Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? Themen: • • • • Übersicht der MS-Immuntherapeutika „Off label“ – Medikamente Welche Medikamtente bei welcher Patientensituation? Verhindert die Immuntherapie Schübe oder die Zunahme von Beeinträchtigungen? • Nebenwirkungen Dr. med. Jutta Scheiderbauer Stand: 24.01.2016 Seit den 1990er Jahren hat sich etabliert, die schubförmige Multiple Sklerose (MS) mit Medikamenten zu behandeln, deren Wirkmechanismus auf eine Abschwächung des Immunsystems abzielt. Unter der Vorstellung der MS als Autoimmunerkrankung soll so der Verlauf der MS günstig beeinflusst werden. Mittlerweile werden mehr und mehr Medikamente in klinischen Studien untersucht, und viele sind bereits in der Krankenversorgung verfügbar. Neurologen und MS-Betroffene stehen heutzutage vor dem Problem, aus der Vielzahl von Immuntherapeutika eine, für den individuellen Patienten, nützliche Substanz auszusuchen: die verschiedenen Präparate haben mal den einen, mal den anderen Vorteil, mal die eine, mal die andere Nebenwirkung, und werden auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlicher Häufigkeit dem Körper zugeführt. Da es so gut wie keine wissenschaftlichen Direktvergleiche zwischen den Immuntherapeutika gibt, hängt die Entscheidung im Wesentlichen von der persönlichen Präferenz und Risikofreudigkeit ab. Ich will versuchen, im Folgenden eine Übersicht über alle derzeit verfügbaren MS-Immuntherapeutika zu geben. Zugelassene MS-Immuntherapeutika Wirkstoff Name des Medikaments Azathioprin Interferon-beta-1b Interferon-beta-1a Glatirameracetat Teriflunomid Dimethylfumarat Peginterferon beta-1a Mitoxantron Natalizumab Fingolimod Alemtuzumab z.B. Imurek® Betaferon®, Extavia® Avonex®, Rebif® 22µg oder 44µg Copaxone® Aubagio® Tecfidera® Plegridy® z.B. Ralenova® Tysabri® Gilenya® Lemtrada® Off label bedeutet: nicht für die Behandlung der MS zugelassen, aber gebräuchlich bei Versagen anderer Therapien. Heute weniger von Bedeutung, seit zahlreiche Medikamente neu zugelassen wurden. "Off label“ - Medikamente Wirkstoff Intravenöse Immunglobuline Cyclophosphamid Rituximab Intravenöse Immunglobuline Name des Medikaments z.B. Octagam® z.B. Endoxan® MabThera® z.B. Octagam® Bevor man sich als Betroffener im Dschungel der Informationen über diese Masse an Medikamenten verliert, sollte man sich darüber klar werden, in welcher Krankheitssituation man sich befindet, denn lässt sich die Auswahl wahrscheinlich gleich wieder einengen auf diejenigen Medikamente, die tatsächlich in Frage kommen. Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? 2 Patientensituation Klinisch isoliertes Syndrom (CIS) Beim ersten von Auftreten von neurologischen Symptomen sind oftmals nicht alle Kriterien erfüllt, die man zur Diagnose Multiple Sklerose bräuchte, je nach Kernspinbefunden ist es dann eine mögliche MS oder eine wahrscheinliche MS. Zusammenfassen kann man diese Erstmanifestation als Klinisch isoliertes Syndrom. Für die Situation des Klinisch isolierten Syndroms sind bisher nur 3 Substanzen, bzw. 5 Medikamente getestet und zugelassen (siehe Tabelle rechts). Wirkstoff Interferon-beta-1b Interferon-beta-1a Glatirameracetat Name des Medikaments Betaferon®, Extavia® Avonex®, Rebif® 22µg oder 44µg Copaxone® Schubförmige MS Die zweite Situation, für die alle oben genannten Immuntherapeutika getestet und entweder zugelassen oder im “off label”-Gebrauch sind, ist die