7 Dienstag, 17. August 2010 Das künstliche Kniegelenk wird am Knochen fixiert. Bandscheibenersatz im Röntgenbild. Vize-Mister Schweiz Stefan Tobler hat sich vor zwei Jahren ein Hüftimplantat einsetzen lassen. Bilder: zVg. Implantate – Ersatzteile für den Körper Den meisten fällt zum Begriff «Implantat» spontan der künstliche Zahnersatz ein. Die Palette medizinischer Implantate für den menschlichen Körper ist allerdings sehr viel breiter. WISSEN – Unter dem Begriff «Implantate» versteht man alle Produkte, welche Körperfunktionen unterstützen oder gar ersetzen. Implantate kommen bei vielen Diagnosen zum Einsatz und befreien von körperlichen Beeinträchtigungen und Schmerzen: bei chronischen Erkrankungen, Abnutzungserscheinungen, Unfällen oder Geburtsfehlern. Sie sind heute schon für sehr viele Körperteile verfügbar. Künstliche Gelenke Schulter-, Ellbogen-, Hüft-, Knie-, Hand-, Fuss- oder Fingergelenke können heute abhängig von der Diagnose durch künstliche Gelenke ganz oder teilweise ersetzt werden. Die Patienten gewinnen ihre Bewegungsfreiheit zurück, die durch Erkrankungen, Abnutzungserscheinungen oder Unfälle beschädigter Gelenke beeinträchtigt wurde. Gleichzeitig werden sie von Schmerzen befreit. Dank kontinuierlichen Fortschritten in der Materialentwicklung weisen die meisten künstlichen Gelenke heute hervorragende Langzeitresultate auf. Die Forschung arbeitet ständig an der weiteren Optimierung von Materialkombinationen, auch für Allergiker. Bei Rückenproblemen Wirbelsäulen- und Bandscheibenersatz leisten Abhilfe nach Unfällen oder Alters-Erkrankungen wie Osteoporose. Bei Wirbelkörperfrakturen kann ein Ballon mit einem Katheter an die betroffene Stelle eingebracht, aufgeblasen und der Wirbel dadurch aufgerichtet werden. Der entstandene Hohlraum wird mit schnell aushärtendem Knochenzement aufgefüllt und so die Stabilität wieder hergestellt. Abgenutzte Bandscheiben können vollständig durch ein Implantat ersetzt werden. Dieses erhält den Abstand zwischen den Wirbeln sowie deren normale Beweglichkeit und lindert so Schmerzen. Herzklappen Künstliche Herzklappen kommen bei (angeborenen) Herzfehlern, bei altersbedingten Veränderungen oder bei Herzklappenerkrankungen zum Einsatz. Geschädigte Herzklappen führen langfristig zu einer Pumpschwäche des Herzens, was die Leistungsfähigkeit der Patienten massiv reduzieren kann. Eine Operation sollte erfolgen, bevor der Herzmuskel irreparabel geschädigt ist. Während früher beim Einsatz mit einem operativen Eingriff der Brustkorb geöffnet werden Häufig gestellte Fragen Wann brauche ich ein Implantat? Je nach Diagnose empfiehlt Ihnen der behandelnde Facharzt ein Implantat. Als Patient haben Sie das Recht, umfassend über die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten informiert zu werden. Sie entscheiden letztlich, welche Therapie Sie möchten. Suchen Sie bei Beschwerden rechtzeitig das Gespräch mit dem Spezialisten und informieren Sie sich über Vor- und Nachteile und mögliche Risiken eines operativen Eingriffs. Kann mein Alter ein Hinderungsgrund sein? Grundsätzlich können Senioren von Implantaten genauso profitieren wie Kinder und Jugendliche. Je nach Diagnose sind Implantate auch für jüngere Menschen oder bei gewissen Geburtsfehlern sogar für Kinder notwendig. Der medizinische Fortschritt ermöglicht es, dass Implantate zunehmend auf die unterschiedlichen Bedürfnisse junger und alter Menschen angepasst werden. Gegen 20’000 Patienten erhalten in der Schweiz pro Jahr ein Hüftimplantat. Übernimmt meine Krankenkasse die Kosten? Ergibt Ihre Diagnose, dass Sie ein Implantat benötigen, wird dieses grundsätzlich von der Krankenkasse bezahlt. Einschränkungen können sich ergeben, wenn ein Implantat Zusatzfunktionen und Zusatznutzen aufweist, welche die Lebensqualität erhöhen, jedoch medizinisch gesehen nicht zwingend notwendig sind. Erwartet mich ein grosser operativer Eingriff? Heute werden immer mehr Eingriffe minimal-invasiv, das heisst gewebeschonend, durchgeführt. Es werden möglichst kleine Hautschnitte gemacht und die Muskulatur wird nicht durchtrennt, sondern nur beiseite geschoben. Dadurch verkürzt sich in der Regel die Heilungs- und Rehabilitationszeit und damit auch die Dauer des Spitalaufenthalts. Wie schnell erhole ich mich nach der Operation? Dank modernster Behandlungsmethoden und Materialien erholen sich die meisten Patienten innert kurzer Zeit von den Operationen. Die Patienten kehren schnell wieder in ihren Alltag zurück, nehmen ihre gewohnten Tätigkeiten auf und können sich wieder in ihr soziales Umfeld integrieren. Bedingt die Operation eine anschliessende Rehabilitation, ist für die schnelle Genesung