Hochwasser, Hagelschlag und Herbststürme – was ist bloß mit dem

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Hochwasser, Hagelschlag und Herbststürme –
was ist bloß mit dem Klima los?
Wetterextreme 2013/2014
HANNOVER-FORUM 24. Juni 2014 Dr. Katja Horneffer
Stand: 22. Juni 2014
Meine sehr verehrten Damen, sehr geehrte Herren,
der Titel vermischt einiges. Wetter: das ist der Zustand der Atmosphäre jetzt und in den nächsten zwei, drei Wochen. Klima
dagegen bezeichnet das Wettergeschehen in einer Region über viele, viele Jahre, mindestens 30 Jahre. Und steckt nicht
schon in der Frage „Was ist bloß mit dem Klima los?“ eine Unterstellung?
Eine allerdings naheliegende Unterstellung, denn vielleicht haben auch Sie sich verwundert die Augen gerieben, aufgrund
der Wetterextreme der letzten 18 Monate, und sich gefragt, ob das denn alles noch „ganz normal“ sei.
Dass in einer immer wärmeren Welt das Wetter größere Kapriolen schlägt, scheint einleuchtend. Mehr Wärme bedeutet
mehr Energie. Mehr Wärme bedeutet mehr Verdunstung, mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre. Diese Energie muss sich
entladen und das tut sie in Form von kräftigen Gewittern und mehr Stürmen.
Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass die Weltorganisation für Meteorologie, die WMO, eine Sonderorganisation
der Vereinten Nationen UN, heute vor exakt drei Monaten am 24. März 2014 den Klimawandel durch den Menschen für das
extreme Wetter 2013 verantwortlich gemacht hat!
Die Weltorganisation für Meteorologie hat den Einfluss des Menschen für die extremen Wetterphänomene im vergangenen
Jahr verantwortlich gemacht. Als Beispiel nannte die UN-Wetterbehörde bei der Vorstellung ihres jährlichen Berichts den
Taifun „Haiyan“ und die enorme Hitzewelle in Australien. „Viele der extremen Ereignisse 2013 stimmen mit dem überein,
was wir als Ergebnis eines vom Menschen herbeigeführten Klimawandels erwarten“, sagte WMO-Generalsekretär Michel
Jarraud am Montag.
Der Anstieg des Meeresspiegels trage dazu bei, dass Sturmfluten und Überschwemmungen in Küstennähe verheerendere
Folgen hätten, sagte Jarraud weiter. Das sei besonders bei Taifun „Haiyan“ zu sehen gewesen, der 6100 Menschen das
Leben kostete und auf den Philippinen und in Vietnam für Schäden im Umfang von 13 Milliarden Dollar sorgte.
2013 war laut WMO das sechstwärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. 13 der 14 wärmsten registrierten Jahre
wurden im 21. Jahrhundert gemessen.
Quelle: AP European News Wire, Montag, 24. März 2014, 13:14 Uhr
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Also lassen Sie uns das Wettergeschehen 2013/2014 einmal genauer beleuchten.
„Was ist bloß mit dem Klima los?“ In 45 Minuten werden SIE es wissen!
Lassen Sie uns zunächst einen chronologischen Blick auf die Ereignisse in Deutschland werfen, auf die
Wetterkonstellationen, die erst Hochwasser, dann Hagelschlag und später Herbststürme evozierten.
Lassen Sie uns dann den Blickwinkel etwas weiten und die Einzelereignisse in die Großwetterlagen 2013 einordnen. Hat
sich im ersten Halbjahr 2014 etwas geändert? Und wenn ja, was? Nehmen wir schließlich außer Deutschland, Mitteleuropa
und Europa auch die ganze Welt in den Blick, lassen Sie uns über Klimaschaukeln und Kipppunkte sprechen. Also los!
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2013 Hochwasser
Der Winter 2012/2013 hatte schon am Anfang sehr viel Schnee gebracht, so dass das erste Hochwasser und die ersten
Überflutungen des Jahres 2013 schon Anfang Januar durch Schneeschmelze und Dauerregen in Sachsen und Bayern an
den Nordrändern von Erzgebirge und Alpen auftraten.
Auch Februar und März waren ausgesprochen winterlich und kalt. Schneefälle, Schneeverwehungen, Glätte,
Schneemassen auf Flachdächern bestimmten die Wetterschlagzeilen. Es kam zu Unterrichtsausfällen und Einschränkungen
im Nah- und Fernverkehr.
Der April brachte Sandsturm in Norddeutschland und noch einmal Schneefall, dazu schwere Gewitter in Bayern und im
Erzgebirge, Hagelkörner bis Golfballgröße in der Region München-Landshut, die (in Bodenkirchen) per Schneepflug
beseitigt werden mussten.
