Unternehmensgeschichte als Event

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Geschichtsbüro
14.10.2003
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business
Unternehmensgeschichte als Event
Vom History Marketing zum History Event
A
Ambiente, Frankfurt 2003. WMF wird 150
Jahre alt und hat 1.300 Gäste ins Forum
der Messe geladen. Kunden, Geschäftspartner und Freunde der Firma sitzen in
lockeren Gruppen auf Sofas und Sesseln
um eine zentrale Bühne. Im Rund des
Saales läuft in einer 360°-Projektion der
Film zum Jubiläum: Altes Filmmaterial,
Fotos, Texte und Quellen, filmisch aufbereitet zu einer Zeitreise durch 150 Jahre
Firmengeschichte. Auf der Messe selbst
gibt es in der Galeria eine Sonderschau
„ErfolgsFormen – 150 Jahre WMF“, darin
die „ErfolgsGeschichte“. Das Material zu
Film und Messeschau stammt zum größten Teil aus der WMF-Firmengeschichte,
die das Kölner „Geschichtsbüro Reder,
Roeseling & Prüfer“ (www.geschichtsbuero.de) recherchiert und geschrieben
hat. Am Vortag hatte der Vorstand das
Buch der Presse übergeben, am Abend
finden es die Gäste auf ihrem Tisch.
Wozu Geschichte?
Warum lässt WMF ein Geschichtsbuch
schreiben und einen historischen Film
drehen? Jürgen Vogler, Pressechef der
WMF, hatte interne und externe Gründe:
„Man muss der nächsten Generation vermitteln, wo sie herkommt, wo die Wurzeln des Unternehmens liegen. Außerdem
kann man Lehren aus der Vergangenheit
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ziehen: Vieles ist schon einmal da gewesen, ob Diversifizierung oder Konzentration. Mit der Erfahrung vergangener
Krisen kann man gelassener auf aktuelle
Schwierigkeiten reagieren. Und nach außen signalisiert die Geschichte vor allem
Verlässlichkeit: WMF ist ein Partner, dem
man vertrauen kann, auf den man sich jederzeit verlassen kann. Das kann man mit
Werbung nicht vermitteln, aber aus der
Veranstaltung und dem Buch nimmt der
Kunde dieses Image mit.“
Angesichts von 160 Seiten Text dachten
die Redakteure der Fachzeitschrift P+G
erst einmal: „Ach, du meine Güte.“ Aber
nach dem ersten Lesen erlebten sie „eine
angenehme Überraschung. Da startet
man ein Zeitreise, kurzweilig geschrieben, ... nachdenklich ... und informativ in
einem Stück.“ „Das ist der Kern“, erläutert
der Autor Severin Roeseling vom Geschichtsbüro: „Geschichte ist nämlich
nicht langweilig. Sie ist spannend und
überraschend. Geschichte sorgt für einen
Rahmen und für Identität. Geschichte
macht aus einer austauschbaren Firma
ein unverwechselbares Unternehmen,
dem man vertraut, weil man es kennt.“
Bestimmte Unternehmenseigenschaften,
so Roeseling, ließen sich am überzeugendsten über die Firmengeschichte
vermitteln: Ideenreichtum, Kompetenz,
Qualität, Erfahrung, Verlässlichkeit, Beständigkeit, Innovationskraft, Leistungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Solidität.
Das Geschichtsbüro ist überzeugt: „Nichts
ist spannender als Ihre Geschichte.“
Für Event-Agenturen, die für traditionsreiche Unternehmen arbeiten, bedeutet
das: Die Historiker liefern ihnen Material
und Motive, die einmalig zu einem Unternehmen gehören. Unterhaltsame Anekdoten, überraschende Details und historische Wurzeln – das ist der Stoff, aus dem
sich eindrucksvolle Bilder und ein unverwechselbares Firmenprofil bilden lassen.
