WECHSELwirkungen in der modernen Teilchenphysik Thomas Mannel, Theoretische Elementarteilchenphysik, Universität Siegen Die Vorstellungen, wie elementare Bausteine untereinander wechselwirken, haben sich im vergangenen Jahrhundert mindestens genauso dramatisch verändert wie der Begriff, was eigentlich “elementarer Baustein” bedeutet. Historisch gesehen war die klassische Mechanik die erste Theorie einer Wechselwirkung, bei der die Bewegungen (genauer: die Bahnkurven) von Körpern als Resultat von Kraftwirkungen erkannt wurde. Da diese Kräfte normalerweise direkt an den Körpern angreifen, bezeichnete man diese Kraftwirkungen auch als “Nahwirkung”. Zur Erklärung der Schwerkraft stellte sich bald heraus, dass dieser Kraftbegriff nicht ausreichend war. Um Gravitationsphänomene zu beschreiben wurde der Begriff eines “Kraftfeldes” eingeführt, das an jedem Raumpunkt die auf den Körper wirkende Kraft beschreibt. Das Schwerefeld der Erde ist ein solches Kraftfeld, und die Quelle dieses Feldes ist die Masse der Erde. Die Gravitation wird allgemein durch Kraftfelder beschrieben, deren Quelle die Masse der Körper ist. Hierdurch werden also Kräfte beschrieben, die nicht “direkt” angreifen, sondern “Fernwirkungen” sind. Diese Erkenntnis stellte einen historischen Durchbruch dar. Isaak Newton erkannte als erster, dass die Kraft, die einen Apfel vom Baum fallen läßt, die gleiche ist, die auch die Bewegung des Mondes und der Planeten bestimmt. Damit war die moderne Himmelmechanik geboren, und man war plötzlich in der Lage, die Wechselwirkungen der Sonne mit den Planeten zu verstehen, wodurch auch vorher empirisch gefundene Gesetzmäßigkeiten dynamisch erklärt werden konnten. Elektrische und magnetische Kräfte sind wie die Schwerkraft ebenfalls schon lange bekannt und werden auch durch Kraftfelder beschrieben. Allerdings sind die Quellen von elektrischen Kräften die (elektrischen) Ladungen der Körper, die von magnetischen Kräften sind elektrische Ströme. Ende des 19. Jahrhunderts gelang dann James Maxwell die Vereinheitlichung von elektrischen und magnetischen Phänomenen in der Theorie des Elektromagnetismus, wobei die elektromagnetischen Wechselwirkungen aber immer noch durch Kraftfelder beschrieben werden. Die Gravitation und die elektromagnetischen Kräfte sind die Wechselwirkungen, die unser tägliches Leben bestimmen. Die Richtung der Gravitationskraft definiert “oben” und “unten”, während die elektromagentische Wechselwirkung die Chemie der uns umgebenden Substanzen sowie “Licht” und “Farbe” bestimmt. Neben diesen beiden Wechselwirkungen kennt die moderne Physik noch zwei weitere, die starke und die schwache Kraft. Die Entdeckung beider Wechselwirkungen ist eng verknüpft mit dem Wechsel unseres Verständnisses, was die elementaren Bausteine der Materie sind. Schon die altgriechischen Philosophen haben auf der Suche nach den elementaren Bausteinen Gedankenexperimente durchgeführt. So hat Demokritos überlegt, dass die fortgesetzte Halbierung eines Körpers schlussendlich auf etwas führen müsse, was nicht mehr teilbar (“atomos”) ist. Dieser Begriff wurde in der Chemie aufgegriffen, wo die verschiedenen 1 chemischen Elemente als aus verschiedenen Atomensorten bestehend aufgefasst wurden. Der Nachweis von Atomen ist dann später mittels Streuexperimenten gelungen, wobei sich allerdings herausgestellt hat, dass Atome aus einem sehr kleinen, positiv geladenen Kern und einer negativ geladenen Hülle bestehen, von der wir heute wissen, dass sie aus Elektronen bestehen. Mit dieser Entdeckung war auch klar, dass Atome mitnichten “unteilbar” sind. Atome können nicht nur in den Kern und in die Elektronen der Atomhülle zerlegt werden, sondern auch die Atomkerne können weiter zerlegt werden. Die Bausteine der Kerne sind Protonen und Neutronen, und die Zahl der Protonen in einem Kern legt fest, welches chemische Element vorliegt. Weitergehende Untersuchungen der Kernbausteine haben ergeben, dass Protonen und Neutronen ebenfalls nicht elementar sind, sondern sich wiederum aus den sogenannten Quarks zusammensetzen; jeweils drei Quarks bilden ein Proton bzw. ein Neutron. Der Zusammenhalt der Kerne sowie die Bindung der Quarks in Proton und Neutron ist die sogenannte starke Wechselwirkung. Sie ist sehr viel stärker als die elektromagnetische Kraft und die