Trüb, nass, kühl – so haben wir das Frühjahr 2013 in Erinnerung. Noch weniger Sonne gab es wohl nur 1970 und 1983.
2013 war das Frühjahr so trüb wie seit 30 Jahren nicht mehr, so kühl wie seit 25 Jahren nicht mehr. Und waren März und
April noch eher trocken, holte der Mai das mögliche Wasserdefizit mehr als auf.
Dauerregen mündet in Hochwasser, wenn verschiedene Faktoren zusammenkommen:

Ist der Boden knochentrocken, versickert zunächst wenig, weil der Boden fast wie Beton wirkt. Das Wasser fließt
oberflächlich ab, sammelt sich im Tal oder unterspült den ausgedörrten Boden und erzeugt Schlammlawinen.

Ist der Boden völlig durchfeuchtet, kann er kein weiteres Wasser aufnehmen. Das Wasser fließt meist oberflächlich
ab, oder nimmt das durchweichte Erdreich einfach mit, z. B. an Deichen oder Dämmen

Wenn zeitgleich die Schneeschmelze zum Ausgang des Winters einsetzt

Wenn bereits durch vorangegangene Regenfälle der Wasserstand in den Flüssen und der Grundwasserpegel
besonders hoch sind

Wenn Flutwellen aus den Oberläufen der Flüsse dazukommen
Bis auf den ersten Punkt waren alle Faktoren Ende Mai 2013 gegeben.
„Ende Mai wiesen rund 40 Prozent der Fläche Deutschlands so hohe Bodenfeuchte-Werte auf, wie seit Beginn der
Messungen 1962 noch nie beobachtet wurden.“ Zitat aus Berichte des Deutschen Wetterdienstes 242, Das Hochwasser an
Elbe und Donau im Juni 2013, Christa Stein und Gabriele Malitz, Offenbach am Main 2013, Selbstverlag des Deutschen
Wetterdienstes, Seite 25, Abschnitt 2.2 „Auswirkungen der extremen Bodenfeuchten Ende Mai 2013“
Am Mittwoch, dem 29. Mai 2013 entwickelte sich südlich des Tiefs Dominik über Dänemark und des Tiefs Erdmann über
Frankreich ein neues drittes Tief über den Westalpen. Wir sprechen von einer Genuazyklone oder einem Genuatief, weil
sein Zentrum etwa über Genua liegt. Später wurde dieses Tief auf den Namen Frederik getauft. Solche Tiefs ziehen oft auf
einer ganz bestimmten Zugbahn, die Vb genannt wird.
Einschub Vb-Wetterlage: Das stammt noch aus einer Zeit, in der man gerne die europäischen Großwetterlagen klassifizierte,
und den Hauptwetterlagen I, II, III, IV und V auch noch spezielle Varianten zubilligte. Heutzutage werden diese
Klassifizierungen allerdings kaum noch verwendet, weil sie für Laien weniger anschaulich sind, als zum Beispiel ein Begriff
wie der der „Westwetterlage“. Über all die Zeit gerettet hat sich allein die Vb-Wetterlage, weil sie so speziell ist und damit
schnell und eindeutig zu charakterisieren. Sie führte schon oft zu enormen Schnee- und Regenmengen im Alpenvorland und
im Erzgebirge.
Tief Frederik saugte sich über dem Mittelmeer mit Feuchtigkeit voll, zog über das Dinarische Gebirge ostwärts in die
ungarische Tiefebene. Nach Norden versperrten dem Tief die Alpen den Weg. Von Ungarn wurde die feuchte, energiereiche
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Luft in den Nordosten Deutschlands verfrachtet, gleichzeitig zog das Tief an seiner Westflanke kühlere Luft aus Nordwesten
heran, und da die Winde am Boden zudem noch aus einer anderen Richtung wehten als in einigen Kilometern Höhe – wir
sprechen von Windscherung – war die Niederschlagsentwicklung besonders intensiv.
Wir können es uns so vorstellen, als würde die Feuchtigkeit von allen Seiten zusammengezogen und quasi übereinander
aufgetürmt.
Eine Vb-Wetterlage bringt häufig enorme Niederschlagsmengen, auch für das Augusthochwasser 2002 war eine solche
Wetterlage verantwortlich.
Und dennoch wurde die Wetterlage 2013 noch einmal verschärft. Denn außer den geographischen Besonderheiten
(Karpaten/Alpen) hatten wir es mit einer blockierenden Wetterlage zu tun, einer sogenannten umgedrehten Ω-Lage.