sog. “Schubförmige MS”, die mindestens durch die sog. McDonald-Kriterien definiert ist. Erst wenn aber mindestens zwei klinische Schübe aufgetreten sind, nennt man es “klinisch definitive MS”. Vor Einführung der McDonald-Kriterien 2001 war letztere Definition die einzig gültige (Poser-Kriterien). Da die schubförmige MS zum einen in ihrem Schweregrad sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann und zum anderen einige der Immuntherapeutika potentiell lebensbedrohliche Risiken mit sich bringen, haben die Zulassungsbehörden dem Rechnung getragen und die McDonald-Kriterien: Anwendung der Medikamente mit hohem Risiko auf Es muss die hochaktive MS-Verläufe eingeschränkt. Dissemination (Streuung) der Erkrankung räumlich Die MS-Experten haben daraufhin ein Therapiekonzept und zeitlich gegeben entwickelt, das die behördlichen Anforderungen erfüllt, ohne sein, d.h. mindestens ein dass es selbst in Studien geprüft worden ist: die klinischer Schub Unterscheidung in Therapien für die milde/moderate kombiniert mit Verlaufsform (früher: Basistherapie) und die (hoch-) aktive passenden KernspinVerlaufsform (früher: Eskalationstherapie). kriterien. Medikamente für die milde/moderate Verlaufsform, deren Nebenwirkungen eher selten lebensbedrohlich werden können, werden zu Beginn der Erkrankung eingesetzt. Nachteilig ist die gegenüber den Medikamenten für die (hoch-) aktive Verlaufsform geringere Wirksamkeit und oft auch eine schlechte Allgemeinverträglichkeit. Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? 3 Stellen sich im weiteren Verlauf darunter Schübe ein, kann eine Therapie für die (hoch-) aktive Verlaufsform mit Medikamenten angeschlossen werden, die die höheren Risiken, aber auch die höhere Wirksamkeit bieten. Prinzipiell können diese Medikamente auch als erste Medikation eingesetzt werden, wenn sich ein sehr schnell behindernder Verlauf bereits früh anbahnt. Medikamente für die milde/moderate Verlaufsform Wirkstoff Zugelassen Name des Medikaments Azathioprin Interferon-beta-1b Glatirameracetat z.B. Imurek® Betaferon®, Extavia® Avonex®, Rebif® 22µg oder 44µg Copaxone® Peginterferon beta-1a Plegridy® Intravenöse Immunglobuline z.B. Octagam® Interferon-beta-1a Teriflunomid Dimethylfumarat „Off Label“ Alemtuzumab (Lemtrada®) von der europäischen Arzneimittelbehörde zur Frühtherapie zugelassen, wird aber bisher nur bei (hoch-) aktivem Verlauf empfohlen. Aubagio® Tecfidera® Medikamente für die (hoch-)aktive Verlaufsform Wirkstoff Zugelassen „Off Label“ Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? Mitoxantron Natalizumab Fingolimod Alemtuzumab Cyclophosphamid Rituximab Name des Medikaments z.B. Ralenova® Tysabri® Gilenya® Lemtrada® z.B. Endoxan® MabThera® 4 Nutzen der Medikamente Die zugelassenen Medikamente versprechen, Schübe zu reduzieren, bzw. eine Zunahme der Behinderung aufzuhalten. Ob dieses Versprechen gehalten werden kann, verraten die Studiendaten. Dargestellt ist jeweils, wie viele Prozent der Studienteilnehmer einen Nutzen von der Therapie haben. Die folgenden Zahlen zeigen, dass ein gewisser Teil der Betroffenen in den Studien ohnehin keine Schübe hatte (zweite Spalte). Der Nutzen des Medikaments ist demnach entsprechend klein (letzte Spalte). Am Beispiel der Interferone heißt das, dass nur in 14% aller Fälle dank des Medikaments Schübe reduziert werden. Vergleich der Wirkung der Immuntherapien auf die Schubrate (Absolute Risikoreduktion über 2 Jahre) Medikament Interferone Copaxone Aubagio Tecfidera Gilenya Tysabri Azathioprin Mitoxantron Lemtrada (im Vgl. zu Rebif) Prozentzahl derjenigen, die Prozentzahl derjenigen, Prozentzahl während der Studie Schübe die ein Scheinderjenigen, die wegen hatten (mit oder ohne medikament bekamen des Medikaments Medikament) und keine Schübe hatten keine Schübe hatten 55% 63% 43% 26% 29% 28% 54% 43% 22% Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? 