Mathematik für Biologen I

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OSNABRÜCKER SCHRIFTEN
ZUR MATHEMATIK
Reihe V
Vorlesungsskripten
Heft 143
Wintersemester 2004/05
Mathematik für Biologen I
H. Behncke
Fachbereich Mathematik/Informatik
Universität Osnabrück
OSM Osnabrücker Schriften zur Mathematik
Neuauflage September 2004
Herausgeber
Selbstverlag der Universität Osnabrück
Fachbereich Mathematik/Informatik
49069 Osnabrück
Geschäftsführer
Prof. Dr. W. Bruns
Berater:
Prof. Dr. P. Brucker (Angew. Mathematik)
Prof. Dr. E. Cohors-Fresenborg
(Didaktik der Mathematik)
Prof. Dr. V. Sperschneider (Informatik)
Prof. Dr. R. Vogt (Reine Mathematik)
Druck
Hausdruckerei der Universität Osnabrück
Copyright bei den Autoren
Weitere Reihen der OSM:
Reihe
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D
I
M
P
U
Mathematisch-didaktische Manuskripte
Manuskripte der Informatik
Mathematische Manuskripte
Preprints
Materialien zum Mathematikunterricht
Mathematik für Biologen I
Horst Behncke
ii
iii
Vorwort
“Wozu Mathematik für Biologen?” Diese Frage bzw. dieser Seufzer junger Biologiestudenten mag für diejenigen selbstverständlich klingen, die noch nie Freude
an diesem abstrakten Zahlenkram hatten und Mathematik, so schnell sie konnten,
abgewählt haben. Diese Studenten sollten allerdings nicht verkennen, daß sich die
Biologie inzwischen von der “Blümchenbiologie” zu einer abstrakten Wissenschaft
entwickelt hat, für die die Mathematik ein notwendiges Handwerkszeug ist. Galileo
schrieb dazu, daß das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben sei. Noch etwas pointierter läßt sich dies durch die nachfolgende Behauptung
ausdrücken.
Der Stand der Wissenschaft wird gekennzeichnet durch den Grad ihrer Mathematisierung. Der Grad der Mathematisierung der Biologie läßt sich etwa durch die
zunehmende Anzahl von Zeitschriften wie Journal of Theoretical Biology, Mathematical Bioscience, J. of Theoretical Population Biol., Biometrica sowie durch Bücher
belegen.
In der Tat durchläuft die Biologie zur Zeit eine Revolution von einer qualitativ deskriptiven Wissenschaft zu einer quantitativen mathematisierten Form. Dies wird
begünstigt durch das Ausmaß mit der Menschen in die Biosphäre eingreifen, die
Entwicklung immer leistungsfähiger Computer sowie systemwissenschaftliches Denken. Zwar fehlen der Biologie grundsätzliche Gesetze wie das Newton’sche Bewegungsgesetz oder die Maxwell Gleichungen, dennoch schreitet die Mathematisierung
unaufhörlich voran, so dass man wohl das 21. Jahrhundert als das Jahrhundert der
Mathematisierung der Biologie bezeichnen wird. Da die Komplexität der Biologie
ungleich größer ist als die der Physik, werden noch lange Zeit mathematische Modelle die Biologie beherrschen. – Näheres dazu findet man in Science 303, 2004, p.
788–803.
Die Mathematisierung und die Anwendung der Mathematik vollzieht sich in den
meisten Wissenschaften nach dem folgenden Schema:
1. Aufnehmen qualitativer Daten - Zählen und Messen
2. Zusammenfassen und Beschreiben von Daten
3. Modellbildung
4. Theoriebildung
iv
Dies gibt auch meist den historischen Ablauf wieder. Dieser Prozeß wird heute durch
den Einsatz von Computern noch verstärkt und beschleunigt. Wie weit letztlich die
Mathematik bei der Beschreibung biologischer Phänomene eine Rolle spielt, läßt
sich heute noch nicht mit Sicherheit sagen. In vielen Bereichen aber, wie z.B. der
Genetik, der Epidemiologie, der Evolutionsbiologie oder der Ökologie, werden komplexe mathematische Methoden und Modelle eine zentrale Rolle spielen. In diesem
Zusammenhang sollten Sie sich auch noch überlegen, daß der zukünftige Arbeitsmarkt für Biologen, der nicht gerade üppig ist, solide Mathematikkenntnisse und
Computerfähigkeiten erfordert.
Halten wir also fest:
Die Mathematik ist ein notwendiges Hilfsmittel für die Biologen, und ihre Bedeutung
wird zukünftig eher noch zunehmen.
Diese Aussage wird durch die Worte von Charles Darwin, einem der größten Biologen, deutlich belegt.
“During the three years which I spent at Cambridge my time was wasted, as far
as the academical studies were concerned, as completely as at Edinburgh and at
school. I attended mathematics, and even went during the summer of 1828 with a
private tutor of Barmouth, but I got on very slowly. The work was repugnant to
me, chiefly from my unbeing able to see any meaning in the early steps in algebra.
This impatience was very foolish, and in after-years I have deeply regretted that I
did not proceed far enough at least to understand something of the great leading
principles of mathematics for men thus endowed seem to have an extra sense. But
I do not believe that I should ever have succeeded beyond a very low grade. With
respect to Classics I did nothing except attend a class.”
Anzumerken bleibt hier nur, daß gerade die Beschäftigung mit dem “Malthusschen
Wachstum” Darwin auf die Idee des Kampfes um das Dasein brachte.
Dem bekannten Evolutionsbiologen J. Maynard Smith wird “If you can’t stand algebra stay out of evolutionary biology” zugeschrieben.
Um aber zumindest in diesem Skriptum für diejenigen Studenten, denen die Mathematik schon immer eine Qual war, eine Brücke zur Schule zu schlagen, werde ich
soweit möglich bezug auf bekannte Schulbücher - Mathematik für Gymnasien Bd.
4, Algebra I Bd. 5, Mathematik 10. Schuljahr sowie Grundkurs Analysis (Cornelsen
Schwann Verlag) - nehmen. Hinweise dazu werden mit AI, AII oder S angegeben:
Überhaupt sollten alle, denen es in der Vorlesung zu schnell geht, auf die Schulbücher
zurückgreifen, um ggf. Lücken zu schließen. Dies sollte in der Vorbereitung auf die
Vorlesung anhand des Skriptums erfolgen. Sollten Sie allerdings dann immer noch erhebliche Schwierigkeiten haben, sollten Sie die Studienberatung aufsuchen. In Bezug
auf Schulbücher gilt es allerdings festzuhalten, dass hier der Bezug auf Anwendungen
von zentraler Bedeutung ist. In der Zwischenzeit wurde dieses Skriptum mehrfach
überarbeitet und das Spektrum der Aufgaben ergänzt. Es ist auch nicht alles in
diesem Skriptum für alle Bereiche der Biologie gleichermaßen wichtig. Dinge, die
beim ersten Lesen weggelassen werden können und die in der Vorlesung eher kursorisch behandelt werden, sind daher mit ∗ gekennzeichnet. Darüber hinaus fällt
auf, daß mehr als die Hälfte des Stoffes Schulmathematik ist, die in der Schule vor
v
der 10. Klasse behandelt wurde. Unsicherheit im Umgang mit diesem Stoff ist für
einen angehenden Akademiker unverzeihlich, und schon im eigenen Interesse sollten
Sie etwaige Lücken unbedingt schließen. Inhaltlich ist diese Vorlesung daher eine
Wiederholung der Schulmathematik mit biologischem Akzent.
Die Kontrolle des eigenen Wissensstandes sowie das Einüben des Stoffes sind entscheidende Voraussetzungen für die erfolgreiche Teilnahme. Aus diesem Grund wird
die Teilnahme an der Abschlußklausur von einer erfolgreichen Teilnahme an den
Übungen abhängig gemacht. Dies ist auch schon deswegen notwendig, weil die ECTSPunkte die Übungen einschließen.
Zu guter letzt sei noch angemerkt, daß ich in diesem Kurs auch auf eine Rückkopplung von Ihnen hoffe. Wenn also etwas unklar ist oder etwas nicht ausreichend
behandelt wurde: fragen Sie.
In dieser Veranstaltung werde ich mich weitgehend an das Skriptum halten und
dabei besonders auf Beispiele eingehen. Der Vorteil des Skriptums besteht darin,
daß Sie sich so besser auf die Vorlesung und die inhaltlichen Aspekte konzentrieren
können, der Nachteil darin, daß die Vor- und Nachbereitung zu kurz kommen, weil ja
schon alles aufgeschrieben ist. Die Vor- und Nachbereitung einer Veranstaltung sind
aber wesentliche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Besuch. Als Daumenregel
gilt, daß Vor- und Nachbereitung je genau denselben Umfang wie die Veranstaltung
haben sollten. Gerade hier zeigt sich auch der Wert der Übungen als Gradmesser
des Verstehens.
Literaturverzeichnis
(1) Batschelet, E.: Einführung in die Mathematik für Biologen, Springer Verlag
1980.
(2) R. Flindt: Biologie in Zahlen.
(3) Hadeler, K.P.: Mathematik für Biologen, Springer Verlag 1974.
(4) J.D. Murray: Mathematical Biology.
(5) Rubinnov, S.I.: Introduction to Mathematical Biology.
(6) Smith, J.M.: Mathematical ideas in biology, Cambridge Univ. Press 1968.
(7) Vogt, H.: Grundkurs Mathematik für Biologen, Teubner Verlag 1983.
(8) Newby, J.C.: Mathematics for the biological sciences, Clarendon Press.
vi
vii
Inhaltsverzeichnis
1 Die reellen Zahlen
3
1.1
Die natürlichen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2
Die rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.3
Die reellen Zahlen und ihre Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1.4
Approximative Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
1.5
Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
1.6
Das Rechnen mit reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.7
Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1.8
Kombinatorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.9
Schätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
1.11 Ein Letztes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2 Funktionen
41
2.1
Der n-dimensionale Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
2.2
Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
2.3
Funktionen und ihre Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.4
Lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
2.5
Polynome; rationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
2.6
Potenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
2.7
Zins, Zinseszins und Ratenzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
2.8
Exponential-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
2.9
Graphische Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
3 Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
89
3.1
Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.2
Konvergente Folgen und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Inhaltsverzeichnis
1
3.2.1
Verzweigungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
3.2.2
Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
3.3
Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
3.4
Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
4 Differentialrechnung
113
4.1
Die Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
4.2
Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor . . . . . . . . . . . . . . 121
4.3
Die trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.4
∗ Die komplexen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.5
Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.6
Partielle Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
4.7
Extremwertaufgaben und andere Anwendungen . . . . . . . . . . . . 154
5 Integralrechnung
159
5.1
Flächeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
5.2
Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . 162
5.3
Volumen, Flächen und Bogenlängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
5.4
Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
6 Differentialgleichungen
179
6.1
Populationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
6.2
Separierbare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
6.3
Lineare Differentialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
6.4
Schwingungsgleichung
6.5
Kompartiment Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
2
Inhaltsverzeichnis
3
Kapitel 1
Die reellen Zahlen
1.1
Die natürlichen Zahlen
Schroedel-Schöningh
Mathematik
Heute
9,
Breidenbach
Mathematik
8., 9. Schuljahr
Was Zahlen sind, weiß jeder, denn schon seit frühster Kindheit sind wir mit ihnen
vertraut. In der Tat weiß man, daß schon Kleinkinder ein intuitives Verständnis von
Zahlen (Anzahlen) haben. Zahlen stellen darüber hinaus eine wichtige kulturübergreifende Größe dar, wie etwa das SETI-Projekt (Search for Extraterrestrial Intelligence) belegt, wo eine Verständigung mit außerirdischen Kulturen über Zahlen
erfolgen soll. Dennoch ist es für Mathematiker und Philosophen keineswegs klar, was
Zahlen eigentlich sind. Allerdings wird dieses Problem einen experimentellen oder
angewandten Wissenschaftler oder einen Kaufmann kaum bewegen. Für ihn ist nur
wichtig, was man damit machen kann und welche Eigenschaften sie haben. Dies ist
auch genau der Standpunkt, den wir hier verfolgen wollen.
In allen Naturwissenschaften werden Zahlen verwandt, um Meßergebnisse zu beschreiben, darzustellen und zusammenzufassen. Auch für die Theorie bilden sie ein
wesentliches Beschreibungsmittel.
Die einfachste Form der Messung ist das Zählen oder Abzählen. Damit lassen sich
Häufigkeiten von Eigenschaften oder Merkmalen - Tier- oder Pflanzenarten, Typen, Mutanten, . . . - beschreiben. Zum Zählen oder Abzählen verwendete man die
natürlichen Zahlen. Diese sind 1, 2, 3, 4, . . ., und die Menge der natürlichen Zahlen
bezeichnen wir mit N.
N = {1, 2, 3, 4, . . .}.
Ist A eine Menge, so bezeichnen wir mit |A| die Anzahl der Elemente in A. Es gilt
also
|{a, b, c, d, . . . , z}| = 26
|{a, e, i, o, u}| = 5
und
|{1, 2, . . . , 1989}| = 1989.
Wir stellen die natürlichen Zahlen im Zehnersystem dar.
4
Die reellen Zahlen
Dabei steht dann z.B. 213785 für
213785 = 2 · 100000 + 1 · 10000 + 3 · 1000 + 7 · 100 + 8 · 10 + 5 · 1.
Man nennt ein solches Zahlsystem daher auch ein positionales System, denn die
Position der Ziffern gibt ihre Wertigkeit an. In unserem Beispiel steht also 5 in der Einerposition, 8 an der Zehner- und 7 an der Hunderterposition. Auch die Einführung
der positionalen Darstellung von Zahlen stellt eine wesentliche kulturelle Leistung dar, die darüber hinaus auch noch bestimmend war über die Rechenfähigkeit
und die Entwicklung der Zahlentheorie. Die Griechen z.B. verwandten Buchstaben
zur Darstellung der Zahlen, und dies hat ihre Mathematik eher behindert. Um dies
deutlich zu machen, versuchen Sie einmal die einfachen Aufgaben der römischen
Darstellung zu lösen:
LXIII : IX;
DCLXII + M DCIX.
Unser positionales Zahlensystem basiert auf Potenzen von 10, hat die Basis 10. In
anderen Kulturen hat man gelegentlich eine andere Basis verwandt. In Babylon war
es 60, bei den Mayas 20. Um ein Gefühl für die Eigenschaften und das Rechnen im
positionalen Zahlensystem etwas deutlicher zu machen, hier ein paar Beispiele für
das Dual- oder Zweiersystem. Hier verwendet man natürlich nur 0 und 1, so wie
man im Zehnersystem {0, . . . , 9} verwendet. Wir haben also
11001 = 1 · 24 + 1 · 23 + 0 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20
= “25” (im Zehnersystem)
1110101 = 1 · 26 + 1 · 25 + 1 · 24 + 0 · 23 + 1 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20
= “117” (im Zehnersystem)
Hier ein paar Rechnungen
1
1 1
1 1 0 0 1 1
1 0 1 0 1
1 0 0 1 0
1
0 0
1
1 0 0 1 1 0
1 1 0 0 1 1
1 0 1 1 0 0 1
Die Überträge sind durch 1 kenntlich gemacht worden.
1 1 0 1 × 1 0 1
1 1 0 1
1 1 0 1
1 0 0 0 0 0 1
oder
1 0 1 1 1 × 1 0 1 1
1 0 1 1 1
1 0 1 1 1
1 0 1 1 1
1 1 1 1 1 1 0 1
⊖
1 1 0 1
−
1 1 1
1 1 0
1.2 Die rationalen Zahlen
5
Trauen Sie sich eine Division im Dualsystem zu? Versuchen Sie es mal mit 10010:11.
Die Natur verwendet übrigens im genetischen Code das Vierersystem, das auf den
“Zahlen” (Aminosäuren) A, T, G, C (Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin) beruht.
In der Mathematik verwendet man für allgemeine Zahlen meist Symbole wie
i, j, k, l, m oder n. Da das Rechnen mit natürlichen Zahlen Beschränkungen unterliegt - z. B. ist 12 − 15 in N nicht durchführbar - verallgemeinert man dies System
etwas und wird so auf die ganzen Zahlen Z geführt.
Z = {0, 1, −1, 2, −2, . . .}.
Auch wenn uns all dies seit der Grundschule wohlbekannt ist, so stellt doch die
Einführung von Z eine wichtige kulturgeschichtliche Leistung dar. Dies gilt insbesondere auch für die Einführung der 0 durch die Inder. Ohne “0” könnte man kein
positionales Zahlsystem einführen.
1.2
Die rationalen Zahlen
Eine ähnliche Verallgemeinerung wie die von N auf Z führt auf die rationalen
Zahlen oder Bruchzahlen Q.
m
Q = { | m ∈ Z, n ∈ N}.
n
Diese waren schon von jeher für das Messen und den Handel wichtig, wie aus der Kulturgeschichte wohlbekannt ist. Schon bei der Beschreibung einfacher Beobachtungen
wird man auf Q geführt, wie das folgende Beispiel zeigt:
Die Pflanzen- bzw. Tierarten A1 , A2 , . . . , A12 werden beobachtet. Dabei sei n1 die
Häufigkeit von A1 , n2 die von A2 ; usw. Ist dann n = n1 + n2 + . . . n12 die Gesamtzahl der Beobachtungen, so nennt man nn1 , nn2 , . . . , nn12 die relative Häufigkeit
von A1 , A2 , . . . bzw. A12 . Im Gegensatz zu den absoluten Häufigkeiten lassen sich
relative Häufigkeiten leichter vergleichen. Gelegentlich werden relative Häufigkeiten
auch in Prozent angegeben. Die Aussage, daß 15% aller Nordseefische Mißbildungen
15
.
aufweisen, bedeutet also eine relative Häufigkeit von 100
1.3
Die reellen Zahlen und ihre Darstellung
Angenäherte Zahlen
Da viele mathematische Operationen, wie
√ Wurzelziehen oder Grenzwerte, innerhalb
von Q nicht durchführbar sind (z. B. ist 2 ∈
/ Q), ist man gezwungen, Q noch weiter
zu vergrößern. Man wird dann auf die reellen Zahlen R geführt. Wir haben also
N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R.
Reelle Zahlen,√die√nicht rational sind, heißen irrational. Beispiele für irrationale
Zahlen sind: 2, 3 5, π, e, ln 2, . . . Abgesehen von Vorzeichen hat jede reelle Zahl
6
Die reellen Zahlen
eine Darstellung im Dezimalsystem als unendlicher Dezimalbruch. Es bedeutet also
17, 312483 . . .
1 · 10 + 7 · 1 + 3 ·
1
1
1
1
+1·
+2·
+4·
+ ...
10
100
1000
10000
Jede positive reelle Zahl hat also eine Darstellung in Form
al al−1 . . . a0 , b1 b2 b3 b4 . . .
ai , bj ∈ {0, 1, . . . , 9}.
Wir werden also die reellen Zahlen mit solchen unendlichen Dezimalbrüchen identifizieren. Bei dieser Darstellung muß man jedoch berücksichtigen,
daß 0,9999. . . gerade = 1 ist. Solche Darstellungen kann man auch für andere Systeme finden. Im Dualsystem beispielsweise steht 1 0 1, 1 1 0 0 1. . . für 1 · 22 + 0 · 21 + 1 ·
20 + 1 · 2−1 + 1 · 2−2 + 0 · 2−3 + 0 · 2−4 + 1 · 2−5 + . . .. Man kann zeigen, daß jede reelle
Zahl auch eine solche Darstellung besitzt. Später werden wir diesen Aspekt noch
genauer analysieren. Die wohlbekannten Rechenregeln des Dezimalsystems übertragen sich auch entsprechend auf Darstellungen bezüglich einer anderen Basis. Zum
Beispiel bedeutet Multiplikation mit 2, daß das Komma in der Dualdarstellung um
eine Position nach rechts verschoben wird.
Für die reellen Zahlen gelten die folgenden Regeln:
Addition
Kommutativgesetz:
Assoziativgesetz:
Null:
Das Negative:
Multiplikation
Kommutativgesetz:
Assoziativgesetz:
Eins:
Das Inverse:
Distributivgesetz:
a+b=b+a
a, b, c ∈ R
(a + b) + c = a + (b + c)
a+0=a
a + (−a) = 0
a·b=b·a
(a · b) · c = a · (b · c)
a·1=a
a · 1/a = 1
a · (b + c) = a · b + a · c.
Folgerungen
1. Das allgemeine Assoziativgesetz: Eine Summe (Produkt) ist unabhängig von
der Klammerung
(((a1 + a2 ) + a3 ) · · · + an ) = (((a1 + a2 ) + a3 ) + . . . ) + an .
Die Summe rechts ist übrigens genau der Ausdruck den man erhält, wenn
man a1 , a2 , . . . , an unabhängig von der Klammerung ist, schreibt man einfach
a1 + a2 + · · · + an dafür, d.h. man läßt die Klammern weg. Noch kompakter
schreibt man
n
X
a1 + a2 + · · · + an =
ai .
i=1
1.3 Die reellen Zahlen und ihre Darstellung
7
Das Summensymbol rechts bedeutet dabei: Summiere über die ai angefangen
bei i = 1 bis an . Statt der Variablen i kann man auch j oder k verwenden.
Also
n
n
X
X
aj =
ak .
i=1
k=1
Entsprechend bedeutet
29
X
i=7
ai = a7 + a8 + · · · + a29 .
Hier noch ein paar Beispiele:
39
X
k=4
15
X
k 2 = 42 + 52 + · · · + 392
1
1
1
1
1
= 2
+ 2
+ 2
+ 2
2
1+l
12 + 1 13 + 1 14 + 1 15 + 1
l=12
2. Das allgemeine Kommutativgesetz
Die Summe (Produkt) von Zahlen a1 , . . . , an ist unabhängig von der Reihenfolge.
Beispiel: a1 + a2 + a3 + a4 = a4 + a2 + a3 + a1
3. Das allgemeine Distributivgesetz
(a1 + a2 + · · · + an ) · (b1 + b2 + · · · + bm )
= a1 · b 1 + · · · + a1 · b m + a2 · b 1 + · · · + a2 b m + · · · + an · b 1 + · · · + an b m .
Dabei sind a1 , . . . , b1 , . . . beliebige reelle Zahlen.
4. Genauso wie man a + a + · · · + a = n · a a ∈ R, n ∈ N schreibt, führt man die
Kurzform
a · a · · · · · a = an
a∈R
ein. Es gilt dann
an · am = an+m ,
(an )m = an·m
a ∈ R.
Damit diese Regeln auch für n, m ∈ Z gültig bleiben, muß man
a0 = 1
und a−n =
1
an
a 6= 0
setzen.
Man beachte, daß der Bruchstrich bei Bruchausdrücken die Rolle einer Klammer hat.
8
Die reellen Zahlen
5. Neben der Addition und Multiplikation haben die reellen Zahlen noch eine
weitere wichtige Eigenschaft. Sie sind geordnet, d.h. es gilt
˙
˙ −
R = R+ ∪{0}
∪R
R− = −R+ .
Dabei bezeichnet R+ die Menge aller positiven reellen Zahlen und ∪˙ bedeutet,
daß die drei Teilmengen disjunkt (elementfremd) sind. Es gilt ferner
R+ + R+ ⊂ R+ ,
R+ · R+ ⊂ R+
R+
Zahlenstrahl R
0
Mit Hilfe von R+ definiert man nun:
a > b wenn a − b ∈ R+ :
a ≥ b wenn a = b oder a > b:
a ist echt größer als b
a ist größer oder gleich b.
Folgerungen
a > b, c > 0 ⇒ a · c > b · c
a > b > 0 ⇒ b−1 > a−1 > 0
a ≥ b, c ≥ d ⇒ a + c ≥ b + d.
Diese und weitere Ungleichungen zeigt man durch Fallunterscheidung.
Intervallschachtelung: Eine Folge von Zahlenpaaren {(an , bn )} mit an < bn heißt
Intervallschachtelung, wenn In+1 = [an+1 , bn+1 ] = {x ∈ R | an+1 < x ≤ bn+1 } ⊂
[an , bn ] und wenn bn − an → 0, d.h. wenn zu jeder Zahl ǫ > 0 ein n0 existiert mit
bn − an < ε für n ≥ n0 .
Für reelle Zahlen gilt nun: Jede Intervallschachtelung
√ legt genau eine reelle
Zahl fest. Wir wollen dies an einem Beispiel, nämlich 3 17 erläutern. Es gilt 23 <
17 < 33 .
Allgemein wird man nun an = 2, α1 α2 . . . αn αi ∈ {0, . . . , a} setzen, wenn a3n ≥ 17
und (an + 10−n )3 > 17. In diesem Fall setze bn = an + 10−n .
Die Intervallschachtelungseigenschaft zusammen mit den Regeln der Addition und
Multiplikation legen R, die reellen Zahlen, eindeutig fest.
1.4
Approximative Zahlen
Im Prinzip benötigt man für jede reelle Zahl unendlich viele Ziffern nach dem Komma. Diese kommen auch noch unregelmäßig vor, denn es sind genau die rationalen
1.4 Approximative Zahlen
9
Zahlen, deren Dezimaldarstellung schließlich periodisch wird. In der Praxis aber hat
es keinen Sinn, mit unendlich vielen Dezimalstellen nach dem Komma zu rechnen.
Man rechnet daher nur mit angenäherten Zahlen, d.h., man bricht die Dezimalentwicklung durch Runden an einer geeigneten Stelle ab. Anstelle von
π = 3, 141592654 . . .
verwendet man
π = 3, 14
(Abrunden nach der zweiten Stelle)
oder
π = 3.1416 (Aufrunden nach der vierten Stelle),
obwohl man von π inzwischen etwa 400.000.000 Stellen kennt. Ähnlich schreibt man
√
oder
√2 = 1, 4142
2 = 1, 414214.