Umgedreht, weil bei einer „normalen“ Ω-Lage ein blockierendes Hoch über Mitteleuropa flankiert wird durch zwei Tiefs über
Südwest- und Südosteuropa. In diesem Fall einer umgedrehten Ω-Lage wurde das Tief Frederik nun aber flankiert durch
zwei Hochs, nämlich Hoch Sabine über dem Atlantik und einem Hoch über dem Weißen Meer.
Diese blockierende Wetterlage begünstigte auch, dass sich am Wochenende 1./2. Juni 2013 östlich von Tief Frederik ein
neues Tief namens Günther bildete. Dieses Tief nahm sozusagen die Stelle von Tief Frederik ein und schickte seinen
Vorgänger, das Tief Frederik, zurück „retrograd“ in Richtung Adria.
Lassen Sie uns einen Blick auf die Niederschlagsmengen vom 29. Mai morgens bis zum 1. Juni morgens werfen: Am
Alpenrand waren 136 Liter pro Quadratmeter gefallen, in der gesamten Südosthälfte Deutschlands mehr als 50 Liter pro
Quadratmeter- von der Uckermark bis in die Eifel und südöstlich davon.
In den kommenden drei Tagen sollten weitere Hunderte Liter Regen pro Quadratmeter fallen, so dass sich die Summen am
Alpenrand in sechs Tagen auf bis zu 416 Liter/m² summierten.
In nur sechs Tagen! Um sich dieses Ausmaß richtig vorstellen zu können: Im gesamten Jahr 2013 sind im Nordosten nur
unwesentlich mehr als diese 416 Liter/m² gefallen: An der Ostsee waren es 483 Liter/m².
Dass diese Wassermassen Hochwasser und Überschwemmungen wie hier an der Mulde brachten, ist daher wenig
verwunderlich.
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2013 Hagelschlag
Kaum hatte sich Deutschland vom Hochwasser im Osten und Süden halbwegs erholt, schlug das Wetter eine neue Kapriole.
Extreme Hitze ließ zwischen dem 18. und 20. Juni 2013 Betonplatten auf Autobahnen aufplatzen (Blow-Up).
Danach wurde es gewittrig, denn ab Mitte Juli 2013 erfasste eine Hitzewelle Deutschland. Auch wenn die Wetterlage eine
andere war als diejenige des Hochwassers, gab es entscheidende Parallelen!
Denn wieder war es die Persistenz, das Viele vom immer Gleichen, die Stagnation in der Wetterlage, die zum wohl
teuersten Hagelunwetter Deutschlands und der Welt führte.
Der Reihe nach. Was ist „normal“ für Mitteleuropa? Normal sind Westwindwetterlagen. Mit ihnen haben wir es - statistisch
gesehen - an zwei von drei Tagen zu tun. Tiefs ziehen mal weiter im Norden, mal weiter im Süden, aber im Wesentlichen
von West nach Ost über uns hinweg.
Der Sommer 2013 nun brachte nach dem Hochwasser eine lang andauernde Periode mit hohem Luftdruck über
Mitteleuropa, nur selten unterbrochen durch einige heftige Gewitter, immer dann, wenn doch mal Tiefs von Westen einen
Versuch wagten, das Hoch ostwärts zu verdrängen. Hoch und Tiefs stellten wieder ein - zwar etwas schiefes - Ω dar:
diesmal „normal“ orientiert. Über seine Erhaltungstendenz haben wir ja schon gesprochen.
Ende Juli 2013 kam Bewegung in diese Ω -Lage. Alle Voraussetzungen für massive Unwetter waren erfüllt.
Schon seit Tagen strömte aus Südwesten heiße, schwülwarme Subtropikluft nach Deutschland, angetrieben durch Tiefs
westlich von uns. Die Nächte blieben warm, oft sogar tropisch, also mit Temperaturen, die nicht unter 20 Grad sanken. Die
Luft war zudem feucht und labil geschichtet.
Labil bedeutet, dass sich ein Luftpaket, das von der Sonne erhitzt wird und sich vom Boden löst, langsamer abkühlt als die
umgebende Luft. Damit erfährt es weiteren Auftrieb und es entstehen große Vertikalbewegungen in der Luft – also
Vertikalwinde, die zum Entstehen sehr großer Hagelkörner dringend erforderlich sind. Denn ein einzelnes kleines
Eiskörnchen muss lange in der Luft gehalten werden, damit es wachsen kann, damit sich mehr Wasser und Eis anlagern
kann. Nur wenn die Vertikalwinde sehr stark sind, können sie der Schwerkraft entgegen wirken, die das Hagelkorn
unweigerlich zu Boden zieht.
Ein Blick auf die Wetterlage vom 28. Juli 2013 zeigt uns, dass viele Tiefs von Westen versuchten Hoch Zlatka nach Osten
zu verdrängen. Das gelang aber auch deshalb nicht, weil ein großes Tief über Russland dagegen drückte: Tief Zander.
