Claudia Pechstein Teil 5: Blut-Doping

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6. November 2010
Claudia Pechstein Teil 5:
Blut-Doping-Verfahren – Literatur-Zusammenstellung
gekürzte Fassung
Seite
1
2
3
4
5
6
Einleitung
Gesamt-Einordnung
Blut-Doping-Konzepte – Grundvoraussetzungen: Rechnerisch in einem
unphysiologisch-statischen Modell
Blut-Doping-Konzepte
4.1 Epo einmalig hoch-dosiert
4.2 Epo einmalig hoch-dosiert mit oder ohne Eisen
4.3 Epo hoch-dosiert zwei Gaben plus Eisen
4.4 Epo niedrig-dosiert täglich gegeben für 4 Wochen + Eisen
4.5 Epo niedrig-dosiert 3 x pro Woche für 4 Wochen + Eisen
4.6 Epo Mikrodosis-Konzept plus Eisen (Ashenden)
4.7 Hematide einmalig gegeben plus Eisen
4.8 Androgene/Anabolika
4.9 Wachstumshormone und verwandte Substanzen IGF-1
4.10 G-CSF – Wachstumsfaktoren für die Stimulierung der weißen
Blutkörperchen nach Chemotherapie
4.11 Eigenblut-Entnahme plus Eisen und Retransfusion
Zu Manipulationsmöglichkeiten bei den Blutparametern
Retikulozytenzahl, Hämoglobinwert und Hämatokrit
5.1 Natürliche Schwankungen von Erythrozytenzahl, Hämoglobinwert und
Hämatokrit
5.2 Manipulationsmöglichkeiten für Erythrozytenzahl, Hämoglobinwert und
Hämatokrit (die mir bekannten)
Hinweis
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24
24
25
26
1
Einleitung
Frau Pechstein wurde wegen Blutdopings zu einer 2-jährigen Sperre verurteilt. Für solches
Doping stehen unbegrenzt viele Möglichkeiten zur Verfügung: Erythropoetin und seine
unzähligen verwandten und analogen Substanzen sowie viele andere Substanzen mit blutstimulierenden Eigenschaften.
Neben klassischem Erythropoetin und seinen Varianten stehen folgende Epo-analoge
Substanzen oder Verfahren zur Verfügung:
1.
Unzählige Epo-Mimetics wie Hematide; sie wirken wie Epo (ahmen Epo nach)
haben aber eine ganz andere Struktur
2.
Vielfältige gentherapeutische Ansätze. Als Beispiel sei „Repoxygen“ genannt,
das im Kontext „Springstein“ aufgefallen ist. Mit einem „adenoviralen genshuttle“
(ich habe das auch noch nie gemacht) wird das Epo-Gen von Adenoviren in
Muskelzellen eingeschleust und produziert dann dort Epo.
3.
Zahlreiche Induktoren der Epo-Sythese. Es handelt sich dabei um sehr
unterschiedlich in die Epo-Biologie eingreifende Substanzen. Dabei funktioniert
das Wirkprinzip in einigen Fällen um mehrere Ecken. Zum Beispiel inhibiert die
Substanz „FG-2216“ die Funktion des Enzyms Prolylhydroxylase, das für den
Abbau des so genannten „Hypoxie-induzierten Faktors“ verantwortlich ist. Durch
die so erreichte HIF-Stabilisierung wird das EPO-Gen überexprimiert.
4.
Chimäre Epo-Proteine und Kombinationssubstanzen
Im Kontext Blutdoping wird oft über den Hämoglobingehalt des Blutes, den Hämatokritwert
und die Zahl der Retikulozyten gesprochen. Der Hämatokrit gibt den Prozentsatz an, den
rote Blutkörperchen am Blut einnehmen; ein Wert von 45% bedeutet, dass die Erythrozyten
45% des Blutes ausmachen; der Rest ist Flüssigkeit. Die weißen Blutkörperchen und die
Blut-Plättchen nehmen nur einen ganz geringen Volumenanteil ein und können beim
Hämatokrit vernachlässigt werden.
Auch wenn der Hämoglobin-Gehalt des Blutes im Dopingkontext oft diskutiert wird, ist die
Vergrößerung der Gesamtmasse des Hämoglobins des Körpers auch von großer
Wichtigkeit. Die Leistungsfähigkeit eines Ausdauer-Sportlers steigt, wenn er mehr
Hämoglobin pro ml Blut hat. Sie steigt in gewissem Rahmen aber auch, wenn er bei
gleichem Hämoglobingehalt 6 statt 5 Liter Blut hat. Jede Form von Blut-Doping vergrößert
beide Parameter: Es ist umstritten, welcher der beiden Effekte wichtiger ist. Wenn Herzkraft
und Lungen die Leistung limitieren, ist es wichtig, dass pro Herzschlag möglichst viel
Sauerstoff transportiert wird. Eine höhere Hämoglobinkonzentration (pro 100ml) bedeutet,
dass bei gleicher mechanischer Arbeit mehr Sauerstoff pro Herzaktion gefördert wird. Das
vergrößerte Blutvolumen ist bei dieser Problematik nur dahingehend von Bedeutung, dass je
mehr Blut vorhanden ist, dieses umso besser von der arbeitenden und damit pumpenden
Muskulatur zum Herz zurück transportiert wird.
Problematisch ist, dass die Gesamtmasse des Hämoglobins nur indirekt z. B. durch CORückatmungstechniken gemessen werden kann, wie von Prof. Dr. Schmidt, Bayreuth,
beschrieben.
2
In dieser Stellungnahme sollen folgende Themen behandelt werden.
1. Gesamt-Einordnung des Blutdoping-Problems
2. Blut-Doping rechnerisch in einem unphysiologischen-statischen Modell
3. Welche Verfahren des Blut-Dopings stehen zur Verfügung?
4. Durch welche Verdünnungsmaßnahmen kann Blutdoping verdeckt werden?
2
Gesamt-Einordnung
Dr. Pöttgen, Darmstadt – Medizinischer Leiter IRONMAN GERMANY
Ski-Langläufer
Wie weit verbreitet Blut-Doping ist oder zumindest war, kann u.a. in
der Arbeit von Dr. Pöttgen nachgelesen werden. So lagen 1999 bei
der Ski-Langlauf-WM alle männlichen Medaillengewinner mit ihrem
Hämoglobinwert über 17 g/dl. Heute erhielten alle diese Sportler eine
„Schutzsperre“ und hätten an den Wettbewerben nicht teilnehmen
können. Heute gibt es nicht mehr viele Langläufer mit solchen
Werten. In Wikipedia kann man nachschauen, wer damals die
Medaillengewinner waren („WM 1999“ eingeben und dann nach
„nordische Ski-WM“ suchen): u.a. Dählie, Hjelmeset, Stadlober, die
4x10-km-Staffel aus Österreich, die üblichen Finnen, die norwegische
Staffel, die italienische Staffel und so weiter.
