45 ENTWICKLUNG UND EVOLUTION DES GEHIRNS WACHSTUM UND DIFFERENZIERUNG DES GEHIRNS VON WIRBELTIEREN Wachstum des menschlichen ZNS beginnt, wenn Embryo ca. 2 Wochen alt ist. Zuerst Verdickung der dorsalen Oberfläche des Embryos -> Ausbildung langer, dünner Lippen -> rollen sich ein -> Neuralrohr mit Flüssigkeit gefülltem Hohlraum -> Neuralrohr sinkt unter die Körperoberfläche -> Weiterentwicklung: vorderes Ende vergrößert sich -> Differenzierung in Vorderhirn, Mittelhirn, Rautenhirn; Rest wird zum Rückenmark. Mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum wird zum Zentralkanal und zu den vier Hirnventrikeln (beides gefüllt mit cerebrospinaler Flüssigkeit). Prozeß läuft bei allen Wirbeltieren gleich ab, aber unterschiedlich schnell (z.B. schnell fertig bei Mäusen, lang nicht fertig bei Elefanten) Bei Geburt wiegt Hirn 35 Deka. Einige Teile des Vorderhirns sind während der ersten Lebenswochen noch nicht ausgereift (-> erkennbar an ihrem niedrigen Glucose-Verbrauch). Dann aber rasche Entwicklung -> innerhalb von 7 - 8 Monaten nehmen noch gänzlich unausgereifte Partien nahezu erwachsene Strukturen an. Am Ende des 1. Lebensjahrs wiegt das Gehirn 1kg (Gehirn eines Erwachsenen = 1,2 - 1,4 kg) WACHSTUM UND ENTWICKLUNG VON NEURONEN Großhirnrinde besteht aus Säulen [im Unterschied zu den horizontalen Laminae]. Der Cortex eines Erwachsenen hat zwar mehr solcher Säulen, ihre Größe unterscheidet sich aber nicht wesentlich von denen im Cortex eines Kindes. LA MANTIA & PURVES (1989): färbten und fotographierten das lebende Hirn einer Babymaus und noch einmal in einem späteren Stadium der Entwicklung -> Anatomie des Gehirns bleibt gleich über kurze Zeitabstände. Vom 4. - 6. Tag bis 2 Wochen später wurden neue Verarbeitungseinheiten hinzugefügt. Beispiel: Glomeruli (Ballungen) des Riechkolbens -> nach einigen Lebenswochen sind einige neue dazugekommen. -> Gehirn entwickelt sich wahrscheinlich zum Teil durch Wachstum bereits vorhandener Teile und durch Ausbildung von neuen Teilen. Man unterscheidet 4 Stadien der neuronalen Entwicklung: 1. Proliferation 2. Migration 3. Differenzierung 4. Myelisierung Proliferation = Produktion neuer Zellen. In früher Entwicklung vermehren sich Zellen, die die Hirnventrikel auskleiden, durch Teilung. Einige von diesen bleiben, wo sie sind, und teilen sich weiter. Andere werden zu einfachen Neuronen und Gliazellen und wandern zu ihren späteren Bestimmungsorten (= Migration). Cerebraler Cortex entwickelt sich von innen nach außen. 46 Einfache Neuronen schauen zunächst wie alle anderen Körperzellen aus. Allmählich differenzieren sie sich -> es entsteht das Axon und die Dendriten. Normalerweise wächst zuerst das Axon, und dann die Dendriten. (Axon wächst meist schon während der Migration. Neuron zieht es wie einen Schwanz hinter sich her. Dendriten wachsen dann erst, wenn Neuron seinen Bestimmungsort erreicht hat. Zunächst wachsen Dendriten sehr langsam, Beschleunigung erst, wenn andere Axone ankommen.) Neuronen unterscheiden sich nicht nur von den anderen Körperzellen, meist sehen Neuronen in unterschiedlichen Teilen des Gehirns auch unterschiedlich aus, vor allem was ihre Größe und die Form ihrer Dendriten angeht. Endgültige Form und Funktion eines Neurons wird