Hoch Zlatka wurde also eingequetscht, und für Luft, die eingequetscht wird, gibt es nur eine Richtung um auszuweichen:
nach oben! Denn unten ist ja nur der Erdboden! Vor der Kaltfront von Tief Andreas entstand so eine Konvergenzlinie, eine
Squalline. Die Luft von zwei Seiten strömte zusammen und entlang dieser Linie entwickelten sich am 27. Juli vor allem über
Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, am 28. Juli über Baden-Württemberg heftige Gewitterzellen. Sie enthielten durch
die schwülheiße Luft so viel Energie, dass es zu Hagelunwettern mit tennisballgroßen Hagelklötzen kam.
Zerstörerisch für Fassaden, Dächer, Autoscheiben, Solar- und Photovoltaikanlagen, aber auch Stromleitungen und
Verkehrssignalanlagen vulgo Ampeln.
Interessant auch, dass sich in den Niederschlagsmengen vom 27. bis 29. Juli 2013, also innerhalb 48 Stunden, die Unwetter
in Baden-Württemberg sehr deutlich, diejenigen in Niedersachsen dagegen weniger abzeichnen.
Diese Unwetter waren die heftigsten in Deutschland im Sommer 2013, aber der Sommer blieb heiß mit Unwettern, auch
Hagel und Tornados, Erdrutschen und Sturmschäden.
Der Oktober machte zunächst mit einem Wintereinbruch am 10./11. in den Bergen und in den Alpen von sich reden: Unter
der Schneelast krachten noch belaubte Bäume auf Straßen- und Bahnstrecken. Und dann kamen
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2013 Herbststürme
Ein Vierteljahr nach dem Hagelschlag Ende Oktober 2013.
Orkan Christian.
Waren beim Juni-Hochwasser und beim Juli-Hagel die großen Schäden vor allem der Tatsache zuzuschreiben gewesen,
dass die Wettersysteme eingeklemmt über einen ungewöhnlich langen Zeitraum fast ortsfest verharrten und damit lokal
Wassermassen bzw. Hagelkorn-Giganten produzierten, lag der Fall bei Orkan Christian anders. Der war nun an Dynamik
kaum mehr zu überbieten – und dennoch findet sich bei der Großwetterlage wieder eine Gemeinsamkeit mit denen von
Juni-Hochwasser und Juli-Hagel.
Denn da lag ein großes, ein mächtiges und stabiles Tief, ein richtiger Tiefdruckkomplex namens Burkhard über dem
Westatlantik.
Am 26. Oktober entstand nun aus einer kleinen Welle, wie wir das nennen, ein Randtief, Tief Christian, das auf seinem Weg
nach Osten noch den Rest vom ehemaligen Tropensturm Lorenzo einbezog. Und dieses Randtief Christian wurde jetzt vom
steuernden Tiefdruckkomplex Richtung Mitteleuropa geschleudert.
Das können Sie sich so vorstellen wie beim Eiskunst-Paarlauf. Der Herr kreist ortsfest in der Mitte. Tiefdruckkomplex
Burkhard. An seinem ausgestrecktem Arm hält er seine Partnerin. Orkan Christian. Die Partnerin „liegt“ fast auf dem Eis und
schleudert mit enormer Geschwindigkeit um ihren Partner… Wenn der jetzt losließe… also, bitte nicht! Die Beschleunigung
des Randtiefs ist enorm…
Orkan Christian verlagerte sich mit einer Geschwindigkeit von 1200 Kilometer in 12 Stunden, also 100 km/h. Also enorm fix.
Wir sprechen von einem Schnellläufer.
Nur mal so als Vergleich: Tropische Wirbelstürme (Hurrikans, Taifuns, Zyklone) haben typische
Verlagerungsgeschwindigkeiten von 5 bis 10 Kilometer pro Stunde.
Die Windböen, die in einem Orkan auftreten sind natürlich weit höher: in St. Peter-Ording gab es eine Windböe mit 172 km/h,
ab 118 km/h sprechen wir bereits von Orkan.
Ungewöhnlich früh im Jahr zog Orkan Christian ungewöhnlich weit im Süden über West- und Mitteleuropa. Laubbäume mit
ihren Blättern sind anfällig für Starkwind. Sie kippten reihenweise um. Besonders betroffen waren Großbritannien,
Frankreich und Dänemark. In Deutschland traf Orkan Christian die Regionen nördlich des Mains. Bäume stürzten um, der
Bahnverkehr in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern wurde gestört.
Wie es sich für einen Schnellläufer gehört, war Orkan Christian kaum mehr als einen halben Tag in Deutschland aktiv – so
schnell wie er herangebraust war, zog er auch wieder weiter und rüttelte in der Nacht auf Dienstag Skandinavien und die
baltischen Staaten durch.
