Bestimmung des Heparinspiegels im Blut Neue Methoden und Chancen für eine effiziente Kontrolle der Blutgerinnung Heparin, eine heterogene Mischung von Mucopolysacchariden aus der Schleimhaut vom Schweinedarm, ist in vielen Formen seit mehr als 60 Jahren als wichtigstes Medikament zur kontrollierten Senkung der Blutgerinnung im Gebrauch. Unfraktionierte (UF) oder hochmolekulare (HMWH, Molmasse 10–20 kDa) Heparine werden meist bei chirurgischen Eingriffen verwendet. Fraktionierte, niedermolekulare Heparine (LMWH, Molmasse 3-6 kDa) werden dagegen zu Thromboseprophylaxe eingesetzt und mittlerweile schon bei Langstreckenflügen zur Dr. Vitali Vogel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biophysik, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Vorbeugung beim „Economy-Class-Syndrom“ empfohlen. Die Dosierung von Heparin erfolgt empirisch und folgt einer Faustregel (300–350 Einheiten/kg Körpergewicht), ohne die individuelle Reaktion des Patienten zu berücksichtigen. Bei höheren Dosen, z.B. vor Beginn eines herzchirurgischen Eingriffs, wird die Blutgerinnungszeit bestimmt, meist nach der Methode der activated clotting time (ACT). Mit der Heparingabe wird eine Gerinnungszeit von 5–8 min (normal: ca. 2 min) angestrebt. In der Praxis ist die Messung des Gerinnungsverhaltens mittels ACT oder neueren Methoden zur gezielten Überwachung des Patienten nur bedingt geeignet, da sie von der individuellen Reaktion des Patienten, der Temperatur, oder durch bestimmte Medikamente wesentlich beeinflusst wird. Insbesondere beim Nachdosieren von Heparin während einer Operation oder der Neutralisierung der Heparinwirkung am Ende der Operation durch die Injektion von Protamin entstehen dabei beträchtliche Risiken für den Patienten in Form einer erhöhten Blutgerinnung oder von Blutungen. Hier würde eine direkte Bestimmung des akHeparinAbb. 1: Größenverteilung der Nanopartikel aus Hepa- tuellen spiegels die rin und Protamin: Oben: Hochmolekulares Heparin (Liquemin mit (blau) Versorgung des Paund ohne (schwarz) Serum-Albumin Unten: Niedermo- tienten deutlich lekulares Heparin (Clexane) mit (rot) und ohne verbessern. (schwarz) Serum-Albumin Dipl.-Phys. Cathleen Häse, Diplomarbeit über die Entwicklung von neuen quantitativen Messmethoden für die Heparinbestimmung in Blut Die Wirkung von Heparin und Protamin Heparin ist ein Polyelektrolyt mit negativ geladenen Sulfatgruppen. Seine gerinnungshemmende Wirkung beruht darauf, dass es an Thrombin und den Gerinnungsfaktor Xa bindet. Die negativen Ladungen von Heparin binden wesentlich stärker an die positiv geladenen Aminogruppen von Protamin, so daß der gerinnungshemmende Effekt durch die Gabe von Protamin wieder aufgehoben werden kann. Grundsätzlich kann Heparin im Blut oder Blutplasma mit chromatographischen Methoden im Labor bestimmt werden. Die Bestimmungsmethoden sind jedoch zu aufwendig und werden daher im normalen Klinikbetrieb nicht angewandt. Heparin und Protamin bilden Nanopartikel Gibt man zu einer klaren Plasmalösung von heparinisiertem Blut das Gegenmittel Protamin, so wird die Lösung, für das Auge sichtbar, trübe. Diese Trübung ist seit der Frühzeit der Heparinanwendung vor rund 70 Jahren bekannt. Ein 1:1 Komplex aus Heparin und Protamin ergibt rechnerisch eine Molmasse GIT SPEZIAL SEPARATION 01/2007, S. 25-27, GIT VERLAG GmbH & Co. KG, Darmstadt Prof. Dr. Werner Mäntele, Professor für Biophysik am Fachbereich Physik und Direktor des Instituts für Biophysik an der Johann Wolfgang Goeth-Universität Frankfurt am Main von höchstens 20–30 kDa und eine Ausdehnung von etwa 3 nm, so dass sichtbares Licht kaum gestreut wird. Die Trübung der Lösung ist daher ein klarer Hinweis auf die Bildung nanoskaliger Partikel, die weit größer sein müssen als dieser 1:1 Komplex. Wir haben diese Heparin-Protamin-Partikel unter physiologischen Bedingungen näher untersucht und ihre Größe, ihre Eigenschaften und die Kinetik ihrer Bildung mit Lichtstreutechniken und analytischer Ultrazentrifugation bestimmt. Es zeigt sich dabei, daß die Aggregation von Heparin und Protamin so spezifisch ist, dass daraus eine klinisch anwendbare Methode zur Heparinbestimmung entwickelt werden konnte. Ultrazentrifugation zur Bestimmung von absoluten Partikelgrößen Die klassische Methode zur Bestimmung von Molekül- oder Partikelgrößen ist die analytische Ultrazentrifugation, mit der bei einem speziellen Zentrifugenrotor mit optischen Fenstern der Sedimentationsprozess spektroskopisch verfolgt werden kann (s. auch GIT 08/2007, s. 633–635). Aus der Sedimentationsgeschwindigkeit, die www.gitverlag.com www.PRO-4-PRO.com von der Zentrifugalkraft, dem Auftrieb und der Reibung im Medium bestimmt wird, kann die Partikelgröße berechnet werden. Wir haben diese Heparin-Protamin-Partikel für Heparin, das jeweils mit einem mehrfachen Überschuss an Protamin versetzt worden war, untersucht. Die Partikelgröße zeigt unterschiedliche Verteilungen für hochmolekulares und für niedermolekulares Heparin, mit mittleren Partikelradien von etwa 30 nm bzw. 60 nm (Abb.1). Auffällig ist, dass die Verteilungen in beiden Fällen relativ schmal sind, wenn das Plasmaprotein Albumin anwesend ist. In Abwesenheit von Albu- min sind die Verteilungen sehr viel breiter und es ergeben sich im Mittel größere Partikel. Wir erklären dies durch eine Bindung von Heparin an an Oberflächenladungen von Albumin, die zwar nicht besonders spezifisch ist, die aber aufgrund der großen vorhandenen Albuminmenge zu einer geringeren Menge an freiem Heparin und damit zu einer langsameren und gleichmäßigeren Bildung von Heparin-Protamin-Partikeln führt. Lichtstreumessungen zur Partikelbestimmung Abb. 2: Analyse der Partikelbildung mit der Dissymmetriemethode (I45°/I135°) Abb. 3: Abhängigkeit der Lichtstreuung bei 45° von der Heparinkonzentration bei niedermolekularem Heparin (Clexane) und bei hochmolekularem Heparin (Liquemin) Abb. 4: Modell zur Heparinbindung an Antithrombin, Protamin und Albumin im Blutplasma: (a) Ausgangszustand Blutplasma; (b) nach Heparingabe; (c) nach Protamingabe; (d) Partikelbildung Abb. 5: (a) Partikelbildung als Funktion der Zeit in Modellserum (HSA, PBS) mit unterschiedlichem Gehalt an hochmolekularem Heparin (Liquemin ) nach Zugabe von Protamin im Überschuss (b) Streulichtmessungen an Blutplasmaproben mit unterschiedlichem Gehalt an Heparin Mit der analytischen Ultrazentrifugation lässt sich mit einigen plausiblen Annahmen ein recht guter Absolutwert für die Partikelgröße bestimmen. Für eine Untersuchung des Partikelbildungsprozesses ist sie jedoch aufgrund des Zeitaufwands nur bedingt geeignet. Wir haben daher auf eine von uns entwickelte Lichtstreumethode zurückgegriffen, bei