OSNABRÜCKER SCHRIFTEN ZUR MATHEMATIK Reihe V Vorlesungsskripten Heft 143 Wintersemester 2004/05 Mathematik für Biologen I H. Behncke Fachbereich Mathematik/Informatik Universität Osnabrück OSM Osnabrücker Schriften zur Mathematik Neuauflage September 2004 Herausgeber Selbstverlag der Universität Osnabrück Fachbereich Mathematik/Informatik 49069 Osnabrück Geschäftsführer Prof. Dr. W. Bruns Berater: Prof. Dr. P. Brucker (Angew. Mathematik) Prof. Dr. E. Cohors-Fresenborg (Didaktik der Mathematik) Prof. Dr. V. Sperschneider (Informatik) Prof. Dr. R. Vogt (Reine Mathematik) Druck Hausdruckerei der Universität Osnabrück Copyright bei den Autoren Weitere Reihen der OSM: Reihe Reihe Reihe Reihe Reihe D I M P U Mathematisch-didaktische Manuskripte Manuskripte der Informatik Mathematische Manuskripte Preprints Materialien zum Mathematikunterricht Mathematik für Biologen I Horst Behncke ii iii Vorwort “Wozu Mathematik für Biologen?” Diese Frage bzw. dieser Seufzer junger Biologiestudenten mag für diejenigen selbstverständlich klingen, die noch nie Freude an diesem abstrakten Zahlenkram hatten und Mathematik, so schnell sie konnten, abgewählt haben. Diese Studenten sollten allerdings nicht verkennen, daß sich die Biologie inzwischen von der “Blümchenbiologie” zu einer abstrakten Wissenschaft entwickelt hat, für die die Mathematik ein notwendiges Handwerkszeug ist. Galileo schrieb dazu, daß das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Noch etwas pointierter läßt sich dies durch die nachfolgende Behauptung ausdrücken. Der Stand der Wissenschaft wird gekennzeichnet durch den Grad ihrer Mathematisierung. Der Grad der Mathematisierung der Biologie läßt sich etwa durch die zunehmende Anzahl von Zeitschriften wie Journal of Theoretical Biology, Mathematical Bioscience, J. of Theoretical Population Biol., Biometrica sowie durch Bücher belegen. In der Tat durchläuft die Biologie zur Zeit eine Revolution von einer qualitativ deskriptiven Wissenschaft zu einer quantitativen mathematisierten Form. Dies wird begünstigt durch das Ausmaß mit der Menschen in die Biosphäre eingreifen, die Entwicklung immer leistungsfähiger Computer sowie systemwissenschaftliches Denken. Zwar fehlen der Biologie grundsätzliche Gesetze wie das Newton’sche Bewegungsgesetz oder die Maxwell Gleichungen, dennoch schreitet die Mathematisierung unaufhörlich voran, so dass man wohl das 21. Jahrhundert als das Jahrhundert der Mathematisierung der Biologie bezeichnen wird. Da die Komplexität der Biologie ungleich größer ist als die der Physik, werden noch lange Zeit mathematische Modelle die Biologie beherrschen. – Näheres dazu findet man in Science 303, 2004, p. 788–803. Die Mathematisierung und die Anwendung der Mathematik vollzieht sich in den meisten Wissenschaften nach dem folgenden Schema: 1. Aufnehmen qualitativer Daten - Zählen und Messen 2. Zusammenfassen und Beschreiben von Daten 3. Modellbildung 4. Theoriebildung iv Dies gibt auch meist den historischen Ablauf wieder. Dieser Prozeß wird heute durch den Einsatz von Computern noch verstärkt und beschleunigt. Wie weit letztlich die Mathematik bei der Beschreibung biologischer Phänomene eine Rolle spielt, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen. In vielen Bereichen aber, wie z.B. der Genetik, der Epidemiologie, der Evolutionsbiologie oder der Ökologie, werden komplexe mathematische Methoden und Modelle eine zentrale Rolle spielen. In diesem Zusammenhang sollten Sie sich auch noch überlegen, daß der zukünftige Arbeitsmarkt für Biologen, der nicht gerade üppig ist, solide Mathematikkenntnisse und Computerfähigkeiten erfordert. Halten wir also fest: Die Mathematik ist ein notwendiges Hilfsmittel für die Biologen, und ihre Bedeutung wird zukünftig eher noch zunehmen. Diese Aussage wird durch die Worte von Charles Darwin, einem der größten Biologen, deutlich belegt. “During the three years which I spent at Cambridge my time was wasted, as far as the academical studies were concerned, as completely as at Edinburgh and at school. I attended mathematics, and even went during the summer of 1828 with a private tutor of Barmouth, but I got on very slowly. The work was repugnant to me, chiefly from my unbeing able to see any meaning in the early steps in algebra. This impatience was very foolish, and in after-years I have deeply regretted that I did not proceed far enough at least to understand something of the great leading principles of mathematics for men thus endowed seem to have an extra sense. But I do not believe that I should ever have succeeded beyond a very low grade. With respect to Classics I did nothing except attend a class.” Anzumerken bleibt hier nur, daß gerade die Beschäftigung mit dem “Malthusschen Wachstum” Darwin auf die Idee des Kampfes um das Dasein brachte. Dem bekannten Evolutionsbiologen J. Maynard Smith wird “If you can’t stand algebra stay out of evolutionary biology” zugeschrieben. Um aber zumindest in diesem Skriptum für diejenigen Studenten, denen die Mathematik schon immer eine Qual war, eine Brücke zur Schule zu schlagen, werde ich soweit möglich bezug auf bekannte Schulbücher - Mathematik für Gymnasien Bd. 4, Algebra I Bd. 5, Mathematik 10. Schuljahr sowie Grundkurs Analysis (Cornelsen Schwann Verlag) - nehmen. Hinweise dazu werden mit AI, AII oder S angegeben: Überhaupt sollten alle, denen es in der Vorlesung zu schnell geht, auf die Schulbücher zurückgreifen, um ggf. Lücken zu schließen. Dies sollte in der Vorbereitung auf die Vorlesung anhand des Skriptums erfolgen. Sollten Sie allerdings dann immer noch erhebliche Schwierigkeiten haben, sollten Sie die Studienberatung aufsuchen. In Bezug auf Schulbücher gilt es allerdings festzuhalten, dass hier der Bezug auf Anwendungen von zentraler Bedeutung ist. In der Zwischenzeit wurde dieses Skriptum mehrfach überarbeitet und das Spektrum der Aufgaben ergänzt. Es ist auch nicht alles in diesem Skriptum für alle Bereiche der Biologie gleichermaßen wichtig. Dinge, die beim ersten Lesen weggelassen werden können und die in der Vorlesung eher kursorisch behandelt werden, sind daher mit ∗ gekennzeichnet. Darüber hinaus fällt auf, daß mehr als die Hälfte des Stoffes Schulmathematik ist, die in der Schule vor v der 10. Klasse behandelt wurde. Unsicherheit im Umgang mit diesem Stoff ist für einen angehenden Akademiker unverzeihlich, und schon im eigenen Interesse sollten Sie etwaige Lücken unbedingt schließen. Inhaltlich ist diese Vorlesung daher eine Wiederholung der Schulmathematik mit biologischem Akzent. Die Kontrolle des eigenen Wissensstandes sowie das Einüben des Stoffes sind entscheidende Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme. Aus diesem Grund wird die Teilnahme an der Abschlußklausur von einer erfolgreichen Teilnahme an den Übungen abhängig gemacht. Dies ist auch schon deswegen notwendig, weil die ECTSPunkte die Übungen einschließen. Zu guter letzt sei noch angemerkt, daß ich in diesem Kurs auch auf eine Rückkopplung von Ihnen hoffe. Wenn also etwas unklar ist oder etwas nicht ausreichend behandelt wurde: fragen Sie. In dieser Veranstaltung werde ich mich weitgehend an das Skriptum halten und dabei besonders auf Beispiele eingehen. Der Vorteil des Skriptums besteht darin, daß Sie sich so besser auf die Vorlesung und die inhaltlichen Aspekte konzentrieren können, der Nachteil darin, daß die Vor- und Nachbereitung zu kurz kommen, weil ja schon alles aufgeschrieben ist. Die Vor- und Nachbereitung einer Veranstaltung sind aber wesentliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Besuch. Als Daumenregel gilt, daß Vor- und Nachbereitung je genau denselben Umfang wie die Veranstaltung haben sollten. Gerade hier zeigt sich auch der Wert der Übungen als Gradmesser des Verstehens. Literaturverzeichnis (1) Batschelet, E.: Einführung in die Mathematik für Biologen, Springer Verlag 1980. (2) R. Flindt: Biologie in Zahlen. (3) Hadeler, K.P.: Mathematik für Biologen, Springer Verlag 1974. (4) J.D. Murray: Mathematical Biology. (5) Rubinnov, S.I.: Introduction to Mathematical Biology. (6) Smith, J.M.: Mathematical ideas in biology, Cambridge Univ. Press 1968. (7) Vogt, H.: Grundkurs Mathematik für Biologen, Teubner Verlag 1983. (8) Newby, J.C.: Mathematics for the biological sciences, Clarendon Press. vi vii Inhaltsverzeichnis 1 Die reellen Zahlen 3 1.1 Die natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Die rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Die reellen Zahlen und ihre Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.4 Approximative Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.5 Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.7 Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.8 Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.9 Schätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.11 Ein Letztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2 Funktionen 41 2.1 Der n-dimensionale Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.3 Funktionen und ihre Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.4 Lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.5 Polynome; rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.6 Potenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.7 Zins, Zinseszins und Ratenzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.8 Exponential-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.9 Graphische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit 89 3.1 Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.2 Konvergente Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Inhaltsverzeichnis 1 3.2.1 Verzweigungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.2.2 Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.3 Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.4 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4 Differentialrechnung 113 4.1 Die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor . . . . . . . . . . . . . . 121 4.3 Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.4 ∗ Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.5 Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4.6 Partielle Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen . . . . . . . . . . . . 154 5 Integralrechnung 159 5.1 Flächeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . 162 5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5.4 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6 Differentialgleichungen 179 6.1 Populationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 6.2 Separierbare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6.3 Lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.4 Schwingungsgleichung 6.5 Kompartiment Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2 Inhaltsverzeichnis 3 Kapitel 1 Die reellen Zahlen 1.1 Die natürlichen Zahlen Schroedel-Schöningh Mathematik Heute 9, Breidenbach Mathematik 8., 9. Schuljahr Was Zahlen sind, weiß jeder, denn schon seit frühster Kindheit sind wir mit ihnen vertraut. In der Tat weiß man, daß schon Kleinkinder ein intuitives Verständnis von Zahlen (Anzahlen) haben. Zahlen stellen darüber hinaus eine wichtige kulturübergreifende Größe dar, wie etwa das SETI-Projekt (Search for Extraterrestrial Intelligence) belegt, wo eine Verständigung mit außerirdischen Kulturen über Zahlen erfolgen soll. Dennoch ist es für Mathematiker und Philosophen keineswegs klar, was Zahlen eigentlich sind. Allerdings wird dieses Problem einen experimentellen oder angewandten Wissenschaftler oder einen Kaufmann kaum bewegen. Für ihn ist nur wichtig, was man damit machen kann und welche Eigenschaften sie haben. Dies ist auch genau der Standpunkt, den wir hier verfolgen wollen. In allen Naturwissenschaften werden Zahlen verwandt, um Meßergebnisse zu beschreiben, darzustellen und zusammenzufassen. Auch für die Theorie bilden sie ein wesentliches Beschreibungsmittel. Die einfachste Form der Messung ist das Zählen oder Abzählen. Damit lassen sich Häufigkeiten von Eigenschaften oder Merkmalen - Tier- oder Pflanzenarten, Typen, Mutanten, . . . - beschreiben. Zum Zählen oder Abzählen verwendete man die natürlichen Zahlen. Diese sind 1, 2, 3, 4, . . ., und die Menge der natürlichen Zahlen bezeichnen wir mit N. N = {1, 2, 3, 4, . . .}. Ist A eine Menge, so bezeichnen wir mit |A| die Anzahl der Elemente in A. Es gilt also |{a, b, c, d, . . . , z}| = 26 |{a, e, i, o, u}| = 5 und |{1, 2, . . . , 1989}| = 1989. Wir stellen die natürlichen Zahlen im Zehnersystem dar. 4 Die reellen Zahlen Dabei steht dann z.B. 213785 für 213785 = 2 · 100000 + 1 · 10000 + 3 · 1000 + 7 · 100 + 8 · 10 + 5 · 1. Man nennt ein solches Zahlsystem daher auch ein positionales System, denn die Position der Ziffern gibt ihre Wertigkeit an. In unserem Beispiel steht also 5 in der Einerposition, 8 an der Zehner- und 7 an der Hunderterposition. Auch die Einführung der positionalen Darstellung von Zahlen stellt eine wesentliche kulturelle Leistung dar, die darüber hinaus auch noch bestimmend war über die Rechenfähigkeit und die Entwicklung der Zahlentheorie. Die Griechen z.B. verwandten Buchstaben zur Darstellung der Zahlen, und dies hat ihre Mathematik eher behindert. Um dies deutlich zu machen, versuchen Sie einmal die einfachen Aufgaben der römischen Darstellung zu lösen: LXIII : IX; DCLXII + M DCIX. Unser positionales Zahlensystem basiert auf Potenzen von 10, hat die Basis 10. In anderen Kulturen hat man gelegentlich eine andere Basis verwandt. In Babylon war es 60, bei den Mayas 20. Um ein Gefühl für die Eigenschaften und das Rechnen im positionalen Zahlensystem etwas deutlicher zu machen, hier ein paar Beispiele für das Dual- oder Zweiersystem. Hier verwendet man natürlich nur 0 und 1, so wie man im Zehnersystem {0, . . . , 9} verwendet. Wir haben also 11001 = 1 · 24 + 1 · 23 + 0 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 = “25” (im Zehnersystem) 1110101 = 1 · 26 + 1 · 25 + 1 · 24 + 0 · 23 + 1 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 = “117” (im Zehnersystem) Hier ein paar Rechnungen 1 1 1 1 1 0 0 1 1 1 0 1 0 1 1 0 0 1 0 1 0 0 1 1 0 0 1 1 0 1 1 0 0 1 1 1 0 1 1 0 0 1 Die Überträge sind durch 1 kenntlich gemacht worden. 1 1 0 1 × 1 0 1 1 1 0 1 1 1 0 1 1 0 0 0 0 0 1 oder 1 0 1 1 1 × 1 0 1 1 1 0 1 1 1 1 0 1 1 1 1 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1 ⊖ 1 1 0 1 − 1 1 1 1 1 0 1.2 Die rationalen Zahlen 5 Trauen Sie sich eine Division im Dualsystem zu? Versuchen Sie es mal mit 10010:11. Die Natur verwendet übrigens im genetischen Code das Vierersystem, das auf den “Zahlen” (Aminosäuren) A, T, G, C (Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin) beruht. In der Mathematik verwendet man für allgemeine Zahlen meist Symbole wie i, j, k, l, m oder n. Da das Rechnen mit natürlichen Zahlen Beschränkungen unterliegt - z. B. ist 12 − 15 in N nicht durchführbar - verallgemeinert man dies System etwas und wird so auf die ganzen Zahlen Z geführt. Z = {0, 1, −1, 2, −2, . . .}. Auch wenn uns all dies seit der Grundschule wohlbekannt ist, so stellt doch die Einführung von Z eine wichtige kulturgeschichtliche Leistung dar. Dies gilt insbesondere auch für die Einführung der 0 durch die Inder. Ohne “0” könnte man kein positionales Zahlsystem einführen. 1.2 Die rationalen Zahlen Eine ähnliche Verallgemeinerung wie die von N auf Z führt auf die rationalen Zahlen oder Bruchzahlen Q. m Q = { | m ∈ Z, n ∈ N}. n Diese waren schon von jeher für das Messen und den Handel wichtig, wie aus der Kulturgeschichte wohlbekannt ist. Schon bei der Beschreibung einfacher Beobachtungen wird man auf Q geführt, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Pflanzen- bzw. Tierarten A1 , A2 , . . . , A12 werden beobachtet. Dabei sei n1 die Häufigkeit von A1 , n2 die von A2 ; usw. Ist dann n = n1 + n2 + . . . n12 die Gesamtzahl der Beobachtungen, so nennt man nn1 , nn2 , . . . , nn12 die relative Häufigkeit von A1 , A2 , . . . bzw. A12 . Im Gegensatz zu den absoluten Häufigkeiten lassen sich relative Häufigkeiten leichter vergleichen. Gelegentlich werden relative Häufigkeiten auch in Prozent angegeben. Die Aussage, daß 15% aller Nordseefische Mißbildungen 15 . aufweisen, bedeutet also eine relative Häufigkeit von 100 1.3 Die reellen Zahlen und ihre Darstellung Angenäherte Zahlen Da viele mathematische Operationen, wie √ Wurzelziehen oder Grenzwerte, innerhalb von Q nicht durchführbar sind (z. B. ist 2 ∈ / Q), ist man gezwungen, Q noch weiter zu vergrößern. Man wird dann auf die reellen Zahlen R geführt. Wir haben also N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R. Reelle Zahlen,√die√nicht rational sind, heißen irrational. Beispiele für irrationale Zahlen sind: 2, 3 5, π, e, ln 2, . . . Abgesehen von Vorzeichen hat jede reelle Zahl 6 Die reellen Zahlen eine Darstellung im Dezimalsystem als unendlicher Dezimalbruch. Es bedeutet also 17, 312483 . . . 1 · 10 + 7 · 1 + 3 · 1 1 1 1 +1· +2· +4· + ... 10 100 1000 10000 Jede positive reelle Zahl hat also eine Darstellung in Form al al−1 . . . a0 , b1 b2 b3 b4 . . . ai , bj ∈ {0, 1, . . . , 9}. Wir werden also die reellen Zahlen mit solchen unendlichen Dezimalbrüchen identifizieren. Bei dieser Darstellung muß man jedoch berücksichtigen, daß 0,9999. . . gerade = 1 ist. Solche Darstellungen kann man auch für andere Systeme finden. Im Dualsystem beispielsweise steht 1 0 1, 1 1 0 0 1. . . für 1 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 + 1 · 2−1 + 1 · 2−2 + 0 · 2−3 + 0 · 2−4 + 1 · 2−5 + . . .. Man kann zeigen, daß jede reelle Zahl auch eine solche Darstellung besitzt. Später werden wir diesen Aspekt noch genauer analysieren. Die wohlbekannten Rechenregeln des Dezimalsystems übertragen sich auch entsprechend auf Darstellungen bezüglich einer anderen Basis. Zum Beispiel bedeutet Multiplikation mit 2, daß das Komma in der Dualdarstellung um eine Position nach rechts verschoben wird. Für die reellen Zahlen gelten die folgenden Regeln: Addition Kommutativgesetz: Assoziativgesetz: Null: Das Negative: Multiplikation Kommutativgesetz: Assoziativgesetz: Eins: Das Inverse: Distributivgesetz: a+b=b+a a, b, c ∈ R (a + b) + c = a + (b + c) a+0=a a + (−a) = 0 a·b=b·a (a · b) · c = a · (b · c) a·1=a a · 1/a = 1 a · (b + c) = a · b + a · c. Folgerungen 1. Das allgemeine Assoziativgesetz: Eine Summe (Produkt) ist unabhängig von der Klammerung (((a1 + a2 ) + a3 ) · · · + an ) = (((a1 + a2 ) + a3 ) + . . . ) + an . Die Summe rechts ist übrigens genau der Ausdruck den man erhält, wenn man a1 , a2 , . . . , an unabhängig von der Klammerung ist, schreibt man einfach a1 + a2 + · · · + an dafür, d.h. man läßt die Klammern weg. Noch kompakter schreibt man n X a1 + a2 + · · · + an = ai . i=1 1.3 Die reellen Zahlen und ihre Darstellung 7 Das Summensymbol rechts bedeutet dabei: Summiere über die ai angefangen bei i = 1 bis an . Statt der Variablen i kann man auch j oder k verwenden. Also n n X X aj = ak . i=1 k=1 Entsprechend bedeutet 29 X i=7 ai = a7 + a8 + · · · + a29 . Hier noch ein paar Beispiele: 39 X k=4 15 X k 2 = 42 + 52 + · · · + 392 1 1 1 1 1 = 2 + 2 + 2 + 2 2 1+l 12 + 1 13 + 1 14 + 1 15 + 1 l=12 2. Das allgemeine Kommutativgesetz Die Summe (Produkt) von Zahlen a1 , . . . , an ist unabhängig von der Reihenfolge. Beispiel: a1 + a2 + a3 + a4 = a4 + a2 + a3 + a1 3. Das allgemeine Distributivgesetz (a1 + a2 + · · · + an ) · (b1 + b2 + · · · + bm ) = a1 · b 1 + · · · + a1 · b m + a2 · b 1 + · · · + a2 b m + · · · + an · b 1 + · · · + an b m . Dabei sind a1 , . . . , b1 , . . . beliebige reelle Zahlen. 4. Genauso wie man a + a + · · · + a = n · a a ∈ R, n ∈ N schreibt, führt man die Kurzform a · a · · · · · a = an a∈R ein. Es gilt dann an · am = an+m , (an )m = an·m a ∈ R. Damit diese Regeln auch für n, m ∈ Z gültig bleiben, muß man a0 = 1 und a−n = 1 an a 6= 0 setzen. Man beachte, daß der Bruchstrich bei Bruchausdrücken die Rolle einer Klammer hat. 8 Die reellen Zahlen 5. Neben der Addition und Multiplikation haben die reellen Zahlen noch eine weitere wichtige Eigenschaft. Sie sind geordnet, d.h. es gilt ˙ ˙ − R = R+ ∪{0} ∪R R− = −R+ . Dabei bezeichnet R+ die Menge aller positiven reellen Zahlen und ∪˙ bedeutet, daß die drei Teilmengen disjunkt (elementfremd) sind. Es gilt ferner R+ + R+ ⊂ R+ , R+ · R+ ⊂ R+ R+ Zahlenstrahl R 0 Mit Hilfe von R+ definiert man nun: a > b wenn a − b ∈ R+ : a ≥ b wenn a = b oder a > b: a ist echt größer als b a ist größer oder gleich b. Folgerungen a > b, c > 0 ⇒ a · c > b · c a > b > 0 ⇒ b−1 > a−1 > 0 a ≥ b, c ≥ d ⇒ a + c ≥ b + d. Diese und weitere Ungleichungen zeigt man durch Fallunterscheidung. Intervallschachtelung: Eine Folge von Zahlenpaaren {(an , bn )} mit an < bn heißt Intervallschachtelung, wenn In+1 = [an+1 , bn+1 ] = {x ∈ R | an+1 < x ≤ bn+1 } ⊂ [an , bn ] und wenn bn − an → 0, d.h. wenn zu jeder Zahl ǫ > 0 ein n0 existiert mit bn − an < ε für n ≥ n0 . Für reelle Zahlen gilt nun: Jede Intervallschachtelung √ legt genau eine reelle Zahl fest. Wir wollen dies an einem Beispiel, nämlich 3 17 erläutern. Es gilt 23 < 17 < 33 . Allgemein wird man nun an = 2, α1 α2 . . . αn αi ∈ {0, . . . , a} setzen, wenn a3n ≥ 17 und (an + 10−n )3 > 17. In diesem Fall setze bn = an + 10−n . Die Intervallschachtelungseigenschaft zusammen mit den Regeln der Addition und Multiplikation legen R, die reellen Zahlen, eindeutig fest. 1.4 Approximative Zahlen Im Prinzip benötigt man für jede reelle Zahl unendlich viele Ziffern nach dem Komma. Diese kommen auch noch unregelmäßig vor, denn es sind genau die rationalen 1.4 Approximative Zahlen 9 Zahlen, deren Dezimaldarstellung schließlich periodisch wird. In der Praxis aber hat es keinen Sinn, mit unendlich vielen Dezimalstellen nach dem Komma zu rechnen. Man rechnet daher nur mit angenäherten Zahlen, d.h., man bricht die Dezimalentwicklung durch Runden an einer geeigneten Stelle ab. Anstelle von π = 3, 141592654 . . . verwendet man π = 3, 14 (Abrunden nach der zweiten Stelle) oder π = 3.1416 (Aufrunden nach der vierten Stelle), obwohl man von π inzwischen etwa 400.000.000 Stellen kennt. Ähnlich schreibt man √ oder √2 = 1, 4142 2 = 1, 414214. Ein weiterer Grund, angenäherte Zahlen zu verwenden, besteht darin, daß viele Zahlen Ergebnisse von Messungen sind und damit mit Meßfehlern behaftet sind. Das Abbrechen durch Auf- oder Abrunden hängt dabei von dem zulässigen Fehler bzw. der erwünschten Genauigkeit ab. Auch die Genauigkeit des Rechnens kann hier eine Rolle spielen. Hier einige Beispiele: Aufrunden √ 3 = 1, 7320/50808 . . . 3 = 1, 7321 Fehler ≤ 0, 00005 ln 3 = 1, 098/612289 . . . ln 3 = 1, 099 Fehler ≤ 0, 0005 √ π = 3, 14/159 . . . ln 2 = 0, 6931/47 . . . Abrunden π = 3, 14 Fehler ≤ 0, 005 ln 2 = 0, 6931 Fehler ≤ 0, 00005 Es ist also jeweils immer die nachfolgende Ziffer maßgebend. Ist es eine 5,6,7,8 oder 9, wird die vorangehende Ziffer um 1 erhöht, andernfalls behält sie ihren Wert. Dadurch ist der Fehler, d.h. die Genauigkeit, bei einer Darstellung mit n Ziffern nach dem Komma kleiner als 5 · 10−(n+1) . In Rechnern wird dieses Runden automatisch durchgeführt. Bei vielen Rechnungen können dabei erhebliche Rundungsfehler entstehen. Die Ziffern, die bei solchen angenäherten Darstellungen auftreten, heißen signifikante Ziffern. In Taschenrechnern bzw. Computern rechnet man meist mit 8 bzw. 12 signifikanten Ziffern. Durch besondere Vorkehrungen kann diese Zahl aber noch verdoppelt werden. So hat etwa 1 ln 2 = 0, 006931 100 π = 3, 14 √ 19225 = 138, 65 10 Die reellen Zahlen 4, 3 bzw. 5 signifikante Ziffern. Dabei werden voranstehende Nullen also nicht mitgezählt. Man sollte sich aber auch darüber im klaren sein, daß bei dieser Darstellung 1,2; 1,20 und 1,200 eine verschiedene Bedeutung haben. Im ersten Fall nämlich deuten wir eine Genauigkeit von 0.05 an, während die Genauigkeit im zweiten und dritten Fall 0,005 bzw. 0,0005 ist. Angenäherte Zahlen treten in der Praxis sehr häufig auf. Wenn es heißt, daß die Einwohnerzahl von Osnabrück (der Bundesrepublik) 150000 (81,6 Mio.) beträgt, so sind dies angenäherte Zahlen mit einem Fehler von 5000 bzw. 50000. Wie bei allen experimentellen Wissenschaften wird die Genauigkeit der Darstellung von Zahlen besonders durch die Genauigkeit der Messungen, die Streuung der Meßergebnisse, Eigenheiten des untersuchten Systems und die gewünschte Genauigkeit bestimmt. Hat man beispielsweise die Länge eines Tisches mit einem Zollstock gemessen, so ist die Aussage, der Tisch sei 1,0753483m lang, unsinnig, denn die Genauigkeit bei einem Zollstock ist etwa 0,001m = 1mm. Das Ergebnis sollte also 1,057m lauten, weil der Meßfehler etwa 0,0005 beträgt. Aus diesem Grund bricht man bei der Dezimaldarstellung von Meßergebnissen dort ab, wo der Meßfehler gleich dem Rundungsfehler wird. Die Verwendung angenäherter Zahlen kann gelegentlich in Rechnungen zu leichten Absonderlichkeiten führen. So ist etwa 1, 70 + 0, 7134 = 2, 41. Durch Eingemeindung eines Dorfes von 2.400 Einwohnern kann etwa die Einwohnerzahl von Osnabrück plötzlich von 150.000 auf 160.000 steigen, wenn es vorher 154.000 waren. Während man in der Physik gelegentlich 7 oder mehr signifikante Ziffern hat, sind es in der Biologie, den Ingenieurwissenschaften und anderen Naturwissenschaften meist weniger als 5 oder sogar nur 3. Aus diesem Grund spielen die Rundungsfehler in Rechnern daher meist keine Rolle. Das Rechnen mit angenäherten Zahlen ist weiter verbreitet, als man zunächst annimmt. Hier einige Beispiele: Osnabrück hat 150 000 Einwohner, und die Universität hat 12 000 Studenten. Die Verschuldung im Bundeshaushalt beträgt 58,2 Mrd. Euro. Besonders im Bereich der Wirtschaftsstatistik sind die relativen Fehler oft ziemlich hoch. Sie rangieren meist von 10% (Versorgungsbetriebe) bis fast 30% im Dienstleistungssektor, d.h., auch in der Wirtschaft sind kaum mehr als 2 signifikante Ziffern drin. Um im Zehnersystem Zahlen besser darstellen zu können, führt man noch die Potenzschreibweise für 10er-Potenzen ein. So schreibt man etwa und allgemeiner 1 = 100 10 = 101 100 = 10 · 10 = 102 .. .. . . 1000000 = 10 · 10 · 10 · 10 · 10 · 10 = 106 . . . 0} = 10 · . . . · 10} = 10n |100{z | · 10{z n×Null n−mal 1.4 Approximative Zahlen 11 Entsprechend definiert man 1 = 10−1 10 1 = 10−2 100 und 1 = 10−n . 10n In den Naturwissenschaften ist es üblich, Zahlen mit Hilfe von 10er-Potenzen auf eine Standardform, die naturwissenschaftliche Darstellung, zu bringen. So schreibt man 1, 471 · 102 statt 147, 1 3, 340 · 103 statt 3340. Entsprechend bedeutet also die Aussage, daß Osnabrück 153.000 = 1, 53 · 105 Einwohner hat, nicht, daß es genau 153.000 sind, sondern, daß man einen Fehler von ±500 zuläßt. In dieser Darstellung hat man also in der Regel nur 1 Stelle vor dem Komma. Als hilfreich erweist sich dabei die Verwendung bestimmter Vorsilben für 10er- Potenzen. Vorsilbe Symbol Tera T Giga G Mega M Kilo k Milli m Mikro µ Nano n Pico p 10er Potenz 1012 109 106 103 10−3 10−6 10−9 10−12 Da diese jeweils um 103 anwachsen, läßt man manchmal auch 3 Stellen vor dem Komma in der naturwissenschaftlichen Darstellung zu. Gelegentlich wird man an einem Objekt mehrere Messungen oder an mehreren gleichartigen Objekten Messungen vornehmen. Sind x1 , x2 , . . . , xn die Meßwerte, so nennt man n 1X 1 xi (1.1) x = · (x1 + x2 + . . . , xn ) = n n i=1 den Mittelwert oder das arithmetische Mittel der xi . Als Maß für die Abweichung oder Streuung der Meßwerte kann man n 1X |xi − x| n i=1 12 Die reellen Zahlen verwenden. Da der Absolutbetrag in der Summe aber mathematisch unhandlich ist, verwendet man stattdessen die Standardabweichung σ bzw. die Varianz σ 2 n 1X σ = (xi − x)2 . n i=1 2 Gelegentlich ersetzt man hierbei den Faktor Teil sehen werden. 1 n durch (1.2) 1 , n−1 wie wir noch im Statistik- Da in der Regel solche Mittelwerte x eine größere Genauigkeit bzw. Aussagekraft als die Einzelmeßwerte haben, erhöht man bei der Darstellung die Anzahl der signifikanten Ziffern um 1. Beispiel: Meßwerte für die Länge eines Tisches: 1, 073; 1, 074; 1, 072; 1, 074; 1, 073; 1, 074; 1, 073 x = 1, 0733 σ = 7 · 10−4 Beispiel: Für das Gewicht von Mäusen erhielt man in g: 14, 17, 19, 15, 16, 12, 16, 15, 12, 15. 1 · 40, 9 = 4, 09 oder σ = 2, 02. 10 Die Verwendung von angenäherten reellen Zahlen hat für das Rechnen eine Reihe von Konsequenzen, die wir nun an einigen Beispielen erläutern wollen. Dann ist x = 15, 1 und σ 2 = Beispiel 1.1 Für einen Tisch wurden gemessen: Länge = 1, 621m, Breite = 0, 843m Dann ist die Fläche 1,373m2 , denn der Fehler ergibt sich aus (1, 621 ± 0, 0005) · (0, 847 ± 0, 0005) = 1, 372987 ± 0, 001234 Beispiel 1.2 Die Maße eines Aquariums sind: Länge = 0, 801, Breite = 0, 650 Höhe = 0, 420. Dann ist das Volumen V = 0, 218673 ± 0, 000056 = 0, 219. Beispiel 1.3 Das Volumen V eines Körpers ist 375, 1cm3 und seine Masse M = (485, 3 ± 0, 05) M = ≈ 1, 294. 485, 3g. Dann ist die Dichte = V (375, 1 ± 0, 05) Beispiele 1.1 und 1.2 zeigen übrigens, daß es häufig sinnvoll ist, den Fehlerbereich explizit anzugeben, weil der Wert eines experimentellen Ergebnisses eben auch in seiner Genauigkeit liegt. Darüber hinaus läßt sich so der Fehler abgeleiteter Größen besser kontrollieren. 1.5 Dimensionen 13 Für das Rechnen mit angenäherten Ziffern mache man sich also klar, daß der Fehler für eine Zahl die bis auf n Stellen nach dem Komma gegeben ist, durch 5 · 10−(n+1) bestimmt ist. So steht also 1,2347 für die Zahl 1, 2347 ± 0, 00005. Gelegentlich ist diese Art der Fehlerdarstellung zu grob und man schreibt x ± ∆, wenn ∆ der Fehler ist. Dies gilt insbesondere für Meßergebnisse. Wir haben oben schon erwähnt, daß sich Fehler von angenäherten Zahlen in Rechnungen fortpflanzen. Ohne hier näher auf die Begründung (Mittelwertsatz der Differentialrechnung §4.5) einzugehen, sei angemerkt, daß für eine abgeleitete Größe f (x1 , . . . , xn ), die von den Größen x1 , . . . , xn abhängt, der Fehler ∆f ungefähr durch ∂f ∂f ∆1 + . . . + ∆f = ∂xn ∆n ∂x1 gegeben ist. Dabei ist ∆1 der Fehler von x1 , ∆2 der Fehler von x2 , . . . , usw. sind partielle Ableitungen, die in Abschnitt 4.6 eingeführt werden. ∂f ,... ∂x1 Beispiel: Ein zylindrisches Gefäß hat eine Höhe h = 20cm und einen Durchmesser 2 von d = 15cm. Dann gilt für das Volumen V = h·π·( d2 )2 = 20·π· 154 cm3 = 3534, 4cm3 . Ist der Fehler bei der Längenmessung jeweils 0, 5mm = 0, 05cm, so ergibt dies einen Fehler ∆ für V von 2 π 225 d + h · · d · ∆d = 0, 05 · π + 150 cm3 = 32, 39767cm3 ∆ = (∆h) · π · 2 2 4 Der genaue Wert des Fehlers ist übrigens 32,39777 cm3 . Aufgabe 1.1 Der Nachteil des Dualsystems besteht darin, daß die Zahldarstellungen meist zu lang werden. Begründen Sie unter Verwendung von 210 = 1024 ≈ 103 , daß Dualdarstellungen im Schnitt 3,3 mal so lang sind wie Dezimaldarstellungen. Aufgabe 1.2 Der genetische Code beschreibt alles durch A, C, G, T. Es gibt 20 Aminosäuren. Wie viele “Buchstaben” benötigt man also, um die einzelnen Aminosäuren zu beschreiben? Was müßte man sonst noch genetisch codieren? Denken Sie dabei an unsere Sprache. Warum ist Redundanz so wichtig? 1.5 Dimensionen In naturwissenschaftlichen Experimenten mißt man nicht nur Zahlenwerte, sondern Größen wie Längen, Zeiten, Kräfte, Massen, Volumina oder Mengen bestimmter Stoffe. Diese Größen nennt man Dimensionen. An physikalischen Dimensionen hat man dabei etwa Dimension Symbol Einheit Länge L m Meter Masse M kg Kilogramm Zeit T sec Sekunde Temperatur θ Grad = ◦ Grad Celsius/Kelvin Stromstärke I 1A Ampere 14 Die reellen Zahlen Dann erhält man die abgeleiteten Dimensionen Fläche Volumen Dichte Geschwindigkeit Beschleunigung Kraft Energie Leistung L2 L3 M L−3 LT −1 LT −2 M LT −2 M L2 T −2 M L2 T −3 m2 m3 kg/m3 m/sec m/sec2 1kgm/sec2 = N kgm2 /sec2 = 1J kgm2 /sec3 = 1W Daneben hat man in der Biologie noch Dimensionen wie chem. Verbindung X Gattung Y [X] [Y ] Mol Anzahl, sonst frei wählen. Entscheidend bei der Verwendung von Dimensionen ist, daß Gleichungen, in denen Dimensionen auftreten, immer dimensionshomogen sind. In Gleichungen müssen also beide Seiten immer die gleiche Dimension haben. Etwas allgemeiner gilt: 1. Man kann nur Größen der gleichen Dimension addieren oder subtrahieren – im Volksmund sagt man etwa 5 Äpfel und 3 Birnen sind nicht vergleichbar. Beispiel: Am 17.3. wurden am Rubbenbruchsee 21 Buch-, 32 Grünund 5 Bergfinken beobachtet. Insgesamt 58 Finkenvögel - beachte den Dimensionswechsel beim Addieren. 2. Man kann Größen verschiedener Dimension multiplizieren bzw. dividieren. Dabei ist die Dimension des Produktes (Quotienten) gleich dem Produkt (Quotienten) der Dimensionen. (a) 4m · 5m = 20m2 (Fläche) (b) Kraft = Masse · Beschleunigung [Kraf t] = M · L · T −2 (c) kin. Energie = 12 mv 2 = E [E] = M · L2 T −2 Wir haben dabei die Dimension von X mit [X] bezeichnet. 3. In Funktionen f , die nicht von der Form f (x) = axb , b ∈ Z sind, treten nur dimensionslose Größen auf. Das Gesetz des radioaktiven Zerfalls ist beispielsweise y(t) = y(0)e− ln 2·(t/T ) . Dabei ist y(t) die Stoffmenge zur Zeit t und T die Halbwertzeit. Die systematische Verwendung dieser und ähnlicher Regeln wird in der Physik unter der Bezeichnung Dimensionsanalyse betrieben. Hier ist besonders der Buckinghamsche Π-Satz wichtig, der gezielt solche Dimensionsbeziehungen ausnutzt (Isaacson, Dimensional Methods in Physics and Engineering; E. Arnold Vlg) (von Bedeutung ist die Dimensionsanalyse allerdings primär in der Physik). Später werden wir einige Anwendungen davon betrachten. Um Größen zu messen, braucht man Vergleichsgrößen oder Größeneinheiten. Die Einheiten sind in ihrer absoluten Größe frei wählbar, und ihre Wahl erfolgt nach 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen 15 praktischen Gesichtspunkten. Machen Sie sich dies an der Wahl von Längen, Maßen und Zeiteinheiten klar. Die Größeneinheiten sind natürlich mit den Dimensionen verknüpft, denn die Dimension der entsprechenden Einheit ist fest vorgegeben. Soweit es physikalische Größen betrifft, hat man sich auf feste Einheiten der Grunddimensionen geeinigt. (s.o.). Diese sind das Meter für die Länge, das Kilogramm für die Masse und die Sekunde für die Zeit. In der angelsächsischen Literatur werden auch andere Einheiten verwandt. In der Biologie verwendet man gelegentlich auch die Kalorie, cal, als Energieeinheit. Dabei entspricht 1cal = 4, 184J. Die oben gewählten Einheiten entsprechen dem internationalen Standard. Andere Einheiten sind auch möglich und werden auch angewandt, z. B. in den angelsächsischen Ländern. Der Übergang zu anderen Einheiten erfordert immer eine Umrechnung mit geeigneten Faktoren. Vergißt man diese, gibt es Probleme. Als Beispiel mag hier das Scheitern des Mars-Orbiters dienen, der wegen der fehlenden Umrechnung von Zoll in Meter scheiterte. Zusammenfassung: Meßergebnisse sind mit Fehlern behaftet. Sie werden daher durch angenäherte Zahlen beschrieben. Besser ist es, den Fehler explizit darzustellen. Meßergebnisse haben Dimensionen: Dies muß durch die explizite Darstellung der Einheiten deutlich gemacht werden. Beim Rechnen mit angenäherten Zahlen ist auf die Fehlerfortpflanzung zu achten. 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen Wir haben in 1.3 l X ai = ak + ak+1 + . . . + al . i=k definiert. Hierbei ist i der Summationsindex, und k bzw. l gibt seine untere bzw. l P obere Grenze an. Das Zeichen (Ausdruck)i bedeutet also: summiere über alle i=k Ausdrücke im Summenzeichen, angefangen bei i = k, und höre auf, wenn i = l ist. Hier sind noch einige Beispiele für diese Schreibweise: 1. 17 + 18 + 19 + . . . + 1025 = 1025 P i i=17 2. 9 + 16 + 25 + 36 + . . . + 625 = 25 P i=3 3. 1 2 + 31 + 14 + . . . + 1 1001 = 1001 P i=2 1 i i2 16 Die reellen Zahlen 4. 5. 3 4 + 54 + 56 + 76 + . . . + n P (cai + dbi ) = c n P i=k ai = n−k P = ai + d i=1 i=1 6. n P 99 100 99 P i=3 n P i i+1 bi i=1 aj+k j=0 Für den Summationsindex kann man statt i auch andere Bezeichnungen wählen. Somit gilt also n n X X ai = aj = a1 + a2 + . . . + an i=1 j=1 und für 9 + 16 + . . . + 625 kann man auch 9 + 16 + . . . + 625 = 25 X j=3 24 X j = (k + 1)2 schreiben. 2 k=2 a+0 = a a + (−a) = 0 −(−a) = a a ∈ R. Aufgabe 1.3 Bestimme n P i=1 i = 1 + 2 + · · · + n und Aufgabe 1.4 Bestimme explizit P10 i=6 n P i. i=k i2 . Multiplikation Wie wir gesehen haben, gilt für die Multiplikation reeller Zahlen ebenfalls ein Assoziativgesetz und ein Kommutativgesetz a · (b · c) = (a · b) · c a, b, c ∈ R a·b = b·a Allgemeiner bedeutet dies: In Produkten kommt es nicht auf die Klammerung und Reihenfolge der Faktoren an. Es gilt also z.B. (a1 · a2 ) · ((a3 · a4 ) · a5 ) = ((((a1 · a2 ) · a3 ) · a4 ) · a5 ) und a3 · a4 · a2 · a5 · a1 = a1 · a2 · a3 · a4 · a5 . 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen 17 Für die Multiplikation gelten darüber hinaus a·1 = a a · a1 = 1 a ∈ R, a 6= 0 1 = a 1 a und (a/b) a d = · . (c/d) b c Für die Multiplikation spielt daher die Eins dieselbe Rolle wie die Null für die Addition. Die Verbindung von Addition und Multiplikation ergibt sich aus dem Gesetz über das Auflösen von Klammern, dem Distributivgesetz: a · (b + c) = a · b + a · c a, b, c ∈ R. Allgemeiner führt es auf k X i=1 ai ! l X j=1 bj ! = k X l X ai b j . i=1 j=1 Man sieht also, daß die Summenzeichen, wie übrigens auch der Bruchstrich, die Bedeutung einer Klammer haben. Das Distributivgesetz hat auch a · 0 = 0 zur Konsequenz. Dies wiederum bedeutet, daß man nie durch 0 dividieren darf. Es gilt nämlich a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 oder a · 0 = 0. Aufgabe 1.5 Multipliziere aus und fasse zusammen 1. (a + b + n)2 − a2 − 2an 2. (15a + 12b)(13a − 10b) − 195a2 − 10b2 3. (6x + 3)3 − 18x2 − 27. Aufgabe 1.6 Mache die Bruchterme gleichnamig und fasse zusammen 1. 4x−1 x2 −25 2. x2 +1 x3 −1 + + 10 x−5 + 2 x+5 x x2 −1 Aufgabe 1.7 Dividiere die Bruchterme und kürze 1. 2. 4 a2 : 8 b 27a2 9b3 : 6a 3b2 . 18 Die reellen Zahlen Aufgabe 1.8 In einem Quiz wurde kürzlich nach 30 : ( 21 ) gefragt. Potenzen: Genauso wie man für a {z. . . + a} = n · a schreibt und so das multi|+a+ n−mal plizieren begründet, führt man die Bezeichnungsweise n a | · a ·{z. . . · a} = a (gesprochen a hoch n) n−mal ein und nennt an die n-te Potenz von a. Für natürliche Zahlen n, m gilt dann (an )(am ) = an+m (an )m = an·m (a · b)n = an bn . Aufgabe 1.9 Zeige (a · b · c)n = an · bn · cn . Aufgabe 1.10 Wann und für welche a, b, n gilt an + bn = (a + b)n . Aufgabe 1.11 Zeige ( ab )n = an . bn Aufgabe 1.12 Berechne 125 : 0.001. Um diese Regeln geeignet zu verallgemeinern, definiert man noch für a 6= 0 a0 = 1 1 a−n = n a und erhält dann für n, m ∈ Z, a, b 6= 0. an · am = an+m , (an )m = an·m (a · b)n = an bn . (1.3) Mit Hilfe der Potenzen lassen sich Zahlen im Zehnersystem besonders einfach ausdrücken. Beispielsweise ist 75384 = 7 · 104 + 5 · 103 + 3 · 102 + 8 · 101 + 4 · 100 , und allgemeiner kann jedes n ∈ N in der Form n= k X ai 10i ai = 0, 1, . . . , 9 i=0 geschrieben werden. Wählt man statt 10 eine andere Basis, z.B. 2, so gilt n= n X bi 2i bi = 0, 1 i=0 z.B. 7 hat im Dualsystem die Darstellung 111 = 1 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20 39 hat im Dualsystem die Darstellung 100111 = 1 · 25 + 0 · 24 + 0 · 23 + 1 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen 19 Für eine beliebige positive reelle Zahl x gilt die Darstellung: x = k P ai 10i + ∞ P bj 10−j ai , bj = 0, 1, . . . 