Abbildung von Dr. Pöttgen:
3
Die Schwankungen des mittleren Hämoglobinwertes der SkiLangläufer sind durch keine biologische Gegebenheit erklärbar.
Einzelne Sportler haben von Natur aus hohe Blutwerte. Wenn sich
jedoch die Mittelwerte eines ganzen Kollektivs mit der Veränderung
der Grenzwerte für Sperren verändert, ist dies nur durch Manipulation
erklärbar. Im Einzelfall mag es sich um Effekte von HöhenTrainingslagern handeln. Für die in der Abbildung dargestellten Werte
muss man sehr, sehr lange in Höhentrainingslagern und auf sehr
großer Höhe sein – und zwar alle Ski-Langläufer.
K. Pöttgen: Biomonitoring Blut beim Athleten als indirekter
Manipulationsnachweis. Medical Triathlon World 2008: Seiten 5-9
Eisschnell-Läufer
Während bei Ski-Langläufern Blut-Doping zumindest zeitweise
zumindest häufig wenn nicht flächendeckend von Spitzenathleten
eingesetzt wurde, war es bei den Eisschnell-Läufern zumindest in der
Olympia-Saison 2006 keinesfalls weit verbreitet. Das wird aus der
Publikation von Kuipers et al deutlich, nach der die
Olympiateilnehmer in dieser Disziplin eine normal verteilte
Hämoglobinwert-Kurve wie die altersgleiche Normalbevölkerung
hatten. Das heißt, die Spitzensportler hatten Hämoglobinwerte wie
alle anderen auch. Es gab auch keine Asymmetrie der Kurve mit
vielen Werten in der Nähe der Spergrenzen.
Allerdings muss man hier etwas vorsichtig sein, denn Prof. Dr.
Kuipers ist einerseits der Erstautor dieser Studie und andererseits der
Doping-Kontrolleur der International Skating Union. Er hat somit in
dieser Publikation die Qualität seiner eigenen Doping-Kontroll-Arbeit
überprüft. Wie aus meiner Stellungnahme „Pechstein 3 – die Arbeit
der Doping-Kontrolleure“ zeigt, sind hier Zweifel angebracht, ob er
wirklich mit letzter Konsequenz Dopingsünder sucht.
Kuipers H, Moran J, Mitchell DW, Shobe J, Dubravcic-Simunjak S,
Sakai H, Ambartsumov R: Hemoglobin levels and athletic
performance in elite speed skaters during the olympic season 2006.
Clin J Sport Med 17: 135-139, 2007.
4
3
Blut-Doping-Konzepte – Grundvoraussetzungen
Blut-Doping
Was auch immer zur Stimulation der Bildung roter Blutkörperchen
eingesetzt wird, an der Biologie der Erythropoese kommt es nicht
vorbei. Drei Gesetzmäßikeiten beherrschen diese Biologie.
1.
Diese Biologie besteht darin, dass eine Vermehrung der
Erythrozyten sich über eine zumindest temporäre Vermehrung
der Retikulozyten verrät. Diese Vermehrung kann durchaus unter
der Grenze der Doping-Kontrolleure von 2.4% bleiben.
2.
Der Retikulozytenanstieg kommt immer mit Verzögerung so wie
bei einer Automobil-Fabrik eine beschlossenene Verdopplung
der Produktion nicht am gleichen Tag zu einer doppelten
Auslieferung von Neu-Fahrzeugen führt. Die Latenzzeit zwischen
dem Befehl „Verdopplung der Ery-Produktion“ und dem Anstieg
der Retikulozytenzahl liegt systembedingt bei 3-4 Tagen. Es ist
wie in einer Automobilfabrik: Was auch immer die
Produktionssteigerung auslöst, die firmen-internen Abläufe
bleiben prinzipiell gleich, nur das Tempo kann sich steigern.
So ist kein Dopingverfahren bekannt, bei dem eine schnellere
Verdopplung der Retikulozytenzahl erzielt wird als mit sehr
hohen Dosen Erythropoetin.
3.
Unabhängig von der eingesetzten Substanz gibt es eine
charakteristische Sequenz aus Retikulozytenanstieg und erst
nachfolgendem Anstieg des Hämoglobinwertes.
Verhielten sich die roten Blutkörperchen wie ein einfaches
mathematisches Modell mit 100-tägiger Lebensdauer der Erys,
exakt 24-stündiger Reifungszeit der Retikulozyten bei
konstantem Blutvolumen, könnte man Dauer und Dosierung
eines Blut-Dopings mit den Fingern abzählen. Dann ergäbe sich,
dass täglich etwa 1% der Erythrozyten abgebaut und durch neue
Zellen ersetzt werden. Da die Retikulozyten einen Tag als solche
nachweisbar wären, folgte daraus, dass die natürliche
Retikulozytenzahl bei etwa 1% liegen muss. In Normwertstudien
liegt der Mittelwert auch tatsächlich bei etwa 1%.
5
4
Blut-Doping-Konzepte
4.1
Epo einmalig hoch-dosiert
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Verlauf der Retikulozytenzahl
nach einer einmaligen Applikation von (150 IU/kg) bzw. 300 IU/kg
Erythropoetin. Die Retikulozytenzahl beginnt ab Tag (2) bis 3 deutlich
zu steigen. Der mittlere Maximalwert liegt bei 2%. Sechs Tage nach
der Applikation fällt der Wert wieder.
Epo einmalig:
Major A, Bauer C, Breymann C, Huch A, Huch R: rh-Erythropoietin
stimulates immature reticulocyte release in man. British Journal of
Haematology 87: 605-608, 1994
Reti Prozent
4,0
3,0
2,0
1,0
0,0
0
2
4
6
8
Tage nach 300 IU/kg Epo
6
4.2
Epo einmalig hoch-dosiert mit oder ohne Eisen
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Verlauf der Retikulozytenzahl
nach einer einmaligen Applikation von 300 IU/kg Erythropoetin
intravenös. Zusätzlich wurden 200 mg Eisen intravenös gegeben
parallel zur Epo-Gabe. Deutliche Unterschiede bei den
Retikulozytenwerte sind nicht zu verzeichnen. Der mittlere
Maximalwert liegt bei 2.8% bei der Gruppe, die zusätzlich Eisen
erhalten hat. Acht Tage nach der Applikation fällt der Wert wieder.