bestimmt durch die chemische Interaktion mit den es umgebenden Neuronen. Zuletzt kommt es bei einigen Axonen zur Myelisierung -> Gliazellen wickeln sich in mehreren Schichten um sie herum und ermöglichen so eine schnelle Reizleitung. Axon können schon vor der Myelisierung funktionieren, Myelinschicht verbessert aber ihre Funktion. Myelisierung beim Menschen zuerst im Rückenmark, dann im Gehirn VERLETZLICHKEIT DES SICH ENTWICKELNDEN GEHIRNS vor allem sehr gefährdet durch toxische Substanzen und Infektionen (viel mehr als das ausgereifte Gehirn). * Wenn z.B. Schwangere an Syphilis oder Röteln erkrankt -> schwere Hirnschäden des Kindes. * Mangel an Jod in der Ernährung -> Unterproduktion von Schilddrüsenhormonen -> Kretinismus (fällt bei Geburt meist nicht auf, ist aber eine schwere geistige Behinderung mit sehr langsamer geistiger und körperlicher Entwicklung). Mangel an Schilddrüsenhormonen führt beim Erwachsenen zu anderen Schädigungen, aber nicht zu geistiger Behinderung. (war früher ein großes Problem - heute ist unser Speisesalz mit Jod angereichert). * Alkoholismus der Mutter -> Fötales Alkohol Syndrom beim Neugeborenen (Hyperaktivität, verminderte Wachsamkeit, geistige Retardierung, motorische Probleme, Herzschäden und abnorme Gesichtszüge). Bei Alkoholikern sind Dendriten sehr kurz und wenig verzweigt. Je mehr Mutter trinkt, umso schlechter für das Kind. Im Tierversuch hat sich gezeigt, daß selbst kleine Mengen schädlich waren. Ergänzung aus der Vorlesung (WS 98/99): Drogenmißbrauch während der Schwangerschaft * Alkohol (und Tabak): = Hauptmissetäter -> chronische Zufuhr toxischer Substanzen -> fötales Alkoholsyndrom -> Microcephalie („Minihirn“) -> physiogomische Entstellungen -> „Tabakbabies“: = zu klein und zu früh geboren * Opiate: -> Entzug des Neugeborenen ist notwendig! * Heroin, usw.: -> süchtige Mutter / süchtiges Kind; aber kein Entzug während der Schwangerschaft. Besser: Ersatztherapie mit Methadon; Stillen ist nicht kontraindiziert; Kind muß aber sofort nach der Geburt Entzug machen. Dies ist meist problemlos im Spital, aber: Mutter hat es oft eilig, aus dem Spital herauszukommen, weil sie zu Drogen will, daher wird Kind zu früh der Behandlung entzogen * Kokain / Crack: CVA (= cerebral vascular accident = Gehirnschlag), Anfälle, abnormale zerebrale -> pränatal: Blutversorgung, Trennung von Fötus und Plazenta gestörte Mutter-Kind-Interaktion -> postnatal: 47 Kokain: Blutdruck der Mutter steigt, führt zu Vergiftung des Kindes; Kind = extrem reizbar, braucht Beruhigungsmittel, Folge bei Nahrungsaufnahme, etc. Erschwerung der Mutter-KindBeziehung ; bei Speed ähnliche Gegebenheiten, auch Epilepsie möglich * Über Cannainboide gibt es noch keine Infos; aber: -> psychoaktive Wirkung -> durchquert die Plazenta -> im Fettspeicher des Neugeborenen gefunden worden VERÄNDERUNGEN DURCH ERFAHRUNG * Bei manchen wirbellosen Arten (z.B. bei der Stubenfliege) bestimmen Gene den Aufbau des Nervensystems äußerst detailliert. * Das Leben der Wirbeltiere ist aber viel weniger vorhersehbar -> daher haben sie die Fähigkeit, ihr Gehirn (in Grenzen) aufgrund von Erfahrungen neuen Gegebenheiten anzupassen. Aufgrund unserer Gene wird eine Vielzahl von Neuronen, Verbindungen, etc. entwickelt -> Erfahrung aber entscheidet, wieviele und welche überleben. Beispiel: Leben in einer rich environment erfordert komplexes Nervensystem; Leben in poor environment erfordert das nicht. Beobachtungen an Laborratten, die in einem poor environment aufgewachsen waren, später aber in ein rich environment kamen -> Ratten bekamen mehr Gliazellen und verzweigtere Dendriten (bei Rückkehr in poor environment - Veränderungen hielten bis zu über einem Monat an) WIE FINDET DAS AXON SEINEN WEG? Damit das Nervensystem funktionieren kann, muß das Axon seinen Bestimmungsort erreichen und dort mit den richtigen Neuronen Synapsen bilden.. Einige Axone müssen dabei sehr weite Strecken überwinden z.B.: Axone vom cerebralen Cortex bis ins Rückenmark; motorische Axone vom Rückenmark bis zu den Fingern und Zehen. Chemische „Pfadfindung“ der Axone Biologe WEISS (1924): verpflanzte einem Salamander ein fünftes Bein -> als die Axone an ihre Bestimmungsorte gewachsen waren, funktionierte das fünfte Bein vollkommen synchron mit den übrigen (So etwas geht bei Säugetieren nicht! Reptilien und Amphibien können aber verlorengegangene Körperteile ersetzen, deswegen wachsen ihnen auch Axone zu vorher nicht dagewesenen Gliedmaßen) => ein wachsendes Axon findet immer den Weg zu seinem Ziel SPERRY (1943): durchtrennte einem Wassermolch den Sehnerv (bei Amphibien wächst dieser im Unterschied zu Säugetieren nach) -> nach einiger Wochen konnte der Molch wieder normal sehen. Später wiederholte Sperry diesen Versuch und dreht dem Molch dabei das Auge um 180 Grad -> Molch sieht die Welt seitenverkehrt und auf den Kopf gestellt (Axone wuchsen dorthin, wo sie ursprünglich gewesen waren -sie machten die Drehung nicht mit) ATTARDI & SPERRY (1963): beschädigen Teile der Retina bei einer Gruppe von Goldfischen und schneiden Sehnerv durch -> Nerv wuchs immer wieder dorthin, wo er hingehörte -> Axone erreichten immer ihr Ziel. 48 Axone folgen einer „chemischen Spur“ => PINI (1993): einige Zellen schütten chemische Stoffe aus, die Axone anziehen, andere solche, die Axone abstoßen Wie genau trifft das Axon sein Ziel? Kann es nur dann effizient arbeiten, wenn es genau an einer bestimmten Stelle ankommt (Schloß-Schlüssel-Prinzip)? Chemische Substanzen in den Neuronen sind an unterschiedlichen Stellen unterschiedlich hoch konzentriert. Ein solcher Stoff ist das Protein TOPDV (Top = Topographie, DV = dorsal-ventral). In der dorsalen Retina ist 30x mehr davon vorhanden als in der ventralen -> retinales Axon mit höchster Konzentration verbindet sich mit jener Stelle im Tectum (dort haben Fische ihr Sehzentrum), die die höchste TOPDV-Konzentration aufweist. Ähnliches passiert an der Anterior-Posterior-Achse. Ganz gleich, wo sich ein Axon also befindet, es findet immer den richtigen Weg. Während das Axon wuchs, wurde nun sein Zielgebiet zerstört. Was passiert? Es verbindet sich mit jener Stelle im Umkreis des Zielgebiets, das die bestmögliche Konzentration von TOPDV aufweist. (Versuch: Goldfisch wurde Sehnerv durchtrennt und Teil des Tectums entfernt -> Axon wuchs trotzdem zum Resttectum -> erzeugte auf kleinerem Tectum ein komprimiertes Bild). Axone der vordersten Region der Retina verbinden sich mit hintersten Zellen des Tectums und