9 j=1 i=0 = ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . . Wir werden uns später noch überlegen, was diese unendliche Summe eigentlich bedeutet. Versuchen Sie sich aber jetzt schon einmal klar zu machen, daß 1 = 0, 9999 . . . oder 0, 123123 . . . = 123 999 Wurzeln und gebrochene Potenzen Es sei a > 0 und n ∈ N. Dann existiert genau eine Zahl b > 0 mit bn = a. Beispiel 1.4 a = 1, 7 a = 0, 0027 n=4 n=6 Für diese Zahl b schreibt man 1 b = an = b = 1, 141858 b = 0, 373159 √ n a 1 und sagt auch, b sei die n-te Wurzel aus a. Hat man so a n definiert, so definiert man 1 m m n a = an m, n ∈ N und 1 m . an Damit hat man also ar für r ∈ Q bestimmt. Es gelten die Rechenregeln m a− n = ar · as = ar+s (ar )s = ars (a · b)r = ar · br a, b > 0, r, s ∈ Q (1.4) (1.5) Bei diesen Definitionen muß man sich auf positive Zahlen a einschränken, weil sonst ein Unsinn wie 2 1 1 (−1) = (−1) 2 = ((−1)2 ) 2 = 1 2 = 1 dabei herauskäme. Taschenrechner werden bei beliebigen Exponenten bei negativen Zahlen daher immer mit einer Fehlermeldung reagieren. √ Die Existenz genau einer n-ten Wurzel n a aus a zeigt man übrigens mit der Intervallschachtelungsmethode. Dabei setzt man al = größter Dezimalbruch mit l-Stellen nach dem Komma mit anl ≤ a. Entsprechend ist dann bl = al + 10−l . Beispiel 1.5 Man muß nun noch die Kürzungsregel (a1/m·n )m = a1/n zeigen. 20 Die reellen Zahlen Aufgabe 1.13 Beweise die Kürzungsregel mit Hilfe der Eindeutigkeit. Dann kommt man mit der Definition am/n = (a1/n )m sofort auf die Potenzgesetze (ar )(as ) = ar+s , (ar )s = ar·s für r, s ∈ Q und a > 0. √ Beispiel 1.6 3 17 = 2.57128159 2.53 = 15.625 3 2.57 = 16.97459 3 2.571 = 16.9944 1.63 = 17, 576 3 2.58 = 17, 1735 3 2.572 = 17, 0143 Aufgabe 1.14 Berechne bis auf 3(4,5) Stellen nach dem Komma √ 17, √ 3 5 und √ π. Aufgabe 1.15 1962 wurde in Indien ein Heuschreckenschwarm beobachtet, der sich über 1400 Quadratkilometer erstreckte und bis in 1500 m Höhe reichte. Wenn pro Kubikmeter etwa 0,1 Heuschrecken sind, wie groß ist der Schwarm etwa insgesamt? Aufgabe 1.16 Berechne k+l X i=k i und k+l X i=k Aufgabe 1.17 Leiten Sie eine Formel für ai für a 6= 1 n P iai her. i=1 Aufgabe 1.18 Welche der folgenden Summen sind gleich: 10 P i=1 2), 10 P l(l + 1)? i(i + 1), 9 P (j + 1)(j + j=0 l=0 Aufgabe 1.19 Bestimme für die nachfolgenden Zahlen die Darstellung im Zweier1 1 system i) 136 ii) 85 iii) iv) v) π bis auf 8 Stellen. 4 3 Aufgabe 1.20 Eine Bakterienkolonie von 7500 Bakterien nimmt pro Stunde um 2% zu. Wie groß ist sie nach 1(2) Tagen? 2 4 und . Warum sind beide Aufgabe 1.21 Berechne die Dezimalentwicklung von 17 7 Entwicklungen periodisch? Warum ist die Periodenlänge im ersten Fall ≤ 16 und im zweiten Fall ≤ 6. 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen 21 Aufgabe 1.22 Subtrahiert man von einer beliebigen natürlichen Zahl n die Quersumme, so ist die Zahl durch 9 teilbar. Beispiel: 35783 − (3 + 5 + 7 + 8 + 3) = 9 · 3973. In der Wissenschaft spielen die Zehnerpotenzen eine besondere Rolle. Es ist also erforderlich, damit gekonnt umzugehen. Die folgenden Aufgaben sollen dies mit einüben. Dies ist schon deswegen erforderlich, weil die biologische Skala einen enormen Wertebereich umfaßt, der sich von Viren (≈ 10−7 m) über Bakterien (≈ 10−6 m), rote Blutkörperchen (≈ 10−5 m) bis zum Großsäuger (≈ 10m) erstreckt. Die folgenden physikalischen Konstanten spielen dabei häufig eine Rolle: Avogadrosche Zahl N Volumen von 1 mol unter Standardbedingungen Masse eines Moleküls vom Molekulargew. M Wellenlänge des roten (ultrav.) Lichtes Bohr Radius Protonen (Neutronen)masse Lichtgeschwindigkeit Erdradius Durchmesser einer tierischen Zelle = 6, 02217 · 1023 /mol = 2, 24136 · · · 10−2 m3 = M · 1, 661 · 10−27 kg = 6, 5 − 7, 5 · 10−7 m (1, 8 − 4, 0 · 10−7 m) 5, 29 · 10−11 m 1,6726 (1.6750) ·10−27 kg c = 299.792.458m/sec. R = 6366km 10 − 30µm Beispiel 1.7 Rote Blutkörperchen sind 1-2 Mikrometer dicke leicht eingedellte Scheiben vom Durchmesser 7-8 Mikrometer. Ein Mann (eine Frau) hat davon etwa 5, 4·106 (5 · 106 ) pro Kubikmillimeter. Jedes Erythrozyt enthält etwa 265 · 106 HämoglobinMoleküle. Unter der Annahme, daß ein Erwachsener etwa 5-6 l Blut hat, wollen wir einmal die Oberfläche der Erythrozyten berechnen und mit der Körperoberfläche vergleichen. Dazu nehmen wir an, ein rotes Blutkörperchen habe die Form einer Dose von dem Durchmesser d = 7, 5 · 10−6 m und der Dicke a = 1, 5 · 10−6 m. Die Oberfläche O eines Blutkörperchens ist dann 2 d O = 2 · Grundfläche + 1 · Seitenfläche = 2 · π + π a d = 123, 7 · 10−12 m2 . 2 Die Anzahl N der Erythrozyten ist N = Blutvolumen in mm3 · Anzahl/mm3 = 5, 5 · 106 · 5, 4 · 106 = 29, 7 · 1012 . Die Gesamtoberfläche aller Erythrozyten ist damit 3673, 89m3 . In welchem Verhältnis steht dies zu der Oberfläche eines Mannes von 70 kg Gewicht? Warum ist es wichtig, daß die Gesamtoberfläche so groß ist? Beispiel 1.8 In der Homöopathie arbeitet man mit extremen Verdünnungen der Ursubstanz. Diese wird schrittweise in einem bestimmten Verhältnis (D=1:10, C=1:100) in einem indifferenten Trägerstoff wie etwa Alkohol oder Milchzucker verdünnt. D3 bedeutet, daß dieser Vorgang (Dynamisation) 3mal wiederholt wird. Hohe Verdünnungen wie D30 sind durchaus möglich. Berechnen wir einmal die Anzahl der Moleküle der Ursubstanz, die wir in einem D22-Präparat erhalten, wenn wir von 1 mol 22 Die reellen Zahlen Substanz ausgehen. Anfangs liegen also 6·1023 Moleküle vor, und jeder Verdünnungsschritt bedeutet einen Faktor von 10−1 . Insgesamt erhält man 6 · 1023 · 10−22 = 60 Moleküle der Ursubstanz. Verdünnungen jenseits von D25 enthalten also nur noch selten irgendein Molekül der Ursubstanz. Aufgabe 1.23 Ein Virus wiegt 1, 75 · 10−14 g. Welche Ausdehnung (Durchmesser) hat dieses Virus, wenn wir von einer Kugelgestalt ausgehen? Aufgabe 1.24 29 % der Erdoberfläche ist festes Land. Wiederum die Hälfte davon ist kultivierbar. Wie viele Menschen können auf der Erde leben, wenn jeder etwa 1 ha kultivierbares Land benötigt? Aufgabe 1.25 Wir nehmen an, die Erde bestehe nur aus Quarz (SiO2 , Dichte: 2, 65g/cm3 ). Wie viele Silizium-Atome enthält dann die Erde ungefähr? Aufgabe 1.26 Welche Länge ergibt sich, wenn man alle roten Blutkörperchen eines Mannes (vgl. Beispiel 1.7) aufeinanderstapelt? Aufgabe 1.27 Mit welcher Geschwindigkeit bewegt sich die Erde um die Sonne, wenn der mittlere Abstand zur Sonne 1AE = 149, 6 · 106 km beträgt? Aufgabe 1.28 Die Ozeane bedecken etwa eine Fläche von 363, 5 · 106 km2 und sind im Mittel 4,5 km tief. Sie verteilen 1 l Wasser gleichmäßig über alle Ozeane und entnehmen dann eine 1l-Probe. Wie viele Moleküle Ihrer ursprünglichen Flüssigkeit haben Sie dann in Ihrer Probe? Aufgabe 1.29 Der Salzgehalt s des Mittelmeeres ist deutlich höher als der des Atlantik s0 . Bestimme eine Beziehung zwischen s, s0 sowie der Verdunstungsrate q0 , der Zuflußrate q1 aus dem Atlantik und der Abflußrate q2 in den Atlantik. Aufgabe 1.30 Bestimmen Sie die Dimension der folgenden Größen: Leistung, Druck, Frequenz. Aufgabe 1.31 Die Fließrate (l/sec) von Blut durch eine Arterie vom Radius r ist 4 durch V = 18 π PηLr gegeben. Dabei ist P der Druckabfall und L die Länge. Bestimmen Sie die Dimension der Viskosität η. Aufgabe 1.32 Die Abmessungen eines Aquariums seien a = 0, 605, b = 0, 481, c = 0, 302 mit jeweils 3 signifikanten Stellen. Wie viele signifikante Stellen hat V = a b c? (Hinweis: Man kann bei a, b und c von einem Fehler von 0,0005 ausgehen.) P Aufgabe 1.33 Zeigen Sie für x = n1 ni=1 xi die folgende Beziehung für die Varianz: n n 1X 2 1X (xi − x)2 = xi − x2 . σ = n i=1 n i=1 2 1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen 23 Aufgabe 1.34 Bei einer Pflanze wurden die folgenden Werte für die Anzahl der Samenkörner gemessen 15, 17, 11, 13, 10, 12, 19, 16, 14, 10, 20, 12, 15, 17. Bestimmen Sie x und σ. Aufgabe 1.35 Bei einer Population von 50 Kleinsäugern werden Gewichte zwischen 25 g und 40 g gewogen, und zwar Gewicht 25 Anzahl 1 26 2 27 2 28 3 29 5 30 4 31 6 32 6 33 5 34 3 35 4 36 3 37 2 38 2 39 1 40 1 Dabei bezeichnet x die Gewichtsklasse von x bis x + 1. Berechne Mittelwert und Varianz. Aufgabe 1.36 Eine Bakterienkolonie verdoppelt sich alle 24 Stunden. Um wieviel ist sie nach 2 Stunden gewachsen? 1 Aufgabe 1.37 Es ist 2 2 = 1, 4142 und 21,4 = 2, 6390158 und 21,42 = 2, 675855. Welchen Wert würden Sie für 2 √ 2 unter diesen Umständen ansetzen? Aufgabe 1.38 Bauer Frühauf hat eine neue Weizensorte ausgebracht, die 15 % mehr Ertrag bringt. Durch den verregneten Sommer fällt die Ernte in diesem Jahr um 25 % niedriger aus. Wenn er sonst 250 Dzt geerntet hat, kann er nun mit wieviel Dzt rechnen? Aufgabe 1.39 Das Statistische Bundesamt bestimmt die Inflationsrate über einen sog. Warenkorb. Betrachten wir einen vereinfachten Warenkorb aus Wohnung, Nahrung und Freizeit mit den Anteilen 28 %, 37 % und 35 %. Wegen der Ökosteuer sind die Teuerungsraten in diesen Bereichen 1,7 %, 1 % und 1,3 %. Wie hoch ist die Inflationsrate? Aufgabe 1.40 Die Anteile der 60- (70-, 80-, 90-) jährigen an der Bevölkerung sind 14 (12, 5, 3) Prozent. Von diesen haben 2,4 (3,7; 7,8; 11,2) Prozent die AZ-Krankheit. Wie hoch ist der Anteil der AZ-Kranken an der Bevölkerung bzw. unter den Senioren, wenn die Krankheit erst ab dem 60. Lebensjahr auftritt? Aufgabe 1.41 Ein erwachsenes Kabeljauweibchen legt etwa 5 Mio. Eier. Diese haben einen Durchmesser von etwa 1.5 mm. Wieviel wiegen diese Eier etwa? Nach einem Jahr überleben davon etwa 2–3. Was ist die entsprechende Sterberate pro Tag? Aufgabe 1.42 Ein LKW fährt die ersten 10 km mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h. Die nächsten 100 mit 80 km/h und dann wieder 12 km mit 40 km/h. Was ist die Durchschnittsgeschwindigkeit? Aufgabe 1.43 Der Hersteller möchte 10% der Produktionskosten eines Gerätes als Gewinn. Der Händler schlägt noch einmal 30% auf den Einkaufspreis. Wie hoch ist der Endpreis? 24 Die reellen Zahlen Aufgabe 1.44 Ein Händler schlägt 30% (35%) auf den Einkaufspreis. Wieviel Prozent des Endpreises ist der Einkaufspreis? 1.7 ∗ Ungleichungen (AI Abschnitt 5, Breidenbach Mathematik, 8., 9. Schuljahr) Neben der Addition und Multiplikation haben die reellen Zahlen noch eine weitere Struktur, sie sind geordnet Negative Zahlen | Positive Zahlen ←− 0 −→ kleiner größer Wir kennen diese Ordnung von der Darstellung der reellen Zahlen durch den Zahlenstrahl. Durch die Ordnung wird nämlich die Menge der reellen Zahlen zerlegt in R+ , die positiven Zahlen, die Null und die negativen Zahlen, −R+ . Dabei heißt eine reelle Zahl positiv, wenn sie strikt rechts von der 0 liegt. Wir sagen dann “x ist strikt größer als y” bzw. “y ist strikt kleiner als x”, Schreibweise x > y bzw. y < x, wenn x − y ∈ R+ . x > y ⇐⇒ x − y ∈ R+ . (1.6) In diesem Fall liegt x auf der Zahlengeraden also strikt rechts von y. Entsprechend definieren wir: x ist größer oder gleich y, x ≥ y bzw. y ≤ x, wenn x > y oder x = y. Den Ausdruck y ≤ x liest man auch als: y ist kleiner oder gleich x. Ungleichungen spielen in der Biologie keine zentrale Rolle. Meist benutzt man sie nur zum Eingrenzen von Ergebnissen. Wir werden diesen Abschnitt daher nur überfliegen. Das Entscheidende an diesen Ungleichungen ist nun: Man kann Ungleichungen addieren. Es gilt nämlich: x ≤ y ⇐⇒ x + z ≤ y + z, z ∈ R (1.7) x < y ⇐⇒ x + z < y + z, z ∈ R. (1.8) oder Mit Hilfe von (1.7) und (1.8) zeigt man nun x ≤ y, u ≤ v ⇒ x + u ≤ y + v. (1.9) Dabei gilt rechts “<” genau dann, wenn in einer der beiden Ungleichungen links “<” steht. 1.7 Ungleichungen 25 Beweis: Es ist x + u ≤ y + u ≤ y + v. Der Rest zeigt man durch eine Fallunterscheidung. Man kann Ungleichungen multiplizieren. Es gilt nämlich: x ≤ y, a > 0 ⇐⇒ a · x ≤ a · y a>0 (1.10) x < y, a > 0 ⇐⇒ a · x < a · y a > 0. (1.11) oder Hieraus folgt wie oben 0 ≤ x ≤ y, 0 < a ≤ b ⇒ 0 ≤ a · x ≤ b · y. (1.12) Durch Fallunterscheidung zeigt man schließlich auch noch x2 ≥ 0 für alle x ∈ R, (1.13) (1.13) ist die Basis für viele Ungleichungen. Z.B. folgt aus (x − y)2 ≥ 0 x·y ≤ 1 2 x + y2 . 2 (1.14) Einer der wichtigen Begriffe im Zusammenhang mit der Ordnung von R ist der Absolutbetrag einer Zahl x, Schreibweise |x|. Dabei ist |x| durch x x≥0 |x| = (1.15) −x x ≤ 0 definiert. Durch Fallunterscheidungen zeigt man dann | − x| = |x| |x · y| = |x| · |y| x, y ∈ R |x + y| ≤ |x| + |y| (1.16) Für den späteren Gebrauch wollen wir nun noch einige Ungleichungen ohne Beweis notieren: n n X X |xi |. (1.17) xi ≤ i=1 n n X X |xi ||yi | ≤ xi yi ≤ i=1 i=1 i=1 n X i=1 x2i ! 12 n X i=1 yi2 ! 12 . (1.18) 1 Dabei sind xi , yi i = 1, . . . , n beliebige reelle Zahlen; ( ) 2 ist im vergangenen Abschnitt erklärt. (1.17) ist die Verallgemeinerung von (1.16). (1.18) wird CauchySchwarz-Ungleichung genannt. Sie bedeutet, daß das Skalarprodukt von zwei Vektoren durch das Produkt ihrer Längen abgeschätzt werden kann. Ein Vektor ist dabei eine solche Liste (x1 , . . . , xn ) von Zahlen. Die nachfolgenden Überlegungen können beim ersten Lesen weggelassen werden. 26 Die reellen Zahlen Die bisherigen Eigenschaften der reellen Zahlen wie Addition, Multiplikation und Ordnung mit den dazu gehörigen Regeln gelten auch für andere Zahlensysteme, wie z.B. die rationalen Zahlen. Die Eigenschaft, SUP, die wir uns nun ansehen wollen, gilt aber nur für die reellen Zahlen. Tatsächlich ist sie die Basis der gesamten Analysis; Differential- und Integralrechnung. Definition: Eine Menge M ⊂ R heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn es ein K ∈ R gibt mit m ≤ K (K ≤ m) für alle m ∈ M . In diesem Fall nennt man K eine obere (untere) Schranke. Eine Menge, die sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist, heißt beschränkt. Beispiel 1.9 Die Menge aller reellen Zahlen x deren Dezimalentwicklung die Form 3, a1 a2 a3 . . . hat, ist durch 5 oder 7 nach oben beschränkt. 1 oder 3 ist eine untere Schranke. Beispiel 1.10 N ⊂ R ist nach unten beschränkt. Beispiel 1.11 Z bzw. Q sind weder nach oben noch nach unten beschränkt. Für die reellen Zahlen gilt die Eigenschaft: SUP: Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge M von R hat eine kleinste obere Schranke, die mit sup M bezeichnet wird. sup M wird das Supremum von M genannt. Beispiel 1.12 Die Menge aus Beispiel 1.5 hat 4 als Supremum. √ Beispiel 1.13 M = {x ∈ Q | x2 ≤ 2} erfüllt 2 = sup M Beispiel 1.14 Ist aK aK−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . . = x die Dezimaldarstellung einer reellen Zahl x, so sei xn = aK . . . a0 , b1 b2 , . . . , bn die Entwicklung von x bis zur n-ten Stelle. Dann gilt xn ≤ xn+1 für n = 1, 2, . . . und sup{x1 , x2 , x3 , . . .} = x. Analog zur SUP-Eigenschaft und damit äquivalent ist INF: Jede nichtleere nach unten beschränkte Teilmenge M ⊂ R hat eine größte untere Schranke, inf M , genannt das Infimum von M . Die Intervallschachtelungseigenschaft, die Sup-Eigenschaft und die Inf-Eigenschaft sind für die reellen Zahlen äquivalent. Dies bedeutet, daß man zu jedem Supremum einer beschränkten Menge eine entsprechende Intervallfolge definieren kann, während die Intervallfolge {(an , bn )} gerade sup an = inf bn definiert. Mit Hilfe des Infimums und des Supremums läßt sich nun zeigen, daß jede positive reelle Zahl x eine Dezimaldarstellung x = xe xe−1 . . . x0 , x1 x2 x3 . . . = xe · 10e + xe−1 10e−1 + . . . + x0 + x1 · 10−1 + x2 · 10−2 + . . . hat; diese Darstellung ist sogar eindeutig, wenn man nur Darstellungen betrachtet, in denen schließlich nicht nur die Ziffer 9 vorkommt, denn es gilt z. B. 0, 999 . . . = 1, 00 . . . 1.7 Ungleichungen 27 In der Biologie spielen bei dieser Darstellung aber meist nur 3 oder 4 signifikante Stellen eine Rolle. Für spätere Anwendungen benötigen wir noch den Begriff des Intervalls. Intervalle sind spezielle Teilmengen von R, die allgemein für a < b durch (a, b) (a, b] [a, b) [a, b] [a, ∞) (a, ∞) = = = = = = {x | a < x < b} {x | a < x ≤ b} {x | a ≤ x < b} {x | a ≤ x ≤ b} {x | a ≤ x} {x | a < x}. das offene Intervall von a bis b das halboffene Intervall das halboffene Intervall das abgeschlossene Intervall ein uneigentliches Intervall definiert sind. Aufgabe 1.45 Welche Menge wird durch die Ungleichung 2 1 |x − 1| − < 1 4 8 festgelegt? Aufgabe 1.46 Ist ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 . . . die Dezimalentwicklung einer reellen Zahl und ist xn = ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 . . . bn die Entwicklung bis zur n-ten Stelle, so gilt x − xn ≤ 10−n . Aufgabe 1.47 schränkt? i) ii) iii) iv) a) Welche der folgenden Mengen ist nach oben bzw. unten be- R+ {2n | n ∈ Z} {x3 | x ∈ R} {x4 | x ∈ R} v) vi) vii) viii) {an | n ∈ Z, a > 0} a { 1+n 2 | n ∈ N} {x | x2 < 3} {5, 6} b) Soweit möglich, gib obere bzw. untere Schranken und Infima bzw. Suprema an. Man kann noch zeigen, daß für a > 1 und r, s ∈ Q mit r > s gilt ar > as . Dies kann man verwenden, um as für s ∈ R zu erklären. Potenzen: Als nächstes wollen wir ax für x ∈ R definieren. Als Beispiel versuchen wir 2π zu berechnen. Ausgangspunkt ist dabei die Dezimalentwicklung von π π = 3, 141592654 . . . 28 Die reellen Zahlen sowie die Tatsache, daß wir Potenzen mit rationalen Exponenten bereits bestimmen können. Wir haben dann 23,1 23,14 23,141 23,1415 = = = = .. . 23,2 23,15 23,142 23,1416 8, 5741877 . . . 8, 815240927 8, 821353304 8, 824411082 23,14159265 = 8, 824977805 . . . = = = = .. . 9, 18958684 . . . 8, 876555776 8, 82746992 8, 825022765 23,14159266 = 8, 824977866. Aus diesen Daten wird klar, daß 2π zwischen den beiden zuletzt genannten Zahlen liegt. Tatsächlich ist 2π ≈ 8, 82497782 . . . Nach demselben Verfahren bestimmt man nun ax für x mit der Dezimalentwicklung x = ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . . indem man die Dezimalentwicklung von x x n = ak . . . a0 , b 1 . . . b n bis zur n-Stelle hinter dem Komma verwendet. Wir haben dann nämlich xn ≤ x ≤ xn + 10−n und −n axn ≤ ax ≤ axn +10 wenn a > 1. −n = axn · a10 Wichtig bei diesem Verfahren ist, daß (1.3) aus 1.5 weiter gilt, d.h., wir haben weiterhin ar · as = ar+s , (ar )s = ar·s , a > 0 r, s ∈ R (1.19) (a · b)r = ar · br , a, b > 0 Ferner gilt noch ax > bx für a > b > 1 und x > 0. Aufgabe 1.48 Löse die nachstehenden Ungleichungen i) ii) iii) 1.8 (x+1) (x+2) 3 ≤2 x <x 5 >0 (9x2 −16) iv) x4 + 3x2 > 4 v) vi) |x − 5| < 10−3 |x3 | < |x| Kombinatorik (M 10 §8) Stellen Sie sich vor, das allwöchentlich Lottoproblem würde dadurch erschwert werden, daß Sie auch noch die Reihenfolge in der die Zahlen fallen, erraten müssen. Wie viele Möglichkeiten gäbe es dann, “6 aus 49” zu ziehen? 1.8 Kombinatorik 29 Für die erste Kugel gibt es genau 49 Möglichkeiten. Dann bleiben für die 2. Kugel noch 48 Möglichkeiten. Entsprechend sieht man, daß es dann für die 3.(4., 5. und 6.) noch 47(46,45 bzw. 44) Möglichkeiten gibt. Insgesamt gibt es also 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 ≈ 1, 006834742 · 1010 Möglichkeiten. Wenn also jede Woche 10 Millionen Leute spielen, so würde es im Mittel immer noch über 19 Jahre dauern, bis jemand alles richtig hat. Dies obige Problem läßt sich wie folgt verallgemeinern: Auf wie viele Möglichkeiten kann man k verschiedene Elemente aus einer Menge mit n verschiedenen Elementen auswählen, wenn es auf die Reihenfolge ankommt? Offensichtlich muß hier k ≤ n sein. Wie oben sieht man, daß es genau n · (n − 1)(n − 2) . . . (n − k + 1) = Cn,k (1.20) Möglichkeiten gibt. Ist hierbei k = n, so bedeutet die Auswahl eigentlich eine Anordnung von n verschiedenen Elementen. n verschiedene Elemente kann man auf n(n−1)(n−2) . . . 2·1 verschiedene Möglichkeiten anordnen. Solche Anordnungen nennt man Permutationen. Weil Ausdrücke der Form n · (n − 1) . . . 2 · 1 in der Kombinatorik häufig verkommen, hat man in der Mathematik eine Kurzform dafür. Man schreibt 1 · 2 · 3 · . . . n = n! (1.21) und nennt n! n-Fakultät. Man hat dann 0! 1! 2! 3! 4! = = = = = 1 1 2 2·3 = 6 6 · 4 = 24 (Vereinbarung) 5! 6! 7! 8! = 120 = 720 = 5040 = 40320 Man sieht also, daß die Fakultäten sehr schnell auswachsen. Eine recht brauchbare Näherung für n! gibt die Stirlingsche Formel n n √ 1 1 n! ≈ 2πn . (1.22) 1+ + e 12 288n2 e wird hier später erklärt und ≈ bedeutet ungefähr gleich. Für n = 10(20) erhält man beispielsweise nach dieser Formel 3628609, 71(2, 43290283 · 1018 ), während die wirklichen Zahlen 3628800 bzw. 2, 432902008 · 1018 sind. Mit diesen Ergebnissen können wir nun auch das folgende Problem lösen. 30 Die reellen Zahlen Auf wie viele Möglichkeiten kann man k verschiedene Elemente aus einer Menge mit n verschiedenen Elementen auswählen, wenn es auf die Reihenfolge nicht ankommt? Es gibt genau n(n − 1) . . . (n − k − 1) n! = Möglichkeiten, k! k!(n − k)! (1.23) k Elemente aus n Elementen auszuwählen, wenn es auf die Reihenfolge nicht ankommt. Beweis: Wir haben bereits gesehen, daß man auf n · (n − 1) . . . (n − k + 1) Möglichkeiten k Elementen ziehen kann, wobei es auf die Reihenfolge ankommt. Da man k Elemente auf k! Arten und Weisen vertauschen kann, geben von den n(n − 1) . . . (n − k + 1) Möglichkeiten jeweils k! die gleichen Elemente. Damit gibt es n(n − 1) . . . (n − k + 1)/k! Möglichkeiten, um k Elemente zu ziehen. Wegen der Bedeutung dieses Ausdrucks schreibt man n(n − 1) . . . (n − k + 1) n n! = = k k! (n − k)!k! (1.24) und bezeichnet ihn mit “n über k”. Man sollte sich die folgenden Werte merken 1 n n n n n n = = 1, = = n und = = n(n − 1) 0 n 1 n−1 2 n−2 2 Beispiel 1.15 Beim Lotto “6 aus 49” gibt es also 49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 49 = 13.983.816 = 1·2·3·4·5·6 6 Möglichkeiten. Wir alle kennen die Formel (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 a, b ∈ R. Manche wissen auch, daß (a + b)3 = a3 + 3a2 b + 3b2 a + b3 (a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 und ist. Um allgemeiner (a + b)n , a, b ∈ R auszurechnen, überlegt man zuerst, daß in diesem Produkt Terme der Form ak bn−k für k = 0, 1, . . . , n auftreten. Um einen solchen Term zu erhalten, muß man in dem Produkt (a + b) · (a + b) · (a + b) . . . (a + b) · (a + b) in jedem der n Faktoren a und b auswählen, und zwar hierbei genau k mal die Zahlen a. Da dies auf nk Arten möglich ist, tritt der Term ak bn−k genau nk mal auf. 1.8 Kombinatorik 31 Wir haben also: n (a + b) = n X n k=0 k ak bn−k (1.25) (1.25) wird die Binomische Formel genannt und entsprechend heißen die Binomialkoeffizienten. Schreiben wir (1.25) einmal aus: (a + b)n = an + nabn−1 + n(n−1) a2 bn−2 + n(n−1)(n−2) a3 bn−3 2 6 an−3 b3 + n(n−1) an−2 b2 + nan−1 b + bn . + . . . + n(n−1)(n−2) 6 2 Wir haben dabei n n = k n−k n m (1.26) (1.27) benutzt. Aufgabe 1.49 Zeigen Sie Pascalsche Dreieck). n k = n n−k und n k−1 + n k = n+1 k (Formel für das Aufgabe 1.50 Der Vorstand eines Vereins von 100 Mitgliedern besteht aus dem 1. Vorsitzenden, dem 2. Vorsitzenden, dem Kassenwart und dem Pressewart. Auf wie viele Möglichkeiten kann man einen Vorstand wählen? (Es kommt auf die Reihenfolge an.) Aufgabe 1.51 Wie viele Kartenkombinationen kann ein Spieler beim Skat bekommen? Wie häufig hat er dabei 4 Buben? Aufgabe 1.52 In einer Population von N (unbekannt) Vögeln, werden M gefangen und durch Beringen markiert. Nach einiger Zeit werden n Vögel gefangen, und es stellt sich heraus, daß m davon markiert sind. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Ergebnis? (Hinweis: Berechne die Anzahl der Möglichkeiten um m aus M , n − m aus N − M und n aus N zu ziehen). In der Praxis wird das unbekannte N so geschätzt, daß diese Wahrscheinlichkeit . Ist das plausibel? Dieses maximal wird. Man schätzt dann N so, daß Nn = M m Verfahren läuft auch unter der Bezeichnung Fang-Wiederfang-Methode. Aufgabe 1.53 Berechne das konstante Glied in x + 1 12 . 2x Aufgabe 1.54 Berechne den Koeffizienten des x4 -Terms in (x2 + x2 )8 . Aufgabe 1.55 Wie viele Möglichkeiten gibt es, die 4 Buben nacheinander aus einem Skatspiel ohne Zurücklegen zu ziehen? Aufgabe 1.56 Wie viele Worte der Länge n (n = 10, 15, 20) kann man mit den Buchstaben A, C, G, T bilden? Wie viele Worte erhält man, wenn nie zwei gleiche Buchstaben nebeneinander stehen dürfen? 32 Die reellen Zahlen 1.9 Schätzen Schätzen und Überschlagsrechnungen sind entscheidende Hilfen beim Analysieren von wissenschaftlichen Problemen. Auf diese Weise gewinnt man ein Gefühl, was wichtig und bedeutsam an einem Problem ist. Letzteres spielt eine entscheidende Rolle bei der Analyse biologischer Probleme und Modelle, denn unter den vielen Einflußfaktoren gilt es die herauszufinden, die wirklich bedeutsam sind. Schätzen bedeutet also schon immer einen ersten Schritt bei der Analyse eines Problems. Schätzen muß man lernen. Insbesondere muß man lernen, welche Faktoren relevant sind und wie man die notwendigen Informationen dazu gewinnt. Hier ein paar Beispiele: 1. Zu Beginn der Ferienzeit kommt es regelmäßig zu Staus. Wieviel Fahrzeuge stehen auf einer 2-spurigen Autobahn in einem 20 km Stau? Die entscheidende Größe hier ist offensichtlich der Platz den ein Fahrzeug in einem Stau benötigt. Hierfür ist wiederum die Fahrzeuggröße entscheidend. Geht man von einer Durchschnittslänge von 3,8 m (PKW) und 15 m (LKW), 20% LKW’s und 15% LKW Anteil aus, erhält man 1.15[.8 · 3, 8 + .2 · 15] = 6, 9 für den durchschnittlichen Platzbedarf eines Autos im Stau. Die Anzahl ist dann also (2 · 20000)/6, 9 ≈ 5.800. Neben der Zahl, die wir hier gewonnen haben, wird hier auch deutlich, wie diverse Annahmen z.B. LKW Anteil, LKW Länge das Ergebnis beeinflussen. Nun stehen die Autos nicht Stoßstange an Stoßstange. Was dann? 2. Wieviele Todesanzeigen wird man im Durchschnitt in der NOZ pro Tag finden? Osnabrück hat etwa 150 000 Einwohner. Das Einzugsgebiet der NOZ dürfte aber etwa 250 000 betragen. Die Lebenserwartung der Deutschen ist etwa 75 Jahre. Also erwarten wird etwa 250 000/75 Todesfälle pro Jahr und etwa 250 000/75.310 Todesfälle pro Erscheinungstag. Wenn nur 80% davon in der NOZ ihren Niederschlag finden, gibt dies 0.8(250000/75.310) ≈ 20000/2325 also etwa 8-9. 3. Wieviele Erbsen (Kirschen) passen in eine Dose? Ganz offensichtlich hängt dieses Problem vom Volumen der Dose V sowie vom Volumen v = (4π/3)(d/2)3 bzw. Durchmesser von Erbse (Kirsche). Um den Leerraum zwischen den Kugeln zu berücksichtigen, benötigt man noch den Faktor .74 für die dichteste Kugelpackung. Die Anzahl ist damit also .74 · V /v. 4. Ein Mensch hat etwa 14 · 109 Nervenzellen und etwa 7 · 1012 Synapsen (Verknüpfungen untereinander), d.h. jede Nervenzelle ist mit etwa 500 anderen verbunden. Allgemein kennen wir keine Formel, die uns angibt, auf wieviele Weisen man Nervenzellen über k Verbindungen mit anderen verbinden kann. Um für k = 1 eine Schätzung zu erhalten, zerlege die n Nervenzellen in 2 disjunkte Mengen von n/2 Elementen. Für das erste Element der ersten Menge 1.9 Schätzen 33 A, gibt es dann n/2 Möglichkeiten. Für das zweite n/2−1, für das 3. insgesamt n/2 − 2. Zusammen also (n/2)! ≈ c(n/z)(n/5.5)n . Das sind natürlich viel zu viele. Nun muß es ja nicht unbedingt möglich sein, jedes Neuron mit einem anderen zu verbinden. Schränke man die Verbindungen auf die nächsten m Nachbarn ein, hat man bei k = 1 für das 1. Neuron m Möglichkeiten, für das zweite ebenfalls, wenn man Überschneidungen vernachlässigt. Insgesamt gibt dies mn Möglichkeiten. Bei k > 1 sind es noch mehr. Diese kombinatorische Explosion zeigt, daß nicht einmal die einfache Verdrahtung der Neuronen vererbbar ist, denn es gibt nur etwa 2, 5·105 Gene bzw. (75/1, 67)·1027 = 4, 4·1028 Protonen (Neutronen) im menschlichen Körper. Evolutionsmäßig macht eine solche Überkapazität an Speichermöglichkeiten keinen Sinn, so daß es noch weitere erhebliche Einschränkungen geben muß, etwa daß die Speicher auf kleine verteilte Regionen beschränkt sind, und daß der größte Teil des Gehirns der Informationsverarbeitung dient. Um letzteres abzuschätzen, nehmen wir einmal an, der Mensch könnte pro Sekunde 10 bit – das sind 1024 = 210 Möglichkeiten – an Informationen aufnehmen. Bei einem 16 Stunden Tag sind 10 9 das in 80 Jahren 1.659 · 1010 bit oder 2·1,659·10 ≈ 105·10 Möglichkeiten. Es ist daher wahrscheinlich, daß die Speicherkapazität eher in diesem Bereich liegt. 5. Pro Woche gibt es in der Bundesrepublik etwa 3 Personen, die “6” Richtige im Lotto haben. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches Ergebnis zu erzielen, ist etwa 14 · 106 . Also werden pro Woche etwa 52 · 106 Tippscheine ausgefüllt. Wenn von dem 80 · 106 Einwohnern der Bundesrepublik nur jeder Vierte spielt, füllt jeder Tipper etwa 2,6 Tippscheine aus. Hier sind noch einige weitere Schätzfragen: 1. Wie weit fliegt eine Krähe pro Tag? 2. Wieviele Buchfinken gibt es in Osnabrück? 3. Im Zusammenhang mit der Ausbreitung von STD’s sind folgende Fragen wichtig: Wieviele Prostituierte (Homosexuelle, Fixer) gibt es in Osnabrück? 4. Kürzlich kam bei einer Safari die Frage auf, wieviele Streifen hat ein Steppenzebra? Und noch eine weitere Frage 5. Wieviel Wasser verbrauchen Sie pro Tag? 6. Wie groß muß ein mit Wasserstoff gefüllter Ballon sein, der 4 Personen tragen soll? 7. Wie sieht das entsprechende Problem für einen Heißluftballon aus? 8. Die Erdoberfläche besteht zu 71% aus Wasser und 29% aus Land. Von der Landmasse sind 40% Wüste oder Eiswüste und 30% bergig oder bewaldtet. Wieviel Prozent der Erdoberfläche sind kultivierbar und wieviel Menschen können darauf leben, wenn jeder etwa 5-10 ha benötigt? 34 Die reellen Zahlen 9. Schätzen Sie die Körperoberfläche eines Menschen. 10. Vergleichen Sie das Verhältnis Oberfläche/Volumen von einem 3m Tümmler und einem 30 m Blauwal. Hat das Konsequenzen für den Wärmehaushalt? 11. Wieviel Bier können Sie trinken, bevor ihr Blutalkoholwert 0.5h übersteigt? 1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten (AII Absch. I) In Gleichungen mit einer Unbekannten, die wir traditionsgemäß mit x bezeichnen, bringt man üblicherweise die x-Terme auf die eine Seite und die numerischen Terme auf die andere Seite und löst nach x auf. Die Schwierigkeiten in Anwendungen bestehen in der Regel darin, die Gleichung aufzustellen. Dies geht in zwei Schritten vor sich: 1. Was ist die Unbekannte x, d.h. die gesuchte Größe? 2. Verwende die gegebene Information um die Gleichung aufzustellen! Sicheres Umgehen mit Gleichungen mit einer oder mehreren Unbekannten ist eine wichtige Fähigkeit und sollte entsprechend eingeübt werden. Beispiel 1.16 Ein Kajakfahrer, der im Schnitt mit 6 km/h fährt, benötigt für die Hin- und Rückstrecke insgesamt 5 Stunden. Der Fluß hat eine Strömungsgeschwindigkeit von 2 km/h. Wie lang ist die Strecke? Lösung: Die Streckenlänge sei x in km. Nehmen wir an, der Hinweg führe stromab, so braucht er für den Hinweg bei (6 + 2) km/h genau x/8 h. Auf dem Rückweg fährt er nur (6 − 2) km, benötigt also x/(6 − 2). Nun gilt 5 = x/8 + x/4 oder 40 = x + 2x. Also x = 13.33 . . .. Was passiert, wenn man auf dem Hinweg stromauf fährt? Aufgabe 1.57 Ein Atomkraftwerk leitet stündlich 300.000 m3 60o C warmes Kühlwasser in einen Fluß, der 120 m breit, 4 m tief ist und eine Strömungsgeschwindigkeit von 3 m/sec. hat. Im April ist die mittlere Wassertemperatur 14o C. Um wieviel erwärmt sich das Wasser ungefähr? Sie alle sollten mit der Dreisatzmethode vertraut sein, deshalb wollen wir dies hier nicht vertiefen, zumal die Methode der Gleichungen mit einer Unbekannten effektiver ist. Schwierigkeiten bereiten nur die Anwendungen oder eingekleideten Aufgaben. Hier zwei Beispiele: Beispiel 1.17 Ein Verleger will ein neues Biologiebuch herausbringen. Er rechnet mit festen Herausgeberkosten von DM 30.000. Wenn die Herstellung eines jeden Buches DM 10 kostet und es für DM 50 verkauft werden soll, wie viele Bücher müssen mindestens verkauft werden, wenn der Verleger einen Gewinn machen will? 1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten 35 Die Anzahl der Bücher sei x. Dann ist der Gewinn 50x, während die Kosten 30.000+ 10x betragen. Sicher soll der Gewinn ≥ Kosten sein oder 50 · x ≥ 10x + 30000 Wir lösen zunächst 50 · x = 10 · x + 30000 oder 40 · x = 30000 30000 x = = 750 40 Beispiel 1.18 Stromaufwärts braucht der Ausflugsdampfer für die 40 km von A-Stadt nach B-Stadt 3 Stunden, stromabwärts 2 Stunden. Wie schnell fließt der Fluß? Bezeichnen wir die Geschwindigkeit des Dampfer mit v und die Flußgeschwindigkeit des Flusses mit x, so gilt: Dies ergibt 40 = 3 · (v − x) 80 = 6v − 6x und und 40 = 2(v + x). 120 = 6v + 6x. Addieren gibt 200 = 12v und Subtrahieren 40 = 12x oder v = 50 und 3 x= 10 . 3 Das letzte war sogar schon eine Gleichung mit 2 Unbekannten. Formal ist die Vorgehensweise eigentlich immer dieselbe. Ungleichungen und Probleme mit Ungleichungen kann man so ähnlich behandeln. Hier ist noch ein Beispiel. Beispiel 1.19 Mietwagenfirma A vermietet den Kleinwagen für DM 300 die Woche, bei unbeschränkter Kilometerzahl. Firma B dagegen verlangt DM 150 bei DM 0,15 pro Kilometer. Von welcher Kilometerleistung ab sollte man mit Firma A fahren? Ist x die Kilometerzahl, bei der beide Angebote gleich sind, so ist offensichtlich A für alle Kilometerleistungen, die x übertreffen, günstiger. Es ist aber 300 = 150 + 0, 15 · x 150 = 0, 15 · x oder x = 150 = 1000. 0, 15 Aufgabe 1.58 Kurz nach 1(2, 3, 4, . . .) stehen der große und kleine Zeiger bei einer Uhr übereinander. Wann genau ist das? Aufgabe 1.59 Die Fahrenheit-Temperatur F kann in die entsprechende CelsiusTemperatur C durch C = 59 (F − 32) umgerechnet werden. Drücke F durch C aus. Aufgabe 1.60 Im Sommerschlußverkauf sind alle Preise um 20% reduziert. Was hat Ihr Anzug (Kleid) für 250,- DM ursprünglich gekostet? Aufgabe 1.61 1 Mol = Molekulargewicht in g eines Gases sind 22,4 l bei 0◦ C. Berechne das Gewicht von 1 l Luft bei 20◦ C unter der Annahme, daß diese zu 80% aus Stickstoff (Molekulargewicht 28) und zu 20% Sauerstoff (Molekulargewicht 32) x zusätzlich ausdehnt. besteht und Luft sich bei einer Erwärmung um x◦ C um 273 36 Die reellen Zahlen Aufgabe 1.62 Sie haben 100 ml 30%igen Alkohol. Wieviel ml 96%igen Alkohol müssen Sie zusetzen, um 40%igen Alkohol zu erhalten. Aufgabe 1.63 In Ihrem Kühler sind 8 l Frostschutzmittellösung mit 35% Frostschutzanteil. Wieviel Flüssigkeit müssen Sie abfließen lassen und durch reines Frostschutzmittel ersetzen, um eine 60%ige Lösung zu erhalten? Aufgabe 1.64 Sie haben zwei Gefäße mit 20%iger und 60%iger Lösung und benötigen 100 ml 50%iger Lösung. Wieviel benötigen Sie von jeder Lösung? Aufgabe 1.65 a) Alkohol im Blut: Getrunkener Alkohol gelangt durch Diffusion aus dem Magen-Darm-System ins Blut. Dabei werden allerdings etwa 10% direkt ausgeschieden (Resorptionsdefizit). Vom Blut gelangt der resorbierte Alkohol ins Gewebe. Allerdings hängt die Alkoholaufnahme des Gewebes von der Durchblutung und vom Wasserhaushalt ab. Der Wassergehalt r des Gewebes gegenüber dem Blut wird mit 70% (Mann) bzw. 60% (Frau) angesetzt. Zeigen Sie, daß dann die Formel von Widmark A = crG gilt. Dabei ist A die Alkoholmenge, c die Alkoholkonzentration in 0/00 und G das Gewicht in kg. b) Alkohol wird in der Leber durch das Enzym Alkoholdehydrogenase mit einer Rate von 1, 5 o/oo pro Stunde abgebaut. Sie haben kräftig gezecht - 10 Bier und 10 Korn. Nach wieviel Stunden dürften Sie wieder Autofahren? (Alkoholgehalt Bier (Korn) 5% (35%)). Aufgabe 1.66 Im Labor haben Sie 10l(20l, 7, 5l) 50%igen (30%igen,25%igen) Alkohol stehen. Sie sollen 40%igen Alkohol durch Mischen herstellen, und zwar so, daß der 50%ige Alkohol verbraucht wird und möglichst wenig (viel) Flüssigkeit übrig bleibt. Aufgabe 1.67 Sie haben 10l kochendes und 50l 70◦ C warmes Wasser. Wieviel 12◦ C warmes Wasser brauchen Sie für ein 37◦ C warmes Bad? Aufgabe 1.68 Lösen Sie graphisch: x +y ≤ 3 3x +2y ≥ −6 −x +2y ≤ 5 Vermischte Aufgaben Aufgabe 1.69 Der Kühler Ihres Autos faßt 3l. Zur Zeit enthält er 40 % Frostschutzmittel und 60 % Wasser. Wieviel Flüssigkeit müssen Sie durch reines Frostschutzmittel ersetzen, um die Konzentration auf 65 % zu bringen? Aufgabe 1.70 Ein Tank hat 3 Abflüsse. Bei geöffnetem ersten (zweiten, dritten) Abfluß wird der Tank in 1,3 (2,2; 3,1) Stunden geleert. Wieviel Zeit zum Leeren braucht man mit geöffneten Abflüssen 1+2, 1+2+3, 1+3? 1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten 37 Aufgabe 1.71 Zwei Züge fahren von Hamburg nach München. Der ICE fährt im Schnitt 130 km/h, während der IR nur 90 km/h fährt. Wenn der IR 1h 20min früher losfährt, wann überholt der ICE ihn? Aufgabe 1.72 Ein Kaufmann kauft Mikrowellengeräte für DM 252 das Stück und geht von einem Gewinn von 20% aus. Bei Barzahlung gibt es für die Kunden jedoch 3% Skonto. Was ist der Barzahlungspreis? Aufgabe 1.73 Im SSV sind alle Kleider um 20% reduziert. Das gute Stück kostet DM 160,– im SSV. Was ist der Einkaufspreis für den Händler, wenn dieser mit einer Gewinnspanne von 45% rechnet? Aufgabe 1.74 Ein Artikel wurde für 144,– DM bei einem Gewinn von 12,5% auf die Kosten verkauft. Was waren die Kosten? Aufgabe 1.75 Ein Student hat sich einen Stuhl und Schreibtisch für DM 276,– gekauft. Der Tisch kostete DM 15,– mehr als das Doppelte des Stuhls. Bestimme die Preise von Tisch und Stuhl. Aufgabe 1.76 Finden Sie die 5 aufeinander folgenden Zahlen, deren Summe 165 ist. Aufgabe 1.77 53 10- und 5-Pfennig-Münzen haben einen Wert von DM 3,45. Wie viele sind von jeder Sorte dabei? Aufgabe 1.78 12 (10, 8) Hamburger und 10 (15, 6) Hot Dogs und 20 (18, 16) Colas kosten 70 (73, 48) DM. Was sind die Einzelpreise? Aufgabe 1.79 Sie bereiten sich ein Bad mit 50l 19o , 20l 40o und 15l 15o warmes Wasser. Was ist die Temperatur des Badewassers? Aufgabe 1.80 In einem Labor werden alle Alkoholreste zusammengekippt, und zwar 125ml à 75%, 40 ml à 96%, 540ml à 20% und 300ml à 15%. Welche Alkoholkonz. hat das Gemisch? Gleichungen mit 2 und mehr Unbekannten Aufgabe 1.81 Ein Motorboot braucht für 16 km stromaufwärts bei voller Kraft 15 Minuten. Stromabwärts für die gleiche Strecke nur 12 Minuten. Wie schnell fließt der Fluß? Aufgabe 1.82 Bestimmen Sie eine Funktion f (x) = a + bx + cx2 mit f (0) = 1, f (1) = 2 und f (2) = 4. 38 Die reellen Zahlen 1.11 Ein Letztes Die vorangegangenen Ausführungen zum Rechnen mit reellen Zahlen entstammen durchweg dem Lernbereich 8. und 9. Schuljahr. Dies bedeutet, daß jeder von Ihnen diesen Stoff souverän beherschen sollte. Zum Selbsttesten daher hier zwei Tests: Test I 1. Berechne (ohne Taschenrechner) (17/0.25). 2. Gebe 1/4 + 2/5 + 3/7 als Produktzahl an. 3. Bestimme die Lösungsmenge 2x + 1 4x − 1 = . 3x + 5 6x + 4 4. Löse 6 + 5x 3 + 4x 6 + 5y + 3y 2 + = . 2 25 − 9x 25 − 15x 10 − 6x √ √ √ 5. Wann gilt a + b = a + b a, b ≥ 0. 6. Bestimme die Lösungsmenge für x2 + 28x + 187 = 0. √ 7. Löse 2x + 3x + 7 = 10 8. Holger bezahlt für sein Essen aus 3 Hamburgern 1 Fritten und 1 Cola 4,70 Euro. Ina für 1 Hamburger, 1 Fritten und 1 Cola 2,50 Euro. Joachim für 2 Hamburger 2 Fritten und 1 Eis 4,60 Euro. Dabei ist das Eis .2 Euro teurer als die Cola. Was sind die Preise? 9. Im letzten Jahr hat Herbert Fleißig noch 3.5% Zinsen für sein Sparguthaben erhalten. Jetzt sind es nur noch 2.5% und damit 120 Euro weniger. 