Fünf Wochen später brauste der nächste Orkan heran:
Orkan Xaver.
Der kam Anfang Dezember direkt aus Nordwesten vom Atlantik. Er war schon tagelang vorher gut abzusehen und da er zu
einer Zeit auf die norddeutsche Bucht treffen würde, in der gerade eben Neumond (3. 12. 2013) gewesen war, konnte vor
Sturmfluten rechtzeitig gewarnt werden. Da wir Meteorologen warnten, konnten Weihnachtsmärkte vorsorglich geschlossen
werden, tiefergelegene Plätze geräumt und Halligen „flutfest“ gemacht werden.
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Dass die Windböen, die in Norddeutschland auftraten, hinter denjenigen von Orkan Christian zurückblieben und dass die
Schäden, die Xaver anrichtete geringer waren, schien einige Sensationsmedien glatt zu enttäuschen.
Dabei war durchaus bemerkenswert, dass anders als Christian, der nur einen stürmischen Montagnachmittag lang an den
Häusern, Gerüsten und Bäumen rüttelte, Xaver mit seinen hohen Windgeschwindigkeiten Deutschland DREI unruhige Tage
bescherte.
Dazu brachte Xaver auch noch Schnee – einen halben Meter für den Harz und danach folgte ein sonniger und milder
Witterungsverlauf: An Weihnachten wurden örtlich die gerade erst vor einem Jahr aufgestellten Wärmerekorde erneut
gebrochen.
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Großwetterlage 2013
Wie wenig Mittelwerte über das Wettergeschehen aussagen, macht die Statistik für 2013 deutlich. Deutschlandweit gesehen
lag das Jahr beim Sonnenschein, beim Niederschlag und auch bei der Temperatur ein wenig unter dem vieljährigen
klimatologischen Mittel. Es war also etwas kühler, etwas trockener und etwas trüber. Aus diesen Mittelwerten lässt sich
eben nicht ablesen, dass das Frühjahr extrem trüb, der Sommer dann aber äußerst sonnig, der Winter 2012/2013 sehr lang
und kalt, dafür der Winter 2013/2014 sonnig und mild war, und dass nach den nassen ersten sechs Monaten 2013 sechs
eher trockene folgten.
Diese ausgeglichene Bilanz verdanken wir –
den Mäandern des Jetstreams!
Es ist – auch wenn das manchmal so wirken mag – nämlich keineswegs so, dass die Hochs und Tiefs völlig erratisch ihre
Bahnen ziehen. Wobei das Bild schon jetzt schief ist, denn die Hochs ziehen eigentlich gar nicht, sie sind sowas wie
„Abwesenheit von Tiefs“. Das eigentlich Interessante beim Wetter sind allein die Tiefs und ihre Zugbahnen.
Und diese folgen gewissen Starkwindbändern, die sich um unsere Erdkugel winden.
Stellen Sie sich das vor wie eine unendliche Autobahn, auf der Sie, wenn Sie jetzt Richtung Osten losfahren, irgendwann
genau hier von Westen wieder ankommen. Dabei fahren Sie mehr oder weniger breitenkreisparallel.
Mehr oder weniger breitenkreisparallel – das genau ist der springende Punkt.
Normalerweise liegt über dem Nordpol ein großes Kältehoch am Boden, über diesem ein Höhentief und an seiner Südflanke
braust der Jetstream. Er hat Windgeschwindigkeiten von mehreren 100 km/h, und liegt etwa in der Höhe, in der auch
Flugzeuge fliegen, wenn sie ihre Reiseflughöhe erreicht haben, also 8 bis 10 Kilometer über dem Boden. Piloten können
sich dieses Starkwindband zunutze machen, wenn sie von Amerika nach Europa fliegen, auf dem Rückflug von Europa
nach Amerika meiden sie den Jet lieber.
In den letzten 10 bis 15 Jahren beobachten Forscher allerdings, dass der Jet immer häufiger mäandriert, also weit nach
Süden ausholt. So stark, dass sich manchmal sogenannte Kaltlufttropfen abspalten und so stark, dass häufig blockierende
Wetterlagen auftreten.
„Einige Forscher sehen durchaus häufigere große Nord-Süd-Mäander im Strahlstrom, die manchen Regionen Kälte,
anderen Wärme bringen, je nach ihrer Lage. Eindeutig statistisch belegen lässt sich dieser Trend aber noch nicht – dazu ist
der Zeitraum der letzten zehn bis fünfzehn Jahre, in denen man dieses Phänomen beobachtet, noch zu kurz.“ Zitat aus “Wie
war der Winter?”, 23. März 2014 von Stefan Rahmstorf, veröffentlicht im Wissenschaftsblog Scilogs,
http://www.scilogs.de/klimalounge/wie-war-der-winter-2014
Und „Blockaden“ im Wetter sind immer gefährlich! Mögen sie auch einigen Regionen über Wochen strahlenden
Sonnenschein und Wärme bescheren, versinken andere Regionen in Regen, Schlamm oder Eiseskälte und Schnee.