Epo einmalig:
Major A, Mathez-Loic F, Rohling R, Gautschi K, Brugnara C: The
effect of intravenous iron on the reticulocyte response to recombinant
human erythropoetin. British Journal of Haematology 98: 292-294,
1997
ohne Eisen
mit Eisen
Reti Prozent
4.0
3.0
2.0
1.0
0.0
0
2
4
6
8
10
Tage nach 300 U/kg Epo iv
7
4.3
Epo hoch-dosiert zwei Gaben plus Eisen
Epo hoch-dosiert:
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Verlauf der Retikulozytenzahl
nach einer hoch-dosierten Epo-Applikation von 300 Einheiten/kg. Die
Gabe an den Tagen 1+2 kann praktisch als Einmal-Dosierung
angesehen werden. Die Retikulozyten beginnen ab Tag vier nach
der Applikation deutlich über 2 zu steigen, das Maximum liegt bei
2.7%.
Die gleiche Dosis aufgeteilt auf die Tage 1 und 4 zeigt einen
deutlicheren Anstieg zeitgleich beginnend, aber bis auf Werte knapp
unter 4% steigend.
Der Hämoglobinwert stieg bei Beobachtung bis Tag 11 nur in der
Tag-1-Tag-4-Gruppe um 0.8 g/dl. Exakte Hämoglobinwerte
insbesondere zum Verlauf sind nicht angegeben.
Reti-Werte aus Abbildungen entnommen und teils umgerechnet. Nur
wenige Probanden, dadurch unsicherer Werteverlauf.
Breymann C, Bauer C, Major A, Zimmermann R, Gautschi K, Huch A,
Huch R: Optimal timing of repeated rh-erythropoietin administration
improves its effectiveness in stimulating erythropoiesis in healthy
volunteers. Br J Haematol.92: 295-301, 1996.
Abbildung: Verlauf der Retikulozytenzahl nach hoch-dosiertem Erythropoetin: 300
mg/kg/Tag zweimal an den Tagen 1+2 oder den Tagen 1+4
Kontrolle
300 T1+2
300 T1+4
Retikulozyten
%
5
4
3
2
1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Tage
8
4.4
Epo niedrig-dosiert täglich gegeben für 4 Wochen + Eisen
Die nachfolgende Abbildung zeigt den Verlauf von Hämoglobin und
Retikulozytenzahl unter einer vierwöchigen täglichen Epo-Applikation.
Bei diesem niedrig-dosierten Regime wird ein Anstieg um mehr als 1
g/dl erst nach vier Wochen erreicht. Der Anstieg der Retikulozyten auf
2.5 % geht diesem Anstieg um etwa 14 Tage voraus.
Epo täglich:
Audran et al: Effects of erythropoetin administration in training
athletes and possible indirect detection in doping control. Med Sci
Sports Exerc. 31:639-45, 1999: 50 IU/kg pro Tag für 26 Tage (die
Zahlen sind Abbildungen entnommen und teils umgerechnet und
somit unpräzise).
Hb-Anstieg g/dl und Retis %
Hb-Anstieg
4.0
Retis
50 IU/kg Epo täglich
3.0
2.0
1.0
0.0
0
10
20
30
40
50
60
Tage nach Start Epo
9
4.5
Epo niedrig-dosiert 3 x pro Woche für 4 Wochen + Eisen
Epo 3 x wöchentlich Wird mit einer niedrigeren Wochendosis von Erythropoetin gedopt (50
IU/kg 3 x wöchentlich), steigen die Retikulozyten nur auf einen
Mittelwert von 2.4 bis 2.6% erreicht 10 bis 17 Tage nach Epo-Start.
Allerdings fehlen in dieser Studie Messpunkte zwischen den Tagen 3
und 10.
Der Hämatokrit steigt im Mittel bei diesem Regime bis zum Tag 15
um 5% (z.B. von 45 auf 50%). Das dokumentierte Intervall zwischen
Reti- und Hämoglobin-Anstieg beträgt in dieser Studie 5 Tage (bei
allerdings fehlenden Messungen zwischen Tag 3 und 10). Das
Intervall könnte dementsprechend theoretisch auch länger sein wie
auch kürzer wegen fehlender Werte an den Tagen 11-14.
Parisotto et al: A novel method utilizing markers of altered
erythropoiesis for the detection of recombinant human erythropoietin
abuse in athletes. Haematologica 85:564-572, 2000
Hkt-Anstieg in % - Retis in %
Hämatokrit-Anstieg
Retis
7.0
6.0
5.0
4.0
3.0
2.0
1.0
Start-Hkt 45%
0.0
0
7
14
21
28
35
42
50 IU/kg Epo 3 x wöchentlich für 4 Wochen
49
56
Tage
10
4.6
Epo Mikrodosis-Konzept plus Eisen (Ashenden)
Dieses Regime besteht aus einer Booster-Phase mit sechs hochdosierten Epo-Gaben (260 Einheiten/kg) über 12 Tage plus Eisen.
Danach wurde über drei Wochen hinweg jeden 2. bis 3. Tag
Mikrodosen Epo nachgegeben. Die genaue Dosierung ist nicht
angegeben (um kein Kochrezept für Doper zu bieten), sie lag aber
pro Applikation unter 26 E/kg.
Bei beiden Sportlern stieg der Hämoglobinwert innerhalb von 2
Wochen deutlich von 14.0 auf 16.6 g/dl und von 14.8 auf 17 g/dl. Der
Hämoglobinwert blieb unter der Epo-Mikrodosierung konstant hoch
bei 16.4 bzw. 17 g/dl und lag eine Woche nach Ende der Epo-Gabe
noch bei 16.4 und 16.2 g/dl. Dabei waren die Retikulozytenwerte in
der Mikrodosis-Phase niedrig mit Werten zwischen 0.4 und 1.1%.
In der Booster-Phase war das Epo-Doping natürlich problemlos
nachweisbar. Während Epo-Gabe mit Mikrodosen war die
Nachweisbarkeit deutlich eingeschränkt. Mehr als 24 Stunden nach
der letzten Applikation war das Doping in der Regel nicht mehr
nachweisbar. Aber auch bei Messung 12 bis 18 Stunden nach der
letzten Gabe war in einigen Fällen der Urin doping-technisch
unauffällig.
Zusammenfassend geht der Sportler bei diesem Verfahren ein
zeitlich befristetes großes Entdeckungsrisiko in der Booster-Zeit ein,
danach hat er den positiven Effekt des Dopings und hat gute
Chancen bei Tests (Retizahl und Epo im Urin) der Entdeckung zu
entgehen. Allerdings verbleibt ein erhebliches Restrisiko, wenn die
Dopingkontrollen nicht zu leicht ausrechenbaren Zeiten erfolgen.
Die zeitliche Befristung der Mikrodosierung erfolgte hier nur, weil es
sich um eine Studie handelte. In der realen Dopingwelt wird diese
Behandlung naturgemäß fortgeführt.