der wir bei mehreren Winkeln gleichzeitig den Anteil des Lichts messen können, der von der Partikelsuspension gestreut wird (s. auch GIT-Laborjournal 08/2007, s. 633–635). Dieser Methode liegt die sogenannte Rayleigh-Gans-Debye-Näherung zugrunde, die Lichtstreuung durch Partikel beschreibt, die deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des verwendeten Lichts. Sie erlaubt eine Bestimmung der Partikelzahl über die Messung der Intensität des gestreuten Lichts bei einem Winkel in Vorwärtsrichtung, z.B. bei 45 °. Nimmt man zusätzlich die Intensität der Rückstreuung, z.B. bei 135 °, und bildet den Quotienten I45 °/I135 °, so erhält man Informationen über die Größe der Partikel, d.h. ihre Bildung oder ihren Zerfall. Dies wird als Dissymmetriemethode bezeichnet. Bei stabilen Partikeln kann der aus dem Streuverhalten ermittelte Wert mit den Daten aus der analytischen Ultrazentrifugation verglichen und quasi „kalibriert“ werden. Im Gegensatz zur Ultrazentrifugation benötigt die Messung der Streulichtintensität nur einen geringen Zeitaufwand und kann leicht im Minuten- oder Sekundentakt erfolgen, so daß auch schnell erfolgende Größenänderungen verfolgt werden können. Verwendet man stärkere Lichtquel- Abb. 6: Ablauf eines Heparintests len, so kann die Zeitauflösung noch weiter, bis in den Bereich von ms oder µs, gesteigert werden. Wie bilden sich diese Partikel ? Die Partikelbildung setzt ein, wenn mindestens zweifacher (bei niedermolekularem Heparin) bzw. dreifacher (bei hochmolekularem Heparin) Überschuss an Protamin vorliegt. Dies zeigt die Messung des Quotienten I45 °/I135 ° bei der Lichtstreuung (Abb 2). Ein weiterer Protaminüberschuss vergrößert die Partikel nicht weiter. Diese Lichtstreumessung zeigt auch, dass die Partikelgröße nicht wesentlich von der anfangs vorhandenen Heparinmenge abhängt. Misst man dagegen nur in Vorwärtsrichtung bei 45 °, so zeigt sich eine klare Abhängigkeit von der Heparinkonzentration (Abb. 3). Wir müssen daher davon ausgehen, dass sich bei der Komplexbildung Partikel einer bestimmten Größe bilden, solange Heparin verfügbar und Protamin im Überschuss vorhanden ist. Deren Zahl kann dann durch die Lichtstreuung bei 45 ° bestimmt werden. Aus der Lichtstreuung bei 45 ° lässt sich auch die Dynamik der Partikelbildung bestimmen, wenn die Streuintensität zeitabhängig aufgenommen wird. Typischerweise werden nach einigen Minuten die Endwerte erreicht. Partikelbildung spiegelt die Wiederherstellung der Gerinnungskaskade wider Wie könnte ein klinischer Test für Heparin aussehen ? Wir haben ein sehr stark vereinfachtes Modell entwickelt, das die Bildung dieser Partikel im Zusammenhang mit der Gerinnungskaskade beschreibt (Abb. 4). In diesem Modell wird im Blutplasma nur Albumin und Antithrombin (4a) in Betracht gezogen. Die Blutgerinnung wird durch Heparingabe herabgesetzt, da Heparin an Antithrombin bindet und es inaktiviert (4b). Heparin bindet zwar auch an die Ladungen von SerumAlbumin, jedoch wesentlich weniger spezifisch. Insgesamt ist kaum freies Heparin im Blut vorhanden, sondern im wesentlichen an Antithrombin gebunden und zusätzlich durch die Heparinbindung abgepuffert“. Um die Wirkung von Heparin aufzuheben, wird Protamin gegeben (4c). Protamin bindet Heparin wesentlich spezifischer als Antithrombin und konkurriert mit Antithrombin und