Eintagsfliege und saure Gurke[1] - Kirchenkreis Wittstock

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Evelyn Tomaske-Fellenberg
29.7.2016
Fehrbelliner Str. 107
16816 Neuruppin
Eine Eintagsfliege in der Sauren-Gurken-Zeit
Ich sitze an meinem Schreibtisch. SSSSSS es surrt! Eine Eintagsfliege landet auf
dem Fensterglas. Was sie wohl sehen wird mit ihrem geteilten Facettenauge: eines
zur Seite, eines nach oben in den Himmel. Vielleicht Stückwerk – wie in einem
Spiegel ein dunkles Bild? Schön sieht sie aus. Ihre Flügel, ein Seidenkleid durchwirkt
mit Silberfäden. Weit entfaltet sie diese winzigen Kunstwerke und landet auf meiner
sauren Gurke. Ja, wenn ich in der Sommerhitze über Gott und die Welt nachdenke,
dann genehmige ich mir ab und zu eine saure Gurke nebenbei. Sauer macht lustig!
Der Eintagsfliege schmeckt es nicht. Sie surrt zurück auf die Scheibe. Eine echte
Forscherin, vielleicht denkt auch sie über Gott und die Welt, über das Werden und
das Vergehen nach - eben nur ohne saure Gurke. Ist ja eigentlich auch kein Wunder,
erwachsene Eintagsfliegen können keine Nahrung zu sich nehmen. Darum haben sie
ein kurzes Leben, aber eine längere Kindheit. Imagines nennt man sie, wenn sie
noch pubertieren. 14- 25 Mal heutet sich ein Imago und verändert sein Aussehen.
Imago, das ist Latein und bedeutet Bild – Imagines sind Bilder. Also doch wie in
einem Spiegel ein dunkles Bild?
Sie hat nicht viel Zeit zum Nachdenken: einen Tag. Gelegentlich geschieht ein
Wunder… meine Eintagsfliege sitzt schon den zweiten Tag auf der Glasscheibe.
Aber das Ende ist absehbar. Das macht mich traurig. Schade, so ein schönes
Geschöpf! Die Eintagsfliege sitzt am Fenster und scheint zu meditieren: „Jetzt
erkenne ich nur stückweise, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Ich werde
erkennen, wie ich erkannt bin.“ Ob sie eine unsterbliche Seele hat, wie wir
Menschen? Ob sie von Gott erkannt ist – so wie Mann und Frau verbunden in Gottes
Liebe einander erkennen können? So wie Gott uns kennt? Ich glaube JA… eben nur
anders. Gott ist vielfältig, unendlich und ewig. Ein Leben lang versuche ich zu
erforschen, wer oder was er ist. Forschen ist wichtig – aber auch Geheimnisse
müssen bleiben. Irgendwann, am Ende dann kommt auch für mich der Tod.
Sind wir also auch nur Eintagsfliegen? Im Strom der Ewigkeit betrachtet JA! Nur dass
wir uns unsere silberdurchwirkten Seidenkleider selber nähen müssen. Auch wir sind
Bilder hier auf Erden. Um uns und die Welt zu erkennen schauen wir in einen
Spiegel. Wir werden geboren, entwickeln uns nach den Möglichkeiten, die wir in uns
tragen und nach den Bedingungen die wir vorfinden. Unsere Erkenntnis wächst
ständig. Wir werden immer schlauer, gebildeter, weiser. So sitze ich an meiner
Fensterscheibe und schaue: ein Auge zur Seite – eines in den Himmel; ein Blick für
die Erde, ein Blick für die Unendlichkeit Gottes. Mein Wissen ist Stückwerk und mein
andächtiges prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das
Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Am Ende bleiben Glaube, Hoffnung,
Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. So steht es im ersten
Brief des Paulus an die Korinther in der Bibel. Und es ist so: für die Welt, für mich,
die Eintagsfliege und vielleicht auch für die saure Gurke.
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