38 INDUSTRIE & AUTOMATION Stromversorgung Die Smoothies der Trafotechnik Transformatoren ohne Stromstoß einschalten. Eine neuartige Konstruktion kann – in Verbindung mit einem Schütz – den Einschaltstromstoß eines Transformators voll­kommen unterbinden. Anders als bisher ist es nicht mehr nötig, die Konstruktionsparameter des Trafos zu verändern, um den Einschaltstrom zu senken. der 1 und 2) auch bei Energie sparenden Transformatoren unterbleibt. Einschaltablauf bei Trafo mit Hilfswicklung 1 | Trenntrafo mit Zusatzwicklung: Diese liegt permanent am Netzeingang und wird deshalb beim Verbinden mit der Netzspannung sofort bestromt. Die weitere Vorrichtung besteht aus einem elektromechanischen Schütz, das die Primärwicklung und die Last einschaltet. Bei Bedarf kann sogar ein flinker, auf den Nennstrom bemessener Leitungsschutzschalter in die Trafozuleitung gesetzt werden B isher werden Transformatoren, zum Beispiel für den Einsatz vor medizinischen Behandlungsräumen nach der Norm VDE 0100-710, so gebaut, dass ihr Einschaltstrom kleiner als das Achtfache des Nennstroms ist. Übliche und besonders verlustarme Transformatoren haben dagegen deutlich höhere Einschaltströme. Trafos mit Spitzen von nur dem Achtfachen des Einschaltstroms sind dann um circa 50 % größer und schwerer, und sie haben mehr Leerlauf und Laststromverluste. Bei Transformatoren mit reduziertem Einschaltstrom treten vermehrt Wirkverluste auf, weil ihre Primärspule zur Einschaltstrombegrenzung einen höheren Wirkwiderstand aufweist. Bisher führte eine verlustarme Trafoauslegung immer zu einem hohen Einschaltstromstoß, der jedoch dank der neuen Konstruktion (Bil- Beim Spannunganlegen an die Eingangsklemmen des Trafos entsteht nur ein geringer Einschaltstrom, der nicht höher als der Nennstrom des Trafos ist, weil der Strom zuerst nur durch die höherohmige Zusatzwicklung fließt. Die Magnetisierung im Eisenkern des Trafos läuft schon nach weniger als einer Netzspannungsvollwelle nach dem Einschalten synchron zur Netzspannung. An der Primärwicklung liegt dann per Induktion ebenfalls die Netzspannung an. Über ein Schütz wird nach einer kurzen Verzögerung die Primärspule an das Netz geschaltet. Die Sekundärspule ist bis zu diesem Zeitpunkt noch von der Last getrennt, und es kann kein Laststrom fließen. Die dabei entstehende Verzögerung vom Anlegen der Spannung an die Eingangsklemmen bis zum Einschalten der Primärspule und der Last beträgt, je nach Schützgröße, nur etwa 10 bis 30 ms. Sollten Schütze eingesetzt werden, die größere Ströme als den Trafo-Nennstrom schalten können, so hat das keinerlei Nachteile für die Einschaltstromvermeidung. Werden im Fehlerfall, wenn der Schütz defekt ist, die Primärwicklung und die Last nicht eingeschaltet, kann die Zu- KONTAKT EMEKO Ingenieurbüro für Elektronikentwicklung, Britzinger Straße 36, 79114 Freiburg im Breisgau, Tel. 0761 441803, www.emeko.de smart engineering 2015 Stromversorgung INDUSTRIE & AUTOMATION satzwicklung den Leerlaufstrom beliebig lange liefern, ohne heiß zu werden. Denn die Last ist dann noch ausgeschaltet. Bei der Herstellung der Transformatoren lässt sich die Zusatzwicklung in einfacher Weise aufbringen; der Autor schätzt die Mehrkosten auf maximal 5 % der Trafokosten. Messdiagramme vom Einschalten des Trafos belegen, dass der Einschaltstrom vollkommen vermieden wird. Die Strommessung mit einem Multimeter beim Test mit einem 2-kVA-UI-Kerntrafo zeigt, dass die Zusatzwicklung bei Volllast des Trafos nur ein Drittel des ihr möglichen Nennstroms trägt. Die Testergebnisse im Überblick Bei mehr als 5000 Test-Einschaltungen hat die flinke Nennstromabsicherung nie ausgelöst. Auch schnell aufeinanderfolgende Ein-/Aus- und wieder Einschaltungen bringen keine Einschaltströme und überlasten den Hilfswickel nicht, wenn die Schützabfallzeit von circa 40 ms als Pause eingehalten wird. Die Einschaltverzögerung des Volleinschaltens wird ohne elek- 2 | Klemmen am 2-kVA-UI-Trafo: 1, 2 – Primärwickel; 3, 4 – Sekundärwickel; 5, 6 – Zusatzwickel; 1 bis 5 sind gebrückt. Das Netz wird an den Klemmen 8 und 9 angelegt ten). Für das Einschalten der Primärwicklung können auch wesentlich größere Schütze mit mehr Stromtragfähigkeit als Das sanfte Einschalten ohne Stromstoß gelingt mithilfe der neuen Konstruktion auch bei Energie sparenden Transformatoren tronische Bauelemente herbeigeführt, die ausfallen könnten. Netzumschaltlücken oder Netzunterbrechungen