umgekehrt, dazwischen verteilen sie sich gleichmäßig. Wettbewerb zwischen Axonen Axone zeigen ein Wahlverhalten und wachsen nur in Richtung bestimmter Zellen. Auch die Zellen zeigen ein Wahlverhalten: sie nehmen manche Axone an, andere lehnen sie ab. Im Frühstadium embryonaler Entwicklung gibt es Überproduktion von Neuronen und Axonen (ca. 2-3x mehr als später gebraucht werden). Auch Axone bilden viel mehr Synapsen als eigentlich notwendig -> diese sterben später ab. Grund: 1. Überproduktion ermöglicht eine Selektion der Besten 2. Spätere Änderungen (z.B. Zunahme der Körpergröße) können leichter ausgeglichen werden. Wie entscheidet Postsynapse, welches Axon angenommen wird? 1. unterscheidet an chemischen Markierungen, welches Axon für sie besser geeignet ist 2. nimmt eher Axone an, die simultan aktiv sind, als solche, die unkoordiniert senden Chemische Mechanismen hinter dem Überleben und Absterben von Neuronen Wie weiß ein Neuron, daß sein Axon angenommen oder abgelehnt wurde? Beispiel: Rückenmark schickt viele Axone von Motorneuronen zu Körperbereichen mit vielen Muskeln, wenige in Körperbereiche mit wenigen Muskeln. LEVI-MONTALCINI: Rückenmark produziert normale Zahl von Axonen, egal wieviele Muskeln im Zielgebiet liegen -> Muskeln bestimmen, wieviele davon überleben. Zuständig für das Wachstum der Axone = z.B. NGF bei Axonen, die vom Sympathicus zu den Organmuskeln wachsen. (NGF = Nerve-Growth-Factor, ein Protein, ein trophischer [= wachstumsfördernder] Faktor). Axon, das nicht genug davon erhält, verkümmert und stirbt ab. Im Organismus gibt es viele solcher trophischen Faktoren, für unterschiedliche Axone sind unterschiedliche zuständig. Sie bewirken, daß Axone ihren Weg aus dem Gehirn zu ihrem richtigen Bestimmungsort finden und sorgen dafür, daß Axon so lange wächst, bis es dort angekommen ist, dann stellen sie das Wachstum ein. 49 Wettbewerb zwischen Axonen als allgemeines Prinzip der Nervenfunktion GERALD EDELMANN (1987) nennt dieses Prinzip den neuronalen Darwinismus: Bei Entwicklung des NS gibt es vielmehr Neuronen und Synapsen, als später tatsächlich gebraucht werden. Synapsen bilden sich relativ willkürlich. Ausleseprozeß läßt manche überleben, andere absterben. Muskelfaser wählt nur ein ankommendes Axon (hängt va. von chemischen Faktoren ab). Neuronen wählen entweder das aktivste ankommende Axon aus oder eine Kombination von Axonen, die synchronisierte Signale senden. Weniger aktive oder nicht synchron sendende Axone sterben ab. Daneben gibt es aber auch das Zufallsprinzip. Pionierneuronen (= subplate cells) Thalamus und anderen subcortikalen Strukturen sind ab dem 35. Tag der embryonalen Entwicklung bereit für synaptischen Kontakt. Großhirnrinde aber reift sehr langsam. Erste cortikale Neuronen erscheinen ab der 7. Schwangerschaftswoche, andere aber erst ab der 16. Woche. Subcortikale Strukturen sind also oft schon viel eher fertig, um mit cortikalen Neuronen Verbindungen einzugehen, bevor diese cortikalen Neuronen überhaupt entstehen. Sind sie dann endlich fertig, ist der Cortex schon so groß, daß sie weite Strecken überwinden müssen, um mit den entsprechenden subcortikalen Strukturen Verbindung aufnehmen zu können, d.h. ihre Axone müssen weit und allen vielen anderen