10. Auf dem Planeten Xα herrscht Normaldruck. Aber die Atmosphäre besteht aus 50% O2 und 50% He. Was wiegt 1l Luft dort? 11. Ein Biologe mischt 1.5l hochprozentigen Alkohol mit 1l weniger starkem Alkohol und erhält 2.5l 70% Alkohol. Eine Mischung von 1.2l vom Hochprozentigen mit 2.8l vom anderen gibt 4l 62.5% Alkohol. Was sind die Prozentzahlen? 12. Faktorisiere und vereinfache (x + y)3 − (x − y)3 . 13. Vereinfache 2 ) x−1 2 +x ) ( x2x+x−z (1 + 1.11 Ein Letztes 39 Test II 1. Berechne 127 : .03 (ohne Taschenrechner) 2. Bestimme 2/3 + 7/8 − 5/6 + 1/12 als Bruchzahl. 3. Bestimme die Lösungsmenge von 3x + 2 12x − 3 = . 4x + 1 16x + 7 4. Löse die Ungleichung x(x + 1) ≥ x2 + 3p − 2x. 5. Wieviel Geld müssen Sie ansparen, damit Sie bei 5.5% Zinsen im Jahr pro Monat 1.400 Euro zur Verfügung haben? 6. Löse (3x + 2)(2x + 3) = (4x + 5)(x + 2). 7. (x2 + 6)2 − (x2 + 8)(x2 − 8) = (x2 + 10)2 . 8. Welches Polynom 2. Grades hat die Werte 0, 1, 5 an den Stellen 1, 2, 3? 9. 127 als Messergebnis hat 3 signifikante Ziffern. Wieviel hat 1273 ? 10. Vereinfache und Multipliziere 4x3 − 36x 15x2 + 60x − 180 · . 5x2 + 5x − 30 8x4 + 8x3 − 96x2 11. Ein Mann hat 9.600 Euro investiert. Ein Teil gibt ihm 6% Zinsen und der andere 8%. Insgesamt hat er 632 Euro an Zinsen pro Jahr. Was sind die Anteile? 12. In einem Labor sollen 10%, 20% und 40% Salzsäure gemischt werden um 100l 25% Säure zu erhalten. Beschreibe die Lösungsmenge. Welche Mischung verbraucht am wenigsten der 40% Lösung? 40 Die reellen Zahlen 41 Kapitel 2 Funktionen (AI Abschnitt 7) Genaueres zu den Begriffen in diesem Abschnitt findet man in dem Buch: Mathematik heute 9, 10 Schroedel Schöningh, Mathematik 9. & 10. Schuljahr Breidenbach, Mathematik, 11. Schuljahr Cornelsen-Schwann. 2.1 Der n-dimensionale Raum Wir stellen uns die reellen Zahlen R als die Zahlengerade vor. R2 sei dann das kartesische Produkt von R mit R(R × R), d. h., R2 ist das System aller geordneter Paare (x, y), wobei x, y ∈ R. y-Achse (x, y) y R2 = {(x, y) | x, y ∈ R} (2.1) Wir beschreiben R2 als die Ebene. Elemente des R2 werden dann in einem rechtwinkligen Koordinatensystem dergestellt. Genauso kann man R3 als R × R × R definieren, x y-Achse x-Achse (x, y) R3 = {(x, y, z)|x, y, z ∈ R} y (2.2) Wir stellen uns den R3 als den 3-dimensionalen euklidischen Raum vor, in dem Punkte des R3 mit Hilfe eines rechtwinkligen Koordinatensystems dargestellt werden. Noch allgemeiner kann man den Rn betrachten. r x x-Achse 42 Funktionen Rn = {(x1 , x2 , · · · , xn ) | x1 , x2 , · · · , xn ∈ R} (2.3) xi bezeichnet dabei die i-te Koordinate. Natürlich kann man sich den Rn allgemein nicht so wie den R2 oder R3 vorstellen. Solch ein geordnetes n-Tupel reeller Zahlen bezeichnet man auch als einen Vektor, wenn man dabei auch noch die Addition von Vektoren und Skalarmultiplikation im Auge hat, die durch a(x1 , x2 , · · · , xn ) + b(y1 , y2 , · · · , yn ) = (ax1 + by1 , ax2 + by2 , · · · , axn + byn ) (2.4) festgelegt ist, d. h., alle Operationen werden koordinatenweise definiert. Der Abstand zweier Punkte P1 = (x1 , y1 ) und P2 = (x2 , y2 ) in der Ebene durch −→ p |P1 P2 |= (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 (Formel von Pythagoras) (2.5) bestimmt. Im Raum R3 ist der Abstand von P1 = (x1 , y1 , z1 ) und P2 = (x2 , y2 , z2 ) gerade −→ p (2.6) |P1 P2 |= (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 + (z1 − z2 )2 Noch allgemeiner wird der Abstand von Punkten P = (x1 , x2 , · · · , xn ) und Q = (y1 , · · · , yn ) im Rn definiert durch −→ p (2.7) |P Q|= (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 + · · · + (xn − yn )2 Dieser Abstand hat die Eigenschaften −→ −→ −→ −→ −→ −→ |P Q|> 0, |P Q|=|QP |, |P Q| + |QR|≥|P R| 2.2 (2.8) Lineare Gleichungen Lineare Gleichungen mit einer bzw. zwei Unbekannten haben wir im letzten Abschnitt schon kennengelernt. Hier wollen wir diese Aspekte vom geometrischen Standpunkt behandeln. Beginnen wir mit dem Fall von einer Gleichung mit 2 Unbekannten. ax + by = c a2 + b2 6= 0 (2.9) beschreibt eine Gerade, d. h. genauer: Die Lösungsmenge dieser Gleichung ist eine Gerade. Häufig löst man diese Gleichungen noch nach y auf und erhält dann y = −b−1 ax + b−1 c (2.9′ ) sofern b 6= 0. In diesem Fall ist x die unabhängige Variable und y die abhängige. Liegen zwei lineare Gleichungen mit zwei Unbekannten vor a1 x + b 1 y = c 1 a2 x + b 2 y = c 2 (2.10) wobei a1 , · · · , b2 nicht alle gleich 0, so beschreiben diese beiden Gleichungen zwei Geraden im R2 . Hierbei können folgende Fälle auftreten. 2.2 Lineare Gleichungen 43 Fall 1: Die beiden Geraden, dies sind gerade die Lösungsmengen der beiden Gleichungen, sind nicht parallel, d.h. a1 b2 6= a2 b1 . In diesem Fall schneiden sich die beiden Geraden in genau einem Punkt (x0 , y0 ), und dieser Punkt ist genau die eindeutige Lösung von (2.10). Dieses ist der Normalfall, denn er tritt immer auf, wenn a1 b2 − b1 a2 6= 0. Fall 2: Die beiden Geraden sind parallel, d.h. a1 b2 = a2 b1 . Nehmen wir noch a1 , a2 6= 0 an, so können wir (10) als b1 c1 b2 c2 x+ y = x+ y = a1 a1 a2 a2 schreiben, und da ab11 = ab22 hat dieses System nur eine Lösung, wenn ac11 = ac22 . In letzterem Fall ist aber eine der Gleichungen überflüssig. Geometrisch bedeutet dies, daß beide Geraden zusammenfallen. Wir haben also hier die beiden Teilfälle: 1) Die Geraden sind parallel und verschieden und schneiden sich nicht. In diesem Fall gibt es keine Lösung, oder 2) die beiden Geraden sind identisch, d.h. eine Gleichung ist überflüssig. Der Fall a1 = 0 läßt sich analog behandeln. Lineare Gleichungen mit 3 Unbekannten Eine Gleichung ax + by + cz = d hat im Raum der Lösungsvektoren (x, y, z) ∈ R3 eine Ebene als Lösungsmenge, sofern nicht a = b = c = 0. Hat man 2 solche Gleichungen a1 x + b 1 y + c 1 z = d 1 , a2 x + b 2 y + c 2 z = d 2 (2.11) so ist die Lösungsmenge dieser Gleichungen gerade die Schnittfigur dieser beiden Ebenen. Wie eben haben wir dabei die folgenden Fälle zu unterscheiden. 1. Die beiden Ebenen sind nicht parallel b1 b2 6= falls a1 , a2 6= 0. a1 a2 In diesem Fall schneiden sich beide Ebenen in einer Geraden, denn b1 c1 d1 b2 c2 d2 x + y + z = ,x + y + z = a1 a1 a1 a2 a2 a2 hat d1 d2 c1 b2 c2 b1 y+ z= − − − a1 a2 a1 a2 a1 a2 zur Folge. 2. Sind die beiden Ebenen parallel, so können sie verschieden sein, d. h., es gibt keine Lösung oder ein Zusammenfallen. In letzterem Fall ist eine der Gleichungen überflüssig. Aufgabe 2.1 Diskutiere auf ähnliche Weise den Fall von 3 Gleichungen mit 3 Unbekannten. 44 Funktionen Das allgemeine lineare Gleichungssystem Das allgemeine lineare Gleichungssystem von m Gleichungen mit n Unbekannten kann man als a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn = b1 a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn = b2 (2.12) .................................... am1 x1 + am2 x2 + · · · + amn xn = bm schreiben. Ziel ist es, dieses Gleichungssystem so umzuformen, daß man die Lösungen leichter ablesen kann. Umformungen, die die Lösungsmenge nicht verändern, sind: I: Gleichungen können addiert oder subtrahiert werden. II. Gleichungen können mit einem Faktor multipliziert werden. III. Die Gleichungen dürfen vertauscht werden. Aus (I) und (II) läßt sich (III) und auch noch die Einsetzungsmethode herleiten: IV: Gleichungen dürfen ineinander eingesetzt werden. Da IV häufig das Standardverfahren ist, um (2.12) umzuformen, wollen wir diese Methode etwas genauer diskutieren. Tatsächlich ist die Methode des Umformens, genauer die Methode der schrittweisen Elimination von Veränderlichen, das sinnvollste Verfahren überhaupt. Von Hand kann es allerdings nur für n ≤ 5 vernünftig angewandt werden. Man nennt dies Verfahren auch den Gauß-Algorithmus. Schritt 1: Man drückt eine Variable dieses Gleichungssystems durch eine der Gleichungen aus. Dabei sucht man sich sinnvollerweise die einfachste Gleichung aus. Diese Variable sei etwa xn , und die zugehörige Gleichung sei die letzte: xn = 1 amn (−am1 x1 − am2 x2 − · · · − am,n−1 xn−1 + bn ) (2.13) Schritt 2: Danach kann man in den anderen Gleichungen aus (2.12) überall xn durch den Ausdruck in (2.13) ersetzen. Schritt 3: Stellt man nun wieder die Variablen um - die x auf die linke Seite und die Konstanten nach rechts -, erhält man (2.13) und b11 x1 + b12 x2 + · · · + b1,n−1 xn−1 = c1 b21 x1 + b22 x2 + · · · + b2,n−2 xn−1 = c2 .................................................. bm−1,1 x1 + bm−1,2 x2 + · · · + bm−1,n−1 xn−1 = cm−1 (2.14) Natürlich muß man bei dieser Prozedur nicht unbedingt xn aus der letzten Gleichung nehmen. Wenn es günstiger ist, kann man etwa auch x1 durch die 2. Gleichung ausdrücken und dann eliminieren. 2.2 Lineare Gleichungen 45 Beispiel 2.1 x1 + 2x2 + x4 = 27 2x1 + 3x2 + 9x3 + x4 = 12 8x1 + 7x2 + 10x3 + 2x4 = 0 Hier läßt sich x4 am einfachsten durch die erste Gleichung ausdrücken: x4 = 27 − x1 − 2x2 Setzt man dies in die 2. und 3. Gleichung ein, erhält man 2x1 + 3x2 + 9x3 + (27 − x1 − 2x2 ) = 12 8x1 + 7x2 + 10x3 + 2(27 − x1 − 2x2 ) = 0 Vereinfachen ergibt x1 + x2 + 9x3 = −15 6x1 + 3x2 + 10x3 = −54 Das Gleichungssystem (2.14) enthält nun eine Gleichung und eine Unbekannte weniger, und das gleiche Verfahren kann wiederholt werden. Bei diesem Verfahren kann es vorkommen, daß unter den so entstehenden Gleichungen (2.14) eine oder mehrere Gleichungen die Form 0 · x1 + 0 · x2 + · · · + 0 · xn−1 = c (2.15) haben. In diesem anormalen Fall hat das Gleichungssystem (2.12) keine Lösung, wenn c 6= 0. Ist dagegen c = 0, kann diese Gleichung weggelassen werden. Beispiel 2.2 x1 + 2x2 + x4 = 27 2x1 + 3x2 + 9x3 + x4 = 12 8x1 + 16x2 + 8x4 = 136 Dieses Gleichungssystem führt wie oben auf x1 + x2 + 9x3 = −15 und 8x1 + 16x2 + 8(27 − x1 − 2x2 ) = 136 oder 0 · x1 + 0 · x2 = 136 − 8 · 27 = −80 Dieses Gleichungssystem ist also unlösbar. 46 Funktionen Fassen wir zusammen: Indem man eine der Variablen durch eine Gleichung ausdrückt und dann in die anderen Gleichungen einsetzt, erhält man ein Gleichungssystem (2.14) mit einer Variablen und einer Gleichung weniger. Das Gleichungssystem (2.14) kann unlösbar sein – dann gilt dies auch für (2.12)–, oder eine oder mehrere Gleichungen können überflüssig sein. Wir wollen dies nun an einem Beispiel diskutieren: Beispiel 2.3 3x1 + 4x2 + x3 − 17x4 = 15 3x1 + 5x2 + x3 − 20x4 = 20 2x1 + 3x2 + x3 − 12x4 = 13 Zunächst einmal ziehen wir die erste Gleichung von der zweiten ab und erhalten x2 − 3x4 = 5 Zusammen mit den letzten beiden Gleichungen hat diese Gleichung die gleiche Lösungsmenge wie das ursprüngliche Gleichungssystem. Wir schreiben nun x2 = 3x4 + 5 und setzen dies in die letzten beiden Gleichungen ein. Wir erhalten 3x1 + 5(3x4 + 5) + x3 − 20x4 = 20 2x1 + 3(3x4 + 5) + x3 − 12x4 = 13 oder 3x1 + x3 − 5x4 = −5 2x1 + x3 − 3x4 = −2 Das letztere Gleichungssystem entspricht dabei (2.14). Bildet man die Differenz, erhält man x1 − 2x4 = −3 oder x1 = 2x4 − 3. Einsetzen in die erste der beiden Gleichungen gibt x3 = 5x4 − 5 − 3x1 = 5x4 − 5 − 3(2x4 − 3) = −x4 + 4. Wir haben damit durch die 3 Gleichungen 3 Variable eliminiert und diese Variable durch x4 ausgedrückt. Beispiel 2.4 x1 + x2 + x3 + x4 = 0 2x1 + 2x2 + 2x3 + 2x4 = 2 3x1 + 4x2 + 5x3 + 6x4 = 173 2.2 Lineare Gleichungen 47 Drückt man hier x4 durch die erste Gleichung aus, erhält man 2x1 + 2x2 + 2x3 + 2(−x1 − x2 − x3 ) = 2 = 0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3 und 3x1 + 4x2 + 5x3 + 6(−x1 − x2 − x3 ) = 173. Das Gleichungssystem hat daher keine Lösung. Stände oben in der zweiten Gleichung 0 anstelle der 2, wäre diese Gleichung überflüssig. Hat man auf diese Weise eine der Unbekannten eliminiert und das Gleichungssystem reduziert, kann man mit diesem Verfahren fortfahren. Dabei findet man: Im Normalfall kann man pro Gleichung eine Variable eliminieren. Es kann aber vorkommen, daß das Gleichungssystem unlösbar ist oder eine oder mehrere der Gleichungen überflüssig sind. Hat man dieses Reduktionsverfahren durchgeführt, so wird man im lösbaren Fall auf ein Gleichungssystem der Form xn = cn1 x1 + cn2 x2 + · · · + cnk xk + cnk+1 xk+1 + · · · + cnn−1 xn−1 + dn xn−1 = cn−1,1 x1 + cn−1,2 x2 + · · · + cn−1,k xk + cn−1,k+1 xk+1 + · · · + cn−1,n−2 xn−2 + dn−1 . ....................................................................... xk+1 = ck+1,1 x1 + ck+1,2 x2 + · · · + ck+1,k xk + dk+1 (2.16) geführt. Im Normalfall ist dabei k = n − m. (2.16) läßt sich nun noch weiter vereinfachen, wenn man xk+1 in die vorangehenden Gleichungen einsetzt und dies dann auch für xk+2,... macht. Dann erhält man xn = dn1 x1 + · · · + dnk xk + en xn−1 = dn−1,1 x1 + · · · + dn−1,k xk + en−1 ......................................... xk+1 = dk+1,1 x1 + · · · + dk+1,k xk + ek+1 (2.17) und dies stellt dann auch die Lösung des Systems dar, denn in (2.17) kann man die x1 , . . . , xk frei wählen. Diese Lösungsmethode wird auch Gauß-Jordan-Eliminationsmethode genannt. Da im Normalfall jede Gleichung eine Variable festlegt, erhält man im Normalfall mit m = n aus (2.17) xn = en , . . . , x1 = e1 , die eindeutige Lösung des Systems. Beispiel 2.5 2x1 +3x2 −3x3 x2 −x3 2x1 +2x2 −x3 x1 +x2 −x3 +7x4 +x5 +4x6 +3x4 −x5 +2x6 +6x4 +2x5 −x6 +2x4 +x5 +x6 = −2 (α) = 2 (β) = −7 (γ) = −2 (δ) 48 Funktionen führt zu x1 = und 1 2 (−2 − 3x2 + 3x3 − 7x4 − x5 − 4x6 ) x2 = 2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6 (∗) (α − γ) : x2 − 2x3 + x4 − x5 + 5x6 = 5 (α − 2δ) : x2 − x3 + 3x4 − x5 + 2x6 = 2 wenn man konsequent x1 eliminiert. Diese 4 Gleichungen sind offensichtlich äquivalent zum ursprünglichen System. Eliminieren wir nun x2 mit der zweiten Gleichung, erhalten wir anstelle der letzten beiden Gleichungen (2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6 ) − 2x3 + x4 − x5 + 5x6 = 5 (2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6 ) − x3 + 3x4 − x5 + 2x6 = 2 oder −x3 − 2x4 + 3x6 = 3 2 + 0 · x3 + 0 · x4 + 0 · x5 + 0 · x6 = 2. Dies zeigt, daß die letzte Gleichung überflüssig ist, und wir erhalten x3 = −2x4 + 3x6 − 3 (∗∗) zusammen mit (*) als das reduzierte System. Setzt man nun noch (**) in (*) ein, ergibt dies x2 = 2 + (−2x4 + 3x6 − 3) − 3x4 + x5 − 2x6 = −1 − 5x4 + x5 + x6 sowie x1 = 21 (−2 − 3[−1 − 5x4 + x5 + x6 ] + 3[−2x4 + 3x6 − 3] − 7x4 − x5 − 4x6 ) x1 = −4 + x4 − 2x5 + x6 d. h., die Lösung hängt nur von x4 , x5 und x6 ab, die frei wählbar sind. Wir betrachten nun wieder das allgemeine Gleichungssytem von m Gleichungen mit n Unbekannten, und wir wollen annehmen, daß uns eine spezielle Lösung x1 , x2 , . . . , xn dieses Systems bekannt sei, d. h., es gilt a11 x1 + a12 x2 + . . . + a1n xn = b1 ..................................... am1 x1 + am2 x2 + . . . + amn xn = bm . Um nun die allgemeine Lösung des Systems zu bestimmen, schreibe x1 = x1 + y1 , x2 = x2 + y2 , . . . , x n = xn + yn . (2.18) 2.2 Lineare Gleichungen 49 Dann soll gelten a11 (x1 + y1 ) + a12 (x2 + y2 ) + . . . + a1n (xn + yn ) = b1 ......................................................... am1 (x1 + y1 ) + am2 (x2 + y2 ) + . . . + amn (xn + yn ) = bm . Lösen wir hier die Klammern auf und fassen die x-Glieder zusammen, gibt dies a11 y1 + a12 y2 + . . . + a1n yn + [a11 x1 + a12 x2 + . . . + a1n xn ] = b1 ..................................................................... am1 y1 + am2 y2 + . . . + amn yn + [am1 x1 + am2 x2 + . . . + amn xn ] = bm . Mit Hilfe von (2.18) gibt dies aber gerade a11 y1 + a12 y2 + . . . + a1n yn = 0 ................................... am1 y1 + am2 y2 + . . . + amn yn = 0. (2.19) Man nennt (2.19) auch das zugehörige homogene System. Dieses hat immer eine Lösung, z.B. y1 = 0, . . . , yn = 0. Insgesamt zeigt dies: Die allgemeine Lösung des inhomogenen Systems kann als Summe einer speziellen Lösung und der allgemeinen Lösung des homogenen Systems geschrieben werden. Xallg = Xspez + Xhom . Dies ist ein allgemeines Prinzip, das für alle linearen Gleichungen gilt. Aufgabe 2.2 Welches der folgenden Gleichungsysteme hat eine eindeutig bestimmte (keine) Lösung. a) 3x +3y = 8 b) 4x +y = 5 c) x −x = 3 d) x −y = 3 3x +y = 1 2x −3y = 13 7x −7y = 21 4x −4y = 6 Aufgabe 2.3 Löse graphisch und rechnerisch a) 2x +3y = 8 b) x −5y = −3 Aufgabe 2.4 Löse a) x +3y = 7 x +y = 0 x +y = −3 2x +5y = 10 3x −y = 11 b) x +y +z = 1 2x +3y +4z = 2 5x +7y +9z = 6 50 Funktionen Aufgabe 2.5 Gib die Lösungsmenge von 2x1 +4x2 −2x3 +2x4 = 6 5x1 +10x2 +x4 = 0 3x1 +x2 −x3 +2x4 = 1 an. Aufgabe 2.6 Bestimme die Lösungsmenge von 3x1 +5x2 +2x3 = 20 4x1 +x2 = 40 −9x1 −15x2 −6x3 = 30 Aufgabe 2.7 Bestimme die Lösungsmenge von 3x1 +4x2 +5x3 +6x4 4x1 +5x2 +6x3 +7x4 5x1 +6x2 +7x3 +8x4 x1 +x2 +x3 +x4 Aufgabe 2.8 x +y+2=4 2 2x − y − 4z = 6 Aufgabe 2.9 2x + 3y − 4z = 10 = 17 = 25 = 39 = 0 4x + 2y − 3z = 8 −3x + y = 12 5x + 2y + z = −8 Aufgabe 2.10 Löse x − 4y − 2 + w = 3 2x − 8y + 2 − 4w = 9 −x + 4y − 2z + 5w = −6 Aufgabe 2.11 3x1 − x2 + x3 − x4 + 2x5 x1 − x2 − x3 − 2x4 − x5 5x1 − 3x2 − x3 − 5x4 + 3x5 2x1 + 3x2 − x3 + x4 − x5 Aufgabe 2.12 2 a) = x−1 3 c) 2 − 1 = x Lösen Sie 1 x−1 1 6 − 2 2 x b) 2x d) =1 = −1 =1 =0 1 + 5x = 2 + 5x x 2x 2 − = 1+ 1+x 1+x Aufgabe 2.13 Vereinfachen Sie die nachstehenden Ausdrücke 1 x 3 +2 4(x2 − 1) x−1 x+1 4x − x1 2 x3 − x2 2.3 Funktionen und ihre Graphen 51 Aufgabe 2.14 Lösen Sie 2x − 3 2 +2 = 2x + 1 x + 21 et 100 + 2 = 15 − c) et + 3 et + 3 a) 2.3 b) x 3 +2 = x+1 4x + 4 Funktionen und ihre Graphen Mathematik Heute 9, 10 Schroedel Schöningh, 9., 10. Schuljahr Breidenbach Eine Funktion F ist eine eindeutig erklärte Zuordnungsvorschrift, die jedem Element x aus einer Menge von Objekten, dem Definitionsbereich DF von F , einen Wert F (x) im Zielbereich Z zuordnet. Die Menge der Werte F (x), x ∈ DF , bildet die Wertemenge WF oder den Wertebereich von F . Eine Funktion wird also durch 2 Dinge beschrieben, nämlich erstens den Definitionsbereich und zweitens die Zuordnungsvorschrift. Beispiel 2.6 F = Vater F (x) = Vater von x DF = Menge aller Menschen WF = Menge aller Väter Beispiel 2.7 F = Aktienkurs der Firma XY F (t) = Aktienkurs von XY am Tage t Beispiel 2.8 F = Quadrat DF = R DF = Tage im Jahr 1998 WF ⊂ R+ F (x) = x2 Von nun ab werden wir uns mit Funktionen beschäftigen, deren Definitionsbereich eine Teilmenge von Rn ist und die reelle Werte haben. Meist werden wir darüber hinaus annehmen, daß der Definitionsbereich maximal, d.h. so groß wie eben sinnvoll, gewählt ist. Unter diesen Umständen verzichtet man daher meist auf die explizite Angabe von DF . In Zukunft werden wir Funktionsausdrücke auch in der Form F (x) schreiben, obwohl die korrekte Form DF ∋ x → F (x) wäre. Beispiel 2.9 Das Volumen V einer gegebenen Gasmenge hängt vom Druck P und RT der absoluten Temperatur ab V = . P Dabei ist R eine Konstante (R = 8, 314JK −1 mol−1 ). DV = {(T, P ) | T > 0, P > 0}. Beispiel 2.10 Der Ertrag E bei einer Nutzpflanze hängt ab von der Menge an Dünger d, der Regenmenge r sowie der mittleren Temperatur T . E = F (d, r, T ) DE = {(d, r, T ) | d ≥ 0, r ≥ 0, T > 0}. Zunächst beschränken wir uns auf Funktionen, die auf Intervallen bzw. R erklärt sind. 52 Funktionen Definition: Eine Funktion F heißt injektiv oder umkehrbar, wenn zu jedem F (x) genau ein Urbildpunkt x gehört, d.h. die Gleichung F (x) = F (y) hat x = y zur Folge. Eine Funktion heißt surjektiv, wenn WF = R ist, d.h. zu jedem y ∈ R existiert ein x mit F (x) = y. Eine injektive und surjektive Abbildung heißt auch bijektiv. x x injektiv nicht injektiv Eine Funktion ist genau dann injektiv, wenn jede Parallele zur x-Achse den Funktionsgraphen höchstens in einem Punkt schneidet. Beispiel 2.11 F (x) = x3 3 3 3 DF = R ist injektiv, 3 denn x = y bedeutet 0 = x − y = (x − y)(x2 + xy + y 2 ) oder x − y = 0 da x2 + xy + y 2 > 0 wenn x 6= 0 oder y 6= 0. Beispiel 2.12 F (x) = x2 ist nicht injektiv, da (−x)2 = x2 . Falls F injektiv ist, kann man die inverse Funktion F −1 zu F definieren. Dabei ist DF −1 = WF = Wertebereich von F und es gilt F −1 (y) = x wenn F (x) = y (2.20) Bemerkung: Viele Funktionen kann man durch Einschränken des Definitionsbereichs injektiv machen und dann F −1 für die Einschränkung erklären. Beispiel 2.13 F (x) = x2 ist auf DF = [0, ∞) injektiv mit WF = [0, ∞). In diesem √ 1 Fall ist dann F −1 (x) = x = x 2 . Auf diese Weise macht man die allgemeinen Potenzfunktionen x → xr (r ∈ R) injektiv, in dem man sie auf x > 0 einschränkt. Funktionsgraphen Der R2 eignet sich auch noch besonders zur Darstellung von reellwertigen Funktionen. Ist nämlich F eine reellwertige Funktion mit dem Definitionsbereich DF ⊂ R 2.3 Funktionen und ihre Graphen 53 – dabei wollen wir annehmen, daß DF ein Intervall ist -, so nennt man GF = {(x, y) | x ∈ DF , y = F (x)} (2.21) den Graphen von F . Das sieht dann etwa so aus y F (x) F x x Hier sind noch einige Beispiele von Funktionsgraphen 1 2 x +1 D = [0, 4] f1 (x) = 4 5 f2 (x) = 1 + x2 x f3 (x) = 1+x 5 f1 4 3 2 1 f2 1 2 3 4 54 Funktionen 0.8 f3 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 Ist GF der Graph von F , so erhält man den Graphen von F −1 durch Spiegeln an der Diagonalen x = y, denn der Punkt (x, F (x)) = (x, y) geht bei der Spiegelung über in (x, y) = (y, F −1 (y)), denn y = F (x) bedeutet x = F −1 (y). y F F −1 y (x, y) Diagonale Spiegelpunkt x (y, x) x x y Eine reelle Funktion F auf einem Intervall DF heißt (streng) monoton wachsend, wenn für x, y ∈ DF mit x < y gilt F (x) ≤ F (y) (F (x) < F (y)). F heißt (streng) monoton fallend, wenn x < y F (y) ≤ F (x) (F (y) < F (x)) zur Folge hat. Beispiel 2.14 1. F (x) = x3 ist streng monoton wachsend, 2. F (x) = xr , r > 0 DF = [0, ∞) ist streng monoton wachsend. 3. F (x) = ax , a > 1 ist streng monoton wachsend. 4. F (x) = ax , 0 < a < 1 ist streng monoton fallend. 5. F (x) = c(x − a)2 + b ist streng monoton wachsend für x ≥ a, wenn c > 0 und streng monoton fallend für x ≤ a wenn c > 0. Es ist offensichtlich, daß man von streng monotonen Funktionen die Umkehrfunktionen bilden kann. Diese sind auch streng monoton. 2.3 Funktionen und ihre Graphen 55 Man kann auch Funktionen verketten oder hintereinander ausführen. Formal hat man dann h(x) = f (g(x)). In diesem Fall schreibt man auch h = f ◦ g. Damit so ein Ausdruck Sinn macht, muß g seinen Wertebereich in den Definitionsbereich von f abbilden. Genauer wird man den Definitionsbereich von f abbilden. Genauer wird man den Definitionsbereich von h durch Dh = {x | g(x) ∈ Df } erklären: Beispiel 2.15 1. f (x) = x3 + 2x2 + 1, g(x) = √ x+1 h1 (x) = f (g(x)) = (x + 1)3/2 + 2(x + 1) + 1 h2 (x) = (g ◦ f )(x) = [x3 + 2x2 + 1 + 1]1/2 Dn = (−1, ∞) 2. f (x) = 1/x g(x) = x2 + 1, f ◦ g(x) = 1/(1 + x2 ), g ◦ f (x) = 1 + 1/x2 Für das Verknüpfen von Abbildungen gilt: Assoziativgesetz (f ◦ g) ◦ h = f ◦ h), denn (f ◦ g) ◦ h(x) = (f ◦ g)(h(x)) = f (g(h(x))) = f (g ◦ h(x)) = (f ◦ (g ◦ h))(x) f ◦ f −1 (x) = x x ∈ Df −1 = Wf = Wertebereich von f f −1 ◦ f (x) = x x ∈ Df −1 −1 (f ◦ g ) = (g ◦ f )−1 denn für xc (f −1 ◦ g −1 ) ◦ (g ◦ f )(x) = (f −1 ◦ (g −1 ◦ g) ◦ f )(x) = f −1 ◦ f (x) = x x ∈ {z ∈ Df , f (z) ∈ Dg }. Die Verknüpfung von Funktionen ist nicht nur auf reell wertige Funktionen beschränkt, wie die folgenden Beispiele zeigen: 3. Vater ◦ Vater = Großvater väterlicherseits 4. Vater ◦ Mutter = Großvater mütterlicherseits 5. f (x) = (x − 1)/x, g(x) = Aktienkurs Fa x, f ◦ g(x) = Rendite für Aktie von x. Aufgabe 2.15 Zeichne die Funktionsgraphen von i) f1 (x) = x2 − x3 ii) f2 (x) = 1 x Df1 = [−2, 2] Df2 = (0, 3] (Suchen Sie sich eine der Funktionen aus.) 56 Funktionen Aufgabe 2.16 Ist f eine gegebene Funktion mit Df = D, so ist F durch F (x)−b = f (x − a), DF = D + a erklärt. Wie gewinnt man den Graphen von F aus dem von f? Aufgabe 2.17 Für eine gegebene Funktion f sei F durch F (x) = af (bx) erklärt, a, b > 0. Wie hängen die Graphen von f und F miteinander zusammen? Aufgabe 2.18 Welche Funktionen (Graphen) erhält man, wenn man die in Aufgabe (2.16) und (2.17) beschriebenen Prozesse auf f (x) = x2 anwendet? Aufgabe 2.19 Für F (x) = xr r > 0, DF = (0, ∞) zeige, daß F injektiv ist, und bestimme F −1 . Aufgabe 2.20 Für F (x) = ax2 + bx + c, a > 0, bestimme F −1 bei einem geeigneten DF . (Hinweis: Es geht hier um das Auflösen einer quadratischen Gleichung. Schreibe F (x) = a(x + b)2 + c und forme dann um.) Aufgabe 2.21 Die Umkehrfunktion F −1 einer streng monoton wachsenden (fallenden) Funktion ist streng monoton wachsend (fallend). Aufgabe 2.22 Lösen Sie 3x + 3−x = 6. √ Aufgabe 2.23 Lösen Sie 3 + 3x + 1 = x. Aufgabe 2.24 Lösen Sie x4 − 3x2 + 1 = 0. Aufgabe 2.25 Löse 2e2x + 3ex = 27. Aufgabe 2.26 Es sei f (x) = 3x + x2 und g(x) = 1 + x + x2 . Bilde h(x) = f (g(x)) und h(x) = g(f (x)). √ Aufgabe 2.27 Diskutiere die Funktion f (x) = x3 − 3x2 + 2. Bestimme den Definitionbereich und ihre Maxima. √ Aufgabe 2.28 Erläutern Sie, warum sich x2 + 2 für große x wie etwa |x| verhält. Was ist der Fehler? Aufgabe 2.29 Das DIN-Format für Papier ist so beschaffen, daß, wenn man einen DIN-An-Bogen halbiert, ein DIN-A(n + 1)-Bogen entsteht, der zu dem ursprünglichen Bogen ähnlich ist. Wie ist das Verhältnis der Kantenlängen? √ Aufgabe 2.30 Es sei f (x) = x2 + 3x − 2, g(x) = x + 1 und h(x) = x3 + 1. Bestimme a) f ◦ g ◦ h, h ◦ g, g ◦ h. b) Untersuche die Funktionen auf Monotonie. 2.4 Lineare Funktionen 57 c) Durch Einschränken auf einen geeigneten Bereich mache die Funktionen injektiv und bestimme f −1 und g −1 . Aufgabe 2.31 Es seien f , g monoton wachsend. Dann ist f ◦ g monoton wachsend. √ Aufgabe 2.32 Es seien f (x) = (x4 + 1), g(x) = x2 und h(x) = 1 + x. Bestimme f ◦ g ◦ h(x) sowie den Wertebereich dieser Funktion. Aufgabe 2.33 Zu f (x) = x3 − 1 bestimme f −1 . 2.4 Lineare Funktionen (AB Abschnitt 1) Die einfachsten Funktionen sind die linearen Funktion. Für den Fall einer unabhängigen Veränderlichen haben sie die Form f (x) = mx + b m α 1 Normalform (2.22) Der Graph einer solchen Funktion ist eine Gerade y = mx + b. Dabei gibt b den Schnittpunkt dieser Geraden mit der yAchse an, während m die Steigung ist: tanα = m. b Viele Vorgänge in der Natur werden durch lineare Funktionen beschrieben oder können dadurch angenähert werden. Beispiel 2.16 Ist P die mechanische Leistung, die ein Sportler (Tier) erbringt, und O der Sauerstoffverbrauch, so gilt eine Beziehung der Form O = B + mP . Dabei ist B der Basisverbrauch, der zur Aufrechterhaltung des Systems dient. m dagegen setzt sich zusammen aus dem Wirkungsgrad γ, der die Umwandlung chemischer Energie in mechanische Energie beschreibt, sowie dem Sauerstoffäquivalent a; m = γa . Beispiel 2.17 Wird in einem System die Substanz XY mit der konstanten Rate m erzeugt, so ist der Gesamtertrag E zur Zeit t: E(t) = E(0) + mt. Gerade das letzte Beispiel macht deutlich, daß lineare Funktionen bei der Beschreibung von Naturvorgängen dann auftreten, wenn das Gesetz der “proportionalen Zuwächse” bzw. der “konstanten Rate” gilt. 58 Funktionen Beispiel 2.18 Der Energieverbrauch beim Laufen ist über weite Bereiche (beim Menschen 0-8 m/sec) eine lineare Funktion der Geschwindigkeit, P (v) = P0 + P1 v. Beispiel 2.19 Der Wasserdruck in at ist eine lineare Funktion der Wassertiefe d: d P (d) = 1 + 10 . Erläutern Sie diese Beziehung. Wegen der Einfachheit der linearen Beziehung zieht man dieses Gesetz auch dann heran, wenn es nur approximativ gilt. Wir werden dies später noch genauer untersuchen. Neben der Normalform (2.22) sind noch andere Beschreibungen für Geraden üblich. Punkt-Steigungsform Ist von einer Geraden bekannt, daß sie die Steigung m hat und P = (x1 , y1 ) auf der Geraden liegt, so hat diese die Form y − y1 = m(x − x1 ). (2.23) Zwei-Punkte-Form Liegen die Punkte P = (x1 , y1 ) bzw. Q = (x2 , y2 ) auf einer Geraden, so hat diese die Form (x2 − x1 )(y − y1 ) = (y2 − y1 )(x − x1 ). Die Steigung dieser Geraden ist also dreieck zwischen P und Q sieht. (2.24) (y2 − y1 ) , wie man leicht aus dem Steigungs(x2 − x1 ) Die allgemeine lineare Funktion Hängt die Funktion F von den Größen x1 , x2 , . . . , xn linear ab, so hat F die Form F (x1 , . . . , xn ) = b + a1 x1 + a2 x2 + . . . + an xn . (2.25) Natürlich kann man sich den Graphen von F nicht mehr in dieser allgemeinen Form vorstellen. Dies ist nur noch im Fall n = 2 möglich. 2.4 Lineare Funktionen 59 Ist F =z F (x, y) = z = b + a1 x + a2 y so ist der Graph von F genau die Ebene, die von den Geraden z = b + a1 x y=0 und y z = b + a2 y x=0 x aufgespannt wird. Lineare Interpolation Viele Funktionen verhalten sich für kleine Argumentbereiche annähernd linear. Man kann sich dies zunutze machen, indem man gewisse Funktionswerte annähernd berechnet. Beispiel 2.20 Die Funktionstabelle gibt Ihnen sin 30◦ = 0, 5 und sin 31◦ = 0, 515038. Sie benötigen den Wert von sin 30◦ 25′ . Ersetzen wir den Sinus zwischen 30◦ und 31◦ durch eine Gerade, so können wir (2.24) mit 25 , y ≈ sin x, x1 = 30, y1 = 0, 5, x2 = 31, y2 = 0, 515038 60 verwenden. Wir erhalten 25 25 (y − 0, 5) = 0, 015038 · (30 + − 30) = 0, 015038 · 60 60 oder y = 0, 506266. x = 30 + Beispiel 2.21 Ein Testkörper hat um 13 Uhr eine Temperatur von 27◦ und um 14 Uhr eine Temperatur von 28, 5◦ . Dann hat er um 13.20 Uhr annähernd eine Temperatur von 27 + 1, 5 · 20 = 27, 5◦ . 60 Beispiel 2.22 Es ist 21,6 = 3, 031433 und 21,5 = 2, 828427. Für welchen x-Wert gilt 2x = 3? Hier ist nach dem angenäherten x-Wert gefragt. Wir verwenden wieder (2.24) mit y = 3, y1 = 2, 828427, x1 = 1, 5, y2 = 3, 031433, x2 = 1, 6. Also 0, 1(3 − 2, 828427) = (3, 031433 − 2, 828427)(x − 1, 5). Man erhält x = 1, 584516. Der genaue Wert ist übrigens 1,5849625. 60 Funktionen Aufgabe 2.34 Man bestimme die Gleichung der Geraden durch den Punkt (3,3) mit der Steigung 2. Aufgabe 2.35 Liegen die Punkte (1,1) und (3,2) und (7,4) auf einer Geraden? Aufgabe 2.36 Zwei Geraden heißen parallel, wenn sie entweder gleich sind oder sich nicht schneiden. Man zeige, daß parallele Geraden die gleiche Steigung haben. Aufgabe 2.37 Bestimme die Gleichung der Geraden durch P = (1, 2), die parallel zu der Geraden durch (13,19) und (17,36) ist. Aufgabe 2.38 Bestimme die Gleichung aller Geraden durch (1,3). Aufgabe 2.39 Es sei F eine lineare Funktion von zwei Variablen x, y, so daß die Punkte (x1 , y1 , z1 ) = (1, 1, 7), (x2 , y2 , z2 ) = (3, 4, 10) und (x3 , y3 , z3 ) = (2, 6, 17) auf dem Graphen von F liegen. Bestimme F ! Aufgabe 2.40 a) Die Länge von Metallstäben ist in nicht zu großen Temperaturbereichen eine lineare Funktion der Temperatur. Beschreiben Sie die Länge l eines Kupferstabes, der bei 0◦ C 1, 5m lang ist als Funktion der Temperatur T im Bereich T ∈ [0, 100]. b) Wie könnte man Metallstäbe zur Temperaturmessung verwenden? c) Wie funktioniert das bekannte Quecksilberthermometer? Aufgabe 2.41 Aufgrund des Gasgesetzes ist das Volumen V einer festen Gasmenge bei festem äußeren Druck eine lineare Funktion der Temperatur. Beschreibe V (T ) für 1l Luft bei 0◦ C. Was ist die Dichte von Luft bei 0◦ bzw. bei 20◦ C? Aufgabe 2.42 Was ist die Dimension von m in Beispiel 2.17? Aufgabe 2.43 Zeige, daß die Steigungen m1 und m2 von 2 Geraden, die sich senkrecht schneiden, m1 · m2 = −1 erfüllen. Aufgabe 2.44 Unter Verwendung von Aufgabe 2.43 bestimme die Gleichung der Geraden, die senkrecht zu y = 2x + 7 ist und durch (1, −1) geht. Aufgabe 2.45 Bestimme die Gleichung einer Geraden durch (1, 7), die parallel zur Geraden durch (2, 3) und (6, 9) ist. Aufgabe 2.46 Zeichnen Sie die Bereiche für die Ungleichungen y ≤ 2x + 1, y + 3x > −2, y > −x + 1, und bestimmen Sie den Durchschnitt. 2.5 Polynome; rationale Funktionen 2.5 61 Polynome; rationale Funktionen (AB Abschnitt 4) Die unmittelbare Verallgemeinerung der lineare Funktion ist die quadratische Funktion F (x) = a + bx + cx2 . (2.26) Ihr Graph ergibt eine Parabel. Die Gleichung einer Parabel läßt sich leicht auf Normalform bringen, aus der die Eigenschaften leichter abzulesen sind. Es gilt nämlich a + bx + cx2 = c[x2 + cb x + ( 2cb )2 − ( 2cb )2 + ac ] b2 ) = c(x + 2cb )2 + (a − 4c 2 = c(x − A) + B Die allgemeine Parabel erhält man also aus der speziellen Parabel y = x2 durch Strecken x2 → cx2 und verschieben - der Nullpunkt wird nach (A, B) verschoben. B A Aufgabe 2.47 Wende Polynomdivision mit Rest an: 1. (x3 − 1) : (x − 1) 2. (x4 − 1) : (x − 1) 3. (xn − 1) : (x − 1) 4. (7x4 + 3x3 − 7x2 + x − 1) : (x + 1) 5. (3x5 + 7x3 + 2x2 ) : (x2 − 2x + 1) Das Lösen von Gleichungen Eine quadratische Gleichung wird am einfachsten auf die folgende Weise gelöst. 62 Funktionen ax2 + bx + c = 0 Gleichung: Division durch a: Quadratische Ergänzung: Wenn − ac + b 2 2a b c x2 + x = − a a 2 b auf beiden Seiten addieren 2a 2 2 b b c b 2 =− + x + x+ a 2a a 2 2a 2 b c b x+ =− + 2a a 2a < 0, so gibt es keine Lösung. Andernfalls erhält man b =± x+ 2a s b x=− ± 2a s oder c − + a c − + a b 2a 2 b 2a 2 Noch allgemeinere Funktionstypen sind die Polynome. Sie haben die Form F (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn . (2.27) Das Polynom F hat den Grad n, wenn an 6= 0. Eine Funktion F heißt rational, P (x) wenn F als Quotient zweier Polynome geschrieben werden kann: F (x) = Q(x) . Mit Hilfe der Polynomdivision kann man einen solchen Ausdruck immer in der Form P2 (x) P (x) = P1 (x) + Q(x) Q(x) schreiben. Dabei sind P1 und P2 Polynome mit Grad P2 < Grad Q. Wir wollen hier die Polynomdivision nur an 2 Beispielen demonstrieren. Wichtig ist dabei, daß man immer mit den höchsten Potenzen anfängt. Beispiel 2.23 (x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) Die höchste Potenz ist hier x4 , x4 beim Divisor 2x und 2x = 21 x3 . Also 1 (x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) = x3 + . . . 2 Nun wird abgezogen 5 0 · x4 + x3 − 5x2 + 3x − 5 2 2.5 Polynome; rationale Funktionen 63 Jetzt wiederholt sich das Spiel 1 3 x 2 5 + x2 4 25 2 − x +3x 4 25 25 − x2 − x 4 8 49 x 8 49 x 8 −5 −5 49 16 129 − = Rest 16 + Ergebnis: (x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) = 21 x3 + 54 x2 − 25 x 8 + 49 16 − 129 1 16 2x+1 Beispiel 2.24 (3x5 +6x4 3x5 +6x4 3x3 3x3 +3x2 +2) : (x2 + 2x − 1) = 3x3 + 3x − 3 + −3x3 +3x2 +2 +6x2 −3x −3x2 +3x +2 −3x2 −6x +3 9x −1 = Rest 9x−1 x2 +2x−1 Auch wenn die Polynome eine bedeutende Funktionenklasse der Mathematik darstellen, spielen sie bei der Beschreibung von Naturvorgängen eine untergeordnete Rolle, weil zum einen Polynomgesetze relativ wenig auftreten und weil zum anderen den Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an nur schwer eine unmittelbare Bedeutung zugeordnet werden kann. Aus diesem Grunde wird man in Anwendungen neben den linearen Funktionen meist nur noch quadratische Polynome antreffen. Aufgabe 2.48 Löse: √ a) x = x + 12 √ b) x − 4 = x − 2 2 4 c) 1 − x2 + x24 = 0 √ √ d) 2x − 4 − 3x − 4 = −2 Aufgabe 2.49 Löse: 2 1 a) y 3 − 4y 3 = 12 √ √ b) x − 1 − 3x − 2 = −1 c) 2 x4 + 1 x2 +4=0 64 Funktionen Aufgabe 2.50 a) e2x − 5ex + 6 = 0 b) e2x + 5ex + 6 = 0 Aufgabe 2.51 Für welche x gilt die Ungleichung 4x − 3 a)x2 ≤ −3x + 4 bzw. b) ≥0 1 − 4x Aufgabe 2.52 Wende Polynomdivision auf die folgenden Beispiele an: a) (3x4 − 7x3 + x2 − 1) : (x + 1) b) (2x5 − 10x4 + 7x3 − 3x) : (x2 + 1) c) (3x7 + 8x6 + 6x5 + 3) : (x3 + 3x2 + 1) Aufgabe 2.53 Bringen Sie die folgenden rationalen Funktionen durch Polynomdivision auf die Form Polynom plus rationale Funktion x7 + 3x4 − 19x , x2 − 1 x5 − 1 , x−1 x4 + x3 − 3x + 2 . x3 + 2 Aufgabe 2.54 Chlor hat eine relative Atommasse von 35,453. Es besteht aus den Isotopen Cl35 und Cl37 mit relativen Atommassen 34,969 und 36,966. Wie hoch sind die Anteile? Aufgabe 2.55 Bestimmen Sie alle kubischen Polynome mit den Nullstellen 1, 2, 3. 2.6 Potenzfunktionen (A II Abschnitt 4) Mathematik 10. Schuljahr, Mathematik Heute 10, Schroedel, Schöningh Häufiger findet man in der Biologie schon die Potenzfunktionen. Sie haben die Form F (x) = axb a, b ∈ R, DF = [0, ∞). (2.28) Beispiel 2.25 Oberfläche eines Würfels O als Funktion des Volumens V . 2 Es gilt O = 6a2 und V = a3 . Also O = 6V 3 . Bei einer Kugel haben wir entsprechend O = 4πa2 und V = 43 πa3 . Also O = 4π · 3 V 4π 23 1 2 = 3 3 · (4π) 3 V 2 3 = 4, 836 · V 2 3 Etwas allgemeiner erwartet man für geometrisch ähnliche Körper ein Gesetz der Form 2 O = CV 3 . Dabei hängt C nur von der speziellen Gestalt des Körpers ab. (2.29) 2.6 Potenzfunktionen 65 Allometrische Gesetze In der Biologie sind diese von der Form F = a · Mb a, b ∈ R. Dabei ist M meist die Masse. Mißt man alles in kg, erhält man z.B. für Tiere Skelettgewicht = Gehirngewicht = 0,1 0,01 ·M 1,13 ·M 0,7 Gehirngewicht (Menschenaffen) Leistung Sauerstoffverbrauch (l/min) Herzschlagfrequenz (Schläge/min) Blutvolumen (l) Herzgewicht = = = = = = kM 0,66 , k ∈ [0, 03; 0, 04] 3, 416 · M 0,734 (Kleibers Gesetz) 0, 0116 · M 0,76 1 241 · M − 4 0, 055 · M 0,99 6, 0 · 10−3 · M 0,98 Die spezifische Leistung bzw. spezifische Stoffwechselintensität ist dann P = 3, 416W −0,266 W P ]= wobei [ W W kg (Kleibers Gesetz) und [W ] = kg ist. (w) Elefant 1000 Bull Horse Cow and Steer 100 Woman Man Dog Cat 10 Rat Pigeon ! Small Bird 0,1 10g Mouse 100g 1kg 10kg 100kg 1000kg 5000kg Maus-Elefanten Kurve Quelle: Pedley, T.J. (Hrdg.): Scale Effects in Animal Locomotion, New York-London-San Francisco 1977, p.11. Weitere Beispiele findet man in den folgenden Büchern bzw. Artikeln: (2.30) 66 Funktionen K. Schmidt-Nielsen: T.J. Pedley: T. McMahon: W.R. Stahl: H. Lin: Scaling Scale Effects in Animal Locomotion On Size and Life Similarity and Dimensional Methods in Biology Science 1962 p. 205 Fundamentals of zoological scaling 1982, Aus. J. of Phys. 50. Inzwischen gibt es auch ein Kleibersches Gesetz für Pflanzen und die daraus resultierende Aussage über Populationsdichten (B. Enquist et al. Nature 395, 1998, p.163). In dem Artikel “The Fourth Dimension of Life”, Science 284 (1999), p. 1677, leiten West et al. solche Skalengesetze aus fraktalähnlichen Netzwerken her. Eine umfangreiche Daten- und Materialsammlung zur Skalierung findet man auch in C.R. Taylor et al. J. Exp. Biology, 1982, 1-21. Eine weitere Quellensammlung ist in Am. J. Physics 69 2001, 938-942 zu finden. Tatsächlich erscheint so etwa jedes Jahr mindestens 1 Artikel zu den Skalengesetzen in der Biologie. Hier sind noch ein paar Quellen: Nature 418 2002, 527; Nature 417 2002 931 und 166; Science 296 2002, 1029-31, Nature 423 2003, 165-168. Kitteredge (J. of Forestry (1944)) hat eine Reihe von allometrischen Beziehungen zwischen Belaubung und Größe von Bäumen dokumentiert. 