Ashenden M, Varlet-Marie E, Lasne F, Audran M : The effects of
microdose recombinant human erythropoietin regimens in athletes
Haematologica 91:1143-1144, 2006
11
4.7
Hematide einmalig gegeben plus Eisen
Hematide ist ein kurkettiges Polypeptid, das ähnlich wie Erythropetin
aber länger wirkt. Einmalig gegeben lässt es die Retikulozyten nach 3
Tagen deutlich und nach 7 Tagen maximal auf 4.5% ansteigen. Am
Tag 10 ist die Zahl wieder rückläufig und nach 13 Tagen wieder
normalisiert. Der Hämoglobin-Anstieg um knapp 1 g/dl ist nach 10
Tagen realisiert, sieben Tage nach Beginn des Reti-Anstiegs und drei
Tage nach dem maximalen Reti-Wert. Die Latenzzeit zwischen dem
Anstieg der jungen Erythrozyten und der Hämoglobin-Erhöhung
beträgt in dieser Studie sieben Tage.
Hematide
Stead et al: Evaluation of the safety and pharmacodynamics of
Hematide, a novel erythropoetic agent, in a phase 1, double-blind,
placebo-controlled, dose-escalation study in healthy volunteers.
Blood 108: 1830-1834, 2006
Hb-Anstieg g/dl und Reti in
%
Hb-Anstieg
Reti
5.0
4.0
3.0
2.0
1.0
0.0
0
10
20
30
Tage nach Hematide 0.1 mg/kg
12
4.8
Anabolika/(Androgene)
Anabolika-These
Professor. Dr. Franke glaubt nicht mehr an Epo-Doping bei Frau
Pechstein. Er geht davon aus, dass das für erwiesen gehaltene
Blutdoping durch Anabolika oder Mischungen verschiedener
Substanzen erfolgt ist. Prof. Dr. Sörgel vertritt eine ähnliche Position.
FAZ-Interview
Interview mit Prof. Dr. Franke geführt am 16. März 2010 nachlesbar
im Internet.
FAZ: „Die Experten haben Epo-Doping aber völlig ausgeschlossen.“
Prof. Dr. Franke: „Das glaube ich sogar.“
FAZ: „Wie bitte?“
Prof. Dr. Franke: „Aus der Vergangenheit, etwa im Radsport, ist
längst bekannt, dass niedrig dosierte Anabolika wie zum Beispiel
Andriol auch zur Verbesserung der Blutbildung genommen werden
können. Man schluckt sie abends – am nächsten Mittag sind sie
schon nicht mehr nachweisbar.“
Kommentar dazu:
Nach meiner Kenntnis läuft der Stimulationsmechanismus bei
anabolen Substanzen über die Epo-Produktion. Anabolika sind somit
nichts anderes als Epo-Stimulantien. Erys werden vermehrt gebildet,
weil mehr Epo vorhanden ist. Wir haben es also mit dem gleichen
Stimulationsprinzip zu tun wie bei direkter Epo-Applikation. Nur dass
eine zusätzliche Verzögerung des Hämoglobinanstiegs von drei bis
vier Tagen gegeben ist.
Der Vorteil bezüglich des Blut-Dopings besteht ausschließlich darin,
dass kein nachweisbares Fremd-Epo vorhanden ist. Zweiter Vorteil
ist die Stärkung der Muskelkraft. Nachteil ist der Body-Builder-Aspekt,
wenn man Body-Builder-Dosen verwendet. Für mich ist die
Argumentationslinie des FAZ-Interviews dementsprechend nicht
nachvollziehbar.
Andriol
Prof. Dr. Franke spricht ausdrücklich die Substanz „Andriol“ an. Ich
habe deshalb die medizinische Datenbank Medline der
amerikanischen Gesundheitsbehörde auf die Stichwörter „andriol and
reticulocytes“,
„andriol
and
hemoglobin“
sowie
auf
„androgenic/anabolic and reticulocytes“
und vielfältige andere
Begriffe in diesem Kontext durchsucht. In dieser Datenbank sind
Kurzfassungen aller medizinischen Zeitschriftenartikel der Welt (alle
wichtigen und sehr viele unwichtige wissenschaftliche Zeitschriften)
nachlesbar.
Prostata-Carcinom
Bei Patienten mit Prostatacarcinom wird oft die Produktion von
Sexualhormonen medikamentös „ausgeschaltet“. Bei dieser
Ausschaltung der Produktion von Sexualhormonen kommt es zum
Rückgang des Hämoglobinwertes. Dabei sind Epo-Spiegel sowie der
Wachstumshormon-Spiegel unverändert. Der IGF-1-Spiegel ist
erhöht. Trotzdem fällt der Hämoglobinwert unter den klinischen
Bedingungen leicht.
13
Hara N, Nishiyama T, Takizawa I, Saito T, Kitamura Y, Takahashi K:
Decline of the Red Blood Cell Count in Patients Receiving Androgen
Deprivation Therapy for Localized Prostate Cancer: Impact of ADT on
Insulin-like Growth Factor-1 and Erythropoiesis. Urology. 2010 Jan
26. [Epub ahead of print]
Alexanian
Die Probanden erhielten einen Monat lang täglich Fluoxymesterone.
Dadurch stieg der Hämatokritwert im Median um 5% (minimal 1%,
maximal 8%). Auffällig ist, dass offenbar weniger die Zahl der
Erythrozyten gestiegen ist, sondern überwiegend besonders große
rote Blutkörperchen gebildet wurden. Denn das mittlere Volumen der
Einzelzelle stieg um 15% (Bereich 7 bis 25%). Ob der
Hämoglobinwert gestiegen ist, wird in der Arbeit nicht erwähnt. Dies
ist aber anzunehmen, wenngleich der Anstieg geringer als der des
Hämatokrits sein muss.
Bei hypogonadalen Männern
(Männer ohne Produktion von
Sexualhormonen) war der Effekt deutlich größer.
Erhöhte Retikulozytenzahlen sind nicht nachgewiesen worden; diese
Untersuchung stammt aber noch aus der Zeit, in der die
Retikulozytenzahl mit der alten schlecht reproduzierbaren
mikroskopischen Methode bestimmt wurde.
Der Stimulationsmechanismus läuft über die Verstärkung der EpoSekretion. Die verstärkte Epo-Sekretion wurde in der Arbeit ab Tag 4
nach Beginn der Therapie verzeichnet. An den Tagen 1-3 sind
allerdings nur wenige Messungen erfolgt.
R. Alexanian: „Erythropoietin and Erythropoiesis in Anemic Man
Following Androgens“ Blood 33: 564, 1969.