Ein weiterer Grund, angenäherte Zahlen zu verwenden, besteht darin, daß viele
Zahlen Ergebnisse von Messungen sind und damit mit Meßfehlern behaftet sind.
Das Abbrechen durch Auf- oder Abrunden hängt dabei von dem zulässigen Fehler
bzw. der erwünschten Genauigkeit ab. Auch die Genauigkeit des Rechnens kann hier
eine Rolle spielen. Hier einige Beispiele:
Aufrunden
√
3 = 1, 7320/50808 . . .
3 = 1, 7321 Fehler ≤ 0, 00005
ln 3 = 1, 098/612289 . . . ln 3 = 1, 099 Fehler ≤ 0, 0005
√
π = 3, 14/159 . . .
ln 2 = 0, 6931/47 . . .
Abrunden
π = 3, 14
Fehler ≤ 0, 005
ln 2 = 0, 6931 Fehler ≤ 0, 00005
Es ist also jeweils immer die nachfolgende Ziffer maßgebend. Ist es eine 5,6,7,8 oder 9,
wird die vorangehende Ziffer um 1 erhöht, andernfalls behält sie ihren Wert. Dadurch
ist der Fehler, d.h. die Genauigkeit, bei einer Darstellung mit n Ziffern nach dem
Komma kleiner als 5 · 10−(n+1) .
In Rechnern wird dieses Runden automatisch durchgeführt. Bei vielen Rechnungen
können dabei erhebliche Rundungsfehler entstehen.
Die Ziffern, die bei solchen angenäherten Darstellungen auftreten, heißen signifikante Ziffern. In Taschenrechnern bzw. Computern rechnet man meist mit 8 bzw.
12 signifikanten Ziffern. Durch besondere Vorkehrungen kann diese Zahl aber noch
verdoppelt werden. So hat etwa
1
ln 2 = 0, 006931
100
π = 3, 14
√
19225 = 138, 65
10
Die reellen Zahlen
4, 3 bzw. 5 signifikante Ziffern. Dabei werden voranstehende Nullen also nicht mitgezählt. Man sollte sich aber auch darüber im klaren sein, daß bei dieser Darstellung
1,2; 1,20 und 1,200 eine verschiedene Bedeutung haben. Im ersten Fall nämlich deuten wir eine Genauigkeit von 0.05 an, während die Genauigkeit im zweiten und
dritten Fall 0,005 bzw. 0,0005 ist. Angenäherte Zahlen treten in der Praxis sehr
häufig auf. Wenn es heißt, daß die Einwohnerzahl von Osnabrück (der Bundesrepublik) 150000 (81,6 Mio.) beträgt, so sind dies angenäherte Zahlen mit einem Fehler
von 5000 bzw. 50000.
Wie bei allen experimentellen Wissenschaften wird die Genauigkeit der Darstellung
von Zahlen besonders durch die Genauigkeit der Messungen, die Streuung der Meßergebnisse, Eigenheiten des untersuchten Systems und die gewünschte Genauigkeit
bestimmt.
Hat man beispielsweise die Länge eines Tisches mit einem Zollstock gemessen, so ist
die Aussage, der Tisch sei 1,0753483m lang, unsinnig, denn die Genauigkeit bei einem
Zollstock ist etwa 0,001m = 1mm. Das Ergebnis sollte also 1,057m lauten, weil der
Meßfehler etwa 0,0005 beträgt. Aus diesem Grund bricht man bei der Dezimaldarstellung von Meßergebnissen dort ab, wo der Meßfehler gleich dem Rundungsfehler
wird.
Die Verwendung angenäherter Zahlen kann gelegentlich in Rechnungen zu leichten
Absonderlichkeiten führen. So ist etwa
1, 70 + 0, 7134 = 2, 41.
Durch Eingemeindung eines Dorfes von 2.400 Einwohnern kann etwa die Einwohnerzahl von Osnabrück plötzlich von 150.000 auf 160.000 steigen, wenn es vorher 154.000
waren. Während man in der Physik gelegentlich 7 oder mehr signifikante Ziffern
hat, sind es in der Biologie, den Ingenieurwissenschaften und anderen Naturwissenschaften meist weniger als 5 oder sogar nur 3. Aus diesem Grund spielen die
Rundungsfehler in Rechnern daher meist keine Rolle. Das Rechnen mit angenäherten Zahlen ist weiter verbreitet, als man zunächst annimmt. Hier einige Beispiele:
Osnabrück hat 150 000 Einwohner, und die Universität hat 12 000 Studenten. Die
Verschuldung im Bundeshaushalt beträgt 58,2 Mrd. Euro. Besonders im Bereich der
Wirtschaftsstatistik sind die relativen Fehler oft ziemlich hoch. Sie rangieren meist
von 10% (Versorgungsbetriebe) bis fast 30% im Dienstleistungssektor, d.h., auch in
der Wirtschaft sind kaum mehr als 2 signifikante Ziffern drin.
Um im Zehnersystem Zahlen besser darstellen zu können, führt man noch die Potenzschreibweise für 10er-Potenzen ein. So schreibt man etwa
und allgemeiner
1 = 100
10 = 101
100 = 10 · 10 = 102
..
..
.
.
1000000 = 10 · 10 · 10 · 10 · 10 · 10 = 106
. . . 0} = 10
· . . . · 10} = 10n
|100{z
| · 10{z
n×Null
n−mal
1.4 Approximative Zahlen
11
Entsprechend definiert man
1
= 10−1
10
1
= 10−2
100
und
1
= 10−n .
10n
In den Naturwissenschaften ist es üblich, Zahlen mit Hilfe von 10er-Potenzen auf eine
Standardform, die naturwissenschaftliche Darstellung, zu bringen. So schreibt
man
1, 471 · 102 statt 147, 1
3, 340 · 103 statt 3340.
Entsprechend bedeutet also die Aussage, daß Osnabrück 153.000 = 1, 53 · 105 Einwohner hat, nicht, daß es genau 153.000 sind, sondern, daß man einen Fehler von
±500 zuläßt.
In dieser Darstellung hat man also in der Regel nur 1 Stelle vor dem Komma. Als
hilfreich erweist sich dabei die Verwendung bestimmter Vorsilben für 10er- Potenzen.
Vorsilbe Symbol
Tera
T
Giga
G
Mega
M
Kilo
k
Milli
m
Mikro
µ
Nano
n
Pico
p
10er Potenz
1012
109
106
103
10−3
10−6
10−9
10−12
Da diese jeweils um 103 anwachsen, läßt man manchmal auch 3 Stellen vor dem
Komma in der naturwissenschaftlichen Darstellung zu.
Gelegentlich wird man an einem Objekt mehrere Messungen oder an mehreren
gleichartigen Objekten Messungen vornehmen. Sind x1 , x2 , . . . , xn die Meßwerte, so
nennt man
n
1X
1
xi
(1.1)
x = · (x1 + x2 + . . . , xn ) =
n
n i=1
den Mittelwert oder das arithmetische Mittel der xi . Als Maß für die Abweichung oder Streuung der Meßwerte kann man
n
1X
|xi − x|
n i=1
12
Die reellen Zahlen
verwenden. Da der Absolutbetrag in der Summe aber mathematisch unhandlich ist,
verwendet man stattdessen die Standardabweichung σ bzw. die Varianz σ 2
n
1X
σ =
(xi − x)2 .
n i=1
2
Gelegentlich ersetzt man hierbei den Faktor
Teil sehen werden.
1
n
durch
(1.2)
1
,
n−1
wie wir noch im Statistik-
Da in der Regel solche Mittelwerte x eine größere Genauigkeit bzw. Aussagekraft
als die Einzelmeßwerte haben, erhöht man bei der Darstellung die Anzahl der signifikanten Ziffern um 1.
Beispiel: Meßwerte für die Länge eines Tisches:
1, 073; 1, 074; 1, 072; 1, 074; 1, 073; 1, 074; 1, 073
x = 1, 0733 σ = 7 · 10−4
Beispiel: Für das Gewicht von Mäusen erhielt man in g:
14, 17, 19, 15, 16, 12, 16, 15, 12, 15.
1
· 40, 9 = 4, 09 oder σ = 2, 02.
10
Die Verwendung von angenäherten reellen Zahlen hat für das Rechnen eine Reihe
von Konsequenzen, die wir nun an einigen Beispielen erläutern wollen.
Dann ist x = 15, 1 und σ 2 =
Beispiel 1.1 Für einen Tisch wurden gemessen:
Länge = 1, 621m,
Breite = 0, 843m
Dann ist die Fläche 1,373m2 , denn der Fehler ergibt sich aus
(1, 621 ± 0, 0005) · (0, 847 ± 0, 0005) = 1, 372987 ± 0, 001234
Beispiel 1.2 Die Maße eines Aquariums sind:
Länge = 0, 801,
Breite = 0, 650 Höhe = 0, 420.
Dann ist das Volumen V = 0, 218673 ± 0, 000056 = 0, 219.
Beispiel 1.3 Das Volumen V eines Körpers ist 375, 1cm3 und seine Masse M =
(485, 3 ± 0, 05)
M
=
≈ 1, 294.
485, 3g. Dann ist die Dichte =
V
(375, 1 ± 0, 05)
Beispiele 1.1 und 1.2 zeigen übrigens, daß es häufig sinnvoll ist, den Fehlerbereich
explizit anzugeben, weil der Wert eines experimentellen Ergebnisses eben auch in
seiner Genauigkeit liegt. Darüber hinaus läßt sich so der Fehler abgeleiteter Größen
besser kontrollieren.
1.5 Dimensionen
13
Für das Rechnen mit angenäherten Ziffern mache man sich also klar, daß der Fehler
für eine Zahl die bis auf n Stellen nach dem Komma gegeben ist, durch 5 · 10−(n+1)
bestimmt ist. So steht also 1,2347 für die Zahl 1, 2347 ± 0, 00005. Gelegentlich ist
diese Art der Fehlerdarstellung zu grob und man schreibt x ± ∆, wenn ∆ der Fehler
ist. Dies gilt insbesondere für Meßergebnisse.
Wir haben oben schon erwähnt, daß sich Fehler von angenäherten Zahlen in Rechnungen fortpflanzen. Ohne hier näher auf die Begründung (Mittelwertsatz der Differentialrechnung §4.5) einzugehen, sei angemerkt, daß für eine abgeleitete Größe
f (x1 , . . . , xn ), die von den Größen x1 , . . . , xn abhängt, der Fehler ∆f ungefähr durch
∂f ∂f ∆1 + . . . + ∆f = ∂xn ∆n
∂x1 gegeben ist. Dabei ist ∆1 der Fehler von x1 , ∆2 der Fehler von x2 , . . . , usw.
sind partielle Ableitungen, die in Abschnitt 4.6 eingeführt werden.
∂f
,...
∂x1
Beispiel: Ein zylindrisches Gefäß hat eine Höhe h = 20cm und einen Durchmesser
2
von d = 15cm. Dann gilt für das Volumen V = h·π·( d2 )2 = 20·π· 154 cm3 = 3534, 4cm3 .
Ist der Fehler bei der Längenmessung jeweils 0, 5mm = 0, 05cm, so ergibt dies einen
Fehler ∆ für V von
2
π
225
d
+ h · · d · ∆d = 0, 05 · π
+ 150 cm3 = 32, 39767cm3
∆ = (∆h) · π ·
2
2
4
Der genaue Wert des Fehlers ist übrigens 32,39777 cm3 .
Aufgabe 1.1 Der Nachteil des Dualsystems besteht darin, daß die Zahldarstellungen meist zu lang werden. Begründen Sie unter Verwendung von 210 = 1024 ≈ 103 ,
daß Dualdarstellungen im Schnitt 3,3 mal so lang sind wie Dezimaldarstellungen.
Aufgabe 1.2 Der genetische Code beschreibt alles durch A, C, G, T. Es gibt 20
Aminosäuren. Wie viele “Buchstaben” benötigt man also, um die einzelnen Aminosäuren zu beschreiben? Was müßte man sonst noch genetisch codieren? Denken
Sie dabei an unsere Sprache. Warum ist Redundanz so wichtig?
1.5
Dimensionen
In naturwissenschaftlichen Experimenten mißt man nicht nur Zahlenwerte, sondern
Größen wie Längen, Zeiten, Kräfte, Massen, Volumina oder Mengen bestimmter
Stoffe. Diese Größen nennt man Dimensionen. An physikalischen Dimensionen hat
man dabei etwa
Dimension
Symbol
Einheit
Länge
L
m
Meter
Masse
M
kg
Kilogramm
Zeit
T
sec
Sekunde
Temperatur
θ
Grad = ◦
Grad Celsius/Kelvin
Stromstärke
I
1A
Ampere
14
Die reellen Zahlen
Dann erhält man die abgeleiteten Dimensionen
Fläche
Volumen
Dichte
Geschwindigkeit
Beschleunigung
Kraft
Energie
Leistung
L2
L3
M L−3
LT −1
LT −2
M LT −2
M L2 T −2
M L2 T −3
m2
m3
kg/m3
m/sec
m/sec2
1kgm/sec2 = N
kgm2 /sec2 = 1J
kgm2 /sec3 = 1W
Daneben hat man in der Biologie noch Dimensionen wie
chem. Verbindung X
Gattung Y
[X]
[Y ]
Mol
Anzahl, sonst frei wählen.
Entscheidend bei der Verwendung von Dimensionen ist, daß Gleichungen, in denen
Dimensionen auftreten, immer dimensionshomogen sind. In Gleichungen müssen also
beide Seiten immer die gleiche Dimension haben. Etwas allgemeiner gilt:
1. Man kann nur Größen der gleichen Dimension addieren oder subtrahieren – im Volksmund sagt man etwa 5 Äpfel und 3 Birnen sind nicht vergleichbar. Beispiel: Am 17.3. wurden am Rubbenbruchsee 21 Buch-, 32 Grünund 5 Bergfinken beobachtet. Insgesamt 58 Finkenvögel - beachte den Dimensionswechsel beim Addieren.
2. Man kann Größen verschiedener Dimension multiplizieren bzw. dividieren. Dabei ist die Dimension des Produktes (Quotienten) gleich dem
Produkt (Quotienten) der Dimensionen.
(a) 4m · 5m = 20m2 (Fläche)
(b) Kraft = Masse · Beschleunigung
[Kraf t] = M · L · T −2
(c) kin. Energie = 12 mv 2 = E
[E] = M · L2 T −2
Wir haben dabei die Dimension von X mit [X] bezeichnet.
3. In Funktionen f , die nicht von der Form f (x) = axb , b ∈ Z sind, treten nur
dimensionslose Größen auf.
Das Gesetz des radioaktiven Zerfalls ist beispielsweise y(t) = y(0)e− ln 2·(t/T ) . Dabei
ist y(t) die Stoffmenge zur Zeit t und T die Halbwertzeit.
Die systematische Verwendung dieser und ähnlicher Regeln wird in der Physik unter
der Bezeichnung Dimensionsanalyse betrieben. Hier ist besonders der Buckinghamsche Π-Satz wichtig, der gezielt solche Dimensionsbeziehungen ausnutzt (Isaacson, Dimensional Methods in Physics and Engineering; E. Arnold Vlg) (von Bedeutung ist die Dimensionsanalyse allerdings primär in der Physik). Später werden wir
einige Anwendungen davon betrachten.
Um Größen zu messen, braucht man Vergleichsgrößen oder Größeneinheiten. Die
Einheiten sind in ihrer absoluten Größe frei wählbar, und ihre Wahl erfolgt nach
1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen
15
praktischen Gesichtspunkten. Machen Sie sich dies an der Wahl von Längen, Maßen
und Zeiteinheiten klar.
Die Größeneinheiten sind natürlich mit den Dimensionen verknüpft, denn die Dimension der entsprechenden Einheit ist fest vorgegeben. Soweit es physikalische Größen
betrifft, hat man sich auf feste Einheiten der Grunddimensionen geeinigt. (s.o.). Diese sind das Meter für die Länge, das Kilogramm für die Masse und die Sekunde für
die Zeit. In der angelsächsischen Literatur werden auch andere Einheiten verwandt.
In der Biologie verwendet man gelegentlich auch die Kalorie, cal, als Energieeinheit.
Dabei entspricht
1cal = 4, 184J.
Die oben gewählten Einheiten entsprechen dem internationalen Standard. Andere
Einheiten sind auch möglich und werden auch angewandt, z. B. in den angelsächsischen Ländern. Der Übergang zu anderen Einheiten erfordert immer eine Umrechnung mit geeigneten Faktoren. Vergißt man diese, gibt es Probleme. Als Beispiel mag
hier das Scheitern des Mars-Orbiters dienen, der wegen der fehlenden Umrechnung
von Zoll in Meter scheiterte.
Zusammenfassung: Meßergebnisse sind mit Fehlern behaftet. Sie werden
daher durch angenäherte Zahlen beschrieben. Besser ist es, den Fehler
explizit darzustellen. Meßergebnisse haben Dimensionen: Dies muß durch
die explizite Darstellung der Einheiten deutlich gemacht werden.
Beim Rechnen mit angenäherten Zahlen ist auf die Fehlerfortpflanzung
zu achten.
1.6
Das Rechnen mit reellen Zahlen
Wir haben in 1.3
l
X
ai = ak + ak+1 + . . . + al .
i=k
definiert. Hierbei ist i der Summationsindex, und k bzw. l gibt seine untere bzw.
l
P
obere Grenze an. Das Zeichen
(Ausdruck)i bedeutet also: summiere über alle
i=k
Ausdrücke im Summenzeichen, angefangen bei i = k, und höre auf, wenn i = l ist.
Hier sind noch einige Beispiele für diese Schreibweise:
1. 17 + 18 + 19 + . . . + 1025 =
1025
P
i
i=17
2. 9 + 16 + 25 + 36 + . . . + 625 =
25
P
i=3
3.
1
2
+ 31 + 14 + . . . +
1
1001
=
1001
P
i=2
1
i
i2
16
Die reellen Zahlen
4.
5.
3
4
+ 54 + 56 + 76 + . . . +
n
P
(cai + dbi ) = c
n
P
i=k
ai =
n−k
P
=
ai + d
i=1
i=1
6.
n
P
99
100
99
P
i=3
n
P
i
i+1
bi
i=1
aj+k
j=0
Für den Summationsindex kann man statt i auch andere Bezeichnungen wählen.
Somit gilt also
n
n
X
X
ai =
aj = a1 + a2 + . . . + an
i=1
j=1
und für 9 + 16 + . . . + 625 kann man auch
9 + 16 + . . . + 625 =
25
X
j=3
24
X
j =
(k + 1)2 schreiben.
2
k=2
a+0 = a
a + (−a) = 0
−(−a) = a a ∈ R.
Aufgabe 1.3 Bestimme
n
P
i=1
i = 1 + 2 + · · · + n und
Aufgabe 1.4 Bestimme explizit
P10
i=6
n
P
i.
i=k
i2 .
Multiplikation
Wie wir gesehen haben, gilt für die Multiplikation reeller Zahlen ebenfalls ein Assoziativgesetz und ein Kommutativgesetz
a · (b · c) = (a · b) · c a, b, c ∈ R
a·b = b·a
Allgemeiner bedeutet dies:
In Produkten kommt es nicht auf die Klammerung und Reihenfolge der
Faktoren an.
Es gilt also z.B.
(a1 · a2 ) · ((a3 · a4 ) · a5 ) = ((((a1 · a2 ) · a3 ) · a4 ) · a5 )
und
a3 · a4 · a2 · a5 · a1 = a1 · a2 · a3 · a4 · a5 .
1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen
17
Für die Multiplikation gelten darüber hinaus
a·1 = a
a · a1 = 1 a ∈ R, a 6= 0
1
= a
1
a
und
(a/b)
a d
= · .
(c/d)
b c
Für die Multiplikation spielt daher die Eins dieselbe Rolle wie die Null für die Addition.
Die Verbindung von Addition und Multiplikation ergibt sich aus dem Gesetz über
das Auflösen von Klammern, dem
Distributivgesetz: a · (b + c) = a · b + a · c
a, b, c ∈ R.
Allgemeiner führt es auf
k
X
i=1
ai
!
l
X
j=1
bj
!
=
k X
l
X
ai b j .
i=1 j=1
Man sieht also, daß die Summenzeichen, wie übrigens auch der Bruchstrich, die
Bedeutung einer Klammer haben.
Das Distributivgesetz hat auch a · 0 = 0 zur Konsequenz. Dies wiederum bedeutet,
daß man nie durch 0 dividieren darf.
Es gilt nämlich a · 0 = a · (0 + 0) = a · 0 + a · 0 oder a · 0 = 0.
Aufgabe 1.5 Multipliziere aus und fasse zusammen
1. (a + b + n)2 − a2 − 2an
2. (15a + 12b)(13a − 10b) − 195a2 − 10b2
3. (6x + 3)3 − 18x2 − 27.
Aufgabe 1.6 Mache die Bruchterme gleichnamig und fasse zusammen
1.
4x−1
x2 −25
2.
x2 +1
x3 −1
+
+
10
x−5
+
2
x+5
x
x2 −1
Aufgabe 1.7 Dividiere die Bruchterme und kürze
1.
2.
4
a2
:
8
b
27a2
9b3
:
6a
3b2
.
18
Die reellen Zahlen
Aufgabe 1.8 In einem Quiz wurde kürzlich nach 30 : ( 21 ) gefragt.
Potenzen: Genauso wie man für a
{z. . . + a} = n · a schreibt und so das multi|+a+
n−mal
plizieren begründet, führt man die Bezeichnungsweise
n
a
| · a ·{z. . . · a} = a
(gesprochen a hoch n)
n−mal
ein und nennt an die n-te Potenz von a.
Für natürliche Zahlen n, m gilt dann
(an )(am ) = an+m
(an )m = an·m
(a · b)n = an bn .
Aufgabe 1.9 Zeige (a · b · c)n = an · bn · cn .
Aufgabe 1.10 Wann und für welche a, b, n gilt an + bn = (a + b)n .
Aufgabe 1.11 Zeige ( ab )n =
an
.
bn
Aufgabe 1.12 Berechne 125 : 0.001.
Um diese Regeln geeignet zu verallgemeinern, definiert man noch für a 6= 0
a0 = 1
1
a−n = n
a
und erhält dann für n, m ∈ Z, a, b 6= 0.
an · am = an+m , (an )m = an·m
(a · b)n = an bn .
(1.3)
Mit Hilfe der Potenzen lassen sich Zahlen im Zehnersystem besonders einfach ausdrücken. Beispielsweise ist 75384 = 7 · 104 + 5 · 103 + 3 · 102 + 8 · 101 + 4 · 100 , und
allgemeiner kann jedes n ∈ N in der Form
n=
k
X
ai 10i
ai = 0, 1, . . . , 9
i=0
geschrieben werden. Wählt man statt 10 eine andere Basis, z.B. 2, so gilt
n=
n
X
bi 2i
bi = 0, 1
i=0
z.B. 7 hat im Dualsystem die Darstellung
111 = 1 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20
39 hat im Dualsystem die Darstellung
100111 = 1 · 25 + 0 · 24 + 0 · 23 + 1 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20
1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen
19
Für eine beliebige positive reelle Zahl x gilt die Darstellung:
x =
k
P
ai 10i +
∞
P
bj 10−j
ai , bj = 0, 1, . . . 9
j=1
i=0
= ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . .
Wir werden uns später noch überlegen, was diese unendliche Summe eigentlich bedeutet. Versuchen Sie sich aber jetzt schon einmal klar zu machen, daß
1 = 0, 9999 . . . oder 0, 123123 . . . =
123
999
Wurzeln und gebrochene Potenzen
Es sei a > 0 und n ∈ N. Dann existiert genau eine Zahl b > 0 mit
bn = a.
Beispiel 1.4
a = 1, 7
a = 0, 0027
n=4
n=6
Für diese Zahl b schreibt man
1
b = an =
b = 1, 141858
b = 0, 373159
√
n
a
1
und sagt auch, b sei die n-te Wurzel aus a. Hat man so a n definiert, so definiert
man
1 m
m
n
a = an
m, n ∈ N
und
1
m .
an
Damit hat man also ar für r ∈ Q bestimmt. Es gelten die Rechenregeln
m
a− n =
ar · as = ar+s
(ar )s = ars
(a · b)r = ar · br a, b > 0, r, s ∈ Q
(1.4)
(1.5)
Bei diesen Definitionen muß man sich auf positive Zahlen a einschränken, weil sonst
ein Unsinn wie
2
1
1
(−1) = (−1) 2 = ((−1)2 ) 2 = 1 2 = 1
dabei herauskäme. Taschenrechner werden bei beliebigen Exponenten bei negativen
Zahlen daher immer mit einer Fehlermeldung reagieren.
√
Die Existenz genau einer n-ten Wurzel n a aus a zeigt man übrigens mit der Intervallschachtelungsmethode. Dabei setzt man al = größter Dezimalbruch mit l-Stellen
nach dem Komma mit anl ≤ a. Entsprechend ist dann bl = al + 10−l .
Beispiel 1.5 Man muß nun noch die Kürzungsregel
(a1/m·n )m = a1/n
zeigen.
20
Die reellen Zahlen
Aufgabe 1.13 Beweise die Kürzungsregel mit Hilfe der Eindeutigkeit.
Dann kommt man mit der Definition
am/n = (a1/n )m
sofort auf die Potenzgesetze
(ar )(as ) = ar+s , (ar )s = ar·s
für r, s ∈ Q und a > 0.
