Die vollständige Pressemitteilung können Sie

Werbung
PRESSEMELDUNG
08.04.2010
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung
und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut –
Beutenbergstraße 11a
07745 Jena / Deutschland
+49 (0) 3641 – 532 10 11 (T)
+49 (0) 3641 – 532 08 01 (F)
[email protected]
www.hki-jena.de
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Neues Antibiotikum gegen multiresistente Keime entdeckt
Jenaer Forscher stimulieren anaerobes Bakterium erstmals zur Wirkstoffproduktion
Jena. Zum ersten Mal ist es gelungen, anaerobe Bakterien zur Bildung von Antibiotika zu
bewegen. Solche Mikroorganismen, die nur in völliger Abwesenheit von Sauerstoff
gedeihen können, waren bislang als Wirkstoff-Produzenten völlig unbekannt. Christian
Hertweck und sein Team vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und
Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut – in Jena imitierten durch Zugabe von
Bodenextrakt zum Nährmedium die Verhältnisse in der Natur. Das Bodenbakterium
Clostridium cellulolyticum stimulierten sie dadurch zur Bildung einer Verbindung, die
unter den üblichen Laborbedingungen nicht produziert wird. Die als Closthioamid
bezeichnete neue Substanz ist doppelt interessant: Es handelt sich um ein äußerst
ungewöhnliches, schwefelreiches Molekül. Closthioamid ist zudem gegen Problemkeime
wie multiresistente Staphylokokken wirksam und könnte als Grundlage für die
Entwicklung einer neuen Antibiotika-Generation dienen. (Angewandte Chemie
International Edition 2010, 49, 2011)
Seit der Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming im Jahr 1928 wurde eine Vielzahl
weiterer Antibiotika entdeckt. Dabei sind Naturstoffe aus Mikroorganismen die wichtigste Quelle
für die therapeutische Anwendung am Menschen. Zahllose Menschenleben konnten gerettet
werden, seit gefürchtete Infektionskrankheiten schnell und einfach bekämpft werden können.
Doch die Erreger – meist Bakterien – sind sehr einfallsreich. Immer wieder gelingt es ihnen, die
Wirkung von Antibiotika zu umgehen und dagegen resistent zu werden. Paradebeispiel ist
Staphylococcus aureus, der heute als multiresistenter Keim kaum noch bekämpfbar ist und vor
allem in Krankenhäusern lebensbedrohliche Infekte auslöst. Durch ihre hohe Vermehrungsrate
geben die Bakterien ihre genetische Information rasend schnell weiter. So können sich auch
Gene, die für Antibiotika-Resistenzen verantwortlich sind, binnen Wochen ausbreiten und sogar
Artgrenzen überwinden.
Die Wissenschaftler stehen im Wettlauf mit der Natur, die durch fortwährende Mutation der
Organismen solche Resistenzen hervorbringt. Weltweit arbeiten Forscher an der Suche nach
neuen Antibiotika und versuchen, neue Quellen für antibakterielle Substanzen zu erschließen.
Christian Hertweck und seine Kollegen am Hans-Knöll-Institut in Jena wählten hierfür Bakterien,
deren Lebensraum eine völlig Sauerstoff-freie Umgebung ist. Bei solchen „Anaerobiern“ wie
Clostridium cellulolyticum war die Bildung von Antibiotika bisher völlig unbekannt. Das gesamte
Genom des Bakteriums wurde kürzlich sequenziert, und den Jenaer Forschern fiel auf, dass
Clostridium cellulolyticum Gene für die Bildung bislang völlig unbekannter Stoffe besitzt.
Anscheinend sind diese Gene unter den standardisierten Laborbedingungen still. Die
Wissenschaftler versuchten, die Naturstoff-Synthese durch Variation der Kulturbedingungen in
Gang zu setzen. Weder die Zugabe verschiedener Nährstoffe und Stressfaktoren, noch die
Änderung von Temperatur oder pH-Wert führten zum Erfolg. Schließlich besannen sich
Hertweck und Kollegen auf die Herkunft des Bakteriums: Es wurde aus pflanzlichem Kompost
isoliert und trägt zum Verrottungsprozess bei, indem es die Cellulose abgestorbener Pflanzen
abbaut. Daher lag es nahe, bei der Kultivierung ähnliche Bedingungen zu schaffen, wie sie in
der natürlichen Umgebung des Bakteriums vorherrschen. Nach Zugabe eines Extraktes aus
einer Bodenprobe änderte sich das Bild: Das Spektrum der von Clostridium cellulolyticum
gebildeten Stoffe enthielt eine neue Komponente. Aus fünf Litern Kulturansatz konnte in
langwierigen Trenn- und Reinigungsprozeduren ein Milligramm der neuen Verbindung isoliert
werden. Die winzige Menge reichte zur Aufklärung der Molekülstruktur und der biologischen
Aktivität.