14% 10% 11% 20% 25% 26% 17% 21% 19% 31% 27% 46% 54% 46% 46% 29% 36% 59% unter Rebif 5 In der folgenden Tabelle wird noch deutlicher, wie viele Betroffene zumindest im relativ kurzen Studienzeitraum von zwei Jahren ohnehin auch ohne Medikament keine Behinderungszunahme entwickelten (zweite Spalte). Der Nutzen der Medikamente auf Verhinderung einer Behinderungszunahme war demnach klein (letzte Spalte).Am Beispiel der Interferone heißt das, dass nur in 10% aller Fälle Beeinträchtigungen dank des Medikaments reduziert werden. Vergleich der Wirkung der Immuntherapien auf die Verhinderung der Zunahme von Behinderung (Absolute Risikoreduktion über 2 Jahre) Medikament Interferone Copaxone Aubagio Tecfidera Gilenya Tysabri Azathioprin Mitoxantron Lemtrada (im Vergleich zu Rebif) Prozentzahl derjenigen, Prozentzahl die nur ein derjenigen, die wegen Scheinmedikament des Medikaments bekamen und keine keine Beeinträchtigungen Beeinträchtigungen hatten hatten 70% 10% 71% 7% 73% 7% 73% 9% 76% 7% 71% 12% Hier lagen keine guten Studiendaten vor 78% 14% Prozentzahl derjenigen, bei denen die Beeinträchtigungen zunehmen (mit oder ohne Medikament) 20% 22% 20% 18% 17% 17% 8% 8% Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? 89% unter Rebif 3% 6 Therapiefolgen/ Nebenwirkungen In der folgenden Tabelle werden Immuntherapien auf ihre Verträglichkeit hin vergleichen. Die Übersicht umfasst Nebenwirkungen, soweit sie bisher bekannt geworden sind, außerdem liegen nur unzureichende Daten über 2 Jahre hinaus vor. Medikament Interferone Copaxone Aubagio Tecfidera Gilenya Tysabri Azathioprin Mitoxantron Lemtrada Milde oder mittelgradige Nebenwirkungen Grippale Beschwerden, psychische Probleme, Fatigue, Vermehrung der Spastik, Leber- und Nierenwertveränderungen, Injektionsprobleme Injektionsprobleme, Flush/Kreislaufreaktionen, Allergien Laborveränderungen, Haarausfall, Durchfall Flush, Magen-, Darmbeschwerden, Haarausfall Herzrythmusstörungen, Herpesinfektionen, psychische Probleme Kopfschmerzen, verminderte Belastbarkeit nach Injektion Magen-, Darmbeschwerden, Blutbildverschlechterung Laborveränderungen, Haarausfall, Übelkeit, Erschöpfung Blutbildverschlechterung, Infektionsneigung, Entwicklung von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, Thrombozytenmangel Schwere oder lebensbedrohliche Nebenwirkungen Suizidneigung, Nierenversagen, Hämolytisch-urämisches Syndrom, Schwere Lymphopenie, PML Herpes-Encephalitis, tödliche ZosterInfektion, Herztod, Hautkrebs, schwere Lymphopenie, PML PML Leukämie Herzmuskelschaden, Leukämie Thrombozytenmangel mit Todesfolge, Nierenschaden, Autoimmunerkrankungen, Tumorerkrankungen Herausgeberin: Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose (TIMS) Saarstraße 51-53 54290 Trier Tel.: 0651 9760835 Fax: 0651 9760831 Mail: [email protected] www.tims-trier.de © 4. Auflage, Trier, Januar 2016 Welche Immuntherapeutika sind momentan bei schubförmiger Multipler Sklerose verfügbar? 7