Wintrobe’s Tabelle
Siehe nachfolgenden Abschnitt über Wachstumshormone. Bei den
Ursachen erhöhter Erythrozytenzahlen sind auch Eierstockstumoren
aufgeführt, die männliche Sexualhormone produzieren und zu einer
Vermännlichung der betroffenen Frauen führen.
Urhausen et al
Auch Anabolika haben einen gewissen aber kleinen Einfluss auf das
Knochenmark. In einer Studie von Urhausen et al. von der Universität
des Saarlandes haben 2003 bei mit anabol-androgenen Substanzen
dopenden Bodybuildern um 5% höhere Hämoglobinwerte, um 33%
höhere Leukozyten und um 38% höhere Thrombozyten gefunden als
bei nicht-dopenden Bodybuildern oder Ex-Dopern. Wenn Frau
Pechstein Blut-Doping mit anabol-androgenen Steroiden in
Bodybuilder-Dosierung vorgenommen hätte, könnte sie nach diesen
Daten ihren Hämoglobinwert um 0.7 g/dl steigern. Allerdings ist
anzunehmen, dass solche Substanzen bei Frauen einen stärkeren
Effekt haben dürften als bei Männern.
Urhausen A, Torsten A, Wilfried K: “Reversibility of the effects on
blood cells, lipids, liver function and hormones in former anabolic-
14
androgenic steroid abusers”. J Steroid Biochem Mol Biol. 84:369-75,
2003.
Alén M.
Androgene Steroide führten bei Kraftsportlern bei kleiner
Probandenzahl zu einem Anstieg des Hämatokritwertes von 46 auf
50% aber nicht zu einem des Hämoglobinwertes. Das bedeutet, es
gibt hier keinen Hinweis auf gesteigerte Hämoglobinproduktion; es
wurden nur besonders große Erythrozyten mit niedriger HämoglobinKonzentration (pro Volumeneinheit Ery) produziert. Die obere
Abbildung zeigt den Hämatokritverlauf (hier PCV genannt) bei 26wöchiger Androgenbehandlung (durchgezogene Linien) im Vergleich
zu Kontroll-Personen (auch Kraftsportler) (unterbrochene Linien).
15
A. Alén: “Androgenic steroid effects on liver and red cells”. Br J
Sports Med. 19: 15-20, 1985.
Leistungsfähigkeit
Anabol-androgene Steroide (AAS) (Testosterone-Undecanoat versus
19-Norandrostenedion versus Placebo) wurden im Rahmen eines
Ausdauer-Trainingsprogramm randomisiert und doppel-blind getestet.
„Data from exercise testing on submaximal and maximal level did not
reveal any performance differences between the three groups or their
response to the treatment. In the present study, no effect of multiple
oral doses of AAS on endurance performance or bioserum recovery
markers was found.”
Baume N, Schumacher YO, Sottas PE, Bagutti C, Cauderay M,
Mangin P, Saugy M: Effect of multiple oral doses of androgenic
anabolic steroids on endurance performance and serum indices of
physical stress in healthy male subjects. Eur J Appl Physiol. 98: 329340, 2006.
Androgene/Impotenz Bei Männern mit Impotenz und erniedrigten Testosteronwerten wurde
Testosterone-Undecanoat getestet. Der Hämoglobinwert stieg unter
dieser Therapie, blieb aber im normalen Bereich. Einzelheiten, exakte
Werte gehen aus dem Abstract nicht hervor. Diese Studie zeigt somit,
dass zumindest bei Androgenmangel die Testosterongabe die
Produktion roter Blutkörperchen stimuliert. Überhöhte Werte wurde
nicht gesehen. Durchaus relevante Hämoglobinanstiege von z.B. 13
auf 16 g/dl kann ich auch nicht ausschließen. Prinzipiell könnte ich
meine Sekretärin bitten, mir die Publikation zu besorgen. Aber: Wer
bestellt schon gern eine Studie über Impotenz?
Wörtlich: „On safety profile, TU (das ist das Testosteronpräparat)
significantly elevated Hb, Hct, and PSA at 24 weeks but within normal
range. Conclusions. In this prospective multicenter study, TU was
effective, safe, and tolerable until 24 weeks in Korean TDS patients.”
Moon DG, Park MG, Lee SW, Park K, Park JK, Kim SW, Park NC,
Ahn TY, Paick JS, Seo JT, Yang DY, Lee JY, Kim JJ: The Efficacy
and Safety of Testosterone Undecanoate (Nebido) in Testosterone
Deficiency Syndrome in Korean: A Multicenter Prospective Study. J
Sex Med. 2010 Mar 15. [Epub ahead of print]
Androgene/Testosteronmangel
Morgenthaler
Bei Männern mit Testosteronmangel führte die Therapie mit
Testosterone-Undecanoat über 24 Wochen zu einem Anstieg des
mittleren Hämatokritwertes von 43.3% auf 45.7%. Der mittlere
Hämoglobinwert stieg von 14.6 auf 15.5 g/dl. Auch hier bestätigt sich
der positive Effekt der androgen-anabolen Substanzen auf die
Blutbildung auch hier zumindest, wenn vorher ein Mangel bestanden
hatte.
16
Morgentaler A, Dobs AS, Kaufman JM, Miner MM, Shabsigh R,
Swerdloff RS, Wang C: Long acting testosterone undecanoate
therapy in men with hypogonadism: results of a pharmacokinetic
clinical study. J Urol. 180:2307-2313, 2008
Minnemann
Siehe Morgenthaler
Minnemann T, Schubert M, Freude S, Hübler D, Gouni-Berthold I,
Schumann C, Christoph A, Oettel M, Ernst M, Mellinger U, Krone W,
Jockenhövel F: Comparison of a new long-acting testosterone
undecanoate formulation vs testosterone enanthate for intramuscular
androgen therapy in male hypogonadism. Endocrinol Invest. 31:718723, 2008.
„Andriol Testcaps“
Alte Männer mit Testosteronmangel erhielten in einer randomisierten
Studie sechs Monate lang zweimal täglich zwei Kapseln Andriol oder
Placebo. Darunter stieg der mittlere Hämoglobinwert von 14.7 auf
15.2 g/dl und der Mittelwert des Hämatokrits von 45 auf 46%.
Publikation frei downloadbar.
Emmelot-Vonk MH, Verhaar HJ, Nakhai Pour HR, Aleman A, Lock
TM, Bosch JL, Grobbee DE, van der Schouw YT: Effect of
testosterone supplementation on functional mobility, cognition, and
other parameters in older men: a randomized controlled trial. JAMA
299: 39-52, 2008
Transsexuelle
„Testosterone treatment is essential for the induction and
maintenance of virilization of female-to-male transsexuals. This study
tested the suitability of a novel testosterone preparation for this
purpose.