1000 500 100 l = 24, 09 · d0,66 50 3 5 7 10 30 50 70 100 Mitteldurchmesser des Humerus von afrikanischen Antilopen als Funktion der Länge Viele Naturgesetze lassen sich durch verallgemeinerte Potenzfunktionen der Form F (x, y) = cxa y b (2.31) beschreiben. In den Wirtschaftwissenschaften z.B. wird die Funktion P = cK a y b 2.6 Potenzfunktionen 67 Cobb-Douglas-Produktionsfunktion genannt. Dabei bezeichnet P die Produktion, K das Kapital und y die Arbeit. Fuchs hat die Macht M eines Landes durch eine Funktion der Form M = dB a S b E c beschrieben. Dabei ist B die Bevölkerungszahl, S die Stahlproduktion und E der Energieverbrauch. Beim Studium der Wärmeverluste von Tieren durch die Oberfläche O benötigt man semi-empirische Formeln für O; da diese schwer zu messen ist, schreibt man O = cM a Lb . Dabei ist c eine Konstante, M die Masse und L eine typische Länge. Da die Dichte bei Tieren ziemlich genau 1 ist, gilt V = M . Aus Dimensionsgründen muß dann 2 = 3a + b sein (Begründung). Die Formel für die Oberfläche eines Menschen von Du Bois ist O = 0, 007184 · G0,425 · H 0,725 O in m2 , H in cm, G in kg. Aufgabe 2.56 Wandle diese Formel so um, daß sie im m-kg-sec-System gilt! Aufgabe 2.57 Angenommen das Volumen eines Tieres wird um 20% vergrößert (verkleinert), wie verändert sich dann die Oberfläche bzw. Masse? Aufgabe 2.58 Die Energieabgabe eines Tieres ist etwa proportional zur Oberfläche. Welche Konsequenzen hat das für Tiere in arktischen Regionen? Aufgabe 2.59 Nehmen wir an, ein Einzeller sei in etwa kugelförmig. Dann ist die Nahrungsaufnahme proportional zur Oberfläche (Diffusion), während der Verbrauch in etwa proportional zum Volumen ist. Welche Konsequenz haben solche Überlegungen für die Größe solcher Einzeller? Aufgabe 2.60 Welche Konsequenzen haben die allometrischen Gesetze für die mittlere Tonhöhe bei Tieren? Aufgabe 2.61 Welche allometrischen Beziehungen gelten für Fische oder Tiere, die im Wasser leben? Ergeben sich zusätzliche Beziehungen aus den Eigenschaften des Wassers? Aufgabe 2.62 Warum sind kleinere Tiere besser in der Lage, plötzlich ihre Richtung zu ändern? Aufgabe 2.63 Zeigen Sie, daß die Sprungkraft der Tiere von ihrer Masse nahezu unabhängig ist. Aufgabe 2.64 Warum gibt es in der Schwerathletik (Boxen, Ringen, Gewichtheben) verschiedene Gewichtsklassen? Wie sollte man die Weltrekorde im Gewichtheben skalieren? 68 Funktionen √ Aufgabe 2.65 Konstruieren Sie eine Intervallschachtelung für 3 2 - 4 Intervalle (Stellen) -, wenden Sie lineare Interpolation auf das letzte Ergebnis an, und vergleichen Sie es mit dem tatsächlichen Wert. Aufgabe 2.66 In “Gullivers Reisen” stellten die Leute aus Lilliput fest, daß Gulliver 12mal so groß war wie sie und daher 12 · 12 · 12 = 1728 mal so viel Nahrung benötige. Ist das korrekt? 2.7 Zins, Zinseszins und Ratenzahlung Dieser Abschnitt ist zwar für Biologen nicht zentral, gleichwohl sollte jeder die nachfolgenden Überlegungen beherrschen. Sie bringen K DM zur Bank. Dort wird es mit p% verzinst. Nach einem Jahr haben Sie p K1 = K · 1 + 100 auf ihrem Konto. Nach 2 Jahren p 2 K2 = K · 1 + 100 und allgemeiner nach n Jahren p n Kn = K · 1 + . 100 (2.32) Beispiel 2.26 Sie legen 5.000 DM fest auf 10 Jahre an. Dann haben Sie nach diesem Zeitraum bei 4,5% Zinsen 5000 · 1, 04510 = 7765 DM. Legt die Bank wiederum dieses Geld für 7,5% an oder verleiht es, hat sie am Ende 10.305 DM erzielt und damit einen Gewinn von 2540 DM gemacht. Ratenzahlung Im täglichen Leben hat man es meist nicht nur mit Einmalzahlungen zu tun, sondern häufig werden gleiche Beträge R in regelmäßigen Abständen ein- oder ausgezahlt (Raten, Renten, Pensionen . . .). Nehmen wir also an, Sie zahlen jährlich am Anfang des Jahres den Betrag R auf ein Konto ein und das Geld werde wieder mit p% verzinst. So haben Sie am Ende des ersten Jahres p p K1 = R · (1 + ) = Rq q = (1 + ). 100 100 Am Ende des zweiten Jahres K2 = Rq(Das Geld von diesem Jahr) + Rq 2 (Das Geld vom Vorjahr). Am Ende des dritten Jahres K3 = Rq + Rq 2 + Rq 3 2.7 Zins, Zinseszins und Ratenzahlung 69 und allgemeiner am Ende der n-ten Jahres Kn = Rq + Rq 2 + . . . + Rq n = R(q + q 2 + . . . + q n ). (2.33) Am Anfang des (n + 1)-ten Jahres, gerade nach der Einzahlung haben Sie einen Kontostand von Kn + R oder R(1 + q + q 2 + . . . + q n ) = Kn+1 (Jahresanfang). (2.34) Wir müssen nun noch S = 1 + q + . . . + q n bestimmen. Schreibe qS = q + q 2 + . . . + q n + q n+1 S = 1 + q + q2 + . . . + qn und und subtrahiere oder S(q − 1) = q n+1 − 1 oder qS − S = q n+1 − 1 S = 1 + q + . . . + qn = q n+1 − 1 q−1 Dies ergibt dann Kn+1 (Jahresanfang) = R q 6= 1. q n+1 − 1 . q−1 (2.35) (2.36) Bei monatlichen Verzinsungen nimmt man übrigens meist: Monatszinssatz = Jahreszinssatz/12. Natürlich muß dann die Laufzeit auch in Monaten gerechnet werden. Fragen Sie mal nach, ob Ihre Bank das macht. Beispiel 2.27 Sie haben für Ihr Haus, das Sie auf Leibrente gekauft haben, 20 Jahre lang monatlich 1500 DM gezahlt. Bei einem “Bausparkassenzinssatz” von jährlich 5,5% haben Sie also nach 20 Jahren eine Leistung von 1500 · 12 · q 21 − 1 1, 05521 − 1 = 18000 · q−1 0, 0055 = 18000 · 37, 786076 = 680149DM erbracht. Bei monatlicher Verzinsung wären es gar 1500 · 5, 5 2, 165685 q 21·12 − 1 mit q = 1 + = 1500 · · 1200 = 708761 q−1 1200 5, 5 Sie sehen schon, monatliche Verzinsung wäre günstiger. Wir wollen dies nun auf Ratenzahlungen anwenden, mit monatlicher Verzinsung. 70 Funktionen Für ihre Wohnung haben Sie sich endlich den neuen Fernseher mit Videorecorder für A DM gekauft. Bei einem monatlichen Zinssatz von p% zahlen Sie für n Monate pro Monat R DM zurück und haben dann alles getilgt. Um dieses Problem zu behandeln, machen wir eine Art doppelte Buchführung, nämlich das verzinste Darlehen bei der Bank sowie die Gesamtsumme der gezahlten Beträge. Stichtag ist jeweils der 1. Tag im Monat nach der Einzahlung. 1. Monat 2. Monat 3. Monat .. . Darlehen A Aq Aq 2 .. . eingezahlte Beträge R Rq + R 2 Rq + Rq + R .. . k-ter Monat Aq k−1 Rq k−1 + . . . + R wo wieder q = (1 + p ). 100 Wenn nach n Monaten alles Kapital bezahlt ist, muß Aq n−1 = R(q n−1 gelten. qn − 1 + . . . + 1) = R q−1 (2.37) Kürzt man in (2.37) durch q n−1 , erhält man A = R(1 + q −1 + ... + q −(n−1) 1 − q −n )=R . 1 − q −1 Als Beispiel betrachten wir A = 2000 und n = 24 bei p = 8 %. 12 (2.38) Wir erhalten A = 22258 · R oder R = 89, 86. In dieser Zeit haben Sie 89, 86 · 24 = 2156, 53 DM gezahlt. Beispiel 2.28 Für den Bau eines Hauses haben Sie ein Darlehen von DM 250.000 aufgenommen. In 30 Jahren soll dies zurückgezahlt werden, wobei die Raten nachschüssig bezahlt werden. Welche Rate haben Sie bei p = 7, 5% jährlich (monatlich bei monatlicher Verzinsung zu zahlen)? Es gilt D = 250.000, r = 1, 075 r30 − 1 r−1 und man erhält R = 21.167, 81 oder eine Monatsbelastung von 1764,–. Bei monatlicher Verzinsung erhält man Dr30 = Rr29 + · · · + R = R 0, 075 r360 − 1 , r =1+ r−1 12 und damit R = 1.748, 04. Will man das Haus sogar erst in 100 Jahren abbezahlen, erhält man bei jährlicher Verzinsung Dr360 = R r100 − 1 r = 1, 075 r−1 und damit R = 18.763, 57 jährlich (1.563,63 monatlich). Dr100 = R 2.8 Exponential-Funktionen 71 Aufgabe 2.67 Sie verzinsen 10 Jahre ein Kapitel von DM 10.000 jährlich (monatlich) zu 6% (5%). Um wieviel günstiger ist die monatliche Verzinsung? Aufgabe 2.68 Für 30 Jahre sparen Sie monatlich DM 200,- für Ihre Altersversorgung. Über 20 Jahre lassen Sie sich das angesparte Geld dann als Rente auszahlen. Was erhalten Sie, wenn der Zinssatz 7% beträgt? Aufgabe 2.69 Sie kaufen sich ein Auto für 30.000 DM und haben 10.000 DM angespart. Wie lange müssen Sie monatlich 800 DM abzahlen, wenn der Zinssatz 6% beträgt? Aufgaben zur einfachen Verzinsung: Aufgabe 2.70 Ein Unternehmer hat 4 Darlehen ausstehen: 125 000 zu 4 1/2%, 200 000 zu 5 1/2%, 67 500 zu 6% und 160 000 zu 4%. Die Bank bietet eine Umschuldung der ganzen Summe zu 5% an. Ist das günstig? Aufgabe 2.71 Die XY Stiftung finanziert bei 5% Verzinsung 10 Stipendien à 550 Euro, 5 Doktorandenstipendien à 800 Euro sowie die Aufstockung der Biologiebibliothek zu 2 000 Euro. Was ist das Stiftungskapital? 2.8 Exponential-Funktionen (AII, Abschnitt 5) Es sei a > 0. Dann genügt die Funktion F (x) = ax DF = [0, ∞) (2.39) der Beziehung F (x + y) = ax+y = ax · ay = F (x) · F (y). (2.40) Die Umkehrung davon ist fast richtig, denn unter geringen Zusatzforderungen impliziert (2.40) auch (2.39). Die Exponentialfunktion F (x) = ax hat etwa den folgenden Verlauf: 20 a=e 15 10 a= 1 2 5 a=2 0 -3 -2 -1 0 1 2 3 72 Funktionen Sie ist also streng monoton wachsend für a > 1, und ihr Wertebereich ist WF = [0, ∞). Für 0 < a < 1 ist sie streng monoton fallend. Neben (2.40) gilt noch (ax )y = ax·y d.h. F (x)y = F (x · y). (2.41) t Beispiel 2.29 Das Gesetz des radioaktiven Zerfalls ist y(t) = y(0)2− T . Dabei ist T die Halbwertszeit. Man beachte, daß Tt dimensionslos ist. Aufgabe 2.72 Berechne 1. a1/2 · a3/4 · (a2/7 )14 2. a2/3 a−1/6 (a1/3 a−1/4 ) 3. (x1/3 x4/7 )1/3 4. (a1/5 a1/4 )2 (a−1 a1/3 )3 Aufgabe 2.73 Aus 2.40 für x, y ∈ Q leite 2.41 für x, y ∈ Q her. Logarithmen Da die Exponentialfunktion F (x) = ax streng monoton ist, gibt es eine Umkehrfunktion dazu. Diese wird mit loga x bezeichnet und Logarithmus zur Basis a genannt. Aufgrund der Definition der Umkehrfunktion haben wir also loga ax = x, x ∈ R aloga x = x bzw. (2.42) x > 0. Ferner ist Dloga x = R+ denn Wax = R+ und Wloga x = R. Wegen (2.40) und (2.41) gilt für x, y > 0 loga (x · y) = loga x + loga y; loga xy = y loga x. ′ (2.43) ′ Man sieht dies leicht, wenn man für x bzw. y ax bzw. ay in (2.40) einsetzt. Mit Hilfe der Logarithmen kann man auch leicht Exponentialfunktionen bzw. Logarithmen ineinander umrechnen. Es gilt nämlich für a, b > 0 x x log b· x (2.44) ax = a a loga b = aloga b loga b = b loga b Logarithmiert man anderseits die Beziehung x = blogb x , so erhält man loga x = logb x · loga b. (2.45) 2.8 Exponential-Funktionen 73 Aus diesen Grunde genügt es, Exponentialfunktionen bzw. Logarithmen nur für eine Basiszahl zu berechnen. Übliche Basiszahlen sind a = 10 bzw. aus mathematischen Gründen a = e = 2, 718281828 . . . = Basis des natürlichen Logarithmus. Man hat dann noch die Schreibweisen: log10 x = lgx, loge x = ln x. Den Graphen von loga (x) erhält man, wenn man den Graphen von ax an der Geraden “x = y” spiegelt. 4 a=2 3 a=e 2 1 0 -1 -2 -3 a= -4 0 2 4 6 8 10 12 14 16 1 2 18 Radioaktiver Zerfall Es bezeichne y(t) die Menge einer Substanz, die radioaktiv zerfällt. Wie wir noch sehen werden, gilt das Gesetz des radioaktiven Zerfalls t y(t) = y(0)2− T . (2.46) Dabei ist T die Halbwertszeit, d.h. die Zeit in der die Hälfte der Substanz zerfallen ist. t ist eine Stoffkonstante. In der Biologie werden radioaktive Substanzen zum einen bei der C 14 -Methode verwandt, und zum anderen spielen sie als Spursubstanzen in der Kompartimentanalyse eine Rolle. In der oberen Atmosphäre reagieren Neutronen der Höherstrahlung mit dem StickstoffIsotop 14 N und es bildet sich 14 C. Dies ist ein radioaktives Isotop mit der Halbwertzeit 5730a. Dieses C 14 reagiert zu CO2 und es gelangt so in den allgemeinen Kohlenstoffkreislauf. Da laufend 14 C nachgeliefert wird aber auch C 14 laufend zerfällt, hat sich im Laufe der Zeit ein konstantes Verhältnis der Konzentrationen [14 C]/[12 C] = C0 herausgebildet. Heute kann man dieses Verhältnis mit Hilfe von Massenspektrometern ziemlich genau bestimmen. Nimmt Kohlenstoffhaltiges Material nicht mehr am allgemeinen Kohlenstoffkreislauf teil, gilt für das Konzentrationsverhältnis [14 C] = C(t) = C0 e− ln 2·t/5730 . [12 C] 74 Funktionen Aufgabe 2.74 Libby hat die Aktivität von Kohlenstoff zu 15, 3 ± .15 Zerfälle pro Minute pro Gramm Kohlenstoff bestimmt. Was ist die Konzentration von 14 C in 12 C? Der Mensch enthält etwa 14 kg Kohlenstoff. Wie radioaktiv sind wir? Aufgabe 2.75 Tritium (überschwerer Wasserstoff) hat eine Halbwertzeit von 12.43a. Bestimme die Aktivität von 1µg Tritium. Tritium wird in Wasserstoffbomben verwandt. Wenn das Tritium zu mehr als 40% zerfallen ist, müssen diese neu gefüllt werden. Wie häufig ist das? Beispiel 2.30 Bei der Ausgrabung einer Steinzeitsiedlung werden einige Holzkohlestückchen sichergestellt. Es stellt sich heraus, daß der C 14 -Anteil in dieser Holzkohle nur 40% des üblichen Anteils beträgt. Wie alt ist die Siedlung? Da die Halbwertszeit von C 14 5750 Jahre beträgt, haben wir y(t) t = 2− 5750 y0 oder t log2 0, 4 = − 5750 oder 0, 4 = 5750 log2 2, 5 = t. Dies ergibt t = 7601 Jahre. Das Weber-Fechner-Gesetz über Sinnesempfindungen Mitte des letzten Jahrhunderts untersuchte der Anatom und Physiologe Ernst Heinrich Weber die menschliche Reaktion auf äußere Reize (Schwerkraft, Helligkeit, Lautstärke). Er stellte fest: Für jede Art Sinnesempfindung eines Reizes gibt es eine Konstante c, so daß zwei Reize R1 und R2 , R2 > R1 , nur als unterschiedliche wahrgenommen werden, wenn ihr Unterschied ∆R mindestens cR1 beträgt. Aus dieser Beobachtung leitete Fechner dann einige Jahre später ein Gesetz her. Wir wollen dieses Gesetz nun herleiten und nehmen dazu an, daß es eine diskrete Folge von Reizstufen R0 , R1 , . . . gibt. Es gilt dann ∆Ri = Ri+1 − Ri = cRi oder Ri+1 = (1 + c)Ri . Dies ergibt Ri = (1 + c)i R0 d.h. die Sinnesempfindung Si = i wird durch einen Reiz der Stärke Ri = (1 + c)i R0 ausgelöst. Durch Logarithmieren wird daraus log Ri = i log(1 + c) + log R0 . 2.8 Exponential-Funktionen 75 Lösen wir diese Gleichung nach i auf, ergibt dies i= (log Ri − log R0 ) . log(1 + c) Lassen wir in dieser Gleichung nun noch den Hilfsindex i weg und ersetzen ihn durch Sinnesstärke S und Ri durch R, Reizstärke, so erhalten wir S = a log R + b. Dies ist der Grund, warum viele Sinnesempfindungen auf einer logarithmischen Skala gemessen werden, z. B Lautstärke in db (dezibel). Aufgabe 2.76 Für eine Größe y gelte ein Potenzgesetz y = a · xb . Dann gilt für ln y ein Gesetz der Form ln y = ln a + b ln x Was werden Sie machen, um ein solches Gesetz zu überprüfen? Aufgabe 2.77 Für eine Größe y(x) gelte ein Exponentialgesetz y = bax . Welches Gesetz gilt dann für ln y? Aufgabe 2.78 Eine radioaktive Substanz nimmt pro Stunde um 1% ab. Bestimme die Halbwertszeit. Aufgabe 2.79 Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung beträgt zur Zeit etwa 2%. Wenn 1987 etwa 5 · 109 Menschen leben, wie viele werden es im Jahre 2000 bzw. 2010 sein? Wann würde die Weltbevölkerung 10 · 109 betragen? Aufgabe 2.80 Die barometrische Höhenformel h P (h) = P0 · e− 8435 0 ≤ h ≤ 5000 gibt den Luftdruck P (h) als Funktion der Höhe h (in m) über dem Meeresspiegel an. Wie groß ist der Luftdruck in Mexiko-City (h = 2200), und für welches h gilt P (h) = 43 P0 ? Wie groß ist der Luftdruck auf dem Kilimandscharo (h=5900 m)? Aufgabe 2.81 Löse 8x = 2x+3 Aufgabe 2.82 Ein Standarderdbeben der Energie E0 führt in 100 km Entfernung auf einem Standard-Seismographen zu einem Ausschlag von 10−6 m. Die Stärke R eines Bebens auf der Richterskala der Energie E ist dann durch R = log E E0 definiert. Kürzlich wurde ein Beben der Stärke 7,2 beobachtet. Wieviel stärker als E0 war es? 76 Funktionen Aufgabe 2.83 Die Lautstärke L einer Schallquelle der Intensität I wird in Dezibel gemessen. Dabei ist I L = 10 log . I0 I0 ist eine Standard-Schallquelle, die gerade noch gehört werden kann. Flüstern führt zu etwa 22 Dezibel und eine laute Unterhaltung zu 66 und laute Discomusik zu 110. Ein Walkman schafft 97-104 db und sogar bis zu 110. Bestimme die Intensitätsquotienten. Aufgabe 2.84 Das menschliche Ohr nimmt ansonsten gleiche Geräusche als verschieden wahr, wenn sie sich um mindestens 0,6 db unterscheiden. Wie groß ist der Intensitätsunterschied? Aufgabe 2.85 Der C 14 Gehalt des Grabtuches von Turin war etwa 93% des Normalgehalts. Kann dies das Grabtuch von Christus gewesen sein? Wie alt ist es tatsächlich? Aufgabe 2.86 i) In einer Woche vermehrt sich der Mehlkäfer bei 23◦ C von 1000 auf 1573. ii) Bei 33, 5◦ C beträgt die Verdoppelungszeit 40,5 d. Vergleiche die Verdoppelungszeiten. Aufgabe 2.87 Lösen Sie log2 (x − 2) + 2 log4 x = 3 Aufgabe 2.88 Der pH-Wert einer Lösung wird durch die H+Ionen-Konzentration I in Mol pro Liter durch 1 pH = log10 = − log10 I I bestimmt. Eine Lösung ist neutral, wenn der pH-Wert 7 ist. Blut hat einen pH-Wert von 7,4. Bestimme jeweils I. Aufgabe 2.89 Die Lichtempfindlichkeit von Filmen wird häufig in DIN und ASA ausgedrückt. Der Zusammenhang zwischen beiden ist durch eine Exponentialfunktion gegeben. Bestimme diese, wenn 21DIN ≈ 100ASA 31DIN ≈ 1000ASA Bestimme die ASA-Werte zu 18 DIN, 24 DIN und die DIN-Werte zu 40 ASA, 400 ASA. Aufgabe 2.90 Viele Medikamente, Arzneistoffe oder Drogen werden im Körper nach einem Exponentialgesetz abgebaut (zur Begründung siehe Abschnitt 6). Hier ist eine solche Meßreihe 2.8 Exponential-Funktionen Zeit [h] Konz. [mg/l] 1 10 3 7 5 5 77 7 3,5 9 2,5 11 2 13 1,5 15 1 17 0,7 19 0,5 Bestimme das zugehörige Gesetz und die Halbwertzeit. Welche Konzentration ergibt sich nach 10 h? Aufgabe 2.91 A-Land hat 50 Mio. Einwohner und eine Wachstumsrate von 3% pro Jahr. B-Land hat 53 Mio. Einwohner und eine Wachstumsrate von 2% pro Jahr. Wann sind die Bevölkerungen gleich groß? Aufgabe 2.92 Löse 1. ln √ 3 x + ln x2 + 7 ln x = 27 2. ln 1/(x + 1) + ln(x2 + 2x + 1) = 12 3. 13x = 5x+2 4. ln(5x + 2) − ln(x − 4) = 2 Aufgabe 2.93 Rechne ohne Zuhilfenahme eines Taschenrechners √ 3 1. 2x = 16 2. log2 128 3. log√2 4 4. log1/2 4 Aufgabe 2.94 Bestimme a) log√2 8 1 2 b) log 1 4 c) log 1 16 4 3 d) log √ 4 1 2 e) log15 3 + 21 log15 25 √ f) log 1 3 3 Aufgabe 2.95 Leite aus der Tatsache, daß 210 = 1.024 ≈ 103 , den ungefähren Wert von log10 2 her. Wie könnte man diesen Ausdruck verbessern? Aufgabe 2.96 Vereinfachen Sie die Ausdrücke oder werten Sie sie aus. a) b) c) 2 √ 2 1 √ 6 5 −√2 3√5 √ e √ e 3 3 3 9 d) log3 27 78 Funktionen e) log√7 343 f) log 1 √ 3 7 7 g) log10 0, 00001 h) log27 243 i) log √1 8 2 Aufgabe 2.97 Lösen Sie 25x = 5x+2 . Aufgabe 2.98 Lösen Sie (3x )x+1 = 32x+2 . Aufgabe 2.99 Lösen Sie logx2 64 = 3. Aufgabe 2.100 Zeigen Sie, daß ln(x + 2.9 √ x2 − 1) = −ln(x − √ x2 − 1). Graphische Methoden Bisher haben wir stets vorgegebene Funktionen auf ihre Eigenschaften und Anwendbarkeit in der Biologie untersucht. Dabei waren wir davon ausgegangen, daß ein Naturgesetz oder eine Gesetzmäßigkeit bereits vorlag. Die Praxis des Naturwissenschaftlers ist es, eine Reihe von vorgegebenen Daten zu beschreiben. Dies kann nach zwei Gesichtspunkten, die in vielem übereinstimmen, geschehen. i) Finde ein Gesetz, das die Daten beschreibt. ii) Überprüfe, ob ein aus einem Modell abgeleitetes Gesetz die Daten beschreibt, und bestimme, falls erforderlich, die dafür notwendigen Parameter. Zur Vereinfachung wollen wir nur den Fall einer unabhängigen Veränderlichen und einer abhängigen Veränderlichen betrachten. Als unabhängige Veränderliche kommen Größen wie die Zeit oder äußere Parameter wie Druck, Temperatur, Substratkonzentration, pH-Wert etc. in Frage. Diese Größen sind in der Regel genau festzulegen. Die abhängige Größe kann dabei häufig auch noch vom Zufall abhängen. Diese Effekte sollen jedoch erst im Teil Statistik untersucht werden. Nehmen wir nun an, die Daten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) seien gemessen worden. Dabei soll x die unabhängige und y die abhängige Variable bezeichnen. Hat man noch keinen gesetzmäßigen Zusammenhang, sollte man die Daten in einem Streudiagramm darstellen. Dieses ist die Darstellung der Datenpunkte (xi , yi ), i = 2.9 Graphische Methoden 79 1, . . . , n, in einem x − y-Koordinatensystem. y y y I II III IV x x x Streudiagramme haben den Vorteil, daß der optische Eindruck leichter zu Vermutungen führt oder Gesetzmäßigkeiten nahelegt. Beispiele für Streudiagramme sind obenstehend gegeben. Während (I) darauf hinweist, daß kein gesetzmäßiger Zusammenhang besteht, weist (II) auf eine lineare Abhängigkeit hin. Im Fall (II) wird man also den Ansatz y = ax + b machen. In (III) und (IV) gibt es monotone Abhängigkeiten zwischen y und x. Diese lassen sich z.B. durch Potenzgesetze oder Exponentialfunktionen beschreiben. Ziel bei solcher Untersuchung ist es also, eine Funktion f zu finden, die die Daten möglichst gut approximiert. Möglichst gut bedeutet dabei, daß die Abweichung möglichst gering ist. Für die Abweichung oder den Fehler wählt man üblicherweise Q(f ) = n X i=1 (f (xi ) − yi )2 (2.47) d.h. Q(f ) ist die Summe der Abweichungsquadrate des theoretischen Ergebnisses f (xi ) vom tatsächlichen Ergebnis yi . Andere Möglichkeiten für die Abweichung sind z.B. n P |f (xi ) − yi | i=1 n P i=1 (f (xi ) − yi )2 wi Dabei sind die wi > 0 Gewichtsfaktoren, die die Präzision der jeweiligen Messung beschreiben. Unsere Aufgabe lautet nun also: Bestimme ein f , für das Q(f ) möglichst gering ist. Auch damit ist unser Problem immer noch nicht hinreichend umrissen, denn es gilt: Zu n Punkten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) mit xi 6= xj für i 6= j gibt es genau ein Polynom P (x) = a0 + a1 x + . . . + an−1 xn−1 mit P (xi ) = yi . Dies bedeutet, daß man üblicherweise die Daten exakt (d. h., es gilt Q(f ) = 0) durch ein Polynom beschreiben kann. Der Preis für diese “exakte” Beschreibung sind n Parameter - für n Daten -, die darüber hinaus noch innerhalb der Theorie schwer interpretierbar sind. 80 Funktionen Das Ziel muß es also sein, zur Beschreibung nur möglichst einfache Funktionen zuzulassen, d. h.: i) Diese Funktionen hängen nur von wenigen Parametern ab. ii) Die Parameter sind biologisch bedeutsam und erlauben eine vernünftige Interpretation. iii) Die Funktionenklasse ist für den Problemkreis angemessen. Mit diesen allgemeinen Überlegungen lautet unser Problem: Bestimme ein einfaches f , für das Q(f ) minimal wird. Generell gibt es jedoch kein Standardverfahren, um den Konflikt zwischen Genauigkeit der Darstellung und Einfachheit von f zu lösen. Lineare Regression Diese Überlegungen wollen wir für den Fall des Streudiagramms (II) im einzelnen durchführen. Aufgrund unseres Eindrucks war der Ansatz f (x) = ax + b hier vernünftig. Offensichtlich ist der Funktionstyp auch einfach. Wir bilden nun Q(f ) = Q(a, b) = n X i=1 (axi + b − yi )2 (2.48) und müssen a und b so wählen, daß Q minimal wird. Wie wir noch sehen werden, führt dies auf die Gleichungen n X ∂Q =0=2 (axi + b − yi )xi ∂a i=1 n X ∂Q =0=2 (axi + b − yi ) ∂b i=1 P P Ihre Lösung ist (mit x = n1 xi , y = n1 yi ) P P P xi yi − nx y xi yi − y xi P = P 2 , a= P 2 xi − x xi xi − nx x b = y − ax. (2.49) (2.50) Als Maß für die Genauigkeit der Darstellung wird auch noch gelegentlich bei linearen Beziehungen der Korrelationskoeffizient P (xi − x)(yi − y) (2.51) r= P 1 P ( (xi − x)2 (yi − y)2 ) 2 verwandt. 2.9 Graphische Methoden 81 Nichtlineare Regression Die Überlegungen, die für die lineare Regression gelten, lassen sich unmittelbar auch für die nichtlineare Regression anwenden. In diesem Fall wird das gesucht Gesetz durch eine Funktion f beschrieben, die noch von mehreren Parametern a1 , a2 , . . . , ak abhängt. Bei der linearen Regression waren dies a und b. Das Ziel ist es dann, diese Parameter so zu wählen, daß Q(f ) = Q(a1 , . . . , ak ) = n X i=1 (f (xi , a1 , . . . , ak ) − yi )2 (2.52) minimal wird. Wie oben führt dies auf ∂Q = 0 i = 1, . . . , k ∂ai (2.53) In Fällen, wo man (2.53) nur schwer explizit lösen kann, ist es häufig möglich, Q numerisch zu minimieren. Für den Fall etwa, wo f ein Polynom ist, kann man fertige Programmpakete zur polynomialen Regression verwenden. Auch für den Fall, in dem f als eine Summe von Exponentialfunktionen dargestellt wird, kann man bekannte Verfahren verwenden. Spezialfälle der nichtlinearen Regression Einige Fälle der nichtlinearen Regression kann man auf die lineare Regression zurückführen. Nehmen wir z.B. an, wir vermuten ein Gesetz der Form y = axb x > 0. (2.54) Eine solche Situation könnte etwa bei den Streudiagrammen (III) bzw. (IV) vorliegen. Dann führt (2.54) unmittelbar zu ln y = ln a + b ln x (2.55) d. h., zwischen ln y und ln x besteht eine lineare Beziehung. In diesem Fall sollte man in einem Streudiagramm (ln xi , ln yi ) abtragen. Noch direkter kann man sog. Doppel-Logarithmuspapier verwenden, dabei sind die Skalen in beiden Richtungen logarithmisch abgetragen. In beiden Fällen müßten die Datenpunkte annähernd auf einer Geraden liegen, wenn (2.54) gilt. Hat man sich so durch Augenschein davon überzeugt, daß (2.54) sinnvoll ist, kann man die Methode der linearen Regression auf die modifizierten Daten (ln xi , ln yi ) i = 1, . . . , n anwenden. Es sollte jedoch klar sein, daß dieses Verfahren nicht identisch ist mit dem oben beschriebenen Verfahren der linearen Regression, weil hier eine nichtlineare Transformation dazwischen geschaltet ist. Beispiel 2.31 Gruppen von Fruchtfliegen wurden bei verschiedener Dichte = Fliegen pro cm2 gehalten, und die durchschnittliche Anzahl der gelegten Eier pro Weibchen und pro Tag wurde notiert. 82 Funktionen 30 • 28 26 24 • 22 20 • 18 • 16 • 14 0 10 20 30 40 50 60 70 80 3.5 3.4 3.3 • 3.2 • 3.1 3 • 2.9 • 2.8 2.7 • 2.6 2 2.5 3 Dichte D Anzahl der Eier N 3.5 5 28,7 10 22,6 4 20 19,5 4.5 40 17,2 80 14,2 Das Ergebnis der Form N = aDb wird vermutet. Wir bilden daher ln D ln N und erhalten P ln Di ln Ni P (ln Di )2 b=− 1,6094 3,3569 2,3026 3,11795 2,9957 2,9704 P = 43, 60129 P = 49, 676261 1, 164802 = −0, 24244 4, 8045694 3,6889 2,8449 und 4,3820 2,6532 ln Di = 14, 9786 ln Ni = 14, 94335 ln a = 3, 714952 2.9 Graphische Methoden 83 Zum Vergleich notieren wir nun noch die theoretischen Ergebnisse D Nth 5 27,79 10 23,4932 20 19,8592 40 16,78725 80 14,1905 Wendet man direkt die nichtlineare Regression an, erhält man a = 41, 0994, b = −0, 2429, Q = 1, 91233 während der Q-Wert für die logarithmisch lineare Regression 1,92124 beträgt. Der Unterschied ist sicher nicht bedeutsam, macht aber deutlich, daß zwischen beiden Methoden ein Unterschied besteht. Die theoretischen Werte für das nichtlineare Regressionsverfahren sind übrigens D Nth 5 27,7942 10 23,4872 20 19,8476 40 16,7720 80 14,173 Eine Vielzahl von solchen Log-Log-Darstellungen findet man in dem schönen Buch “Physiologie der Tiere” von K. Schmidt-Nielsen. Beispiel 2.32 Für die Oberfläche O (in cm2 ) einer bestimmten Tierart werden die folgenden Werte als Funktion der Länge L (in cm) und der Masse M (in kg) angegeben. O L M Oth 1140 21,9 2,82 1138,6 969 14,0 2,28 952,3 2020 31,6 6,51 2005,3 1810 24,5 5,82 1821,7 1870 22,7 6,17 1876,2 Gefragt ist, ob das Gesetz O = aLb M (2−b) 3 zur Beschreibung dieser Daten taugt. Es liegt nahe, wieder eine logarithmische Skala anzuwenden, denn (2 − b) ln M lnO = ln a + b lnL + 3 2 1 = ln a + ln M + b(ln L − ln M ) 3 3 ln O − 23 ln M ln L − 13 ln M 6,3476 6,3175 6,3620 6,3269 6,3206 2,7409 2,3643 2,8287 2,6116 2,5158 84 Funktionen 6.38 3 6.37 6.36 6.35 6.34 6.33 3 6.32 3 3 6.31 6.3 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 Man erhält b = 0, 098361 und ln a = 6, 077325 bzw. a = 435, 86. Vergleicht man die damit bestimmten theoretischen Werte, so stellt man eine sehr gute Übereinstimmung fest. Außer (2.54) kann man auch die Situation, in der ein Gesetz der Form y = aebx (2.56) vermutet wird, auf die lineare Regression zurückführen, denn es gilt ln y = ln a + bx. (2.57) Bei der Prüfung, ob (2.56) vorliegt, sollte man in einem Streudiagramm also (xi , lnyi ), i = 1, . . . , n, abtragen. Die Datenpunkte müßten dann annähernd auf einer Geraden liegen. Alternativ könnte man direkt Einfachlogarithmuspapier - hier ist eine Koordinatenachse logarithmisch eingetragen - verwenden. Dieses Verfahren ist auch noch anwendbar, wenn y = a1 e b 1 x + . . . + a k e b k x b1 < b2 < . . . < bk (2.58) gilt. Solche Ausdrücke treten insbesondere im Zusammenhang mit biologischen kKompartiment-Modellen auf. Dabei gewinnt man zunächst bk , ak und wendet das gleiche Verfahren dann auf y − ak ebk x an (exponential peeling). Hat man die Daten durch eine geeignete Funktion f beschrieben, ist natürlich noch nicht sicher, ob das wahre Naturgesetz durch f gegeben ist; eine andere Funktion könnte ja noch besser passen. Man sollte daher die Funktion f in das Streudiagramm eintragen und die Abweichungen von f studieren. Diese setzen sich aus den systematischen Abweichungen (falsches f ) und zufälligen Abweichungen zusammen. So ist z.B. klar, daß die Daten in III und IV wohl kaum durch eine lineare Beziehung zu beschreiben sind. Auch im letzten Beispiel scheint eine systematische Abweichung vorzuliegen. 2.9 Graphische Methoden 85 Aufgabe 2.101 Ein Hühnerei wurde 3 Tage bei 37◦ inkubiert. Anschließend wurde innerhalb von 40 Minuten die Temperatur gesenkt und die Anzahl der Herzschläge pro Minute gemessen Temp. N 36,6 154 35 133 33,9 110 32,4 84 31,8 83 31,8 82 30,4 75 24,7 38 24,2 36 Überprüfen Sie ein Exponentialgesetz der Form N = N0 e−b(37−T ) Aufgabe 2.102 a) Die Weltrekorde im Gewichtheben sind (1976) Klasse Fliegengew. Bantamgew. Federgew. Leichtgew. Mittelgew. Leichtes Schwergew. Mittelschwergew. Schwergew. G (kg) 52 56 60 67,5 75 82,5 90 110 Reißen (kg) 105 117,5 125 135 145 162,5 170 175 Stoßen (kg) 137,5 145 160 172,5 190 202,5 212,5 225 Überprüfen Sie eine Beziehung der Form G = A · Mb b) Argumentieren Sie, daß b ≈ 32 bzw. 0,75 sein sollte, indem Sie geometrische Skalierung oder Kleibers Gesetz voraussetzen. Aufgabe 2.103 Sie sollen ein Gesetz der Form a) y = Cx bzw. b) y = cx2 überprüfen. Bestimmen Sie die Regressionsbeziehungen für C. Aufgabe 2.104 Für die Photosyntheserate y als Funktion der Lichtintensität wird eine Beziehung der Form y= 1 1 b bzw. = a + (a + b/x) y x vermutet. In welcher Darstellung sollten Sie diese Beziehung überprüfen? Bestimmen Sie a und b für die Daten x y 0,200 0,136 0,400 0,176 0,600 0,190 0,800 0,202 1,000 0,205 1,200 0,211 1,400 0,216 1,600 0,217 1,800 0,218 2,000 0,221 Aufgabe 2.105 Drogen und Betäubungsmittel werden häufig nach einem Exponentialgesetz ausgeschieden. Die folgenden Daten geben die verbleibende Restmenge y (mg) als Funktion der Zeit t(h): 86 t y Funktionen 0 175 1 141 2 120 3 96 4 80 5 67 6 54 Aufgabe 2.106 In der einfachsten Theorie zur Enzymkinetik erhält man die sog. Vs Michaelis-Menten-Gleichung v = , die die Produktionsrate v des Endpros+K duktes mit der Substratkonzentration s in Beziehung setzt. Dabei sind V und K positive Konstanten. Wie kann man aus Messungen (s1 , v1 ), . . . , (sn , vn ) K und V bestimmen? und 1s .) 1 v (Hinweis: Vergleiche Aufgabe 2.107 Für die Winkerkrabben wurde die folgende Beziehung zwischen Gewicht der Schere, y, und Gewicht des Körpers ohne Schere, x, gefunden. Formulieren Sie ein geeignetes Gesetz. x y 58 5 300 78 536 196 1080 537 1449 773 2233 1380 Aufgabe 2.108 Sie haben die folgenden Daten gemessen: x y 1 464 2 489 3 497 4 506 5 526 6 531 Bestimmen Sie ein geeignetes Gesetz. Aufgabe 2.109 Die Löslichkeit eines Stoffes in Wasser als Funktion der Temperatur wurde untersucht. Man fand: Menge Temperatur 76 5 80 15 90 25 100 35 105 45 115 55 124 75 Finden Sie ein geeignetes Gesetz. Aufgabe 2.110 Um ein Insektenvertilgungsmittel zu testen, wurde die Mortalität nach einer Einwirkungszeit von 30 Minuten in % als Funktion der Konzentration in µg gemessen. Finden Sie ein geeignetes Gesetz. l Konz. Mortal. 1 25 1,5 40 2 65 2,5 75 3 84 3,5 90 4 95 5 98 Aufgabe 2.111 Nach Zugabe einer Droge X wurden die folgenden Konzentrationen K im Blut einer Ratte als Funktion der Zeit gemessen. Zeit K .1 .97 .3 .90 .6 .83 .8 .77 1.4 .69 1.6 .60 2.3 .48 3.0 .41 3.5 .34 4.2 .32 4.8 .24 5.3 .19 5.9 .17 Was tun? Aufgabe 2.112 Um die Wirksamkeit eines antibakteriellen Mittels zu testen, wurde eine Bakterienkolonie damit versetzt und die Anzahl der verbleibenden Tiere bestimmt. 2.9 Graphische Methoden Zeit t (Min.) Anzahl 0 2 · 107 87 10 1, 5 · 106 15 6 · 105 Finden Sie ein angemessenes Gesetz. 20 1, 3 · 105 25 4 · 104 30 8 · 103 Aufgabe 2.113 Nach anstrengender Arbeit wird das Laktat des Muskels in zwei Kompartimenten abgebaut (Freund, Gendry 1978). Man erwartet also einen Blutkonzentrationsverlauf wie C(t) = Ae−k1 t + Be−k2 t . Wie kann man die Koeffizienten A, B, k1 und k2 bestimmen, wenn k1 ≫ k2 ? Aufgabe 2.114 Nachstehend einige Ergebnisse zu Masse M , Länge L und Oberfläche A bei einigen Tieren. Beschreiben Sie die Daten angemessen durch ein Gesetz der Form A = kM a Lb . M (kg) L (cm) A (cm2 ) 2.82 21.9 1140 2.28 14.0 960 6.51 31.6 2020 5.82 24.5 1810 6.17 22.7 1870 Aufgabe 2.115 T. Carlson (“Über die Geschwindigkeit und Größe der Hefevermehrung in Würze”, Biochem. Z. 57 (1913), p. 313-334) fand die folgenden Daten über das Wachstum von Hefe (M ) als Funktion der Zeit t (Stunden). t 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Menge 9.6 18.3 29.0 47.2 71.1 119.1 174.6 257.3 350.7 441.0 513.3 t 11 12 13 14 15 16 17 18 ∞ Menge 559.7 594.8 629.4 640.8 651.1 655.9 659.6 661.8 665 Stellen Sie die Daten geeignet dar, und beschreiben Sie das Wachstum. Aufgabe 2.116 Für die Konzentration C(t) (mg/l) eines Stoffes als Funktion der Zeit t (Tage) fand man: 88 t (Tage) 0.25 0.5 1.0 2.0 3 4 Funktionen C 0.825 0.692 0.509 0.322 0.236 0.185 t 5 6 8 10 12 14 C 0.148 0.120 0.081 0.054 0.036 0.024 Stellen Sie die Daten geeignet dar, und beschreiben Sie diese durch ein Gesetz der Form Ae−k1 t + Be−k2 t . Aufgabe 2.117 Für den Sauerstoffverbrauch bei Säugetieren fand man die folgenden Daten (K. Schmidt-Nielsen: “Physiologie der Tiere”): Körpermasse gesamter O2 -Verbrauch O2 -Verbrauch pro Kilogramm Tier Mb (kg) VO2 (Liter O2 h−1 ) VO2 /Mb (Liter O2 kg−1 h−1 ) Spitzmaus Zwergmaus Austr. Hüpfmaus Maus Erdhörnchen Ratte Katze Hund Schaf Mensch Pferd Elefant 0,0048 0,0090 0,015 0,025 0,096 0,290 2,5 11,7 42,7 70 650 3833 0,0355 0,0225 0,0273 0,041 0,09 0,25 1,70 3,87 9,59 14,76 71,70 268,00 7,40 2,50 1,80 1,65 0,93 0,87 0,68 0,33 0,22 0,21 0,11 0,07 Stellen Sie diese geeignet dar, und beschreiben Sie das Ergebnis durch eine geeignete Funktion. 89 Kapitel 3 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit 3.1 Folgen Schwann, Math. 11. Schuljahr §3,4, Schroedel, Schöningh Mathematik heute 10, Breidenbach, Mathematik 10. Schuljahr Eine reelle Zahlenfolge ist eine Abbildung a : N → R. Wir schreiben dafür (an )n∈N oder auch a1 , a2 , a3 , . . . Manchmal beginnt eine Numerierung nicht bei 1, wie etwa a−2 , a−1 , a0 , . . . bzw (an )∞ n=−2 . Wenn eine reelle Zahlenfolge vorgegeben ist, so möchte man häufig wissen, ob es Regelmäßigkeiten gibt. Dazu zählen etwa Beschränktheit, Periodizität oder besondere Bildungsgesetze. Dazu gehören auch asymptotische Eigenschaften wie Konvergenz oder Häufungspunkte. Wenn nämlich (an ) eine Population zum Zeitpunkt n beschreibt, so möchte man wissen, was langfristig mit dieser Population passiert. Beispiel 3.1 i) 1 = an n ii) an = an , a ∈ R n2 − 1 iii) 3 = an n +1 n = an 2n √ v) n n! = an iv) vi) sin n = an “Unendliche Summen” oder unendliche Reihen fassen. Für uns soll stets ∞ P i=1 ∞ P bi kann man auch als Folgen auf- i=1 bi die Folge der Partialsummen ( n P i=1 bi ) bezeichnen. Sie spielen in der Mathematik eine große Rolle, um bestimmte Größen wie π, e usw. zu berechnen. 90 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Neben der expliziten Darstellung (Beispiel 3.1) können Zahlenfolgen auch rekursiv definiert werden. Dabei wird das Anfangsglied a0 gegeben und die nachfolgenden Terme werden rekursiv durch die vorangegangenen Glieder bestimmt. Im einfachsten Fall hat ein solches Rekursivschema die Form a0 gegeben, Beispiel 3.2 an+1 = f (n, an ) (3.1) i) a1 = 1, an+1 = an + (2n + 1) also, a2 = 4, a3 = 9, a4 = 16, . . . Die explizite Form in diesem Fall ist offensichtlich an = n2 . n . Dann gilt n+1 1 1 1 1 a2 = , a3 = , a4 = , . . . , a n = . 2 3 4 n ii) a1 = 1, an+1 = an · Im allgemeinen ist es ziemlich schwer, aus rekursiven Darstellungen explizite Darstellungen zu gewinnen. Bei linearen Beziehungen ist dies allgemein möglich. Wir wollen hier aber nur die einfachsten Fälle dazu behandeln. a0 fest, an+1 = aan + b a 6= 0. (3.2) Eine solche Beziehung hatten wir schon bei der Ratenzahlung gesehen. Wir erhalten a1 = a · a0 + b, a2 = a2 a0 + ab + b, . . . an = an · a0 + b + ab + . . . + an−1 b oder an = an a0 + b 1 − an . 1−a (3.3) Fibonacci Folge Bei einem Gedankenexperiment zur Vermehrung von Kanninchen kam der Kaufmann und Mathematiker Leonardo di Pisa (1180–1250) (Fibonacci) auf die rekursive Folge an+2 = an+1 + an a0 = a1 = 1. Um ein Bildungsgesetz für Folgen des Typs an+2 = aan+1 + ban + c (3.4) herzuleiten, bestimmt man das charakteristische Polynom dazu r2 = ar + b. Sind dann r1 und r2 Lösungen dieser Gleichung, so ist c an = Ar1n + Br2n + 1−a−b (3.5) eine Lösung der Gleichung (3.4), wenn a + b 6= 1. Dabei sind A und B beliebig. Man überprüft dies leicht durch Einsetzen Ar1n+2 +Br2n+2 + c ac bc = aAr1n+1 +Bar2n+1 + +bAr1n +bBr2n + . 1−a−b 1−a−b 1−a−b 3.1 Folgen 91 Hierbei heben sich die verschieden unterstrichenen Terme jeweils weg. Bemerkung: Die Formel (3.5) bleibt auch richtig, wenn r1 und r2 komplex sind. Für die Fibonacci Folge erhält man gerade rn+1 = rn + rn−1 oder r2 = r + 1. Diese Gleichung hat die beiden Lösungen r √ 1 5 1 r± = ± = (1 ± 5) 2 4 2 (3.6) und man kann allgemein n n an = A+ r+ + A− r− (3.7) schreiben. Für n = 0, 1 muß gelten 1 = A+ + A− 1 = A+ r+ + A− r− 1 1 A± = (1 ± √ ) 2 5 Man kann nun allgemein zeigen, daß an aus (3.7) mit diesem A+ und A− die genaue Lösung unseres Problem ist. Allgemeinere Gleichungen dieses Typs kann man nach dem gleichen Verfahren lösen (siehe etwa S. Goldberg, Differenzengleichungen). In der angewandten Mathematik und auch in der Biologie spielen die rekursiv definierten Folgen eine große Rolle. Das nächste Beispiel ist typisch für Populationsmodelle der Biologie. Diskretes logistisches Wachstum Es bezeichne an die Größe einer Population zur Zeit n sowie g die Geburtsrate und s die Sterberate. Dann gilt im einfachsten Fall an+1 − an = (g − s)an oder an+1 = aan a = (1 + g + s). (3.8) Die Lösung davon ist an = an a0 . (3.9) Die Lösung (3.9) ist aber nur bedingt richtig, denn bei großen Populationsdichten führt der intraspezifische Wettbewerb zu einer Zunahme der Sterberate. Im einfachsten Fall ist diese Änderung linear in der Populationszahl. Wir haben also an+1 − an = (g − s)an − ba2n , b ≥ 0. 92 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Mit r = (g − s) und K = r b gibt dies an+1 − an = ran (1 − an ). K (3.10) 2 Um (3.10) zu vereinfachen, schreibt man an+1 = (r + 1)an − r aKn . Mit xn = b = r + 1 gibt dies schließlich xn+1 = bxn (1 − xn ). r a , (r+1)K n (3.11) Wir nennen diese Beziehung das diskrete logistische Wachstumsgesetz. K wird dabei die Trägerkapazität des Systems genannt, denn wenn an K überschreitet, nimmt die Population ab. Beispiel 3.3 r = 2, K = 1000, a0 = 100 a1 280 a2 a3 683, 2 1116, 1 a20 a30 925, 2 937, 7 a40 945, 4 a4 857 a5 1102, 1 a6 877 a41 1048, 6 a100 964, 7 a101 1032, 8 a7 a8 a9 ... 1092, 7 890, 1 1085, 8 Die Frage ist hierbei, wie sich die an für sehr große n verhalten. In der theoretischen Biologie werden solche Rekursionsgesetze der Form xn+1 = f (xn ) gerne zur Beschreibung von Insekten- oder Tierpopulationen ohne Generationsüberschneidung verwandt. 1976 haben Hasse, Lawton und May eine große Zahl experimenteller Daten zum Wachstum von Insektenproblemen durch eine nichtlineare Beziehung der Form an+1 = λan β (1 + αan−k ) (3.12) beschrieben. Dabei wurden die Parameter λ und β entsprechend angepaßt. Etwas allgemeiner hat Clark (J. of Math. Biology 3, 1976) Bartenwalpopulationen durch eine Beziehung der Form an+1 = λan + F (an−k ) (3.13) beschrieben. Dabei ist λ die durchschnittliche Überlebenswahrscheinlichkeit für einen Wal für ein Jahr und k gibt die Anzahl von Jahren bis zur Geschlechtsreife an. F beschreibt dann die Anzahl der Nachkommen als Funktion der Populationsdichte. R. May (Nature 261 (1976)) hat eine Reihe solcher Gesetze auf chaotisches Verhalten untersucht. Hoppensteadt und Keller (Science 1976) sowie der Verfasser (J. Math. Biol. 2000) haben solche Modelle benutzt, um das periodische Auftreten der magischen Zikaden zu beschreiben. Aufgabe 3.1 Es sei a1 = 1 und an+1 = an + (n + 1)2 . Bestimme eine explizite Formel für an . 