√
Beispiel 1.6 3 17 = 2.57128159
2.53
= 15.625
3
2.57
= 16.97459
3
2.571 = 16.9944
1.63
= 17, 576
3
2.58
= 17, 1735
3
2.572 = 17, 0143
Aufgabe 1.14 Berechne bis auf 3(4,5) Stellen nach dem Komma
√
17,
√
3
5 und
√
π.
Aufgabe 1.15 1962 wurde in Indien ein Heuschreckenschwarm beobachtet, der sich
über 1400 Quadratkilometer erstreckte und bis in 1500 m Höhe reichte. Wenn pro
Kubikmeter etwa 0,1 Heuschrecken sind, wie groß ist der Schwarm etwa insgesamt?
Aufgabe 1.16 Berechne
k+l
X
i=k
i und
k+l
X
i=k
Aufgabe 1.17 Leiten Sie eine Formel für
ai für a 6= 1
n
P
iai her.
i=1
Aufgabe 1.18 Welche der folgenden Summen sind gleich:
10
P
i=1
2),
10
P
l(l + 1)?
i(i + 1),
9
P
(j + 1)(j +
j=0
l=0
Aufgabe 1.19 Bestimme für die nachfolgenden Zahlen die Darstellung im Zweier1
1
system i) 136 ii) 85 iii)
iv)
v) π bis auf 8 Stellen.
4
3
Aufgabe 1.20 Eine Bakterienkolonie von 7500 Bakterien nimmt pro Stunde um
2% zu. Wie groß ist sie nach 1(2) Tagen?
2
4
und . Warum sind beide
Aufgabe 1.21 Berechne die Dezimalentwicklung von
17
7
Entwicklungen periodisch? Warum ist die Periodenlänge im ersten Fall ≤ 16 und im
zweiten Fall ≤ 6.
1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen
21
Aufgabe 1.22 Subtrahiert man von einer beliebigen natürlichen Zahl n die Quersumme, so ist die Zahl durch 9 teilbar. Beispiel: 35783 − (3 + 5 + 7 + 8 + 3) = 9 · 3973.
In der Wissenschaft spielen die Zehnerpotenzen eine besondere Rolle. Es ist also erforderlich, damit gekonnt umzugehen. Die folgenden Aufgaben sollen dies mit
einüben. Dies ist schon deswegen erforderlich, weil die biologische Skala einen enormen Wertebereich umfaßt, der sich von Viren (≈ 10−7 m) über Bakterien (≈ 10−6 m),
rote Blutkörperchen (≈ 10−5 m) bis zum Großsäuger (≈ 10m) erstreckt. Die folgenden physikalischen Konstanten spielen dabei häufig eine Rolle:
Avogadrosche Zahl N
Volumen von 1 mol unter
Standardbedingungen
Masse eines Moleküls
vom Molekulargew. M
Wellenlänge des roten (ultrav.) Lichtes
Bohr Radius
Protonen (Neutronen)masse
Lichtgeschwindigkeit
Erdradius
Durchmesser einer tierischen Zelle
= 6, 02217 · 1023 /mol
= 2, 24136 · · · 10−2 m3
= M · 1, 661 · 10−27 kg
= 6, 5 − 7, 5 · 10−7 m (1, 8 − 4, 0 · 10−7 m)
5, 29 · 10−11 m
1,6726 (1.6750) ·10−27 kg
c = 299.792.458m/sec.
R = 6366km
10 − 30µm
Beispiel 1.7 Rote Blutkörperchen sind 1-2 Mikrometer dicke leicht eingedellte Scheiben vom Durchmesser 7-8 Mikrometer. Ein Mann (eine Frau) hat davon etwa 5, 4·106
(5 · 106 ) pro Kubikmillimeter. Jedes Erythrozyt enthält etwa 265 · 106 HämoglobinMoleküle. Unter der Annahme, daß ein Erwachsener etwa 5-6 l Blut hat, wollen wir
einmal die Oberfläche der Erythrozyten berechnen und mit der Körperoberfläche
vergleichen. Dazu nehmen wir an, ein rotes Blutkörperchen habe die Form einer
Dose von dem Durchmesser d = 7, 5 · 10−6 m und der Dicke a = 1, 5 · 10−6 m. Die
Oberfläche O eines Blutkörperchens ist dann
2
d
O = 2 · Grundfläche + 1 · Seitenfläche = 2 ·
π + π a d = 123, 7 · 10−12 m2 .
2
Die Anzahl N der Erythrozyten ist
N = Blutvolumen in mm3 · Anzahl/mm3 = 5, 5 · 106 · 5, 4 · 106 = 29, 7 · 1012 .
Die Gesamtoberfläche aller Erythrozyten ist damit 3673, 89m3 . In welchem Verhältnis steht dies zu der Oberfläche eines Mannes von 70 kg Gewicht? Warum ist es
wichtig, daß die Gesamtoberfläche so groß ist?
Beispiel 1.8 In der Homöopathie arbeitet man mit extremen Verdünnungen der Ursubstanz. Diese wird schrittweise in einem bestimmten Verhältnis (D=1:10, C=1:100)
in einem indifferenten Trägerstoff wie etwa Alkohol oder Milchzucker verdünnt. D3
bedeutet, daß dieser Vorgang (Dynamisation) 3mal wiederholt wird. Hohe Verdünnungen wie D30 sind durchaus möglich. Berechnen wir einmal die Anzahl der Moleküle der Ursubstanz, die wir in einem D22-Präparat erhalten, wenn wir von 1 mol
22
Die reellen Zahlen
Substanz ausgehen. Anfangs liegen also 6·1023 Moleküle vor, und jeder Verdünnungsschritt bedeutet einen Faktor von 10−1 . Insgesamt erhält man 6 · 1023 · 10−22 = 60
Moleküle der Ursubstanz. Verdünnungen jenseits von D25 enthalten also nur noch
selten irgendein Molekül der Ursubstanz.
Aufgabe 1.23 Ein Virus wiegt 1, 75 · 10−14 g. Welche Ausdehnung (Durchmesser)
hat dieses Virus, wenn wir von einer Kugelgestalt ausgehen?
Aufgabe 1.24 29 % der Erdoberfläche ist festes Land. Wiederum die Hälfte davon
ist kultivierbar. Wie viele Menschen können auf der Erde leben, wenn jeder etwa 1
ha kultivierbares Land benötigt?
Aufgabe 1.25 Wir nehmen an, die Erde bestehe nur aus Quarz (SiO2 , Dichte:
2, 65g/cm3 ). Wie viele Silizium-Atome enthält dann die Erde ungefähr?
Aufgabe 1.26 Welche Länge ergibt sich, wenn man alle roten Blutkörperchen eines
Mannes (vgl. Beispiel 1.7) aufeinanderstapelt?
Aufgabe 1.27 Mit welcher Geschwindigkeit bewegt sich die Erde um die Sonne,
wenn der mittlere Abstand zur Sonne 1AE = 149, 6 · 106 km beträgt?
Aufgabe 1.28 Die Ozeane bedecken etwa eine Fläche von 363, 5 · 106 km2 und sind
im Mittel 4,5 km tief. Sie verteilen 1 l Wasser gleichmäßig über alle Ozeane und
entnehmen dann eine 1l-Probe. Wie viele Moleküle Ihrer ursprünglichen Flüssigkeit
haben Sie dann in Ihrer Probe?
Aufgabe 1.29 Der Salzgehalt s des Mittelmeeres ist deutlich höher als der des
Atlantik s0 . Bestimme eine Beziehung zwischen s, s0 sowie der Verdunstungsrate q0 ,
der Zuflußrate q1 aus dem Atlantik und der Abflußrate q2 in den Atlantik.
Aufgabe 1.30 Bestimmen Sie die Dimension der folgenden Größen: Leistung, Druck,
Frequenz.
Aufgabe 1.31 Die Fließrate (l/sec) von Blut durch eine Arterie vom Radius r ist
4
durch V = 18 π PηLr gegeben. Dabei ist P der Druckabfall und L die Länge. Bestimmen
Sie die Dimension der Viskosität η.
Aufgabe 1.32 Die Abmessungen eines Aquariums seien
a = 0, 605, b = 0, 481, c = 0, 302
mit jeweils 3 signifikanten Stellen.
Wie viele signifikante Stellen hat V = a b c?
(Hinweis: Man kann bei a, b und c von einem Fehler von 0,0005 ausgehen.)
P
Aufgabe 1.33 Zeigen Sie für x = n1 ni=1 xi die folgende Beziehung für die Varianz:
n
n
1X 2
1X
(xi − x)2 =
xi − x2 .
σ =
n i=1
n i=1
2
1.6 Das Rechnen mit reellen Zahlen
23
Aufgabe 1.34 Bei einer Pflanze wurden die folgenden Werte für die Anzahl der
Samenkörner gemessen
15, 17, 11, 13, 10, 12, 19, 16, 14, 10, 20, 12, 15, 17.
Bestimmen Sie x und σ.
Aufgabe 1.35 Bei einer Population von 50 Kleinsäugern werden Gewichte zwischen
25 g und 40 g gewogen, und zwar
Gewicht 25
Anzahl
1
26
2
27
2
28
3
29
5
30
4
31
6
32
6
33
5
34
3
35
4
36
3
37
2
38
2
39
1
40
1
Dabei bezeichnet x die Gewichtsklasse von x bis x + 1.
Berechne Mittelwert und Varianz.
Aufgabe 1.36 Eine Bakterienkolonie verdoppelt sich alle 24 Stunden.
Um wieviel ist sie nach 2 Stunden gewachsen?
1
Aufgabe 1.37 Es ist 2 2 = 1, 4142 und 21,4 = 2, 6390158 und 21,42 = 2, 675855.
Welchen Wert würden Sie für 2
√
2
unter diesen Umständen ansetzen?
Aufgabe 1.38 Bauer Frühauf hat eine neue Weizensorte ausgebracht, die 15 %
mehr Ertrag bringt. Durch den verregneten Sommer fällt die Ernte in diesem Jahr
um 25 % niedriger aus. Wenn er sonst 250 Dzt geerntet hat, kann er nun mit wieviel
Dzt rechnen?
Aufgabe 1.39 Das Statistische Bundesamt bestimmt die Inflationsrate über einen
sog. Warenkorb. Betrachten wir einen vereinfachten Warenkorb aus Wohnung, Nahrung und Freizeit mit den Anteilen 28 %, 37 % und 35 %. Wegen der Ökosteuer
sind die Teuerungsraten in diesen Bereichen 1,7 %, 1 % und 1,3 %. Wie hoch ist die
Inflationsrate?
Aufgabe 1.40 Die Anteile der 60- (70-, 80-, 90-) jährigen an der Bevölkerung sind
14 (12, 5, 3) Prozent. Von diesen haben 2,4 (3,7; 7,8; 11,2) Prozent die AZ-Krankheit.
Wie hoch ist der Anteil der AZ-Kranken an der Bevölkerung bzw. unter den Senioren,
wenn die Krankheit erst ab dem 60. Lebensjahr auftritt?
Aufgabe 1.41 Ein erwachsenes Kabeljauweibchen legt etwa 5 Mio. Eier. Diese haben einen Durchmesser von etwa 1.5 mm. Wieviel wiegen diese Eier etwa? Nach
einem Jahr überleben davon etwa 2–3. Was ist die entsprechende Sterberate pro
Tag?
Aufgabe 1.42 Ein LKW fährt die ersten 10 km mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h. Die nächsten 100 mit 80 km/h und dann wieder 12 km mit 40
km/h. Was ist die Durchschnittsgeschwindigkeit?
Aufgabe 1.43 Der Hersteller möchte 10% der Produktionskosten eines Gerätes als
Gewinn. Der Händler schlägt noch einmal 30% auf den Einkaufspreis. Wie hoch ist
der Endpreis?
24
Die reellen Zahlen
Aufgabe 1.44 Ein Händler schlägt 30% (35%) auf den Einkaufspreis. Wieviel Prozent des Endpreises ist der Einkaufspreis?
1.7
∗ Ungleichungen
(AI Abschnitt 5, Breidenbach Mathematik, 8.,
9. Schuljahr)
Neben der Addition und Multiplikation haben die reellen Zahlen noch eine weitere
Struktur, sie sind geordnet
Negative Zahlen
|
Positive Zahlen
←−
0
−→
kleiner
größer
Wir kennen diese Ordnung von der Darstellung der reellen Zahlen durch den Zahlenstrahl. Durch die Ordnung wird nämlich die Menge der reellen Zahlen zerlegt in
R+ , die positiven Zahlen, die Null und die negativen Zahlen, −R+ . Dabei heißt eine
reelle Zahl positiv, wenn sie strikt rechts von der 0 liegt.
Wir sagen dann “x ist strikt größer als y” bzw. “y ist strikt kleiner als x”,
Schreibweise x > y bzw. y < x, wenn x − y ∈ R+ .
x > y ⇐⇒ x − y ∈ R+ .
(1.6)
In diesem Fall liegt x auf der Zahlengeraden also strikt rechts von y.
Entsprechend definieren wir: x ist größer oder gleich y, x ≥ y bzw. y ≤ x, wenn
x > y oder x = y. Den Ausdruck y ≤ x liest man auch als: y ist kleiner oder gleich
x.
Ungleichungen spielen in der Biologie keine zentrale Rolle. Meist benutzt man sie
nur zum Eingrenzen von Ergebnissen. Wir werden diesen Abschnitt daher nur überfliegen.
Das Entscheidende an diesen Ungleichungen ist nun:
Man kann Ungleichungen addieren.
Es gilt nämlich:
x ≤ y ⇐⇒ x + z ≤ y + z, z ∈ R
(1.7)
x < y ⇐⇒ x + z < y + z, z ∈ R.
(1.8)
oder
Mit Hilfe von (1.7) und (1.8) zeigt man nun
x ≤ y, u ≤ v ⇒ x + u ≤ y + v.
(1.9)
Dabei gilt rechts “<” genau dann, wenn in einer der beiden Ungleichungen links
“<” steht.
1.7 Ungleichungen
25
Beweis: Es ist x + u ≤ y + u ≤ y + v.
Der Rest zeigt man durch eine Fallunterscheidung.
Man kann Ungleichungen multiplizieren.
Es gilt nämlich:
x ≤ y, a > 0 ⇐⇒ a · x ≤ a · y
a>0
(1.10)
x < y, a > 0 ⇐⇒ a · x < a · y
a > 0.
(1.11)
oder
Hieraus folgt wie oben
0 ≤ x ≤ y, 0 < a ≤ b ⇒ 0 ≤ a · x ≤ b · y.
(1.12)
Durch Fallunterscheidung zeigt man schließlich auch noch
x2 ≥ 0 für alle x ∈ R,
(1.13)
(1.13) ist die Basis für viele Ungleichungen. Z.B. folgt aus (x − y)2 ≥ 0
x·y ≤
1 2
x + y2 .
2
(1.14)
Einer der wichtigen Begriffe im Zusammenhang mit der Ordnung von R ist der
Absolutbetrag einer Zahl x, Schreibweise |x|. Dabei ist |x| durch
x x≥0
|x| =
(1.15)
−x x ≤ 0
definiert. Durch Fallunterscheidungen zeigt man dann
| − x| = |x|
|x · y| = |x| · |y| x, y ∈ R
|x + y| ≤ |x| + |y|
(1.16)
Für den späteren Gebrauch wollen wir nun noch einige Ungleichungen ohne Beweis
notieren:
n
n
X X
|xi |.
(1.17)
xi ≤
i=1
n
n
X
X
|xi ||yi | ≤
xi yi ≤
i=1
i=1
i=1
n
X
i=1
x2i
! 12
n
X
i=1
yi2
! 12
.
(1.18)
1
Dabei sind xi , yi i = 1, . . . , n beliebige reelle Zahlen; ( ) 2 ist im vergangenen Abschnitt erklärt. (1.17) ist die Verallgemeinerung von (1.16). (1.18) wird CauchySchwarz-Ungleichung genannt. Sie bedeutet, daß das Skalarprodukt von zwei Vektoren durch das Produkt ihrer Längen abgeschätzt werden kann. Ein Vektor ist dabei
eine solche Liste (x1 , . . . , xn ) von Zahlen.
Die nachfolgenden Überlegungen können beim ersten Lesen weggelassen werden.
26
Die reellen Zahlen
Die bisherigen Eigenschaften der reellen Zahlen wie Addition, Multiplikation und
Ordnung mit den dazu gehörigen Regeln gelten auch für andere Zahlensysteme, wie
z.B. die rationalen Zahlen. Die Eigenschaft, SUP, die wir uns nun ansehen wollen, gilt
aber nur für die reellen Zahlen. Tatsächlich ist sie die Basis der gesamten Analysis;
Differential- und Integralrechnung.
Definition: Eine Menge M ⊂ R heißt nach oben (unten) beschränkt, wenn es
ein K ∈ R gibt mit m ≤ K (K ≤ m) für alle m ∈ M .
In diesem Fall nennt man K eine obere (untere) Schranke. Eine Menge, die
sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist, heißt beschränkt.
Beispiel 1.9 Die Menge aller reellen Zahlen x deren Dezimalentwicklung die
Form 3, a1 a2 a3 . . . hat, ist durch 5 oder 7 nach oben beschränkt. 1 oder 3 ist eine untere Schranke.
Beispiel 1.10 N ⊂ R ist nach unten beschränkt.
Beispiel 1.11 Z bzw. Q sind weder nach oben noch nach unten beschränkt.
Für die reellen Zahlen gilt die Eigenschaft:
SUP:
Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge M von R hat eine kleinste obere Schranke, die mit sup M bezeichnet wird. sup M wird das Supremum von M genannt.
Beispiel 1.12 Die Menge aus Beispiel 1.5 hat 4 als Supremum.
√
Beispiel 1.13 M = {x ∈ Q | x2 ≤ 2} erfüllt 2 = sup M
Beispiel 1.14 Ist aK aK−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . . = x die Dezimaldarstellung einer reellen
Zahl x, so sei xn = aK . . . a0 , b1 b2 , . . . , bn die Entwicklung von x bis zur n-ten Stelle.
Dann gilt xn ≤ xn+1 für n = 1, 2, . . . und sup{x1 , x2 , x3 , . . .} = x.
Analog zur SUP-Eigenschaft und damit äquivalent ist
INF:
Jede nichtleere nach unten beschränkte Teilmenge M ⊂ R hat eine größte
untere Schranke, inf M , genannt das Infimum von M .
Die Intervallschachtelungseigenschaft, die Sup-Eigenschaft und die Inf-Eigenschaft
sind für die reellen Zahlen äquivalent. Dies bedeutet, daß man zu jedem Supremum
einer beschränkten Menge eine entsprechende Intervallfolge definieren kann, während
die Intervallfolge {(an , bn )} gerade sup an = inf bn definiert.
Mit Hilfe des Infimums und des Supremums läßt sich nun zeigen, daß jede positive
reelle Zahl x eine Dezimaldarstellung
x = xe xe−1 . . . x0 , x1 x2 x3 . . . = xe · 10e + xe−1 10e−1 + . . . + x0 + x1 · 10−1 + x2 · 10−2 + . . .
hat; diese Darstellung ist sogar eindeutig, wenn man nur Darstellungen betrachtet,
in denen schließlich nicht nur die Ziffer 9 vorkommt, denn es gilt z. B.
0, 999 . . . = 1, 00 . . .
1.7 Ungleichungen
27
In der Biologie spielen bei dieser Darstellung aber meist nur 3 oder 4 signifikante
Stellen eine Rolle.
Für spätere Anwendungen benötigen wir noch den Begriff des Intervalls. Intervalle
sind spezielle Teilmengen von R, die allgemein für a < b durch
(a, b)
(a, b]
[a, b)
[a, b]
[a, ∞)
(a, ∞)
=
=
=
=
=
=
{x | a < x < b}
{x | a < x ≤ b}
{x | a ≤ x < b}
{x | a ≤ x ≤ b}
{x | a ≤ x}
{x | a < x}.
das offene Intervall von a bis b
das halboffene Intervall
das halboffene Intervall
das abgeschlossene Intervall
ein uneigentliches Intervall
definiert sind.
Aufgabe 1.45 Welche Menge wird durch die Ungleichung
2
1
|x − 1| − < 1
4 8
festgelegt?
Aufgabe 1.46 Ist ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 . . . die Dezimalentwicklung einer reellen Zahl
und ist xn = ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 . . . bn die Entwicklung bis zur n-ten Stelle, so gilt
x − xn ≤ 10−n .
Aufgabe 1.47
schränkt?
i)
ii)
iii)
iv)
a) Welche der folgenden Mengen ist nach oben bzw. unten be-
R+
{2n | n ∈ Z}
{x3 | x ∈ R}
{x4 | x ∈ R}
v)
vi)
vii)
viii)
{an | n ∈ Z, a > 0}
a
{ 1+n
2 | n ∈ N}
{x | x2 < 3}
{5, 6}
b) Soweit möglich, gib obere bzw. untere Schranken und Infima bzw. Suprema
an.
Man kann noch zeigen, daß für a > 1 und r, s ∈ Q mit r > s gilt
ar > as .
Dies kann man verwenden, um as für s ∈ R zu erklären.
Potenzen:
Als nächstes wollen wir ax für x ∈ R definieren. Als Beispiel versuchen wir 2π zu
berechnen. Ausgangspunkt ist dabei die Dezimalentwicklung von π
π = 3, 141592654 . . .
28
Die reellen Zahlen
sowie die Tatsache, daß wir Potenzen mit rationalen Exponenten bereits bestimmen
können. Wir haben dann
23,1
23,14
23,141
23,1415
=
=
=
=
..
.
23,2
23,15
23,142
23,1416
8, 5741877 . . .
8, 815240927
8, 821353304
8, 824411082
23,14159265 = 8, 824977805 . . .
=
=
=
=
..
.
9, 18958684 . . .
8, 876555776
8, 82746992
8, 825022765
23,14159266 = 8, 824977866.
Aus diesen Daten wird klar, daß 2π zwischen den beiden zuletzt genannten Zahlen
liegt. Tatsächlich ist
2π ≈ 8, 82497782 . . .
Nach demselben Verfahren bestimmt man nun ax für x mit der Dezimalentwicklung
x = ak ak−1 . . . a0 , b1 b2 b3 . . .
indem man die Dezimalentwicklung von x
x n = ak . . . a0 , b 1 . . . b n
bis zur n-Stelle hinter dem Komma verwendet. Wir haben dann nämlich
xn ≤ x ≤ xn + 10−n
und
−n
axn ≤ ax ≤ axn +10
wenn a > 1.
−n
= axn · a10
Wichtig bei diesem Verfahren ist, daß (1.3) aus 1.5 weiter gilt, d.h., wir haben
weiterhin
ar · as = ar+s , (ar )s = ar·s , a > 0 r, s ∈ R
(1.19)
(a · b)r = ar · br , a, b > 0
Ferner gilt noch ax > bx für a > b > 1 und x > 0.
Aufgabe 1.48 Löse die nachstehenden Ungleichungen
i)
ii)
iii)
1.8
(x+1)
(x+2)
3
≤2
x <x
5
>0
(9x2 −16)
iv)
x4 + 3x2 > 4
v)
vi)
|x − 5| < 10−3
|x3 | < |x|
Kombinatorik
(M 10 §8)
Stellen Sie sich vor, das allwöchentlich Lottoproblem würde dadurch erschwert werden, daß Sie auch noch die Reihenfolge in der die Zahlen fallen, erraten müssen. Wie
viele Möglichkeiten gäbe es dann, “6 aus 49” zu ziehen?
1.8 Kombinatorik
29
Für die erste Kugel gibt es genau 49 Möglichkeiten. Dann bleiben für die 2. Kugel
noch 48 Möglichkeiten. Entsprechend sieht man, daß es dann für die 3.(4., 5. und
6.) noch 47(46,45 bzw. 44) Möglichkeiten gibt. Insgesamt gibt es also
49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44 ≈ 1, 006834742 · 1010
Möglichkeiten. Wenn also jede Woche 10 Millionen Leute spielen, so würde es im
Mittel immer noch über 19 Jahre dauern, bis jemand alles richtig hat.
Dies obige Problem läßt sich wie folgt verallgemeinern:
Auf wie viele Möglichkeiten kann man k verschiedene Elemente aus einer Menge mit
n verschiedenen Elementen auswählen, wenn es auf die Reihenfolge ankommt?
Offensichtlich muß hier k ≤ n sein.
Wie oben sieht man, daß es genau
n · (n − 1)(n − 2) . . . (n − k + 1) = Cn,k
(1.20)
Möglichkeiten gibt.
Ist hierbei k = n, so bedeutet die Auswahl eigentlich eine Anordnung von n verschiedenen Elementen. n verschiedene Elemente kann man auf n(n−1)(n−2) . . . 2·1
verschiedene Möglichkeiten anordnen. Solche Anordnungen nennt man Permutationen.
Weil Ausdrücke der Form n · (n − 1) . . . 2 · 1 in der Kombinatorik häufig verkommen,
hat man in der Mathematik eine Kurzform dafür. Man schreibt
1 · 2 · 3 · . . . n = n!
(1.21)
und nennt n! n-Fakultät.
Man hat dann
0!
1!
2!
3!
4!
=
=
=
=
=
1
1
2
2·3 = 6
6 · 4 = 24
(Vereinbarung)
5!
6!
7!
8!
=
120
=
720
= 5040
= 40320
Man sieht also, daß die Fakultäten sehr schnell auswachsen. Eine recht brauchbare
Näherung für n! gibt die Stirlingsche Formel
n n √
1
1
n! ≈ 2πn
.
(1.22)
1+
+
e
12 288n2
e wird hier später erklärt und ≈ bedeutet ungefähr gleich. Für n = 10(20) erhält
man beispielsweise nach dieser Formel 3628609, 71(2, 43290283 · 1018 ), während die
wirklichen Zahlen 3628800 bzw. 2, 432902008 · 1018 sind.