Und das nicht nur zu runden Jubiläen:
Jede Produktvorstellung, jede Messe und
jede Gebäudeeinweihung bekommt durch
einen historischen Rahmen eine neue
Dimension. Ohne „Geschichtspunkte“
bleiben Events oft unter ihren Möglichkeiten. Denn eine gute Erzählung – nichts
anderes ist Geschichte – bleibt länger im
Gedächtnis haften als zusammenhanglose Fakten. Durch den Blick auf eine lange, historische Produktlinie wird neuen
Produkten Dauerhaftigkeit verliehen und
das Unternehmen wird als innovativ und
zugleich solide präsentiert. Warum und
wie wurden wir das, was wir heute sind?
Und noch wichtiger: Sind wir wirklich das,
was wir in unserer CI zu sein vorgeben?
Die Antwort liegt in der Geschichte des
eventpartner 5/2003
Geschichtsbüro
14.10.2003
12:12 Uhr
Literaturtipp
Alexander Schug: „History Marketing – Ein Leitfaden für den Umgang
mit Geschichte im Unternehmen“,
Transcript-Verlag Bielefeld 2004,
ISBN 3-89942-161-2, ca. 22,80 €
(erschienen im Sommer 2003)
Unternehmens, und die Umsetzung kann
sehr effektvoll sein: Für die gelungenen
Events zur Feier des 150-jährigen Jubiläums des Nadelherstellers Groz-Beckert
erhielten die Agenturen ten & one und
alleswirdgut beim Event Award des FME,
EvA 2002, den zweiten Platz. Aus einem
Event wird ein History Event. Und Historiker sind die Spezialisten für (vergangene) Ereignisse.
History sells
Eine wachsende Zahl von Unternehmen
nutzt ihre Geschichte, um ihr Image zu
pflegen, ihre Unternehmensidentität zu
schärfen und ihr öffentliches Ansehen zu
verbessern. „Vielleicht verkauft WMF mit
seiner Geschichte kurzfristig keinen Topf
mehr, aber was WMF im Kern ausmacht,
sind ja nicht nur seine Töpfe und Bestecke“, erläutert Roeseling: „WMF ist eine Marke, ein Image, ein Ruf. Und was ist
letztlich das Image anderes als die Summe der Geschichte?“ Unternehmen wie
WMF, Rodenstock oder auch Siemens –
sie alle leben aus ihrer langen Geschichte und verkaufen ihre Produkte mit einem
Image-Bonus. Wer sich mit Unternehmenskulturen beschäftigt, merkt schnell,
dass die Unternehmenskultur das Ergebnis der Unternehmensgeschichte plus der
heutigen Führung ist.
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Und wie kommt die Geschichte in
den Event?
Wenn es um Unternehmensgeschichte
geht, sind die drei promovierten Historiker Dirk Reder, Severin Roeseling und
Thomas Prüfer in ihrem Element: Mit
handwerklichem Können, wissenschaftlicher Akribie und einem ausgeprägten
Sinn für spannende Geschichten hinter
den nackten Fakten durchforschen sie die
Quellen zu den Unternehmen und fördern Material zu Tage, aus dem EventAgenturen spannende Ereignisse und unvergessliche Bilder machen können. Denn
Geschichte wirkt nur, wenn sie nicht
oberflächlich bleibt. Der allseits beliebte
„Zeitstrahl“ (1900: „Boxeraufstand“ in
China – Meyermüller eröffnet in Gießen
sein Kolonialwarengeschäft) erklärt
nichts und schafft keine Zusammenhänge. Und auch reine Datenreihen langweilen nur (1875: Unternehmensgründung,
1902: Fabrikerweiterung). Es braucht die
Menschen hinter den Fakten und die Geschichte, die sie verbindet. Drei kurze
Beispiele aus der Geschichte der Optischen Werke G. Rodenstock in München:
– Der Unternehmensgründer Josef Rodenstock begann seine Karriere mit 14
Jahren als wandernder Händler. Sein
Vater gab ihm seine alte Reisetasche
und anderthalb Taler als Startkapital
mit auf die Reise: „Nun siehe, was du