Schwerkraft; kernphysikalische Prozesse könne deshalb ungleich viel mehr Energie freisetzen als chemische Prozesse, wie wir leider aus militärischen Anwendungen wissen. Andererseits ist auch unsere Sonne ein thermonuklearer Ofen, ohne den es kein Leben auf der Erde gäbe. Die schwache Wechselwirkung ist erstmalig in der Radioaktivität schwerer Elemente beobachtet worden. Bei den sogenannten Beta-Zerfällen wechseln Atomkerne ihre Identität: Durch die schwache Wechselwirkung können sich chemische Elemente umwandeln, da sich die Zahl der Protonen in den Atomkernen durch diese Wechselwirkung ändern kann. Auf den ersten Blick spielt die schwache Kraft in unserem Leben keine Rolle; allerdings könnten die Prozesse, welchen die Sonne scheinen lassen, ohne die schwache Wechselwirkung nicht ablaufen, die Sonne würde ohne die schwache Wechselwirkung nicht scheinen. Das moderne Verständnis von Wechselwirkungen basiert allerdings nicht mehr auf dem Begriff von Kraftfeldern. Die moderne mikroskopische Beschreibung erfolgt in einer Kombination von Relativitätstheorie und Quantentheorie, er sogenannte “Quantenfeldtheorie”. Zum einen erfordert die Relativitätstheorie, dass sich die Wirkung einer Ursache sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten kann, so dass es keine “instantanen” Kraftwirkungen geben kann. Zum anderen wird jegliche Materie in der Quantentheorie durch Felder beschrieben, die “quantisiert” sind, also Feldquanten auftreten, die als Teilchen interpretiert werden. Im Rahmen dieser Dualität von Teilchen und Feldern werden nun die oben diskutierten Kraftfelder zu Quantenfeldern, deren Feldquanten als Teilchen auftreten. Das wohl bekannteste Feldquant ist das Photon, was aus der Quantisierung der Maxwell’schen Elektrodynamik resultiert. In der sogenannten Quantenelektrodynamik werden somit die elektromagnetischen Wechelswirkungen beschrieben durch den Austausch von Photonen zwischen geladenen Körpern oder auch zwischen geladenen Elementarteilchen, die elektromagnetische Kraft entsteht also durch den Austausch von Photonen. Alle anderen bekannten Wechselwirkungen werden ebenfalls durch den Austausch von Feldquanten beschrieben. Obwohl noch keine konsistente Quantentheorie der Gravitation formuliert werden konnte, gibt es kaum Zweifel daran, dass die Schwerkraft durch den Aus2 tausch von Gravitonen, den (noch hypothetischen) Feldquanten des Schwerefeldes zustande kommt. Die Beschreibung der starken und schwachen Wechselwirkung mittels einer Quantenfeldtheorie ist extrem erfolgreich. In den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ist es gelungen, konsistente Quantenfeldtheorien für diese Wechselwirkungen zu formulieren, die den Kern des heutigen Standardmodells der Elementarteilchenphysik bilden. Dieses Modell wurde vor etwa dreißig Jahren formuliert und hat bisher jeglicher experimenteller Überprüfung standgehalten. Im Standardmodell haben die Kraftfelder der starken Wechselwirkung insgesamt acht verschiedene Feldquanten, die sogenannten Gluonen; der Austausch dieser “Klebeteilchen” ist die Ursache für die starke Kernkraft. Die schwache Kraft wird vermittelt durch drei Feldquanten, dem W + , dem W − und dem Z 0 . Sowohl die Gluonen wie auch die W ± und Z 0 Teilchen sind in Experimenten bei höchsten Energien nachgewiesen worden. Damit gibt es im Standardmodell der modernen Teilchenphysik (ohne die Gravitation) insgesamt 12 Feldquanten, die alle bekannten Wechselwirkungen vermitteln. Viele Kollegen der Elementarteilchenphysik sind der Meinung, dass diese Beschreibung trotz ihres Erfolges nicht die endgültige sein kann, da eine Quantenfeldtheorie bestimmte Vorhersagen prinzipiell nicht machen kann. Nach heutigem Verständnis können beispielsweise die Massen der elementaren Bausteine nicht vorhergesagt werden: So hat beispielsweise das Elektron zwei schwerere Partner, das Müon und das τ -Lepton, die exakt die gleichen Eigenschaften haben, jedoch unterschiedliche Massen. Der Grund für diese “Verdreifachung” bleibt uns in der Beschreibung mittels einer Quantenfeldtheorie verborgen. Deshalb ist es nicht unwahrscheinlich, dass die heutige Beschreibung durch eine noch fundamentalere abgelöst werden wird und wir in einigen Jahrzehnten ein völlig anderes Bild der fundamentalen Wechselwirkungen haben werden. 3