Mit diesen Ergebnissen können wir nun auch das folgende Problem lösen.
30
Die reellen Zahlen
Auf wie viele Möglichkeiten kann man k verschiedene Elemente aus einer Menge mit
n verschiedenen Elementen auswählen, wenn es auf die Reihenfolge nicht ankommt?
Es gibt genau
n(n − 1) . . . (n − k − 1)
n!
=
Möglichkeiten,
k!
k!(n − k)!
(1.23)
k Elemente aus n Elementen auszuwählen, wenn es auf die Reihenfolge nicht ankommt.
Beweis: Wir haben bereits gesehen, daß man auf n · (n − 1) . . . (n − k + 1) Möglichkeiten k Elementen ziehen kann, wobei es auf die Reihenfolge ankommt. Da man
k Elemente auf k! Arten und Weisen vertauschen kann, geben von den n(n −
1) . . . (n − k + 1) Möglichkeiten jeweils k! die gleichen Elemente. Damit gibt es
n(n − 1) . . . (n − k + 1)/k! Möglichkeiten, um k Elemente zu ziehen.
Wegen der Bedeutung dieses Ausdrucks schreibt man
n(n − 1) . . . (n − k + 1)
n
n!
=
=
k
k!
(n − k)!k!
(1.24)
und bezeichnet ihn mit “n über k”.
Man sollte sich die folgenden Werte merken
1
n
n
n
n
n
n
=
= 1,
=
= n und
=
= n(n − 1)
0
n
1
n−1
2
n−2
2
Beispiel 1.15 Beim Lotto “6 aus 49” gibt es also
49 · 48 · 47 · 46 · 45 · 44
49
= 13.983.816
=
1·2·3·4·5·6
6
Möglichkeiten.
Wir alle kennen die Formel
(a + b)2 = a2 + 2ab + b2
a, b ∈ R.
Manche wissen auch, daß
(a + b)3 = a3 + 3a2 b + 3b2 a + b3
(a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4
und
ist. Um allgemeiner (a + b)n , a, b ∈ R auszurechnen, überlegt man zuerst, daß in
diesem Produkt Terme der Form ak bn−k für k = 0, 1, . . . , n auftreten.
Um einen solchen Term zu erhalten, muß man in dem Produkt
(a + b) · (a + b) · (a + b) . . . (a + b) · (a + b)
in jedem der n Faktoren
a und b auswählen, und zwar hierbei genau k mal die Zahlen
a. Da dies auf nk Arten möglich ist, tritt der Term ak bn−k genau nk mal auf.
1.8 Kombinatorik
31
Wir haben also:
n
(a + b) =
n X
n
k=0
k
ak bn−k
(1.25)
(1.25) wird die Binomische Formel genannt und entsprechend heißen die
Binomialkoeffizienten. Schreiben wir (1.25) einmal aus:
(a + b)n = an + nabn−1 + n(n−1)
a2 bn−2 + n(n−1)(n−2)
a3 bn−3
2
6
an−3 b3 + n(n−1)
an−2 b2 + nan−1 b + bn .
+ . . . + n(n−1)(n−2)
6
2
Wir haben dabei
n
n
=
k
n−k
n
m
(1.26)
(1.27)
benutzt.
Aufgabe 1.49 Zeigen Sie
Pascalsche Dreieck).
n
k
=
n
n−k
und
n
k−1
+
n
k
=
n+1
k
(Formel für das
Aufgabe 1.50 Der Vorstand eines Vereins von 100 Mitgliedern besteht aus dem
1. Vorsitzenden, dem 2. Vorsitzenden, dem Kassenwart und dem Pressewart. Auf wie
viele Möglichkeiten kann man einen Vorstand wählen? (Es kommt auf die Reihenfolge
an.)
Aufgabe 1.51 Wie viele Kartenkombinationen kann ein Spieler beim Skat bekommen? Wie häufig hat er dabei 4 Buben?
Aufgabe 1.52 In einer Population von N (unbekannt) Vögeln, werden M gefangen
und durch Beringen markiert. Nach einiger Zeit werden n Vögel gefangen, und es
stellt sich heraus, daß m davon markiert sind. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit
für dieses Ergebnis? (Hinweis: Berechne die Anzahl der Möglichkeiten um m aus M ,
n − m aus N − M und n aus N zu ziehen).
In der Praxis wird das unbekannte N so geschätzt, daß diese Wahrscheinlichkeit
. Ist das plausibel? Dieses
maximal wird. Man schätzt dann N so, daß Nn = M
m
Verfahren läuft auch unter der Bezeichnung Fang-Wiederfang-Methode.
Aufgabe 1.53 Berechne das konstante Glied in x +
1 12
.
2x
Aufgabe 1.54 Berechne den Koeffizienten des x4 -Terms in (x2 + x2 )8 .
Aufgabe 1.55 Wie viele Möglichkeiten gibt es, die 4 Buben nacheinander aus einem
Skatspiel ohne Zurücklegen zu ziehen?
Aufgabe 1.56 Wie viele Worte der Länge n (n = 10, 15, 20) kann man mit den
Buchstaben A, C, G, T bilden? Wie viele Worte erhält man, wenn nie zwei gleiche
Buchstaben nebeneinander stehen dürfen?
32
Die reellen Zahlen
1.9
Schätzen
Schätzen und Überschlagsrechnungen sind entscheidende Hilfen beim Analysieren
von wissenschaftlichen Problemen. Auf diese Weise gewinnt man ein Gefühl, was
wichtig und bedeutsam an einem Problem ist. Letzteres spielt eine entscheidende
Rolle bei der Analyse biologischer Probleme und Modelle, denn unter den vielen
Einflußfaktoren gilt es die herauszufinden, die wirklich bedeutsam sind. Schätzen
bedeutet also schon immer einen ersten Schritt bei der Analyse eines Problems.
Schätzen muß man lernen. Insbesondere muß man lernen, welche Faktoren relevant
sind und wie man die notwendigen Informationen dazu gewinnt. Hier ein paar Beispiele:
1. Zu Beginn der Ferienzeit kommt es regelmäßig zu Staus. Wieviel Fahrzeuge
stehen auf einer 2-spurigen Autobahn in einem 20 km Stau? Die entscheidende
Größe hier ist offensichtlich der Platz den ein Fahrzeug in einem Stau benötigt.
Hierfür ist wiederum die Fahrzeuggröße entscheidend.
Geht man von einer Durchschnittslänge von 3,8 m (PKW) und 15 m (LKW),
20% LKW’s und 15% LKW Anteil aus, erhält man
1.15[.8 · 3, 8 + .2 · 15] = 6, 9
für den durchschnittlichen Platzbedarf eines Autos im Stau. Die Anzahl ist
dann also (2 · 20000)/6, 9 ≈ 5.800. Neben der Zahl, die wir hier gewonnen
haben, wird hier auch deutlich, wie diverse Annahmen z.B. LKW Anteil, LKW
Länge das Ergebnis beeinflussen. Nun stehen die Autos nicht Stoßstange an
Stoßstange. Was dann?
2. Wieviele Todesanzeigen wird man im Durchschnitt in der NOZ pro Tag finden?
Osnabrück hat etwa 150 000 Einwohner. Das Einzugsgebiet der NOZ dürfte
aber etwa 250 000 betragen. Die Lebenserwartung der Deutschen ist etwa 75
Jahre. Also erwarten wird etwa 250 000/75 Todesfälle pro Jahr und etwa 250
000/75.310 Todesfälle pro Erscheinungstag. Wenn nur 80% davon in der NOZ
ihren Niederschlag finden, gibt dies 0.8(250000/75.310) ≈ 20000/2325 also
etwa 8-9.
3. Wieviele Erbsen (Kirschen) passen in eine Dose? Ganz offensichtlich hängt dieses Problem vom Volumen der Dose V sowie vom Volumen v = (4π/3)(d/2)3
bzw. Durchmesser von Erbse (Kirsche). Um den Leerraum zwischen den Kugeln zu berücksichtigen, benötigt man noch den Faktor .74 für die dichteste
Kugelpackung. Die Anzahl ist damit also .74 · V /v.
4. Ein Mensch hat etwa 14 · 109 Nervenzellen und etwa 7 · 1012 Synapsen (Verknüpfungen untereinander), d.h. jede Nervenzelle ist mit etwa 500 anderen
verbunden. Allgemein kennen wir keine Formel, die uns angibt, auf wieviele
Weisen man Nervenzellen über k Verbindungen mit anderen verbinden kann.
Um für k = 1 eine Schätzung zu erhalten, zerlege die n Nervenzellen in 2 disjunkte Mengen von n/2 Elementen. Für das erste Element der ersten Menge
1.9 Schätzen
33
A, gibt es dann n/2 Möglichkeiten. Für das zweite n/2−1, für das 3. insgesamt
n/2 − 2. Zusammen also (n/2)! ≈ c(n/z)(n/5.5)n . Das sind natürlich viel zu
viele. Nun muß es ja nicht unbedingt möglich sein, jedes Neuron mit einem
anderen zu verbinden. Schränke man die Verbindungen auf die nächsten m
Nachbarn ein, hat man bei k = 1 für das 1. Neuron m Möglichkeiten, für das
zweite ebenfalls, wenn man Überschneidungen vernachlässigt. Insgesamt gibt
dies mn Möglichkeiten. Bei k > 1 sind es noch mehr. Diese kombinatorische
Explosion zeigt, daß nicht einmal die einfache Verdrahtung der Neuronen vererbbar ist, denn es gibt nur etwa 2, 5·105 Gene bzw. (75/1, 67)·1027 = 4, 4·1028
Protonen (Neutronen) im menschlichen Körper. Evolutionsmäßig macht eine
solche Überkapazität an Speichermöglichkeiten keinen Sinn, so daß es noch
weitere erhebliche Einschränkungen geben muß, etwa daß die Speicher auf
kleine verteilte Regionen beschränkt sind, und daß der größte Teil des Gehirns der Informationsverarbeitung dient. Um letzteres abzuschätzen, nehmen
wir einmal an, der Mensch könnte pro Sekunde 10 bit – das sind 1024 = 210
Möglichkeiten – an Informationen aufnehmen. Bei einem 16 Stunden Tag sind
10
9
das in 80 Jahren 1.659 · 1010 bit oder 2·1,659·10 ≈ 105·10 Möglichkeiten. Es ist
daher wahrscheinlich, daß die Speicherkapazität eher in diesem Bereich liegt.
5. Pro Woche gibt es in der Bundesrepublik etwa 3 Personen, die “6” Richtige im
Lotto haben. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches Ergebnis zu erzielen, ist etwa
14 · 106 . Also werden pro Woche etwa 52 · 106 Tippscheine ausgefüllt. Wenn
von dem 80 · 106 Einwohnern der Bundesrepublik nur jeder Vierte spielt, füllt
jeder Tipper etwa 2,6 Tippscheine aus.
Hier sind noch einige weitere Schätzfragen:
1. Wie weit fliegt eine Krähe pro Tag?
2. Wieviele Buchfinken gibt es in Osnabrück?
3. Im Zusammenhang mit der Ausbreitung von STD’s sind folgende Fragen wichtig: Wieviele Prostituierte (Homosexuelle, Fixer) gibt es in Osnabrück?
4. Kürzlich kam bei einer Safari die Frage auf, wieviele Streifen hat ein Steppenzebra?
Und noch eine weitere Frage
5. Wieviel Wasser verbrauchen Sie pro Tag?
6. Wie groß muß ein mit Wasserstoff gefüllter Ballon sein, der 4 Personen tragen
soll?
7. Wie sieht das entsprechende Problem für einen Heißluftballon aus?
8. Die Erdoberfläche besteht zu 71% aus Wasser und 29% aus Land. Von der
Landmasse sind 40% Wüste oder Eiswüste und 30% bergig oder bewaldtet.
Wieviel Prozent der Erdoberfläche sind kultivierbar und wieviel Menschen
können darauf leben, wenn jeder etwa 5-10 ha benötigt?
34
Die reellen Zahlen
9. Schätzen Sie die Körperoberfläche eines Menschen.
10. Vergleichen Sie das Verhältnis Oberfläche/Volumen von einem 3m Tümmler
und einem 30 m Blauwal. Hat das Konsequenzen für den Wärmehaushalt?
11. Wieviel Bier können Sie trinken, bevor ihr Blutalkoholwert 0.5h übersteigt?
1.10
Gleichungen mit einer Unbekannten
(AII Absch.
I)
In Gleichungen mit einer Unbekannten, die wir traditionsgemäß mit x bezeichnen,
bringt man üblicherweise die x-Terme auf die eine Seite und die numerischen Terme auf die andere Seite und löst nach x auf. Die Schwierigkeiten in Anwendungen
bestehen in der Regel darin, die Gleichung aufzustellen. Dies geht in zwei Schritten
vor sich:
1. Was ist die Unbekannte x, d.h. die gesuchte Größe?
2. Verwende die gegebene Information um die Gleichung aufzustellen!
Sicheres Umgehen mit Gleichungen mit einer oder mehreren Unbekannten ist eine
wichtige Fähigkeit und sollte entsprechend eingeübt werden.
Beispiel 1.16 Ein Kajakfahrer, der im Schnitt mit 6 km/h fährt, benötigt für die
Hin- und Rückstrecke insgesamt 5 Stunden. Der Fluß hat eine Strömungsgeschwindigkeit von 2 km/h. Wie lang ist die Strecke?
Lösung: Die Streckenlänge sei x in km. Nehmen wir an, der Hinweg führe stromab,
so braucht er für den Hinweg bei (6 + 2) km/h genau x/8 h. Auf dem Rückweg fährt
er nur (6 − 2) km, benötigt also x/(6 − 2). Nun gilt 5 = x/8 + x/4 oder 40 = x + 2x.
Also x = 13.33 . . .. Was passiert, wenn man auf dem Hinweg stromauf fährt?
Aufgabe 1.57 Ein Atomkraftwerk leitet stündlich 300.000 m3 60o C warmes Kühlwasser in einen Fluß, der 120 m breit, 4 m tief ist und eine Strömungsgeschwindigkeit von 3 m/sec. hat. Im April ist die mittlere Wassertemperatur 14o C. Um wieviel
erwärmt sich das Wasser ungefähr?
Sie alle sollten mit der Dreisatzmethode vertraut sein, deshalb wollen wir dies hier
nicht vertiefen, zumal die Methode der Gleichungen mit einer Unbekannten effektiver
ist. Schwierigkeiten bereiten nur die Anwendungen oder eingekleideten Aufgaben.
Hier zwei Beispiele:
Beispiel 1.17 Ein Verleger will ein neues Biologiebuch herausbringen. Er rechnet
mit festen Herausgeberkosten von DM 30.000. Wenn die Herstellung eines jeden
Buches DM 10 kostet und es für DM 50 verkauft werden soll, wie viele Bücher
müssen mindestens verkauft werden, wenn der Verleger einen Gewinn machen will?
1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten
35
Die Anzahl der Bücher sei x. Dann ist der Gewinn 50x, während die Kosten 30.000+
10x betragen. Sicher soll der Gewinn ≥ Kosten sein oder
50 · x ≥ 10x + 30000
Wir lösen zunächst 50 · x = 10 · x + 30000 oder
40 · x = 30000
30000
x =
= 750
40
Beispiel 1.18 Stromaufwärts braucht der Ausflugsdampfer für die 40 km von
A-Stadt nach B-Stadt 3 Stunden, stromabwärts 2 Stunden. Wie schnell fließt der
Fluß?
Bezeichnen wir die Geschwindigkeit des Dampfer mit v und die Flußgeschwindigkeit
des Flusses mit x, so gilt:
Dies ergibt
40 = 3 · (v − x)
80 = 6v − 6x
und
und
40 = 2(v + x).
120 = 6v + 6x.
Addieren gibt 200 = 12v und Subtrahieren 40 = 12x oder v =
50
und
3
x=
10
.
3
Das letzte war sogar schon eine Gleichung mit 2 Unbekannten. Formal ist die Vorgehensweise eigentlich immer dieselbe.
Ungleichungen und Probleme mit Ungleichungen kann man so ähnlich behandeln.
Hier ist noch ein Beispiel.
Beispiel 1.19 Mietwagenfirma A vermietet den Kleinwagen für DM 300 die Woche,
bei unbeschränkter Kilometerzahl. Firma B dagegen verlangt DM 150 bei DM 0,15
pro Kilometer. Von welcher Kilometerleistung ab sollte man mit Firma A fahren?
Ist x die Kilometerzahl, bei der beide Angebote gleich sind, so ist offensichtlich A
für alle Kilometerleistungen, die x übertreffen, günstiger. Es ist aber
300 = 150 + 0, 15 · x
150 = 0, 15 · x oder x =
150
= 1000.
0, 15
Aufgabe 1.58 Kurz nach 1(2, 3, 4, . . .) stehen der große und kleine Zeiger bei einer
Uhr übereinander. Wann genau ist das?
Aufgabe 1.59 Die Fahrenheit-Temperatur F kann in die entsprechende CelsiusTemperatur C durch C = 59 (F − 32) umgerechnet werden. Drücke F durch C aus.
Aufgabe 1.60 Im Sommerschlußverkauf sind alle Preise um 20% reduziert. Was
hat Ihr Anzug (Kleid) für 250,- DM ursprünglich gekostet?
Aufgabe 1.61 1 Mol = Molekulargewicht in g eines Gases sind 22,4 l bei 0◦ C.
Berechne das Gewicht von 1 l Luft bei 20◦ C unter der Annahme, daß diese zu 80%
aus Stickstoff (Molekulargewicht 28) und zu 20% Sauerstoff (Molekulargewicht 32)
x
zusätzlich ausdehnt.
besteht und Luft sich bei einer Erwärmung um x◦ C um 273
36
Die reellen Zahlen
Aufgabe 1.62 Sie haben 100 ml 30%igen Alkohol. Wieviel ml 96%igen Alkohol
müssen Sie zusetzen, um 40%igen Alkohol zu erhalten.
Aufgabe 1.63 In Ihrem Kühler sind 8 l Frostschutzmittellösung mit 35% Frostschutzanteil. Wieviel Flüssigkeit müssen Sie abfließen lassen und durch reines Frostschutzmittel ersetzen, um eine 60%ige Lösung zu erhalten?
Aufgabe 1.64 Sie haben zwei Gefäße mit 20%iger und 60%iger Lösung und benötigen 100 ml 50%iger Lösung. Wieviel benötigen Sie von jeder Lösung?
Aufgabe 1.65
a) Alkohol im Blut: Getrunkener Alkohol gelangt durch Diffusion aus dem Magen-Darm-System ins Blut. Dabei werden allerdings etwa 10%
direkt ausgeschieden (Resorptionsdefizit). Vom Blut gelangt der resorbierte Alkohol ins Gewebe. Allerdings hängt die Alkoholaufnahme des Gewebes von der
Durchblutung und vom Wasserhaushalt ab. Der Wassergehalt r des Gewebes
gegenüber dem Blut wird mit 70% (Mann) bzw. 60% (Frau) angesetzt. Zeigen Sie, daß dann die Formel von Widmark A = crG gilt. Dabei ist A die
Alkoholmenge, c die Alkoholkonzentration in 0/00 und G das Gewicht in kg.
b) Alkohol wird in der Leber durch das Enzym Alkoholdehydrogenase mit einer
Rate von 1, 5 o/oo pro Stunde abgebaut.
Sie haben kräftig gezecht - 10 Bier und 10 Korn. Nach wieviel Stunden dürften
Sie wieder Autofahren? (Alkoholgehalt Bier (Korn) 5% (35%)).
Aufgabe 1.66 Im Labor haben Sie 10l(20l, 7, 5l) 50%igen (30%igen,25%igen) Alkohol stehen. Sie sollen 40%igen Alkohol durch Mischen herstellen, und zwar so, daß
der 50%ige Alkohol verbraucht wird und möglichst wenig (viel) Flüssigkeit übrig
bleibt.
Aufgabe 1.67 Sie haben 10l kochendes und 50l 70◦ C warmes Wasser. Wieviel 12◦ C
warmes Wasser brauchen Sie für ein 37◦ C warmes Bad?
Aufgabe 1.68 Lösen Sie graphisch:
x +y ≤
3
3x +2y ≥ −6
−x +2y ≤
5
Vermischte Aufgaben
Aufgabe 1.69 Der Kühler Ihres Autos faßt 3l. Zur Zeit enthält er 40 % Frostschutzmittel und 60 % Wasser. Wieviel Flüssigkeit müssen Sie durch reines Frostschutzmittel ersetzen, um die Konzentration auf 65 % zu bringen?
Aufgabe 1.70 Ein Tank hat 3 Abflüsse. Bei geöffnetem ersten (zweiten, dritten)
Abfluß wird der Tank in 1,3 (2,2; 3,1) Stunden geleert. Wieviel Zeit zum Leeren
braucht man mit geöffneten Abflüssen 1+2, 1+2+3, 1+3?
1.10 Gleichungen mit einer Unbekannten
37
Aufgabe 1.71 Zwei Züge fahren von Hamburg nach München. Der ICE fährt im
Schnitt 130 km/h, während der IR nur 90 km/h fährt. Wenn der IR 1h 20min früher
losfährt, wann überholt der ICE ihn?
Aufgabe 1.72 Ein Kaufmann kauft Mikrowellengeräte für DM 252 das Stück und
geht von einem Gewinn von 20% aus. Bei Barzahlung gibt es für die Kunden jedoch
3% Skonto. Was ist der Barzahlungspreis?
Aufgabe 1.73 Im SSV sind alle Kleider um 20% reduziert. Das gute Stück kostet
DM 160,– im SSV. Was ist der Einkaufspreis für den Händler, wenn dieser mit einer
Gewinnspanne von 45% rechnet?
Aufgabe 1.74 Ein Artikel wurde für 144,– DM bei einem Gewinn von 12,5% auf
die Kosten verkauft. Was waren die Kosten?
Aufgabe 1.75 Ein Student hat sich einen Stuhl und Schreibtisch für DM 276,–
gekauft. Der Tisch kostete DM 15,– mehr als das Doppelte des Stuhls. Bestimme
die Preise von Tisch und Stuhl.
Aufgabe 1.76 Finden Sie die 5 aufeinander folgenden Zahlen, deren Summe 165
ist.
Aufgabe 1.77 53 10- und 5-Pfennig-Münzen haben einen Wert von DM 3,45. Wie
viele sind von jeder Sorte dabei?
Aufgabe 1.78 12 (10, 8) Hamburger und 10 (15, 6) Hot Dogs und 20 (18, 16) Colas
kosten 70 (73, 48) DM. Was sind die Einzelpreise?
Aufgabe 1.79 Sie bereiten sich ein Bad mit 50l 19o , 20l 40o und 15l 15o warmes
Wasser. Was ist die Temperatur des Badewassers?
Aufgabe 1.80 In einem Labor werden alle Alkoholreste zusammengekippt, und
zwar 125ml à 75%, 40 ml à 96%, 540ml à 20% und 300ml à 15%. Welche Alkoholkonz.
hat das Gemisch?
Gleichungen mit 2 und mehr Unbekannten
Aufgabe 1.81 Ein Motorboot braucht für 16 km stromaufwärts bei voller Kraft 15
Minuten. Stromabwärts für die gleiche Strecke nur 12 Minuten. Wie schnell fließt
der Fluß?
Aufgabe 1.82 Bestimmen Sie eine Funktion f (x) = a + bx + cx2 mit f (0) = 1,
f (1) = 2 und f (2) = 4.
38
Die reellen Zahlen
1.11
Ein Letztes
Die vorangegangenen Ausführungen zum Rechnen mit reellen Zahlen entstammen
durchweg dem Lernbereich 8. und 9. Schuljahr. Dies bedeutet, daß jeder von Ihnen
diesen Stoff souverän beherschen sollte. Zum Selbsttesten daher hier zwei Tests:
Test I
1. Berechne (ohne Taschenrechner) (17/0.25).
2. Gebe 1/4 + 2/5 + 3/7 als Produktzahl an.
3. Bestimme die Lösungsmenge
2x + 1
4x − 1
=
.
3x + 5
6x + 4
4. Löse
6 + 5x
3 + 4x
6 + 5y + 3y 2
+
=
.
2
25 − 9x
25 − 15x
10 − 6x
√
√
√
5. Wann gilt a + b = a + b a, b ≥ 0.
6. Bestimme die Lösungsmenge für x2 + 28x + 187 = 0.
√
7. Löse 2x + 3x + 7 = 10
8. Holger bezahlt für sein Essen aus 3 Hamburgern 1 Fritten und 1 Cola 4,70
Euro. Ina für 1 Hamburger, 1 Fritten und 1 Cola 2,50 Euro. Joachim für 2
Hamburger 2 Fritten und 1 Eis 4,60 Euro. Dabei ist das Eis .2 Euro teurer als
die Cola. Was sind die Preise?
9. Im letzten Jahr hat Herbert Fleißig noch 3.5% Zinsen für sein Sparguthaben
erhalten. Jetzt sind es nur noch 2.5% und damit 120 Euro weniger.
10. Auf dem Planeten Xα herrscht Normaldruck. Aber die Atmosphäre besteht
aus 50% O2 und 50% He. Was wiegt 1l Luft dort?
11. Ein Biologe mischt 1.5l hochprozentigen Alkohol mit 1l weniger starkem Alkohol und erhält 2.5l 70% Alkohol. Eine Mischung von 1.2l vom Hochprozentigen
mit 2.8l vom anderen gibt 4l 62.5% Alkohol. Was sind die Prozentzahlen?