Für uns hier in den gemäßigten Breiten ist ein sanfter Wechsel des Wetters ohne große Extreme nicht nur das Übliche,
sondern auch das Angenehme.
Sie erinnern sich, dass ich sagte „Vieles vom Gleichen“ – das war die Parallele zwischen Juni-Hochwasser und Juli-Hagel.
Die Mäander des Jetstreams; sie liegen nicht wie festbetoniert, aber sie haben eine große Erhaltungstendenz – und die geht
über das Jahr 2013 hinaus bis ins Jahr
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Großwetterlage 2014
Die Großwetterlage hat sich nicht geändert! Damit meine ich: Der Jetstream mäandert noch immer über der Nordhalbkugel.
Die große Kälte im Nordosten der USA und in Kanada in diesem Winter: ein Ausdruck vom polaren Nordstrom im
Jetstream-Mäander.
Schneemassen auf der Alpensüdseite Ende Januar/Anfang Februar 2014: Südströmung im Jetstream-Mäander: Die
Schneewolken schafften es nicht über den Alpenhauptkamm. Der milde Winter in Deutschland: Südströmung im JetstreamMäander. Hochwasser in Italien: Südstrom im Jetstream-Mäander. Sturm und Regen in Westeuropa: Südwestströmung im
Jetstream-Mäander. Sturmfluten in Westeuropa in diesem Winter: Südwestströmung im Jetstream-Mäander. Regenfälle
über dem Balkan und Südosteuropa, Jahrhunderthochwasser in Bosnien-Herzegowina und Serbien im Mai 2014:
Südoststrom im Jetstream-Mäander. Sommerhitze in der dritten Maidekade bei uns: Südweststrom im Jetstream-Mäander.
Und dann, exakt ein Jahr nach dem Hochwasser 2013 trafen große Regenmengen von 100 bis 140 Litern pro Quadratmeter
Ende Mai vor allem Sachsen und Bayern. Schlammlawinen und Überschwemmungen blieben zum Glück meist regional
begrenzt. Es war wieder eine Südostwetterlage…
Damit sind die Wetterextreme noch nicht zu Ende. Es folgte das heißeste Pfingstfest seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
mit der heißesten ersten Juni-Dekade: 37 °C, das gab’s noch nie. Früher als 2013 rissen die ersten Blow Ups Autobahnen
auf. In der Nacht zum Dienstag nach Pfingsten entwickelten sich gigantische Unwetter, die das bevölkerungsreichste
Bundesland Nordrhein-Westfalen mit Orkanböen bis 144 km/h (in Düsseldorf) heimsuchte, Bahnstrecken und Straßen durch
umgestürzte Bäume verwüstete und sechs Menschenleben forderte. In Belgien und Frankreich brachten die Gewitter
tennisballgroße Hagelkörner. Noch eine Woche nach den Unwettern war der Bahnverkehr eingeschränkt.
2014 waren es aber nicht nur die Mäander des Jets, die außergewöhnlich sind und waren. Sondern auch seine Intensität.
Der Deutsche Wetterdienst spricht davon, dass die Intensivierung des Jets „vermutlich durch eine Zirkulationsstörung über
Indonesien und dem Westpazifik ausgelöst“ wurde. Dahinter vermute man „relativ hohe Ozeantemperaturen im tropischen
Westpazifik“.
„Diese Verstärkung des Strahlstroms wurde vermutlich durch eine Zirkulationsstörung über Indonesien und dem WestPazifik ausgelöst; es handelt sich also um eine Fernbindung (Telekonnektion) zwischen den Tropen und den mittleren
Breiten der Nordhemisphäre. Man geht davon aus, das diese Zirkulationsstörung durch relativ hohe Ozeantemperaturen im
Bereich des tropischen Westpazifiks entstand.“ Zitat aus Presse/Hintergrundberichte/2014 des Deutschen Wetterdienstes,
„Sturm und Regen in Westeuropa Februar 2014“, Dr. Peter Bissolli, Stefan Rösner, Helga Nitsche, Karsten Friedrich, Seite 3
Über diese Telekonnektion, diese Fernwirkung hat also das atmosphärische und ozeanische Geschehen in den Tropen
Einfluss auf unser Wetter der Nordhalbkugel.
