos et al. 2017). ALK-Inhibitor Indikation(en) Crizotinib Ceritinib Alectinib Erstlinientherapie des fortgeschrittenen ALK+1 NSCLC Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen ALK+NSCLC nach erfolgter 2 Crizotinib-Behandlung Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen ALK+-NSCLC nach erfolgter Crizotinib3 Behandlung Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen, vorbehan1 delten ALK+-NSCLC Zur Therapie des fortgeschrittenen 1 ROS1+-NSCLC Tabelle 2: Abbildung 2: Indikationen der zugelassenen ALK-Inhibitoren 1 2 Fachinformation Xalkori® 2016, Fachinformation Zykadia® 3 2016, Fachinformation Alecensa® 2017 Vorgeschlagener Reaktionsweg für die Bildung des aktiven Hauptmetaboliten M4 über CYP3A4 3 Christian Asche 1.3.2017 Pharmazeutische Chemie - Alectinib Die absolute Bioverfügbarkeit (bei Gesunden) liegt bei der Einnahme zusammen mit Nahrung bei 36,9%. In der Leber wird Alectinib fast auschließlich über CYP3A4 metabolisiert, wobei Alectinib zwar ein Substrat für CYP3A4 ist, selber aber nur ein schwaches Induktionspotential für CYP3A4 besitzt. Bei gleichzeitiger Einnahme des Alectinibs mit Induktoren bzw, Inhibitoren von CYP3A4 muss man aber mit Interaktionen rechnen. Andere CYP-Isoenzyme spielen bei der AlectinibMetabolisierung keine Rolle. Der Hauptmetabolit M4 entsteht vermutlich unter Beteligung von CYP3A4 über mehrere Reaktionsschritte durch HydroxyethylaminDesalkylierung am Morpholin-Ring (s. Abbildung 2) und weist eine ähnliche Aktivität wie Alectinib auf. Die Halbwertszeiten für Alectinib und seinen aktiven Hauptmetaboliten M4 betragen ca. 32,5 Stunden bzw. 30,7 Stunden. Die Ausscheidung erfolgt fast ausschließlich über den Faezes (ca. 98%). Die Ausscheidung über die Nieren ist vernachlässigbar klein (<1%) (Morcos et al. 2016, Fachinformation Alecensa® 2017, Morcos et al. 2017). Alectinib (AF-802, CH-5424802, RO-5424802) ist wie Ceritinib ein ALK-Inhibitor der zweiten Generation, die dem Erstgenerationen-Hemmer Crizotinib in kurzer Zeit nachfolgt. Außerdem ist Alectinib wie die anderen beiden ALK-Inhibitoren auch ein hochselektiver, ATP-kompetitiver, reversibler Inhibitor der ALK-RezeptorTyrosinkinase sowie seiner onkogenen Varianten, wie z.B. des Fusionsproteins EML4-ALK. Alectinib ist ebenso wirksam bei sekundärer Crizotinib-Resistenz hervorgerufen durch zwei der häufigsten sekundären Mutationen, der „gate-keeper“Mutation L1196M und der Mutation C1196Y. Alectinib bindet innerhalb der ATPBindungstasche der Kinase-Domäne, verdrängt ATP aus seiner physiologischen Bindung. In zellfreien Kinase-Essays besitzt Alectinib eine zehnfach größere Potenz als Crizotinib (IC50 = 1,9nM). Die Dissoziationskonstante (KD) des Alectinibs beträgt für die ALK-Kinase in einem ATP-kompetitiven Essay 2,4nM. Gegenüber anderen Kinasen zeigt Alectinib keine signifikanten Aktivitäten (Ambit’s 402 Kinasen Screening). Lediglich drei Kinasen (ALK, GAK (Cyclin-G assoziierte Kinase) und LTK (leukocyte receptor tyrosine kinase)) weisen bei einer Konzentration von 10nM eine mehr als 50-prozentige Hemmung auf, wobei LTK zur selben Rezeptorfamilie wie ALK gehört. Beide sind Mitglieder der Insulin-Rezeptor-Familie und weisen dementsprechend eine große Sequenz-Homologie untereinander auf (Sakamoto et al. 2011, Kinoshita et al. 2012, Romanidou et al. 2016, Tran und Klempner 2016, Wu et al. 2016). Durch die Hemmung der ALK-Domäne in aberrant aktivierten Fusionsproteinen wie EML4-ALK wird deren Autophosphorylierung sowie die Phosphorylierung nachgeschalteter Proteine gehemmt, wie z.B. bei Proteinen des JAK/STATSignalweges. So wird z.B. die Phosphorylierung von STAT3 an Tyrosin 705 komplett gehemmt. Damit werden die nachgeschalteten Signalwege blockiert (MAPK, JAK/STAT und PI3K), es werden keine Wachstums-, Differenzierungssignale, etc. an die Tumorzellen mehr übermittelt, sondern es kommt vielmehr zu einer Induktion der Apoptose in diesen Zellen (Iams und Lovly 2015, Holla