12. Faktorisiere und vereinfache (x + y)3 − (x − y)3 .
13. Vereinfache
2
)
x−1
2
+x
)
( x2x+x−z
(1 +
1.11 Ein Letztes
39
Test II
1. Berechne 127 : .03 (ohne Taschenrechner)
2. Bestimme 2/3 + 7/8 − 5/6 + 1/12 als Bruchzahl.
3. Bestimme die Lösungsmenge von
3x + 2
12x − 3
=
.
4x + 1
16x + 7
4. Löse die Ungleichung x(x + 1) ≥ x2 + 3p − 2x.
5. Wieviel Geld müssen Sie ansparen, damit Sie bei 5.5% Zinsen im Jahr pro
Monat 1.400 Euro zur Verfügung haben?
6. Löse (3x + 2)(2x + 3) = (4x + 5)(x + 2).
7. (x2 + 6)2 − (x2 + 8)(x2 − 8) = (x2 + 10)2 .
8. Welches Polynom 2. Grades hat die Werte 0, 1, 5 an den Stellen 1, 2, 3?
9. 127 als Messergebnis hat 3 signifikante Ziffern. Wieviel hat 1273 ?
10. Vereinfache und Multipliziere
4x3 − 36x
15x2 + 60x − 180
·
.
5x2 + 5x − 30 8x4 + 8x3 − 96x2
11. Ein Mann hat 9.600 Euro investiert. Ein Teil gibt ihm 6% Zinsen und der andere 8%. Insgesamt hat er 632 Euro an Zinsen pro Jahr. Was sind die Anteile?
12. In einem Labor sollen 10%, 20% und 40% Salzsäure gemischt werden um 100l
25% Säure zu erhalten. Beschreibe die Lösungsmenge. Welche Mischung verbraucht am wenigsten der 40% Lösung?
40
Die reellen Zahlen
41
Kapitel 2
Funktionen
(AI Abschnitt 7)
Genaueres zu den Begriffen in diesem Abschnitt findet man in dem Buch: Mathematik heute 9, 10 Schroedel Schöningh, Mathematik 9. & 10. Schuljahr Breidenbach,
Mathematik, 11. Schuljahr Cornelsen-Schwann.
2.1
Der n-dimensionale Raum
Wir stellen uns die reellen Zahlen R als die Zahlengerade vor. R2 sei dann das
kartesische Produkt von R mit R(R × R), d. h., R2 ist das System aller geordneter
Paare (x, y), wobei x, y ∈ R.
y-Achse
(x, y)
y
R2 = {(x, y) | x, y ∈ R}
(2.1)
Wir beschreiben R2 als die Ebene. Elemente des R2 werden dann in einem rechtwinkligen Koordinatensystem dergestellt.
Genauso kann man R3 als R × R × R definieren,
x
y-Achse
x-Achse
(x, y)
R3 = {(x, y, z)|x, y, z ∈ R}
y
(2.2)
Wir stellen uns den R3 als den 3-dimensionalen euklidischen Raum vor, in dem
Punkte des R3 mit Hilfe eines rechtwinkligen Koordinatensystems dargestellt werden.
Noch allgemeiner kann man den Rn betrachten.
r
x
x-Achse
42
Funktionen
Rn = {(x1 , x2 , · · · , xn ) | x1 , x2 , · · · , xn ∈ R}
(2.3)
xi bezeichnet dabei die i-te Koordinate.
Natürlich kann man sich den Rn allgemein nicht so wie den R2 oder R3 vorstellen.
Solch ein geordnetes n-Tupel reeller Zahlen bezeichnet man auch als einen Vektor,
wenn man dabei auch noch die Addition von Vektoren und Skalarmultiplikation im
Auge hat, die durch
a(x1 , x2 , · · · , xn ) + b(y1 , y2 , · · · , yn ) = (ax1 + by1 , ax2 + by2 , · · · , axn + byn ) (2.4)
festgelegt ist, d. h., alle Operationen werden koordinatenweise definiert.
Der Abstand zweier Punkte P1 = (x1 , y1 ) und P2 = (x2 , y2 ) in der Ebene durch
−→
p
|P1 P2 |= (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 (Formel von Pythagoras)
(2.5)
bestimmt. Im Raum R3 ist der Abstand von P1 = (x1 , y1 , z1 ) und P2 = (x2 , y2 , z2 )
gerade
−→
p
(2.6)
|P1 P2 |= (x1 − x2 )2 + (y1 − y2 )2 + (z1 − z2 )2
Noch allgemeiner wird der Abstand von Punkten P = (x1 , x2 , · · · , xn ) und Q =
(y1 , · · · , yn ) im Rn definiert durch
−→
p
(2.7)
|P Q|= (x1 − y1 )2 + (x2 − y2 )2 + · · · + (xn − yn )2
Dieser Abstand hat die Eigenschaften
−→
−→
−→
−→
−→
−→
|P Q|> 0, |P Q|=|QP |, |P Q| + |QR|≥|P R|
2.2
(2.8)
Lineare Gleichungen
Lineare Gleichungen mit einer bzw. zwei Unbekannten haben wir im letzten Abschnitt schon kennengelernt. Hier wollen wir diese Aspekte vom geometrischen
Standpunkt behandeln. Beginnen wir mit dem Fall von einer Gleichung mit 2 Unbekannten.
ax + by = c a2 + b2 6= 0
(2.9)
beschreibt eine Gerade, d. h. genauer: Die Lösungsmenge dieser Gleichung ist eine
Gerade.
Häufig löst man diese Gleichungen noch nach y auf und erhält dann
y = −b−1 ax + b−1 c
(2.9′ )
sofern b 6= 0. In diesem Fall ist x die unabhängige Variable und y die abhängige.
Liegen zwei lineare Gleichungen mit zwei Unbekannten vor
a1 x + b 1 y = c 1
a2 x + b 2 y = c 2
(2.10)
wobei a1 , · · · , b2 nicht alle gleich 0, so beschreiben diese beiden Gleichungen zwei
Geraden im R2 . Hierbei können folgende Fälle auftreten.
2.2 Lineare Gleichungen
43
Fall 1: Die beiden Geraden, dies sind gerade die Lösungsmengen der beiden Gleichungen, sind nicht parallel, d.h. a1 b2 6= a2 b1 . In diesem Fall schneiden sich die
beiden Geraden in genau einem Punkt (x0 , y0 ), und dieser Punkt ist genau die
eindeutige Lösung von (2.10). Dieses ist der Normalfall, denn er tritt immer
auf, wenn a1 b2 − b1 a2 6= 0.
Fall 2: Die beiden Geraden sind parallel, d.h. a1 b2 = a2 b1 . Nehmen wir noch a1 , a2 6=
0 an, so können wir (10) als
b1
c1
b2
c2
x+ y =
x+ y =
a1
a1
a2
a2
schreiben, und da ab11 = ab22 hat dieses System nur eine Lösung, wenn ac11 = ac22 . In
letzterem Fall ist aber eine der Gleichungen überflüssig. Geometrisch bedeutet
dies, daß beide Geraden zusammenfallen. Wir haben also hier die beiden
Teilfälle: 1) Die Geraden sind parallel und verschieden und schneiden sich nicht.
In diesem Fall gibt es keine Lösung, oder
2) die beiden Geraden sind identisch, d.h. eine Gleichung ist überflüssig.
Der Fall a1 = 0 läßt sich analog behandeln.
Lineare Gleichungen mit 3 Unbekannten
Eine Gleichung ax + by + cz = d hat im Raum der Lösungsvektoren (x, y, z) ∈ R3
eine Ebene als Lösungsmenge, sofern nicht a = b = c = 0.
Hat man 2 solche Gleichungen
a1 x + b 1 y + c 1 z = d 1 ,
a2 x + b 2 y + c 2 z = d 2
(2.11)
so ist die Lösungsmenge dieser Gleichungen gerade die Schnittfigur dieser beiden
Ebenen. Wie eben haben wir dabei die folgenden Fälle zu unterscheiden.
1. Die beiden Ebenen sind nicht parallel
b1
b2
6=
falls a1 , a2 6= 0.
a1
a2
In diesem Fall schneiden sich beide Ebenen in einer Geraden, denn
b1
c1
d1
b2
c2
d2
x + y + z = ,x + y + z =
a1
a1
a1
a2
a2
a2
hat
d1 d2
c1
b2
c2
b1
y+
z=
−
−
−
a1 a2
a1 a2
a1 a2
zur Folge.
2. Sind die beiden Ebenen parallel, so können sie verschieden sein, d. h., es gibt
keine Lösung oder ein Zusammenfallen. In letzterem Fall ist eine der Gleichungen überflüssig.
Aufgabe 2.1 Diskutiere auf ähnliche Weise den Fall von 3 Gleichungen mit 3 Unbekannten.
44
Funktionen
Das allgemeine lineare Gleichungssystem
Das allgemeine lineare Gleichungssystem von m Gleichungen mit n Unbekannten
kann man als
a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn
= b1
a21 x1 + a22 x2 + · · · + a2n xn
= b2
(2.12)
....................................
am1 x1 + am2 x2 + · · · + amn xn = bm
schreiben. Ziel ist es, dieses Gleichungssystem so umzuformen, daß man die Lösungen
leichter ablesen kann. Umformungen, die die Lösungsmenge nicht verändern, sind:
I: Gleichungen können addiert oder subtrahiert werden.
II. Gleichungen können mit einem Faktor multipliziert werden.
III. Die Gleichungen dürfen vertauscht werden.
Aus (I) und (II) läßt sich (III) und auch noch die Einsetzungsmethode herleiten:
IV: Gleichungen dürfen ineinander eingesetzt werden.
Da IV häufig das Standardverfahren ist, um (2.12) umzuformen, wollen wir diese
Methode etwas genauer diskutieren. Tatsächlich ist die Methode des Umformens,
genauer die Methode der schrittweisen Elimination von Veränderlichen, das sinnvollste Verfahren überhaupt. Von Hand kann es allerdings nur für n ≤ 5 vernünftig
angewandt werden. Man nennt dies Verfahren auch den Gauß-Algorithmus.
Schritt 1: Man drückt eine Variable dieses Gleichungssystems durch eine der Gleichungen aus. Dabei sucht man sich sinnvollerweise die einfachste Gleichung aus.
Diese Variable sei etwa xn , und die zugehörige Gleichung sei die letzte:
xn =
1
amn
(−am1 x1 − am2 x2 − · · · − am,n−1 xn−1 + bn )
(2.13)
Schritt 2: Danach kann man in den anderen Gleichungen aus (2.12) überall xn durch
den Ausdruck in (2.13) ersetzen.
Schritt 3: Stellt man nun wieder die Variablen um - die x auf die linke Seite und die
Konstanten nach rechts -, erhält man (2.13) und
b11 x1 + b12 x2 + · · · + b1,n−1 xn−1
= c1
b21 x1 + b22 x2 + · · · + b2,n−2 xn−1
= c2
..................................................
bm−1,1 x1 + bm−1,2 x2 + · · · + bm−1,n−1 xn−1 = cm−1
(2.14)
Natürlich muß man bei dieser Prozedur nicht unbedingt xn aus der letzten Gleichung
nehmen. Wenn es günstiger ist, kann man etwa auch x1 durch die 2. Gleichung
ausdrücken und dann eliminieren.
2.2 Lineare Gleichungen
45
Beispiel 2.1
x1 + 2x2 + x4
= 27
2x1 + 3x2 + 9x3 + x4
= 12
8x1 + 7x2 + 10x3 + 2x4 = 0
Hier läßt sich x4 am einfachsten durch die erste Gleichung ausdrücken:
x4 = 27 − x1 − 2x2
Setzt man dies in die 2. und 3. Gleichung ein, erhält man
2x1 + 3x2 + 9x3 + (27 − x1 − 2x2 )
= 12
8x1 + 7x2 + 10x3 + 2(27 − x1 − 2x2 ) = 0
Vereinfachen ergibt
x1 + x2 + 9x3
= −15
6x1 + 3x2 + 10x3 = −54
Das Gleichungssystem (2.14) enthält nun eine Gleichung und eine Unbekannte weniger, und das gleiche Verfahren kann wiederholt werden. Bei diesem Verfahren kann
es vorkommen, daß unter den so entstehenden Gleichungen (2.14) eine oder mehrere
Gleichungen die Form
0 · x1 + 0 · x2 + · · · + 0 · xn−1 = c
(2.15)
haben. In diesem anormalen Fall hat das Gleichungssystem (2.12) keine Lösung,
wenn c 6= 0. Ist dagegen c = 0, kann diese Gleichung weggelassen werden.
Beispiel 2.2
x1 + 2x2 + x4
= 27
2x1 + 3x2 + 9x3 + x4 = 12
8x1 + 16x2 + 8x4
= 136
Dieses Gleichungssystem führt wie oben auf
x1 + x2 + 9x3 = −15
und
8x1 + 16x2 + 8(27 − x1 − 2x2 ) = 136
oder
0 · x1 + 0 · x2 = 136 − 8 · 27 = −80
Dieses Gleichungssystem ist also unlösbar.
46
Funktionen
Fassen wir zusammen:
Indem man eine der Variablen durch eine Gleichung ausdrückt und dann
in die anderen Gleichungen einsetzt, erhält man ein Gleichungssystem
(2.14) mit einer Variablen und einer Gleichung weniger. Das Gleichungssystem (2.14) kann unlösbar sein – dann gilt dies auch für (2.12)–, oder
eine oder mehrere Gleichungen können überflüssig sein.
Wir wollen dies nun an einem Beispiel diskutieren:
Beispiel 2.3
3x1 + 4x2 + x3 − 17x4 = 15
3x1 + 5x2 + x3 − 20x4 = 20
2x1 + 3x2 + x3 − 12x4 = 13
Zunächst einmal ziehen wir die erste Gleichung von der zweiten ab und erhalten
x2 − 3x4 = 5
Zusammen mit den letzten beiden Gleichungen hat diese Gleichung die gleiche
Lösungsmenge wie das ursprüngliche Gleichungssystem. Wir schreiben nun
x2 = 3x4 + 5
und setzen dies in die letzten beiden Gleichungen ein. Wir erhalten
3x1 + 5(3x4 + 5) + x3 − 20x4 = 20
2x1 + 3(3x4 + 5) + x3 − 12x4 = 13
oder
3x1 + x3 − 5x4 = −5
2x1 + x3 − 3x4 = −2
Das letztere Gleichungssystem entspricht dabei (2.14). Bildet man die Differenz,
erhält man
x1 − 2x4 = −3
oder
x1 = 2x4 − 3.
Einsetzen in die erste der beiden Gleichungen gibt
x3 = 5x4 − 5 − 3x1 = 5x4 − 5 − 3(2x4 − 3) = −x4 + 4.
Wir haben damit durch die 3 Gleichungen 3 Variable eliminiert und diese Variable
durch x4 ausgedrückt.
Beispiel 2.4
x1 + x2 + x3 + x4 =
0
2x1 + 2x2 + 2x3 + 2x4 =
2
3x1 + 4x2 + 5x3 + 6x4 = 173
2.2 Lineare Gleichungen
47
Drückt man hier x4 durch die erste Gleichung aus, erhält man
2x1 + 2x2 + 2x3 + 2(−x1 − x2 − x3 ) = 2 = 0 · x1 + 0 · x2 + 0 · x3
und
3x1 + 4x2 + 5x3 + 6(−x1 − x2 − x3 ) = 173.
Das Gleichungssystem hat daher keine Lösung. Stände oben in der zweiten Gleichung
0 anstelle der 2, wäre diese Gleichung überflüssig.
Hat man auf diese Weise eine der Unbekannten eliminiert und das Gleichungssystem
reduziert, kann man mit diesem Verfahren fortfahren.
Dabei findet man:
Im Normalfall kann man pro Gleichung eine Variable eliminieren.
Es kann aber vorkommen, daß das Gleichungssystem unlösbar ist oder
eine oder mehrere der Gleichungen überflüssig sind.
Hat man dieses Reduktionsverfahren durchgeführt, so wird man im lösbaren Fall auf
ein Gleichungssystem der Form
xn = cn1 x1 + cn2 x2 + · · · + cnk xk + cnk+1 xk+1 + · · · + cnn−1 xn−1 + dn
xn−1 = cn−1,1 x1 + cn−1,2 x2 + · · · + cn−1,k xk + cn−1,k+1 xk+1 + · · · +
cn−1,n−2 xn−2 + dn−1 .
.......................................................................
xk+1 = ck+1,1 x1 + ck+1,2 x2 + · · · + ck+1,k xk + dk+1
(2.16)
geführt. Im Normalfall ist dabei k = n − m. (2.16) läßt sich nun noch weiter vereinfachen, wenn man xk+1 in die vorangehenden Gleichungen einsetzt und dies dann
auch für xk+2,... macht. Dann erhält man
xn = dn1 x1 + · · · + dnk xk + en
xn−1 = dn−1,1 x1 + · · · + dn−1,k xk + en−1
.........................................
xk+1 = dk+1,1 x1 + · · · + dk+1,k xk + ek+1
(2.17)
und dies stellt dann auch die Lösung des Systems dar, denn in (2.17) kann man die
x1 , . . . , xk frei wählen. Diese Lösungsmethode wird auch Gauß-Jordan-Eliminationsmethode genannt. Da im Normalfall jede Gleichung eine Variable festlegt,
erhält man im Normalfall mit m = n aus (2.17) xn = en , . . . , x1 = e1 , die eindeutige
Lösung des Systems.
Beispiel 2.5 2x1 +3x2 −3x3
x2 −x3
2x1 +2x2 −x3
x1 +x2 −x3
+7x4 +x5 +4x6
+3x4 −x5 +2x6
+6x4 +2x5 −x6
+2x4 +x5 +x6
= −2 (α)
=
2 (β)
= −7 (γ)
= −2 (δ)
48
Funktionen
führt zu
x1 =
und
1
2
(−2 − 3x2 + 3x3 − 7x4 − x5 − 4x6 )
x2 = 2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6
(∗)
(α − γ) : x2 − 2x3 + x4 − x5 + 5x6 = 5
(α − 2δ) : x2 − x3 + 3x4 − x5 + 2x6 = 2
wenn man konsequent x1 eliminiert. Diese 4 Gleichungen sind offensichtlich äquivalent zum ursprünglichen System. Eliminieren wir nun x2 mit der zweiten Gleichung,
erhalten wir anstelle der letzten beiden Gleichungen
(2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6 ) − 2x3 + x4 − x5 + 5x6 = 5
(2 + x3 − 3x4 + x5 − 2x6 ) − x3 + 3x4 − x5 + 2x6 = 2
oder
−x3 − 2x4 + 3x6 = 3
2 + 0 · x3 + 0 · x4 + 0 · x5 + 0 · x6 = 2.
Dies zeigt, daß die letzte Gleichung überflüssig ist, und wir erhalten
x3 = −2x4 + 3x6 − 3
(∗∗)
zusammen mit (*) als das reduzierte System.
Setzt man nun noch (**) in (*) ein, ergibt dies
x2 = 2 + (−2x4 + 3x6 − 3) − 3x4 + x5 − 2x6
= −1 − 5x4 + x5 + x6
sowie
x1 = 21 (−2 − 3[−1 − 5x4 + x5 + x6 ] + 3[−2x4 + 3x6 − 3] − 7x4 − x5 − 4x6 )
x1 = −4 + x4 − 2x5 + x6
d. h., die Lösung hängt nur von x4 , x5 und x6 ab, die frei wählbar sind.
Wir betrachten nun wieder das allgemeine Gleichungssytem von m Gleichungen mit
n Unbekannten, und wir wollen annehmen, daß uns eine spezielle Lösung x1 , x2 , . . . ,
xn dieses Systems bekannt sei, d. h., es gilt
a11 x1 + a12 x2 + . . . + a1n xn = b1
.....................................
am1 x1 + am2 x2 + . . . + amn xn = bm .
Um nun die allgemeine Lösung des Systems zu bestimmen, schreibe
x1 = x1 + y1 ,
x2 = x2 + y2 , . . . , x n = xn + yn .
(2.18)
2.2 Lineare Gleichungen
49
Dann soll gelten
a11 (x1 + y1 ) + a12 (x2 + y2 ) + . . . + a1n (xn + yn ) = b1
.........................................................
am1 (x1 + y1 ) + am2 (x2 + y2 ) + . . . + amn (xn + yn ) = bm .
Lösen wir hier die Klammern auf und fassen die x-Glieder zusammen, gibt dies
a11 y1 + a12 y2 + . . . + a1n yn + [a11 x1 + a12 x2 + . . . + a1n xn ] = b1
.....................................................................
am1 y1 + am2 y2 + . . . + amn yn + [am1 x1 + am2 x2 + . . . + amn xn ] = bm .
Mit Hilfe von (2.18) gibt dies aber gerade
a11 y1 + a12 y2 + . . . + a1n yn = 0
...................................
am1 y1 + am2 y2 + . . . + amn yn = 0.
(2.19)
Man nennt (2.19) auch das zugehörige homogene System. Dieses hat immer eine
Lösung, z.B. y1 = 0, . . . , yn = 0.
Insgesamt zeigt dies:
Die allgemeine Lösung des inhomogenen Systems kann als Summe einer
speziellen Lösung und der allgemeinen Lösung des homogenen Systems
geschrieben werden.
Xallg = Xspez + Xhom .
Dies ist ein allgemeines Prinzip, das für alle linearen Gleichungen gilt.
Aufgabe 2.2 Welches der folgenden Gleichungsysteme hat eine eindeutig bestimmte (keine) Lösung.
a) 3x +3y = 8
b) 4x +y = 5
c) x −x = 3
d) x −y = 3
3x +y = 1
2x −3y = 13
7x −7y = 21
4x −4y = 6
Aufgabe 2.3 Löse graphisch und rechnerisch
a) 2x +3y =
8
b) x −5y = −3
Aufgabe 2.4 Löse a)
x +3y = 7
x +y = 0
x +y = −3
2x +5y = 10
3x −y = 11
b)
x +y +z = 1
2x +3y +4z = 2
5x +7y +9z = 6
50
Funktionen
Aufgabe 2.5 Gib die Lösungsmenge von
2x1 +4x2 −2x3 +2x4 = 6
5x1 +10x2
+x4 = 0
3x1
+x2 −x3 +2x4 = 1
an.
Aufgabe 2.6 Bestimme die Lösungsmenge von
3x1 +5x2 +2x3 = 20
4x1
+x2
= 40
−9x1 −15x2 −6x3 = 30
Aufgabe 2.7 Bestimme die Lösungsmenge von
3x1 +4x2 +5x3 +6x4
4x1 +5x2 +6x3 +7x4
5x1 +6x2 +7x3 +8x4
x1 +x2 +x3 +x4
Aufgabe 2.8
x
+y+2=4
2
2x − y − 4z = 6
Aufgabe 2.9 2x + 3y − 4z = 10
= 17
= 25
= 39
= 0
4x + 2y − 3z = 8
−3x + y = 12
5x + 2y + z = −8
Aufgabe 2.10 Löse
x − 4y − 2 + w = 3
2x − 8y + 2 − 4w = 9
−x + 4y − 2z + 5w = −6
Aufgabe 2.11
3x1 − x2 + x3 − x4 + 2x5
x1 − x2 − x3 − 2x4 − x5
5x1 − 3x2 − x3 − 5x4 + 3x5
2x1 + 3x2 − x3 + x4 − x5
Aufgabe 2.12
2
a)
=
x−1
3
c) 2 − 1 =
x
Lösen Sie
1
x−1
1
6
− 2
2 x
b) 2x
d)
=1
= −1
=1
=0
1
+ 5x
= 2 + 5x
x
2x
2
−
= 1+
1+x
1+x
Aufgabe 2.13 Vereinfachen Sie die nachstehenden Ausdrücke
1
x
3
+2
4(x2 − 1)
x−1
x+1
4x − x1
2 x3 − x2
2.3 Funktionen und ihre Graphen
51
Aufgabe 2.14 Lösen Sie
2x − 3
2
+2 =
2x + 1
x + 21
et
100
+
2
=
15
−
c)
et + 3
et + 3
a)
2.3
b)
x
3
+2 =
x+1
4x + 4
Funktionen und ihre Graphen
Mathematik Heute 9, 10 Schroedel Schöningh, 9., 10. Schuljahr Breidenbach
Eine Funktion F ist eine eindeutig erklärte Zuordnungsvorschrift, die jedem Element x aus einer Menge von Objekten, dem Definitionsbereich DF von F , einen
Wert F (x) im Zielbereich Z zuordnet. Die Menge der Werte F (x), x ∈ DF , bildet
die Wertemenge WF oder den Wertebereich von F . Eine Funktion wird also
durch 2 Dinge beschrieben, nämlich erstens den Definitionsbereich und
zweitens die Zuordnungsvorschrift.
Beispiel 2.6 F = Vater
F (x) = Vater von x
DF = Menge aller Menschen
WF = Menge aller Väter
Beispiel 2.7 F = Aktienkurs der Firma XY
F (t) = Aktienkurs von XY am Tage t
Beispiel 2.8 F = Quadrat
DF = R
DF = Tage im Jahr 1998
WF ⊂ R+
F (x) = x2
Von nun ab werden wir uns mit Funktionen beschäftigen, deren Definitionsbereich
eine Teilmenge von Rn ist und die reelle Werte haben. Meist werden wir darüber
hinaus annehmen, daß der Definitionsbereich maximal, d.h. so groß wie eben sinnvoll,
gewählt ist. Unter diesen Umständen verzichtet man daher meist auf die explizite
Angabe von DF . In Zukunft werden wir Funktionsausdrücke auch in der Form F (x)
schreiben, obwohl die korrekte Form DF ∋ x → F (x) wäre.
Beispiel 2.9 Das Volumen V einer gegebenen Gasmenge hängt vom Druck P und
RT
der absoluten Temperatur ab V =
.