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Globale Phänomene
Viele von den globalen Wetterphänomenen unterliegen periodischen Schwankungen. In Zusammenhang mit den Stürmen
über Westeuropa wird die quasi-biennale Oszillation der Stratosphäre erwähnt. Die QBO bezeichnet einen quasizweijährigen periodischen Wechsel zwischen Ost- und Westwind der Stratosphäre im Äquatorbereich.
Oder denken Sie an El Niño. Das Klimaphänomen, das abnormal hohe Wassertemperaturen vor der südamerikanischen
Pazifikküste bringt. Das letzte starke El Niño-Jahr war 1997/98 – und vieles deutet darauf hin, dass im Sommer (70 Prozent
Wahrscheinlichkeit) oder spätestens zum Herbst 2014 (80 Prozent Wahrscheinlichkeit) sich ein neuer El Niño einstellen
könnte: So weisen die Winde schon in diese Richtung: Über dem Pazifik hat sich der Ostpassat bereits deutlich
abgeschwächt. Der Ostpassat treibt normalerweise warmes Oberflächenwasser nach Australien.
„The chance of El Niño is 70% during Northern Hemisphere Summer and reaches 80% during the fall and winter.“ Zitat aus
EL NINO/SOUTHERN OSCILLATION (ENSO) DIAGNOSTIC DISCUSSION issued by CLIMATE PREDICTION
CENTER/NCEP/NWS and the International Research Institute for Climate and Society, 5 June 2014
Aber weder müssen wir so weit in die Höhe noch so weit weg auf der Erde schauen; denn Klimaschaukeln gibt es auch
direkt vor unserer Haustür. Die nordatlantische Oszillation ist so eine. Sie ist ein Maß für den Luftdruckgegensatz zwischen
Islandtief und Azorenhoch. Ist der Unterschied groß, dann ziehen oft Stürme über Mitteleuropa. Ist er kleiner, ziehen die
Tiefs eher über das Mittelmeer. Die nordatlantische Oszillation unterliegt starken Schwankungen, und sie hat sogar mehrere
Rhythmen, in denen sie schwankt. So sind Periodenlängen von zwei bis fünf Jahren überlagert mit 10 bis 15 Jahren und
sogar 50 bis 70 Jahren. Und weil das so ist, bleibt eine langfristige Prognose der Entwicklung der NAO schwierig.
Weitere Klimaschaukeln wie die Arktische Oszillation AO, die pazifische dekadische Oszillation PDO, die Southern
Oscillation SO haben Fernwirkungen, denn sie alle werden ja angetrieben durch die Zusammenwirkung von Strömungen in
den Ozeanen.
Was aber steckt genau hinter diesen Oszillationen? Warum ändern Meeresströmungen ihre Richtung? Klar, das hängt
zusammen mit der Wärme der Meere und mit ihrer Salinität, ihrem Salzgehalt. Denn die sind verantwortlich für die Strömung.
Aber was genau die Meeresströme umkehrt, ist noch immer nicht abschließend geklärt.
Anfang Mai diesen Jahres schien sich die NAO jedenfalls kurz wieder auf „Stärke“ besonnen zu haben. Von JetstreamMäandern war erstmal nichts mehr zu sehen: die übliche Westwinddrift hatte uns wieder. Mit Tiefs, die über uns
hinwegzogen, mal Regen, mal Wind, dann Sonne und Wärme aber auch nochmal sehr frische Temperaturen brachten; die
Eisheiligen ließen grüßen.
Bis Tief Yvette Mitte Mai die schlimmsten Überschwemmungen der letzten 120 Jahre in Serbien und Bosnien-Herzegowina
brachte. Dort hieß das Tief übrigens „Tamara“. Danach stellte sich Ende Mai eine hochsommerliche Wetterlage mit
Temperaturen bis zu 30 Grad und Wärmegewittern am Nachmittag ein. Es folgten Saharahitze zu Pfingsten und
Extremunwetter vor allem im Westen und Norden Deutschlands. Also wieder Mäander des Jetstreams. Gerade letzte
Woche traf das nächste starke Hochwasser Bulgarien. Inzwischen hat uns das „normale mitteleuropäische
Sommerwetter“ mit Anleihen an der Schafkälte wieder: wechselhaft, etwas kühl im Norden und Osten, warm und teils
gewittrig im Südwesten. Im Hinblick auf den Siebenschläfertag Freitag dieser Woche könnte das einen „normalen
mitteleuropäischen Sommer“ andeuten. Könnte! Die Wetterextreme 2013/2014: nichts mehr als eine Laune der Natur?
