PH Luzern 1 Reto Covini Unser Körper und Bewegung Grundlagen Entscheidend für die Bewegung und Haltung ist nach neusten Erkenntnissen das Zusammenspiel der festen und dynamischen Strukturen des Körpers. Die Knochen sind in einem Netzwerk von Bindegewebe und Muskelgewebe -­‐ entsprechend einem Tensegrity-­‐Modell -­‐ verspannt. Der Begriff stammt aus der Architektur und setzt sich zusammen aus den Begriffen „tension – Spannung“ und „integity – Ganzes“. Tensegrity-­‐Modelle bestehen aus stabilen und elastischen Elementen, welche miteinander verbunden sind und unter Spannung stehen, ohne dass sich die festen Teile berühren. (Schleip und Bayer 2014) Entsprechend ist z. B. auch unsere Wirbelsäule aufgebaut, indem Bänder und Muskeln die Knochen verspannen und so Aufrichtung und Bewegung ermöglichen, entsprechend einem Schiffsmast. (Schleip und Bayer 2014) Faszien Diese sind lockeres, faseriges Bindegewebe, welches neben Bindegewebszellen auch aus Kollagen-­‐ und Elastinfasern besteht. Es ist netzartig gewoben und umgibt praktisch sämtliche anderen Strukturen. Die vier Grundfunktionen sind: Formen: umhüllen, polstern, schützen, stützen, Struktur geben Bewegen: Kraft übertragen und speichern, Spannung halten, dehnen Versorgen: Stoffwechsel, Flüssigkeitstransport, Nahrung zuführen Kommunizieren: Reize und Informationen empfangen und weiterleiten (Schleip und Bayer 2014) PH Luzern 2 Reto Covini Faszienketten Das Bindegewebe, welches einen Muskel umspannt, führt über die Gelenke zu weiteren Muskeln und bildet sogenannte Faszienketten. Oliver Bertram, Men's Health 02/2010: Ein Drittel der aufgewendeten Muskelkraft wird nicht unmittelbar auf den Knochen übertragen, sondern in die Faszien geleitet. Diese leiten die Kraft weiter und binden so weitere Muskeln in die Bewegung ein. So steuert das Gehirn auch die Bewegungen: Es arbeitet funktionsorienteiert und aktiviert Muskelkette, also mehrere Muskeln parallel, diese aber oft nur anteilig – je nach Anforderung. Die Faszienketten nach (Myers 2004) Die oberflächliche Frontallinie OFL Die oberflächliche Rückenlinie ORL Die Laterallinie LL PH Luzern 3 Reto Covini Die Spirallinie SL Das Bindegewebe als Sinnesorgan (Schleip und Bayer 2014): „Bindegewebe ist vielfältig mit Rezeptoren durchsetzt, welche durch Rückmeldungen die Körperwahrnehmung – Propriozeption ermöglichen. Wir unterscheiden vier Arten von Mechano-­‐Rezeptoren: • Golgi-­‐Rezeptoren, welche an Muskel-­‐Sehnenübergängen, in der Muskelhülle, in Sehnenplatten, in Bändern und Gelenkkapseln liegen können. Sie reagieren ausschliesslich auf Muskelaktivität, messen die Spannung an Muskel-­‐ Sehnenübergängen und dienen dem Schutz vor Überlastung. • Pacini-­‐Rezeptoren, welche an Muskel-­‐Sehnenübergängen, in tiefen Schichten der Gelenkkapsel, in Bändern der Wirbelsäule und in der Muskelhülle liegen können. Sie sind spezialisiert auf schnelle Druckwechsel und Vibrationen, bei anhaltenden Reizen reagieren sie nicht mehr. • Ruffini-­‐Rezeptoren, welche an Muskel-­‐Sehnenübergängen, in der Muskelhülle, in Sehnenplatten, in Bändern und äusseren Schichten der Gelenkkapseln liegen können. Sie reagieren auf lange, anhaltenden Druck, also auf langsame und stetige Reize, wie z. B. bei einer Massage oder langsamer Dehnung. • Interstitielle Rezeptoren sind freie Nervenenden, welche in jegliche Geweben liegen können. Sie haben eine Verbindung zum Vegetativen Nervensystem und steuern somit unbewusste Bewegungen und Vorgänge, wie z. B. Emotionen bei Hautkontakt oder Verdauung.