Der Forschungsstand zur altersgerechten Prävention von sexueller Viktimisierung 22. Mai. 2015, Jugend und Gewalt, Lugano D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 1 1. Publizierte Ergebnisse der Optimus Studie Schweiz 2. Strategien zur Prävention sexueller Viktimisierung D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 2 Optimus Studie Ziel: - Mehr über die sexuelle Viktimisierung von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz erfahren und das Problem besser verstehen - Das Bewusstsein für das Problem stärken - Politische Prozesse sowie Präventionsmassnahmen in Gang setzen D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 3 Datenerhebung im Klassenzimmer, standardisierter Fragebogen auf Laptops, randomisierte Stichprobe in allen Kantonen Realisierte Stichprobe: 6 749 Schüler und Schülerinnen des neunten Schuljahres in 445 Klassen. Alle Kantone und Sprachregionen berücksichtigt. Zudem: eine Organisationsbefragung. Wie viele wurden Opfer? Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 5 Wer sind die Täter? Vorgehen: Zu jeder Opfererfahrung wurden Zusatzfragen zum Verhältnis zwischen Opfer und Täter, vermutetem Alter der Täter, etc. gestellt. Die Angaben aus der Jugendbefragung geben vor allem Auskunft über Erfahrungen in den 1-2 Jahren vor der Befragung. Sie eignen sich nicht, um die Täter-Opfer-Beziehung in der Kindheit zu bestimmen. Ergänzend Auswertungen aus der Organisationsbefragung zu bekannt gewordenen Fällen. Zentrale Erkenntnisse: Bei Jugendlichen ereignen sich die meisten Opfererfahrungen im Kontakt mit etwa Gleichaltrigen, oft im Rahmen von Partnerbeziehungen oder «dates», aber auch mit anderen Kollegen oder Kolleginnen aus den näheren Umfeld. Bei Kindern stehen Viktimisierungen im familiären Umfeld im Vordergrund. Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 6 Alter der TäterInnen Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 7 Täter-Opfer-Beziehung Bei Jugendlichen ereignen sich die meisten Opfererfahrungen im Kontakt mit etwa Gleichaltrigen (< 18 Jahre), oft im Rahmen von Partnerbeziehungen oder «dates», aber auch mit anderen Kollegen oder Kolleginnen aus den näheren Umfeld. Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 8 Beziehung zum Täter in verschiedenen Altersgruppen, gemäss Organisationsumfrage Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 9 -> Prävention und Intervention: Drei Zielkomplexe 1. Sexueller Missbrauch durch Familienmitglieder oder erwachsene Autoritätspersonen Steht bei Kindern im Vordergrund Oft mit anderen Formen von Vernachlässigung und Missbrauch verbunden In der Optimus Jugendbefragung ca. 5-10% der Fälle gegen Jugendliche, evtl. nur teilweise abgedeckt Zentrale Bedeutung des Kinderschutzes und familienorientierten Präventionsprojekte 2. Sexuelle Übergriffe durch Unbekannte/flüchtig Bekannte Pädophilie, Exhibitionismus, Übergriffe im Internet, mit zunehmendem Alter auch sexuelle Belästigung und Übergriffe im öffentlichen Raum. Gemäss Optimus Studie zahlenmässig wichtiger als oft angenommen, ca. 20% der Fälle Massnahmen führen über Kinderschutz hinaus -> Freizeit, öffentlicher Raum Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 10 3. Sexuelle Übergriffe durch (bekannte) Gleichaltrige Wird ab Alter von ca. 12 Jahren wichtiger (Pubertät) Oft im Rahmen von ersten Liebesbeziehungen und sexuellen Erfahrungen Oft auch Bekannte aus Freizeit und Schule Fliessender Übergang zu nicht-sexuellem Mobbing Bisher relativ wenig beachtet Massnahmen führen über Kinderschutz hinaus -> Schule, Freizeit, Sport Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 11 Alters- und kontextspezifische Präventionsstrategien Familienprogramme Schulprogramme gegen die sexuelle Viktimisierung von Kindern Programme gegen Cyberviktimisierung Programme gegen Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen (siehe Averdijk, Eisner, Luciano, Valdebenito & Obsuth (2014). Wirksame Gewaltprävention. Bern: BSV) Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 12 1. Familienprogramme Für Eltern, die ihre Kinder missbrauchen oder ein erhöhtes Risiko haben Eltern von Neugeborenen und Kleinkindern Format: Hausbesuchsprogramme Bieten Wissen, Resourcen und Unterstützung Elterntrainings Positive Eltern-Kind Interaktionen, Erziehungsstile, Bindung Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 13 Wirksamkeit: Wirksam Misshandlungsrate 31% tiefer unter teilnehmenden Eltern Hausbesuchsprogramme