Albumin um die Heparinbindung. Sukzessive entstehen so Protamin-Heparin-Komplexe und die Aktivität von Antithrombin wird wiederhergestellt. In einem letzten Schritt bilden die Heparin-Protamin-Komplexe durch Aggregation nanoskalige Partikel, die mittels Lichtstreuung nachgewiesen werden können (4d). Betrachtet man die Gleichgewichtskonstanten der Bindungen von Heparin mit Antithrombin, Albumin, und Protamin, so lässt sich vermuten, daß die Partikelbildung im wesentlichen der Dissoziation des Heparin-Antithrombin-Komplexes entspricht. Der Ablauf eines Heparintests, der in wenigen Minuten ausgeführt werden kann, ist in Abb. 6 skizziert. Für eine Heparinbestimmung auf der Basis der hier beschriebenen Partikelbildung reicht eine kleine Menge Blut (etwa 1 ml) aus. Zunächst wird daraus Blutplasma gewonnen, entweder durch Zentrifugation oder durch Trennung mit Separationsmembranen. Diesem Blutplasma wird dann Protamin im Überschuss zugegeben. Nach einer Einstellzeit für die Partikelbildung von einigen Minuten kann ein Lichtstreuwert abgelesen werden, der ein Maß für die Heparinkonzentration ist. Auch eine kontinuierliche Heparinbestimmung, z.B. im Verlauf einer Operation, ist denkbar. Die kompakten Lichtstreumessgeräte für diese Anwendungen werden derzeit bei uns entwickelt. Im nächsten Schritt planen wir eine Testreihe an einem großen Herzzentrum, um die Praxistauglichkeit dieses Verfahrens zu evaluieren. Dabei wird vor allem überprüft, inwieweit die bisher gängigen Blutgerinnungstests ergänzt oder ersetzt werden können. Unsere bisherigen Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich, dass dieses neue Verfahren bald als zuverlässige Messmethode zur effizienten Kontrolle der Blutgerinnung klinische Anwendung finden wird. Eine direkte Meßmethode für Heparin mittels Lichtstreuung Die Streulichtintensität in Vorwärtsrichtung (45 °) hängt direkt von der Zahl der gebildeten Heparin-Protamin-Partikel ab (s. Abb 3). Daraus ergibt sich eine einfache und elegante Methode, um die vorhandene Menge an Heparin in einer Blutplasmaprobe direkt zu bestimmen. Wir haben dazu Blutplasmaproben mit unterschiedlicher Heparinkonzentration mit einem Überschuss an Protamin versetzt und die Lichtstreuung unter 45 ° gemessen (Abb 5a). Nach etwa 5 Minuten kann ein stabiler Streuwert für die gebildeten Partikel ausgewertet werden, der nahezu linear mit der ursprünglich vorhandenen Heparinmenge korreliert (Abb 5b). Dieses Verfahren kann sowohl bei hochmolekularen Heparinpräparaten (z.B. Liquemin) als auch bei niedermolekularen Heparinpräparaten (z.B. Clexane) angewandt werden. Es können auch höhere Heparinkonzentrationen erfasst werden; allerdings muss unter diesen Bedingungen mit Mehrfachstreuung gerechnet werden, die in einer Abweichung vom linearen Zusammenhang resultiert. Bei sehr kleinen Heparindosierungen ist die Empfindlichkeit nur durch den Ausgangswert der Lichtstreuung der Plasmapräparation begrenzt. Danksagung Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. Doan Baykut, Herz-Thorax-Chirurgen, Uniklinik Basel, für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. KONTAKT Dr. Vitali Vogel Cathleen Häse Prof. Dr. Werner Mäntele Institut für Biophysik Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Tel.: 069/798-46410 Fax: 069/798-46423 [email protected] www.biophys.uni-frankfurt.de