von 40 ms Dauer oder länger werden von der Steuerschaltung beherrscht (siehe Wissenskas- nötig verwendet werden; diese bringen eine größere inhärente Verzögerung bis zum Volleinschalten, die sich nicht negativ auf die Einschaltstromvermeidung auswirkt. Die Messkurven in Bild 3 zeigen das sanfte Einschalten des Trafos, wenn man nur ein Schütz verwendet, dessen Spule von der Primärwicklung gespeist wird. Beim Cursor 1 wird das Netz an die Eingangsklemmen gelegt. Zufällig entsteht kein kleiner Einschaltstrom, der aber, wenn er auftritt, nie größer ist als der Laststrom. Nach dem Volleinschalten der Primärspule mit dem Schütz beim Cursor 2 fließt sofort nur der Laststrom, was auf die vollkommene Vermeidung der Kernsättigung hinweist. Die schmalen Spitzen auf den Kurven entstehen durch die Schaltfunken der Kontakte, welche in die Messung einkoppeln; dies sind keine realen Signale. Die WISSENSWERT 3 | Einschaltverhalten: 2-kVA-UI-Trenntrafos mit Zusatzwickel, mit der Ansteuerschaltung nach Bild 2 und mit angeschlossener Last. Oben: Spannung an der Primärspule (200 V/div); unten: Strom aus dem Netz (5 A/div); der Zeitmaßstab ist für beide Kurven 10 ms/div smart engineering 2015 Netzunterbrechung – kein Problem. In der Praxis dauern Netzlücken, etwa beim Umschalten von Stromnetzen, in der Regel länger als 40 ms, weshalb Stromstöße bei Netzwiederkehr dann nicht vorkommen können, wenn die hier gezeigte Vorrichtung verwendet wird. Schon das Aus- und Einschalten mit einem elektromechanischen Schütz, der vor dem Transformator angeordnet ist, dauert wegen der Abfall- und Anzugszeit dieses Schützes länger als 50 ms. 39 INDUSTRIE & AUTOMATION Stromversorgung 4 | Prototyp: Der Trenntrafo ohne Einschaltstrom benötigt dank des neuen Konstruk­ tionsprinzips nicht mehr Platz als ein herkömmlicher Ringkerntrafo, der normalerweise einen sehr hohen Einschaltstrom verursacht Spitzen auf der Spannungskurve zeigen das Netzschalter-Kontaktprellen beim Netzeinschalten. Eine Schütz-Anzugsverzögerung von nur 14 ms hat hier ­genügt. Weil der normale Induktionsverlauf sich schon nach sehr kurzer Zeit einstellt, kann danach das Einschalten der Primärspule deshalb an einem beliebigen Punkt des Netzspannungsverlaufs geschehen, weil die Spannung an der Primärspule schon vor ihrem Einschalten durch den Schütz zu jedem Zeitpunkt exakt parallel zur Netzspannung verläuft. Prototyp eines Ringkerntrafos Bei einem Ringkerntrafo kann das notwendige Sanft-Einschaltschütz sogar im Kern-Restloch untergebracht werden. Bild 4 zeigt einen provisorischen Aufbau. Der Trenntrafo ohne Einschaltstrom benötigt damit nicht mehr Platz als ein herkömmlicher Ringkerntrafo, der normalerweise einen sehr hohen Einschaltstrom verursacht. Der Trafo mit Zusatzwicklung kann somit auf geringen Wirkverlust ausgelegt werden, weil der Konstrukteur kei- ne Rücksicht mehr auf den Einschaltstrom nehmen muss. Das heißt, der Kernquerschnitt muss nicht vergrößert und die Primärwicklung nicht hochohmiger ausgelegt werden. Auch sind keine zusätzlichen Luftspalte zur Remanenzverminderung im Kern erforderlich. Für Einphasen-Trenntransformatoren eignet sich diese Vorrichtung besonders, weil dabei mit nur einem Schütz der Trafoein- und -ausgang mit den Schützkontakten gleicher Strombelastung geschaltet werden kann – denn der Trafoausgang liefert ja den gleichen Strom, der in seinen Eingang fließt. Transformatoren, deren Ausgangsströme deutlich größer sind als die Eingangsströme, müssen am Ausgang mit größeren Schützen als für den Eingangsstrom geschaltet werden, weil der Ausgangsstrom die nötigen Kontaktströme bestimmt. Oder aber ihre Lasten müssen separat frei geschaltet werden. ml Autor Michael Konstanzer ist Inhaber des Ingenieurbüros Emeko in Freiburg. Online-Service Weitere Infos, Schaltpläne und Messkurven www.elektronik-informationen.de/26052 FAZIT Jetzt auch für sparsame Trafos. Einschaltstrom-reduzierte Transformatoren unterliegen Wirkverlusten, weil ihre Primärspule zur Einschaltstrombegrenzung einen höheren Wirkwiderstand hat. Umgekehrt führte eine verlustarme Trafoauslegung bisher immer zu einem hohen Einschaltstromstoß. Ein neues Konstruktionsprinzip mit einer Zusatzwicklung unterbindet diese Stromspitze nun auch bei Energie sparenden Transformatoren. Hersteller dieser Trafos ist die Firma Tauscher in Freyung. Foto: 40 smart engineering 2015 Foto: Stromversorgung INDUSTRIE & AUTOMATION smart engineering 2015 41