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Klimawandel
Wohl eher nicht. Ein einzelnes Ereignis, auch eine Aneinanderreihung einzelner Ereignisse kann nie als Beweis für den
Klimawandel herangezogen werden. Denn es kann Zufall sein. Und natürlich gibt es in der Atmosphäre immer
Ausgleichsströmungen – die Atmosphäre ist harmoniesüchtig: Ist es hier besonders warm, wird es woanders besonders kalt.
So korrespondierte die besondere Kälte über dem Osten der USA und über Kanada im vergangenen Winter mit unseren
milden Temperaturen zur gleichen Zeit.
Ganz zweifelsfrei lassen sich Zusammenhänge zwischen den Wetterextremen 2013/2014 und dem Klimawandel nicht
herstellen.
Was aber unbestreitbar ist: Es wird wärmer, und diese Erwärmung fällt regional verschieden stark aus. Ein Blick auf die
Veränderung der Globaltemperatur seit 1950 zeigt es ebenso wie der auf die Wintertemperaturen in Deutschland seit
Beginn der Aufzeichnungen.
Die Arktis zum Beispiel hat sich in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren besonders stark erwärmt.
Wissenschaftler vermuten im Abschmelzen des Grönlandeises und der Erwärmung der Arktis einen möglichen
Zusammenhang mit dem – Sie ahnen es – Mäandern des Jetstreams!
Dieses Abschmelzen könnte den Polarwirbel schwächen, dadurch kommt der Jetstream ein bisschen aus dem Takt und
beginnt zu wellen!
„Es gibt allerdings mehrere plausible physikalische Mechanismen, die verstärkt zu solchen Verwerfungen des Strahlstroms
und Luftmassenbewegungen in Nord-Süd-Richtung führen können. Sie alle haben mit der seit der Jahrtausendwende
besonders raschen Erwärmung der Arktis zu tun, durch die sich das Temperaturgefälle zwischen den mittleren Breiten und
der polaren Kaltluft verringert hat.“ Zitat aus “Wie war der Winter?”, 23. März 2014 von Stefan Rahmstorf, veröffentlicht im
Wissenschaftsblog Scilogs, http://www.scilogs.de/klimalounge/wie-war-der-winter-2014
Und wir müssen uns schon fragen, ob es ein Zufall sein kann, dass wir verschärft Jetstream-Mäander beobachten in genau
dem Zeitraum, in dem auch die Arktis immer wärmer wird (zehn bis fünfzehn Jahre).
Nicht erst seit des 5. Sachstandsberichts des IPCC kann als breiter wissenschaftlicher Konsens gelten: Die Erdatmosphäre
wird wärmer – und der Mensch hat seinen Anteil daran.
Und daher ist mit immer wieder auch gehäuft auftretenden Wetterextremen in Mitteleuropa zu rechnen! Ob die Schäden
zunehmen ist weniger leicht zu beantworten, weil aus der steigenden Vulnerabilität der letzten Jahrzehnte ja auch gelernt
werden kann, und entsprechende Anpassungs- und Vermeidungsstrategien ergriffen werden könn(t)en.
Anders gesagt: Solange der Jetstream-Mäander auch immer mal wieder abgelöst wird vom „Normalzustand“, werden wir
uns noch arrangieren können mit den Folgen für unsere zunehmend verwundbare Gesellschaft.
Erreicht das Klima aber einen Kipppunkt, einen Point of NO Return, zum Beispiel, weil die Arktis eisfrei ist, dann wird sich
ein neues Klimagleichgewicht einstellen, das mit dem uns bisher Bekannten wenig gemein haben wird.
Und weil wir eben nicht wissen, wann genau wir so einen Klima-Kipppunkt erreichen, ist es unsere Aufgabe, unseren
Einfluss auf das Klima so gering als möglich zu halten.
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Zusammenfassung
Beantworten wir also noch einmal die eingangs gestellte Frage:
Hochwasser, Hagelschlag und Herbststürme –
was ist bloß mit dem Klima los?
Wetterextreme 2013/2014
Die Wetterextreme waren und sind Ausdruck der Jetstream-Mäander. Dass er mäandriert kann eine Laune der Natur sein.
Es ist allerdings schwer zu glauben, dass der Klimawandel und auch dass der menschengemachte Klimawandel daran
keinen Anteil hat. Und damit müssen wir uns in Zukunft eher häufiger auf solche Extreme einstellen, auch wenn die
Wetterunbilden so gehäuft wohl nicht alle Jahre wieder genau die gleichen Regionen, aber in kürzeren Zeitabständen
durchaus verwandte Regionen treffen können, wie zum Beispiel das „Jahrhundert-Juni-Hochwasser 2013 im Nordosten
Deutschlands“ und das „Jahrhundert-Mai-Hochwasser 2014 in den Balkanstaaten“.
Seien wir darauf gefasst!
Vielen Dank!
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