METHODS:
Parenteral
long-acting
testosterone
undecanoate (TU) was administered to 12 female-to-male
transsexuals. Observations were made while subjects received
treatment. MAIN OUTCOME MEASURES: Virilization of female-tomale transsexuals and side effects of testosterone administration.
RESULTS: The testosterone levels were largely identical to those in
hypogonadal men receiving testosterone treatment with TU. There
were no side effects. There was a small but significant decrease in
plasma cholesterol and low-density lipoprotein, but plasma highdensity lipoprotein did not change significantly. Both levels of
hemoglobin and hematocrit rose upon administration but remained
within the physiological range. CONCLUSIONS: TU is suited for
induction of virilization in female-to-male transsexuals without
significant side effects.”
Jacobeit JW, Gooren LJ, Schulte HM. Long-acting intramuscular
testosterone undecanoate for treatment of female-to-male
transgender individuals. J Sex Med. 4:1479-84. 2007
17
Schluss jetzt
Jetzt habe ich genug Studien zum Effekt von Anabolika/Androgenen
auf Blutwerte zusammengetragen. Es gibt Publikationen mit und ohne
Anstieg des Hämoglobinwertes unter Anabolika. Ich gehe davon aus,
dass dieser Effekt vorhanden aber klein ist, insbesondere bei
Menschen mit Testosteronmangel. Dieser liegt bei Frauen ja
sicherlich in der Regel vor. Man kann den Hämoglobinwert unter
solchen Bedingungen bei Body-Builder-Dosierungen wahrscheinlich
um bis zu 1 g/dl steigern. Wundermittel sind Anabolika sicherlich
nicht.
Ich habe gar nichts zur Wort-Kombination „Anabolika und
Retikulozyten“ und „Androgene und Retikulozyten“ in der Datenbank
Medline, in der alle Kurzfassungen fast aller medizinischer
Zeitschriften der Welt zu finden sind, gefunden. Gefunden habe ich
nur etwas zur erfolglosen Therapie bei aplastischer Anämie und
etwas zu Rattenhirnen, aber absolut gar nichts, in dem Sinne, dass
die Retis steigen.
Fazit Anabolika/Androgene
Entweder nennt mir jemand eine Publikation, in der nachlesbar
ist, dass Anabolika die Retikulozytenzahl bei Frauen auf den
Pechstein-Wert von 3.5% heben können oder die oben
aufgeführte Behauptung von Prof. Dr. Franke ist offensichtlich
an den Haaren herbeigezogen.
18
4.9
Wachstumshormone und verwandte Substanzen IGF-1
Die Frage, ob nicht Wachstumshormone oder IGF-1 als mögliche
Ursache der erhöhten Retikulozytenwerte bei Frau Pechstein in
Frage kommt, wird immer wieder diskutiert – zuletzt Anfang April in
einem Artikel der Frankfurter Rundschau.
Akromegalie
Bei der Frage, welche Blut-Doping-Effekte mit Wachstumshormonen
und dem in der Funktionskette nachfolgenden IGF-1 erzielbar sind,
stellt sich die Frage nach den Hämoglobin- und Retikulozytenwerten
von Menschen, die an einer Tumor-Erkrankung mit Überproduktion
von Wachstumshormon leiden: von Patienten mit Akromegalie.
Erkrankt ein Mensch in der Jugend daran, bevor das
Längenwachstum abgeschlossen ist, wird er sehr groß. Hände,
Finger, Nase, Zehen und Kopfumfang sind ganz auffällig riesenhaft.
Bei späterem Auftreten des Tumors nach Abschluss des
Längenwachstums ergibt sich prinzipiell das gleiche, nur die
Körpergröße verändert sich nicht mehr relevant.
Laut Lehrbüchern sind die Blutbild-Parameter bei dieser Erkrankung
nicht auffällig verändert.
Umgekehrt ist die Liste der Erkrankunken mit Vermehrung der
Erythrozyten endlos lang, ohne dass darunter die Akromegalie
aufgeführt wäre. Verwiesen sei auf die „virilizing ovarian tumors“
(männlich machende, Hormon produzierende Tumoren der
Eierstöcke), die primär nicht in diesen Abschnitt gehören, aber eine
Zusatz-Evidenz sind für den möglichen Blut-Doping-Effekt von
androgenen Substanzen.
Tabelle 48.5 aus der neuesten Auflage des amerikanischen
Hämatologie-Lehrbuchs Wintrobe’s (den Download-Fehler mit den
vielen „a“ am Ende der Diagnosen bitte ich zu entschuldigen).
19
Allein schon die Betrachtung der Menschen mit maximalem
Wachstumshormon-„Doping“ schließt dramatische Effekte des
Dopings mit Wachstumshormonen (sie veranlassen dann die erhöhte
Produktion von IGF-1) auf die Blutbildung aus. Eine sehr deutliche
Stimulation der Blutbildung mit ausgeprägter Vermehrung der
Hämoglobinmasse des Körpers ist ohne jede Hb-Erhöhung nicht
vorstellbar.
GH stimuliert Epo
Bei nierenkranken Patienten mit Blutarmut stimulierte eine 3-tägige
subkutane
Dauerinfusion
(144
µg/kg
Gesamtdosis)
mit
Wachstumshormon die Epo-Produktion und führte zum Anstieg der
Retikulozytenzahl um 52%. Dieser höchste Retikulozyten-Peak wurde
5 Tage nach Start und 2 Tage nach Ende der Therapie verzeichnet.
Vier Tage nach Ende der Infusion begann die Retikulozytenzahl
wieder zu fallen. Innerhalb der sehr kurzen Beobachtungszeit wurde
(naturgemäß) kein Anstieg des Hämoglobinwertes beobachtet.
Sohmiya M, Ishikawa K, Kato Y: Stimulation of erythropoietin
secretion by continuous subcutaneous infusion of recombinant
human GH in anemic patients with chronic renal failure. Eur J
Endocrinol. 138:302-306, 1998.
Substitution von Wachstumshormon bei Mangel-Patienten
Bei 6-monatiger Substitution von Wachstumshormon bei MangelPatienten zeigten sich keine Effekte auf Retikulozyten- und
Erythrozytenzahlen.
Kotzmann H, Riedl M, Clodi M, Barnas U, Kaider A, Höcker P, Luger
A: The influence of growth hormone substitution therapy on erythroid
20
and myeloid progenitor cells and on peripheral blood cells in adult
patients with growth hormone deficiency. Eur J Clin Invest. 26:11751181, 1996.