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 93 Aufgabe 3.2 Bestimmen Sie die ersten 20 Terme aus dem logistischen Beispiel mit r = 1, 5, a0 = 100 und K = 1000. Wie verhalten sich die an für große n? Aufgabe 3.3 Es sei an = 1, 4 und an+1 = 21 (an + 1 ). an Bestimmen Sie a2 , . . . , a10 . Aufgabe 3.4 Zeigen Sie, daß die an in (3.7) die Fibonacci Differenzengleichung erfüllen. 3.2 Konvergente Folgen und Reihen (Schwann, 11. Schuljahr §4) Eine Folge (an ) heißt konvergent, wenn es ein a ∈ R gibt, dem die Folgenglieder immer mehr zustreben, d. h. wenn |an − a| für große n immer kleiner wird. Mathematisch präzisiert wird dies durch die folgende Definition festgelegt. Definition: Eine Folge (an ) konvergiert, wenn es ein a ∈ R gibt, so daß für jedes ε > 0 ein n0 = n0 (ε) existiert mit |an − a| < ε für alle n ≥ n0 . In diesem Fall sagt man auch an konvergiert gegen a und schreibt an → a bzw. a = lim an . Eine Folge, die nicht konvergiert, nennt man auch divergent. Eine Folge (an ) heißt Nullfolge, wenn sie gegen 0 konvergiert, d.h. wenn |an | immer kleiner wird. Beispiele für Nullfolgen: b) an = 1/(n + 1)α d) an = ln n/n a) an = 1/n √ √ c) an = n + 1 − n α>0 Um zu überprüfen, ob eine Nullfolge vorliegt, sollte man einfach (an ) für einige große Zahlen n bestimmen. Dann bekommt man schon meist eine Idee. Für Nullfolgen gilt: (an ), (bn ) Nullfolge ⇒ (Aan + Bbn ) ist Nullfolge (an ) Nullfolge, (bn ) beschränkt ⇒ (an · bn ) Nullfolge Um Konvergenz zu verstehen, genügt es ein Gefühl für Nullfolgen zu haben, denn es gilt (an ) konvergiert gegen a genau wenn (an − a) eine Nullfolge ist. Bei Populationsmodellen spielt Konvergenz insoweit eine Rolle, als man meist erwartet, daß Populationen sich einem stabilen Gleichgewichtswert - wie beim logistischen Modell - nähern. Beobachtet werden aber auch periodisches oder sogar chaotisches Verhalten. In der Definition von Konvergenz hängt das n0 in der Regel von dem gewählten ε ab, das den Fehler bei der Annäherung an den Grenzwert angibt. Es sei (bn ) eine Folge. Dann kann man die Summenfolge sn = b1 + b2 + . . . + bn ∞ P bilden. Falls (sn ) konvergiert, lim sn = s, so sagt man bi konvergiert. In diesem Fall schreibt man auch ∞ P 1 1 bi = s. Falls (sn ) divergiert, so sagt man P bi divergiere. 94 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Beispiel 3.4 Wählen wir etwa ε = i) an = 1 1 bzw. ε = so ergibt sich für 1000 1000000 n , n+1 a = 1, n0 = 1000 bzw. n0 = 1000000 √ ii) Das Beispiel an = n n ist etwas schwieriger. Zunächst gilt 1 ≤ an . Ferner zeigt man mit Hilfe der Binomischen Formel n 2 für alle n. n≤ 1+ √ n √ Dies gibt sofort 1 ≤ n n ≤ 1 + √2n oder n0 = 4 · 106 bzw. n0 = 4 · 1012 . Diese n0 sind aber nicht optimal, denn etwas genauer gilt √ ln n 1 n + n≈1+ n 2 ln n n 2 = f (n). z. B. haben wir f (10)10 = 9, 83 100 f (100) = 99, 843 1000 f (1000) = 999, 946 Beispiel 3.5 Die harmonische Reihe ∞ P n=1 1 n ist divergent, denn 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + + + ... + + + + . . . + n−1 + n−1 + ... + n 2 3 4 5 6 8 9 16 2 2 +1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ≥ 1 + + + + + ... + + + . . . + m−1 + n + . . . + n 2 4 4 8 8 16 2 2 2 1 1 1 1 1 1 = 1 + + + + + ... + + 2 2 2 2 2 2 n =1+ . 2 1+ Eigenschaften konvergenter Folgen 1. Eine konvergente Folge hat genau einen Grenzwert. 2. Eine konvergente Folge ist beschränkt. 3. an → a, bn → b ⇒ can + dbn → ca + db, an · bn → a b. 4. an → a, bn → b ⇒ an bn → ab , wenn bn , b 6= 0. Eine Folge (an ) heißt monoton wachsend, wenn an ≤ an+1 für alle n. Entsprechend definiert man monoton fallende Folgen. Es gilt nun 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 95 5. Eine monoton wachsende Folge, die nach oben beschränkt ist, konvergiert. Dies hat eine wichtige Konsequenz. ∞ P bi mit bi ≥ 0 konvergiert genau dann, wenn die Folge der PartialsumEine Reihe i=1 men beschränkt ist. Der Vorteil bei der letzten Aussage besteht darin, daß der Grenzwert nicht bekannt zu sein braucht. Beispiel 3.6 Es sei an = 3n3 +7n−8 . 4n3 −6n2 +4n−1 Wir kürzen hier durch n3 und erhalten 3 + n72 − n83 3 an = 6 4 1 → , 4 4 − n + n2 − n3 wenn man (4) anwendet, da 7 , 8, 6 n2 n3 n → 0. Es ist nicht immer einfach, den Grenzwert zu bestimmen. Als einfacher Test bietet sich an, a100 , a1000 oder so explizit mit dem Taschenrechner auszurechnen. Meist bekommt man so eine ungefähre Idee, was der Grenzwert wohl sein könnte. P 1 1 1 1 Beispiel 3.7 Die Reihe ∞ n=1 n2 = 1 + 4 + 9 + 16 + . . . konvergiert. Betrachten wir die Partialsumme 1 1 1 1 1 1 1 1 + + + ... + 2 ≤ 1 + + + + ... + 4 9 n 1·2 2·3 3·4 (n − 1)n 1 1 1 1 1 1 1 1 = 1+ 1− + + + ... + = 1+1− ≤ 2. − − − 2 2 3 3 4 n−1 n n P π2 1 Der Grenzwert der Reihe ∞ n=1 n2 ist übrigens 6 , wie Euler 1734 zeigte. Beispiel 3.8 Für |a| < 1 gilt an → 0 und für |a| > 1 gilt |a|n → ∞. Beweis: Sei |a| = 1 + s > 1. Dann gilt |a|n = ! (1 + s)n = 1 + ns + . . . ≥ 1 + ns → ∞. n 1 1 n Wenn |a| < 1 so ist → 0. > 1. Also |a| = 1 |a| |a| Das nachstehende Beispiel ist von großer Wichtigkeit und taucht in Anwendungen immer wieder auf. Beispiel 3.9 Geometrische Reihe Es sei |a| < 1. Dann haben wir 1 + a + a2 + . . . + a n = n X ai = i=0 Also gilt ∞ X n=0 ban = b 1 1−a 1 − an+1 1 → . 1−a 1−a |a| < 1. (3.14) 96 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Beispiel 3.10 Es gilt ∞ X n=1 denn 1 =1 n(n + 1) n X 1 k(k + 1) k=1 n X 1 1 − = k k+1 k=1 1 1 1 1 1 1 1 = 1− + − + − + ... + − 2 2 3 3 4 n n+1 1 =1− . n+1 Das folgende Beispiel ist recht kompliziert und kann beim ersten Lesen übersprungen werden. Beispiel 3.11 Sei x ≥ 0 und an (x) = (1 + nx )n . Dann ist an monoton wachsend, konvergent und an (x) → ex . (3.15) Um dieses einzusehen, berechne an (x) mit Hilfe der Binomischen Formel. Es gilt dann k n+1 n n+1 x n X n x k X n + 1 x x 1+ = 1+ = ≤ n n n+1 n+1 k k k=0 k=0 jedenfalls, wenn k k n+1 1 n 1 ≤ . n n+1 k k Schreibt man diesen Ausdruck aus als (n + 1)n . . . (n − k + 2) n(n − 1) . . . (n − k + 1) ≤ nn . . . nk! (n + 1)(n + 1) . . . (n + 1)k! oder 1 k−1 1 k−1 ) . . . (1 − ) ≤ 1 · (1 − ) . . . (1 − ) n n n+1 n+1 so ist die Behauptung unmittelbar klar. Um zu zeigen, daß an (x) konvergiert braucht man nur die Beschränktheit zu zeigen. Da (1 + nx )n ≤ (1 + ny )n falls x ≤ y, genügt es, dafür x ∈ N anzunehmen. Nun ist aber (1 + nx )n ≤ ((1 + n1 )x )n = ((1 + n1 )n )x d.h. an (x) ist beschränkt, wenn dies für x = 1 gilt. 1 · (1 − Wir haben aber für n 1 2 10 100 1000 106 an (1) 2 2, 25 2, 5937 2, 705 2, 7169 2, 7182805 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 97 Es sei nun an (x) → a(x). Dann zeigt man an (x)an (y) → a(x + y) oder a(x) · a(y) = a(x + y). Daraus folgt, daß a(x) eine Exponentialfunktion ist, a(x) = a(1)x = ex wenn wir noch 1 e = lim(1 + )n n definieren. 3.2.1 Verzweigungsprozesse Schließlich wollen wir noch ein Beispiel betrachten, das der Mathematiker Galton vor etwa 100 Jahren im Zusammenhang mit dem Aussterben von Familiennamen untersuchte. Dabei machte Galton die folgenden Aussagen: i) Der Familienname einer Sippe wird nur über die männlichen Mitglieder vererbt. ii) Zu allen Zeiten gilt für ein männliches Mitglied der Sippe: Mit der Wahrscheinlichkeit p0 (p1 , p2 , . . . , ) gibt es 0(1, 2, . . .) männliche Nachkommen. Es sei nun qn die Wahrscheinlichkeit, daß der Familienname mit der n-ten Generation ausgestorben ist. Dann gilt. q1 = p 0 . (3.16) Stammvater p0 p1 p2 p3 1. Generation Um qn+1 zu berechnen, betrachte den Wahrscheinlichkeitsbaum für unser Problem. Mit der Wahrscheinlichkeit p0 hat der Stammvater keinen Sohn. Mit der Wahrscheinlichkeit p1 hat er einen Sohn, und dessen Nachkommen sind mit der Wahrscheinlichkeit qn in der (n + 1)-ten Generation verschwunden. Mit einer Wahrscheinlichkeit von p2 hat er zwei Söhne, und die Wahrscheinlichkeit, daß die Nachkommen dieser Söhne bis zur n-ten Generation aussterben, ist qn2 . Argumentiere analog für p3 , . . . . Wir haben also qn+1 = p0 + p1 · qn + p2 qn2 + p3 qn3 + . . . = f (qn ). Dabei haben wir f (x) = p0 + p1 x + p2 x2 + p3 x3 + . . . (3.17) 98 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit gesetzt. (3.16) und (3.17) kann man nun als q1 = f (0), qn = f (f (. . . f (0))) | {z } (3.18) n−mal schreiben. Es gilt nun p0 , p1 , . . . ≥ 0. Daher ist f streng monoton, falls p0 < 1. Ferner gilt X pi = 1 = f (1), da jeder Nachkomme irgendeine Anzahl von Kindern hat. Da f streng monoton ist, gilt q1 ≤ q2 = f (q1 ) ≤ q3 ≤ . . . und die qn konvergieren: qn → q∞ . Dann gilt, wie wir noch sehen werden, f (qn ) → f (q∞ ) und qn+1 = f (qn ) → q∞ . Dies zeigt f (q∞ ) = q∞ . (3.19) Die rekursive Beziehung qn+1 = f (qn ) kann übrigens auch noch sehr schön graphisch dargestellt werden. Wir finden p0 im Schnittpunkt von f und der y-Achse. Durch Spiegeln an der Diagonalen findet man p0 auf der x-Achse (q-Achse). Direkt darüber liegt f (p0 ) = q1 auf der f -Kurve. Diagonale f q1 = f (p0 ) p0 q2 p0 = q 1 q Nach demselben Verfahren kann man nun q2 = f (q1 ) bestimmen. Das allgemeine Verfahren, um qn+1 aus qn zu bestimmen, wird aus der Vergrößerung deutlich. Aus diesen Bildern ersieht man, daß die qn monoton wachsen und gegen den Schnittpunkt von f und der Diagonalen streben. Dies ist aber genau q∞ , denn f (q∞ ) = q∞ . Um das q∞ zu bestimmen, müssen wir f noch genauer betrachten. Wir haben hier 2 Fälle 1. p1 + 2p2 + 3p3 + . . . ≤ 1. 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 99 f 1 p0 1 x In diesem Fall hat f die nebenstehende Form und q∞ = f (q∞ ) hat q∞ = 1 zur Folge, d.h. der Familienname stirbt langfristig aus. 2. p1 + 2p2 + 3p3 + . . . > 1. f q∞ p0 x In diesem Fall hat f die einzige Lösung von f (q∞ ) = q∞ mit q∞ < 1, denn es gilt stets qn < q∞ < 1. Übrigens ist p1 + 2p2 + 3p3 + . . . gerade die Durchschnittszahl von Söhnen. Das bedeutet also, daß der Familienname langfristig nicht sicher ausstirbt, wenn im Durchschnitt mehr als ein Sohn da ist. In der Biologie hat dieser Prozeß Anwendung auf das Aussterben bzw. Überleben vorteilhafter Gene. Hierbei setzt man meist noch pn = e−λ λn n! so daß f (x) = e −λ (Poisson-Verteilung), ∞ X λ n xn n=0 n! = eλ(x−1) . (3.20) 100 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit In diesem Fall gilt λ = p1 + 2p2 + 3p3 + . . . Für verschiedene λ sind die entsprechenden q∞ berechnet worden, siehe z.B. Crow Kimura, Introduction to Populations Genetic Theory 1970, Harper Row. Die folgenden Ergebnisse sind eher etwas für Fortgeschrittene, sind jedoch sehr wichtig, wenn man sich intensiver mit Folgen und Reihen beschäftigen muß. *Populationsmodelle Viele einfache Populationsmodelle mit nicht überlappenden Generationen, aber auch Modelle aus der Genetik, führen auf Rekursionsbeziehungen der Form yn+1 = f (yn ). Graphisch läßt sich das wie folgt darstellen f Q y=x Pn Pn+1 yn+1 yn Um yn+1 zu bestimmen, geht man also zunächst zum Punkt Pn = (yn , f (yn )). Von dort zum Punkt Q = (f (yn ), f (yn )) = (yn+1 , yn+1 ) und dann zum Punkt Pn+1 = (yn+1 , f (yn+1 )) = (yn+1 , yn+2 ) auf dem Graphen von f . Dies iteriert man. Schnittpunkte der Geraden y = x und der Kurve f (x) heißen Gleichgewichtspunkte. Es ist also y ein Gleichgewichtspunkt wenn f (y) = y. Ein Gleichgewichtspunkt y ist stabil, wenn Punkte y0 nahe bei y zu Folgen yn+1 = f (yn ) führen, die gegen y konvergieren. Hinreichend dafür ist, dass die Steigung f ′ (y) von f in y |f ′ (y)| < 1 erfüllt, wie wir später noch sehen werden. 3.2.2 Selektion Bevor Sie mit diesem Abschnitt beginnen, sollten Sie sich über die Grundzüge der Genetik informieren. Grundlage der Evolution sind Mutation, Selektion und Isolation. Wir wollen hier die Selektion an Tieren untersuchen, die jeweils einen paarigen 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 101 Chromosomensatz haben (diploid). Genauer wollen wir die Vererbbarkeit einer Eigenschaft untersuchen, die in zwei Ausprägungen a und A vorkommt. Dazu machen wir die folgenden Annahmen: 1. Die Partnerwahl ist zufällig. 2. Verschiedene Generationen sind getrennt. 3. Mutation und Migration sind vernachlässigbar. Es bezeichne dann pn (qn ) den Anteil der A(a) Gene. An Genotypen haben wir dann AA, Aa und aa. Diese Gentypen können zu einem unterschiedlichen äußeren Erscheinungsbild führen (Phänotyp) bzw. Fertilität (Fruchtbarkeit). Insgesamt haben wir dann das folgende Bild n-te Generation Ursprungszellen der Nachkommen Paarung AA p2n aA 2pn qn aa qn2 Heranwachsen f = Fitnesskoeff. fAA Pn2 2fAa pn qn faa qn2 2gAa pn qn fAa gaa faa qn2 Paaren+Nachwuchs gAA fAA p2n g = Fertilität Häufigkeit Schreibt man noch gAA fAA = sAA ,. . . für die Selektionskoeffizienten, so erhält man pn+1 = rel. Anzahl aller A Gene der n + 1 Generation 2sAA p2n + 2sAa pn qn = rel. Anzahl aller Gene der n + 1 Generation 2sAA p2n + 4sAa pn qn + 2saa qn2 Da diese Ausdrücke homogen in pn und qn sind und da pn + qn = 1 gilt, führen wir eine neue Variable pn un = qn ein und erhalten un+1 = sAA u2n + sAa un sAA p2n + sAa pn qn = = f (un ). saa qn2 + sAa pn qn saa + sAa un Läßt man den Fall sAA = sAa = saa außer acht, da dann pn = const gilt, so bleiben die folgenden Fälle: I: sAA ≥ sAa ≥ saa und mindestens eine strikte Ungleichung: un+1 = un + (sAA − sAa u2n + (sAa − saa )un . sAa un + saa Hierbei gilt uN ր ∞. Ist sogar sAA > sAa , ist das Wachstum geometrisch, d.h. das A Gen setzt sich schnell durch. Gilt sAA = sAa , dieses ist bei vielen rezessiven Genen 102 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit der Fall, so gilt un+i ≈ un + (sAa − saa )/sAa , d.h. un divergiert annähernd linear. f u1 u0 u2 u II: sAA > saa > sAa Für kleine u gilt f ′ (u) ≤ 1 und für große u gilt f ′ (u) ≥ 1. Also gibt es genau ein u∗ mit f (u∗ ) = u∗ . Im Fall u0 > u∗ gilt un → ∞, im Fall u0 < u∗ gilt un → 0, d.h. 2 +su u∗ ist ein instabiles Gleichgewicht. Der Fall sAA = saa > sAa führt auf f (u) = u1+su und ergibt damit das gleiche Bild mit u∗ = 1. f f u 0 u∗ u0 III: sAa ≥ sAA ≥ saa und mindestens eine Ungleichung ist strikt. u Wie man dem Diagramm entnimmt, streben alle un mit u0 < u∗ , u∗ Fixpunkt der Gleichung monoton wachsend gegen u∗ und alle un mit u0 > u∗ streben monoton 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 103 fallend gegen u∗ . u∗ ist ein stabiler Gleichgewichtspunkt. f f u0 u∗ u0 u Ein Beispiel für dieses Verhalten ist die Sichelzellanämie. Diese wird durch einen (rezessiven) Enzymdefekt im Hämoglobingen bewirkt. Die Folge sind eine Beeinträchtigung der Lebensdauer der roten Blutkörperchen (Hämoglobinopathie), die in diesem Fall sichelartig verformt sind. Die Folge ist Blutarmut (Anämie), da die verformten roten Blutkörperchen schneller in der Milz abgebaut werden. Bei zusätzlichen Infektionen ist dies lebensbedrohlich. In den Tropen bewirkt das Hämoglobin S-Gen (a) eine erhöhte Malaria-Resistenz. Wir modellieren dieses durch die Werte sAA = 0, 5, sAa = 1, saa = 0, 1 in den Tropen und sAA = sAa = 1, saa = 0, 1 in nicht tropischem Gebiet. (rezessive Eigenschaft) ∗ Das Cauchy-Kriterium Das obengenannte Konvergenzkriterium hat den Nachteil, daß es den Grenzwert a, den man meist nicht kennt, in der Definition verwendet. Von großer Bedeutung ist daher das Konvergenzkriterium von Cauchy. Eine reelle Zahlenfolge (an ) konvergiert genau dann, wenn es für jedes r > 0 ein n0 = n0 (ε) gibt, so daß |an − an+k | < ε für n ≥ n0 und alle k. Folgen, die diese Bedingung erfüllen, heißen Cauchy-Folgen. Beispiel 3.12 Die Folge (an ) sei induktiv durch a0 = 1 und an+1 = Dann gilt offensichtlich 1 ≥ an ≥ 21 für alle n und 1 1+an definiert. 1 4 1 |an − am | |an+1 − am+1 | = ≤ |an − am |. − = 1 + an 1 + am |1 + an | |1 + am | 9 104 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Daraus erhält man schließlich 2 4 4 |an+1 − an+k+1 | ≤ |an − an+k | ≤ |an−1 − an+k−1 | 9n n9 1 4 4 |a1 − a1+k | ≤ · → 0. ≤ ... ≤ 9 9 2 für n → ∞. Also konvergiert (an ), an → a. Dann gilt aber auch 1 1 . → 1 + an 1+a q 2 sein. Dies zeigt a + a = 1 oder a = 54 − 12 . a ← an+1 = Also muß a = 1 1+a Eine wichtige Konsequenz aus dem Cauchy-Kriterium ist das Vergleichskriterium Eine Reihe ∞ P bi konvergiert, wenn es eine konvergente Reihe i=1 i=1 Man nennt die Reihe n P ∞ P ci mit ci ≥ |bi | gibt. ci auch eine Majorante und nennt das Vergleichskriterium i=1 auch das Majoranten-Kriterium. Das Vergleichskriterium ist bei weitem das wichtigste Konvergenzkriterium für unendliche Reihen. Als Vergleichsreihe nimmt man dabei besonders gern die geometrische Reihe ∞ X 1 2 3 1 + x + x + x + ··· = xi = für |x| < 1. 1 − x i=0 Dies führt dann auf die folgenden Kriterien. P Wurzelkriterium Eine unendliche Reihe ∞ n=1 bn ist konvergent, wenn es eine Zahl 0 < a < 1 gibt, so dass |bn |1/n ≤ a für fast alle n. Beweis: Für fast alle n bedeutet, dass |bn |1/n ≤ a für alle n von einem gewissen n0 ab. Dann aber gilt |bn | ≤ an für n ≥ n. Dann kann man sogar eine Konstante C finden, so dass |bn | ≤ can für alle n. P n Die unendliche Reihe ∞ n=0 Ca aber ist konvergent. P Quotientenkriterium Eine unendliche Reihe ∞ n=1 bn ist konvergent, wenn es ein 0 < a < 1 gibt, so dass |bn+1 /bn | ≤ a für fast alle n. Auch hier zeigt man wieder |bn | ≤ Can für ein geeignetes C. 3.2 Konvergente Folgen und Reihen 105 Die Dezimaldarstellung Eine reelle Zahl hat eine Darstellung der Form 317, 218765 . . . oder allgemeiner a−l a−l+1 . . . a0 , a1 a2 a3 . . . ai ∈ {0, . . . , a}. Letzterer Ausdruck steht dabei für a−l · 10l + a−l+1 10l−1 + · · · + a0 · 1 −−1 +a2 · 10−2 + a3 · 10−2 + a3 · 10−3 + . . . . Dieser Ausdruck stellt damit eine unendliche Reihe dar. Diese Reihe konvergiert, P denn das n-te Glied an · 10−n läßt sich durch 9 · 10−n abschätzen. Die Reihe ∞ n=1 9 · −n 10 ist aber konvergent. Aufgabe 3.5 Zeigen Sie n3 + 7n + 1 →0 n4 + 6n2 √ √ √ √ ii) n − 1 − n → 0. (Hinweis: Erweitern Sie mit n + 1 + n) i) iii) √ 3 4n2 + 6n + 7 − 2n → . 2 hq (Hinweis: Schreiben Sie dafür 2n 1+ 6n 4n2 + 7 4n2 iv) an = (1 − 12 )(1 − 31 ) . . . (1 − n1 ) → 0 i −1 ) wenn n → ∞. Aufgabe 3.6 Falls (an ) konvergent ist, so ist (an − an+1 = bn ) eine Nullfolge. Aufgabe 3.7 Folgt aus P bn ? P (an + bn ) konvergent auch die Konvergenz von P an und Aufgabe 3.8 Zeigen Sie: Aus an → a, bn → b und an ≤ bn folgt a ≤ b. Folgt aus an < bn auch a < b? Aufgabe 3.9 Zeigen Sie: (1 + n1 )n ≤ ≤ 1 + 1 + 21 + 1 2·3 + 1 3·4 + 1 4·5 n P k=0 1 k! + . . . ≤ 3. Aufgabe 3.10 Es gelte an → 0. Dann gilt (1 + an n ) n (Hinweis: Wenden Sie die Binomische Formel an.) Aufgabe 3.11 → 1. i) Welchen Bruch stellt 0, 123123 dar? ii) Bestimmen Sie den Dezimalbruch für 5 . 13 106 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Aufgabe 3.12 i) Man zeige, daß eine Dezimalzahl, die schließlich periodisch wird, stets einen Bruch darstellt. ii) Umgekehrt hat jede Bruchzahl eine Dezimaldarstellung, die schließlich periodisch ist. (Hinweis: zu i) Für den Beweis von (i) verwende Aufgabe 3.11(i). zu ii) Orientieren Sie sich hier an Aufgabe 3.11(ii) und schauen Sie sich die auftretenden Divisionsreste an.) iii) Warum ist die Periodenlänge in ∞ P 1 Aufgabe 3.13 Berechne 2 n=1 n − Aufgabe 3.14 Konvergiert 7 11 = 1 4 kleiner als 11? ∞ X n=1 n− ∞ 1 P ? 2 n=1 n 1 2 1 n+ 1 2 . 1 1 1 Aufgabe 3.15 Bestimmen Sie q1 , . . . , q10 und q∞ für p0 = , p1 = , p2 = und 4 4 3 1 p3 = (vgl. Gleichungen (3.16) und (3.17)). 6 Aufgabe 3.16 Bestimmen Sie q1 , . . . , q10 und q∞ für pn gemäß Aufgabe 3.15 mit λ = 2 (vgl. Gleichung (3.20)). Aufgabe 3.17 Bei einer Kontrolle von Schadinsekten durch sterile Männchen wird man (Knipling) auf die folgende rekursiv definierte Folge geführt Nn+1 = r Nn2 , (Nn + S) N0 fest. Dabei ist Nn die Anzahl der Weibchen in der n-ten Generation, S die Anzahl der sterilisierten Männchen und r die Vermehrungsrate. Beschreibe das asymptotische Verhalten von Nn in Abhängigkeit von N0 , S und r. Wann liegt Konvergenz vor? √ √ √ n + 1 − n n? Aufgabe 3.18 Konvergiert an = Aufgabe 3.19 Es sei an = v u u t | 2+ s r q √ 2 + 2 + . . . + 2. Konvergiert an ? {z } nWurzeln Aufgabe 3.20 Untersuche die Folge des diskreten logistischen Wachstums mit K = 1000, r = 2 und a0 = 200 auf Konvergenz. Bestimme den Grenzwert. Aufgabe 3.21 Wie Aufgabe 3.20, aber mit r = 2, 5. Aufgabe 3.22 Bestimme die ersten 20 Glieder der Folge gemäß 3.16 und 3.20 mit λ = 1, 1. 3.3 Stetigkeit 107 Aufgabe 3.23 Untersuche auf Konvergenz √ √ a) n3 + n − n3 − n = an √ √ b) n3 + n2 − n3 − n2 = bn √ n2 + 1 c) cn = n+2 d) dn = ln(n + 1) √ n Aufgabe 3.24 Es gelte an → a, bn → a. Dann gilt für die Folge a1 , b1 , a2 , b2 ,. . . auch Konvergenz gegen a. q 1 Aufgabe 3.25 Konvergiert n n+1 = an ? Aufgabe 3.26 Konvergiert (21/n − (n+1) )? n Aufgabe 3.27 Sie betreiben eine Fischfarm. Zur Zeit ist der Bestand a0 =25000 Einheiten. Die Kapazität der Anlage beträgt 30000. Die Vermehrungsrate der Fische ist 25 % pro Jahr. Im Jahre n werde die Menge bn abgefischt. Beschreiben Sie die Bestandsentwicklung als rekursive Folge. Wählen Sie bn , n = 0, 1, . . ., so, daß langfristig ein maximaler Gewinn erzielt wird. Aufgabe 3.28 Zeigen Sie, daß 0, 13999 · · · = 0, 1400 . . . . Aufgabe 3.29 Rechnen Sie beide Beispiele für die Sichelzellanämie durch. Aufgabe 3.30 Wie schnell verschwindet ein letales rezessives Gen, z.B. Thalassämie oder Phenylketonurie sAA = 1 = sAa , saa = 0. Aufgabe 3.31 Suchen Sie weitere Beispiele für die Selektion und modellieren Sie diese. Aufgabe 3.32 Wie wirkt sich die Mutation aus? Was müssen Sie an diesem Modell ändern? Beschreiben Sie den Verlauf einer vorteilhaften Mutante. 3.3 Stetigkeit (Schwann, 11. Schulj. §4) “Die Natur macht keine Sprünge.” Dieser Satz war lange Zeit eine der Maximen der Naturwissenschaftler. Daher sollten auch nur solche Funktionen, die keine Sprünge machen oder sich nur wenig ändern, wenn die Argumente sich nur wenig ändern, für uns von großer Wichtigkeit sein. Die Funktionenklasse, um die es sich hier handelt, ist die Klasse der stetigen Funktionen. Formal werden sie wie folgt definiert. Definition: Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem Intervall Df = (a, b). Dann heißt f stetig in a0 ∈ (a, b), wenn an → a0 , an ∈ Df ⇒ f (an ) → f (a0 ). 108 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Wir schreiben dann auch limx→a f (x) = f (a), wenn dies für jede Folge an → a gilt. Dafür genügt also, daß |f (x) − f (a)| beliebig klein wird, wenn |x − a| klein wird. Ist f stetig in jedem Punkte des Definitionsbereichs, so heißt f stetig. Stetige Funktionen bilden konvergente Folgen also wieder auf solche ab. Beispiel 3.13 i) Polynome sind stetig. ii) Potenzfunktionen sind stetig für x ∈ R+ . iii) Exponentialfunktionen sind stetig auf R. iv) Logarithmen sind stetig auf (0, ∞). Gelegentlich sagt man auch, stetige Funktionen könne man ohne abzusetzen zeichnen. Eigenschaften stetiger Funktionen Für stetige Funktionen gelten die folgenden Sätze: 1. Summe, Produkt und Quotient (soweit erklärt) von stetigen Funktionen sind stetig. f, g stetig auf I = [a, b] ⇒ f + g, f · g stetig auf I. f /g stetig auf I mit Ausnahme aller x, wo g(x) = 0. Dort aber ist f /g nicht erklärt. 2. Die Verkettung stetiger Funktionen ist stetig, wenn f, g stetig ⇒ x → f (g(x)) ist stetig. 3. Zwischenwertsatz: Es sei f stetig auf I = [a, b]. Dann gibt es zu jedem Wert y zwischen f (a) und f (b) ein c ∈ [a, b] mit f (x) = y. 4. Eine stetige, streng monotone Funktion f auf einem Intervall I besitzt dort eine streng monotone stetige Umkehrfunktion f −1 . Dies zeigt beispielsweise, daß x → x1/n , loga x stetig sind. 5. Eine stetige Funktion f auf einem abgeschlossenen Intervall nimmt dort ihr Maximum und Minimum an. Die Bedeutung dieser Eigenschaften wollen wir uns an 1 deutlich machen. Sind also f und g reellwertige Funktionen auf (a, b), die in a0 ∈ (a, b) stetig sind, so folgt für an → a0 • • f (an ) + g(an ) → f (a0 ) + g(a0 ) da f (an ) → f (a0 ) bzw. g(an ) → g(a0 ). Also sind f + g und f · g stetig in a0 . Beispiel 3.14 Die Funktion 3x6 + 7x2 − q ist auf ganz R erklärt und dort stetig, denn 3.3 Stetigkeit 109 (i) 3 · x6 ist als Produkt stetiger Funktionen f (x) = x (Eigenschaft 1) stetig. Das gleiche gilt für x2 . (ii) Wiederum wegen Eigenschaft 1 ist die Summe stetig. Genauso zeigt man: Jedes Polynom ist stetig. Beispiel 3.15 f (x) = (6x9 + 13x2 ) 6(7x denn: ) ist für alle x ∈ R erklärt und stetig, 4 +12x−3 (i) (6x9 + 13x2 ) und (7x4 + 12x − 3) sind stetig (Eigenschaft 1). 4 (ii) 6(7x +12x−3) ist stetig wegen Eigenschaften 3 und 5. (iii) Schließlich wenden wir nochmal die Produktregel an. Beispiel 3.16 Die Funktion f (x) = ( 0 5 3 x 4 x≤0 x≥0 ist stetig. Für x < 0 sieht die Funktion aus wie die konstante Funktion f (x) = 0, die natürlich stetig ist. Analog sieht man, daß f für x > 0 stetig ist, da sie dort mit der stetigen Funktion 45 x3 übereinstimmt. Also brauchen wir nur an der Nahtstelle x = 0, wo die beiden Äste zusammenstoßen, auf Stetigkeit zu testen. Gilt aber an → 0, so sieht man 0 ≤ f (an ) ≤ 45 |an |3 → 0. Also muß f (an ) → 0. Bei zusammengesetzten Funktionen braucht man also nur zu prüfen, ob die Äste zusammenstoßen. unstetig x 110 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Der Begriff der Stetigkeit wird besonders dann deutlich, wenn man sich klar macht, wann eine Funktion unstetig ist. Dies kann passieren, wenn f irgendwo springt oder zu sehr oszilliert. Bemerkung: Die Definition oben überträgt sich ohne Änderung auf Funktionen, die auf Teilmengen des Rn erklärt sind, wenn man die Konvergenz im Rn als koordinatenweise Konvergenz erklärt. Aufgabe 3.33 Zeige, daß eine rationale Funktion f (x) = P (x) außerhalb der NullQ(x) stellen des Polynoms Q stetig ist. Da f meist in den Nullstellen von Q nicht definiert ist, sind solche Funktionen stetig! Aufgabe 3.34 Zeige, daß die folgenden Funktionen stetig sind: a) ln(1 + x) √ b) x2 + 3x + 4 c) e √ x+2 √ d) ln( x + 3x) 3.4 Potenzreihen Da in der Mathematik viele wichtige Zahlen wie e, π oder ln 2 durch Folgen bzw. Reihen ausgedrückt werden, ist es naheliegend, diese Technik auch auf Funktionen fn (x) auszudehnen und ihre Grenzwerte zu betrachten, sofern diese existieren. Ein Beispiel dazu hatten wir bereits gesehen. x n ) → ex für x ∈ R. n Wegen der Probleme bei der Analyse solcher Funktionenfolgen, wollen wir uns hier auf den wichtigsten Spezialfall beschränken. Beispiel 3.17 (1 + Definition: Eine Reihe P (x) = ∞ X n=0 an (x − x0 )n (3.21) heißt Potenzreihe um x0 mit Koeffizienten an . Um die Konvergenz einer solchen ∞ P Reihe zu untersuchen, wählt man meist eine geometrische Reihe b an , 0 ≤ a < 1 n=0 als Vergleichsreihe (Majorante). Dies zeigt, daß die Reihe in (3.21) konvergiert, wenn |an | |x − x0 |n ≤ an oder 1 |an | n |x − x0 | ≤ a < 1. 3.4 Potenzreihen 111 Diese Bedingung ist auch fast notwendig, denn wenn die Reihe (3.21) konvergiert, muß lim |an | |x − x0 |n = 0 n→∞ sein, d. h., es muß für große n 1 |an | n |x − x0 | ≤ 1. Um diese Bedingungen zusammenzufassen, betrachtet man 1 lim |an | n = ρ. n→∞ (3.22) 1 Genauer ist ρ = lim sup |an | n , aber (3.22) genügt für die meisten Fälle. Dann gilt: Satz über die Konvergenz von Potenzreihen a) Die Potenzreihe (3.21) konvergiert für alle x mit |x − x0 | < ρ1 - dabei ist 1 und ∞ = 0 - und stellt für diesen Bereich eine stetige Funktion dar. 1 0 =∞ b) Die Potenzreihe divergiert für alle x mit |x − x0 | > ρ1 . ∞ X 1 n x Beispiel 3.18 e = n! n=0 x 1 = ∞. ρ Die Reihe konvergiert daher für alle x. Beispiel 3.19 ∞ X xn = n=0 1 1 Geometrische Reihe = 1. 1−x ρ Die geometrische Reihe konvergiert genau für x mit |x| < 1. Beispiel 3.20 ∞ X 1 (−1)n+1 xn = ln(1 + x) n n=1 1 = 1. ρ Die Reihe konvergiert für alle x mit |x| < 1. Aus 3.20 erhält man (wenn man x durch −x ersetzt) ∞ X 1 n − x = ln(1 − x). n n=1 Bildet man die Differenz der beiden Reihen, so gibt dies zusammen mit der Beziehung ln a − ln b = ln ab für Logarithmen Beispiel 3.21 ln 1+x 1−x =2 ∞ X n=0 1 x2n+1 2n + 1 Mit dieser Reihe kann man viele Logarithmen direkt berechnen. 112 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit Beispiel 3.22 Für x = 1 3 erhalten wir 1 1 1 1 ln 2 = 2 · + + · + . . . = 0, 6930 3 81 5 243 Genauer ist ln 2 = 0, 6931472. Aufgabe 3.35 Berechnen Sie: Aufgabe 3.36 Wo konvergiert i) e3 , ∞ X n=0 Aufgabe 3.37 Entwickeln Sie ii) ln 3 n xn ? n+1 x = f (x) in eine Potenzreihe. 1−x Aufgabe 3.38 Entwickeln Sie e(3x+1) in eine Potenzreihe um 0. (Hinweis: Verwenden Sie die Reihe für ex .) Aufgabe 3.39 Wo konvergiert P (x) = dargestellt? ∞ X 2n xn und welche Funktion wird dadurch n=1 Aufgabe 3.40 Bestimme eine Potenzreihe für ln(1 + x2 ). Was ist der Konvergenzradius? 2 Aufgabe 3.41 Welches ist die Reihe von ex und was ist der Konvergenzradius? Aufgabe 3.42 Bestimme die Potenzreihe für f (x) = ln(1−x2 )−ln(1−x)−ln(1+x). 113 Kapitel 4 Differentialrechnung Schwann, 11. Schulj. §5, Mathematik Sekundarstufe II, Analysis Grundkurs 12/13 4.1 Die Ableitung Wir wollen diesen Abschnitt mit zwei Fragestellungen beginnen. 1. Was ist Geschwindigkeit? 2. Was ist eine Tangente an eine Kurve (x, f (x)) im Punkte (x0 , f (x0 ))? Tangente f Sehnen t t1 t2 t3 t0 Die Position eines Objektes zur Zeit t sei f (t). Die Änderungsrate des Ortes wird dann die Geschwindigkeit genannt. Um die Momentangeschwindigkeit im Zeitpunkt t0 zu bestimmen, wählt man sich eine Folge von Zeitpunkten t1 , t2 , . . . , die gegen t0 streben. Es ist dann f (ti ) − f (t0 ) ti − t0 die Durchschnittsgeschwindigkeit in [ti , t0 ]. Man nennt diesen Ausdruck auch den Differenzenquotienten. 114 Differentialrechnung Man erwartet nun, daß f (ti ) − f (t0 ) (4.1) ti − t0 existiert. In diesem Fall wird man diesen Grenzwert die Geschwindigkeit in t0 f (ti ) − f (t0 ) nennen. Geometrisch interpretiert ist gerade die Steigung der Sehne ti − t0 durch (ti , f (ti )) und (t0 , f (t0 )). Falls also der Grenzwert (4.1) existiert, wird er gerade die Steigung der Tangente im Punkt (x, f (x)) angeben. In diesem Fall “konvergieren” die Sehnen also gegen die Tangente. lim i→∞ In Anwendungen tauchen Ableitungen meist als Veränderungsraten, d. h. als Ableitungen nach der Zeit, auf. Beispiele sind Beschleunigung (Geschwindigkeit), Leistung (Energie), Wachstumsrate, .... Betrachten wir zum Beispiel den folgenden Graphen: + positive Steigung - negative Steigung 0 Steigung 0 0 - + 0 - + 0 + + Wir wollen dies jetzt formal erfassen. Definition: Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem Intervall (a, b). f heißt differenzierbar in x0 ∈ (a, b), wenn lim x→x0 f (x) − f (x0 ) = f ′ (x0 ) x − x0 (4.2) existiert. In diesem Fall nennt man f ′ (x) die erste Ableitung von f in x0 . Statt df f ′ (x0 ) schreibt man auch dx (x0 ). f heißt in (a, b) differenzierbar, wenn f in jedem Punkt differenzierbar ist. f (x) − f (x0 ) ist genau die Steigung der Sehne S zwischen f (x) und Bemerkung: x − x0 f (x) − f (x0 ) f (x0 ). Die Existenz von lim = f ′ (x0 ) bedeutet also, daß die Sekantenx→x0 x − x0 f (x) − f (x0 ) sehr nahe bei f ′ (x0 ) liegt, sofern x und x0 nahe beieinander steigung x − x0 liegen. Schreiben wir also f (x) − f (x0 ) − f ′ (x0 ) = A(x, x0 ), x − x0 4.1 Die Ableitung 115 so wird die Abweichung A der Sekantensteigung von der Tangentensteigung sehr klein. Multipliziert man dies mit (x − x0 ) und formt den Ausdruck um, erhält man f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ) + A(x, x0 )(x − x0 ) (4.3) Dies bedeutet, daß in unmittelbarer Nähe von x0 der Funktionsverlauf von f bis auf den Fehler A(x − x0 ) = Φ durch die Gerade f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ) gegeben ist. φ Dies ist aber gerade die Tangente. f x0 Die Tangente schmiegt sich also gut an die Kurve in x0 an. x Eine Funktion f ist im Punkte x0 also differenzierbar, wenn sie sich dort gut durch eine Gerade - die Tangente - approximieren läßt. Die Bedeutung der Differentialrechnung liegt nun darin, daß die Untersuchung mit f in x0 durch das Studium mit der Tangente ersetzt wird. Ist y(t) eine zeitlich veränderliche Größe, so ist dy gerade die Veränderungsrate dt von y. In diesem Sinne tritt die Ableitung häufig in der Naturwissenschaft auf. Es gibt nun Regeln für Ableitungen (f + g)′ (x0 ) = f ′ (x0 ) + g ′ (x0 ) Summenregel (4.4) (f · g)′ (x0 ) = (f ′ g + g ′ f )(x0 ) Produktregel (4.5) Quotientenregel (4.6) (f /g)′ (x0 ) = (f ′ g − g ′ f )(x0 ) g(x0 )2 Streng genommen ist dies so zu lesen: Es seien f und g in x0 differenzierbar. Dann ist auch f + g in x0 differenzierbar und es gilt die Summenregel. Die anderen Regeln sind analog zu interpretieren. Die nächste Formel besagt auch, daß mit f und g auch f (g(x)) differenzierbar ist f (g(x))′ = f ′ (g(x) · g ′ (x)) Kettenregel (4.7) 116 Differentialrechnung √ 1 1 Beispiel 4.1 Es sei f (x) = 1 + x2 = (1 + x2 ) 2 . Dann ist f ′ (x) = 12 (1 + x2 )− 2 · 2x. Wir wollen nun explizit die Ableitungen einiger Funktionen bestimmen. Für x 6= x0 gilt xn − xn0 = xn−1 + xn−2 x0 + . . . + x0n−1 . x − x0 Offensichtlich existiert aber der Grenzwert x → x0 für den Ausdruck rechts. Man erhält so (xn )′ = nxn−1 . (4.8) x−x0 −1 e x − e x0 x0 e =e → e x0 Beispiel 4.2 x − x0 x − x0 für x → x0 , ∞ P yn −1 ∞ n! X ey − 1 y n−1 0 denn = = → 1 für y → 0. Wir sehen also y y n! n=1 (ex )′ = ex . (4.9) Aus den Regeln f ′ = f sowie der Normierung f (0) = 1 lassen sich in der Tat alle Eigenschaften der Exponentialfunktion herleiten. Denn es gilt nach der Produktund Substitutionsregel (f (x) · f (−x))′ = f ′ (x)f (−x) − f (x)f ′ (−x) = f (x)f (−x) − f (x)f (−x) = 0. Also f (x) · f (−x) = konstant = f (0)2 = 1. Dies zeigt f (−x) = 1/f (x). Ferner sehen wir für festes y, wenn man F (x) = f (x + y)f (−y) nach x differenziert F ′ (x) = (f (x + y)f (−y))′ = f ′ (x + y)f (−y) = f (x + y)f (−y) = F (x). Wegen F (0) = f (x + y)f (−y) = 1 gilt also F (x) = f (x) und damit f (x + y) · f (−y) = f (x) oder f (x + y) = f (x)f (y). Die e-Funktion ist also genau die Funktion, die f ′ = f und f (0) = 1 erfüllt. Es ist genau diese Beziehung, die die Funktion ex so wichtig macht. Daher spricht man dann von “natürlichen” Logarithmen, wenn man von der Umkehrfunktion von ex redet. √ √ √ √ x0 − x x0 − x 1 1 √ √ √ √ → √ = √ für Beispiel 4.3 = √ x0 − x 2 x0 ( x0 − x)( x0 + x) x0 + x √ 1 x → x0 . Also ( x)′ = √ . 2 x Um die Ableitung der Umkehrfunktion f −1 von f zu bestimmen, setzen wir voraus, daß f −1 differenzierbar ist - dies läßt sich zeigen - und differenzieren die Identität f −1 (f (x)) = x nach x mit der Kettenregel (f −1 )′ (f (x)) · f ′ (x) = 1 4.1 Die Ableitung 117 und erhalten (f −1 )′ (f (x)) = Dies bedeutet insbesondere, daß f −1 ton ist. Beispiel 4.4 ln′ (ex ) = 1 ex 1 (x) Umkehrregel. (4.10) f′ nur dort differenzierbar ist, wo f streng mono- oder mit y = ex . 1 ln′ y = , y (4.11) Wenden wir dieses Ergebnis nun mit der Kettenregel auf f (x) = xa a ∈ R, x > 0 an und differenzieren ln f (x) = ln xa = a ln x so erhält man 1 1 · f ′ (x) = a · . f (x) x Dies zeigt f ′ (x) = a · x1 f (x) oder (xa )′ = axa−1 . (4.12) Ein weiteres für uns bedeutsames Ergebnis ist die Tatsache, daß man Potenzreihen gliedweise differenzieren darf. Genauer gilt: ∞ P Es sei P (x) = an (x − x0 )n eine Potenzreihe um x0 , die für alle |x − x0 | n=0 < ρ1 - siehe §3.4 - konvergiert. Dann ist die Funktion in diesem Bereich differenzierbar, und man erhält die Ableitung von P durch gliedweises Differenzieren. P ′ (x) = ∞ X n=1 an · n(x − x0 )n−1 . (4.13) Darüber hinaus konvergiert diese Reihe auch für alle x mit |x − x0 | < ρ1 . Betrachten wir dazu die folgenden Beispiele: Beispiel 4.5 ex = ∞ P n=0 xn n ⇒ (ex )′ = = ∞ P n=1 ∞ P n=1 n n−1 x n! 1 xn−1 (n−1)! = ex . Dies aber hatten wir bereits im Beispiel 4.2 gesehen. Beispiel 4.6 ln(1 + x) = ln(1 + x) ′ = ∞ P n=1 ∞ P n=1 n (−1)n+1 xn (−1)n+1 xn−1 = ∞ P (−x)n−1 = n=1 1 . 1+x Dies war genau die Formel (4.11). Umgekehrt kann man aus der geometrischen Reihe und (ln x)′ = 1/x die Reihe für ln(1 + x) herleiten. 118 Differentialrechnung Beispiel 4.7 ∞ X n=0 ∞ ∞ X n n+1 n X 1 xn = x − xn n+1 n + 1 n + 1 n=0 n=0 = ∞ X n=0 xn + x−1 ln(1 − x) Beispiel 4.8 Die Funktion f (x) = (7x9 + 3x2 ) · 3(12x 2 −6x) ist auf ganz R erklärt. Als Ableitung erhalten wir nach der Produktregel ′ 2 2 f ′ (x) = (63x8 + 6x) · 3(12x −6x) + (7x9 + 3x2 ) · 3(12x −6x) . Es ist nun 2 2 3(12x −6x) = eln3·(12x −6x) . Also gilt nach der Kettenregel ′ 2 2 2 3(12x −6x) = ln3 · (24x − 6)eln3·(12x −6x) = ln3 · (24x − 6)3(12x −6x) . Beispiel 4.9 Betrachten wir noch einmal die Funktion aus Beispiel 3.16. Sicher gilt, wenn man wie dort argumentiert ( 0 x<0 f ′ (x) = 5 · 3x2 x > 0. 4 Was aber ist f ′ (0)? Hier müssen wir nun tatsächlich den Differenzenquotienten hinschreiben. Es ist aber für x 6= 0 | f (x) 5 f (x) − f (0) |=| | ≤ | x2 | → 0 x−0 x 4 für x → 0. Dies zeigt f ′ (0) = 0, denn für f ′ (0) gilt | f (x) − f (0) − f ′ (0)| → 0. x−0 Beispiel 4.10 Radioaktiver Zerfall Ist y(t) die Menge einer radioaktiven Substanz, die die Halbwertszeit T hat, so hatten wir t t y(t) = y(0) · 2− T = y(0) · e− ln 2· T (4.14) gesehen. Die Zerfallsrate ist damit y ′ (t) = −y(0) ln 2 − ln 2· t ln 2 T = − e y(t). T T (4.15) 4.1 Die Ableitung 119 Wenden wir dies einmal an, um die Zerfallsrate oder Aktivität pro Sekunde des C 14 in 12 kg Kohlenstoff zu bestimmen. Es ist T = 5750 Jahre = 1, 81332 · 1011 sec. In 12 g Kohlenstoff sind etwa 6, 025 · 1023 Kohlenstoffatome enthalten. Da C 14 normalerweise in einer Konzentration von 10−12 in Kohlenstoff vorliegt, ist die Aktivität = Zerfälle pro Sekunde von 12 kg Kohlenstoff 6, 025 · 1026 · 10−12 · 0, 69315 · 1, 81332−1 · 10−11 = 2303, 1 Zerfälle . sec. Dies entspricht 11,5 Zerfällen pro Minute. Liby gibt für die spezifische Aktivität 15,3 an. Aufgabe 4.1 Leiten Sie die Quotientenregel beim Differenzieren aus der Produktregel her. Aufgabe 4.2 Differenzieren Sie a) f (x) = b) f (x) = √ ( 3 x − 1) c) f (x) = √ ( x − 1) x2 − 2x x2 − 4 1 x cos2 x d) f (x) = tan x2 Aufgabe 4.3 An welcher Stelle hat der Graph von ex die kürzeste Entfernung zum Nullpunkt? Aufgabe 4.4 Diskutiere die Funktion f (x) = x2 x . +3 Aufgabe 4.5 Diskutiere die Funktion f (x) = x2 . x4 + 27 Aufgabe 4.6 Zeigen Sie direkt mit Hilfe des Differenzenquotienten ′ 1 1 = − 2. x x Aufgabe 4.7 Bilden Sie die Ableitungen von i) x2 ex ii) ln(1 + x4 ) iii) ax a>0 iv) loga x 120 Differentialrechnung Aufgabe 4.8 Untersuchen Sie auf Differenzierbarkeit i) x 7→ |x|n ii) x 7→ ex n = 1, 2, 3 . . . 2 Aufgabe 4.9 Bestimmen Sie die Gleichung der Tangente an der Kurve y = 3x2 + 7x2 + 12x − 13 in x = 4. Aufgabe 4.10 Auf R+ betrachte f (x) = xx . Bestimme f ′ . (Hinweis: Es ist xx = ex·ln x .) Aufgabe 4.11 Bestimmen Sie den maximalen Definitionsbereich von r 1+x f (x) = ln , 1−x und berechnen Sie dort f ′ . Aufgabe 4.12 In einem Experiment verwenden Sie 1 µg Tritium (Halbwertszeit: 12,3 J.) als Spursubstanz. Wieviel Aktivität erwarten Sie? Aufgabe 4.13 Untersuche auf Differenzierbarkeit ( 0 x≤0 f (x) = x2 x ≥ 0 Aufgabe 4.14 Prüfe, ob die nachstehenden Funktionen differenzierbar sind, und bestimme gegebenenfalls die Ableitung. a) f (x) = |x|α α > 1 ( 0 x≤0 b) f (x) = x2 x ≥ 0 c) f (x) = ( 0 x≤0 0 x ≥ 0. Aufgabe 4.15 In dem Buch von Libby, der für die Methode der Radiocarbondatierung den Nobelpreis erhielt, wird die spezifische Aktivität von Kohlenstoff mit 14-18 Zerfällen pro Minute und g Kohlenstoff angegeben. Leiten Sie daraus das Verhältnis 14 ] der Konzentrationen [C her. [C 12 ] Aufgabe 4.16 1955 wurde in Nevada die mumifizierte Leiche eines Indianers (Whiskey Lil) gefunden. Eine C 14 -Datierung ergab das 0,739-fache der Standard-C 14 Aktivität. Wie alt war diese Mumie? 