Neuronen und Axonen vorbei wachsen. Wie machen diese Axone das? In früher embryonaler Entwicklung, wenn Neuronen im Cortex noch unreif sind, bildet das Gehirn Neuronen unterhalb der Stelle, über der sich später die Großhirnrinde entwickelt = Subplate Cells. * Diese bilden Axone zu den subcortikalen Strukturen, zu anderen Subplate Zellen oder über das Corpus Callosum zur gegenüberliegenden Seite. * Sind die Neuronen im Cortex reif, so wachsen ihre Axone zuerst zu den Subplate Cells und folgen dann deren Axone zum entsprechenden Zielgebiet. * Gleichzeitig verlängern die subcortikalen Strukturen ihre Axone, die bisher bis zu den Subplate Cells reichten zu den Neuronen im Cortex. * Sind die entsprechenden Synapsen gebildet, sterben die Subplate Cells ab. Subplate Cells = somit „Pionierneurone“, die nur kurze Zeit leben, aber Wege für nachfolgende, dauerhafte Neuronen bilden. DIE EVOLUTION DES GEHIRNS UND SEINER KAPAZITÄTEN Es gibt große Unterschiede zwischen den Gehirnen verschiedener Tierarten. Auch die Vorfahren der heute lebenden Gattungen waren völlig anders strukturiert-> jede Gattung hat sich im Lauf der Evolution grundlegend verändert. Wie Gehirn und Verhalten unserer fossilen Vorfahren ausgesehen haben, weiß man nicht, weil ja keine Gehirne gefunden worden sind (Aus fossilen Spuren kann nur auf Teil des Verhaltens geschlossen werden, z.B. fossiler Fußabdruck -> Rückschluß auf Gangart). Totenschädel wurden gefunden. War es bei ihnen so wie heute, daß Gehirn Großteil des Schädels ausfüllte, kann auf Größe und Form des Gehirns geschlossen werden. In beschränktem Ausmaß kann man auch über Organisation des Gehirns Aussagen machen: Beispiel: Bei allen Säugetieren führt Hauptweg der visuellen Information zum primären visuellen Cortex im Okzipitallappen -> bei urzeitliche Säugern wahrscheinlich genauso. (Vorsicht! Vieles ist Spekulation!) Manche Säuger haben neben primärem visuellem Cortex noch zusätzliche visuelle Areale -> wurden wahrscheinlich irgendwann in dieser Spezies dazuentwickelt. (die Sprachareale im menschlichen Cortex sind im Vergleich zu denen der Primaten viel komplizierter gebaut -> wahrscheinlich ist dies Ausdruck einer relativ kurz zurückliegenden evolutionären Veränderung) 50 Menschliche Gehirne und andere Gehirne Fundamentale Prinzipien des Funktionierens der Nerven (z.B. Axone und Synapsen) sind im gesamten Tierreich annähernd gleich, bei Wirbeltieren ist auch die Struktur des Nervensystems in etwa gleich. Ebenso die Neurotransmitter (nicht nur bei verwandten Arten). Grund: Im Zuge der Evolution werden zwar Details unterschiedlich gestaltet, Grundprinzipien bleiben aber gleich. Vergleich unterschiedlicher Wirbeltiergehirne zeigt: alle haben Vorder-, Mittel- und Rautenhirn. bei Säugetieren = Vorderhirn ist immer größer als andere Teile, bedeckt hinteren Teil des Mittelhirns und Teile des Rautenhirns aber: bei verschiedenen Arten sind verschiedene Strukturen verschieden stark ausgeprägt: * z.B. Riechkolben (beim Menschen weniger stark ausgeprägt als bei den meisten anderen Säugern); * Gehirnbereiche für Tonwahrnehmung bei vielen Säugern (z.B. Delphinen, Hunden, Fledermäusen) stärker ausgeprägt als beim Menschen. * Gehirnbereich für Sehen beim Menschen besser ausgeprägt