wichtig, dass der Patient diese diszipliniert mitmacht und sich an allfällige Empfehlungen für (NB) eine gesunde Lebensweise hält. Die künstliche Herzklappe wird durch die Vene an die richtige Stelle geführt und dort freigesetzt. musste, ist es heute möglich, die künstliche Herzklappe mit einem Katheter in die Leiste einzuführen und im Herzen zu implantieren. Als Ersatz der Herzklappe kommen neben künstlichen heute auch biologische Implantate in Frage. Herzschrittmacher Herzschrittmacher beheben Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz, das heisst wenn die Pumpfunktion des Herzens beeinträchtigt ist. ICDs (implantierbarer Kardioverter-Defibrillator) verfügen zusätzlich über die Funktion, lebensbedrohliche Rhythmusstörungen automatisch zu erkennen und wenn nötig einen elektrischen Schock abzugeben. Sie werden eingesetzt, wenn bei einem Patienten ein hohes Risiko für Herzstillstand und plötzlichen Herztod besteht. Moderne Schrittmacher und ICDs können zudem mit telemedizinischen Zusatzfunktionen ausgestattet werden. Ein Fernüberwachungssystem kontrolliert die Herzaktivität 24 Stunden am Tag und schlägt im Notfall Alarm. Die batteriebetriebenen Herzschrittmacher haben die Grösse einer Streichholzschachtel. zu einem erneuten Verschluss. Mit einem Stentimplantat wird dieses Risiko erwiesenermassen reduziert. Das kleine Gittergerüst aus Metall oder Kunststoff wird unter lokaler Betäubung über einen Katheter zu der Stelle vorgeschoben, wo die Arterie verengt ist. Dort stützt es die Arterienwand von innen ab und verbessert so die Fliessgeschwindigkeit des Blutes. Dadurch wird verhindert, dass sich das Gefäss nach der Aufdehnung wieder verschliesst. Stents retten Leben Stents sorgen bei verengten Blutgefässen für freie Bahn im Blutkreislauf des Herzens oder in den Beinen. Verstopfte Arterien müssen häufig mit einem operativen Eingriff geöffnet werden. Bei 30 bis 50 Prozent der Patienten kommt es Brille im Auge Kunstlinsen kommen am häufigsten bei der Operation des grauen Stars zum Einsatz. Diese ersetzen die natürliche Augenlinse, die beim grauen Star getrübt ist und so eine unscharfe, verschwom- mene und blasse Sicht verursacht. Auch kann stark fehlsichtigen Personen eine künstliche Linse vor die natürliche eingesetzt werden. Diese übernimmt dann die Funktion einer «Brille im Auge». Die Operation wird heute meist unter lokaler Betäubung und ambulant durchgeführt. Fehlsichtigkeiten können aber auch mittels eines Lasereingriffes in der Hornhaut, durch eine neue Formgebung, korrigiert werden. Herstellerneutrale Informationen finden Interessierte auf der Informations-Plattform für Patienten und ihre Angehörigen im Internet (www.implantate-schweiz.ch). Vize-Mister Schweiz mit Hüftimplantat Keiner hätte es gemerkt, wäre nicht zuvor in den Medien darüber berichtet worden. Stefan Tobler lief an der Mister Schweiz-Wahl im vergangenen Mai wie alle seiner Mitbewerber gekonnt über den Laufsteg und zeigte in verschiedenen Showeinlagen seine Tanzkünste. Von seinen 15 Mitbewerbern hat er sich vor allem durch ein Merkmal unterschieden: sein Hüftimplantat. Stefan Tobler ist mit einer Hüftdysplasie zur Welt gekommen. Diese starke Verformung des Hüftkopfes führt zum vorzeitigen Verschleiss des Hüftgelenks, was starke Schmerzen verursacht. «Als Kind habe ich manchmal so lange Fussball gespielt, bis ich vor Schmerzen kaum noch gehen konnte», erinnert sich Stefan. Er wollte durch seine Behinderung bei seinen Mitschülern nicht auffallen und hat dafür oft Schmerzen in Kauf genommen. Vor zwei Jahren hat sich der heute 28-Jährige entschieden, ein künstliches Hüftgelenk einsetzen zu lassen. Dank dem neuen Gelenk kann Stefan heute uneingeschränkt Sport treiben und seinen liebsten Hobbys wie tanzen, boxen oder biken nachgehen. Seine neu gewonnene Lebensqualität ist für Stefan so wertvoll, dass er den Tag seiner Operation wie einen zweiten Geburtstag feiert. Stefan hat sich gut auf die Operation vorbereitet. Mit regelmässigem Training hat er seine Muskeln aufgebaut und so eine gute Basis für eine schnelle Genesung geschaffen. Zwei Wochen nach der Operation setzte er sich bereits wieder täglich zwei Stunden auf den HomeTrainer. Auch in der Rehabilitation hat er viel Zeit in den Muskelaufbau investiert. «Das ist wichtig für die Stabilität der Gelenke», weiss der junge Patient. Von aussen ist vom Implantat nichts zu sehen, geblieben ist nur die Narbe. «Ein schönes Andenken», kann Stefan heute witzeln. An der Mister Schweiz Wahl hat es für den hervorragenden zweiten Platz gereicht. Gewonnen hat er ohnehin, denn er kann heute ein normales schmerzfreies Leben geniessen. NOËMI BAUMANN