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor 121 Aufgabe 4.17 In der Biologie verwendet man häufig die folgenden Wachstumsgesetze für Populationen und Organismen: 1+b Logistisches Gesetz: N (t) = N0 1+be −kt , b, k > 0 Gompertz-Wachstum: N (t) = a exp(−be−kt ), a, b, k > 0 von-Bertalanffy-Wachstum: N (t) = N0 (1 − be−kt ), b, k > 0 Bestimme die Wachstumsraten N ′ (t) sowie die relativen Wachstumsraten N ′ (t) . N (t) Aufgabe 4.18 Bei Sterblichkeitsuntersuchungen bezeichnet meist l(x) die Anzahl der Personen einer Gruppe von l0 Personen (Normierung), die das Alter x erreichen. ′ (x) . Man kann µ als relative Sterbeintensität Die Mortalität µ(x) ist dann µ(x) = − ll(x) interpretieren. Wieso? x Bestimmen Sie µ für das Makeham-Gompertz-Sterbegesetz l(x) = ksx g c sowie für x das Sterbegesetz von de Moivre (1724) l(x) = l0 (1 − 86 ). Aufgabe 4.19 Die Gleichgewichtskonstante K bei chemischen Reaktionen hängt −T0 ) ] ab. Dabei sind von der absoluten Temperatur gemäß K(T ) = K0 exp[−cT0 (T 2T dK K0 , c, T0 Konstante. Bestimme dT . Aufgabe 4.20 Ein Fahrrad fährt in 20m Entfernung von Ihnen mit 15km/h auf einer geraden Straße vorbei. Mit welcher Geschwindigkeit entfernt es sich von Ihnen. Aufgabe 4.21 Das Bartalanffy Wachstumsgesetz gibt für die Länge von Fischen die Form L(t) = L∞ (1 − l−kt ). Bestimme die Wachstumsrate der Länge sowie des Gewichtes. Aufgabe 4.22 Wie verändert sich die spezifische Aktivität einer Kohlenstoffprobe mit dem Alter? 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor Wir haben oben gesehen, daß eine differenzierbare Funktion lokal durch ihre Tangente gut approximiert wird. Lokal bedeutet hier in einer Umgebung von x0 , und Fehler gut, daß der Fehler im Verhältnis zu (x − x0 ) klein ist, d.h. → 0 für x → x0 . x − x0 Wir hatten mit (4.3) f (x) ≈ f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ). (4.16) Genauer gilt Mittelwertsatz Es sei f auf (a, b) differenzierbar und x, x0 ∈ (a, b). Dann existiert ein x∗ zwischen x und x0 , so daß f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x∗ ). (4.17) Hinter dem Mittelwertsatz steht die folgende Überlegung: 122 Differentialrechnung Steigung der Tangente = Steigung der Sekante x0 x∗ x Es gibt genau ein x∗ zwischen x0 und x, wo die Tangentensteigung f ′ (x∗ ) gleich der (x0 ) ist, d. h., wo Tangente und Sekante parallel sind. Sekantensteigung f (x)−f x−x0 Aus dem Mittelwertsatz ergeben sich die Folgerungen: Folgerung a) f ′ = 0 auf (c, d) genau dann, wenn f konstant auf (c, d) ist. b) f ′ (x) > 0 (< 0) auf (c, d) hat zur Folge, daß f streng monoton wachsend (fallend) ist. In beiden Fällen existiert dort eine Umkehrfunktion. c) f ′ (x) ≥ 0 (≤ 0) auf (c, d) ⇒ f ist dort monoton wachsend (fallend). d) f hat lokales Extremum in x0 ⇒ f ′ (x0 ) = 0. Die Umkehrung gilt meist nicht. Aus (4.17) folgt etwa √ 1+x≈1+ ln(1 + x) ≈ x x 2 |x| |x| klein klein (4.18) √ Beispiel 4.11 Berechnen wir näherungsweise 2. Es ist q q √ 1,96·2 2 = 1 + 0,04 = 1, 4 ≈ 1, 4 + 1,4·0,02 1,96 1,96 1,96 √ = 1, 4 + = 1, 4 + 0,02 1,4 2 = 1, 414213562 . . . 0,1 7 ≈ 1, 414286. Genauer ist Der Mittelwertsatz hat auch Anwendungen auf die Fehlerrechnung. Ist z.B. die Größe x mit einem Wert x0 und Fehler ∆ bestimmt worden, so haben wir annähernd für die Größe f (x) f (x0 ± ∆) ≃ f (x0 ) ± f ′ (x0 )∆ d.h. der Fehler von f (x) ist annähernd |f ′ (x0 )∆|. Den Mittelwertsatz kann man auch verwenden, um die Grenzwerte von indefinites Ausdrücken auszurechnen. 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor 123 Es gelte limx→x0 f (x) = 0 und limx→x0 g(x) = 0. Dann gilt: limx→x0 Regel von l’Hospital. f (x) g(x) = limx→x0 f ′ (x) g ′ (x) Wir haben nämlich f (x) = f (x0 ) + f ′ (x)(x − x0 ) = f ′ (x∗ )(x − x0 ). Entsprechend gilt g(x) = g ′ (x∗∗ )(x − x0 ). Läßt man nun x → x0 , so gilt x∗ → x0 und x∗∗ → x0 und f (x) f ′ (x∗ )(x − x0 ) f ′ (x0 ) = ′ ∗∗ ≈ ′ g(x) g (x )(x − x0 ) g (x0 ) wenn f ′ und g ′ stetig sind und g ′ (x0 ) 6= 0. Beispiel 4.12 2. limx→0 1. limx→0 (ex −1) x sin x x = lim cos1 x = 1. = limx→0 ex = 1. Die Formel gilt auch für x0 = ∞. In diesem Fall führt x → 0. 1 x auf Konvergenz gegen Höhere Ableitungen Ist die Ableitung f ′ einer Funktion f ebenfalls differenzierbar, so bezeichnet man ihre Ableitung mit f ′′ , d.h. f ′′ = (f ′ )′ . Entsprechend definiert man höhere Ableitungen rekursiv durch ′ f (n+1) = f (n) . (4.19) Mehrfach differenzierbare Funktionen lassen sich lokal durch ihr Taylor-Polynom sehr gut approximieren. Genauer gilt als Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes: Satz von Taylor: Es sei f auf (a, b) n + 1 mal differenzierbar. Dann gilt f (x) = n X f (k) (x0 ) k! k=0 f (n+1) (x∗ ) (x − x0 ) + (x − x0 )n+1 (n + 1)! k (4.20) Dabei liegt x∗ zwischen x0 und x. Die Summe rechts in (4.20) mit x∗ = x0 bezeichnen wir als Taylorpolynom vom Grad n + 1 für f . Sehr häufig ersetzt man auch x∗ durch x0 und erhält dann die Taylor-Näherungsformel f (n+1) (x0 ) f (x) ≈ f (x0 ) + f ′ (x0 )(x − x0 ) + . . . + (x − x0 )n+1 . (n + 1)! (4.3) bzw. (4.20) ist Ausgangspunkt für viele brauchbare Näherungen. Es liegt nun nahe (4.20) für n = ∞ als Darstellung von f zu verwenden. Natürlich muß f dann beliebig oft differenzierbar sein, d.h. f (n) existiert für jedes n. Die dann entstehende Reihe P (x) = ∞ X k=0 f (k) (x0 ) (x − x0 )k k! 124 Differentialrechnung heißt Taylor-Reihe für f mit Entwicklungspunkt x0 . Allgemein ist es nicht richtig, daß P = f , aber in den meisten Fällen kann man in Anwendungen davon ausgehen. Hat umgekehrt f eine Darstellung als Potenzreihe f (x) = ∞ X n=0 so haben wir f (k) (x) = ∞ X n=k an (x − x0 )n , an n · (n − 1) . . . (n − k + 1)(x − x0 )n−k (4.21) (4.22) und daher f (k) (x0 ) = ak · k!. Damit aber wird die Taylor-Reihe von f genau die ursprüngliche Potenzreihe. Das war eigentlich auch zu erwarten. Insbesondere gibt die Taylorreihe eines Polynoms genau dieses Polynom. Mit diesen Formeln sind wir nun auch in der Lage, einige der Potenzreihen, die wir oben hingeschrieben haben, abzuleiten. Die Exponentialfunktion Die Exponentialfunktion ist die bei weitem wichtigste Funktion der Biologie und der angewandten Mathematik. Ausgangspunkt für uns ist nun die Differentialgleichung (siehe auch p. 159 ff.) y′ = y y(0) = A, (4.23) d.h. gesucht ist eine Funktion y, die (4.23) erfüllt. Wegen (4.23) gilt dann y (n) = y für alle n = 1, 2, . . . Damit aber haben y (n) (0) = A und die Taylor-Reihe für y ist ∞ X A n y(x) = x n! n=0 (4.24) Unsere Ergebnisse aus §3.4 und §4.1 zeigen nun, daß diese Reihe für alle x konvergiert und (4.23) erfüllt. Ist nun z eine weitere mögliche Lösung von (4.23), d.h., gilt z ′ = z 1 und z(0) = A, so betrachte f (x) = z(x) y(x) . Dann haben wir f′ = (zy − yz) (z ′ y − y ′ z) = = 0. y2 y2 Daher muß f konstant = 1 sein. Dies zeigt, daß die Lösung von (4.23) eindeutig durch (4.24) gegeben ist. Schreiben wir nun e(x) = ∞ X xn n=0 n! 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor 125 so ist y(x) = Ae(x) die eindeutige Lösung von (4.23). Wegen der Kettenregel aber gilt e(x + x0 )′ = e(x + x0 ). Wegen (4.23) gilt daher e(x + x0 ) = e(x0 )e(x), (4.25) denn hier ist A = e(x0 ). Aus (4.25) folgt nun leicht e(x) = e(1)x = ex . Dabei haben wir e(1) = ∞ X 1 =e n! n=0 (4.26) gesetzt. Aus (4.23) folgt damit auch die Beziehung für Potenzfunktionen. Die Tatsache, daß die Differentialgleichung y ′ = y genau die Lösung y(x) = y(0)ex hat, macht die Exponentialfunktion so bedeutsam. Die Veränderung von Sprachen, die genetische Uhr Sprachen verändern sich. Neue Worte kommen hinzu oder fallen weg, Werte verändern ihre Bedeutung, Schreibweise und Aussprache. Formal läßt sich dies wie folgt beschreiben. Man erstellt eine Liste L von Allerweltsworten, wie Vater, Mutter, Haus, Sonne, laufen, . . . und verfolgt die Veränderung einer solchen Liste. Ist |L| = N die Anzahl in einer solchen Liste, so wird nach 100 Jahren nur noch der Anteil |L|a, 0 < a < 1 verblieben sein. Nach 200 Jahren nur noch |L|a2 , und nach 300 Jahren nur noch |L|a3 . Allgemein kann man also die Veränderung einer solchen Liste durch |L(t)| = N (t) = |L(0)|at = N (0)e−tk , k = ln a−1 beschreiben. Dies ist das Vorgehen der Glottochronologie. Hat man nun zwei verschiedene Sprachen, so entwickeln sich diese Listen gemäß N1 (t) = N (0)etk1 , N2 (t) = N (0)etk2 denn es wird mit gleich großen Listen von Allerweltsausdrücken gearbeitet. Dies zeigt, dass sich die Sprachen gemäß N (0)e−tk1 e−tk2 = N (0)e−t(k1 +k2 ) auseinander entwickeln. Kennt man nun diese Konstanten k1 und k2 , kann man den Zeitpunkt bestimmen, wo sich die Sprachen trennten. Die Überlegung, daß nahe verwandte Sprachen sich erst kürzlich getrennt haben und daß die Übereinstimmung ihrer Wertlisten ein Maß für die Zeit der Trennung ist, erhält damit eine quantitative Bedeutung. Kürzlich wurden auf diese Weise die indoeuropäischen Sprachen untersucht [Nature 426, 2003, 435–438]. Hier sind noch ein paar Konstanten λ = e−k·1000 . Englisch: λ = .766, Spanisch: λ = .790, Deutsch: λ = .854. Der Zeitraum ist dabei 1000 Jahre. 126 Differentialrechnung Solche Überlegungen sind auch für Biologen wichtig, weil man Wertlisten durch Genbzw. Eiweißkomplexe ersetzen kann. In diesem Fall spricht man in der Biologie von der genetischen Uhr. Kimura [The Neutral Theory Evolution, Cambridge 1983] hat Veränderungen in der Liste der Aminosäuren des α-Haemoglobius (141 insgesamt) studiert. Er fand, daß die Substitutionsrate etwa 0.89 · 10−9 ist, d.h. in 109 Jahren wird in etwa 1 Aminosäure ersetzt. Für andere Proteine erhält man andere Werte z.B. Ribonuklease 2.1 oder Cytochrome c 0.3. Siehe dazu auch J.F. Crow: Basic Concepts in Population, Quantitative Evolutionary Genetics. In der Tat gibt es erhebliche Parallelen zwischen der Sprachentwicklung und der Entwicklung des Genpools beim Menschen. Auf diese Weise hat man in jüngster Zeit die Wanderungen der Hominiden untersucht. Die genetische Uhr wurde auch verwandt um den Stammbaum der Tiere präziser zu beschreiben. Der natürliche Logarithmus Aus (4.23) hatten wir die Ableitung für den natürlichen Logarithmus hergeleitet ln′ x = 1 . x Dies bedeutet ln(1 + x)′ = Betrachte nun f (x) = ln(1 + x) − Dann gilt f ′ (x) = 1 1+x − ∞ P ∞ X 1 1+x (−1)n+1 n=1 (4.27) xn n |x| < 1. (−1)n+1 xn−1 = 0. n=1 Dabei haben wir die Formel für die geometrische Reihe verwendet. Wiederum folgt f = konstant = f (0) = ln 1 − 0 = 0. Damit aber folgt ln(1 + x) = ∞ X (−1)n+1 n=1 xn . n (4.28) Die Potenzfunktion Für |x| < 1 betrachte nun die Funktion f (x) = (1 + x)a Dann haben wir und allgemeiner a ∈ R. (4.29) f ′ (x) = a(1 + x)a−1 f ′′ (x) = a(a − 1)(1 + x)a−2 f (n) (x) = a(a − 1) . . . (a − n + 1)(1 + x)a−n . (4.30) 4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor Dies zeigt für die Taylor-Reihe mit Entwicklungspunkt 0, daß ∞ X a(a − 1) . . . (a − n + 1) n a (1 + x) = x , a ∈ R, |x| < 1. n! n=0 127 (4.31) Diese Reihe konvergiert tatsächlich in dem angegebenen Bereich. Aufgabe 4.23 Berechne ln(1, 001) auf 10 Stellen genau. Aufgabe 4.24 Sind f und g 4mal differenzierbar, so auch f · g. Bestimme (f · g)iv . Aufgabe 4.25 Bestimmen Sie das Taylor-Polynom für ex bis zur 4. Ordnung für x0 = 1. Aufgabe 4.26 Durch Verdunstung nimmt der Radius einer Mottenkugel mit einer konstanten Rate ab. Bestimme die Änderungsrate des Volumens. Aufgabe 4.27 Ein Motorboot fährt auf einem geraden Kurs mit 10 km/h in einer Entfernung von 100 m an Ihnen vorbei. Mit welcher Geschwindigkeit entfernt sich das Boot von Ihnen? Aufgabe 4.28 Zwischen der Kraft F eines Muskels und der Kontraktionsfähigkeit v besteht der Zusammenhang (F + a)(v + b) = c a, b, c (positive Konstanten), der von Hill gefunden wurde. Wie ändert sich v, wenn F sich um den kleinen Wert ∆ ändert? q Aufgabe 4.29 Für die Schwingungsdauer eines Pendels gilt T = 2π gl . Wenn l = 1 m mit einer Genauigkeit von 0,001 m und g = 9, 81 m/sec2 bekannt sind, wie groß ist dann der Fehler von T ? √ Aufgabe 4.30 Erläutern Sie, warum sich x2 + 2 für große x wie etwa |x| verhält. Was ist der Fehler? Aufgabe 4.31 Berechne die Ableitungen: √ 1. f (x) = x 4 1 − x2 √ 2. f (x) = ln 3 1 + x2 3. f (x) = e2+3 ln(1+x) 4. f (x) = 1+x 1−(1−x/1+x) 5. f (x) = √ 3 6. f (x) = 7. f (x) = x3 + 2x + 1 x2 +7 3x5 −6x+3 √ 2 e3ln x −1 x−1 Aufgabe 4.32 Berechne die höheren Ableitungen von f (x) = 2x5 + 6x4 − 7x3 und entwickele f um 0 bis zur 4. Ordnung. 128 4.3 Differentialrechnung Die trigonometrischen Funktionen Sinus und Cosinus Durch Translation und Drehung läßt sich jeder Winkel so legen, daß der Scheitelpunkt der Koordinatenursprung und der eine Schenkel gerade die positive x-Achse ist. y α α x Der Winkel wird dann durch Drehung im Gegenuhrzeigersinn, ausgehend von der positiven x-Achse erzeugt. Eine volle Drehung entspricht dabei 360◦ im Gradmaß und 2π im Bogenmaß. Mehrfache Drehung (z.B. 925◦ ) ist zugelassen. Der Zusammenhang zwischen Gradmaß α und Bogenmaß t ist α · 2π = t 360 (4.32) In der Mathematik verwendet man meist das Bogenmaß. y tan t t y = sin t α cos t = x 1 x Das Bogenmaß eines Winkels t gibt gerade die Länge des vom Winkel aufgespannten Einheitskreisbogens. 4.3 Die trigonometrischen Funktionen 129 Der zweite Schenkel des Winkels schneide den Einheitskreis im Punkt (x, y). Man definiert: x = cos t, y = sin t. (4.33) Offensichtlich gilt dann cos2 t + sin2 t = 1 (4.34) wegen des Satzes von Pythagoras. Man definiert weiter den Tangens tan t = sin t cos t soweit cos t 6= 0 (4.35) cot t = cos t sin t soweit sin t 6= 0. (4.36) und den Cotangens Die Funktionen lassen sich im Einheitskreis geometrisch deuten (Zeichnung). Ihre Graphen sind nachstehend angegeben. 1 sin(x) cos(x) 0.8 0.6 0.4 0.2 0 -0.2 -0.4 -0.6 -0.8 -1 0 1 2 3 4 5 6 Da alle diese Funktionen 2π-periodisch sind, d. h. f (t + 2π · k) = f (t) k = 0, 1, 2, . . . f = sin, cos, tan, cot (4.37) und darüber hinaus noch weitere Regelmäßigkeiten (Additionstheoreme) gelten, ge- 130 Differentialrechnung nügt es, sich diese Funktionen nur auf [0, π2 ] anzusehen. 14 tan(x) cot(x) 12 10 8 6 4 2 0 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 1.4 Additionstheorem Für den Sinus und Cosinus gelten die folgenden Additionstheoreme sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y (4.38) (4.39) (4.38) und (4.39) kann man geometrisch beweisen. Ferner folgt (4.39) aus (4.38) durch Differenzieren. Mit sin 0 = sin π = 0 erhält man aus (4.34), (4.38) und (4.39) leicht Sinus Cosinus π 4 1√ π 6 Winkel 1 2 1√ 2 2 3 2 1√ 2 2 π 3 1√ 2 1 2 π 2 3 1 0 Mit Hilfe von (4.38) und (4.39) kann man auch leicht die Ableitung von Sinus und Cosinus bestimmen. Wir benötigen dazu jedoch sin′ 0 = 1 (4.40) Dies folgt jedoch √ leicht aus der Darstellung des Sinus am Einheitskreis. Aus (4.40) 2 folgt nun cos h ≈ 1 − h2 ≈ 1 − h2 für kleine h. Wir schreiben dann sin x(cos h − 1) cos x sin h sin(x + h) − sin x ′ = lim + sin x = lim h→0 h→0 h h h h = lim − sin x · + cos x = cos x h→0 2 4.3 Die trigonometrischen Funktionen 131 und sehen sin′ x = cos x. (4.41) Aus (4.38) folgt nun sin(x + π2 ) = cos x. Also cos′ x = sin′ (x + π2 ) = cos(x + π2 ) = − sin x. cos′ x = − sin x. (4.42) Damit erhalten wir sofort 1 = 1 + tan2 x cos2 x 1 cot′ x = − 2 = −1 − cot2 x sin x tan′ x = (4.43) Die Arcusfunktionen Da die trigonometrischen Funktionen 2π-periodisch sind und daher gleiche Werte für verschiedene x annehmen, lassen sich die Umkehrfunktionen nicht ohne weiteres bilden. Beschränkt man sich aber auf Intervalle, in denen die jeweiligen Funktionen streng monoton sind, so geht das. Dies führt zu: Definition: Die Umkehrfunktion von sin x auf (− π2 , π2 ) wird arcsin x, der (Hauptzweig von) Arcussinus, genannt. Entsprechend ist arccos x, der (Hauptzweig von) Arcuscosinus, die Umkehrfunktion des Cosinus eingeschränkt auf (0, π). 3 arcsin(x) arccos(x) 2.5 2 1.5 1 0.5 0 -0.5 -1 -1.5 -1 -0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 132 Differentialrechnung 1.5 arctan(x) 1 0.5 0 -0.5 -1 -1.5 -20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 Berechnen wir nun noch die Ableitung dieser Funktionen. Wegen (4.10) haben wir für die Ableitung der Umkehrfunktion g einer Funktion f , 1 g ′ (x) = f ′ (g(x)) , sofern f ′ (g(x)) 6= 0. p 1 − sin2 x. Mit g = arcsin x erhält man also Es ist aber sin′ x = cos x = arcsin′ x = √ 1 . 1 − x2 (4.44) √ Entsprechend führt cos′ x = − sin x = − 1 − cos2 x zu arccos′ x = − √ Ebenso folgt aus (4.43) arctan′ x = 1 . 1 − x2 1 1 + x2 (4.45) (4.46) Betrachte nun für |x| < 1 ∞ X x2n−1 f (x) = (−1)n−1 − arctan x. 2n − 1 n=1 Dann haben wir f ′ (x) = ∞ P (−x2 )n−1 − n=1 1 1+x2 = 0, denn die erste Summe ist die geometrische Reihe in −x2 . Daher gilt f (x) = f (0) = 0 und ∞ X x3 x5 x7 x2n−1 =x− + − + ... arctan x = (−1)n−1 2n − 1 3 5 7 n=1 (4.47) 4.3 Die trigonometrischen Funktionen 133 Beispiel 4.13 Es ist nun tan 30◦ = tan π6 = sin π6 cos π6 1 = √2 3 = 4 √1 . 3 Also muß 1 1 1 1 1 0, 90582 π . = arctan √ = √ 1 − + − + ... ≈ √ 6 3 · 3 9 · 5 27 · 7 3 3 3 Dies ergibt π ≈ 3.138 Die Schwingungsgleichung (M 10 §5) Aus (4.41) und (4.42) folgt, daß der Sinus und der Cosinus die Differentialgleichung y ′′ = −y (4.48) erfüllen. Wir wollen gleich sehen, daß dies auch im wesentlichen die einzigen Funktionen sind. Es gilt nämlich: Jede Lösung f der Differentialgleichung (4.48) hat die Form f (x) = f (0) cos x + f ′ (0) sin x (4.49) Der Beweis ist nachstehend angegeben, kann aber beim ersten Lesen überflogen werden. ∗ Beweis: Betrachte g(x) = f (x)−f (0) cos x−f ′ (0) sin x. Dann gilt g(0) = g ′ (0) = 0 und g ′ = f ′ + f (0) sin x − f ′ (0) cos x und g ′′ = f ′′ + f (0) cos x + f ′ (0) sin x = −f + f (0) cos x + f ′ (0) sin x = −g g erfüllt also auch (4.48). Wir bilden nun ′ (g 2 + g 2 )′ = 2gg ′ + 2g ′ g ′′ = 2gg ′ − 2g ′ g = 0. ′ ′ Also ist g 2 + g 2 konstant = g 2 (0) + g 2 (0) = 0 und damit ist g = 0. Wir wollen nun die Taylor-Reihe für den Sinus und Cosinus bestimmen. Wegen (4.48) gilt sin(2n) x = (−1)n sin x n = 1, 2, . . . und sin(2n+1) x = (−1)n cos x n = 0, 1, . . . Zusammen mit sin 0 = 0 und cos 0 = 1 gibt dies sin x = ∞ X (−1)n n=0 x2n+1 . (2n + 1)! (4.50) Durch Differenzieren erhalten wir daraus ∞ X x2n . cos x = (−1)n (2n)! n=0 (4.51) 134 Differentialrechnung Beide Reihen konvergieren für alle x. Betrachten wir einen Körper der Masse M , der an einer Feder aufgehängt ist. Entfernen wir den Körper ein wenig aus seiner Gleichgewichtslage, so wirkt auf ihn durch die Feder eine rücktreibende Kraft, die proportional zur Ausdehnung y ist (Hookesches Gesetz). Es ist daher y M M y ′′ = −ky (4.52) wegen des Newtonschen Gesetzes. k ist dabei die Federkonstante. Schreiben wir (4.52) in der Form y ′′ = −ω 2 y, ω2 = k , M (4.53) so folgt aus obigem Satz sofort y(t) = y(0) cos ωt + y ′ (0) sin ωt. (4.54) Läßt man z.B. den Körper zur Zeit t = 0 los, so gilt y ′ (0) = 0 und y ′ (t) = y0 cos ωt (4.55′ ) Allgemeiner kann man sagen, daß sich (4.54) auch als 1 y(t) = (y(0)2 + y ′ (0)2 ) 2 cos(ωt + Φ) (4.55) schreiben läßt. Da der Cosinus 2π-periodisch ist, ist die Schwingungsdauer T unseres Federsystems r 2π M 2π T = = 2π , ω= (4.56) ω k T Dieses Ergebnis hätten wir auch mit Dimensionsüberlegungen herleiten können. Man kann nun zeigen, daß ziemlich allgemein jeder Schwingungsvorgang mit der Periode T in der Form ∞ ∞ X X 2π 2π (4.57) f (t) = A + Bn sin n t An cos n t + T T n=1 n=1 dargestellt werden kann. Diese Darstellung entspricht der Zerlegung eines Tones in Grund- und Oberschwingungen. Physikalisch kann diese Zerlegung mit Hilfe von Oszillographen und Filtern sichtbar gemacht werden. Die Darstellung (4.57) ist natürlich nicht nur für die Amplitude von Schwingungen wichtig, sondern kann auf alle Arten von periodischen Vorgängen, wie z.B. Herzschlag, Kräfte beim Laufen etc., angewandt werden. In der Mathematik wird die Darstellung (4.57) im Rahmen der Fourier-Analyse untersucht. 4.3 Die trigonometrischen Funktionen 135 Aufgabe 4.33 Die Entfernung des Mondes (der Sonne) von der Erde beträgt etwa 384400 km (149, 6 · 106 km). Der Durchmesser des Mondes (der Sonne) beträgt 3476 km (1, 392·106 km). Welcher Himmelskörper erscheint größer? Unter welchem Winkel sehen wir sie? Aufgabe 4.34 Der Äquatorumfang beträgt etwa 40000 km. Welcher Strecke entspricht auf dem Äquator 1 Bogensekunde? Welchem Winkel entsprechen 10 km? Aufgabe 4.35 Das räumliche Auflösungsvermögen des Menschen (des Wanderfalken) beträgt etwa 1’ (25”). Kann ein Mensch (ein Wanderfalke) auf 1 km noch eine Maus erkennen? π Aufgabe 4.36 Zeigen Sie: i) sin x + = cos x ii) sin(−x) = − sin x 2 iii) sin 2x = 2 sin x cos x iv) cos x = cos(−x) Aufgabe 4.37 Wieso ist sin 1 π = ? 6 2 Aufgabe 4.38 Berechnen Sie sin π unter Verwendung von Aufgabe 4.36 und 4.37. 12 Aufgabe 4.39 Zeigen sie für das System (4.52) den Energieerhaltungssatz in der Form 1 1 1 ′ ′ M y 2 + ky 2 = E = const M y 2 = kinetische Energie, 2 2 2 1 2 ky = potentielle Energie. 2 Aufgabe 4.40 Zeigen Sie: i) ii) x+y x−y sin 2 2 x−y x+y sin cos x − cos y = −2 sin 2 2 sin x − sin y = 2 cos Aufgabe 4.41 Beweisen Sie die Additionstheoreme von Sinus und Cosinus mit Hilfe von (4.49). (Hinweis: Bei festen y erfüllt sin(x + y) die Gleichung sin′′ (x + y) = − sin(x + y).) Aufgabe 4.42 Berechnen Sie sin(275◦ ) auf 4 Stellen genau. Aufgabe 4.43 Berechnen Sie arcsin 1 1√ und arccos 2. 2 2 Aufgabe 4.44 Berechnen Sie f ′ (x) für √ a) arcsin x b) arcsin x + arccos x √ 2 c) arctan(x − 1) d) arccos 1 − x2 Aufgabe 4.45 Zeigen Sie mit Hilfe des Additionstheorems, daß A sin wt+B cos wt = C sin(wt+ϕ). Bestimme ϕ und C. (ϕ wird auch Phase genannt.) 136 Differentialrechnung Aufgabe 4.46 Die Steigung bei Straßen wird meist in Prozent angegeben und zwar x bedeutet x% Steigung, daß das Verhältnis von Höhe zur Straßenlänge gerade 100 ist. Welches ist die Beziehung zu Grad, Steigung? Berechnen Sie dies konkret für 2%, 8% und 5%. 4.4 ∗ Die komplexen Zahlen Dieser Abschnitt kann beim ersten Lesen weggelassen werden. Bisher haben wir alle unsere Rechnungen mit reellen Zahlen durchgeführt. Es ist aber gelegentlich sinnvoll, dieses Zahlensystem noch zu erweitern. Dazu definieren wir in R2 , der Menge aller Zahlenpaare (x, y), x, y ∈ R, eine Addition und Multiplikation durch (x, y) + (x′ , y ′ ) = (x + x′ , y + y ′ ) (4.58) (x, y) · (x′ , y ′ ) = (xx′ − yy ′ , xy ′ + yx′ ). y (x + x′ , y + y ′ ) (x, y) Die Addition entspricht hierbei übrigens gerade der Vektoraddition in R2 . (x′ , y ′ ) x Legen wir diese Operatoren zugrunde, so nennt man solche Zahlenpaare (x, y) komplexe Zahlen und bezeichnet sie meist mit z, z ′ , . . . Also z = (x, y), z ′ = (x′ , y ′ ), . . . Assoziativgesetz der Addition und Multiplikation: (z + z ′ ) + z ′′ = z + (z ′ + z ′′ ) (z · z ′ ) · z ′′ = z · (z ′ · z ′′ ) Dies bedeutet gerade, daß Summen und Produkte von der Klammerung unabhängig sind. Wie bei den reellen Zahlen gilt für die Addition und Multiplikation ein Kommutativgesetz: z + z ′ = z ′ + z, z · z ′ = z ′ · z Ebenso gilt ein Distributivgesetz: z(z ′ + z ′′ ) = z · z ′ + z · z ′′ Man kann also mit komplexen Zahlen wie mit reellen Zahlen rechnen. 4.4 ∗ Die komplexen Zahlen 137 Tatsächlich kann man R auch als Teilsystem der komplexen Zahlen auffassen, wenn man x ∈ R mit (x, 0) ∈ R2 identifiziert. Bei dieser Identifizierung bleiben Summen und Produkte erhalten, denn x + x′ entspricht (x + x′ , 0) = (x, 0) + (x′ , 0) x·x entspricht (x · x′ , 0) = (x, 0) · (x′ , 0). Zur Vereinfachung schreibt man daher noch i = (0, 1) = imaginäre Einheit und kann dann jede komplexe Zahl z = (x, y) in der Form z = (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + i · y (4.59) schreiben. Dabei haben wir noch (x, 0) bzw. (y, 0) durch x bzw. y ersetzt. Mit dieser Schreibweise gilt dann also i2 = −1 (4.60) Es sei hier noch daran erinnert, daß bei reellen Zahlen x stets x2 ≥ 0. Schreibt man also z = (x, y) = x + iy, so nennt man x den Realteil, x = Re z, und y den Imaginärteil, y = Im z, und hat somit z = Re z + i Im z. (4.61) Dies führt dann auf die Darstellung komplexer Zahlen in der komplexen Zahlenebene C = R2 . Im z Im z Re z Re z Zur Vervollständigung der Operationen definiert man noch −z = − Re z + i(− Im z) 138 Differentialrechnung und hat dann z + (−z) = 0 −(−z) und = z. Mit 1 = (1, 0) = 1 + i · 0 erhält man 1 · z = z. Es bleibt noch das Inverse von z = x + iy zu definieren. Wie man leicht sieht, gilt für x2 + y 2 6= 0 x y (x + iy) · = 1, −i 2 x2 + y 2 x + y2 so daß Allgemeiner ist dann 1 x y = z −1 = 2 − i z x + y2 x2 + y 2 z′ z x, y 6= 0. (4.62) = z ′ · z1 . Damit sieht man leicht (z −1 )−1 = z. Damit hat also C alle Eigenschaften von R, mit Ausnahme der Ordnung. Im z Für eine komplexe Zahl z definiert man nun noch die komplex konjugierte Zahl z durch z = Re z − i Im z. z′ Re z′ z In der Zahlenebene erhält man z also durch Spiegeln an der reellen Achse. Das komplexe Konjugieren hat die Eigenschaften z + z′ = z + z′, (z) = z, z = z z · z′ = z · z′ i = −i (4.63) nur wenn z reell ist Schließlich kann man noch den Absolutbetrag oder Betrag der komplexen Zahl z durch 1 1 |z| = (x2 + y 2 ) 2 = ((Re z)2 + (Im z)2 ) 2 (4.64) 4.4 ∗ Die komplexen Zahlen 139 definieren. |z| gibt also genau die Länge des Vektors z = Re z + i Im z an. Für den Betrag gilt z · z = |z|2 , |z · z ′ | = |z| |z ′ | |z + z ′ | ≤ |z| + |z ′ | |z| = |z|, z z −1 = |z|2 (4.65) Aufgabe 4.47 Berechne Realteil, Imaginärteil und Absolutbetrag der folgenden komplexen Zahlen: 1 ; i 1 ; 1−i 1+i ; 1−i a + ib a − ib a, b 6= 0, a, b ∈ R Aufgabe 4.48 Zeige, daß |z| = 0 nur wenn z = 0. Wir wollen nun den Zusammenhang zwischen komplexen Zahlen und trigonometrischen Funktionen untersuchen. Dazu stellen wir z wieder in der komplexen Zahlenebene dar. Ist dann ϕ der Winkel des Vektors z mit der reellen Achse, so haben wir Im z |z| sin ϕ Re z = |z| · cos ϕ (4.66) Im z = |z| · sin ϕ |z| Man nennt dann ϕ |z| cos ϕ Re z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) (4.67) 1 die Polardarstellung von z. Dabei gilt | cos ϕ + i sin ϕ| = (cos2 ϕ + sin2 ϕ) 2 = √ 1 = 1. Mit dieser Polardarstellung läßt sich die Multiplikation von komplexen Zahlen geometrisch deuten. Ist nämlich z ′ = |z ′ |(cos ϕ′ + i sin ϕ′ ), so sehen wir z · z ′ = |z| · |z ′ |(cos ϕ + i sin ϕ) · (cos ϕ′ + i sin ϕ′ ) = |z · z ′ |(cos ϕ cos ϕ′ − sin ϕ sin ϕ′ + i cos ϕ sin ϕ′ + i sin ϕ cos ϕ′ ) = |z · z ′ |(cos(ϕ + ϕ′ ) + i(sin(ϕ + ϕ′ )). Bei der Multiplikation werden also die Beträge multipliziert und die Winkel (Argumente) addiert. Dies zeigt sofort z n = |z|n · (cos nϕ + i sin nϕ). (4.68) 140 Differentialrechnung Man kann nun (4.68) umgekehrt verwenden, um die n-te Wurzel aus komplexen √ 5 Zahlen zu ziehen. Wir wollen uns dies zunächst an dem Beispiel 1 + i verdeutlichen. Wir wollen also die Gleichung √ z 5 = 1 + i = 2(cos 45◦ + i sin 45◦ ) lösen. Mit z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) haben wir also |z|5 (cos 5ϕ + i sin 5ϕ) = √ 2(cos 45◦ + i sin 45◦ ). Vergleicht man beide Seiten, erhält man √ |z|5 = 2, cos 45◦ = cos 5ϕ Dies gibt |z| = √ 10 sin 45◦ = sin 5ϕ. 2 ϕ = 9◦ . Dies ist aber nicht die einzige Lösung, denn da der Sinus und Cosinus 2π-periodisch sind, kommen die Winkel ϕk = 9◦ + k · 360◦ = 9◦ + k · 72◦ 5 (k = 0, 1, 2, 3, 4) ebenfalls in Frage. z2 z3 z1 9◦ 1 2 10 z4 z5 1 Die Lösungen sind also in diesem Fall 2 10 (cos ϕk + i sin ϕk ) k = 0, 1, 2, 3, 4. Geometrisch bilden diese 5(!) Lösungen gerade die Eckpunkte eines regelmäßigen 5-Ecks, √ das dem Kreis mit Radius 10 2 einbeschrieben ist. Will man allgemeiner die Gleichung z n = r(cos ϕ + i sin ϕ) (4.69) 4.4 ∗ Die komplexen Zahlen 141 lösen, so erhält man als Lösungen gerade 1 ϕ 360 · k ϕ 360 · k zk = r n cos + + + i sin k = 0, 1, . . . , n − 1. n n n n (4.70) In diesem Fall bilden die n (!) Lösungen gerade die Eckpunkte eines regelmäßigen √ n n-Ecks, das dem Kreis mit Mittelpunkt (0,0) und Radius r einbeschrieben ist. Wir haben also gesehen, daß die Gleichung z n = z0 genau n Lösungen hat. Viel allgemeiner gilt nun Fundamentalsatz der Algebra Ein komplexes Polynom vom Grade n, p(z) = a0 + a1 z + . . . an z n , an 6= 0, hat eine Darstellung der Form p(z) = an · (z − z1 )(z − z2 ) . . . (z − zn ). (4.71) Dabei sind die zi (i = 1, . . . , n) genau die n Nullstellen des Polynoms. Einige der zi können dabei gleich sein. Der Fundamentalsatz besagt also, daß ein Polynom vom Grade n genau n Nullstellen hat, wenn man mehrfach auftretende Nullstellen auch mehrfach zählt. Wir hatten oben den Fall p(z) = z n − r(cos ϕ + i sin ϕ) behandelt. Nur aufgrund des Fundamentalsatzes spielen die komplexen Zahlen in der Mathematik und in Anwendungen eine so zentrale Rolle. Bei der Polardarstellung komplexer Zahlen traten insbesondere die Ausdrücke cos ϕ + i sin ϕ auf. Mit der Potenzreihendarstellung von Cosinus und Sinus erhalten wir ∞ X ∞ ϕ2k P ϕ2k+1 k (−1) + i (−1)k cos ϕ + i sin ϕ = (2k)! (2k + 1)! k=0 k=0 ∞ ϕn P n iϕ = i =e k=0 n! Dabei beschreibt der erste (zweite) Term im zweiten Ausdruck genau die (un)geraden Terme des dritten Ausdrucks. Wir haben also cos ϕ + i sin ϕ = eiϕ (Formel von Euler) (4.72) Aufgabe 4.49 Beweise den Fundamentalsatz für quadratische Polynome. Aufgabe 4.50 Berechne alle Lösungen der Gleichung z 6 = −1. Aufgabe 4.51 Ist z1 eine Nullstelle des reellen Polynoms p(z) = a0 +a1 z+. . .+an z n , ai ∈ R, so ist auch z 1 eine Nullstelle. Welche Konsequenzen hat dies für einen Fundamentalsatz für reelle Polynome? 142 4.5 Differentialrechnung Kurvendiskussion (Schwann, 11. Schulj. §6) Die Diskussion einer Kurve bzw. genauer einer Funktion, sollte folgende Punkte behandeln: i) (Maximaler) Definitionsbereich, Wertebereich ii) Symmetrieeigenschaften iii) Nullstellen iv) Asymptotik v) Extremwerte, Wendepunkte vi) besondere Eigenschaften wie Konvexität oder Konkavität. Bei diesen Untersuchungen spielt f ′ insoweit eine Rolle als: f ′ (x) > 0 auf einem Bereich ⇒ f wächst dort streng monoton f ′ (x) < 0 auf einem Bereich ⇒ f fällt dort streng monoton f ′ (x) = 0 auf einem Bereich ist notwendige Bedingung für ein lokales Extremum. Dieses Kriterium wird besonders häufig bei der Bestimmung von Maxima und Minima von Funktionen verwandt. f ′′ (x) ≥ 0 auf einem Bereich ⇒ f ist dort konvex (d.h. der Graph von f hängt durch) f ′′ (x) ≤ 0 auf einem Bereich ⇒ f ist dort konkav (d.h. −f ist konvex) konvexe Funktionen konkave Funktionen Da man heute mit Rechnern relativ einfach Graphen der meisten Funktionen erstellen kann, wird die Kurvendiskussion meist nicht mehr so bedeutsam sein. Doch ist es häufig wichtig, vor dem Einsatz von Rechnern zumindestens das qualitative Verhalten der untersuchten Funktion zu kennen. Dies ist besonders wichtig, wenn die Funktion als Lösung einer Differentialgleichung (siehe dazu §6) vorliegt oder Gesetzmäßigkeiten beschreibt. Deshalb wollen wir dazu nur einige Beispiele betrachten, zumal dieser Aspekt in der Schule meist ziemlich breit behandelt wird. 4.5 Kurvendiskussion 143 Beispiel 4.14 f (x) = xn e−x 2 n = 0, 1, 2, 3, . . . Die Funktion ist auf ganz R erklärt. Falls n gerade ist, ist f gerade, d.h. f (x) = f (−x). Gerade Funkionen gehen unter Spiegelung an der y-Achse in sich über. Falls n gerade ist, hat f nichtnegative Werte. Wenn n ungerade ist, ist f ungerade (punktsymmetrisch), d.h. f (−x) = −f (x). In beiden Fällen genügt es also, den Verlauf von f für x > 0 zu kennen. Es gilt 2 2 f (x) = 0 = xn e−x nur wenn x = 0, weil stets e−x > 0. 2 Da die Exponentialfunktion schneller wächst als jedes Polynom, muß xn e−x → 0 für x → ∞. Um die Extremwerte zu bestimmen, berechne 2 2 2 f ′ (x) = nxn−1 e−x − 2xn+1 e−x = xn−1 e−x (n − 2x2 ). Dies zeigt: Für x mit n − 2x2 > 0 wächst f streng monoton. Für x mit n − 2x2 < 0 fällt f streng monoton. p Also liegt bei n2 = x ein Maximum vor. f pπ 2 Dies gilt auch wenn n > 0 beliebig reell ist. 1 Beispiel 4.15 x > 0, f (x) = x x Zunächst einmal müssen wir f umschreiben als 1 f (x) = e x ln x = eg(x) . Um das Verhalten für x → ∞ zu untersuchen, studiere zunächst g. Für x → ∞ setzen wir x = et und sehen t g(et ) = t → 0, e da die Exponentialfunktion schneller wächst als jede Potenz. Dies zeigt für x → ∞ 2 1 1 ln x 1 ln x ln x + ... + f (x) = x x = e x ≈1+ x 2 x Um die Asymptotik bei 0 zu bestimmen, berechnen wir 1 1 f ( ) = ( )n → 0 für n → ∞. n n 144 Differentialrechnung Es ist nun ′ f (x) = e 1 x ln x 1 1 1 1 − 2 ln x + 2 = 2 e x ln x (1 − ln x). x x x Dies zeigt: f wächst streng monoton für 1 > ln x. f fällt streng monoton für 1 < ln x. Bei x = e liegt also ein Maximum vor. Hier ist noch eine kleine Wertetabelle 2 e 3 4 10 100 1000 √ √ f (x) 0, 0039 0, 25 1 2 1, 444668 1, 44225 2 1, 2589 1, 0471 1, 0069 x 0, 25 0, 5 1 Wie man sieht, ist y = 1 eine Asymptote für die Funktion. ∗ Das Newton-Verfahren Man kann den Mittelwertsatz auch verwenden, um näherungsweise Nullstellen von Funktionen f zu bestimmen. Tangente von f in x0 f Tangente von f in x1 x2 x1 x x0 f Dazu nehmen wir an, f sei differenzierbar und x0 sei näherungsweise eine Nullstelle von f . Um die Nullstelle noch genauer zu bestimmen, schreibt man wie in §4.2 (4.16) f (x) ≈ f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ) und bestimmt die Nullstelle x1 der rechten Seite, d.h. der Tangente an den Graphen von f in (x0 , f (x0 )): f (x0 ) + (x1 − x0 )f ′ (x0 ) = 0 x1 = x0 − f (x0 ) . f ′ (x0 ) oder (4.73) 4.5 Kurvendiskussion 145 In den meisten Fällen ist x1 dann eine bessere Approximation für die Nullstelle. Diese Methode geht auf Newton zurück und wird Newtonsches Verfahren genannt. Dieses Verfahren läßt sich iterieren, um so die wirkliche Nullstelle beliebig genau zu bestimmen. Dies führt zur rekursiv definierten Folge xn+1 = xn − f (xn ) f ′ (xn ) (4.74) Dieses Verfahren ist in der angewandten Mathematik von zentraler Bedeutung. √ Beispiel 4.16 Berechnen wir noch einmal 2 näherungsweise. Mit f (x) = x2 − 2 erhalten wir x2 − 2 . Mit x0 = 1, 4 ergibt das xn+1 = xn − n 2xn 0, 04 x1 = 1, 4 + = 1, 414286 und 2 · 1, 4 x2 = 1, 414213564 x22 = 2 + 5 · 10−9 Beispiel 4.17 Wir wollen nun π noch etwas genauer bestimmen. Im vergangenen Abschnitt hatten wir bereits π ≈ 3, 138 gesehen. Wir betrachten nun die Beziehung sin π6 = 12 , gehen also von der Funktion f (x) = sin x − 1 2 und dem Näherungswert x0 = 0, 523 aus. Dies ergibt dann als bessere Näherung sin 0, 523 − 12 π ≈ 0, 523 − p . 2 1 − sin2 0, 523 Den Ausdruck sin 0, 523 berechnen wir natürlich mit der Potenzreihe x3 x5 x7 sin x = x − + − + ... . 6 120 5040 Wir erhalten sin 0.523 − 0, 5 = −0, 000519 und π 6 ≈ 0, 523 + 0, 000599 oder (4.75) π ≈ 3, 141594 Zum Vergleich π = 3, 1415926535 . . . Das Verzweigen von Arterien Es ist plausibel, anzunehmen, die Evolution in der Biologie wirke derart, daß die meisten biologischen Prozesse optimal ablaufen. In der Tat hat Rashewsky dies in 146 Differentialrechnung “Foundations of Mathematical Biology”, vol. III, ed. Rosen, zum Prinzip des optimalen Plans erhoben. Es ist allerdings nicht immer klar, was optimiert werden soll bzw. was die Evolution tatsächlich optimiert. Dessen ungeachtet wollen wir das Problem betrachten, bei dem der Reibungswiderstand bei einer Arterienverzweigung minimiert wird. Auch wenn das nebenstehende Bild insgesamt realistischer ist, nehmen wir an, die entsprechenden Arterienstücke seien gerade. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist das Gesetz von Poiseuille. Danach ist der Strömungswiderstand einer Flüssigkeit bei einem laminaren Fluß durch R=k· d r4 gegeben. Dabei ist d die Länge des Rohrs, r der Radius und k eine Konstante, die mit der Viskosität der Flüssigkeit zusammenhängt. Die Flüssigkeit ist hier natürlich Blut. Ein laminarer Fluß ist ein glatter Fluß ohne Wirbel. Wir legen das folgende Bild mit den Längen d0 , d1 , d2 , r1 , r2 und Winkeln Θ0 und Θ zugrunde. d2 r2 θ0 θ d1 d0 r1 x Der Winkel Θ ist dann so zu wählen, daß der Gesamtwiderstand R=k d2 d1 +k 4 4 r1 r2 minimal wird. Dazu müssen wir d1 , d2 und x durch Θ ausdrücken: d0 d0 , d0 cotΘ = x. = sinΘ, tanΘ0 = d2 d1 + x 4.5 Kurvendiskussion 147 Durch Umformen erhält man schließlich d1 = d0 (cotΘ0 − cotΘ). Der Gesamtströmungswiderstand R ist nun R(Θ) = k d1 d2 cotΘ0 − cotΘ 1 + k 4 = kd0 [ + ]. 4 4 r1 r2 r1 sinΘr24 0 , so ist also Setzt man hier noch R0 = kd0 cotΘ r14 4 kd0 r2 kd0 1 ] = R0 + 4 f (Θ) − cotΘ R(Θ) = R0 + 4 [ r2 sinΘ r1 r2 zu minimieren. Es genügt, hierbei nun f zu betrachten. Wir erhalten mit der Quotientenregel 4 4 cosΘ −sin2 Θ − cos2 Θ r2 1 r2 ′ f =− 2 − = [−cosΘ + ]. 2 2 sin Θ sin Θ r1 sin Θ r1 Ein Extremwert liegt also bei Θ = arccos r2 r1 4 vor. Es bleibt nun noch zu überlegen, daß dies ein Minimum ist. Dazu überlegt man sich, daß für r2 < r1 f ′ (Θ) zunächst für kleine Θ sehr negativ ist und für Θ ≈ π2 positiv wird. Es kann also nur ein Minimum vorliegen. Die Lösung zeigt, daß kleinere Arterien unter einem steileren Winkel abzweigen sollten. 3+x , x 6= −1, 1. 1 − x2 √ √x Aufgabe 4.53 Diskutieren Sie die Funktion f (x) = ( x) , x > 0. Aufgabe 4.52 Diskutieren Sie die Funktion f (x) = Aufgabe 4.54 Bestimmen Sie alle Nullstellen der Funktionen i) sin x Aufgabe 4.55 Diskutieren Sie die Funktion f (t) = ii) cos x. a + de−rt mit a, b, c, d, r > 0. b + ce−rt √ Aufgabe 4.56 Berechnen Sie 5 7 mit dem Näherungswert 1,5 durch einmalige Anwendung der Newtonschen Näherung. Aufgabe 4.57 Pennycuick beschrieb den Energieverbrauch von Zugvögeln, die mit der Geschwindigkeit ν fliegen, durch die folgende Formel E = Aρν 3 + G2 1 . Bρ ν Dabei gibt der erste Term den Beitrag des Luftwiderstands. Der zweite Term beschreibt den Beitrag des Auftriebs. Hierbei ist ρ die Dichte der Luft, G das Gewicht des Vogels und A = angeströmte Fläche · geometrischer Faktor. Skizziere E(ν) und bestimme das Minimum. Welche Bedeutung hat dies für Zugvögel? 148 Differentialrechnung Aufgabe 4.58 In der Enzymkinetik (Michaelis-Menten-Formel) treten Funkionen der Form ax f (x) = (a, K > 0) auf. K +x Diskutiere diese Funktion. Aufgabe 4.59 Diskutiere und zeichne f (x) = x2 − 4 . (1 − x)(1 + x) Aufgabe 4.60 Diskutiere und zeichne q(x) = x3 . 2x − 4 √ Aufgabe 4.61 Diskutiere die Funktion f (x) = x3 − 3x2 + 2. Bestimme den Definitionsbereich und ihre Maxima. Aufgabe 4.62 In der Fischereibiologie verwendet man die Rekrutierungsfunktionen αx F (x) = αx exp − xx0 (Ricker) sowie G(x) = 1+x/x (Beverton-Holt). Diskutiere diese 0 Funktionen. 