P
Dabei ist R eine Konstante (R = 8, 314JK −1 mol−1 ). DV = {(T, P ) | T > 0, P > 0}.
Beispiel 2.10 Der Ertrag E bei einer Nutzpflanze hängt ab von der Menge an
Dünger d, der Regenmenge r sowie der mittleren Temperatur T .
E = F (d, r, T )
DE = {(d, r, T ) | d ≥ 0, r ≥ 0, T > 0}.
Zunächst beschränken wir uns auf Funktionen, die auf Intervallen bzw. R erklärt
sind.
52
Funktionen
Definition: Eine Funktion F heißt injektiv oder umkehrbar, wenn zu jedem F (x)
genau ein Urbildpunkt x gehört, d.h. die Gleichung F (x) = F (y) hat x = y zur
Folge.
Eine Funktion heißt surjektiv, wenn WF = R ist, d.h. zu jedem y ∈ R existiert ein
x mit F (x) = y. Eine injektive und surjektive Abbildung heißt auch bijektiv.
x
x
injektiv
nicht injektiv
Eine Funktion ist genau dann injektiv, wenn jede Parallele zur x-Achse den Funktionsgraphen höchstens in einem Punkt schneidet.
Beispiel 2.11
F (x) = x3
3
3
3
DF = R ist injektiv,
3
denn x = y bedeutet 0 = x − y = (x − y)(x2 + xy + y 2 ) oder
x − y = 0 da x2 + xy + y 2 > 0 wenn x 6= 0 oder y 6= 0.
Beispiel 2.12 F (x) = x2 ist nicht injektiv, da (−x)2 = x2 .
Falls F injektiv ist, kann man die inverse Funktion F −1 zu F definieren. Dabei
ist DF −1 = WF = Wertebereich von F und es gilt
F −1 (y) = x wenn F (x) = y
(2.20)
Bemerkung: Viele Funktionen kann man durch Einschränken des Definitionsbereichs injektiv machen und dann F −1 für die Einschränkung erklären.
Beispiel 2.13 F (x) = x2 ist auf DF = [0, ∞) injektiv mit WF = [0, ∞). In diesem
√
1
Fall ist dann F −1 (x) = x = x 2 .
Auf diese Weise macht man die allgemeinen Potenzfunktionen x → xr (r ∈ R)
injektiv, in dem man sie auf x > 0 einschränkt.
Funktionsgraphen
Der R2 eignet sich auch noch besonders zur Darstellung von reellwertigen Funktionen. Ist nämlich F eine reellwertige Funktion mit dem Definitionsbereich DF ⊂ R
2.3 Funktionen und ihre Graphen
53
– dabei wollen wir annehmen, daß DF ein Intervall ist -, so nennt man
GF = {(x, y) | x ∈ DF , y = F (x)}
(2.21)
den Graphen von F . Das sieht dann etwa so aus
y
F (x)
F
x
x
Hier sind noch einige Beispiele von Funktionsgraphen
1 2
x +1
D = [0, 4]
f1 (x) =
4
5
f2 (x) =
1 + x2
x
f3 (x) =
1+x
5
f1
4
3
2
1
f2
1
2
3
4
54
Funktionen
0.8
f3
0.7
0.6
0.5
0.4
0.3
0.2
0.1
0.5
1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
Ist GF der Graph von F , so erhält man den Graphen von F −1 durch Spiegeln an
der Diagonalen x = y, denn der Punkt (x, F (x)) = (x, y) geht bei der Spiegelung
über in (x, y) = (y, F −1 (y)), denn y = F (x) bedeutet x = F −1 (y).
y
F
F −1
y
(x, y)
Diagonale
Spiegelpunkt
x
(y, x)
x
x
y
Eine reelle Funktion F auf einem Intervall DF heißt (streng) monoton wachsend,
wenn für x, y ∈ DF mit x < y gilt F (x) ≤ F (y) (F (x) < F (y)). F heißt (streng)
monoton fallend, wenn x < y F (y) ≤ F (x) (F (y) < F (x)) zur Folge hat.
Beispiel 2.14
1. F (x) = x3 ist streng monoton wachsend,
2. F (x) = xr , r > 0 DF = [0, ∞) ist streng monoton wachsend.
3. F (x) = ax , a > 1 ist streng monoton wachsend.
4. F (x) = ax , 0 < a < 1 ist streng monoton fallend.
5. F (x) = c(x − a)2 + b ist streng monoton wachsend für x ≥ a, wenn c > 0 und
streng monoton fallend für x ≤ a wenn c > 0.
Es ist offensichtlich, daß man von streng monotonen Funktionen die Umkehrfunktionen bilden kann. Diese sind auch streng monoton.
2.3 Funktionen und ihre Graphen
55
Man kann auch Funktionen verketten oder hintereinander ausführen. Formal hat
man dann
h(x) = f (g(x)).
In diesem Fall schreibt man auch h = f ◦ g. Damit so ein Ausdruck Sinn macht, muß
g seinen Wertebereich in den Definitionsbereich von f abbilden. Genauer wird man
den Definitionsbereich von f abbilden. Genauer wird man den Definitionsbereich
von h durch
Dh = {x | g(x) ∈ Df }
erklären:
Beispiel 2.15
1. f (x) = x3 + 2x2 + 1, g(x) =
√
x+1
h1 (x) = f (g(x)) = (x + 1)3/2 + 2(x + 1) + 1
h2 (x) = (g ◦ f )(x) = [x3 + 2x2 + 1 + 1]1/2
Dn = (−1, ∞)
2. f (x) = 1/x g(x) = x2 + 1, f ◦ g(x) = 1/(1 + x2 ), g ◦ f (x) = 1 + 1/x2
Für das Verknüpfen von Abbildungen gilt:
Assoziativgesetz (f ◦ g) ◦ h = f ◦ h), denn (f ◦ g) ◦ h(x) = (f ◦ g)(h(x)) =
f (g(h(x))) = f (g ◦ h(x)) = (f ◦ (g ◦ h))(x)
f ◦ f −1 (x) = x
x ∈ Df −1 = Wf = Wertebereich von f
f −1 ◦ f (x) = x
x ∈ Df
−1
−1
(f ◦ g ) = (g ◦ f )−1 denn für xc
(f −1 ◦ g −1 ) ◦ (g ◦ f )(x) = (f −1 ◦ (g −1 ◦ g) ◦ f )(x) = f −1 ◦ f (x) = x
x ∈ {z ∈ Df , f (z) ∈ Dg }.
Die Verknüpfung von Funktionen ist nicht nur auf reell wertige Funktionen beschränkt, wie die folgenden Beispiele zeigen:
3. Vater ◦ Vater = Großvater väterlicherseits
4. Vater ◦ Mutter = Großvater mütterlicherseits
5. f (x) = (x − 1)/x, g(x) = Aktienkurs Fa x, f ◦ g(x) = Rendite für Aktie von
x.
Aufgabe 2.15 Zeichne die Funktionsgraphen von
i) f1 (x) = x2 − x3
ii) f2 (x) =
1
x
Df1 = [−2, 2]
Df2 = (0, 3]
(Suchen Sie sich eine der Funktionen aus.)
56
Funktionen
Aufgabe 2.16 Ist f eine gegebene Funktion mit Df = D, so ist F durch F (x)−b =
f (x − a), DF = D + a erklärt. Wie gewinnt man den Graphen von F aus dem von
f?
Aufgabe 2.17 Für eine gegebene Funktion f sei F durch F (x) = af (bx) erklärt,
a, b > 0. Wie hängen die Graphen von f und F miteinander zusammen?
Aufgabe 2.18 Welche Funktionen (Graphen) erhält man, wenn man die in Aufgabe
(2.16) und (2.17) beschriebenen Prozesse auf f (x) = x2 anwendet?
Aufgabe 2.19 Für F (x) = xr r > 0, DF = (0, ∞) zeige, daß F injektiv ist, und
bestimme F −1 .
Aufgabe 2.20 Für F (x) = ax2 + bx + c, a > 0, bestimme F −1 bei einem geeigneten
DF .
(Hinweis: Es geht hier um das Auflösen einer quadratischen Gleichung. Schreibe
F (x) = a(x + b)2 + c und forme dann um.)
Aufgabe 2.21 Die Umkehrfunktion F −1 einer streng monoton wachsenden (fallenden) Funktion ist streng monoton wachsend (fallend).
Aufgabe 2.22 Lösen Sie 3x + 3−x = 6.
√
Aufgabe 2.23 Lösen Sie 3 + 3x + 1 = x.
Aufgabe 2.24 Lösen Sie x4 − 3x2 + 1 = 0.
Aufgabe 2.25 Löse 2e2x + 3ex = 27.
Aufgabe 2.26 Es sei f (x) = 3x + x2 und g(x) = 1 + x + x2 . Bilde h(x) = f (g(x))
und h(x) = g(f (x)).
√
Aufgabe 2.27 Diskutiere die Funktion f (x) = x3 − 3x2 + 2. Bestimme den Definitionbereich und ihre Maxima.
√
Aufgabe 2.28 Erläutern Sie, warum sich x2 + 2 für große x wie etwa |x| verhält.
Was ist der Fehler?
Aufgabe 2.29 Das DIN-Format für Papier ist so beschaffen, daß, wenn man einen
DIN-An-Bogen halbiert, ein DIN-A(n + 1)-Bogen entsteht, der zu dem ursprünglichen Bogen ähnlich ist. Wie ist das Verhältnis der Kantenlängen?
√
Aufgabe 2.30 Es sei f (x) = x2 + 3x − 2, g(x) = x + 1 und h(x) = x3 + 1.
Bestimme
a) f ◦ g ◦ h, h ◦ g, g ◦ h.
b) Untersuche die Funktionen auf Monotonie.
2.4 Lineare Funktionen
57
c) Durch Einschränken auf einen geeigneten Bereich mache die Funktionen injektiv und bestimme f −1 und g −1 .
Aufgabe 2.31 Es seien f , g monoton wachsend. Dann ist f ◦ g monoton wachsend.
√
Aufgabe 2.32 Es seien f (x) = (x4 + 1), g(x) = x2 und h(x) = 1 + x. Bestimme
f ◦ g ◦ h(x) sowie den Wertebereich dieser Funktion.
Aufgabe 2.33 Zu f (x) = x3 − 1 bestimme f −1 .
2.4
Lineare Funktionen
(AB Abschnitt 1)
Die einfachsten Funktionen sind die linearen Funktion. Für den Fall einer unabhängigen Veränderlichen haben sie die Form
f (x) = mx + b
m
α
1
Normalform
(2.22)
Der Graph einer solchen Funktion ist eine Gerade y = mx + b. Dabei gibt b den
Schnittpunkt dieser Geraden mit der yAchse an, während m die Steigung ist:
tanα = m.
b
Viele Vorgänge in der Natur werden durch lineare Funktionen beschrieben oder
können dadurch angenähert werden.
Beispiel 2.16 Ist P die mechanische Leistung, die ein Sportler (Tier) erbringt, und
O der Sauerstoffverbrauch, so gilt eine Beziehung der Form O = B + mP .
Dabei ist B der Basisverbrauch, der zur Aufrechterhaltung des Systems dient. m
dagegen setzt sich zusammen aus dem Wirkungsgrad γ, der die Umwandlung chemischer Energie in mechanische Energie beschreibt, sowie dem Sauerstoffäquivalent
a; m = γa .
Beispiel 2.17 Wird in einem System die Substanz XY mit der konstanten Rate m
erzeugt, so ist der Gesamtertrag E zur Zeit t:
E(t) = E(0) + mt.
Gerade das letzte Beispiel macht deutlich, daß lineare Funktionen bei der Beschreibung von Naturvorgängen dann auftreten, wenn das Gesetz der “proportionalen
Zuwächse” bzw. der “konstanten Rate” gilt.
58
Funktionen
Beispiel 2.18 Der Energieverbrauch beim Laufen ist über weite Bereiche (beim
Menschen 0-8 m/sec) eine lineare Funktion der Geschwindigkeit, P (v) = P0 + P1 v.
Beispiel 2.19 Der Wasserdruck in at ist eine lineare Funktion der Wassertiefe d:
d
P (d) = 1 + 10
. Erläutern Sie diese Beziehung.
Wegen der Einfachheit der linearen Beziehung zieht man dieses Gesetz auch dann
heran, wenn es nur approximativ gilt. Wir werden dies später noch genauer untersuchen.
Neben der Normalform (2.22) sind noch andere Beschreibungen für Geraden üblich.
Punkt-Steigungsform
Ist von einer Geraden bekannt, daß sie die Steigung m hat und P = (x1 , y1 ) auf der
Geraden liegt, so hat diese die Form
y − y1 = m(x − x1 ).
(2.23)
Zwei-Punkte-Form
Liegen die Punkte P = (x1 , y1 ) bzw. Q = (x2 , y2 ) auf einer Geraden, so hat diese die
Form
(x2 − x1 )(y − y1 ) = (y2 − y1 )(x − x1 ).
Die Steigung dieser Geraden ist also
dreieck zwischen P und Q sieht.
(2.24)
(y2 − y1 )
, wie man leicht aus dem Steigungs(x2 − x1 )
Die allgemeine lineare Funktion
Hängt die Funktion F von den Größen x1 , x2 , . . . , xn linear ab, so hat F die Form
F (x1 , . . . , xn ) = b + a1 x1 + a2 x2 + . . . + an xn .
(2.25)
Natürlich kann man sich den Graphen von F nicht mehr in dieser allgemeinen Form
vorstellen. Dies ist nur noch im Fall n = 2 möglich.
2.4 Lineare Funktionen
59
Ist
F =z
F (x, y) = z = b + a1 x + a2 y
so ist der Graph von F genau die
Ebene, die von den Geraden
z = b + a1 x
y=0
und
y
z = b + a2 y
x=0
x
aufgespannt wird.
Lineare Interpolation
Viele Funktionen verhalten sich für kleine Argumentbereiche annähernd linear. Man
kann sich dies zunutze machen, indem man gewisse Funktionswerte annähernd berechnet.
Beispiel 2.20 Die Funktionstabelle gibt Ihnen
sin 30◦ = 0, 5 und sin 31◦ = 0, 515038.
Sie benötigen den Wert von sin 30◦ 25′ . Ersetzen wir den Sinus zwischen 30◦ und 31◦
durch eine Gerade, so können wir (2.24) mit
25
, y ≈ sin x, x1 = 30, y1 = 0, 5, x2 = 31, y2 = 0, 515038
60
verwenden. Wir erhalten
25
25
(y − 0, 5) = 0, 015038 · (30 +
− 30) = 0, 015038 ·
60
60
oder
y = 0, 506266.
x = 30 +
Beispiel 2.21 Ein Testkörper hat um 13 Uhr eine Temperatur von 27◦ und um
14 Uhr eine Temperatur von 28, 5◦ . Dann hat er um 13.20 Uhr annähernd eine
Temperatur von 27 + 1, 5 · 20
= 27, 5◦ .
60
Beispiel 2.22 Es ist 21,6 = 3, 031433 und 21,5 = 2, 828427.
Für welchen x-Wert gilt 2x = 3? Hier ist nach dem angenäherten x-Wert gefragt.
Wir verwenden wieder (2.24) mit
y = 3, y1 = 2, 828427, x1 = 1, 5, y2 = 3, 031433, x2 = 1, 6.
Also
0, 1(3 − 2, 828427) = (3, 031433 − 2, 828427)(x − 1, 5).
Man erhält x = 1, 584516. Der genaue Wert ist übrigens 1,5849625.
60
Funktionen
Aufgabe 2.34 Man bestimme die Gleichung der Geraden durch den Punkt (3,3)
mit der Steigung 2.
Aufgabe 2.35 Liegen die Punkte (1,1) und (3,2) und (7,4) auf einer Geraden?
Aufgabe 2.36 Zwei Geraden heißen parallel, wenn sie entweder gleich sind oder
sich nicht schneiden. Man zeige, daß parallele Geraden die gleiche Steigung haben.
Aufgabe 2.37 Bestimme die Gleichung der Geraden durch P = (1, 2), die parallel
zu der Geraden durch (13,19) und (17,36) ist.
Aufgabe 2.38 Bestimme die Gleichung aller Geraden durch (1,3).
Aufgabe 2.39 Es sei F eine lineare Funktion von zwei Variablen x, y, so daß die
Punkte (x1 , y1 , z1 ) = (1, 1, 7), (x2 , y2 , z2 ) = (3, 4, 10) und (x3 , y3 , z3 ) = (2, 6, 17) auf
dem Graphen von F liegen. Bestimme F !
Aufgabe 2.40
a) Die Länge von Metallstäben ist in nicht zu großen Temperaturbereichen eine lineare Funktion der Temperatur. Beschreiben Sie die Länge
l eines Kupferstabes, der bei 0◦ C 1, 5m lang ist als Funktion der Temperatur
T im Bereich T ∈ [0, 100].
b) Wie könnte man Metallstäbe zur Temperaturmessung verwenden?
c) Wie funktioniert das bekannte Quecksilberthermometer?
Aufgabe 2.41 Aufgrund des Gasgesetzes ist das Volumen V einer festen Gasmenge
bei festem äußeren Druck eine lineare Funktion der Temperatur. Beschreibe V (T )
für 1l Luft bei 0◦ C. Was ist die Dichte von Luft bei 0◦ bzw. bei 20◦ C?
Aufgabe 2.42 Was ist die Dimension von m in Beispiel 2.17?
Aufgabe 2.43 Zeige, daß die Steigungen m1 und m2 von 2 Geraden, die sich senkrecht schneiden, m1 · m2 = −1 erfüllen.
Aufgabe 2.44 Unter Verwendung von Aufgabe 2.43 bestimme die Gleichung der
Geraden, die senkrecht zu y = 2x + 7 ist und durch (1, −1) geht.
Aufgabe 2.45 Bestimme die Gleichung einer Geraden durch (1, 7), die parallel zur
Geraden durch (2, 3) und (6, 9) ist.
Aufgabe 2.46 Zeichnen Sie die Bereiche für die Ungleichungen
y ≤ 2x + 1, y + 3x > −2, y > −x + 1,
und bestimmen Sie den Durchschnitt.
2.5 Polynome; rationale Funktionen
2.5
61
Polynome; rationale Funktionen
(AB Abschnitt 4)
Die unmittelbare Verallgemeinerung der lineare Funktion ist die quadratische Funktion
F (x) = a + bx + cx2 .
(2.26)
Ihr Graph ergibt eine Parabel. Die Gleichung einer Parabel läßt sich leicht auf Normalform bringen, aus der die Eigenschaften leichter abzulesen sind. Es gilt nämlich
a + bx + cx2 = c[x2 + cb x + ( 2cb )2 − ( 2cb )2 + ac ]
b2
)
= c(x + 2cb )2 + (a − 4c
2
= c(x − A) + B
Die allgemeine Parabel erhält man also
aus der speziellen Parabel y = x2 durch
Strecken x2 → cx2 und verschieben - der
Nullpunkt wird nach (A, B) verschoben.
B
A
Aufgabe 2.47 Wende Polynomdivision mit Rest an:
1. (x3 − 1) : (x − 1)
2. (x4 − 1) : (x − 1)
3. (xn − 1) : (x − 1)
4. (7x4 + 3x3 − 7x2 + x − 1) : (x + 1)
5. (3x5 + 7x3 + 2x2 ) : (x2 − 2x + 1)
Das Lösen von Gleichungen
Eine quadratische Gleichung wird am einfachsten auf die folgende Weise gelöst.
62
Funktionen
ax2 + bx + c = 0
Gleichung:
Division durch a:
Quadratische Ergänzung:
Wenn − ac +
b 2
2a
b
c
x2 + x = −
a
a
2
b
auf beiden Seiten addieren
2a
2
2
b
b
c
b
2
=− +
x + x+
a 2a
a 2 2a
2
b
c
b
x+
=− +
2a
a
2a
< 0, so gibt es keine Lösung. Andernfalls erhält man
b
=±
x+
2a
s
b
x=− ±
2a
s
oder
c
− +
a
c
− +
a
b
2a
2
b
2a
2
Noch allgemeinere Funktionstypen sind die Polynome. Sie haben die Form
F (x) = a0 + a1 x + a2 x2 + . . . + an xn .
(2.27)
Das Polynom F hat den Grad n, wenn an 6= 0. Eine Funktion F heißt rational,
P (x)
wenn F als Quotient zweier Polynome geschrieben werden kann: F (x) = Q(x)
. Mit
Hilfe der Polynomdivision kann man einen solchen Ausdruck immer in der Form
P2 (x)
P (x)
= P1 (x) +
Q(x)
Q(x)
schreiben. Dabei sind P1 und P2 Polynome mit Grad P2 < Grad Q.
Wir wollen hier die Polynomdivision nur an 2 Beispielen demonstrieren. Wichtig ist
dabei, daß man immer mit den höchsten Potenzen anfängt.
Beispiel 2.23 (x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) Die höchste Potenz ist hier x4 ,
x4
beim Divisor 2x und 2x
= 21 x3 . Also
1
(x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) = x3 + . . .
2
Nun wird abgezogen
5
0 · x4 + x3 − 5x2 + 3x − 5
2
2.5 Polynome; rationale Funktionen
63
Jetzt wiederholt sich das Spiel
1 3
x
2
5
+ x2
4
25 2
− x
+3x
4
25
25
− x2 − x
4
8
49
x
8
49
x
8
−5
−5
49
16
129
−
= Rest
16
+
Ergebnis: (x4 + 3x3 − 5x2 + 3x − 5) : (2x + 1) = 21 x3 + 54 x2 −
25
x
8
+
49
16
−
129 1
16 2x+1
Beispiel 2.24
(3x5 +6x4
3x5 +6x4
3x3
3x3
+3x2 +2)
: (x2 + 2x − 1) = 3x3 + 3x − 3 +
−3x3
+3x2 +2
+6x2 −3x
−3x2 +3x +2
−3x2 −6x +3
9x −1 = Rest
9x−1
x2 +2x−1
Auch wenn die Polynome eine bedeutende Funktionenklasse der Mathematik darstellen, spielen sie bei der Beschreibung von Naturvorgängen eine untergeordnete
Rolle, weil zum einen Polynomgesetze relativ wenig auftreten und weil zum anderen
den Koeffizienten a0 , a1 , . . . , an nur schwer eine unmittelbare Bedeutung zugeordnet
werden kann. Aus diesem Grunde wird man in Anwendungen neben den linearen
Funktionen meist nur noch quadratische Polynome antreffen.
Aufgabe 2.48 Löse:
√
a) x = x + 12
√
b) x − 4 = x − 2
2
4
c) 1 − x2 + x24 = 0
√
√
d) 2x − 4 − 3x − 4 = −2
Aufgabe 2.49 Löse:
2
1
a) y 3 − 4y 3 = 12
√
√
b) x − 1 − 3x − 2 = −1
c)
2
x4
+
1
x2
+4=0
64
Funktionen
Aufgabe 2.50 a) e2x − 5ex + 6 = 0
b) e2x + 5ex + 6 = 0
Aufgabe 2.51 Für welche x gilt die Ungleichung
4x − 3
a)x2 ≤ −3x + 4 bzw. b)
≥0
1 − 4x
Aufgabe 2.52 Wende Polynomdivision auf die folgenden Beispiele an:
a) (3x4 − 7x3 + x2 − 1) : (x + 1)
b) (2x5 − 10x4 + 7x3 − 3x) : (x2 + 1)
c) (3x7 + 8x6 + 6x5 + 3) : (x3 + 3x2 + 1)
Aufgabe 2.53 Bringen Sie die folgenden rationalen Funktionen durch Polynomdivision auf die Form Polynom plus rationale Funktion
x7 + 3x4 − 19x
,
x2 − 1
x5 − 1
,
x−1
x4 + x3 − 3x + 2
.
x3 + 2
Aufgabe 2.54 Chlor hat eine relative Atommasse von 35,453. Es besteht aus den
Isotopen Cl35 und Cl37 mit relativen Atommassen 34,969 und 36,966. Wie hoch sind
die Anteile?
Aufgabe 2.55 Bestimmen Sie alle kubischen Polynome mit den Nullstellen 1, 2, 3.
2.6
Potenzfunktionen
(A II Abschnitt 4)
Mathematik 10. Schuljahr, Mathematik Heute 10, Schroedel, Schöningh
Häufiger findet man in der Biologie schon die Potenzfunktionen. Sie haben die Form
F (x) = axb
a, b ∈ R,
DF = [0, ∞).
(2.28)
Beispiel 2.25 Oberfläche eines Würfels O als Funktion des Volumens V .
2
Es gilt O = 6a2 und V = a3 . Also O = 6V 3 .
Bei einer Kugel haben wir entsprechend
O = 4πa2 und V = 43 πa3 . Also
O = 4π ·
3
V
4π
23
1
2
= 3 3 · (4π) 3 V
2
3
= 4, 836 · V
2
3
Etwas allgemeiner erwartet man für geometrisch ähnliche Körper ein Gesetz der
Form
2
O = CV 3 .
Dabei hängt C nur von der speziellen Gestalt des Körpers ab.
(2.29)
2.6 Potenzfunktionen
65
Allometrische Gesetze
In der Biologie sind diese von der Form
F = a · Mb
a, b ∈ R.
