In: Widerspruch Nr. 39 Kritik der Globalisierung - außereuropäische Perspektiven (2003), S. 121-123 Autor: Rainer E. Zimmermann Rezension Michael Pauen Grundprobleme der Philosophie des Geistes Eine Einführung. Frankfurt/Main 2001 (Fischer), 320 S., brosch., 14.90. Wie der Autor gleich zu Beginn so richtig bemerkt, scheiden sich „(a)n der Philosophie des Geistes ... die Geister“, nämlich im Hinblick auf die Frage, ob sie etwas nützen könne bei der Aufklärung von Problemen, die mit dem Aspekt des Geistes verbunden sind. Zugleich entwirft er ein düsteres Schreckensbild vom Rest der Philosophie, namentlich der Naturphilosophie, und fragt, ob auch die Philosophie des Geistes das Schicksal anderer philosophischer Gebiete teilen und mithin durch die empirischen Wissenschaften verdrängt werden wird. Wie auch bei anderen Veröffentlichungen des Autors zu diesem Thema, beginnt mit dieser Grundvoraussetzung, dass es nämlich auch wirklich so sei, wie es das hier entworfene Bild androht, das wahre Problem des Textes. Und insofern fügt sich der vorliegende Text in eine Strategie ein, die vor allem im Umkreis einer Gruppe jüngerer Philosophen und Wissenschaftler verbreitet ist, die ich etwas kursorisch als „Kreuzritter der Philosophie“ bezeichnen möchte, also mit einem Titel, der ursprünglich wohl nur auf einen ihrer früheren Hauptprotagonisten, der an dieser Stelle nicht erwähnt werden soll, angewendet wurde. Seinerzeit erschien ein dicker blauer Band zum Thema „Bewusstsein“, den ich an anderem Orte bereits zureichend beschrieben habe.1 Ich hatte damals schon darauf hingewiesen, dass mir das ganze Unternehmen eher als eine Art „modische Rettungsoperation zu konjunkturellen Zwecken“ zu dienen scheint, vor allem, um der Philosophie ein Problemfeld zu retten, das ihr ganz allein zukäme. Das modisch überbewertete Material aus der angelsächsischen Philosophie steht da- 1 R.E. Zimmermann: Materie und Bewusstsein. Klares und Unklares zu einem aktuellen Thema. System & Struktur V/1, 1997, 103-109. für allemal bereit.2 (Freilich weiß man ja im übrigen, wie das mit den Kreuzrittern am Ende ausgegangen ist.) Auch im vorliegenden Text wimmelt es nicht nur wieder von Ismen aller Art, sondern es werden auch die gängigen Accessoires dieses Modetrends nicht nur übernommen, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Das erkennt man im wesentlichen an zwei Punkten, auf die ich mich hier beschränken will3: Zum einen herrscht die Unklarheit der Formulierung vor (obwohl doch eine sich als analytische Philosophie verstehende Denkweise gerade immer die eigene Fähigkeit zur klaren, korrekten usw. Formulierung hervorzuheben pflegt). Nur einige Beispiele hierzu: „Wir wollen schließlich nicht nur wissen, was gemeint ist, wenn von Bewusstsein und seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen gesprochen wird; wir wollen zweitens auch wissen, was Bewusstsein ‚tatsächlich ist‘“ heißt es im Überblick. (9) Wenn wir davon ausgehen, dass auch das Bewusstsein lediglich nach Maßgabe dessen modelliert wird, was wahrgenommen und theoretisch auf propositionale Weise darüber formuliert werden kann, dann fragt man sich freilich, was es denn bedeuten soll festzustellen, was etwas tatsächlich sei. Bezieht sich diese Bestimmung auf einen ontologischen oder auf einen epistemologischen Bereich? Und wenn auf den ersteren, welche Vorstellung von Ontologie schwebt dabei immer schon vor? Meinen wir mit „tatsächlich“ also, wie das Bewusstsein modaliter tatsächlich (also aktual) sei oder wie es realiter wirklich ist? Oder: „Es gibt mittlerweile überzeugende Belege dafür, dass eine Theorie des Mentalen (Theory of Mind) konstitutive Bedeutung sowohl für den Zugang zu unseren eigenen mentalen Zuständen wie zu denen anderer Personen hat. Kleinkinder, die noch nicht über eine solche Theorie verfügen, machen daher charakteristische Fehler bei der Selbst- und Fremdzuschreibung von mentalen Zuständen.