“ Muskelgewebe Wirkungsweise der quergestreiften Skelettmuskulatur An einem Gelenk wirken stets mindestens zwei Muskeln, der eine wirkt als Beuger (Agonist), der andere als Strecker (Antagonist). Dies ist notwendig, da sich ein Muskel ausschliesslich verkürzen kann und deshalb vom Gegenspieler wieder in die Ausgangsposition gebracht werden muss. In der Praxis ist der Wirkung der Schwerkraft besondere Beachtung zu schenken, da sie einem Muskel die Arbeit je nach Körperposition abnimmt oder erschwert. Die Steuerung der willkürlichen Bewegungen geschieht mehrheitlich über die α-­‐Motoneuronen an die Motorischen Einheiten. Diese Gegenspieler geben sich gegenseitig einen Grundspannung, den Grundtonus. PH Luzern 4 Reto Covini (Hegner 2007) Arbeitsweisen der Muskulatur • Konzentrische Arbeit: Beugt man beim Klimmzug die Arme, nähern sich Ursprung und Ansatz des Bizeps, er verkürzt und erhöht die Spannung. • Exzentrische Arbeit: Streckt man beim Klimmzug die Arme wieder, so entfernen sich Ursprung und Ansatz des Bizeps, er wird länger, die Spannung verringert sich. Diese „nachgebende“/“bremsende“ Muskelarbeit nennt man exzentrische Arbeit. • Isometrische Arbeit: Verharrt man beim Klimmzug in einer Position, so verändert sich die Länge des Muskels nicht. Versucht man nun bei zusätzlicher Last (Zug am Fuß durch „außen“) den Gelenkwinkel zu halten, verändert sich bei gleichbleibender Muskellänge der Spannungszustand. PH Luzern 5 Reto Covini Das kontraktile Element Filamente der Muskelfaser: Aktin grün, Myosin rot. Zur Verdeutlichung der Arbeitsweise wird das Myosin hier mit einem Ruderboot verglichen. Nach (Franklin 1996) a) in Ruheposition b) Muskelarbeit im Sinne von Kontraktion/Verkürzung Längenveränderungen in der Muskelfaser Kontraktion Dehnung Wichtig ist die Erkenntnis, dass es sich bei der Kontraktion um ein Ineinandergleiten der Filamente und nicht um eine Verkürzung derselben handelt. Es ist die Länge der Muskelfaser, welche sich dadurch verringert. PH Luzern 6 Reto Covini Das Muskelgewebe als Sinnesorgan: Muskelspindeln (Intrafusalfasern) • Die Muskelspindeln sind spezialisierte Muskelfasern, welche an den Enden mit kontraktilen Elementen (Sarkomere mit Aktin-­‐ und Myosinfilamenten) und in der Mitte mit einem Messsystem ausgerüstet sind. Das System misst Längenveränderungen der Muskulatur, insbesondere auch, wenn diese plötzlich auftreten . Diese Informationen werden über die afferenten Bahnen ans Hinterhorn geleitet, worauf hemmende oder aktivierende Reflexe ausgelöst werden. Wie ausgeklügelt die Muskelspindeln sind ist daran zu erkennen, dass die Grundspannung des Messteiles durch die kontraktilen Enden via die γ-­‐ Motoneueronen moduliert werden kann. (Hegner 2007) Neben der Muskulatur hat das Bindegewebe einen Einfluss auf die Spannung (den Tonus) der Muskulatur. Das ist auch der Grund, dass Leistungssportler bezüglich des Beweglichkeitstrainings nur soweit gehen, wie dies für die Zielbewegung unbedingt notwendig ist. (Markworth 2012) PH Luzern 7 Reto Covini Eine übermässige Spannung eines einzelnen Muskels oder ganzen Muskelgruppen kann zu einer Muskulären Dysbalance führen, welche zu Haltungsproblemen und zu mangelnder Beweglichkeit und damit auch verminderter Kraftentfaltung führt. (Andrews 1998) Die verminderte Kraftentfaltung beider Muskelgruppen entsteht durch die ungünstige Überlappung der Muskelfilamente Aktin und Myosin. (Markworth 2012) PH Luzern 8 Reto Covini Bezüglich der Innervierung bestehen zwischen einzelnen Muskeln unterschiedliche Ausprägungen: Wenn ein α-­‐Motoneuron nur wenige Muskelfasern inerviert (kleine Motorische Einheit), dann kann die Bewegung sehr fein koordiniert werden (z.B. Finger-­‐ oder Gesichtsmuskeln). Werden aber von einem α-­‐Motoneuron sehr viele Muskelfasern aktiviert, so sind fein koordinierte Bewegungen nicht möglich (z.B. Gesässmuskel). Entsprechend der Innervierungsart ist auch die Anatomie dieser Muskel verschieden, sodass zwischen schnellen, phasischen Muskeln und langsamen, tonischen Muskeln unterschieden werden kann. Die langsamen tonischen Muskelfasern haben eine geringe Leitungsgeschwindigkeit und eine niedrige Impulsfrequenz. Es werden nur wenige Muskelfasern innerviert und die maximale Kraftleistung dieser Zellen ist gering. Die tonischen Muskeln haben auch eine langsame Kontraktionsgeschwindigkeit, sind dafür aber sehr ausdauernd. Diese Muskelfasern werden tonisch genannt, weil sie stets eine gewisse Aktivität aufweisen. Da die tonische Muskulatur unter dieser steten Spannung steht, neigt sie auch zu Verspannungen und Verkürzungen. Typische Vertreter sind der Hüftbeuger, die Rückenstreckermuskulatur im Lendenbereich, sowie der grosse Brustmuskel. Die schnellen phasischen Muskelfasern haben grosse Amplituden und eine hohe Impulsfrequenz. Die maximale Kraft der einzelnen Fasern ist gross und die Kraftentwicklung schnell. Es braucht aber einen starken willkürlichen oder reflektorischen Reiz, bis diese Muskelfasern aktiviert werden. Sie werden als phasisch bezeichnet, weil sie nur phasenweise aktiviert sind und eher Bewegungs-­‐ und nicht Haltefunktion haben. Da die phasischen Muskelfasern nur sporadisch aktiviert werden, neigen sie zur Erschlaffung. Als typische Vertreter sind der grosse Gesässmuskel, die gerade Bauchmuskulatur, sowie die Rückenstreckermuskulatur im Brustbereich zu nennen. Durch die Aufrichtung des Menschen müssen auch phasische Muskelgruppen entgegen ihrer ursprünglichen Spezialisierung Haltearbeit leisten. Deshalb ist wichtig, diese regelmässig zu aktivieren. Wichtig ist dies insbesondere für die obere Rückenmuskulatur, die Bauchmuskulatur, sowie den grossen Gesässmuskel. Phasische (grün) und tonische Muskelgruppen am Rumpf PH Luzern 9 Reto Covini Trainingsgrundlagen Superkompensation (Weineck 2010) Die Grundlage, dass sich der Körper durch Training anpassen kann, verdanken wir dem Umstand, dass die Leistungsfähigkeit eines Muskels nach Belastung (1) und anschliessender Erholung (2) zunimmt. Der Effekt der Superkompensation (3) erübrigt sich mit der Zeit, wenn nicht – im Optimalfall auf maximalem Superkompensationsniveau – ein neuer Trainingsreiz erfolgt. Faszientraining Folgende Aspekte können trainiert werden: • Optimale Speicherkapazität • Elastische Dehnfähigkeit und Spannkraft • Verbesserte Funktion der Faszienketten • Schnelle Regenerationsfähigkeit Für die Praxis ist die Unterscheidung in vier Dimensionen des Faszientrainings sinnvoll: Dehnen zum Formen: Dehnen regt die mechanischen Eigenschaften der Faszien an, dies kann als Vorbereitung auf Bewegen, als Entspannung aber auch zur Schmerzlinderung genutzt werden. Je besser die Dehnung eine Faszienkette integriert, desto wirkungsvoller ist sie. In der Ausführung kommt wahlweise langsames Haltungsdehnen als auch dynamisches Nachwippen in der Dehnposition zum Einsatz. (Schleip und Bayer 2014) PH Luzern 10 Reto Covini Federn zum Bewegen: Federnde Übungen wie Hüpfen oder Schwingen regen die Speicherfähigkeit der Faszien an. Je besser eine Bewegung eine Faszienkette integriert, desto effizienter. Als Ausgangsstellung können auch Positionen gewählt werden, bei welchen die Faszien vorgespannt werden. Beleben zum Versorgen: die Versorgung kann verbessert werden, indem auf das Bindegewebe Druck ausgeübt wird. Dies