et al. 2017, Roskoski 2017). Von der chemischen Struktur her ähneln sich die drei jetzt verfügbaren ALKInhibitoren nicht (s. Abbildung 3). Die älteste Verbindung Crizotinib ist ein sehr flexibles 2-Aminopyridin-Derivat mit insgesamt vier Ringsystemen, die alle über frei drehbare Einfachbindungen miteinander verbunden sind. Ceritinib besitzt als chemisches Template eine Phenylamino-Pyrimidin-Struktur, die bereits aus dem ersten zugelassenen TKI Imatinib (Glivec®) bekannt ist. Alectinib besitzt als 4 Christian Asche 1.3.2017 Pharmazeutische Chemie - Alectinib Pharmakophor ein sterisch rigides 11-Oxo-5H-benzo[b]carbazol-Ringsystem mit Indol-Partialstruktur. Das Benzo[b]carbazol-Ringsystem ist fast planar, lediglich das sp3-hybridisierte C6 ragt aus der Ebene heraus. An Position 3 ist eine Cyano-Gruppe vorhanden. C-Atom 6 trägt zwei Methyl-Gruppen, an Position 9 findet sich ein EthylRest und die Position 8 trägt u.a. zur Verbesserung der Pharmakokinetik zwei weitere Heterozyklen. Zunächst ist ein Piperidin-Ring mit seinem Stickstoff an Position 10 des Benzocarbazols gebunden. An C4 des Piperidins ist über eine N-CBindung ein Morpholin-Ring linear angeschlossen. Abbildung 3: Strukturvergleich der drei bislang zugelassenen ALK-Inhibitoren 5 Christian Asche 1.3.2017 Pharmazeutische Chemie - Alectinib Eine Kristalstruktur, die Alectinib im Komplex mit der humanen ALK darstellt, zeigt, dass Alectinib tatsächlich an die ATP-Bindungsstelle innerhalb der ALK-Kinase im sogenannten DFG-in-Bindungsmodus bindet (Sakamoto et al. 2011). Das Benzo[b]carbazol-Grundgerüst mit seinen Substituenten ist über zahlreiche Wechselwirkungen mit Aminosäuren bzw. Lösungsmittel/Wasser stabilisiert. Die Carbonyl-Gruppe bildet eine H-Brücke zur Seitenkette des Methionins 1199 in der Hinge-Region aus. Der Indol-Stickstoff sowie die 3-Cyano-Gruppe sind in ein Wasserstoffbrücken-Geflecht über Lösungsmittel- und H2O-Moleküle mit den benachbarten Aminosäuren Lysin1150, Glutamat1167, Glycin1269, Glutamat1270 und Arginin1253 integriert. Interessanterweise kommt es auch zur Ausbildung bestimmter hydrophober Interaktionen, z.B. sogenannte CH/π-Wasserstoffbrücken. Der fast planare Benzo[b]carbazol-Heterozyklus liegt in einer flachen Tasche der ATP-Bindungsstelle mit vornehmlich hydrophoben Aminosäuren. Leucin1196 ( „gate-keeper“ Mutation L1196M!) liegt hier in Nähe des C-Atoms der 3-CyanoGruppe und die Distanz von ca. 3,6 Angstrom ist optimal für eine CH-π-Interaktion. Zwischen Crizotinib und Leucin ist diese Interaktion nicht möglich. Zusätzliche Modelling-Arbeiten verdeutlichen, dass Alectinib selbst in der mutierten und Crizotinib-resistenten L11196M-ALK-Kinase diese CH-π-Interaktion auch mit dem Methionin aufrechterhalten kann, was ein Hinweis für die Wirksamkeit des Alectinibs bei Vorliegen der Crizotinib-resistenten L1196M-Mutation sein kann (Sakamoto et al. 2011). Literatur: Camidge, D. et al. Lancet Oncol 2012, 13, 1011 Choi, Y. et al. N Engl J Med 2010, 363, 1734 Fachinformation Alecensa® 2017, Roche Registration Limited Fachinformation Xalkori® 2016, Pfizer Limited Fachinformation Zykadia® 2016, Novartis Europharm Limited Holla, V.R. et al. Cold Spring Harb Mol Case Stud 2017, 3: a001115 Iams, W.T. und Lovly, C.M. Cancer J 2015, 21, 378 Kinoshita, K. et al. Bioorg Med Chem 2012, 20, 1271 Lu, K.V. et al. J Biol Chem 2005, 280, 26953 Morcos, P.N. et al. Clin Pharmacol Drug Dev 2016, doi: 10.1002/cpdd.296. Morcos, P.N. et al. Xenobiotica 2017, 47, 217 Morris, S.W. et al. Science 1994, 263, 1281 Romanidou, O. et al. Ther Adv Med Oncol 2016, 8, 176 Roskoski, R. Jr Pharmacol Res 2017, 117, 343 Sakamoto, H. et al. Cancer Cell 2011, 19, 679 Soda, M. et al. Nature 2007, 561 Sullivan, I. und Planchard, D. Ther Adv Med Oncol 2016, 8, 32 Tran, P.N. und Klempner, S.J. Front Med (Lausanne) 2016, 3, 65 Wu, J. et al. J Hematol Oncol 2016, 9, 19 Yao, S. et al. PLoS One 2013, 8: 63757 6 Christian Asche 1.3.2017