Dabei ist M meist die Masse. Mißt man alles in kg, erhält man z.B. für Tiere
Skelettgewicht =
Gehirngewicht =
0,1
0,01
·M 1,13
·M 0,7
Gehirngewicht (Menschenaffen)
Leistung
Sauerstoffverbrauch (l/min)
Herzschlagfrequenz (Schläge/min)
Blutvolumen (l)
Herzgewicht
=
=
=
=
=
=
kM 0,66 , k ∈ [0, 03; 0, 04]
3, 416 · M 0,734 (Kleibers Gesetz)
0, 0116 · M 0,76
1
241 · M − 4
0, 055 · M 0,99
6, 0 · 10−3 · M 0,98
Die spezifische Leistung bzw. spezifische Stoffwechselintensität ist dann
P
= 3, 416W −0,266
W
P
]=
wobei [ W
W
kg
(Kleibers Gesetz)
und [W ] = kg ist.
(w)
Elefant
1000
Bull
Horse
Cow and Steer
100
Woman Man
Dog
Cat
10
Rat
Pigeon
!
Small Bird
0,1
10g
Mouse
100g
1kg
10kg
100kg
1000kg
5000kg
Maus-Elefanten Kurve
Quelle: Pedley, T.J. (Hrdg.): Scale Effects in Animal Locomotion,
New York-London-San Francisco 1977, p.11.
Weitere Beispiele findet man in den folgenden Büchern bzw. Artikeln:
(2.30)
66
Funktionen
K. Schmidt-Nielsen:
T.J. Pedley:
T. McMahon:
W.R. Stahl:
H. Lin:
Scaling
Scale Effects in Animal Locomotion
On Size and Life
Similarity and Dimensional Methods in Biology Science
1962 p. 205
Fundamentals of zoological scaling 1982, Aus. J. of Phys.
50.
Inzwischen gibt es auch ein Kleibersches Gesetz für Pflanzen und die daraus resultierende Aussage über Populationsdichten (B. Enquist et al. Nature 395, 1998, p.163).
In dem Artikel “The Fourth Dimension of Life”, Science 284 (1999), p. 1677, leiten
West et al. solche Skalengesetze aus fraktalähnlichen Netzwerken her. Eine umfangreiche Daten- und Materialsammlung zur Skalierung findet man auch in C.R. Taylor
et al. J. Exp. Biology, 1982, 1-21. Eine weitere Quellensammlung ist in Am. J. Physics 69 2001, 938-942 zu finden. Tatsächlich erscheint so etwa jedes Jahr mindestens
1 Artikel zu den Skalengesetzen in der Biologie. Hier sind noch ein paar Quellen:
Nature 418 2002, 527; Nature 417 2002 931 und 166; Science 296 2002, 1029-31,
Nature 423 2003, 165-168.
Kitteredge (J. of Forestry (1944)) hat eine Reihe von allometrischen Beziehungen
zwischen Belaubung und Größe von Bäumen dokumentiert.
1000
500
100
l = 24, 09 · d0,66
50
3
5
7
10
30
50
70 100
Mitteldurchmesser des Humerus von afrikanischen Antilopen als Funktion der Länge
Viele Naturgesetze lassen sich durch verallgemeinerte Potenzfunktionen der
Form
F (x, y) = cxa y b
(2.31)
beschreiben. In den Wirtschaftwissenschaften z.B. wird die Funktion
P = cK a y b
2.6 Potenzfunktionen
67
Cobb-Douglas-Produktionsfunktion genannt. Dabei bezeichnet P die Produktion, K das Kapital und y die Arbeit. Fuchs hat die Macht M eines Landes durch
eine Funktion der Form
M = dB a S b E c
beschrieben. Dabei ist B die Bevölkerungszahl, S die Stahlproduktion und E der
Energieverbrauch. Beim Studium der Wärmeverluste von Tieren durch die Oberfläche O benötigt man semi-empirische Formeln für O; da diese schwer zu messen
ist, schreibt man
O = cM a Lb .
Dabei ist c eine Konstante, M die Masse und L eine typische Länge. Da die Dichte
bei Tieren ziemlich genau 1 ist, gilt V = M . Aus Dimensionsgründen muß dann
2 = 3a + b sein (Begründung).
Die Formel für die Oberfläche eines Menschen von Du Bois ist
O = 0, 007184 · G0,425 · H 0,725
O in m2 , H in cm, G in kg.
Aufgabe 2.56 Wandle diese Formel so um, daß sie im m-kg-sec-System gilt!
Aufgabe 2.57 Angenommen das Volumen eines Tieres wird um 20% vergrößert
(verkleinert), wie verändert sich dann die Oberfläche bzw. Masse?
Aufgabe 2.58 Die Energieabgabe eines Tieres ist etwa proportional zur Oberfläche.
Welche Konsequenzen hat das für Tiere in arktischen Regionen?
Aufgabe 2.59 Nehmen wir an, ein Einzeller sei in etwa kugelförmig. Dann ist die
Nahrungsaufnahme proportional zur Oberfläche (Diffusion), während der Verbrauch
in etwa proportional zum Volumen ist. Welche Konsequenz haben solche Überlegungen für die Größe solcher Einzeller?
Aufgabe 2.60 Welche Konsequenzen haben die allometrischen Gesetze für die
mittlere Tonhöhe bei Tieren?
Aufgabe 2.61 Welche allometrischen Beziehungen gelten für Fische oder Tiere, die
im Wasser leben? Ergeben sich zusätzliche Beziehungen aus den Eigenschaften des
Wassers?
Aufgabe 2.62 Warum sind kleinere Tiere besser in der Lage, plötzlich ihre Richtung zu ändern?
Aufgabe 2.63 Zeigen Sie, daß die Sprungkraft der Tiere von ihrer Masse nahezu
unabhängig ist.
Aufgabe 2.64 Warum gibt es in der Schwerathletik (Boxen, Ringen, Gewichtheben) verschiedene Gewichtsklassen? Wie sollte man die Weltrekorde im Gewichtheben skalieren?
68
Funktionen
√
Aufgabe 2.65 Konstruieren Sie eine Intervallschachtelung für 3 2 - 4 Intervalle
(Stellen) -, wenden Sie lineare Interpolation auf das letzte Ergebnis an, und vergleichen Sie es mit dem tatsächlichen Wert.
Aufgabe 2.66 In “Gullivers Reisen” stellten die Leute aus Lilliput fest, daß Gulliver 12mal so groß war wie sie und daher 12 · 12 · 12 = 1728 mal so viel Nahrung
benötige. Ist das korrekt?
2.7
Zins, Zinseszins und Ratenzahlung
Dieser Abschnitt ist zwar für Biologen nicht zentral, gleichwohl sollte jeder die nachfolgenden Überlegungen beherrschen.
Sie bringen K DM zur Bank. Dort wird es mit p% verzinst. Nach einem Jahr haben
Sie
p K1 = K · 1 +
100
auf ihrem Konto. Nach 2 Jahren
p 2
K2 = K · 1 +
100
und allgemeiner nach n Jahren
p n
Kn = K · 1 +
.
100
(2.32)
Beispiel 2.26 Sie legen 5.000 DM fest auf 10 Jahre an. Dann haben Sie nach diesem
Zeitraum bei 4,5% Zinsen 5000 · 1, 04510 = 7765 DM. Legt die Bank wiederum dieses
Geld für 7,5% an oder verleiht es, hat sie am Ende 10.305 DM erzielt und damit
einen Gewinn von 2540 DM gemacht.
Ratenzahlung
Im täglichen Leben hat man es meist nicht nur mit Einmalzahlungen zu tun, sondern
häufig werden gleiche Beträge R in regelmäßigen Abständen ein- oder ausgezahlt
(Raten, Renten, Pensionen . . .). Nehmen wir also an, Sie zahlen jährlich am Anfang
des Jahres den Betrag R auf ein Konto ein und das Geld werde wieder mit p%
verzinst. So haben Sie am Ende des ersten Jahres
p
p
K1 = R · (1 +
) = Rq
q = (1 +
).
100
100
Am Ende des zweiten Jahres
K2 = Rq(Das Geld von diesem Jahr) + Rq 2 (Das Geld vom Vorjahr).
Am Ende des dritten Jahres
K3 = Rq + Rq 2 + Rq 3
2.7 Zins, Zinseszins und Ratenzahlung
69
und allgemeiner am Ende der n-ten Jahres
Kn = Rq + Rq 2 + . . . + Rq n
= R(q + q 2 + . . . + q n ).
(2.33)
Am Anfang des (n + 1)-ten Jahres, gerade nach der Einzahlung haben Sie einen
Kontostand von Kn + R oder
R(1 + q + q 2 + . . . + q n ) = Kn+1 (Jahresanfang).
(2.34)
Wir müssen nun noch S = 1 + q + . . . + q n bestimmen. Schreibe
qS = q + q 2 + . . . + q n + q n+1
S =
1 + q + q2 + . . . + qn
und
und subtrahiere
oder S(q − 1) = q n+1 − 1 oder
qS − S = q n+1 − 1
S = 1 + q + . . . + qn =
q n+1 − 1
q−1
Dies ergibt dann
Kn+1 (Jahresanfang) = R
q 6= 1.
q n+1 − 1
.
q−1
(2.35)
(2.36)
Bei monatlichen Verzinsungen nimmt man übrigens meist: Monatszinssatz = Jahreszinssatz/12. Natürlich muß dann die Laufzeit auch in Monaten gerechnet werden.
Fragen Sie mal nach, ob Ihre Bank das macht.
Beispiel 2.27 Sie haben für Ihr Haus, das Sie auf Leibrente gekauft haben, 20 Jahre
lang monatlich 1500 DM gezahlt. Bei einem “Bausparkassenzinssatz” von jährlich
5,5% haben Sie also nach 20 Jahren eine Leistung von
1500 · 12 ·
q 21 − 1
1, 05521 − 1
= 18000 ·
q−1
0, 0055
= 18000 · 37, 786076
= 680149DM
erbracht.
Bei monatlicher Verzinsung wären es gar
1500 ·
5, 5
2, 165685
q 21·12 − 1
mit q = 1 +
= 1500 ·
· 1200 = 708761
q−1
1200
5, 5
Sie sehen schon, monatliche Verzinsung wäre günstiger.
Wir wollen dies nun auf Ratenzahlungen anwenden, mit monatlicher Verzinsung.
70
Funktionen
Für ihre Wohnung haben Sie sich endlich den neuen Fernseher mit Videorecorder
für A DM gekauft. Bei einem monatlichen Zinssatz von p% zahlen Sie für n Monate
pro Monat R DM zurück und haben dann alles getilgt.
Um dieses Problem zu behandeln, machen wir eine Art doppelte Buchführung, nämlich das verzinste Darlehen bei der Bank sowie die Gesamtsumme der gezahlten
Beträge. Stichtag ist jeweils der 1. Tag im Monat nach der Einzahlung.
1. Monat
2. Monat
3. Monat
..
.
Darlehen
A
Aq
Aq 2
..
.
eingezahlte Beträge
R
Rq + R
2
Rq + Rq + R
..
.
k-ter Monat
Aq k−1
Rq k−1 + . . . + R
wo wieder q = (1 +
p
).
100
Wenn nach n Monaten alles Kapital bezahlt ist, muß
Aq
n−1
= R(q
n−1
gelten.
qn − 1
+ . . . + 1) = R
q−1
(2.37)
Kürzt man in (2.37) durch q n−1 , erhält man
A = R(1 + q
−1
+ ... + q
−(n−1)
1 − q −n
)=R
.
1 − q −1
Als Beispiel betrachten wir A = 2000 und n = 24 bei p =
8
%.
12
(2.38)
Wir erhalten
A = 22258 · R
oder R = 89, 86. In dieser Zeit haben Sie 89, 86 · 24 = 2156, 53 DM gezahlt.
Beispiel 2.28 Für den Bau eines Hauses haben Sie ein Darlehen von DM 250.000
aufgenommen. In 30 Jahren soll dies zurückgezahlt werden, wobei die Raten nachschüssig bezahlt werden. Welche Rate haben Sie bei p = 7, 5% jährlich (monatlich
bei monatlicher Verzinsung zu zahlen)?
Es gilt D = 250.000, r = 1, 075
r30 − 1
r−1
und man erhält R = 21.167, 81 oder eine Monatsbelastung von 1764,–. Bei monatlicher Verzinsung erhält man
Dr30 = Rr29 + · · · + R = R
0, 075
r360 − 1
, r =1+
r−1
12
und damit R = 1.748, 04. Will man das Haus sogar erst in 100 Jahren abbezahlen,
erhält man bei jährlicher Verzinsung
Dr360 = R
r100 − 1
r = 1, 075
r−1
und damit R = 18.763, 57 jährlich (1.563,63 monatlich).
Dr100 = R
2.8 Exponential-Funktionen
71
Aufgabe 2.67 Sie verzinsen 10 Jahre ein Kapitel von DM 10.000 jährlich (monatlich) zu 6% (5%). Um wieviel günstiger ist die monatliche Verzinsung?
Aufgabe 2.68 Für 30 Jahre sparen Sie monatlich DM 200,- für Ihre Altersversorgung. Über 20 Jahre lassen Sie sich das angesparte Geld dann als Rente auszahlen.
Was erhalten Sie, wenn der Zinssatz 7% beträgt?
Aufgabe 2.69 Sie kaufen sich ein Auto für 30.000 DM und haben 10.000 DM angespart. Wie lange müssen Sie monatlich 800 DM abzahlen, wenn der Zinssatz 6%
beträgt?
Aufgaben zur einfachen Verzinsung:
Aufgabe 2.70 Ein Unternehmer hat 4 Darlehen ausstehen: 125 000 zu 4 1/2%, 200
000 zu 5 1/2%, 67 500 zu 6% und 160 000 zu 4%. Die Bank bietet eine Umschuldung
der ganzen Summe zu 5% an. Ist das günstig?
Aufgabe 2.71 Die XY Stiftung finanziert bei 5% Verzinsung 10 Stipendien à 550
Euro, 5 Doktorandenstipendien à 800 Euro sowie die Aufstockung der Biologiebibliothek zu 2 000 Euro. Was ist das Stiftungskapital?
2.8
Exponential-Funktionen
(AII, Abschnitt 5)
Es sei a > 0. Dann genügt die Funktion
F (x) = ax
DF = [0, ∞)
(2.39)
der Beziehung
F (x + y) = ax+y = ax · ay = F (x) · F (y).
(2.40)
Die Umkehrung davon ist fast richtig, denn unter geringen Zusatzforderungen impliziert (2.40) auch (2.39).
Die Exponentialfunktion F (x) = ax hat etwa den folgenden Verlauf:
20
a=e
15
10
a=
1
2
5
a=2
0
-3
-2
-1
0
1
2
3
72
Funktionen
Sie ist also streng monoton wachsend für a > 1, und ihr Wertebereich ist WF =
[0, ∞). Für 0 < a < 1 ist sie streng monoton fallend. Neben (2.40) gilt noch
(ax )y = ax·y d.h. F (x)y = F (x · y).
(2.41)
t
Beispiel 2.29 Das Gesetz des radioaktiven Zerfalls ist y(t) = y(0)2− T . Dabei ist T
die Halbwertszeit. Man beachte, daß Tt dimensionslos ist.
Aufgabe 2.72 Berechne
1. a1/2 · a3/4 · (a2/7 )14
2.
a2/3 a−1/6
(a1/3 a−1/4 )
3. (x1/3 x4/7 )1/3
4.
(a1/5 a1/4 )2
(a−1 a1/3 )3
Aufgabe 2.73 Aus 2.40 für x, y ∈ Q leite 2.41 für x, y ∈ Q her.
Logarithmen
Da die Exponentialfunktion F (x) = ax streng monoton ist, gibt es eine Umkehrfunktion dazu. Diese wird mit loga x bezeichnet und Logarithmus zur Basis a
genannt.
Aufgrund der Definition der Umkehrfunktion haben wir also
loga ax = x, x ∈ R
aloga x = x
bzw.
(2.42)
x > 0.
Ferner ist Dloga x = R+ denn Wax = R+ und Wloga x = R. Wegen (2.40) und (2.41)
gilt für x, y > 0
loga (x · y) = loga x + loga y; loga xy = y loga x.
′
(2.43)
′
Man sieht dies leicht, wenn man für x bzw. y ax bzw. ay in (2.40) einsetzt.
Mit Hilfe der Logarithmen kann man auch leicht Exponentialfunktionen bzw. Logarithmen ineinander umrechnen. Es gilt nämlich für a, b > 0
x
x
log b· x
(2.44)
ax = a a loga b = aloga b loga b = b loga b
Logarithmiert man anderseits die Beziehung
x = blogb x ,
so erhält man
loga x = logb x · loga b.
(2.45)
2.8 Exponential-Funktionen
73
Aus diesen Grunde genügt es, Exponentialfunktionen bzw. Logarithmen nur für eine
Basiszahl zu berechnen. Übliche Basiszahlen sind a = 10 bzw. aus mathematischen
Gründen a = e = 2, 718281828 . . . = Basis des natürlichen Logarithmus. Man hat
dann noch die Schreibweisen:
log10 x = lgx,
loge x = ln x.
Den Graphen von loga (x) erhält man, wenn man den Graphen von ax an der Geraden
“x = y” spiegelt.
4
a=2
3
a=e
2
1
0
-1
-2
-3
a=
-4
0
2
4
6
8
10
12
14
16
1
2
18
Radioaktiver Zerfall
Es bezeichne y(t) die Menge einer Substanz, die radioaktiv zerfällt. Wie wir noch
sehen werden, gilt das Gesetz des radioaktiven Zerfalls
t
y(t) = y(0)2− T .
(2.46)
Dabei ist T die Halbwertszeit, d.h. die Zeit in der die Hälfte der Substanz zerfallen
ist. t ist eine Stoffkonstante.
In der Biologie werden radioaktive Substanzen zum einen bei der C 14 -Methode verwandt, und zum anderen spielen sie als Spursubstanzen in der Kompartimentanalyse
eine Rolle.
In der oberen Atmosphäre reagieren Neutronen der Höherstrahlung mit dem StickstoffIsotop 14 N und es bildet sich 14 C. Dies ist ein radioaktives Isotop mit der Halbwertzeit 5730a. Dieses C 14 reagiert zu CO2 und es gelangt so in den allgemeinen Kohlenstoffkreislauf. Da laufend 14 C nachgeliefert wird aber auch C 14 laufend zerfällt, hat
sich im Laufe der Zeit ein konstantes Verhältnis der Konzentrationen [14 C]/[12 C] =
C0 herausgebildet. Heute kann man dieses Verhältnis mit Hilfe von Massenspektrometern ziemlich genau bestimmen. Nimmt Kohlenstoffhaltiges Material nicht mehr
am allgemeinen Kohlenstoffkreislauf teil, gilt für das Konzentrationsverhältnis
[14 C]
= C(t) = C0 e− ln 2·t/5730 .
[12 C]
74
Funktionen
Aufgabe 2.74 Libby hat die Aktivität von Kohlenstoff zu 15, 3 ± .15 Zerfälle pro
Minute pro Gramm Kohlenstoff bestimmt. Was ist die Konzentration von 14 C in
12
C? Der Mensch enthält etwa 14 kg Kohlenstoff. Wie radioaktiv sind wir?
Aufgabe 2.75 Tritium (überschwerer Wasserstoff) hat eine Halbwertzeit von 12.43a.
Bestimme die Aktivität von 1µg Tritium. Tritium wird in Wasserstoffbomben verwandt. Wenn das Tritium zu mehr als 40% zerfallen ist, müssen diese neu gefüllt
werden. Wie häufig ist das?
Beispiel 2.30 Bei der Ausgrabung einer Steinzeitsiedlung werden einige Holzkohlestückchen sichergestellt. Es stellt sich heraus, daß der C 14 -Anteil in dieser Holzkohle
nur 40% des üblichen Anteils beträgt. Wie alt ist die Siedlung?
Da die Halbwertszeit von C 14 5750 Jahre beträgt, haben wir
y(t)
t
= 2− 5750
y0
oder
t
log2 0, 4 = − 5750
oder
0, 4 =
5750 log2 2, 5 = t.
Dies ergibt t = 7601 Jahre.
Das Weber-Fechner-Gesetz über Sinnesempfindungen
Mitte des letzten Jahrhunderts untersuchte der Anatom und Physiologe Ernst Heinrich Weber die menschliche Reaktion auf äußere Reize (Schwerkraft, Helligkeit,
Lautstärke). Er stellte fest:
Für jede Art Sinnesempfindung eines Reizes gibt es eine Konstante c, so daß zwei
Reize R1 und R2 , R2 > R1 , nur als unterschiedliche wahrgenommen werden, wenn
ihr Unterschied ∆R mindestens cR1 beträgt.
Aus dieser Beobachtung leitete Fechner dann einige Jahre später ein Gesetz her.
Wir wollen dieses Gesetz nun herleiten und nehmen dazu an, daß es eine diskrete
Folge von Reizstufen R0 , R1 , . . . gibt. Es gilt dann
∆Ri = Ri+1 − Ri = cRi
oder
Ri+1 = (1 + c)Ri .
Dies ergibt
Ri = (1 + c)i R0
d.h. die Sinnesempfindung Si = i wird durch einen Reiz der Stärke Ri = (1 + c)i R0
ausgelöst.
Durch Logarithmieren wird daraus
log Ri = i log(1 + c) + log R0 .
2.8 Exponential-Funktionen
75
Lösen wir diese Gleichung nach i auf, ergibt dies
i=
(log Ri − log R0 )
.
log(1 + c)
Lassen wir in dieser Gleichung nun noch den Hilfsindex i weg und ersetzen ihn durch
Sinnesstärke S und Ri durch R, Reizstärke, so erhalten wir
S = a log R + b.
Dies ist der Grund, warum viele Sinnesempfindungen auf einer logarithmischen Skala
gemessen werden, z. B Lautstärke in db (dezibel).
Aufgabe 2.76 Für eine Größe y gelte ein Potenzgesetz y = a · xb . Dann gilt für ln y
ein Gesetz der Form
ln y = ln a + b ln x
Was werden Sie machen, um ein solches Gesetz zu überprüfen?
Aufgabe 2.77 Für eine Größe y(x) gelte ein Exponentialgesetz y = bax . Welches
Gesetz gilt dann für ln y?
Aufgabe 2.78 Eine radioaktive Substanz nimmt pro Stunde um 1% ab. Bestimme
die Halbwertszeit.
Aufgabe 2.79 Die Wachstumsrate der Weltbevölkerung beträgt zur Zeit etwa 2%.
Wenn 1987 etwa 5 · 109 Menschen leben, wie viele werden es im Jahre 2000 bzw.
2010 sein? Wann würde die Weltbevölkerung 10 · 109 betragen?
Aufgabe 2.80 Die barometrische Höhenformel
h
P (h) = P0 · e− 8435
0 ≤ h ≤ 5000
gibt den Luftdruck P (h) als Funktion der Höhe h (in m) über dem Meeresspiegel
an. Wie groß ist der Luftdruck in Mexiko-City (h = 2200), und für welches h gilt
P (h) = 43 P0 ? Wie groß ist der Luftdruck auf dem Kilimandscharo (h=5900 m)?
Aufgabe 2.81 Löse 8x = 2x+3
Aufgabe 2.82 Ein Standarderdbeben der Energie E0 führt in 100 km Entfernung
auf einem Standard-Seismographen zu einem Ausschlag von 10−6 m. Die Stärke R
eines Bebens auf der Richterskala der Energie E ist dann durch
R = log
E
E0
definiert. Kürzlich wurde ein Beben der Stärke 7,2 beobachtet. Wieviel stärker als
E0 war es?
76
Funktionen
Aufgabe 2.83 Die Lautstärke L einer Schallquelle der Intensität I wird in Dezibel
gemessen. Dabei ist
I
L = 10 log .
I0
I0 ist eine Standard-Schallquelle, die gerade noch gehört werden kann. Flüstern führt
zu etwa 22 Dezibel und eine laute Unterhaltung zu 66 und laute Discomusik zu 110.
Ein Walkman schafft 97-104 db und sogar bis zu 110. Bestimme die Intensitätsquotienten.
Aufgabe 2.84 Das menschliche Ohr nimmt ansonsten gleiche Geräusche als verschieden wahr, wenn sie sich um mindestens 0,6 db unterscheiden. Wie groß ist der
Intensitätsunterschied?
Aufgabe 2.85 Der C 14 Gehalt des Grabtuches von Turin war etwa 93% des Normalgehalts. Kann dies das Grabtuch von Christus gewesen sein? Wie alt ist es
tatsächlich?
Aufgabe 2.86 i) In einer Woche vermehrt sich der Mehlkäfer bei 23◦ C von 1000
auf 1573.
ii) Bei 33, 5◦ C beträgt die Verdoppelungszeit 40,5 d.
Vergleiche die Verdoppelungszeiten.
Aufgabe 2.87 Lösen Sie
log2 (x − 2) + 2 log4 x = 3
Aufgabe 2.88 Der pH-Wert einer Lösung wird durch die H+Ionen-Konzentration
I in Mol pro Liter durch
1
pH = log10 = − log10 I
I
bestimmt. Eine Lösung ist neutral, wenn der pH-Wert 7 ist. Blut hat einen pH-Wert
von 7,4. Bestimme jeweils I.
Aufgabe 2.89 Die Lichtempfindlichkeit von Filmen wird häufig in DIN und ASA
ausgedrückt. Der Zusammenhang zwischen beiden ist durch eine Exponentialfunktion gegeben. Bestimme diese, wenn
21DIN ≈ 100ASA
31DIN ≈ 1000ASA
Bestimme die ASA-Werte zu 18 DIN, 24 DIN und die DIN-Werte zu 40 ASA, 400
ASA.
Aufgabe 2.90 Viele Medikamente, Arzneistoffe oder Drogen werden im Körper
nach einem Exponentialgesetz abgebaut (zur Begründung siehe Abschnitt 6).
