Porträt Der Forschungsstollen, Herzstück der Anlage in Moxa, wurde 70 Meter tief in den Hang gegraben. Zwei Luftdruckschleusen trennen die Forscher von der Außenwelt. Horchposten ins Erdinnere Das Geodynamische Observatorium in Moxa Aufgerissene Straßen, umgeknickte Strommasten, meterhohe Trümmerberge, die einmal Wohnhäuser, Geschäfte, Cafés waren. Menschen graben mit bloßen Händen bis zur totalen Erschöpfung in diesen gewaltigen Stein- und Betonmassen, auf der verzweifelten Suche nach ihren Kindern, Geschwistern, Eltern, Freunden. 17 200 Menschen starben beim letzten großen Erdbeben in unserer Hemisphäre am 19. 8. 1999 in der Türkei. Die Bilder der Verwüstung, von Trauer und Leid sind noch präsent. So wie Wirbelstürme, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen gehören Erdbeben zu den nicht vorhersehbaren, kaum berechenbaren Naturkatastrophen, die immer wieder irgendwo auf der Erde über uns hereinbrechen. Beinahe so alt wie die Angst des Menschen vor diesen Phänomenen ist sein Bemühen darum, diese Naturereignisse beob- 8 achten, verstehen und erklären zu können. Erdbeben wie das in der Türkei werden heute u. a. von einem Netz von 18 gravimetrischen Beobachtungsstationen weltweit registriert und analysiert. Ausgestattet mit der modernsten Technik auf dem Gebiet der Seismologie, entgeht diesen Horchposten auch nicht das feinste Knirschen und Knacken im Inneren der Erde. Eines dieser geodynamischen Observatorien liegt mitten im Thüringer Schiefergebirge, rund 30 Kilometer südlich von Jena und gehört zum Institut für Geowissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität. Ursprünglich wurde vor hundert Jahren eine der ersten Erdbebenstationen überhaupt in ausgebauten Kellerräumen des Physikalischen Instituts in Jena eingerichtet. Nach mehreren Umzügen innerhalb der Stadt beschloss man schließlich Mitte der fünfziger Jahre, einen ruhigeren Ort für die Erdbebenforschung zu suchen, möglichst weit abseits von Verkehrslärm, Industrieanlagen und anderen störenden Einflüssen, erzählt der Leiter der Forschungsstelle, Prof. Dr. Gerhard Jentzsch. Fündig wurden die Wissenschaftler damals schließlich im östlichen Thüringer Wald: In der Nähe der Ortschaft Moxa entdeckten sie ein enges Tal, das allen geologischen Anforderungen entsprach und außerdem von hohen Tannen umsäumt und einem munter dahin plätschernden Bächlein durchflossen durch seine landschaftliche Schönheit bestach. 1964 offiziell eröffnet und im Lauf der Jahrzehnte mehrmals umgebaut und erweitert, wurde die Erdbebenstation Moxa in den vergangenen drei Jahren von Grund auf saniert, renoviert, restauUni-Journal Jena 10/00 Porträt riert und technisch aufgerüstet. Nicht ohne Stolz führt Prof. Jentzsch auf einem Rundgang über das Gelände der Erdbeben-Forschungsstation die verschiedenen Funktionsbereiche des Observatoriums vor, dessen wichtigste Aufgaben darin bestehen, Deformationen der Erdoberfläche und des Erdinnern zu erfassen und auszuwerten, aber auch Veränderungen des Schwerefelds der Erde zu messen. Drei flache, massiv gebaute und miteinander verbundene Bungalows beherbergen in ihrem nördlichen und südlichen Teil die Arbeitsräume, Büros, das Archiv und eine Gästewohnung, während die wirklich spannenden Dinge im Zentralgebäude passieren. Hier stehen in mehreren Räumen auf vier Meter tief in die Erde gegründeten, massiven Betonsockeln verschiedene moderne Seismographen. Sie sind nicht mehr so groß und tonnenschwer wie der knapp hundert Jahre alte, zwar noch funktionstüchtige, aber doch schon museumsreife Horizontal-Seismograph, der in seiner schützenden Glasvitrine dekorativ in einer Ecke steht. Viel kompakter, eher im klassischen Beautycase-Format, registrieren diese hochsensiblen Geräte