Die Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht überraschend. Der neue Naturstoff – er erhielt die
Bezeichnung Closthioamid – ist ein strukturell sehr ungewöhnliches, symmetrisches Molekül,
das zahlreiche Schwefelatome besitzt. Erste biologische Untersuchungen zeigten zudem, dass
Closthioamid gegen multiresistente Krankheitserreger aktiv ist. Die Wirkungsweise ist bislang
unbekannt. Die laufenden Forschungen am HKI sollen nicht nur den Mechanismus aufklären,
sondern auch zeigen, ob der neue Naturstoff für die Entwicklung von Antibiotika geeignet ist.
Außerdem studieren die Wissenschaftler die Biosynthese der außergewöhnlichen Substanz.
Sie könnte Möglichkeiten aufzeigen, das Molekül durch gentechnische Eingriffe in das
bakterielle Erbgut gezielt zu verändern und bestimmte Eigenschaften zu verstärken.
Professor Christian Hertweck zum Erfolg seines Teams: „Wir freuen uns sehr über unsere
überraschende Entdeckung. Nicht nur, weil wir ein neues Antibiotikum gefunden haben. Durch
unsere Arbeit wird auch klar, dass das Potential einer riesigen Organismengruppe bislang völlig
übersehen wurde. Offensichtlich muss man nur die richtigen Bedingungen finden, um den
Mikroorganismen ihre Schätze zu entlocken. Die kommenden Jahre werden auf diesem Gebiet
sicherlich noch viele Überraschungen bringen.“
Die Ergebnisse wurden soeben im angesehenen Fachjournal Angewandte Chemie International
Edition publiziert.
Originalveröffentlichung:
Lincke T, Behnken S, Ishida K, Roth M, Hertweck C (2010)
Closthioamide: an unprecedented polythioamide antibiotic from the strictly anaerobic bacterium
Clostridium cellulolyticum.
Angew Chem Int Ed Engl. 49(11): 2011-2013.
weitere Informationen:
Prof. Dr. Christian Hertweck
Dr. Michael Ramm
Tel. +49 3641 5321100
Tel. +49 3641 5321011
[email protected]
[email protected]
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut
Beutenbergstraße 11a
07745 Jena
Informationen zum HKI (www.hki-jena.de)
Das Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut –
wurde 1992 gegründet und gehört seit 2003 zur Leibniz-Gemeinschaft. Die Wissenschaftler des
HKI befassen sich mit der Infektionsbiologie human-pathogener Pilze. Sie untersuchen die
molekularen Mechanismen der Krankheitsauslösung und die Wechselwirkung mit dem
menschlichen Immunsystem. Neue Naturstoffe aus Mikroorganismen werden auf ihre
Wirksamkeit gegen Pilzerkrankungen untersucht und zielgerichtet modifiziert.
Das HKI verfügt derzeit über fünf wissenschaftliche Abteilungen, deren Leiter gleichzeitig
berufene Professoren der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) sind. Hinzu kommen
mehrere Nachwuchsgruppen und Querschnittseinrichtungen mit einer integrativen Funktion für
das Institut, darunter das anwendungsorientierte Biotechnikum als Schnittstelle zur Industrie.
Zur Zeit arbeiten etwa 300 Menschen am HKI, darunter 110 Doktoranden.
Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft (www.leibniz-gemeinschaft.de)
Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für
die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von
den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und
Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten
strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.
Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Die LeibnizInstitute beschäftigen etwa 14.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind ca. 6.500
Wissenschaftler, davon wiederum 2.500 Nachwuchswissenschaftler.
Ansprechpartner
Dr. Michael Ramm
Wissenschaftliche Organisation
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie e.V.
– Hans-Knöll-Institut –
Beutenbergstrasse 11a
07745 Jena
+49 3641 532 10 11 (T)
+49 3641 532 08 01 (F)
michael.ramm @hki-jena.de
Presseservice: [email protected]
http://www.presse.hki-jena.de
Herunterladen