als z.B. bei Hunden -> jede Spezies ist für ihr Überleben besonders strukturiert. Fazit: Relative Größe eines Gehirnareals hat etwas zu tun mit den Fähigkeiten und Verhaltensdefiziten einer Art. Informationsverarbeitende Kapazität eines Cortex hängt ab von Anzahl der Neuronen, Dendriten und Synapsen -> Steigerung der Verarbeitungskapazität verlangt nach einer Vergrößerung der Oberfläche des Cortex. Raum im Kopf ist aber begrenzt -> um Oberfläche zu vergrößern: Faltung der Hirnrinde (wie z.B. Primaten = Affen und Menschen das auch haben) Evolution des Primatengehirns = gekennzeichnet durch Erweiterung vorhandener Regionen (z.B. Mensch: primärer visueller Cortex, somatosensorischer Cortex, akustischer Cortex nicht in demselben Maß weiterentwickelt wie das Gesamtgehirn -> wurden im Vergleich zu gesamter Hirnrinde kleiner; dafür andere Bereiche hinzugefügt (z.B. sekundäre, tertiäre und quartäre visuelle Regionen, die dieselben Infos auf verschiedene Arten verarbeiten und mannigfache Beziehungen zwischen visuellen Reizen zu identifizieren) Unterschied zwischen Mensch und anderen Primaten: beim Menschen = präfrontaler Cortex besonders groß, dafür ist motorischer Cortex relativ klein. Nicht die Größe des Gehirns unterscheidet das Gehirn des Menschen von dem anderer Tiere, sondern seine Reorganisation. Beispiel: Menschen haben im Vergleich zu Primaten mehr Axone von einer cortikalen Fläche zu einer anderen und von den Basalganglien zum Cortex => sprachliche Kommunikation funktioniert daher anders als beim Affen [bei ihm wird Vokalisation vom limbischen System kontrolliert -> Grunzen und Schreien] Menschen haben außerdem mehr Axone, die vom Cortex weggehen -> präzisere Kontrolle der Vokalisation ist ihnen somit möglich. GEHIRNGRÖßE UND INTELLIGENZ Größe eines bestimmten Gehirnareals = verantwortlich dafür, wie gut eine bestimmte Fähigkeit ausgebildet ist. Wie schaut es aber mit der Gesamtgröße des Hirns aus? 51 Gehirngröße, Körpergröße und Intelligenz verschiedener Spezies Mensch hat im Vergleich mit den meisten Säugern ein relativ großes Gehirn -> großer Kopf (Problem bei der Geburt im Vergleich zu anderen Säugern) Menschliches Gehirn ist aber nicht das größte Säuger-Gehirn (Wale, Delphine, Elefanten haben ein noch größeres). Wichtig ist aber nicht nur die absolute Größe des Gehirns, sondern die Größe des Gehirns im Vergleich zur Körpergröße (Mensch = relativ kleiner Körper, im Verhältnis dazu sehr großes Gehirn) Reptilien z.B. können sehr groß werden, haben im Verhältnis dazu ein kleines Gehirn => weniger flexibel in ihrem Verhalten als Säugetiere. Probleme der Intelligenzmessung bei Tieren Definition der Intelligenz = schwierig: Affen können mehr Aufgaben lösen als Mäuse, aber sind sie deswegen intelligenter? Ist ein Delphin intelligenter als ein Affe? (Wie soll das gemessen werden? Wie kann man für beide ähnliche Testbedingungen schaffen?) Zweifel am Kennwert Hirn-zu-Körper-Index Leicht verglichen werden können nahe verwandte Spezies (z.B. RENSCH verglich verschiedene Hühnerarten, Mäusearten,... -> bei diesen ist der Hirn-zu-Körper-Index gleich. Aber: die jeweils größeren Vertreter einer Gattung [Feldmäuse vs. Spitzmäuse ] haben auch größere Gehirne und leisten daher mehr, obwohl der