4.6 Partielle Ableitung Die nächstliegende Methode, die Differentialrechnung auch auf reellwertige Funktionen mehrerer Variablen auszudehnen, ist, jeweils nur die Differenzierbarkeit nach einer Veränderlichen zu untersuchen. Wir wollen dies zunächst an Funktionen von 2 Variablen x und y diskutieren. Um unnötigen Schreibballast zu vermeiden, wollen wir annehmen, daß alle Funktionen auf hinreichend großen Gebieten erklärt und stetig sind. Definition: Die Funktion f (x, y) ist im Punkt (x0 , y0 ) partiell nach x differenzierbar, wenn die Funktion x 7→ f (x, y0 ) nach x differenzierbar ist. In diesem Fall 0) schreibt man df (x,x (x0 , y0 ) = ∂f (x0 , y0 ) und nennt diesen Ausdruck die partielle dx ∂x Ableitung von f nach x. Die partielle Ableitung nach y wird entsprechend definiert. Beispiel 4.18 i) √ f (x, y) = x7 y 3 + 3x2 y 5 − 4 xy 2 ∂f (x, y) = 7x6 y 3 + 6xy 5 − ∂x √2 y 2 x √ ∂f (x, y) = x7 3y 2 + 15x2 y 4 − 8 xy ∂y ii) f (x, y) = ex sin y , ∂f ∂f (x, y) = sin yex sin y , (x, y) = x cos yex sin y ∂x ∂y 4.6 Partielle Ableitung iii) f (x, y) = xy , 149 x > 0, y ∈ R ∂f ∂ y ln x ∂f (x, y) = yxy−1 , (x, y) = e = ln xey ln x = ln x · xy ∂x ∂y ∂y Sinngemäß überträgt sich die Definition auch auf Funktionen von 3 und mehr Variablen. Natürlich bleiben auch die alten Regeln des Differenzierens weiterhin gültig. Beispiel 4.19 p √ 1 f (x, y, z) = 3x2 y 4 z 7 − 4x17 y 1+z + x3 + y 2 + z ∂f 2 √ 1 + 21 √ 33x 2 (x, y, z) = 6xy 4 z 7 − 68x16 y 1+z x +y +z ∂x ∂f 1 (x, y, z) = 12x2 y 3 z 7 − 2x17 √1y 1+z + 21 √ 32y 2 x +y +z ∂y ∂f √ 1√ 1 1 (x, y, z) = 21x2 y 4 z 6 + 4x17 y (1+z) 2 + 2 x3 +y 2 +z ∂z Da die partiellen Ableitungen wieder Funktionen von x, y . . . sind, kann man erneut partielle Ableitungen bilden. Man schreibt dann z.B. ∂ f (x, y) ∂x ∂ ∂2 ∂ f (x, y) = f (x, y) ∂y∂x ∂y ∂x ∂ ∂ 3f ∂ ∂ = f ∂x∂y∂z ∂x ∂y ∂z ∂2 ∂ f (x, y) = 2 ∂x ∂x oder oder √ Beispiel 4.20 f (x, y) = x7 y 3 + 3x2 y 5 − 4 xy 2 1 ∂ 2f = 42x5 y 3 + 6y 5 + 3 y 2 2 ∂x x2 ∂ 2f 4 = 21x6 y 2 + 30xy 4 − √ y ∂x∂y x 4 ∂ 2f = 21x6 y 2 + 30xy 4 − √ y ∂y∂x x ∂2 ∂2 f= f . Man kann zeigen, daß dies generell gilt, wenn ∂x∂y ∂y∂x alle zweiten partiellen Ableitungen stetig sind, und dies ist fast immer der Fall. Hierbei fällt auf, daß Zur Vereinfachung werden wir daher nur Funktionen betrachten, deren partielle Ableitungen bis zu einer gegebenen Ordnung existieren und stetig sind. Unter der Ord- 150 Differentialrechnung nung einer mehrfachen Ableitung versteht man dabei die Gesamtzahl der Ableitungen. Zum Beispiel sind ∂ 4f ∂ 4f und ∂x∂y∂x∂x ∂y∂y∂x∂y partielle Ableitungen 4. Ordnung. Mit der oben gemachten Annahme gilt dann z.B. ∂ 3f ∂ ∂ ∂3 f= , d.h. und ∂x∂y∂y ∂y∂x∂y ∂x ∂y können vertauscht werden. Anschließend wollen wir uns noch den Mittelwertsatz für 3 Variable und den Satz von Taylor für 2 Variable ansehen und einige Konsequenzen daraus herleiten. Mittelwertsatz f (x, y, z) = f (x0 , y0 , z0 ) + ∂ f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(x − x0 ) ∂x (4.76) ∂ ∂ + f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(y − y0 ) + f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(z − z0 ) ∂y ∂z Dabei ist (x∗ , y ∗ , z ∗ ) ein Punkt der zwischen (x0 , y0 , z0 ) und (x, y, z) auf deren Verbindungsstrecke liegt. Für die Taylor-Reihe bis zur 2. Ordnung erhält man für eine Funktion von 2 Variablen f (x, y) ≈ f (x0 , y0 ) + + ∂ ∂f f (x0 , y0 )(x − x0 ) + (x0 , y0 )(y − y0 ) ∂x ∂y 1 ∂ 2f ∗ ∗ (x , y )(x − x0 )2 2 ∂x2 (4.77) ∂ 2f ∗ ∗ (x , y )(x − x0 )(y − y0 ) + ∂x∂y + 1 ∂ 2f ∗ ∗ (x , y )(y − y0 )2 2 ∂y 2 Die allgemeinen Formeln lassen sich entsprechend aus (4.76) und (4.77) gewinnen. Wir wollen nun einige Anwendungen betrachten. 4.6 Partielle Ableitung 151 Fehlerrechnung Die Größen x1 , . . . , xn seien mit den Fehlern ∆1 , . . . , ∆k bestimmt worden. Dann gilt wegen (4.76) f (x1 ± ∆1 , . . . , xk ± ∆k ) ≈ f (x1 . . . , xk ) ± ∂f ∂f ∆1 ± . . . ± ∆k . ∂x1 ∂xk Der Fehler der Größe f ist damit durch k X ∂f ∆f ≈ (x , . . . , x )∆ 1 k i ∂xi i=1 (4.78) abschätzbar. Extremwerte Hat eine Funktion von k Variablen x1 , . . . , xk einen Extremwert in (x∗1 , . . . , x∗k ), so gilt dort ∂f ∗ (x1 , . . . , x∗k ) = 0, (4.79) ∂xi denn die Funktion xi → f (x∗1 . . . , x∗i−1 , xi , x∗i+1 , . . . , x∗k ) hängt nur von xi ab und hat einen Extremwert bei x∗i . Wir hatten dies schon bei der linearen Regression verwandt und wollen es nun auf die Bestimmung der Maxima der Funktion Beispiel 4.21 f (x, y) = sin(xy)e−(x 2 +y 2 ) anwenden. Zunächst fällt auf, daß f (x, y) = −f (−x, y) = −f (x, −y) = f (−x, −y). Es genügt daher, den Bereich x ≥ 0, y ≥ 0 zu untersuchen. Da fernerhin f (0, y) = f (x, 0) = 0, können wir sogar x, y > 0 annehmen. Wir haben nun ∂f 2 2 2 2 = y cos(xy)e−(x +y ) − sin(xy) · 2xe−(x +y ) = 0 ∂x ∂f ∂y = x cos(xy)e−(x 2 +y 2 ) − sin(xy) · 2ye−(x 2 +y 2 ) = 0. Dies führt auf die Beziehungen y cos(xy) = 2x sin(xy) x cos(xy) = 2y sin(xy). Falls in diesen Beziehungen sin(xy) = 0 bzw. cos(xy) = 0, so folgt leicht x = 0 und y = 0. Das aber hatten wir ausgeschlossen. Nun gilt 1y 1x = tan xy = . 2x 2y 152 Also Differentialrechnung y x = x y oder x y = ±1. Nach unserer Annahme muß also x = y und x cos x2 = 2x sin x2 gelten. Da x 6= 0, erhalten wir tan x2 = 1 2 oder x2 = (0, 4636476 + nπ) n = 0, 1, 2, . . . Das absolute Maximum wird dabei für n = 0 angenommen. Wir wollen schließlich aus dem Mittelwertsatz noch eine einfache Form der Kettenregel herleiten. Dazu betrachten wir zunächst wieder eine Funktion von 3 Variablen x, y, z, die jedoch alle zeitabhängig sind, x = x(t), y = y(t), z = z(t). Wir haben also t → f (x(t), y(t), z(t)) und gesucht ist die Ableitung dieser Funktion an der Stelle t0 . Schreiben wir nun x(t0 ) = x0 , . . . , z(t0 ) = z0 und verwenden noch x(t) = x0 + dx ∗ dz (tx )(t − t0 ), . . . , z(t) = z0 + (t∗z )(t − t0 ) dt dt mit t∗x , t∗y , t∗z zwischen t und t0 , so erhalten wir aus (4.76) f (x(t), y(t), z(t)) = f (x0 , y0 , z0 ) + ∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗ (x , y , z ) · (tx )(t − t0 ) ∂x dt + ∂f ∗ ∗ ∗ dy ∗ (x , y , z ) · (ty )(t − t0 ) ∂y dt + ∂f ∗ ∗ ∗ dz ∗ (x , y , z ) · (tz )(t − t0 ) ∂z dt mit x∗ , y ∗ , z ∗ wie in (4.76). Dies ergibt: f (x(t), y(t), z(t)) − f (x0 , y0 , z0 ) ∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗ (x , y , z ) (tx ) = t − t0 ∂x dt + ∂f ∗ ∗ ∗ dz ∗ ∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗ (x , y , z ) (ty ) + (x , y , z ) (tz ) ∂y dt ∂z dt und mit t → t0 df ∂f dx (t0 ) = (x0 , y0 , z0 ) (t0 ) dt ∂x dt + dy ∂f dz ∂f (x0 , y0 , z0 ) (t0 ) + (x0 , y0 , z0 ) (t0 ) ∂y dt ∂z dt da ja mit t → t0 auch x∗ → x0 , t∗x → t0 , y ∗ → y0 , t∗y → t0 . . . 4.6 Partielle Ableitung 153 Allgemeiner lautet dies k X ∂f d dxi f (x1 (t), . . . , xk (t)) = (x1 (t), . . . , xk (t)) · (t). dt ∂x dt i i=1 (4.80) Aufgabe 4.63 Bilden Sie alle partiellen Ableitungen 1. Ordnung i) f (x, y, z) = xy 2 z 3 ii) f (x, y, z) = √ 2 x ln(x + y) · e−y z 6 . Aufgabe 4.64 Was läßt sich über eine Funktion f (x, y) sagen, für die ∂ f (x, y) = 0? ∂x Aufgabe 4.65 Es seien f und g zweimal stetig differenzierbar und ∂2 ∂2 h(x, t) = f (x+at)+g(x−at). Dann erfüllt h die Wellengleichung 2 h−a−2 2 h = 0. ∂x ∂t Aufgabe 4.66 Bestimmen Sie die Extremwerte von f (x, y) = xye−(x 2 +y 2 ) . x2 Aufgabe 4.67 Zeigen Sie, daß f (x, t) = √1t e− 4Dt eine Lösung der Diffusionsgleichung ∂ 2f ∂f =D 2 ∂t ∂x ist. Aufgabe 4.68 Ein Bademeister sieht von seinem Turm aus, wie ein Ertrinkender um Hilfe schreit. Er möchte natürlich möglichst schnell zu Hilfe eilen. Welchen Weg soll er wählen, wenn seine Geschwindigkeit an Land 4 km/h und im Wasser 2,5 km/h beträgt? Orientieren Sie sich an der untenstehenden Skizze. (Hinweis für Bademeister: Wenn Sie zuerst die Rechnung ausführen, kommen Sie in jedem Fall zu spät.) ∗ Turm α a 0 x β Position des Ertrinkenden ∗ (b, c) Wasser 154 Differentialrechnung Aufgabe 4.69 In Wasser ist das Produkt von Hydronium Ionenkonzentration [H3 0+ ] und Hydroxyl Ionenkonzentration [OH − ] annähernd konstant = 1014 (Maßeinh. Mol). Sei S = [OH − ] + [H3 O+ ]. Bestimme den Wert von [H3 O+ ] für den S minimal ist. Aufgabe 4.70 Der Energieverbrauch vom Wellensittich in Jg −1 km−1 wird durch E = v1 (0.31(v − 35)2 + 92) beschrieben. Dabei wird v in km/h gemessen. Welche Geschwindigkeit ist am sinnvollsten? Aufgabe 4.71 Für die Taufliegen fällt die Anzahl der Nachkommen y deutlich mit der Populationsdichte x gemäß y = 34.53e−0.018x x−0.658 . Bestimme y und y ′ für x = 20. Aufgabe 4.72 Der Ertrag Y einer Pflanzensorte wächst nicht beliebig mit der Düngung x, sondern genügt dem Gesetz von Mitcherlich. Sie wollen den Gewinn c1 Y − c2 x maximieren. y = y0 (1 − e−kx ) 4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen 1. Eine Firma möchte 1l Dosen herstellen. Dabei soll der Blechverbrauch minimal sein. r h Ist die Höhe der Dose h und r ihr Radius, so gilt für das Volumen V = πr2 · h und für die Oberfläche O = 2πr · h + 2r2 π. Da V fest vorgegeben ist, gilt h = πrV 2 und damit O = 2πr Also 2V V + 2r2 π = + 2r2 π. 2 πr r dO 2V = − 2 + 4rπ dr r p V dO 3 3 = 0 gibt schließlich r = oder r = V /2π. Für diesen Wert muß ein dr 2π Minimum vorliegen, denn O(r) → ∞ für r → 0 und r → ∞. 4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen 155 2. Das Wachstum vieler Populationen wird recht gut durch das Logistische Gesetz P (t) = P0 1 1 + ae−bt beschrieben. Wann ist die Wachstumsrate maximal? Wir haben nach der Quotientenregel für die normierte Wachstumsrate P P0 ′ abe−bt = = (1 + ae−bt )2 P P0 2 abe−bt . Also P P0 ′′ =2 P P0 ′ abe −bt P P0 − P P0 2 ab2 e−bt = 2 3 2 P P 2 2 −2bt abe − ab2 e−bt P0 P0 und damit wird (P/P0 )′′ = 0 wenn 2(P/P0 )ae−bt −1 = 0 oder 2ae−bt = 1+ae−bt . Also ae−bt = 1 oder ln a = bt, d.h. t = lnba . Setzt man diesen Wert oben ein, erhält man gerade P = P0 /2. 3. Kugelstoßen Unter welchem Winkel erzielt man beim Kugelstoßen die größte Weite? y v ϕ h x Die Abstoßgeschwindigkeit sei v0 und h sei die Abstoßhöhe. Dann gilt in der ballistischen Phase y ′′ = −g g = Erdbeschleunigung y ′ = −gt + v0 sin ϕ y = h + v0 sin ϕt − 12 gt2 . Der Stoß ist beendet zur Zeit t∗ , wenn y(t∗ ) = 0 oder 1 h + v0 sin ϕt∗ = gt∗2 . 2 156 Differentialrechnung Die Weite ist dann v0 cos ϕt∗ = W . Für h = 0 erhält man t∗ = 2v0 sin ϕ g1 und damit 1 w = 2v02 cos ϕ sin ϕ = v02 g −1 sin 2ϕ. g Diese Funktion hat ihr Maximum bei 45o . Aufgabe 4.73 Löse auch den Fall h 6= 0. 4. Anpassen von Kurven Biologie ist eine experimentelle Wissenschaft, d.h. alle Erkenntnisse beruhen auf Daten. Gleichwohl strebt man in den Naturwissenschaften an, Daten und Erkenntnisse gesetzmäßig zu erfassen. Gesetze geben nicht nur eine kompaktere Darstellung von Beziehungen sondern geben auch kausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren. Dazu wollen wir hier nur den einfachsten Fall behandeln, nämlich den Zusammenhang zwischen zwei Größen X und Y , z.B. X = Masse, Y Grundumsatz, X = Düngermenge, Y = Ertrag, X = Temperatur, Y = Ausbeute eines chemischen Prozesses. Gegeben seien nun die Meßwerte (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ). Gesucht ist ein Gesetz, d.h. eine Formel die X und Y in Beziehung setzt, also y = f (x). Um zu sehen, ob so etwas sinnvoll ist, trägt man zunächst die Datenwerte in ein Diagramm, das Streudiagramm ein. Jetzt kann man schon ungefähr sehen, ob so ein Gesetz Sinn macht. Im einfachsten Fall erhält man einen Graphen, wo die Daten alle auf einer glatten Kurve liegen (I). Das ist aber die Ausnahme, denn meist sind die Daten noch mit Meßfehlern und zufälligen Fehlern behaftet. Welche Funktion kommt also für in Frage, der Polygonzug oder die etwas glattere Kurve. Wir sehen schon, daß es eine große Zahl von Gesetzen (Funktionen) gibt, z.B. kann man n Datenpunkte immer durch ein Polynom vom Grade n exakt beschreiben. Das aber ist viel zu kompliziert. Wir müssen die Aufgabe daher präzisieren. Aufgabe 4.74 Beschreibe die Daten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) durch möglichst einfache Funktionen möglichst gut. 4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen 157 In dieser Anforderung stecken zwei entgegengesetzte Forderungen, nämlich einfache Darstellung und hohe Genauigkeit. Die Gesetze sollen also möglichst einfach aber präzise sein. In der Praxis wählt man dabei meist eine Familie von “flexiblen” Funktionen, die noch von mehreren Parametern abhängen und wählt dann die Parameter möglichst günstig. Hier ein paar Beispiele: (a) Lineare Funktionen f (x, a, b) = ax + b (b) Polynome f (x, a, b, . . . ) = axn + bxn−1 + · · · + e (c) Exponentialfunktionen f (x, a, b) = ae+bx (d) Potenzfunktion f (x, a, b) = axb Eine weitere Forderung an die Parameter dabei ist: Die Parameter müssen innerhalb der Theorie interpretierbar sein und eine bestimmte Bedeutung haben. Damit aber wird das Problem (a) Finde eine geeignete Funktionenfamilie. (b) Wähle die Parameter so, daß der Fehler möglichst klein wird. Als Fehler wählt man meist die quadratische Abweichung, denn kleine Abweichungen werden weitgehend vernachlässigt, während große Abweichungen stark zu Buche schlagen. Der quadratische Fehler bei Wahl der Parameter a, b, . . . ist also Q(a, b, . . . ) = n X i=1 [yi − f (xi , a, b, . . . )]2 . (4.81) Damit ist das Problem: Wähle a, b, . . . , so daß Q(a, b, . . . ) minimal wird. Dies führt sofort auf die Beziehungen ∂Q = 0, ∂a ∂Q = 0, . . . , ∂b (4.82) die für die Daten gelten müssen. Fassen wir die Schritte zusammen: 1. Erstelle ein Steudiagramm. 2. Aufgrund des Diagramms wähle eine geeignete Funktionenklasse F(a, b, . . . ). 3. Q(a, b, . . . ) → min. Hier einige Beispiele dazu: Beispiel 1: Vermutetes Gesetz y(x) = ax (Proportionalität) Q(a) = n X (yi − axi )2 i=1 dQ = −2 da X Pn yi xi ) = a. (yi − axi )xi = 0 ⇒ Pi=1 n 2 i=1 xi ( 158 Differentialrechnung Dieses a ist übrigens genau das Minimum, denn Q als Funktion von a ist eine Parabel. Beispiel 2: Die linearen Funktionen y(x) = ax + b Q(a, b) = n X (yi − axi − b)2 i=1 n n X X X ∂Q = −2 (yi − axi − b)a = 0 ⇒ yi = a xi + nb oder y = ax + b ∂k i=1 i=1 n n X X X ∂Q = −2 (yi − axi − b)axi = 0 oder yi xi = a x2i + nb. ∂a i=1 i=1 159 Kapitel 5 Integralrechnung Integralrechnung (Schwann, Analysis Grundkurs 12/13 § 4) 5.1 Flächeninhalt Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem beschränkten Intervall [a, b] mit nichtnegativen Werten. Gesucht ist der Flächeninhalt F unterhalb des Graphen von f . Dieses Problem müssen wir in zwei Teilprobleme aufspalten. Nämlich: Existiert ein Flächeninhalt, und zweitens, wie bestimmt man ihn? f F a b x Wir wollen die Bestimmung des Flächeninhaltes als Ausgangspunkt unserer Betrachtungen wählen. Fi f x0 = a x1 x2 xi xi+1 b = xn x Intuitiv würde man den Flächeninhalt F unterhalb des Graphen von f bestimmen, indem man das Intervall [a, b] in Teilintervalle [xi , xi+1 ] zerlegt und den Flächeninhalt Fi eines jeden Streifens Fi bestimmt und aufsummiert, P F = Fi . Fi können wir ungefähr bestimmen, indem wir uns einen Wert x′i ∈ ′ ′ [xi , xi+1 ] hernehmen und Fi durch den Streifen P Fi = [xi , xi+1′ ] × [0,′ f (xi )] ersetzen. Wir erhalten damit: F ist ungefähr gleich (xi+1 − xi ) · f (xi ) = F . 160 Integralrechnung F ′ entspricht dabei der schraffierten Fläche. Wenn die Funktion halbwegs vernünftig ist, wird F ′ ungefähr gleich F sein, sofern die Zerlegung fein genug ist. a b Wir wollen nun diese Überlegungen präzisieren. Für Sie ist es allerdings nicht erforderlich, alles im einzelnen nachzuvollziehen. Im allgemeinen genügt die Grundidee. Definition: Es sei [a, b], a < b, ein endliches Intervall. Eine Zerlegung von [a, b] ist dann eine Folge von Zahlen a = x0 < x1 < . . . < xn = b. Die Feinheit oder Weite der Zerlegung sei max (xi+1 − xi ) = w((xi )). 0≤i≤n−1 Alle Funktionen, die wir von nun ab betrachten, sollen reellwertige Funktionen sein, die auf dem festen Intervall [a, b], a < b, erklärt sind. Es sei f eine Funktion und a = x0 < x1 < . . . < xn = b eine Zerlegung von [a, b]. Ferner seien x′i ∈ [xi−1 , xi ], i = 1, . . . , n. Dann nennen wir den Ausdruck S (f, (xi ), (x′i )ni=1 ) = n X i=1 f (x′i )(xi − xi−1 ) (5.1) eine Riemann-Summe (R.S.) für f zu der Zerlegung (xi ) und den Zwischenpunkten (x′i ). Wenn es nun einen Flächeninhalt F unter dem Graphen von f gibt, erwarten wir, daß S(f, (xi ), (x′i )) → F , wenn die Zerlegung feiner und feiner gemacht wird. Dies legt folgende Definition nahe. Definition: f heißt (Riemann-)integrierbar (R.i.), wenn es ein F ∈ R gibt, so daß es zu jedem ε > 0 ein δ(ε) > 0 gibt mit |F − S(f, (xi ), (x′i ))| < ε, sofern die Feinheit der Zerlegung w((xi )) < δ. Falls f R.i., so nennen wir F das (Riemann-)Integral von f über [a, b] und bezeichRb nen es mit a f (x)dx. Man nennt f den Integranden, x die Integrationsvariable und a und b die Grenzen des Integrals. Bei dieser Definition muß man noch berücksichtigen, daß die Zahl F , falls sie existiert, eindeutig ist, weil dies für Grenzwerte gilt. Grob gilt also S(f, (xi ), (x′i )) → Zb f (x)dx = Fläche zwischen a, b unterhalb des Graphen von f . Also genau, was wir a erwartet haben. 5.1 Flächeninhalt 161 Bei Summen hatten wir n X i=1 ai = n X aj , j=1 d.h. die Summationsvariable spielt keine Rolle. Entsprechend gilt auch beim R.I., daß es unabhängig von der Integrationsvariablen ist. Also Zb f (x)dx = a Zb a f (t)dt = Zb f (s)ds . . . . a Beispiel 5.1 Es sei c, d ∈ [a, b] und c ≤ d. Ferner sei e c≤x≤d f (x) = 0 sonst. f e Es sei nun (xi )ni=1 eine Zerlegung von [a, b] der Weite w(x) < δ > 0, und es sei c ∈ [xi0 −1 , xi0 ] und d ∈ [xi1 −1 , xi1 ]. a c d b Dann gilt offensichtlich für die zugehörige Zwischensumme S e(xi1 −1 − xi0 ) ≤ S ≤ e(xi1 − xi0 −1 ) Rb falls e ≥ 0, d.h. |S−e(d−c)| ≤ 2ew((xi )). Also existiert das Integral und a f (x)dx = e(d−c), d. h., man erhält das erwartete Ergebnis. Ein allgemeines wichtiges Resultat ist nun der folgende Satz. Er zeigt, daß die Flächen bzw. das Integral bei allen anständigen Funktionen existieren. Jede stetige reellwertige Funktion ist Riemann-integrierbar. Allgemeiner sind auch stückweise stetige Funktionen integrierbar. Dabei ist eine Funktion stückweise stetig, wenn sie stetig ist mit Ausnahme von endlich vielen Punkten. Für uns bedeutet dies, daß praktisch alle in der Biologie auftretenden Funktionen R.i. sind, d.h., Sie brauchen sich um die Existenz nicht zu sorgen (aber wohl um die Berechnung!). Dieser Satz bedeutet insbesondere, daß für solche Funktionen das Integral durch beliebige Zwischensummen approximiert werden kann. Üblicherweise nimmt man dabei äquidistante Zerlegungen xi = a + b−a i und n x′i = xi oder = xi+1 . Natürlich hilft die bloße Existenz des Integrals in Anwendungen gar nichts, sondern wir benötigen noch Regeln, um Integrale zu berechnen. Dazu benötigen wir zunächst einige Regeln, um mit Integralen umzugehen. 162 Integralrechnung Eigenschaften des Integrals a) Es seien f und g integrierbar. Dann ist f + g integrierbar und Zb (f (x) + g(x))dx = Zb g(x)dx + f (x)dx. (5.2) a a a Zb b) Es sei f integrierbar und c ∈ R. Dann ist cf integrierbar und Zb cf (x)dx = c a Zb f (x)dx. (5.3) a c) Ist f integrierbar und f ≥ 0, so gilt Zb f (x)dx ≥ 0. (5.4) a d) Sind f und g integrierbar und gilt f (x) ≥ g(x), so haben wir Zb f (x)dx ≥ a Zb g(x)dx. (5.5) a Man zeigt dies mit Hilfe der Zwischensummen. Zerlegungssatz Es sei a < c < b. Dann ist f genau dann über [a, b] integrierbar, wenn es über [a, c] und [c, b] integrierbar ist. In diesem Fall gilt Zb a f (x)dx = Zc a f (x)dx + Zb f (x)dx. (5.6) c Interpretiert man die Integrale als Flächeninhalte, so sind diese Eigenschaften meist unmittelbar klar. 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Bislang haben wir noch keine vernünftige Methode zur Hand, um Integrale zu bestimmen. Eine solche wollen wir nun herleiten. Tatsächlich ist dies für uns praktisch die einzige Methode. 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 163 Es sei nun f über [a, b] integrierbar. Wir betrachten dann die Funktion F (x) = Zx f (t)dt, (5.7) a die uns den Flächeninhalt unter f bis x angibt. Uns interessiert dabei aber F als Funktion von x. Offensichtlich ist nun F (x′ ) − F (x) das doppelt schraffierte Flächenstück und F (x′ ) − F (x) ≈ f (x)(x′ − x) f falls x′ nahe bei x liegt. Für stetige Funktionen gilt F (x′ ) − F (x) = f (x) x →x x′ − x lim ′ a x d.h. F ist differenzierbar, und F ′ = f . Ein solches F nennt man auch eine Stammfunktion von f . x′ Wir haben damit das wichtige Ergebnis, das eine Beziehung zwischen Integration und Differentiation herstellt. Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung a) Es sei f eine stetige reellwertige Funktion auf [a, b]. Dann ist F (x) = eine Stammfunktion von f , d.h., es gilt F ′ = f . Rx a f (t)dt b) Ist umgekehrt F eine Stammfunktion von f , so gilt Zb f (x)dx = F (b) − F (a) = F |ba . a Durch diesen Satz werden also Differentiation und Integration eng miteinander verknüpft, und man kann sagen: Integration ist die Umkehrung der Differentiation und umgekehrt. Dies ist bei weitem das wichtigste Ergebnis in diesem Abschnitt. Sie sollten es daher hinreichend gut verinnerlichen. Durch diesen Satz wird auch ein anderes Problem von uns gelöst. Läuft ein Prozeß mit der Rate f (t) ab, so ist der Stoffumsatz bzw. Stoffdurchlauf im Zeitintervall [a, b] Rt Rb gerade a f (t)dt = F (b) − F (a). Dabei ist F (t) = a f (s)ds. Beispiel 5.2 Zπ 0 ′ denn es gilt − cos x = sin x. sin xdx = − cos π + cos 0 = 2, 164 Integralrechnung Beispiel 5.3 Z2 xα dx = 1 (2α+1 − 1), α 6= −1 α+1 1 1 xα+1 )′ = xα . denn ( α+1 Rπ 2 Beispiel 5.4 0 sin R πxdx = I läßt sich so unmittelbar nicht berechnen. Da aber offensichtlich auch 0 cos2 xdx = I ist, haben wir 2I = Zπ (sin2 x + cos2 x)dx = Zπ 1dx = π oder I = π . 2 0 0 R2 Beispiel 5.5 Es ist 1 x1 dx = ln 2. Eine Näherungssumme dafür ist für x0 = 1, x1 = 1 + 1, x2 = 1 + n2 , . . . n 1 Sn = n 1 1+ 1+ 1 n 1 + 1+ 2 n + ... ! = 1 1 1 1 + + + ... + n n+1 n+2 2n − 1 → ln 2. Wegen des Hauptsatzes führen alle wichtigen Ergebnisse der Differentialrechnung zu entsprechenden Aussagen der Integralrechnung. Die Produktregel (f · g)′ = f ′ g + g ′ f beispielsweise führt zum Satz über die partielle Integration. Partielle Integration Es seien f und g differenzierbar, dann gilt: Zb ′ f (x)g(x)dx = − Zb f (x)g ′ (x)dx + f (b)g(b) − f (a)g(a). a a Beispiel 5.6 Z1 x xe dx = xex |10 0 − Z1 1ex dx = e1 − (e1 − e0 ) = 1 0 Auch die Kettenregel (F (g(x)))′ = F ′ (g(x))g ′ (x) hat ein entsprechendes Ergebnis. (5.8) 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung 165 Substitutionsregel Es sei f stetig und g differenzierbar, und f · g sei definiert. Dann gilt Zb a Zg(b) f (y)dy. f (g(x))g ′ (x)dx = (5.9) g(a) Zum Beweis wähle F , so daß F ′ = f . Beispiel 5.7 Z1 2x dx = 1 + x2 Z1 = Z1 0 1 · 2xdx (mit g(x) = 1 + x2 ) 1 + x2 0 ′ f (g(x)) · g (x)dx = Z2 1 dy y 1 0 = [ln y]21 = ln 2 − ln 1 = 0, 6931 . . . Beispiel 5.8 Z1 √ 1 − x2 dx. −1 p f (y) = 1 − y 2 , g(x) := sin x, g ′ (x) = cos x, sin π2 = 1, sin(− π2 ) = −1. Für x ∈ p [− π2 , π2 ] ist cos x ≥ 0 also f (g(x)) = 1 − sin2 x = cos x. π Z2 p Z1 p 1 − y 2 dy = 1 − sin2 x · cos xdx − π2 −1 π = Z2 cos2 xdx = − π2 π (vgl. Beispiel 5.4). 2 √ Man beachte, daß 1 − x2 gerade den Halbkreisbogen beschreibt. Der Flächeninhalt des Einheitskreises ist also gerade π. Beispiel 5.9 Z dx = sin x cos x Z 1 dx = tan x · cos2 x Z 1 (tan x)′ dx = ln | tan x|. tan x Beispiel 5.10 Z 1 dx = sin x 2 Z x dx tan = ln + C. sin x2 cos x2 2 166 Integralrechnung Gesetz über das allometrische Wachstum Es sei y(t) der Wert einer bestimmten Größe (Stoffmenge) zur Zeit t. Dann ist y ′ (t) ′ (t) die Veränderungsrate dieser Größe und yy(t) die relative Veränderungsrate. Beispiel 5.11 i) s(t) sei der Ort eines Teilchens. Dann ist s′ (t) = v(t) die Geschwindigkeit, v ′ (t) die Beschleunigung, ii) y(t) sei die Größe (Anzahl) einer Population zur Zeit t. Dann ist y ′ (t) die Wachstumsrate. iii) y ′ /y ist dann die relative Wachstumsrate. In der Biologie gilt für viele Größen x, y, z . . . (z.B. Gesamtmasse, Masse bestimmter Organe, Länge bestimmter Organe, Oberfläche. . . ) das Gesetz des allometrischen Wachstums, d.h., die relativen Wachstumsraten sind proportional. Im Volksmund würde man sagen: Wer viel hat, dem wird noch mehr gegeben. Mathematisch bedeutet dies also c y′ x′ = . x y (5.10) Wir integrieren nun (5.10) von 0 bis t und erhalten mit der Substitution u = x(t) aus Zt ′ Zx(t) x 1 x(t) dt = du = ln x(t) − ln x(0) = ln x u x(0) 0 x(0) zunächst y(t) = c ln ln y(0) x(t) x(0) = ln x(t) x(0) c Entlogarithmieren ergibt y(t) = y(0) · x(t)c c x(0) oder y(t) = Ax(t)c . (5.11) Für Größen, die durch das allometrische Gesetz verknüpft sind, gilt also (5.11). Dieser Zugang geht besonders auf J. Huxley (Problems of Relative Growth, London 1932) zurück. Das hier zitierte Buch enthält eine Fülle von Beispielen dazu. Aufgabe 5.1 Finden Sie Stammfunktionen 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung a) b) c) d) e) f) R xdx g) R et2 dt h) R i) R − 14 x4 dx dx R 1 dt 2 R x−2 dx Aufgabe 5.2 Berechnen Sie b) R√ xdx R 0 Z2 Ze2 Z4 sin Zπ cos xdx, Z2 c) sin xdx π d) ln wdw 0 Aufgabe 5.3 Man berechne Z2 a) (2 + 3x)dx, c) 1 √ dx, x π 4 − x dx 0 0 Z2 (x + 3)2 dx 1 1 b) 2 dz z3 πdx R√ 2pxdx j) R√ k) 2pxdp R 2 l) 5 √ 4 z dz π a) R 167 d) Z1 √ √ x+x6x √ dx. 3 x 0 1 Aufgabe 5.4 Mittels Produktregel berechne man a) Z2 x · 2x dx, Z1 √ x 1 + xdx, Z2 ln xdx. 0 b) 0 c) 0 Aufgabe 5.5 Mit Hilfe der Produktregel bestimme man eine Stammfunktion zu a) f : R+ → R, f (x) := ln x , x2 b) f : R → R, f (x) := sin2 x. 168 Integralrechnung Aufgabe 5.6 Man beweise: a) c > a, b ⇒ Zb a 1 dx = ln(c − b) − ln(c − a). x−c b) Auf R\{c} ist ln |x − c| Stammfunktion zu 1 . x−c Aufgabe 5.7 Man berechne mit Hilfe der Substitutionsregel: a) Z1 x2 (1 + x3 )4 dx, Z10 xe−x dx, Z1 √ 0 b) 2 0 c) 0 x3 dx (y = g(x) = x2 ). 2 1+x Aufgabe 5.8 Berechne mit Hilfe der Variablentransformation a) Za 1 (ln t)2 dt. t Za tan tdt. Za ex dx e2x + 1 Z1 (ax2 + b)5 xdx. 1 b) 0 c) 0 d) 0 Aufgabe 5.9 Berechne |x| ≤ a. Z √ dx mit Hilfe der Substitution x = a sin t sofern a2 − x 2 Aufgabe 5.10 Berechne mit mehrfacher partieller Integration Za 0 xn eax dx. 5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Aufgabe 5.11 Berechne Z2 169 √ x3 1 + x2 dx. 1 Aufgabe 5.12 Bestimme eine Stammfunktion zu xα ln x. (Hinweis: Partielle Integration) π Aufgabe 5.13 Z2 0 cos x dx (Substitution g = sin x). 1 + sin2 x Aufgabe 5.14 Ist x → Zx2 sin(t2 )dt differenzierbar? Bestimmen Sie ggf. die Ablei- 0 tung. Aufgabe 5.15 Leiten Sie Zx 2 et dt ab. 0 Aufgabe 5.16 Berechne Zx sin2 tdt mit Hilfe der partiellen Integration. Leiten Sie 0 aus diesem Ergebnis auch Zx 0 Aufgabe 5.17 Berechne: a) Zπ x sin xdx. Zπ x2 ex dx. Z2π cos xex dx. Zπ x2 cos xdx. 0 b) 0 c) 0 d) 0 cos2 tdt her. 170 Integralrechnung 5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen Mit Hilfe der Integralrechnung können wir nun Flächen berechnen. Wird beispielsweise die Fläche F durch f und g berandet, so gilt f F = (f − g)dx, (5.12) a F denn g a Zb b Zb f dx ist die Fläche unterhalb von f , a x während Zb gdx die Fläche unterhalb von g ist. a Mit Hilfe der Integration können wir auch Volumina bestimmen. Ist etwa ein Körper gegeben, der durch die Flächen in x = a und x = b begrenzt wird und der an der Stelle x den Querschnitt Q(x) hat, so gilt für das Volumen V dieses Körpers Q(x) x a b V = Zb Q(x)dx. (5.13) a Als Spezialfall von (5.13) wollen wir das Volumen eines Drehkörpers bestimmen, der durch Rotation des Graphen einer Funktion f entsteht. In diesem Fall ist Q(x) = π · f (x)2 und wir erhalten V =π Zb a f (x)2 dx. (5.14) 5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen 171 f a b x Wir haben hierbei natürlich f (x) ≥ 0 in [a, b] vorausgesetzt. Beispiel 5.12 Das Volumen der Spindel, die durch Rotation der Funktion f (x) = sin x um die x-Achse zwischen 0 und π entsteht, ist V =π Zπ 1 sin2 xdx = π 2 . 2 0 Beispiel 5.13 Bestimme das Volumen des Rotationsellipsoids, das durch Rotation einer Ellipse mit den Hauptachsen a und b entsteht. Die Gleichung der Ellipse ist x2 y 2 + 2 =1 a2 b oder 2 y =b 2 x2 1− 2 a , −a ≤ x ≤ a. z y x Also erhalten wir Za x3 a 4π 2 x2 2 2 1 − 2 dx = 2πb x − 2 |a0 = 2πb2 a − b a. V = 2πb = a 3a 3 3 0 Um die Oberfläche (genauer Mantelfläche M ) eines Rotationskörpers zu bestimmen, gehen wir von der folgenden Skizze aus. Dabei ist es klar, daß die Oberfläche sich aus kleinen Oberflächensegmenten der Form ∆f ∆x x a x x + ∆x b x x + ∆x 172 Integralrechnung zusammensetzt. Die Mantelfläche eines jeden solchen Segmentes ist ungefähr oder p 1 △O = (f (x) + f (x + △x)) · △x2 + △f 2 · 2π 2 2 s 1 ′ △f △O ≈ 2π f (x) + f (x) △ x △x 1+ 2 △x s s 2 2 △f △f ′ 2 = 2πf (x) 1 + △ x + πf (x) △ x · 1 + △x △x Insgesamt erhält man für die Mantelfläche M M = lim △x→0 X △O = 2π Zb f (x) a p 1 + f ′ (x)2 dx. (5.15) √ Beispiel 5.14 ∗ Oberfläche einer Kugel f (x) = R2 − x2 s ZR √ ZR 2 1 x M = 2π2 R 2 − x2 1 + 2 dx = 4π (R2 − x2 + x2 ) 2 dx 2 R −x 0 = 4πR · 0 ZR dx = 4πR2 . 0 Beispiel 5.15 Oberfläche der Spindel aus Beispiel 5.12 f (x) = sin x M = 2π Zπ π √ sin x 1 + cos2 xdx = 4π 0 Z2 √ sin x 1 + cos2 xdx. 0 Wir setzen hier cos x = u u′ = − sin x und erhalten M = 4π Z1 √ 1 + u2 du. 0 Um dieses Integral zu lösen führen wir die Funktionen 1 1 C(x) = (ex + e−x ) und S(x) = (ex − e−x ) 2 2 (5.16) ein. Für diese Funktionen gilt C 2 − S 2 = 1 und S ′ = C, C ′ = S (5.17) 5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen 173 wie man leicht nachrechnet. Mit der Substitution u = S(t) erhalten wir mit a = S −1 (1): M = 4π Z1 √ 1 + u2 du = 4π 0 = 4π Za Za √ C 2 − S 2 + S 2 Cdt 0 C 2 dt = π Za (e2t + 2 + e−2t )dt 0 0 1 1 2a −2a (e − 1) + 2a + (1 − e ) = π 2 2 a −a = π e S(a) + 2a + e · S(a) = π ea + e−a + 2a n p o √ = π {2C(a) + 2a} = π 2 1 + S 2 (a) + 2a = 2π[ 2 + a]. Die Funktionen C bzw. S werden übrigens hyperbolischer Cosinus bzw. hyperbolischer Sinus genannt. 1 Beispiel 5.16 Oberfläche des Parabelbogens f (x) = x2 zwischen 0 und 1. Es ist 2 Z1 1 1 O = 2π x2 (1 + x2 ) 2 dx. Wir substituieren hier wieder x = S(t) und erhalten wie 2 0 oben O = π Za S 2 C 2 dt, und dies läßt sich leicht bestimmen. 0 Schließlich wollen wir noch eine Formel für die Bogenlänge eines Graphen herleiten. Dazu sei f eine stetig differenzierbare Funktion auf dem Intervall [a, b]. ∆f ∆B ∆x a x f x + ∆x Dabei ist △B ≈ b p △x2 + △f 2 . Deshalb wird B = lim △x→0 oder Die Bogenlänge B des Graphen von f zwischen a und b setzt sich dann aus Segmenten △B(x) zusammen. X △B(x) = lim △x→0 X s 1+ Zb p 1 + f ′ (x)2 dx. B= a △f △x 2 △x (5.18) 174 Integralrechnung Beispiel 5.17 Umfang U eines Kreises vom Radius R √ f (x) = R 2 − x2 s ZR ZR dx x2 1+ 2 . dx = 4 R √ U = 4· 2 R −x R 2 − x2 0 0 Setzen wir x R = t, so wird daraus U =4·R Z1 0 √ dt . 1 − t2 Mit t = sin u ergibt dies U = 4R π π Z2 Z2 0 cos u p du = 4R 1 − sin2 u cos u du = 2πR. cos u 0 Aufgabe 5.18 Eine Holzkugel vom Radius R schwimmt im Wasser, und Kugel ragt aus dem Wasser empor. Bestimme die Dichte des Holzes. R 2 dieser Aufgabe 5.19 Der Parabelbogen y = x2 , 0 ≤ x ≤ 1 werde um die x bzw. y-Achse gedreht. Berechne die Volumina der entstehenden Rotationskörper. Aufgabe 5.20 Bestimmen Sie das Volumen des Drehkörpers, der durch Rotation des Kreises mit Radius R und Mittelpunkt (0, R) um die x-Achse entsteht. - Dies ist ein Torus (Doughnut) mit minimalem Mittelloch. Aufgabe 5.21 Berechne die unbestimmten Integrale von 1. xn ln x n = 0, 1, 2 2. xn e−x n = 0, 1, 2 Aufgabe 5.22 Bestimme das unbestimmte Integral Rx t3 dt. z t2 −1 Aufgabe 5.23 Bestimme durch geeignete Variablensubstitution 1. 2. 3. 4. 5. R2 x1/2 dx 1 1+x1/4 √ 1− x √ 1 1+ x R2 R2 dx 1 x1/2 +x1/3 √ √3x+2−1 dx 2 3x+2+1 R3 R7 (ln x)4 x 3 5.4 Uneigentliche Integrale 6. 7. 8. R2 1 Rπ 0 R √ 175 dx 2x2 +3x+1 sin4 xdx √ x3 x2 +4x+13 2 Aufgabe 5.24 Bestimme das Volumen des Rotationskörpers der durch e−x x ≥ 0 entsteht. 5.4 Uneigentliche Integrale Die Definition des Riemann-Integrals setzt voraus, daß die Integrationsintervalle und die Integranden endlich sind. Im folgenden wollen wir uns von diesen Einschränkungen lösen. Zur Vereinfachung setzen wir voraus, daß alle Integranden stückweise stetig sind. Unendliche Integrationsintervalle Nehmen wir beispielsweise an, wir wollen die Fläche unter dem Graphen von f (x) = x−α , α > 1 und x ∈ [1, ∞) bestimmen. Dann wird man zunächst Zb x−α dx = 1 1 [b−α+1 − 1] −α + 1 für sehr große b bestimmen. Man sieht dann sofort, daß für b → +∞ b−α+1 → 0. Wir setzen daher Z∞ 1 1 [1 − b−α+1 ] = . b→∞ α − 1 α−1 x−α dx = lim 1 Dieser Vorgang kann unmittelbar verallgemeinert werden. Definition: Die Funktion f ist über das Intervall [a, ∞) Riemann-integrierbar, wenn der Grenzwert Zb Z∞ lim f (x)dx = f (x)dx b→∞ a a existiert. Man sagt dann auch, daß das Integral konvergiere. Dieser Begriff ist dem Konvergenzbegriff bei Reihen und Folgen sehr ähnlich, denn für große b streben die Integrale einem Grenzwert zu. Genauer bedeutet das: Zu ε > 0 existiert ein b0 = b0 (ε) mit b Z Z∞ f (x)dx − f (x)dx < ε für alle b ≥ b0 . a a 176 Integralrechnung Beispiel 5.18 Z∞ e−αx dx = 1 −αa e , α α>0 a denn Zb 1 1 1 e−αx dx = − e−αx |ba = + e−αa − e−αb . α α α a Analog definiert man Integrale der Form Za f (x)dx. −∞ Dagegen sagt man, daß R∞ −∞ f (x)dx konvergiert, wenn für irgendein a ∈ R Z∞ f (x)dx und a Za f (x)dx. −∞ existieren. In diesem Fall setzt man: Z∞ −∞ f (x)dx = Za f (x)dx + −∞ Z∞ f (x)dx. (5.19) a Man sieht dann leicht, daß diese Definition unabhängig von a ist. Schaut man sich die Definition der Konvergenz (Existenz) uneigentlicher Integrale genauer an, stellt man fest, daß sie der Konvergenz unendlicher Reihen sehr ähnlich ist. Dies ist in der Tat der Fall, jedoch wollen wir diesen Gesichtspunkt hier nicht weiter vertiefen. Für uns ist hier nur noch die Parallele zum Majorantenkriterium wichtig. Majorantenkriterium R∞ Das Integral a f (x)dx konvergiert, wenn es eine Funktion g gibt, für die gilt i) g(x) ≥ |f (x)| R∞ ii) a g(x)dx existiert. In diesem Fall gilt insbesondere ∞ Z Z∞ Z∞ f (x)dx ≤ |f (x)|dx ≤ g(x)dx. a a Man nennt g dann eine Majorante für f . a (5.20) 5.4 Uneigentliche Integrale 177 Beispiel 5.19 Z∞ 2 e−x dx −∞ R∞ 2 2 existiert. Wir müssen zeigen, daß −∞ e−x dx und 0 e−x dx existiert. Aus Symme2 triegründen genügt es, das zweite Integral zu untersuchen. Es ist aber √ e−x ≤ ee−x , R R 2 ∞ ∞ da x2 ≥ x − 1 für x ≥ 0 und 0 ee−x dx existiert. Es ist −∞ e−x dx = π. R0 Integraltest für Reihen Es sei f monoton fallend auf [0, ∞). Dann konvergiert ∞ P f (n) konvergiert und n=1 ∞ X n=k Z∞ f (n) ≈ R∞ 1 f (x)dx genau dann, wenn f (x)dx. (5.21) k− 21 Die Formel (5.21) ist dabei als eine Näherung für den Reihenrest zu verstehen. Dieses Integralkriterium ist eigentlich die beste Methode, um über die Konvergenz von Reihen Aussagen zu machen. Beispiel 5.20 ∞ P 1 n2 n=1 konvergiert, weil rungsweise zu berechnen, schreiben wir R∞ 1 dx x2 = − x1 |∞ 1 = 1. Um nun ∞ P n=1 1 n2 nähe- Z∞ ∞ ∞ X X 1 1 1 1 1 1 1 = 1 + + + ... + + ≈ 1 + + ... + + x−2 dx 2 2 n 4 9 100 n=11 n 4 100 n=1 10,5 = 1.54977 + 1 = 1, 64501 10, 5 Der wahre Wert ist π2 6 = 1, 64493 . . .. Unbeschränkter Integrand Mit der gleichen Methode wie bisher können wir auch den Fall eines unbeschränkten Integranden behandeln. Wir wollen dies zunächst an einem Beispiel sehen. Beispiel 5.21 f (x) = xα , −1 < α, x ∈ (0, 1]. Es ist 1 (1 − bα+1 ). Für b → 0 (von rechts) gilt dann α+1 lim b→0+ Z1 b R1 b xα dx = 1 1 (1 − bα+1 ) = . b→0+ α + 1 α+1 xα dx = lim 1 xα+1 |1b α+1 = 178 Integralrechnung R1 1 Wir schreiben dann 0+ xα dx = α+1 , α > −1. Rb Definition: a f (x)dx mit f unbeschränkt bei b existiert (konvergiert), wenn lim Zc c→b c<b a f (x)dx = Zb− f (x)dx a existiert, d.h. wenn zu ε > 0 ein c0 = c0 (ε) existiert mit c Z Zb− f (x)dx − f (x)dx < ε für alle c mit b > c ≥ c0 . a Entsprechend definiert man a Rb a+ f (x)dx, wenn f bei a unbeschränkt ist. Hat man eine Funktion, die an mehreren Stellen unbeschränkt ist, muß man das Integrationsintervall in Teilintervalle aufspalten, so daß in jedem nur eine Singularität von f liegt. Das Gesamtintegral konvergiert dann, wenn alle Teilintegrale konvergieren. Ferner ist klar, daß alle Integrationstechniken wie partielle Integration, Variablensubstitution etc. auch auf uneigentliche Integrale anwendbar sind, sofern die Operationen mit den Limesbildungen verträglich sind und die Integrale konvergieren. Diese uneigentlichen Integrale sind hauptsächlich im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung wichtig. R∞ Aufgabe 5.25 Zeigen Sie, daß Γ(s) = 0 xs−1 e−x dx für s ≥ 1 konvergiert, indem R∞ R1 Sie 0 und 1 betrachten. Aufgabe 5.26 Zeigen Sie durch partielle Integration, daß Γ(s + 1) = sΓ(s), s ≥ 1, ist. 179 Kapitel 6 Differentialgleichungen 6.1 Populationsmodelle Eine Differentialgleichung (DG) ist eine Gleichung, in der eine unbekannte Funktion y nebst ihren Ableitungen vorkommt. Die höchste vorkommende Ableitung bestimmt die Ordnung der DG. Wir wollen immer davon ausgehen, daß die DG nach der höchsten vorkommenden Ableitung aufgelöst ist. Man spricht dann auch von expliziten DG. Beispiel 6.1 i) y ′ = ry ii) y ′ = xy 2 + 2x iii) y ′′ = −y ′ iv) y ′′ = y ′ y 2 + xy 2 sind explizite DG erster bzw. zweiter Ordnung, von denen wir (i) und (iii) schon kennengelernt haben. Eine Lösung einer DG ist eine differenzierbare Funktion y, die die Gleichung erfüllt. Im allgemeinen hängt die Lösungsmenge einer DG der Ordnung k noch von k Parametern (Integrationskonstanten) ab. Beispiel 6.2 1. y (k) = 0 hat als Lösung y = a0 + a1 x + . . . + ak−1 xk−1 , alle Polynome vom Grad (k − 1). Die Koeffizienten sind die Parameter. 2. y ′ = ry hat als Lösung y = Aerx 3. y ′′ = −y hat als Lösung y = A sin x + B cos x. DG treten in der Biologie besonders im Zusammenhang mit Modellen auf. Eine große Klasse davon sind die Populationsmodelle. 180 Differentialgleichungen Es sei y = y(t) die Zahl von Individuen in einer Population. Hierbei kann es sich durchaus um Populationen von Tieren etc. handeln. Bezeichnet g = g(t) bzw. s = s(t) die Geburts- bzw. Sterberate zur Zeit t, so erhält man als DG für das Bevölkerungswachstum y ′ = (g − s)y. (6.1) Sind die Zeiträume, in denen man das Bevölkerungswachstum untersucht, nicht zu groß, so kann man g und s als konstant annehmen. Man erhält dann y ′ = ry r = g − s. (6.2) y(t) = y(0)er(t−t0 ) . (6.3) Die DG hat als eindeutige Lösung (6.2) bzw. (6.3) beschreibt das sog. Malthussche oder exponentielle Wachstum. Dies brachte Darwin auf die Idee des Kampfes der Arten untereinander und damit zur Selektionstheorie. Die DG (6.1) bzw. (6.2) gilt meist nur für kurze Zeiträume und bei nicht sehr dichten Populationen, denn in dichten Populationen spielen Wettbewerb, Kämpfe und Nahrungsbeschaffung eine Rolle. Da die Wahrscheinlichkeit, daß sich zwei Individuen im Konflikt gegenüberstehen, proportional zu y 2 ist, wird man statt (6.2) besser y y ′ = ry − ky 2 = ry 1 − (6.4) K schreiben. (6.4) ist die bekannte logistische Gleichung. Läßt man noch Zu- und Abwanderung zu, erhält man noch etwas allgemeiner y + n(t). y ′ = ry 1 − K Dabei ist n(t) die Nettozuwanderungsrate. Die logistische DG (6.4) können wir auch in der Form d( Ky ) y y = 1− d(rt) K K schreiben. Mit den neuen dimensionslosen Variablen τ = rt und z = Ky haben wir also dz = z(1 − z). (6.5) dτ Durch Übergang zu den dimensionslosen Größen haben wir in (6.4) also die beiden Parameter K, r eliminiert, und wir wissen, daß jede Lösung von (6.4) nur die Kombination rt bzw. Ky enthält. In Anwendungen ist es daher außerordentlich wichtig, dimensionslose Größen zu verwenden. Um (6.5) zu lösen, schreiben wir zunächst 1 1 1 = + z(1 − z) z 1−z (Partialbruchzerlegung) 6.1 Populationsmodelle 181 sowie 1 dτ 1 1 = = + . (6.6) z(1 − z) dz z 1−z Dies ist möglich, sofern z(t) 6= 0, 1. Wir integrieren nun (6.6) von 0 bis τ und verwenden z(0) = z0 . Dann haben wir τ= Zτ 0 1dt = Zτ 0 1 1 + z 1−z dz dτ = dτ Zz(τ ) z0 1 1 + z 1−z dz. indem wir die Variable τ → z(τ ) substituieren. Insgesamt gibt dies ) 1 − z(τ ) z(τ ) τ = ln z − ln(1 − z) z(τ − ln z0 = ln z0 1 − z0 oder τ = ln oder z(1 − z0 ) z0 (1 − z) z(1 − z0 ) . z0 (1 − z) Löst man diese Beziehung nach z auf, so erhält man schließlich eτ = z = 1 − e−τ bzw. y = K − Ke−rt (1 − z0 ) z0 (1 − e−τ ) + e−τ (6.7) y0 (K − y0 ) =K . −rt −rt y0 (1 − e ) + Ke y0 + (K − y0 )e−rt (6.8) 1.2 1 0.8 0.6 Logistische Gleichung mit r=K=1, y(0)= 0.1, 0.2, 0.3, 0.4 0.4 0.2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 182 Differentialgleichungen 1.4 Log. Gl. mit r=K=1, y(0)=0.1 und konst. Zuwanderung A=-0.1, -0.05, 0, 0.05, 0.1, 0.15, 0.2 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 1 2 3 4 5 6 Um die Wachstumsrate r mit Hilfe der linearen Regression zu bestimmen und um die Abweichungen vom logistischen Wachstum deutlicher zu machen, wählt man häufig eine andere Darstellung der Lösungskurve. Bezeichnet man mit ỹ = y(t) die relative K (normierte) Größe, so wird aus (6.8) ỹ(t) = y0 ỹ0 , ỹ = . 