horizontale und vertikale Erdbewegungen in bis zu 30 Kilometern Tiefe. Obwohl ein Luftspalt zwischen Betonsockel und Fußboden diese Apparate vor unmittelbaren Erschütterungen schützen soll, bewirkt das Getrappel der Besucher geradezu ekstatische Ausschläge auf den Monitoren. Spätestens jetzt begreift auch der Laie, dass diese Räume während forschungsrelevanter Messungsphasen überhaupt nicht betreten werden dürfen. Deshalb können die hier erfassten Daten auch direkt in die Jenaer Zentrale überspielt und dort am Rechner ausgewertet werden. Herzstück der Anlage aber ist ein Forschungsstollen, der rund 70 Meter tief in den östlichen Hang gegraben wurde. Durch zwei Luftdruckschleusen, die die empfindlichen Messgeräte vor störenden Einflüssen schützen sollen, betritt man einen spärlich beleuchteten, feucht-kalten halbrunden Gang, der nach ca. 25 Metern im rechten Winkel abknickt. Dieser Tunnel beherbergt zwei Ouarz-Strainmeter, die auf einer Länge Neuer Stolz der Jenaer Seismologen: Gerhard Jentzsch am supraleitenden Gravimeter, das selbst geringfügigste Schwerkraftveränderungen der Erde zu messen vermag. Fotos (3): Kasper Ohne EDV geht nichts: In einem weltumspannenden Beobachtungsnetz werden die Daten ausgewertet. Uni-Journal Jena 10/00 von 25 Metern nord-südlich bzw ostwestlich im rechten Winkel auf einander zulaufen. Die Quarzrohre sind in ihrer Aufhängung an einem Ende fest eingespannt, während auf der anderen Seite ein Luftspalt zwischen Rohr und Aufhängung klafft. Wenn nun eine seismische Welle durch dieses Messsystem geht, deformiert sie den Felsen, das Quarzrohr bleibt aber in seiner Länge erhalten, und diese Bewegung kann man messen, erklärt Gerhard Jentzsch das sehr präzise Messsystem, das Wegänderungen von bis zu einem Millionstel Millimeter registriert. Um auch die für Erdbebenwellen typischen seitlichen Scherbewegungen aufzeichnen zu können, wurde Ende 1999 in der Diagonalen der beiden Quarz-Strainmeter horizontal ein Loch gebohrt und zusätzlich ein Laser-Strainmeter installiert. Die jüngste und mit einer Million Mark auch teuerste Investition für den seismologischen High-Tech-Park in Moxa war vor knapp einem Jahr ein supraleitendes Gravimeter, das auch minimale Schwerkraftveränderungen an der Erdoberfläche messen kann. Äußerlich in seiner Form an eine überdimensionierte Milchkanne erinnernd, besteht das Gerät in seinem Innern aus einer NiobKugel, die in minus 269 °C kaltem flüssigen Helium in einem sehr konstanten Magnetfeld schwebt. Ändert sich nun etwa zum Gezeitenwechsel die Schwerkraft der Erde, beeinflusst das auch die Lage der Kugel, und diese Abweichungen werden mit Hilfe von Sensoren abgetastet und aufgezeichnet. Da die Genauigkeit dieser und fast aller anderen Messungen und Experimente von den jeweiligen Wetterverhältnissen abhängt, werden in einer eigenen Wetterstation in Moxa im Zehn-Sekunden-Takt unter anderem Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit und Niederschlag registriert. Neben der Kooperation im internationalen Netzwerk IRIS (Incorporated Research Institutions for Seismology) liegt Professor Jentzsch die lokale Erdbebenforschung besonders am Herzen, denn Ostthüringen, und hier besonders die Region um Ronneburg und Gera, ist ein ausgewiesenes Erdbebengebiet. Anhand detaillierter Messungen und Bodenanalysen haben der Geophysiker und sein Team für diese Gegend eine Gefährdungskarte erstellt, die jene Stellen markiert, an denen Industrieanlagen, Brücken oder Talsperren auf keinen Fall gebaut werden sollten. Jentzsch: Da wir den Zeitpunkt, den Ort und die Stärke eines Bebens wohl nie vorhersagen werden können, geht es hier vor allem darum, mit Hilfe unserer Erfahrungen und Erkenntnisse Schaden zu begrenzen. Betina Meißner 9