“ (97) Abgesehen davon, dass die hier angedeutete Übersetzung nicht vollständig überzeugt, fragt sich folgendes: Treten diese Fehler der Zuschreibung auch bei Erwachsenen auf, welche die Theorie nicht kennen? Die an dieser Stelle für später angekündigten näheren Ausführungen zu der 2 Interessanterweise hatte damals sogar einer der eingeladenen Beiträger zu dem „Bewusstseinsbuch“, nämlich David Papineau, selbst ein solches Argument angedeutet. 3 Ein dritter Punkt wäre die chronische Abwesenheit der Literatur jener Bewusstseinsforscher, Philosophen wie Wissenschaftler, die anderen Denklinien folgen. Unter anderem wären hier Hameroff und Penrose zu nennen, aber auch die „Gegenpartei“ der Quantengravitationstheoretiker, die sich durchaus zum Thema zu äußern imstande sind. fraglichen Theorie (266 ff.) erweisen sich dabei als eine Aufzählung von Ergebnissen der klinischen Entwicklungspsychologie.4 Die Frage wäre hier natürlich, inwieweit der Autor sich vertrauensvoll aus dem Inventar empirischer Ergebnisse (welchem methodischen Ansatz sie auch immer entstammen mögen) bedienen darf, wenn er sich doch zu Beginn seines Textes so deutlich gegen das „bloß“ empirisch Eingesehene wendet? Zum zweiten reproduziert der Autor auch gängige Auffassungen, die eher dem Wunschdenken geschuldet sind, als der Einsicht in den „harten“ Beleg: Beispielsweise geistert wieder einmal die berühmte Nagelsche Fledermaus durch den Text, und gleich zu Beginn wird die Frage gestellt, ob eine vollständige Theorie der neuronalen Prozesse von Fledermäusen auch eine Vorstellung von deren mentalen Zuständen implizieren könne. (10)5 Die Antwort soll naheliegenderweise sein: Nein, denn die bloße Einzelwissenschaft (Biologie usw.) kann das „Eigentliche“ des Mentalen ja niemals zureichend erfassen. Dazu bedarf es der Philosophie. Die tatsächliche Antwort ist tatsächlich: Nein – freilich mit der wesentlichen Einschränkung, dass die besagte Theorie gleichwohl die Manipulation der Zustände bewirken kann. Aber die Vorstellung davon wäre uns natürlich in jedem Falle fremd, einfach deshalb, weil wir keine Fledermaus sein können. Und wenn wir eine wären, könnten wir unsere Einsicht nicht mehr auf propositionale Weise formulieren. Wir können uns ja noch nicht einmal zureichend genau vorstellen, wie die mentalen Zustände anderer Menschen beschaffen sind – eine alte Weisheit der hermeneutisch verfassten Philosophie, allerdings nicht der analytischen – wie sollten wir das also im Falle der Fledermäuse können?6 Wie so oft, hatte 4 Wenn man dort noch um eine Seite zurückblättert, stößt man auch sogleich auf einen Eintrag zu Oerter und Montada, zwei Autoren, die vor längerem ein Standardwerk zur Entwicklungspsychologie veröffentlicht haben, das allerdings nur ein – durchaus umstrittenes – Segment möglicher Forschungsansätze repräsentiert. Die Frage, inwieweit die im Vorliegenden referierten Ergebnisse wirklich verbindlich sind, wird vom Autor freilich nicht thematisiert. Aber das wäre gerade die Aufgabe der Philosophie: nicht das zu referieren, was mehr oder weniger willkürlich aus der Fachliteratur einer Einzelwissenschaft herausgesucht worden ist, sondern den Forschungsstand auf seinen Gesamtzusammenhang hin kritisch zu befragen und dann an diesem aufzuzeigen, was nicht mehr zureichend Gegenstand dieser Wissenschaft sein kann. 5 Natürlich kommen auch die bei solcher Gelegenheit aufzuzählenden „Farbblinden“ zu ihrem Recht. 6 Im übrigen ist das Bewusstsein „klassisch-makroskopisch“, wenn es auch aus Mikroskopischem emergiert – wie das ja in der Natur immer ist. Und so, wie wir nicht einst der Kollege Nagel eine weitoffene Tür eingerannt und nachher behauptet, sie sei verschlossen gewesen. Heute wird das dann permanent nachgebetet. Insofern also können wir beruhigt sein: Wieder ein Buch, das wir uns ersparen können. Traurig nur, dass sein Inhalt schon seit längerem in Seminaren Verbreitung findet und auf diese Weise Einseitigkeit und Halbwissen unter arglose Studierende befördert. Rainer E. Zimmermann „quantentheoretisch“ wahrnehmen und denken können, können wir auch nicht „neurologisch“ wahrnehmen und denken.