0 ỹ0 + (1 − ỹ0 )e−rt K Daraus gewinnt man durch elementares Umformen ln ỹ0 ỹ(t) = ln + rt 1 − ỹ(t) 1 − y0 (6.9) also eine Gerade. Auf diese Weise läßt sich also testen, ob eine Population dem logistischen Wachstumsgesetz genügt. Ebenso eignet sich diese Form, um empirisch r und ỹ zu bestimmen. Die logistische Gleichung wurde mit Erfolg angewandt, um Populationen von E. coli McKendrick, Kasava Pai 1911 Hefezellen Carlson 1913 Bevölkerung der USA Pearl, Reed, Verhulst 1924 Drosophila melanogaster (Taufliege) Pearl 1932 Pantoffeltierchen Gause 1934 Daphnien Slobodkin 1954 Drosophila semata Ayala 1968 6.1 Populationsmodelle 183 zu beschreiben. Die Daten von Pearl zur Bevölkerungsentwicklung von Drosophila führen zu t Tage y y beobachtet berechnet 0 22 14 9 39 61 12 105 96 15 152 149 18 225 225 21 390 325 25 499 487 27 547 572 29 618 655 33 791 797 36 877 876 39 938 932 y(t) = 1035(1 + 71, 45e−0,166 t ) K = 1035 1000 800 600 400 200 5 0011 1010 0011 00111100 1100 1100 1 0 0110 10 1100 11 00 00 11 10 15 20 25 30 0011 11 00 10 35 40 184 Differentialgleichungen Millions of Cells/ML−1 11 00 00 11 6 1 0 11 00 00 11 11 00 00 11 5 4 11 00 00 11 3 2 1 1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Wachstum von Escheria coli (McKendrick, Kesava Pai) Für das Wachstum der US-Bevölkerung fand Verhulst 1845 r = 0, 03134 und K = 197, 27 · 106 . Jahr 1790 1800 1810 1820 1830 1840 1850 1860 1870 1880 1890 1900 1910 1920 1930 N x 106 3.9 5.3 7.2 9.6 12.9 17.1 23.2 31.4 38.7 50.2 62.9 76.0 92.0 106.5 123.2 berechnet 3.9 5.2 7.2 9.8 13.1 17.5 23.2 30.4 39.4 50.2 62.8 76.9 92.0 109.4 123.9 Wachstum der Bevölkerung der USA (Inzwischen ist die Bevölkerung auf etwa 250 Millionen angewachsen. In der Zeit von 1790 bis 1930 gab es eine erhebliche Zuwanderung.) Daneben findet das logistische Modell Anwendung in der Soziologie bei sozialen Diffusionsphänomenen (Ausbreitung von Gerüchten, Krankheiten, Erfindungen, etc.). Auch das Wachstum von Pflanzen oder Tumoren kann man so beschreiben (vgl. M. Braun, Differentialgleichungen und ihre Anwendungen). 6.1 Populationsmodelle 185 Obwohl die Gleichung nicht immer übermäßig gute Beschreibungen liefert, wird sie doch viel verwandt, da i) die Lösung durch 3 Parameter festgelegt wird; ii) diese Parameter leicht zu bestimmen sind und eine einfache Interpretation haben. Qualitative Diskussion von Populationsmodellen Wir betrachten nun das etwas allgemeinere Populationsmodell y ′ = (g − s)y = h(y) (6.10) wo g und s noch von y abhängen. Im allgemeinen haben g und s die folgende Gestalt g s y y Dabei gehen wir von den folgenden Annahmen aus: i) g fällt bei hohen Populationsdichten wegen des zunehmenden Konkurrenzkampfs. ii) Aus dem gleichen Grund wächst s für große y. iii) Bei sehr geringem y kann g klein sein, weil es schwieriger wird, Partner zu finden (Allee-Effekt). h y K0 K1 Diese Überlegungen führen zu einer Funktion h, die etwa die nebenstehende Form hat, mit (6.10) h(Ki ) = 0, i = 0, 1. Wenn wir nun die Lösungen von (6.10) betrachten, so haben wir die folgenden Fälle zu unterscheiden. i) y0 = y(0) = Ki dann gilt y(t) = Ki für alle t ≥ 0, d.h. die Ki sind Gleichgewichtslösungen. ii) y0 < K0 , y(t) ց 0. Die Bevölkerung stirbt aus. 186 Differentialgleichungen iii) K0 < y0 < K1 , y(t) wächst monoton gegen K1 . iv) y0 > K1 , y(t) fällt monoton gegen K1 . y K1 Stabiles Gleichgewicht K0 Instabiles Gleichgewicht Aussterbebereich t Um die Fälle iii) und iv) genauer zu analysieren, wollen wir das Verhalten von y in der Nähe von K1 bzw. K0 bestimmen. Dazu schreiben wir z = y − Ki i = 0, 1 (6.11) und erhalten aus (6.10) z ′ = y ′ = h(z + Ki ) ≈ h(Ki ) + h′ (Ki )z = h′ (Ki )z. (6.12) Diese elementare DG in z aber können wir lösen z(t) = z(t0 ) exp(h′ (Ki )(t − t0 )). (6.13) Da h′ (K0 ) > 0, entfernen sich die Lösungen exponentiell von K0 , d. h., K0 ist ein instabiler Gleichgewichtspunkt. Da h′ (K1 ) < 0, nähern sich die Lösungen K1 exponentiell, d.h. K1 ist ein stabiler Gleichgewichtspunkt. Das Wachstum von Tumoren Obwohl auch gelegentlich die logistische Gleichung zur Beschreibung des Wachstums von Tumoren herangezogen wird, haben Experimente gezeigt, daß sich dafür viel besser die DG von Gompertz eignet [J.R. Usher, D.A. Abercrombie, Case Studies in Cancer . . . Int. J. Math. Educ. Sc. and Techn. 12 (1981)] y dy = −ry ln . dt K (6.14) 6.1 Populationsmodelle 187 Die Parameter sind dabei wie in der logistischen Gleichung zu interpretieren. Die Lösung von (6.14) ist K −rt y(t) = y(0) exp ln (1 − e ) y(0) (6.15) wie man leicht direkt nachprüft. Auf experimenteller Basis haben Salmon, Brunton und Wheldon [J. clin. Invest 51 1967, Cell Tissue Kin. II 161] noch gezeigt, daß y(0) ∼ K e−28,5 Dabei ist meist y(0) ∼ K e11 Zellen. Um exponentielles Wachstum, logistisches Wachstum und Gompertz-Wachstum zu vergleichen, skalieren wir zunächst t und y so um, daß r = K = 1 ist. Die Lösungskurven für die DG y′ = y y ′ = y(1 − y) y ′ = −y lny mit den Anfangswerten y(0) = 0, 1 sind unten abgebildet. Man sieht daraus, daß das Anfangswachstum nach dem Gompertz-Gesetz außerordentlich schnell erfolgt. Dies gilt besonders, wenn y(0) sehr klein ist, da das h aus (6.10) in diesem Fall bei 0 eine sehr große Steigung hat. 1.2 exponentiell gompertz logistisch 1 0.8 0.6 y’= g(y), y(0)= 0.1 0.4 0.2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 188 6.2 Differentialgleichungen Separierbare Differentialgleichungen Eine DG heißt separierbar, wenn sie die Form y ′ = g(y)h(x) (6.16) hat. In Bereichen, wo g(y) 6= 0, kann man dann schreiben y′ = h(x). g(y) (6.17) Hat man (6.16) mit den Anfangsbedingungen y0 = y(x0 ) zu lösen, so erhält man aus (6.17) durch Integration nach x Zx x0 h(s)ds = Zx x0 y′ dx = g(y) Zy(x) dw . g(w) y0 Die Integration von (6.16) ist damit auf die Berechnung der Stammfunktionen von h und g1 zurückgeführt. Bei diesem Verfahren ist jedoch zu beachten, daß g(y) 6= 0 sein muß. Die Fälle, in denen g(y) = 0 ist, müssen gesondert betrachtet werden. Radioaktiver Zerfall Wir betrachten einen Stoff, der ein radioaktives Material enthält. y(t) bezeichne die Menge des radioaktiven Materials zur Zeit t. Da der radioaktive Zerfall eines Atoms durch Prozesse im Atomkern ausgelöst wird und dieser im Vergleich zum Gesamtatom sehr klein ist (Faktor 105 ), ist die Zerfallsrate proportional zur vorhandenen Menge radioaktiven Materials dy = −αy. (6.18) dt α wird die Zerfallskonstante genannt. Mit der Anfangsbedingung y(t0 ) = y0 ist die Lösung von (6.18) y(t) = y(t0 )e−α(t−t0 ) (6.19) wie man leicht direkt verifiziert. (6.19) ist das radioaktive Zerfallsgesetz. Experimentell ist dieses Gesetz für viele radioaktive Materialien bestätigt worden. Bei radioaktiven Materialien rechnet man meist nicht mit der Zerfallsrate, sondern mit der Halbwertszeit. Das ist die Zeit T , bis vom ursprünglichen Material nur noch die Hälfte da ist. Man weiß auch (Breitenecher, Schwerd), daß CO aus dem Blut nach einem Exponentialgesetz mit einer Halbwertszeit von etwa 2,5–2,6 Stunden ausgeschieden wird. Dies gilt allgemeiner für die Ausscheidung von Drogen und Medikamenten (mit Ausnahme von Alkohol). Ist nämlich y(t) die Konzentration einer Droge im Körper, so ist nach dem Massenwirkungsgesetz die Abbaurate proportional zu y(t) · [Enzym]. Da die Konzentration des jeweils zuständigen Enzyms meist sehr groß und damit annähernd konstant ist, gilt (6.18). 6.2 Separierbare Differentialgleichungen 189 Dämpfung von Strahlen Wir wollen nun die Dämpfung von Strahlen untersuchen, die in einen Körper eindringen (z. B. Licht in Meerwasser, radioaktive Strahlung in eine Abschirmwand etc.). Wir bezeichnen mit y(x) die Strahlenmenge (Intensität), die bis zur Tiefe x vorgedrungen ist. Die Intensitätsabnahmerate sei a. y(0) x + △x a kann x-abhängig sein. Dann haben wir dy = −a(x)y. dx Wir erhalten aus (6.20) (6.20) y′ = −a(x) y oder nach Integration y ln =− y(0) Zx a(s)ds. 0 Das Dämpfungsgesetz ist also y(x) = y(0)e − Rx a(s)ds 0 . (6.21) Falls a von x unabhängig ist, haben wir y(x) = y(0)e−ax . Das Abkühlungsgesetz Man weiß aus Experimenten, daß mit guter Genauigkeit der Wärmeverlust eines Körpers proportional zu seiner Oberfläche A und der Temperaturdifferenz ist. Für gilt also die Wärmeverlustrate dQ dt dQ = −const · A · (T − T0 ). dt Dabei ist T0 die Umgebungstemperatur. Da die Wärmemenge Q eines Körpers proportional zur Temperatur ist, Q = cT, c = spezifische Wärme, erhält man dT = −kA(T − T0 ). dt (6.22) Mit y = T − T0 erhalten wir y ′ = −kAy oder y(t) = y(t0 )e−kA(t−t0 ) . Schließlich gibt dies T (t) = T0 + (Ta − T0 )e−kA(t−t0 ) . (6.23) 190 Differentialgleichungen Dabei ist Ta die Anfangstemperatur zur Zeit t0 . Für Leichen hat man z.B. k = .061 (Windstill, unbekleidet auf dem Rücken liegend) Ta = 20o gefunden. Zur höheren Genauigkeit fügt man in der Rechtsmedizin meist noch einen weiteren Exponentialterm hinzu. Fall mit Reibung Wir wollen nun den Fall eines Körpers unter dem Einfluß der Schwerkraft betrachten, wobei die Reibung nicht vernachlässigt wird. Wählen wir unser Koordinatensystem so, daß die positive y-Richtung nach unten zeigt, so haben wir für die Position y(t) zur Zeit t die DG my ′′ = mg − mγ(y ′ )n y(0) = 0. (6.24) Dabei ist m die Masse des Körpers und γ die Reibungskonstante. Für mγ gilt ungefähr mγ = cρA. Dabei ist ρ die Dichte des Mediums, A die umströmte Fläche und c eine Konstante, die von der Gestalt des Körpers abhängt. Faßt man (6.24) als DG für v = y ′ auf, liegt eine DG 1. Ordnung vor. v ′ = g − γv n . (6.25) Eine ähnliche pDiskussion wie in Abschnitt 6.1 zeigt, daß v asymptotisch einem Grenzwert v∞ = n g/γ zustrebt. Dieser Grenzwert ist dadurch beschrieben, daß bei v∞ die Reibungskraft genau durch die Schwerkraft kompensiert wird. v v∞ t Für kleine v und große ausgedehnte Körper mit geringer Dichte, die in zähen Flüssigkeiten fallen, ist etwa n = 1, während für dichte glatte Körper und Geschwindigkeiten (in Luft) bis 250 m/sec n = 2 zu setzen ist. Wir können (6.25) als Gleichung in t dimensionslosen Größen schreiben, wenn wir w = v/v∞ und x = setzen. Dann v∞ /g wird aus (6.25) dw = (1 − wn ). (6.26) dx Diese DG hat für n = 1 die Lösung ln(1 − w) = −x oder −x w = 1 − Ce . 6.3 Lineare Differentialgleichungen 191 Aufgabe 6.1 Bei einer Zimmertemperatur von 180 C kühlt ein Toter innerhalb von 6 Stunden um 60 C ab. Der Gerichtsmediziner hat eine Mastdarmtemperatur von 250 C festgestellt. Wann trat der Tod ein? (Zahlen frei nach Schwerd, Rechtsmedizin, 4. Aufl.) Aufgabe 6.2 In der Bundesrepublik leben z.Z. (2000) etwa 80 Mio. Deutsche. Pro Jahr werden etwa 10 Kinder auf 1000 Einwohner geboren, und die mittlere Lebenserwartung ist etwa 74 Jahre. Wie groß wird die Bevölkerung der Deutschen im Jahre 2010 sein? (Hinweis: Pro Jahr sterben also auf 1000 Einwohner etwa 1000 ). 74 Aufgabe 6.3 Drogen oder Chemikalien werden in Körpern häufig mit konstanter relativer Rate eliminiert. Stellen Sie die DG auf, und überlegen Sie, warum so ein Gesetz gelten könnte und wo die Grenzen für ein solches Gesetz liegen (z.B. bei der Alkoholelimination). Schauen Sie sich dazu einmal das Massenwirkungsgesetz an. Aufgabe 6.4 Warum fallen große Regentropfen schneller als kleine? Aufgabe 6.5 Lundquist und Wolthers (Acta pharm. et tox. 1958) geben als DG für Vc die Alkoholelimination dc = − c+K an. Dabei ist c(t) die Konzentration des Alkohols dt und V und K sind positive Konstanten. Lösen Sie diese DG und diskutieren Sie die Lösung. Aufgabe 6.6 Wir beschreiben das Wachstum eines als kugelförmig angenommenen Einzellers wie folgt: Die Masse des Tieres sei M und R sein Radius. Dann ist seine √ 2 3 2 Oberfläche 4πR = 36πM 3 . Nahrung wird über die Oberfläche durch Diffusion aufgenommen und im Körper (Volumen) verbraucht. Dies gibt 2 M ′ = aM 3 − bM, a, b > 0. Diskutieren Sie die Gleichung qualitativ. Welche Gleichung für R erhält man, wenn man M = 34 πR3 setzt? Lösen Sie die entsprechende Gleichung. Aufgabe 6.7 Um die Nachkommenschaft von Fischen zu studieren, hat Ricker für die Anzahl y(t) der Fischlarven ein Gesetz der Form y1 dy = −cx angenommen. Dabei dt ist x die Anzahl der Weibchen der Elterngeneration. Warum könnte ein solches Gesetz gelten? Aufgabe 6.8 Für eine Tierpopulation gelte das logistische Gesetz y ′ = ry(1 − Ky ) − a. Dabei bezeichnet a die (konstante) Rate des Aberntens. Löse die Gleichung! Für welche a ist der Ertrag lanfristig am größten? 6.3 Lineare Differentialgleichungen Eine lineare DG erster Ordnung hat die Form y ′ = a(x)y + b(x). (6.27) 192 Differentialgleichungen Wir wollen diese DG mit der Anfangsbedingung y(0) = y0 lösen. Dazu sei A(x) = Zx a(t)dt (6.28) (6.29) 0 eine Stammfunktion von a. Da für b = 0 y = y0 eA(x) eine Lösung von (6.29) ist (vgl. Kapitel 6.2), liegt es nahe, einen Ansatz der Form y(x) = eA(x) z (6.30) zu versuchen. Einen solchen Ansatz nennt man in der Theorie der DG Variation der Konstanten. Wir erhalten dann y ′ = aeA z + eA z ′ = aeA z + b oder z ′ = be−A . Damit ist die Lösung von (6.27) mit der Anfangsbedingung (6.28) Zx y(x) = eA(x) y0 + b(t)e−A(t) dt . (6.31) 0 Die Verschmutzung der großen Seen. Das Modell von Rainey Die Verschmutzung von Seen und Gewässern stellt heute ein ernstes Problem für die Menschen dar, die ihr Trinkwasser aus diesen Gewässern beziehen. H. R. Rainey hat mit einem sehr einfachen Modell diese Situation für die großen Seen in den USA untersucht (Science 195, 1967, 1242–1243). Dazu machte er die folgenden Annahmen: 1. Die Regenmenge entspricht genau der verdunsteten Wassermenge. 2. Die zufließende Verschmutzungskonzentration ist konstant. 3. Im See bzw. Gewässer findet schnell eine totale Durchmischung statt. Es sei nun V das Volumen des Sees, p die Verschmutzungskonzentration des Sees, q die Verschmutzungskonzentration des einfließenden Wassers, r die Rate, mit der das Wasser in den See fließt, k die biologische Abbaurate der Verschmutzung, Verlust durch Sedimentation etc. 6.4 Schwingungsgleichung 193 Dann gilt für die Veränderung der Gesamtmenge an Schadstoffen im Zeitintervall △t Die Lösung ist △(V · p) = r(q − p) △ t − kV p △ t r rq p′ = −p + k = b − ap. V V (6.32) b 1 − e−at a d. h., langfristig ist die Schadstoffkonzentration ab . p(t) = p0 e−at + Dieses Modell ist ein Spezialfall eines Einkompartimentsystems. Aufgabe 6.9 Wird einem Menschen oral eine Medizin verabreicht, so kommt man im einfachsten Fall zu der Differentialgleichung C 0≤t≤T C ′ = kC + f mit f (t) = 0 t>T für die Konzentration. Dabei ist k die relative Eliminationsrate und T ≈ 10 min, die Zeit, bis sich die Tablette aufgelöst hat. Lösen Sie diese DG mit C(0) = 0. Aufgabe 6.10 Ein radioaktives Material A zerfalle in zwei Schritten über das Material B in C. µ λ A −→ B −→ C Bezeichnen λ und µ die Zufallsraten und A(t), B(t), C(t) die Stoffkonstanten, so gilt A′ = λA, B ′ = −µB + λA, C ′ = µB. Lösen Sie dieses System mit A(0) = A0 , B(0) = C(0) = 0, indem Sie die Lösung von A(t) in die Gleichung von B einsetzen. Aufgabe 6.11 Man schätzt, daß es zur Zeit 100.000 t Schellfisch im Atlantik gibt. Die ungestörte Population wächst um 2% jährlich. Es werden jährlich 2500 t (2000t) abgefischt. Was passiert? 6.4 Schwingungsgleichung Die Schwingung einer Feder 111 0 00 0 1 1 011 00 10 011 1 00 1 0 0 111 00 10 Gleich- m gew. y Man bezeichne mit y(t) die Auslenkung eines Federsystems der Masse M aus der Gleichgewichts- oder Ruhelage. Man weiß dann, daß für nicht zu große Auslenkungen die rücktreibende Kraft proportional zur Auslenkung ist (Hookesches Gesetz). 194 Differentialgleichungen Aufgrund des Newtonschen Gesetzes hat man dann M y ′′ (t) = −ky(t) (6.33) Masse · Beschleunigung = rücktreibende Federkraft Dabei nennt man k die Federkonstante. Darüber hinaus wirkt noch die Luftreibung und innere Reibung als Bremskraft. Diese ist meist proportional zur Geschwindigkeit, d.h. zu y ′ . Unter Berücksichtigung der Reibung wird aus (6.33) daher M y ′′ = −ky − γy ′ (6.34) Division durch M und Umordnung ergibt schließlich y ′′ + by ′ + ay = 0; a > 0. (6.35) Aus Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen können, betrachtet man zunächst die zu (6.35) gehörige charakteristische Gleichung λ2 + bλ + a = 0. (6.36) Um diese Gleichung zu lösen, schreiben wir b2 λ + bλ + = 4 2 b λ+ 2 2 = b2 −a . 4 Wir haben dann 3 Fälle zu betrachten 1. Die Reibung ist klein, 4a > b2 . Die Lösung ist mit ω 2 = a − b y(t) = e− 2 t [A sin ωt + B cos ωt]. b2 4 (6.37) Man kann dies direkt durch Differenzieren verifizieren. Hier liegt also eine gedämpfte Schwingung vor. 2. Die Reibung ist groß, b2 > 4a y(t) = Aeλ+ t + Beλ− t (6.38) dabei sind λ± die Lösungen von (6.36). 3. Aperiodischer Grenzfall b2 = 4a b y(t) = (a + Bt)e− 2 t . (6.39) 6.4 Schwingungsgleichung 195 Ein Modell zum Glukose-Toleranz-Test Im menschlichen Körper wird der Blutzuckerspiegel durch eine Reihe von Hormonen wie Insulin, Glukagon, Adrenalin, . . . geregelt. Bei der Zuckerkrankheit liegt ein erhöhter Blutzuckerspiegel vor, weil Insulin unzureichend vorhanden ist. Beim Blutzuckertoleranztest (GTT) wird dem Patienten auf nüchternen Magen (dann hat der Blutzuckerspiegel G seinen Normalwert G0 ) eine große Dosis I von Glukose intravenös oder oral verabreicht. Danach wird der Blutzuckerspiegel des Patienten in regelmäßigen Abständen, alle 21 Stunde oder alle Stunde, gemessen und festgestellt, wie schnell sich der Blutzuckerspiegel dem Normalwert nähert. Der GTT ist also ein Test auf die Regulierbarkeit des Zucker-Hormon-Systems. Wir wollen dazu ein einfaches Modell betrachten, das auf Ackermann, Gatewood, Rosevaer und Molnar (in Concepts and Models of Biomath. ed. Hainmets 1969) zurückgeht. Dazu aggregieren wir alle Hormone zu einer gemeinsamen Größe H. Der Blutzuckerspiegel wird dann mit G bezeichnet. Offensichtlich ist dann G′ = F1 (G, H) + I; H ′ = F2 (G, H) (6.40) F1 beschreibt die Regulierung des Blutzuckerspiegels im Körper. I(t) ist die Rate des extern zugegebenen Blutzuckers. Die Hormonregulierung wird durch F2 beschrieben. Nach langer Zeit stellt sich im Körper ein Gleichgewicht ein, wenn I = 0 (nüchterner Magen). Dieses sei G0 , H0 . Dann gilt natürlich als Bedingung des Gleichgewichts F1 (G0 , H0 ) = 0, F2 (G0 , H0 ) = 0. (6.41) G = G0 + g. (6.42) Wir schreiben nun H = H0 + h, g und h sind dabei die Abweichungen vom Gleichgewicht. Üblicherweise nimmt man an, daß g und h klein sind. Durch diesen Ansatz wird der Tatsache Rechnung getragen, daß G0 und H0 individuell verschieden sein können. Wir entwickeln nun F1 und F2 um (G0 , H0 ) Fi (G0 + g, H0 + h) = ∂Fi ∂Fi (G0 , H0 )g + (G0 , H0 )h + kleiner Rest. ∂G ∂H Aus (6.40) wird dann annähernd g ′ = −ag − bh + I; h′ = cg − dh. (6.43) Wir müssen nun noch die Vorzeichen der verschiedenen Konstanten bestimmen. ∂F1 Es ist < 0, denn der Körper reagiert auf eine Erhöhung von G mit einer ∂G Verringerung von G durch erhöhte Aufnahme von Zucker durch die Zellen. Also ist ∂F1 < 0. −a = ∂G Da eine Vergrößerung von G eine verstärkte Ausschüttung von Hormonen zur Folge ∂F2 hat, ist > 0. ∂G 196 Differentialgleichungen ∂F1 = −b < Wird der Hormonspiegel erhöht, verringert sich der Zuckerspiegel, d.h. ∂H 0. Ebenso reagiert der Körper auf eine Erhöhung des Hormonspiegels durch Verringe∂F2 rung desselben. Also ist = −d < 0. ∂H Die Konstanten a, b, c und d sind daher alle positiv, und je schlechter der Körper reagiert, um so kleiner sind sie. Die üblichen Reaktionszeiten dieses Systems liegen in der Größenordnung von mehreren Stunden. Dagegen dauert die intravenöse Zufuhr der Glukose etwa 10 Minuten, eine vergleichsweise kurze Zeit. R Wir lösen daher (6.43) unter der Annahme, daß die Gesamtdosis D = Idt innerhalb einer ganz kurzen Zeit bei t = 0 zugeführt wurde. Mit (6.43) führt dies zu den Anfangsbedingungen g(0) = h(0) = 0, g ′ (0) = D (6.44) und der vereinfachten Gleichung g ′ = −ag − bh, h′ = cg − dh. (6.45) Da h bzw. H kaum beobachtbar ist, müssen wir h eliminieren. Wir erreichen dies durch Differenzieren der ersten Gleichung g ′′ = −ag ′ − bh′ = −ag ′ − b(cg − dh) = −ag ′ − bcg + d(−ag − g ′ ) Wir erhalten g ′′ + (a + d)g ′ + (bc + ad)g = 0. (6.46) Aus Beobachtungen weiß man nun, daß der Fall I (letzter Abschnitt) 4(bc + ad) > a2 + 2ad + d2 (6.47) vorliegt. Die allgemeine Lösung von (6.46) ist daher g(t) = e− (a+d) ·t 2 mit 2 ω = bc + ad − [A sin ωt + B cos ωt] a+d 2 2 = bc − a−d 2 2 (6.48) Wegen der Anfangsbedingung ist B = 0 und D = Aω. Die Lösung unseres Problems ist also, abgesehen von einer geringen Zeitverzögerung, g(t) = e− a+d ·t 2 · D sin ωt. ω (6.49) Nachstehend ist eine Darstellung eines (normalen) GTT wiedergegeben. Dabei ist 2π 2 ≈ 2 Stunden und a+d ≈ 100 Minuten. ω 6.5 Kompartiment Modelle 197 180 160 Glukose Exzess (mg/dl) 140 120 100 80 60 40 20 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Funktioniert das Hormon-Glukose-Regelsystem nicht vernünftig, so werden die kritischen Parameter a, b, c und d kleiner und damit die typischen Zeiten des Systems 2 und 2π größer. In der Praxis verwendet man meist die Größe ω02 = bc + ad als a+d ω Index für das Vorliegen von Diabetes. Darüber hinaus macht dieses Modell deutlich, daß dieselben mathematischen Gleichungen sich für grundverschiedene Prozesse ergeben können. Aufgabe 6.12 Ein Sportler hat eine Absprunggeschwindigkeit von 9 m/sec. Er springt mit einem Winkel von 170 ab. Beim Absprung ist sein Schwerpunkt 1,2 m über der Erde und bei der Landung 0,5 m. Wie weit springt er? Sie können die Luftreibung vernachlässigen. 6.5 Kompartiment Modelle Viele biologische Systeme können unter dem Begriff des Kompartimentmodells subsummiert werden. Ein Kompartiment ist dabei eine Menge an Substanz, die kinetisch homogen und eindeutig reagiert. Ein Kompartimentsystem besteht dann aus mehreren Komponenten, die durch Austausch von Material wechselwirken. Dabei können auch von außen Materialien eingegeben werden (Inputs) und die einzelnen Kompartimente können Materialien nach außen abgeben (Outputs). Häufig wird in Darstellungen ein Kompartiment durch einen Kasten beschrieben. Die Kästen sind untereinander durch Pfeile verbunden, die die Flüsse zwischen den Kompartimenten angeben. Bezeichnen wir noch mit qi die Menge im i-ten Kompar- 198 Differentialgleichungen timent und mit fji die Stromstärke von i nach j, so erhält man ein Netzwerk von verbundenen Kästen: ii (t) qi fji Ein allgemeines Kompartimentmodell, von dem nebenstehend ein Ausschnitt gezeigt ist, führt dann auf das DG-System fij f0,i qi′ (t) = −(f0,i + X fij )qi + j6=i X fji qj + ii (t), i = 1, . . . , n. (6.50) j6=i Die fij sind dabei häufig zeitunabhängig und führen dann auf Systeme mit konstanten Koeffizienten. Auch der Fall wo die fij zeitabhängig sind, tritt vielfach auf. Nichtlineare Kompartimentsysteme liegen vor, wenn die f ’s auch noch von den q’s abhängen. In Anwendungen genauso bedeutsam, wie das Lösen von (6.50) ist das sog. Identifikationsproblem, d.h. es muß festgestellt werden, ob ein konkretes System tatsächlich durch ein Kompartimentsystem (6.50) beschrieben wird. In der Biologie gibt es dazu die sogenannten Tracer-Methoden. Hier ein paar Beispiele: Beispiel 6.3 q1 λ1 q2 λn−1 λ2 qn Dieses Kompartimentmodell beschreibt den Kaskadenzerfall einer radioaktiven Substanz, wie z.B. U 238 . Der Weg des Alkohols durch den Körper kann durch das folgende System gut beschrieben werden: 0,1 Magen Blut k Das einfachste Epidemiemodell kann durch Gesunde Infizierte Imune beschrieben werden. Besonders viele Anwendungen haben solche Kompartimentmodelle in der 6.5 Kompartiment Modelle 199 Biologie und Medizin: Kreislaufmodelle für Drogen und Spurenelemente Ökologie: Kreislaufmodelle für Umweltgifte, Modelle des Wasserhaushaltes, Modelle für ganze Ökosysteme, Nahrungsketten Ökonomie: Input – Outputmodelle (meist jedoch nicht dynamisch) Nachstehend noch ein typisches Pharmakinetisches Modell. Für allgemeine Probleme und Verfahren der Pharmahokinetik siehe etwa Wellhöner Pharmakologie und Toxikologie. Pharmakokinetik von Barbituraten Barbiturate werden vielfach als Narkosestoffe verwandt. Es ist daher wichtig, die Kinetik dieser Stoffe im Körper zu studieren und zu modellieren. Nach der Injektion gelangt das Barbiturat über den Blutkreislauf in den ganzen Körper, aber insbesondere ins Gehirn. Dort führt es zur Narkotisierung des Patienten. Daneben gelangt das Barbiturat in das Fettgewebe, wo es gespeichert wird, sowie die Leber, wo es abgebaut wird. Dies modellieren wir durch ein 3 Kompartimentmodell. G Gehirn B DG F Blut Leber DF Fett A Abbildung: Das 3−Kompartiment−Modell DG bezeichnet die Diffusionsrate zwischen Gehirn und Blut, DF diejenige zwischen Fett und Blut. Die Abbaurate in der Leber wird mit A bezeichnet. Die Volumen der jeweiligen Kompartimente werden mit VG , VF bzw. VB bezeichnet. Daraus ergeben sich die folgenden Differentialgleichungen: VG x′G = −DG (xG − xB ) VF x′F = −DF (xF − xB ) VB x′B = DG (xG − xB ) + DF (xF − xB ) − AxB . Die Funktionen xG , xB und xF sind dabei die Konzentrationen des Barbiturates in 200 Differentialgleichungen den einzelnen Kompartimenten. Für sie gelten die Anfangsbedingungen xG (0) = 0 xF (0) = 0 VB xB (0) = Dosis. Die Volumen der Kompartimente werden in l und die Konzentrationen in mg/l angegeben. Die Zeitmessung erfolgt in Stunden. Für die Modellrechnungen werden die Werte eines Mannes von ca. 80 kg Körpergewicht ohne Lebererkrankungen herangezogen. Dieser besitzt 5-6 l Blut und seine Leber wiegt ca. 1500 g, was einem Volumen von etwa 1.5 l entspricht. Deshalb wird VB = 7 gewählt. Der Fettanteil im menschlichen Körper kann sehr unterschiedlich sein. Er liegt durchschnittlich zwischen 5 % und 25 % des Körpergewichtes. Für den zugrundegelegten Durchschnittsmann wird also in etwa VF = 10 gelten. Das mittlere Gewicht des Gehirns beträgt beim Mann 1375 g, demnach wird VG = 1.375. Es soll eine Dosis von 500 mg Thiopenton injiziert werden. Die Wirkung von Thiopenton im Gehirn entfaltet sich nach wenigen Minuten und dauert dann je nach Dosis einige Stunden. Die Anreicherung im Fett hält deutlich länger an. Auch die Halbwertzeit der Blutkonzentration ist verhältnismäßig groß. Daher muß die Diffusionsrate DG wesentlich größer sein als DF . Die Abbaurate muß sehr hoch liegen, da überflüssiges Betäubungsmittel in der ersten, schnellen Phase in kurzer Zeit abgebaut wird. Mit der Wahl der Abbau- bzw. Diffusionsraten von DG = 4 DF = 0.7 A = 15 erhält man folgende Abbildung: Logarithmischer Plot der Mengen [mg] von Thiopenton nach einer Dosis von 500 mg Die Abbildung zeigt, daß das Thiopenton im Blut in den ersten vier Stunden sehr schnell abgebaut wird. Danach tritt die langsame Abbauphase mit einer Halbwertzeit von gut 10 Stunden ein. Im Gehirn ist bereits nach wenigen Minuten eine Menge von knapp 75 mg Thiopentons vorhanden. Das Betäubungsmittel wird dann im Gehirn etwa genau so 6.5 Kompartiment Modelle 201 1000 G B F 100 10 1 0.1 0.01 0 5 10 15 20 schnell wie im Blut abgebaut. Die Begründung hierfür liegt in der relativ hohen Diffusionsrate zwischen Gehirn und Blut. Die schnelle Abbauphase im Gehirn dauert etwas länger als im Blut, da die Diffusionsrate zwischen beiden kleiner ist als die Abbaurate der Leber. Nach 2-3 Stunden ist die Konzentration im Gehirn soweit abgesunken, daß der Patient aus der Narkose aufwacht. Im Fettgewebe ist die maximale Konzentration von 38 mg erst nach ca. zwei Stunden erreicht. Durch die geringe Diffusionsrate zwischen Fett und Blut wirkt das Fettgewebe danach als Thiopentonspeicher. Die Größe diese Diffusionsrate ist daher auch maßgeblich für die Halbwertzeit in der langsamen Abbauphase. Lösung eines linearen Systems An dieser Stelle ist es nicht möglich, genauer auf die Theorie der linearen Systeme einzugehen. Daher werden wir hier nur die Bestimmung der Lösung skizzieren und die Bedeutung davon skizzieren. Gegeben ist also ein System der Form y1′ = a11 y1 + a12 y2 y2′ = a21 y1 + a22 y2 (y1 , y2 )(0) = (y10 , y20 ) (6.51) 1. Schritt: Bestimme die charakteristischen Werte. Ein charakteristischer Wert von 202 Differentialgleichungen (6.51) ist eine Nullstelle des Polynoms P (λ) a11 − λ a12 = (a11 − λ)(a22 − λ) − a12 a21 . P (λ) = det a21 a22 − λ (6.52) 2. Schritt: Wir nehmen an, P(λ) hatdiebeiden verschiedenen Nullstellen λ1 und v11 v21 λ2 . Bestimme Lösungen und von v12 v22 a11 vi1 + a12 vi2 = λi vi1 a21 vi1 + a22 vi2 = λI vi2 Die Lösung von (6.51) hat dann die Form y1 (t) v11 v = A eλ1 t + B 11 eλ2 t . y2 (t) v12 v22 (6.53) Die Konstanten A, B müssen dann durch yi (0) = yi0 bestimmt werden. In Andwendungen kann man meist gar nicht alle Größen yi messen, weil diese Kompartimente nicht unbedingt zugänglich sind. Ist etwa das Kompartiment 1 Blut, so hat die Konzentration der Arznei im Blut wegen (6.53) die Form y1 (t) = A′ eλ1 t + B ′ eλ2 t (6.54) Entsprechend gilt für ein 3 Kompartimentsystem mit y1′ = a11 y1 + a12 η2 + a13 η3 y2′ = a21 y1 + a22 η2 + a23 η3 y3′ = a31 y1 + a32 η2 + a33 η3 (6.55) yi (0) = yi0 i = 1, 2, 3 1. Schritt: Bestimme die charakteristischen Werte λ1 , λ2 , λ3 . Diese sind Lösung des charakteristischen Polynoms P (λ). a11 − λ P (λ) = det a21 a31 a12 a13 a22 − λ a23 a32 a33 − λ =(a11 − λ)(a22 − λ)(a33 − λ) + a12 a23 a32 (6.56) + a13 a21 a32 − a31 (a22 − λ)a13 − a32 a23 (a11 − λ) − (a3 3 − λ)a21 a12 2. Schritt: Sind alle λ1 , λ2 , λ3 verschieden, so hat die allgemeine Lösung die Form yi (t) = Ai eλ1 t + Bi eλ2 t + Ci eλ3 t i = 1, 2, 3. Die Konstanten Ai , Bi , Ci müssen dabei wie oben und aus den Anfangsbestimmungen bestimmt werden. 6.5 Kompartiment Modelle 203 Form der Lösungen: Die typische Lösung eines pharmakokinetischen Problems hat also die Form y(t) = Aeλ1 t + Beλ2 t + . . . (6.57) und ist also eine Summe von Exponentialtermen. Die Anzahl der Summanden ist dabei durch die Anzahl n der Kompartimente bestimmt. Meist ist n = 2 oder 3. Da Medikamente und Drogen im Körper – meist der Leber – abgebaut werden, gilt λi < 0. Nehmen wir nun n = 3 und λ1 < λ2 < λ3 < 0 an. Dann verschwindet der Ausdruck Aerλ1 t am schnellsten und Ceλ2 t überlebt am längsten, d.h. wir haben für große t ln y(t) = (ln(Aeλ1 t + Beλ2 t ) ≈ ln Ceλ3 t = ln C + λ3 t. (6.58) In der logarithmischen Darstellung erhält man für große t also annähernd eine Gerade. Dies ist im Thiopenten Beispiel deutlich zu sehen. Die Steigung dieser Geraden ist λ3 (negativ!) und ln C läßt sich ebenfalls aus dem Graphen bestimmen. Als nächstes betrachte ln(y(t) − Ceλ3 t ) = ln(Aeλ1 t + Beλ2 t ) ≈ Beλ2 t = ln B + λ2 t. Bestimme entsprechend B und λ2 und fahre so fort. Diese Prozedur wird exponential peeling genannt. Hier sind noch zwei weitere Beispiele von Kompartiment Systemen. Künstliche Niere (Haemodialyse) Zellulärer Bereich D1 Diffusion Extraz. Bereich D2 Diffusion Künstl. Niere Harnsäure Ketone Laktatstoffwechsel Zellulärer Bereich Extraz. Bereich Literatur Wellköner: Pharmakologie und Toxikologie, Springer Verlag Freund, Gendry: Laktate Kinetik after short strenuous exercise Europ. J. Appl. Phys. 1978 39 Anderson: Compartmental Modeling and Tracer Kinetics. Lect. Notes Math. Biol. 50 Rubinov: Introduction to Mathematical Biology 204 Differentialgleichungen Enzyme Kinetik (Michaelis Menten Theorie) Das Massenwirkungsgesetz besagt, daß die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion proportional zum Produkt der Konzentration aller an der Reaktion beteiligten Konstituenten ist. Enzyme katalysieren die Transformation von Molekülen (Substrat) in andere Formen (Produkt). Dabei kann in der Reaktion auch noch ein zusätzlicher Rest entstehen. Diese Katalyse läuft über ein Enzym Substrat Komplex. Entscheidend bei einer katalytischen Reaktion ist, daß das Enzym am Ende der Reaktion wieder vorliegt. Wir betrachten E = Konz. von Enzym k1 K2 E+S C E+P S = Konz. von Substrat C = Enzymsubstratkomplex k−1 Es gilt dann also dE = −k1 ES + (k−1 + k2 )C E(0) = E0 dt dS = −k1 ES + k−1 CS(0) = S0 dt dP = k2 CP (0) = P0 (= 0) dt dC = k1 E · S − (k−1 + k2 )CC(0) = C0 (= 0) dt (6.59) Man braucht also nur die Pfeile zu verfolgen. Dieses System ist nicht geschlossen lösbar. Allerdings gilt d (E + C) = 0 dt oder E(t) + C(t) = E0 + C0 , denn Enzymmoleküle sind entweder frei oder im Complex gebunden. Auf diese Weise läßt sich die Gleichung für E auf (6.59) eliminieren. Da P auch nicht auf der rechten Seite auftaucht, haben wir es schließlich nur mit S ′ = −k1 (E0 + C0 − C)S + k−1 CS(0) = S0 C ′ = k1 (E0 + C0 − C)S − (k−1 + k2 )C C(0) = C0 (6.60) zu tun. Dieses System ist immer noch zu kompliziert. In vielen Fällen jedoch verändert sich S nur sehr langsam, d.h. S ′ ist klein und es bildet sich ein sogenannter Quasistationärer Zustand. Löst man die erste Gleichung von (6.60) mit S ′ (t) ≈ 0 auf, erhält man (E0 + C0 )S(t) C(t) = . (6.61) (K + S(t)) Zur Verbesserung der Genauigkeit kann man nun C(t) aus (6.61) in (6.60) einsetzen und erhält mit leichten Umformungen k2 (E0 + C0 )S dS = . dt (K + S) (6.62) 6.5 Kompartiment Modelle 205 Man nennt dies auch die Reaktionsgeschwindigkeit V . Mit C0 = 0 ist die Anfangsgeschwindigkeit V (0) gerade k2 E0 S0 V0 = . K + S0 K wird Michaelis Menten Konstante genannt. 206 Differentialgleichungen 207 Musterklausuren Beispiel 1 I: 1) Bestimmen Sie die quadratische Funktion (Parabel) f für die gilt: 1 f (0) = , f ′ (1) = 0; 2 Z2 f (x)dx = 2. 0 2) Die Meßwerte (x, y) : (1, 2), (2, 3), (4, 7) sollen durch eine quadratische Funktion beschrieben werden. Welchen Wert erwarten Sie für x = 5? II: 1) a) Welche Bruchzahl wird durch 0, 987 987 987 . . . beschrieben? n2 + 1 √ ? Wenn ja, wogegen? b) Konvergiert an = (n + 2) n2 + 3 2) Konvergiert 12n2 + 27n + 3 6n2 + 3 − 2 , 4n 2n + 4n + 1 sin n ? b) bn = n a) an = III: 1) Die Holzmenge in einem jungen Wald wächst fast exponentiell mit etwa 3,5% pro Jahr. Um wieviel Prozent ist der Bestand in 12 Jahren gewachsen, und wann hat er sich in etwa verdoppelt? 2) Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,32 Jahre =3, 885 · 108 sec. Welche Aktivität (Zerfälle pro Sekunde) hat ein µ g Tritium? Wann ist von dieser Menge nur noch 40% übrig. (Hinweis: Avogadrosche Zahl: 6, 022045 · 1023 /M ol) IV: 1) Wo schneidet die Tangente in x = 1 an den Graphen von y = y-Achse? 1 die 1 + x2 2) Der Wert einer Funktion f in x = 1, 1 ist 2,45; entsprechend hat sie den Wert 2 in 1,24. Welchen Wert würden Sie in 1,15 erwarten? (Interpolieren Sie linear!) V: Diskutieren Sie die Funktionen 208 Differentialgleichungen x 1 + x2 2 2) (2x + x3 )e−x = g(x) 1) f (x) = VI: Berechnen Sie die Stammfunktionen von 1) a) x sin x2 b) 2x 2) a) x2 ln x b) xe−x Beispiel 2 I: Gleichungen 1) Bestimmen Sie die Lösungsmenge von: 3x1 + 4x2 + 5x3 + 6x4 = 17 4x1 + 5x2 + 6x3 + 7x4 = 20 5x1 + 4x2 + x1 + x2 + x3 − x4 = 12 x3 + x4 = 4. 2) Lösen Sie 2 · 2x + 4x = 3. II: Geraden 1) Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden durch (7, 8), die parallel zur Geraden 3x + 2y = 7 ist. 2) Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden durch (2, 3) und (27, 19), und finden Sie die Gleichung der dazu parallelen Geraden durch (0, 0). III: Exponentielles Wachstum 1) Die Wachstumsrate einer Kolonie von Hefepilzen beträgt 1,5% pro Tag. Nach wie vielen Tagen ist sie auf das 1,5 (2,5)-fache angewachsen? 2) In einer Woche vermehrt sich der Mehlkäfer bei 20◦ C von 1000 auf 1428. Bei 30◦ C wächst er in 20 Tagen von 600 auf 935. Vergleichen Sie die Verdoppelungszeiten. IV: Folgen Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenfalls die Grenzwerte. √ 3n2 + 4 n + 7 √ 1) a) = an 4n4 + 1 b) Welchen Bruch beschreibt 3,787878. . .? √ n2 + 2n + 5 2) a) = an 2n + 3 6.5 Kompartiment Modelle b) ∞ P 209 2−2n n=0 V: Differentialgleichungen 1) Bestimmen Sie die Tangente an der Kurve von f (x) = 2 · 2x im Punkte (2, 8). 2) Bestimmen Sie die Ableitungen von √ a) f (x) = sin( x + 2) b) g(x) = 2x cos(x2 ) VI: Integralrechnung 1) Bestimmen Sie eine Stammfunktion von √ a) f (x) = 3 x + 1 b) g(x) = x2 cos(x3 ) 2) Berechnen Sie a) R3 √ x3 1 + x2 dx 1 b) Rπ sin x dx 0 Beispiel 3 I: Konvergenz √ √ 1) Untersuchen Sie an = n3 + 2n + 2 − n3 + 2n auf Konvergenz. ∞ P 2) Untersuchen Sie n · 2−n auf Konvergenz. n=1 II: Potenzreihen 1) Wo konvergiert n2 xn ? 4 n=1 n + 1 ∞ P n ∞ xn P 2) Wo konvergiert ? n n=1 n III: Differenzieren Bilden Sie die Ableitungen von √ 1) a) ln 1 + x4 2 b) e3+ln(1+x ) √ 2) a) sin(x + 1 + x3 ) √ b) e3x+2 ln 1+x 210 Differentialgleichungen IV: Partielles Differenzieren Bilden Sie alle partiellen Ableitungen 1.Ordnung 1) a) x3 ln(1 + y 2 ) √ b) x7 y 9 z + 1 2) a) sin3 x · y 2 p b) sin(x · y · z) · xy 2 z 3 V: Integralrechnung Berechnen Sie die nachstehenden Integrale 1) a) R3 √ x 1 + x dx 0 b) R1 2 xex dx 0 2) a) b) R1 0 R2 1 VI: x(5x2 + 4x)3 dx (ln x)3 dx x 1) Berechnen Sie das Volumen des durch Rotation von y = 1 um die x-Achse erzeugten Rotationskörpers. √ x + 1, 0 ≤ x ≤ 2) Welches Volumen √ hat der Rotationskörper, der durch Rotation des Graphen von y = x, 0 ≤ x ≤ 1 um die y-Achse erzeugt wird? Beispiel 4 1. Bestimmen Sie alle Lösungen des Gleichungssytems x1 + x2 = 0, x2 + x3 = 0, x3 + x4 = 0, x4 + x5 = 0, x1 − x5 = 0. 2. Sie stehen in Schulau an der Elbe, und ein Schiff fährt in 200 m Entfernung an Ihnen mit 10 km/h vorbei. Beschreiben Sie die Entfernung des Schiffes in Metern als Funktion der Zeit. 3. Berechnen Sie lim n→∞ √ n2 + 1 + 1 . 2n 4. Diskutieren Sie die Funktion 2 (x3 + x)e−x = f (x). 5. Bestimmen Sie die Tangente an den Graphen von f (x) = x3 im Punkte (1, 1). 6.5 Kompartiment Modelle 211 6. Bestimmen Sie die Stammfunktion zu xe3x und berechnen Sie 2 +2 = f (x) Z1 √ x 1 + x2 dx. −1 Beispiel 5 1. Bestimmen Sie eine quadratische Funktion f mit den Eigenschaften: f (2) = 3, f ′ (1) = 1 und f (1) − f (0) = 2. 2. 4n3 + 7n2 − 17n − 2 ? Wenn ja, wogegen? a) Konvergiert an = √ n2 + 1(2n2 + 3) ∞ P 1 b) Konvergiert ? 2 n=1 2n + 1 3. Diskutieren Sie die Funktion f (x) = 4. Wo schneidet die Tangente von f (x) = x . 1 + x4 √ x in x = 2 die y-Achse? 5. Bestimmen Sie eine Stammfunktion von f (x) = x sin(3x2 + 1). 6. Berechnen Sie Z1 0 x2 e−(3x 3 +4) dx.