fertig bringst.“
– 1912 fand ein neuer Werksleiter bei
Rodenstock „vorsintflutliche Verhältnisse“ vor: Die Fußböden waren so voller Polierpech, dass „man festpappte,
wenn man längere Zeit auf einer Stelle stand.“ Eine Kellnerin versorgte die
Arbeiter den ganzen Tag über mit
reichlich Bier, und um 20 Pfennig für
die Straßenbahn zu sparen, schickte
Rodenstock seine Lehrlinge zu Fuß quer
durch die ganze Stadt, um Schmirgel
zu kaufen. Der Werksleiter: „Hätte ich
den Betrieb vorher gesehen, hätte ich
keinen Vertrag unterschrieben.“
– Als Rodenstock Anfang der 1930er
Jahre kurz vor der Pleite stand, äußerte ein Direktor der Commerzbank, „es
sei fünf Minuten vor zwölf und wenn
er den Uhrdeckel zumache, hat Rodenstock aufgehört zu bestehen.“
(Aus: Dirk Reder / Severin Roeseling: „AugenBlicke. Die Geschichte der Optischen
Werke G. Rodenstock“, erschienen 2003
bei Piper in München)
Diese drei kleinen Geschichten nutzte
Rodenstock-Pressechef Jürgen Hopf
auch für die große Jubiläumsparty zum
125-jährigen Jubiläum in der neuen
Münchener Pinakothek der Moderne:
„Wir haben bewusst Dinge ausgesucht,
bei denen man geteilter Meinung sein
kann, ob sie ‚gut‘ im Sinne des Unternehmens sind. Aber ein souveräner Umgang
mit unserer Geschichte unterstreicht
die Offenheit von Rodenstock als Teil
unserer Unternehmenskultur. Außerdem
sind solche lebendigen Details viel authentischer als abstrakte Beschreibungen
und bleiben deshalb besser im Gedächtnis haften.“ Vorgetragen von bekannten
Sprechern, von Schauspielern gespielt
oder im Film inszeniert, lässt sich die Geschichte multimedial, unterhaltsam und
glaubwürdig vermitteln.
Eine neue Branche:
History Marketing
Da immer mehr Unternehmen mit Stolz
auf ihre lange Geschichte verweisen und
sie als Teil ihrer „Corporate Identity“
pflegen und darstellen, hat sich in den
letzten fünf Jahre eine kleine Branche
spezialisierter Dienstleister entwickelt,
die Unternehmensgeschichte wissenschaftlich korrekt erforschen und gleichzeitig verständlich und spannend darstellen können. „Früher beauftragten die
Unternehmen pensionierte Geschäftsführer, Heimatforscher, Journalisten oder
Uni-Professoren mit dem Schreiben ihrer
Geschichte“, erläutert Thomas Prüfer
vom Geschichtsbüro: „Und entsprechend
war das Ergebnis: Entweder oberflächliche Jubelgeschichten oder unverständliche Bleiwüsten.“ Heute gibt es zwischen Flensburg und Basel etwa ein
Dutzend auf Unternehmensgeschichte
und „History Marketing“ spezialisierte
Geschichtsbüros. Sie verstehen sich als
Dienstleister und Fullservice-Agenturen:
Sie beraten im Vorfeld über Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Geschichte, recherchieren die Fakten und
Hintergründe, finden menschliche Geschichten am Rande, führen ZeitzeugenInterviews, werten Geschäftsberichte
aus, suchen nach historischen Fotos und
Filmmaterial, schreiben Texte von unterschiedlichster Länge und Charakter und
machen daraus – gemeinsam mit Grafikern, Webdesignern, Programmierern –
Bücher, Bildbände, Zeitschriften oder interaktive CD-ROMs. Sie beraten beim
Einsatz der Unternehmensgeschichte
und: sie liefern wertvollen Input für
Event-Agenturen, die sich zu Firmenjubiläen oder anderen Anlässen etwas
Besonders einfallen lassen müssen. Ein
Blick in die Geschichte hilft da manchmal
weiter.
Text: Lothar Biedermann
Fotos: Geschichtsbüro
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