IGF-1 bei Ratten
Bei Ratten mit künstlich erzeugtem Mangel an WachstumsfaktorProduktion erhöht die Infusion von Wachstumshormon (GH = growth
hormone) sowie auch von IGF-1 die Retikulozytenzahl um 39% bei
GH und um 70% bei IGF-1 am Tag 6. Hämoglobin und Hämatokrit
ändern sich nicht. Das liegt offenbar daran, dass die zuvor
wachstumsgestörten Tiere durch die Hormongabe schnell wachsen
und sich die roten Blutkörperchen genau so vermehren, wie das Tier
wächst. Die Autoren haben zusätzlich Hinweise dafür, dass IGF-1 die
Blutbildung nicht nur durch verstärkte Epo-Produktion wirkt sondern
auch einen direkten Effekt auf die Blutbildung stimuliert.
Kurtz A, Zapf J, Eckardt KU, Clemons G, Froesch ER, Bauer C:
Insulin-like growth factor I stimulates erythropoiesis in
hypophysectomized rats. Proc Natl Acad Sci U S A. 85: 7825-7829,
1988.
Resümee IGF-1
Wachstumshormon und IGF-1 haben eine sehr begrenzte
Wirkung auf die Produktion roter Blutkörperchen.
Bei Patienten mit Akromegalie bildet ein Tumor übergroße
Mengen von Wachstumshormon, das Teile seiner Wirkung über
die Produktion von IGF-1 vermittelt. Diese Patienten stellen ein
„Experiment der Natur“ dar mit „Wachstumshormon-MaximalDoping“ und haben keine erhöhten Hämoglobinwerte.
21
4.10
G-CSF – Wachstumsfaktoren für die Stimulierung der weißen
Blutkörperchen nach Chemotherapie
Diese Substanzgruppe wurde von Prof. Dr. Sörgel in die Diskussion
eingeführt. G-CSF (granulocyte colony stimulating factor) wird
eingesetzt, um nach Chemotherapie die Reifung der weißen
Blutkörperchen zu beschleunigen. Ein zweites Einsatzgebiet ist bei
Spendern für die Blut-Stammzell-Transplantation gegeben. Hier wird
die Substanz dazu verwendet, die Stammzellen der Blutbildung vom
Knochenmark ins Blut zu treiben. Dort können sie dann mit
vergleichsweise einfachen Methoden gewonnen werden.
Mir sind keine Daten zum Effekt dieser Substanzgruppe auf die
Produktion von roten Blutkörperchen bekannt. Das mag aber ein
Defizit meinerseits sein. Als Arzt habe ich mich naturgemäß bislang
nicht für diese Frage interessiert. Einen solchen Effekt kann ich mir
gut vorstellen, er kann aber nur marginal sein. Bei der speziellen
Frage Pechstein-Hamar-2009 ist ein G-CSF-Doping ausgeschlossen,
weil die Zahl der weißen Blutkörperchen am 6. Februar 2009 mit
5.300/µl gemessen worden war. Diese Information hätte Prof. Dr.
Sörgel sich besorgen können, bevor er die G-CSF-Hypothese
veröffentlichte.
4.11
Eigenblut-Entnahme plus Eisen und Retransfusion
Wie sich eine Eigenblutentnahme und anschließende Retransfusion
auf die Blut-Parameter auswirken, zeigen die nachfolgenden 4
Abbildungen nach Damsgaard und Mitarbeitern. Bei zehn Probanden
wurden Aderlässe durchgeführt. Ziel war die Entnahme von 20% des
Blutes (im Mittel 1.3 Liter). Der mittlere Hämoglobinwert sank danach
von 14.8 auf 12.4 g/dl. Nach vier Wochen war der AusgangsHämoglobinwert wieder annähernd erreicht. Die Retikulozyten
stiegen auf den Höchstwert von im Mittel 3% am Tag 7. Am Tag 14
waren die Retikulozyten noch im Mittel auf 2.7% erhöht.
Durch die Retransfuison von 800 ml Erythrozytenkonzentrat stieg der
Hämoglobinwert von 14.3 auf 16.0 g/dl, um in den folgenden Wochen
um 15 g/dl zu verbleiben.
Damsgaard R, Munch T, Mørkeberg J, Mortensen SP, GonzálezAlonso J: Effects of blood withdrawal and reinfusion on biomarkers of
erythropoiesis in humans: Implications for anti-doping strategies
Haematologica 91:1006-1008, 2006
22
Hb in g/dl
16
15
14
13
12
0
7
14
21
28
Tage nach Eigenblutentnahme 1.3 Liter
Retis in Prozent
4
3
2
1
0
0
7
14
21
28
Tage nach Eigenblutentnahme
Hb in g/dl
16
15
14
13
12
1
8
15
22
Retis in Prozent
Tage ab Eigenblut-Retransfusion an Tag 1
4,0
3,0
2,0
1,0
0,0
1
8
15
22
Tage nach Eigenblut-Retransfusion an Tag 1
23
5
Zu Manipulationsmöglichkeiten bei den Blutparametern
Retikulozytenzahl, Hämoglobinwert und Hämatokrit
Die Abwesenheit erhöhter Hämoglobin- bzw. Hämatokritwerte stellt
keinen schlüssigen Beweis dar, der eine Blutmanipulation
ausschließen würde. Die Retikulozytenzahl kann gegenwärtig nicht
künstlich gesenkt werde. Bei Hämoglobin- und Hämatokritwerten gibt
es natürliche Schwankungen. Zusätzlich sind Manipulationen durch
eine Reihe von Verfahren möglich.
5.1
Natürliche Schwankungen von Erythrozytenzahl, Hämoglobinwert
und Hämatokrit
Das Blut besteht aus einer eiweißreichen Flüssigkeit (Plasma), roten
Blutkörperchen (Erythrozyten),
weißen Blutkörperchen und
Thrombozyten. Weiße Blutkörperchen und Thrombozyten machen
nur einen kleinen Anteil am Blut aus und können hier vernachlässigt
werden. Bei quantitativer Betrachtung haben wir es beim Blut also im
Wesentlichen mit Erythrozyten und Plasma zu tun. Die Plasmamenge
unterliegt deutlichen Schwankungen. Bei einer konstanten Zahl roter
Blutkörperchen führt eine Verminderung der Plasmamenge z.B. durch
starkes Schwitzen mit Flüssigkeitsverlust naturgemäß dazu, dass die
unveränderte Erythrozytenzahl in einer kleineren Flüssigkeitsmenge
gelöst ist; alle drei möglichen Messparameter: Hämoglobinwert,
Erythrozytenzahl und Hämatokrit werden steigen. Der Hämatokrit in
Prozent gibt an, wie groß der Anteil der Erythrozyten am Blut ist. Ein
Hämatokritwert von z.B. 41% bedeutet, dass das Blut zu 41% aus
Erythrozyten und zu 59% aus Flüssigkeit besteht.