wird erreicht, indem das Körpergewicht auf eine Rolle oder Bälle passiv wirken kann. Die Weichheit der Gegenstände, sowie die entspannte Ausführung verringern zudem den Muskel-­‐ und Faszientonus. Spüren zum Kommunizieren: Das Bewusstwerden des Spürens steht im Vordergrund, z.B: durch vergleichen vorher -­‐ nachher. Das für ist entscheidend, den Körper wahrnehmen zu wollen und sich nicht z.B. durch Musik ablenken zu lassen. Muskeltraining Die Verbesserung der Muskelkraft erfolgt durch: • Intramuskuläre Koordinationsverbesserung (Muskelfasern) • Intermuskuläre Koordinationsverbesserung (Muskelschlingen, Muskelgruppen, welche für eine Bewegung im richtigen Timing aktiviert werden) • Vergrösserung des Muskelquerschnittes (Muskelfasern) Im Sportunterricht der Primarstufe stehen die Koordinationsverbesserungen im Vordergrund. Die wird durch Belastungen mit dem eigenen Körpergewicht in dynamischen Bewegungen erreicht. Besondere Beachtung gehört der Rumpfstabilität. Krafttraining soll auf dieser Stufe integriert in die Sportartenbereiche vermittelt werden, wobei sich besonders das Geräteturnen, sowie die Leichtathletik eignen. Zu beachten sind die Belastungsdauer, sowie die Belastungsintensität. Anaerobe Ausdauerleistungen sollen in der Schule nicht gezielt trainiert werden. Kinder haben in den Muskelzellen einen kleineren Phosphatvorrat als Erwachsene, was zu einer früheren Laktatbildung führt. Durch die geringe Mende eines Schlüsselenzyms (PFK=Phosphorfructokinase) ist die Bildung von Laktat beschränkt (4 bis 6jährige: 3-­‐ 6mmol, 6 bis 9jährige 4-­‐8mmol, 15jährige 6-­‐14mmol Laktat). Höhere Laktatwerte können nur durch Ausschüttung des Stresshormons Katecholamin erreicht werden, was eine hohe psychophysische Belastung bedeutet und nur für den Notfall gedacht ist. Ausserdem ist die Laktatabbaufähigkeit gering, sodass ein 8jähriger nach einem 800m-­‐ Lauf erst nach einer Stunde den Ausgangslaktatwert erreicht. Im Leistungssport können diese Belastungen durchaus trainiert werden, in der Schule macht dies keinen Sinn. PH Luzern 11 Reto Covini Konsequenzen für das Aufwärmen und den Ausklang Die Vorbereitung auf körperliche Leistung und hinsichtlich der Verletzungsprophylaxe legen für das Vorgehen folgende Inhalte nahe: • Psychische und mentale Einstimmung • Anregen des Herz-­‐Kreislaufsystems (Beleben) • Dehnen der Faszienketten OFL, ORL, LL, SL (Dehnen & Spüren) • Hüpf-­‐ und Schwungübungen entsprechend der nachfolgenden Hauptbelastung (Federn & Koordinieren) Der Ausklang dient dem Einleiten der Erholungsphase. Hilfreich hierfür sind Dehn-­‐ und Belebungsübungen., aber auch Nachbesprechungen und der Erfahrungsaustausch. Quellenverzeichnis Andrews, Elizabeth. 1998. Muskel-­‐Coaching: Angewandte Kinesiologie in Sport und Therapie. Übersetzt von Johanna Weinstabl. Auflage: 2., verb. Aufl. Freiburg im Breisgau: VAK Verlags GmbH. Franklin, Eric N. 1996. Dance Imagery for Technique and Performance. Champaign, IL: Human Kinetics. Hegner, Jost. 2007. Training fundiert erklärt : Handbuch der Trainingslehre. Herzogenbuchsee: INGOLD. Markworth, Peter. 2012. Sportmedizin: Physiologische Grundlagen. Auflage: 24. Hamburg: Nikol. Myers, Thomas W. 2004. Anatomy trains : myofasziale Meridiane. München: Elsevier, Urban und Fischer. Schleip, Robert, und Johanna Bayer. 2014. Faszien-­‐Fitness: Vital, elastisch, dynamisch in Alltag und Sport. München: Riva. Weineck, Jürgen. 2010. Optimales Training Leistungsphysiologische Trainingslehre Unter Besonderer Berücksichtigung Des Kinder-­‐ Und Jugendtrainings. 16., durchgesehene Aufl. Balingen: Spitta Verlag.