spezifisch: Missbrauch um 39% reduziert Weniger bekannt über Auswirkungen auf den sexuellen Missbrauch Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 14 Beispiel ‘Early start program’ Familien mit Neugeborenen Erhöhtes Risiko wegen sozialer und familiärer Umstände Bis zu 5 Jahre FamilienbetreuerInnen helfen die Familien positive Erziehungskompetenzen zu erwerben persönliche Stärken zu entwickeln Schädliche Verhaltensmuster abzulegen Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 15 2. Schulprogramme gegen die sexuelle Viktimisierung von Kindern Wollen das Wissen und die Selbstschutz-Fähigkeiten verbessern Primarschulkinder Moderate bis starke Verbesserungen im Wissen und den Kompetenzen der Kinder Effekte sexuelle Viktimisierung unklar Mögliche negative Auswirkungen Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 16 Beispiel: ‘Über Berührungen sprechen’ 4-8 Jahre Will die Schutzfähigkeiten steigern Klare Regel darüber, was sichere und unsichere Berührungen sind 15 Sitzungen mit z.B. Fotokarten, Videos und Lieder/Geschichtebücher Bezieht Eltern mit ein Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 17 3. Programme gegen Cyberviktimisierung Programme um Viktimisierung, einschliesslich sex. Belästigung im Internet zu verhindern Format: Psychopädagogische Programme: Informieren über die Gefahren und Vermeidungsstrategien Software Wirksamkeit: Wenig bekannt. Mehr Wissen über sicheres Verhalten, aber nicht unbedingt weniger riskantes Verhalten Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 18 Beispiel: ‘Childnet’ Interaktive Sitzungen Schulungen für Eltern und Lehpersonen Koordination ‘Safer Internet Day’ Website kidSMART Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 19 4. Programme gegen Gewalt in jugendlichen Paarbeziehungen Konzentrieren sich meistens auf die Schule nehmen Meinungen bzw. Haltungen ins Visier, die Gewalt in Paarbeziehungen akzeptieren bezwecken die Förderung von gesunden Beziehungen unter Jugendlichen, die Sensibilisierung für persönliche Grenzen und die Risikoidentifizierung und weisen auf die Konsequenzen von Gewalt für Opfer und Täter hin Theorie: veränderte Einstellungen und Normen zu Gewalt in Beziehungssituationen führen zu Veränderungen des Gewaltverhaltens Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 20 Wenige Evaluationen von hoher Qualität bekannt Kenntnisse und Einstellungen der Jugendlichen gegenüber Gewalt in Beziehungen verbessern sich Aktuelle Evaluationen: Programme zur Prävention von Beziehungsgewalt können tatsächlich das Ausüben und Erleiden von Gewalt verringern. Einflussfaktoren: Sehr kurze Programme (z.B. 3-6 Unterrichtsstunden) nicht wirksam Programme, die rechtliche Aspekte betonen, möglich weniger wirksam Situationsbezogene, schulisch orientierte Präventionsprogramme allein oder verbunden mit Lehrplänen für die Schulkasse wahrscheinlich wirksamer Gruppenformat eignet sich möglich weniger für Risikojugendliche alleine Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 21 Safe dates (Sortir ensemble es se respecter) Meistens in der Klasse durchgeführt Training für Moderatoren 9 Module, ca. 90 Minuten, einmal pro Woche Was will ich in einer Beziehung Ausbeutung definieren Wie kommt es zu Missbrauch Wie FreundInnen helfen Was stellt man sich unter Beziehungen vor Sexuelle Gewalt definieren Kommunizieren Gefühle und Reaktionen Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / z-proso 22 Herausforderungen (1) Beweislage immer noch dünn Eindeutige Empfehlungen zu in der Schweiz wirksamen Programmen sind heute nicht möglich Wir sehen die Arbeit eher als vorläufigen Kompass für Massnahmen CH Übersicht Vielseitige und dezentrale Struktur der Gewaltprävention auf Kantons- und Gemeindeebene Auswahl Internetrecherche Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 23 Herausforderungen (2) Kontext Hauptteil beruht auf Forschung aus dem Ausland/USA Erkenntnisse aus Kontinentaleuropa und der Schweiz noch begrenzt Wirksame Gewaltprävention ist aber immer kontextabhängig Zudem hängt die Wirksamkeit von der Zielgruppe und den Umständen ab -> Jeder Programmumsetzung muss vorangehen: - Eine sorgfältige Analyse der besonderen Umstände - Eine Prüfung der lokalen Situation und Zielgruppe - Partnerschaften mit lokalen PolitikerInnen, Organisationen und Stakeholdern Donnerstag, 4. Juni 2015 D-GESS Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften / Professur für Soziologie / KFE 24