Umgekehrt werden bei Vergrößerung der Flüssigkeitsmenge im Blut
durch Trinken die entsprechenden Werte fallen.
Wichtigste natürliche Ursache für Schwankungen des Hämatokrits ist
das nächtliche Liegen. So kommt es, dass alle ErythrozytenMesswerte (mit Ausnahme der Retikulozyten) am Morgen nach dem
Aufstehen niedriger sind als später im Verlauf des Tages. Das liegt
daran, dass tagsüber Füße und Beine etc ein wenig anschwellen;
nachts im Liegen wird das Wasser dann wieder in die Blutgefäße
aufgenommen und das Blut somit verdünnt. Dieser Effekt ist
naturgemäß bei einzelnen Menschen sehr unterschiedlich
ausgeprägt. Nach Schmidt et al. sinkt der Hämatokrit über Nacht im
Mittel um 2.4% (siehe unten). Gemeint ist damit die Senkung von
45.3 auf 42.9%. Nach sportlichen Aktivitäten kann der Effekt noch
größer sein.
24
5.2
Manipulationsmöglichkeiten für Erythrozytenzahl, Hämoglobinwert
und Hämatokrit (die mir bekannten)
Liegen
Das physiologische Phänomen der sinkenden Ery-Werte durch
Liegen kann man sich auch für Zwecke des Verdeckens eines BlutDopings nutzbar machen.
Durch Kopf-Tief-Beine-Hoch-Lagerung über 20 Minuten kann man
diesen Effekt auch tagsüber erzielen.
Trinken
Eine begrenzte Senkung der Erythrozytenwerte ist möglich durch
exzessives Trinken handelsüblicher Getränke. Wie jeder aus eigener
Erfahrung z.B. mit Bier weiß, hält dies aus nahe liegenden Gründen
nicht lange vor.
Gibt man hingegen neun Gramm Kochsalz pro Liter Wasser hinzu,
schmeckt das Getränk natürlich scheußlich. Aber wegen des hohen
Salzgehaltes im Wasser verbleibt dieses über Stunden hinweg im
Körper und verdünnt die Erythrozyten.
Kochsalz-Infusion
Das gleiche ist möglich oder noch besser möglich mit KochsalzInfusionen.
Siehe auch: Schmidt W, Biermann B, Winchenbach P, Lison S,
Böning D.: How valid is the determination of hematocrit values to
detect blood manipulations? Int J Sports Med. 2000 Feb;21(2):133-8.
Entsprechende eventuell ”bessere” Verdünnungseffekte kann man
sicherlich auch mit Plasmaexpandern erreichen.
Desmopressin
Die Substanz Desmopressin, Handelsname Minirin, kann man als
Nasenspray zuführen und so ebenfalls das Blut verdünnen.
Aderlass
Aderlässe sind möglich, um einen durch Gebrauch von BlutStimulantien wie Epo u. a. zu starken Hämoglobinanstieg zu
verdecken.
Zusammenfassung Natürlich kann man bei Claudia Pechstein nicht für eine einzelne
Blutuntersuchung zum Beispiel am 6. Februar 2009 eine
Blutmanipulation zum Zwecke der künstlichen Hämatokrit-Absenkung
durch Verdünnung ausschließen. Es fällt jedoch auf, dass sie in dem
gesamten Zeitraum seit dem Jahr 2000 immer normale Hämatokritund Hb-Werte hatte. Man kann insbesondere bei Welt- und
Europameisterschaften sowie Olympischen Spielen keine höheren
Hämatokritwerte erkennen.
Es ist nicht vorstellbar, Hämoglobin und Hämatokrit über 10 Jahre
hinweg durch vorsorgliches exzessives Trinken von Salzlösung und
Kopf-Tief-Legen oder durch Infusionen zu senken, weil die DopingKontrolle jederzeit vor der Tür stehen kann.
Es ist auch erstaunlich, dass der Sportverband bei Kontrollen am Tag
vor Wettbewerben offenbar nur wenige Maßnahmen ergreift, um die
Chancen für eine künstliche Blutverdünnung zu verringern.
25
Für Frau Pechstein fällt bei der WM in Hamar auf, dass zu dem
Zeitpunkt der angekündigten Kontrolle am 6. Februar der Hämatokrit
höher war als bei der Nach-Wettkampf-Kontrolle am folgen Tag. Am
Tag vor Beginn der Wettbewerbe hätte sie deutliche bessere BlutVerdünnungsmöglichkeiten gehabt als am Wettkampf-Tag. Für
Menschen, die mit dieser Thematik nicht vertraut sind, sei hier
folgendes ergänzt: Bei intensivem Ausdauer-Sport sinkt der
Hämatokrit in der Regel um einige Prozentpunkte, weil es zum
verdünnenden Flüssigkeitseinstrom in das Gefäßsystem kommt. Dies
bleibt allerdings aus, wenn der Sportler zu wenig trinkt.
Der von Prof. Dr. Sörgel jetzt wieder in der Süddeutschen Zeitung in
die Diskussion gebrachte hohe Hämoglobinwert von 16.5 g/dl am 6.
Februar 2004 bei der angemeldeten Vor-Wettkampf-Kontrolle ist in
der Stellungnahme „Pechstein 3 Die Arbeit der Dopingkontrolleure“
umfassend diskutiert wie auch andere primär verdächtig wirkende
Werte - download: www.marienkrankenhaus.com.
6
Hinweis
Die Abbildungen dieser Zusammenstellung sind aus den Daten der entsprechenden
Publikationen generiert. Sie sind oft aus Graphiken entnommen und damit unpräzise.
Retikulozytenwerte sind in den Original-Publikationen oft in Zellen/µl angegeben. Ich habe
sie in Prozent umgerechnet, da im Rahmen der aktuellen Doping-Diskussion um
Prozentwerte und leider nicht in absoluten Zahlen gerungen wird. Da fast immer die
Erythrozytenzahlen fehlten, habe ich als Rechnungsbasis eine Zahl von 4.5 x 106/µl
angenommen. Dies habe ich auch dann gemacht, wenn der Hämoglobinwert stieg und die
Erythrozytenzahl mit Sicherheit noch stärker gestiegen ist.
Ich weiß nicht, wie man ansonsten mit vertretbarem Aufwand die gegenwärtig viel
diskutierten Blutdoping-Studien für die Allgemeinheit lesbar machen könnte.
Ich versichere, alle Zahlen-Übertragungen nach bestem Wissen vorgenommen zu haben.
Wer Fehler findet, täte mir und vielleicht einzelnen anderen einen großen Gefallen, wenn er
sie mir zur Korrektur mitteilen könnte. Auch wäre ich an Informationen zu weiteren
Blutdoping-Publikationen interessiert, die mir entgangen sind.
Winfried Gassmann
26
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