Hirn-zu-Körper-Index gleich bleibt! => Hirn-zu-Körper-Index ist zwar wichtig, darf aber nicht überbewertet werden. Intelligenz kann nicht nur davon abhängen. Wichtig ist auch, wieviele Neuronen und Synapsen ein Tier noch zur Verfügung hat, wenn alle Grundfunktionen des Körpers versorgt sind! Variation in Gehirngröße und Intelligenz unter Menschen Menschen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Intelligenz beträchtlich voneinander. Intelligenz wird gemessen mit Intelligenztests, aber abhängig von Kultur, Motivation, etc., d.h. sie messen nicht die Intelligenz an sich. Wie hängen nun IQ-Werte von Unterschieden in der Gehirngröße und Gehirnstruktur ab? a) Biologische Faktoren, die die Gehirngröße beeinflussen: Größere Menschen haben größere Gehirne (Hirn-zu-Körper-Index bleibt aber gleich!) Ende 1. Lebensjahr: Gehirn hat bereits annähernd seine erwachsene Größe [vgl. überdimensional großer Kopf eines Säuglings!] - danach Wachstum im selben Verhältnis wie Körpergröße (d.h. Wachstumsrate des Gehirns nimmt ab). Wachstum von bestimmten Genen gefördert, ebenso wichtig = gute Ernährung und Gesundheit. Neuronen wachsen bis zum Eintritt der Pubertät weiter (nehmen zahlenmäßig aber NICHT zu). Mit Pubertät hat Gehirn seine volle Größe erreicht (bis zum Tod werden immer wieder Dendriten und Axone gebildet - beeinflußt die Größe aber nicht!). Körper wächst in Pubertät weiter (Wachstumsschub) und auch noch danach. Größenentwicklung des Gehirns = abhängig von dem, was vor der Geburt und in der Kindheit passierte Größenentwicklung des Körpers = abhängig von dem, was nach dem 10. Lebensjahr passierte => Größe des Gehirns eines Erwachsenen hat nur eine annähernde Beziehung zur Körpergröße! 52 b) Korrelationen zwischen Gehirngröße und Intelligenz Studie von PASSINGHAM (1979): Korrelation zwischen Gehirngröße und IQ = 0,1 aber: Gehirngröße wurde 1. falsch gemessen, und zwar nach dem Tod (eingetrocknet und geschrumpft!) oder 2. falsch geschätzt (großer Schädel -> großes Gehirn) Heute wird dafür MRI-Technik verwendet (kann Hirn von lebenden Menschen messen und abbilden) Versuch: 20 Männer und 20 Frauen (Studenten) aufgrund ihres IQs in Gruppen zusammengefaßt -> eine Hälfte mit IQ über 130, die zweite mit IQ unter 130. Ergebnis: Studenten mit höheren IQ hatten auch größeres Gehirn (r = 0,51) - wahrscheinlich liegt tatsächliche Korrelation bei r = 0,35 Fazit: Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Intelligenz darf nicht überschätzt werden ! Mögliche Beziehungen zwischen Intelligenz und Rasse oder ethnische Unterschiede Sehr brisante Frage, sehr umstritten. In den USA: * Menschen mit asiatischer Abstammung haben höheren IQ als Menschen mit europäischer Abstammung. * Menschen europäischer Abstammung haben höheren IQ als Menschen mit afrikanischer Abstammung. Dabei handelt es sich um sogenannte SAT-Werte (= Scholastic Amplitude-Test), diese sind aber Durchschnittswerte und sagen nichts über einzelne aus! Nicht vergessen werden darf dabei aber auch, daß auch Vererbung und Umwelt eine Rolle spielen; Aufwachsen in einem rich environment vs. in einem poor environment; bessere Ernährung, bessere medizin Versorgung, etc. spielt eine Rolle; eventuell auch die soziale Schicht und dergleichen...)