AKTUELL SCHWERE ALKOHOLABHÄNGIGKEIT Foto: Photothek Antabus kaum noch verfügbar Für Schweralkoholabhängige ist es zurzeit schwierig, Medikamente erstattet zu bekommen, die ihnen gegen ihre Sucht helfen können. Suchtmediziner beklagen eine Verschlechterung der rückfallprophylaktischen Behandlung von Alkoholabhängigen, seit die Produktion des Medikaments Disulfiram (Antabus®) eingestellt wurde. Die deutsche Firma Nycomed hat den Vertrieb des Medikaments im Frühjahr 2011 beendet. „Disulfarim ist in der Behandlung von Schweralkoholabhängigen sehr bewährt“, sagen die Suchtmediziner Prof. Dr. med. Ursula Havemann-Reinecke, Prof. Dr. med. Norbert Scherbaum und Prof. Dr. med. Helmut Karl Seitz. Patienten, die mit Disulfiram behandelt wur- den, wiesen signifikant mehr Tage bis zum Rückfall sowie weniger Trinktage auf. Auch bei Opiatabhängigen in Substitutionsbehandlung, die zugleich alkoholabhängig sind, sei das Medikament wirksam. Neuere Medikamente zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit wie Acamprosat und Naltrexon verfügten über einen anderen Wirkmechanismus. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bestätigt dies. Disulfiram-haltige Me- dikamente werden von Firmen in Frankreich, Österreich und der Schweiz weiterhin produziert. Die Kosten von ausländischen, nicht für den deutschen Markt zugelassenen Medikamenten werden von den gesetzlichen Krankenkassen meist gar nicht oder nur im Einzelfall auf Antrag erstattet. Havemann-Reinecke fordert dringend, Schwerstalkoholabhängigen Disulfiram-haltige Medikamente aus EU-Ländern leichter zugänglich zu machen. pb BEFRAGUNG ZUR GESUNDHEIT Wie entscheiden Schwangere? Junge Familien treffen vielfältige Entscheidungen, die die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes betreffen. Diese umfassen Themen wie Ernährung, Schlaf, kindliche Entwicklung, Impfen oder die Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen. Welche Faktoren Gesundheitsentscheidungen beeinflussen, wollen Wissenschaftler des Robert-KochInstituts in Berlin und der Universität Erfurt jetzt untersuchen. In ei- ner Studie sollen Schwangere ab dem sechsten Monat befragt werden. An der Online-Befragung können Frauen teilnehmen, die älter als 18 Jahre und zum ersten Mal schwanger sind und bei denen der Geburtstermin zwischen Februar und Juni 2012 liegt. Informationen: Dr. med. Cornelia Betsch, Telefon: 0361 737 1631, E-Mail: cornelia. [email protected], www.muetter befragung.de zyl TEXTILFORSCHUNG: NEUE PRODUKTE FÜR DIE MEDIZIN Noch vor wenigen Jahren konnten sämtliche textilen Produkte für die Humanmedizin an einem einzigen Patientenmodell platziert werden: Knorpelimplantate, Halteschrauben und -platten oder auch textiler Hirnhautersatz. Heute jedoch wäre das Demonstrationsobjekt aufgrund der rasch zunehmenden Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten an 16 deutschen Textilforschungsinstituten längst überfrachtet. „Dank der Förderung durch die beiden Bundesministerien für Wirtschaft und Forschung kommen jährlich rund ein Dutzend textilbasierte Gesundheitsinnovationen dazu“, bilanzierte Dr. Klaus Jansen, Geschäftsführer des Forschungskuratoriums Textil e.V. (FKT), Anfang Februar in Berlin. Allerdings dauere der Wissenschaftstransfer oft zehn Jahre und länger. Dennoch sei die deutsche Textilforschung mit Innovationen für den Gesundheitssektor wie A 346 der Entwicklung von Nervenleitschienen, Depotfasern zur gezielten Wirkstoffabgabe oder gewebten Implantaten weltweit führend. Mediziner, Biologen und Biotechnologen gehörten inzwischen zum Stammpersonal der Textilforschung, berichtete Prof. Dr. Michael Doser, Leiter des Forschungsbereichs Biomedizintechnik am Institut für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf. Erst kürzlich habe sein Institut gemeinsam mit dem Klinikum der Universität München einen neuartigen Ansatz für Herzklappen-Transplantationen entwickelt: Statt mechanischer oder biologischer Prothesen soll demnächst eine zellbesiedelte Polyurethan-Herzklappenprothese aus Vliesstoff zur Verfügung stehen. Im Operationsalltag würden immer häufiger textile Implantate Verwendung finden, erklärte Doser. Wesentlich für den vermehrten Einsatz von Textilinnovationen in der Humanmedizin seien dabei die mechanischen Eigenschaften der flexiblen Materialien. Diese ließen sich besonders gut an menschliche Muskeln, Nerven oder Kollagen anpassen. Erfolgreich werden aber auch textile Hohlfasern entwickelt, die medizinische Wirkstoffe aufnehmen können. Medikamente können so unmittelbar und in einem gewünschten Zeitpunkt in eine Wunde eingebracht werden. Die neuartigen textilen Auflagen griffen so direkt in den Heilungsprozess ein, erläuterte der Direktor des Instituts für Hygiene und Biotechnologie in Bönningheim, Prof. Dr. Dirk Höfer. Das Institut entwickelt gerade ein innovatives Kühlpad zur Reduzierung der Körpertemperatur bei Patienten mit Herzstillstand, wodurch Hirnschäden vermieden werden sollen. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 8 | 24. Februar 2012