Hier ist eine solche Meßreihe
2.8 Exponential-Funktionen
Zeit [h]
Konz. [mg/l]
1
10
3
7
5
5
77
7
3,5
9
2,5
11
2
13
1,5
15
1
17
0,7
19
0,5
Bestimme das zugehörige Gesetz und die Halbwertzeit. Welche Konzentration ergibt
sich nach 10 h?
Aufgabe 2.91 A-Land hat 50 Mio. Einwohner und eine Wachstumsrate von 3%
pro Jahr. B-Land hat 53 Mio. Einwohner und eine Wachstumsrate von 2% pro Jahr.
Wann sind die Bevölkerungen gleich groß?
Aufgabe 2.92 Löse
1. ln
√
3
x + ln x2 + 7 ln x = 27
2. ln 1/(x + 1) + ln(x2 + 2x + 1) = 12
3. 13x = 5x+2
4. ln(5x + 2) − ln(x − 4) = 2
Aufgabe 2.93 Rechne ohne Zuhilfenahme eines Taschenrechners
√
3
1. 2x =
16
2. log2 128
3. log√2 4
4. log1/2 4
Aufgabe 2.94 Bestimme
a) log√2 8
1
2
b) log 1
4
c) log 1 16
4
3
d) log √
4
1
2
e) log15 3 + 21 log15 25
√
f) log 1 3
3
Aufgabe 2.95 Leite aus der Tatsache, daß 210 = 1.024 ≈ 103 , den ungefähren Wert
von log10 2 her. Wie könnte man diesen Ausdruck verbessern?
Aufgabe 2.96 Vereinfachen Sie die Ausdrücke oder werten Sie sie aus.
a)
b)
c)
2
√
2
1
√
6
5
−√2
3√5
√
e √
e
3
3
3
9
d) log3 27
78
Funktionen
e) log√7 343
f) log 1
√
3
7
7
g) log10 0, 00001
h) log27 243
i) log √1 8
2
Aufgabe 2.97 Lösen Sie 25x = 5x+2 .
Aufgabe 2.98 Lösen Sie (3x )x+1 = 32x+2 .
Aufgabe 2.99 Lösen Sie logx2 64 = 3.
Aufgabe 2.100 Zeigen Sie, daß ln(x +
2.9
√
x2 − 1) = −ln(x −
√
x2 − 1).
Graphische Methoden
Bisher haben wir stets vorgegebene Funktionen auf ihre Eigenschaften und Anwendbarkeit in der Biologie untersucht. Dabei waren wir davon ausgegangen, daß
ein Naturgesetz oder eine Gesetzmäßigkeit bereits vorlag. Die Praxis des Naturwissenschaftlers ist es, eine Reihe von vorgegebenen Daten zu beschreiben. Dies kann
nach zwei Gesichtspunkten, die in vielem übereinstimmen, geschehen.
i) Finde ein Gesetz, das die Daten beschreibt.
ii) Überprüfe, ob ein aus einem Modell abgeleitetes Gesetz die Daten beschreibt,
und bestimme, falls erforderlich, die dafür notwendigen Parameter.
Zur Vereinfachung wollen wir nur den Fall einer unabhängigen Veränderlichen und einer abhängigen Veränderlichen betrachten. Als unabhängige Veränderliche kommen
Größen wie die Zeit oder äußere Parameter wie Druck, Temperatur, Substratkonzentration, pH-Wert etc. in Frage. Diese Größen sind in der Regel genau festzulegen. Die
abhängige Größe kann dabei häufig auch noch vom Zufall abhängen. Diese Effekte
sollen jedoch erst im Teil Statistik untersucht werden.
Nehmen wir nun an, die Daten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) seien gemessen worden. Dabei
soll x die unabhängige und y die abhängige Variable bezeichnen.
Hat man noch keinen gesetzmäßigen Zusammenhang, sollte man die Daten in einem
Streudiagramm darstellen. Dieses ist die Darstellung der Datenpunkte (xi , yi ), i =
2.9 Graphische Methoden
79
1, . . . , n, in einem x − y-Koordinatensystem.
y
y
y
I
II
III
IV
x
x
x
Streudiagramme haben den Vorteil, daß der optische Eindruck leichter zu Vermutungen führt oder Gesetzmäßigkeiten nahelegt.
Beispiele für Streudiagramme sind obenstehend gegeben.
Während (I) darauf hinweist, daß kein gesetzmäßiger Zusammenhang besteht, weist
(II) auf eine lineare Abhängigkeit hin.
Im Fall (II) wird man also den Ansatz y = ax + b machen.
In (III) und (IV) gibt es monotone Abhängigkeiten zwischen y und x. Diese lassen
sich z.B. durch Potenzgesetze oder Exponentialfunktionen beschreiben. Ziel bei solcher Untersuchung ist es also, eine Funktion f zu finden, die die Daten möglichst gut
approximiert. Möglichst gut bedeutet dabei, daß die Abweichung möglichst gering
ist.
Für die Abweichung oder den Fehler wählt man üblicherweise
Q(f ) =
n
X
i=1
(f (xi ) − yi )2
(2.47)
d.h. Q(f ) ist die Summe der Abweichungsquadrate des theoretischen Ergebnisses
f (xi ) vom tatsächlichen Ergebnis yi . Andere Möglichkeiten für die Abweichung sind
z.B.
n
P
|f (xi ) − yi |
i=1
n
P
i=1
(f (xi ) − yi )2 wi
Dabei sind die wi > 0 Gewichtsfaktoren, die die Präzision der jeweiligen Messung
beschreiben. Unsere Aufgabe lautet nun also:
Bestimme ein f , für das Q(f ) möglichst gering ist. Auch damit ist unser Problem
immer noch nicht hinreichend umrissen, denn es gilt:
Zu n Punkten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) mit xi 6= xj für i 6= j gibt es genau ein Polynom
P (x) = a0 + a1 x + . . . + an−1 xn−1 mit P (xi ) = yi .
Dies bedeutet, daß man üblicherweise die Daten exakt (d. h., es gilt Q(f ) = 0)
durch ein Polynom beschreiben kann. Der Preis für diese “exakte” Beschreibung
sind n Parameter - für n Daten -, die darüber hinaus noch innerhalb der Theorie
schwer interpretierbar sind.
80
Funktionen
Das Ziel muß es also sein, zur Beschreibung nur möglichst einfache Funktionen zuzulassen, d. h.:
i) Diese Funktionen hängen nur von wenigen Parametern ab.
ii) Die Parameter sind biologisch bedeutsam und erlauben eine vernünftige Interpretation.
iii) Die Funktionenklasse ist für den Problemkreis angemessen.
Mit diesen allgemeinen Überlegungen lautet unser Problem:
Bestimme ein einfaches f , für das Q(f ) minimal wird.
Generell gibt es jedoch kein Standardverfahren, um den Konflikt zwischen Genauigkeit der Darstellung und Einfachheit von f zu lösen.
Lineare Regression
Diese Überlegungen wollen wir für den Fall des Streudiagramms (II) im einzelnen
durchführen. Aufgrund unseres Eindrucks war der Ansatz
f (x) = ax + b
hier vernünftig. Offensichtlich ist der Funktionstyp auch einfach. Wir bilden nun
Q(f ) = Q(a, b) =
n
X
i=1
(axi + b − yi )2
(2.48)
und müssen a und b so wählen, daß Q minimal wird. Wie wir noch sehen werden,
führt dies auf die Gleichungen
n
X
∂Q
=0=2
(axi + b − yi )xi
∂a
i=1
n
X
∂Q
=0=2
(axi + b − yi )
∂b
i=1
P
P
Ihre Lösung ist (mit x = n1
xi , y = n1
yi )
P
P
P
xi yi − nx y
xi yi − y xi
P
= P 2
,
a= P 2
xi − x xi
xi − nx x
b = y − ax.
(2.49)
(2.50)
Als Maß für die Genauigkeit der Darstellung wird auch noch gelegentlich bei linearen
Beziehungen der Korrelationskoeffizient
P
(xi − x)(yi − y)
(2.51)
r= P
1
P
( (xi − x)2 (yi − y)2 ) 2
verwandt.
2.9 Graphische Methoden
81
Nichtlineare Regression
Die Überlegungen, die für die lineare Regression gelten, lassen sich unmittelbar auch
für die nichtlineare Regression anwenden. In diesem Fall wird das gesucht Gesetz
durch eine Funktion f beschrieben, die noch von mehreren Parametern a1 , a2 , . . . , ak
abhängt. Bei der linearen Regression waren dies a und b. Das Ziel ist es dann, diese
Parameter so zu wählen, daß
Q(f ) = Q(a1 , . . . , ak ) =
n
X
i=1
(f (xi , a1 , . . . , ak ) − yi )2
(2.52)
minimal wird. Wie oben führt dies auf
∂Q
= 0 i = 1, . . . , k
∂ai
(2.53)
In Fällen, wo man (2.53) nur schwer explizit lösen kann, ist es häufig möglich, Q
numerisch zu minimieren. Für den Fall etwa, wo f ein Polynom ist, kann man fertige
Programmpakete zur polynomialen Regression verwenden. Auch für den Fall,
in dem f als eine Summe von Exponentialfunktionen dargestellt wird, kann man
bekannte Verfahren verwenden.
Spezialfälle der nichtlinearen Regression
Einige Fälle der nichtlinearen Regression kann man auf die lineare Regression zurückführen. Nehmen wir z.B. an, wir vermuten ein Gesetz der Form
y = axb
x > 0.
(2.54)
Eine solche Situation könnte etwa bei den Streudiagrammen (III) bzw. (IV) vorliegen. Dann führt (2.54) unmittelbar zu
ln y = ln a + b ln x
(2.55)
d. h., zwischen ln y und ln x besteht eine lineare Beziehung.
In diesem Fall sollte man in einem Streudiagramm (ln xi , ln yi ) abtragen. Noch direkter kann man sog. Doppel-Logarithmuspapier verwenden, dabei sind die Skalen
in beiden Richtungen logarithmisch abgetragen. In beiden Fällen müßten die Datenpunkte annähernd auf einer Geraden liegen, wenn (2.54) gilt. Hat man sich so durch
Augenschein davon überzeugt, daß (2.54) sinnvoll ist, kann man die Methode der
linearen Regression auf die modifizierten Daten (ln xi , ln yi ) i = 1, . . . , n anwenden.
Es sollte jedoch klar sein, daß dieses Verfahren nicht identisch ist mit dem oben
beschriebenen Verfahren der linearen Regression, weil hier eine nichtlineare Transformation dazwischen geschaltet ist.
Beispiel 2.31 Gruppen von Fruchtfliegen wurden bei verschiedener Dichte = Fliegen pro cm2 gehalten, und die durchschnittliche Anzahl der gelegten Eier pro Weibchen und pro Tag wurde notiert.
82
Funktionen
30
•
28
26
24
•
22
20
•
18
•
16
•
14
0
10
20
30
40
50
60
70
80
3.5
3.4
3.3
•
3.2
•
3.1
3
•
2.9
•
2.8
2.7
•
2.6
2
2.5
3
Dichte D
Anzahl der Eier N
3.5
5
28,7
10
22,6
4
20
19,5
4.5
40
17,2
80
14,2
Das Ergebnis der Form N = aDb wird vermutet. Wir bilden daher
ln D
ln N
und erhalten
P
ln Di ln Ni
P
(ln Di )2
b=−
1,6094
3,3569
2,3026
3,11795
2,9957
2,9704
P
= 43, 60129
P
= 49, 676261
1, 164802
= −0, 24244
4, 8045694
3,6889
2,8449
und
4,3820
2,6532
ln Di = 14, 9786
ln Ni = 14, 94335
ln a
= 3, 714952
2.9 Graphische Methoden
83
Zum Vergleich notieren wir nun noch die theoretischen Ergebnisse
D
Nth
5
27,79
10
23,4932
20
19,8592
40
16,78725
80
14,1905
Wendet man direkt die nichtlineare Regression an, erhält man
a = 41, 0994,
b = −0, 2429,
Q = 1, 91233
während der Q-Wert für die logarithmisch lineare Regression 1,92124 beträgt.
Der Unterschied ist sicher nicht bedeutsam, macht aber deutlich, daß zwischen beiden Methoden ein Unterschied besteht. Die theoretischen Werte für das nichtlineare
Regressionsverfahren sind übrigens
D
Nth
5
27,7942
10
23,4872
20
19,8476
40
16,7720
80
14,173
Eine Vielzahl von solchen Log-Log-Darstellungen findet man in dem schönen Buch
“Physiologie der Tiere” von K. Schmidt-Nielsen.
Beispiel 2.32 Für die Oberfläche O (in cm2 ) einer bestimmten Tierart werden
die folgenden Werte als Funktion der Länge L (in cm) und der Masse M (in kg)
angegeben.
O
L
M
Oth
1140
21,9
2,82
1138,6
969
14,0
2,28
952,3
2020
31,6
6,51
2005,3
1810
24,5
5,82
1821,7
1870
22,7
6,17
1876,2
Gefragt ist, ob das Gesetz
O = aLb M
(2−b)
3
zur Beschreibung dieser Daten taugt. Es liegt nahe, wieder eine logarithmische Skala
anzuwenden, denn
(2 − b)
ln M
lnO = ln a + b lnL +
3
2
1
= ln a + ln M + b(ln L − ln M )
3
3
ln O − 23 ln M
ln L − 13 ln M
6,3476
6,3175
6,3620
6,3269
6,3206
2,7409
2,3643
2,8287
2,6116
2,5158
84
Funktionen
6.38
3
6.37
6.36
6.35
6.34
6.33
3
6.32
3
3
6.31
6.3
2.2
2.3
2.4
2.5
2.6
2.7
2.8
Man erhält b = 0, 098361 und ln a = 6, 077325 bzw. a = 435, 86.
Vergleicht man die damit bestimmten theoretischen Werte, so stellt man eine sehr
gute Übereinstimmung fest.
Außer (2.54) kann man auch die Situation, in der ein Gesetz der Form
y = aebx
(2.56)
vermutet wird, auf die lineare Regression zurückführen, denn es gilt
ln y = ln a + bx.
(2.57)
Bei der Prüfung, ob (2.56) vorliegt, sollte man in einem Streudiagramm also (xi ,
lnyi ), i = 1, . . . , n, abtragen. Die Datenpunkte müßten dann annähernd auf einer
Geraden liegen. Alternativ könnte man direkt Einfachlogarithmuspapier - hier
ist eine Koordinatenachse logarithmisch eingetragen - verwenden.
Dieses Verfahren ist auch noch anwendbar, wenn
y = a1 e b 1 x + . . . + a k e b k x
b1 < b2 < . . . < bk
(2.58)
gilt. Solche Ausdrücke treten insbesondere im Zusammenhang mit biologischen kKompartiment-Modellen auf. Dabei gewinnt man zunächst bk , ak und wendet das
gleiche Verfahren dann auf y − ak ebk x an (exponential peeling).
Hat man die Daten durch eine geeignete Funktion f beschrieben, ist natürlich noch
nicht sicher, ob das wahre Naturgesetz durch f gegeben ist; eine andere Funktion
könnte ja noch besser passen. Man sollte daher die Funktion f in das Streudiagramm
eintragen und die Abweichungen von f studieren. Diese setzen sich aus den systematischen Abweichungen (falsches f ) und zufälligen Abweichungen zusammen.
So ist z.B. klar, daß die Daten in III und IV wohl kaum durch eine lineare Beziehung
zu beschreiben sind. Auch im letzten Beispiel scheint eine systematische Abweichung
vorzuliegen.
2.9 Graphische Methoden
85
Aufgabe 2.101 Ein Hühnerei wurde 3 Tage bei 37◦ inkubiert. Anschließend wurde
innerhalb von 40 Minuten die Temperatur gesenkt und die Anzahl der Herzschläge
pro Minute gemessen
Temp.
N
36,6
154
35
133
33,9
110
32,4
84
31,8
83
31,8
82
30,4
75
24,7
38
24,2
36
Überprüfen Sie ein Exponentialgesetz der Form
N = N0 e−b(37−T )
Aufgabe 2.102
a) Die Weltrekorde im Gewichtheben sind (1976)
Klasse
Fliegengew.
Bantamgew.
Federgew.
Leichtgew.
Mittelgew.
Leichtes Schwergew.
Mittelschwergew.
Schwergew.
G (kg)
52
56
60
67,5
75
82,5
90
110
Reißen (kg)
105
117,5
125
135
145
162,5
170
175
Stoßen (kg)
137,5
145
160
172,5
190
202,5
212,5
225
Überprüfen Sie eine Beziehung der Form
G = A · Mb
b) Argumentieren Sie, daß b ≈ 32 bzw. 0,75 sein sollte, indem Sie geometrische
Skalierung oder Kleibers Gesetz voraussetzen.
Aufgabe 2.103 Sie sollen ein Gesetz der Form
a) y = Cx bzw. b) y = cx2
überprüfen. Bestimmen Sie die Regressionsbeziehungen für C.
Aufgabe 2.104 Für die Photosyntheserate y als Funktion der Lichtintensität wird
eine Beziehung der Form
y=
1
1
b
bzw. = a +
(a + b/x)
y
x
vermutet. In welcher Darstellung sollten Sie diese Beziehung überprüfen? Bestimmen
Sie a und b für die Daten
x
y
0,200
0,136
0,400
0,176
0,600
0,190
0,800
0,202
1,000
0,205
1,200
0,211
1,400
0,216
1,600
0,217
1,800
0,218
2,000
0,221
Aufgabe 2.105 Drogen und Betäubungsmittel werden häufig nach einem Exponentialgesetz ausgeschieden. Die folgenden Daten geben die verbleibende Restmenge y
(mg) als Funktion der Zeit t(h):
86
t
y
Funktionen
0
175
1
141
2
120
3
96
4
80
5
67
6
54
Aufgabe 2.106 In der einfachsten Theorie zur Enzymkinetik erhält man die sog.
Vs
Michaelis-Menten-Gleichung v =
, die die Produktionsrate v des Endpros+K
duktes mit der Substratkonzentration s in Beziehung setzt. Dabei sind V und K
positive Konstanten. Wie kann man aus Messungen (s1 , v1 ), . . . , (sn , vn ) K und V
bestimmen?
und 1s .)
1
v
(Hinweis: Vergleiche
Aufgabe 2.107 Für die Winkerkrabben wurde die folgende Beziehung zwischen
Gewicht der Schere, y, und Gewicht des Körpers ohne Schere, x, gefunden. Formulieren Sie ein geeignetes Gesetz.
x
y
58
5
300
78
536
196
1080
537
1449
773
2233
1380
Aufgabe 2.108 Sie haben die folgenden Daten gemessen:
x
y
1
464
2
489
3
497
4
506
5
526
6
531
Bestimmen Sie ein geeignetes Gesetz.
Aufgabe 2.109 Die Löslichkeit eines Stoffes in Wasser als Funktion der Temperatur
wurde untersucht. Man fand:
Menge
Temperatur
76
5
80
15
90
25
100
35
105
45
115
55
124
75
Finden Sie ein geeignetes Gesetz.
Aufgabe 2.110 Um ein Insektenvertilgungsmittel zu testen, wurde die Mortalität
nach einer Einwirkungszeit von 30 Minuten in % als Funktion der Konzentration in
µg
gemessen. Finden Sie ein geeignetes Gesetz.
l
Konz.
Mortal.
1
25
1,5
40
2
65
2,5
75
3
84
3,5
90
4
95
5
98
Aufgabe 2.111 Nach Zugabe einer Droge X wurden die folgenden Konzentrationen K im Blut einer Ratte als Funktion der Zeit gemessen.
Zeit
K
.1
.97
.3
.90
.6
.83
.8
.77
1.4
.69
1.6
.60
2.3
.48
3.0
.41
3.5
.34
4.2
.32
4.8
.24
5.3
.19
5.9
.17
Was tun?
Aufgabe 2.112 Um die Wirksamkeit eines antibakteriellen Mittels zu testen, wurde eine Bakterienkolonie damit versetzt und die Anzahl der verbleibenden Tiere
bestimmt.
2.9 Graphische Methoden
Zeit t (Min.)
Anzahl
0
2 · 107
87
10
1, 5 · 106
15
6 · 105
Finden Sie ein angemessenes Gesetz.
20
1, 3 · 105
25
4 · 104
30
8 · 103
Aufgabe 2.113 Nach anstrengender Arbeit wird das Laktat des Muskels in zwei
Kompartimenten abgebaut (Freund, Gendry 1978). Man erwartet also einen Blutkonzentrationsverlauf wie
C(t) = Ae−k1 t + Be−k2 t .
Wie kann man die Koeffizienten A, B, k1 und k2 bestimmen, wenn k1 ≫ k2 ?
Aufgabe 2.114 Nachstehend einige Ergebnisse zu Masse M , Länge L und Oberfläche A bei einigen Tieren. Beschreiben Sie die Daten angemessen durch ein Gesetz
der Form A = kM a Lb .
M (kg)
L (cm)
A (cm2 )
2.82
21.9
1140
2.28
14.0
960
6.51
31.6
2020
5.82
24.5
1810
6.17
22.7
1870
Aufgabe 2.115 T. Carlson (“Über die Geschwindigkeit und Größe der Hefevermehrung in Würze”, Biochem. Z. 57 (1913), p. 313-334) fand die folgenden Daten
über das Wachstum von Hefe (M ) als Funktion der Zeit t (Stunden).
t
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Menge
9.6
18.3
29.0
47.2
71.1
119.1
174.6
257.3
350.7
441.0
513.3
t
11
12
13
14
15
16
17
18
∞
Menge
559.7
594.8
629.4
640.8
651.1
655.9
659.6
661.8
665
Stellen Sie die Daten geeignet dar, und beschreiben Sie das Wachstum.
Aufgabe 2.116 Für die Konzentration C(t) (mg/l) eines Stoffes als Funktion der
Zeit t (Tage) fand man:
88
t (Tage)
0.25
0.5
1.0
2.0
3
4
Funktionen
C
0.825
0.692
0.509
0.322
0.236
0.185
t
5
6
8
10
12
14
C
0.148
0.120
0.081
0.054
0.036
0.024
Stellen Sie die Daten geeignet dar, und beschreiben Sie diese durch ein Gesetz der
Form
Ae−k1 t + Be−k2 t .
Aufgabe 2.117 Für den Sauerstoffverbrauch bei Säugetieren fand man die folgenden Daten (K. Schmidt-Nielsen: “Physiologie der Tiere”):
Körpermasse gesamter O2 -Verbrauch O2 -Verbrauch pro Kilogramm
Tier
Mb (kg)
VO2 (Liter O2 h−1 )
VO2 /Mb (Liter O2 kg−1 h−1 )
Spitzmaus
Zwergmaus
Austr. Hüpfmaus
Maus
Erdhörnchen
Ratte
Katze
Hund
Schaf
Mensch
Pferd
Elefant
0,0048
0,0090
0,015
0,025
0,096
0,290
2,5
11,7
42,7
70
650
3833
0,0355
0,0225
0,0273
0,041
0,09
0,25
1,70
3,87
9,59
14,76
71,70
268,00
7,40
2,50
1,80
1,65
0,93
0,87
0,68
0,33
0,22
0,21
0,11
0,07
Stellen Sie diese geeignet dar, und beschreiben Sie das Ergebnis durch eine geeignete
Funktion.
89
Kapitel 3
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
3.1
Folgen
Schwann, Math. 11. Schuljahr §3,4, Schroedel, Schöningh Mathematik heute
10, Breidenbach, Mathematik 10. Schuljahr
Eine reelle Zahlenfolge ist eine Abbildung a : N → R. Wir schreiben dafür (an )n∈N
oder auch a1 , a2 , a3 , . . . Manchmal beginnt eine Numerierung nicht bei 1, wie etwa
a−2 , a−1 , a0 , . . . bzw (an )∞
n=−2 .
Wenn eine reelle Zahlenfolge vorgegeben ist, so möchte man häufig wissen, ob es Regelmäßigkeiten gibt. Dazu zählen etwa Beschränktheit, Periodizität oder besondere
Bildungsgesetze. Dazu gehören auch asymptotische Eigenschaften wie Konvergenz
oder Häufungspunkte. Wenn nämlich (an ) eine Population zum Zeitpunkt n beschreibt, so möchte man wissen, was langfristig mit dieser Population passiert.
Beispiel 3.1
i)
1
= an
n
ii) an = an , a ∈ R
n2 − 1
iii) 3
= an
n +1
n
= an
2n
√
v) n n! = an
iv)
vi) sin n = an
“Unendliche Summen” oder unendliche Reihen
fassen. Für uns soll stets
∞
P
i=1
∞
P
bi kann man auch als Folgen auf-
i=1
bi die Folge der Partialsummen (
n
P
i=1
bi ) bezeichnen. Sie
spielen in der Mathematik eine große Rolle, um bestimmte Größen wie π, e usw. zu
berechnen.
90
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Neben der expliziten Darstellung (Beispiel 3.1) können Zahlenfolgen auch rekursiv
definiert werden. Dabei wird das Anfangsglied a0 gegeben und die nachfolgenden
Terme werden rekursiv durch die vorangegangenen Glieder bestimmt. Im einfachsten
Fall hat ein solches Rekursivschema die Form
a0 gegeben,
Beispiel 3.2
an+1 = f (n, an )
(3.1)
i) a1 = 1, an+1 = an + (2n + 1) also,
a2 = 4, a3 = 9, a4 = 16, . . .
Die explizite Form in diesem Fall ist offensichtlich an = n2 .
n
. Dann gilt
n+1
1
1
1
1
a2 = , a3 = , a4 = , . . . , a n = .
2
3
4
n
ii) a1 = 1, an+1 = an ·
Im allgemeinen ist es ziemlich schwer, aus rekursiven Darstellungen explizite Darstellungen zu gewinnen.
Bei linearen Beziehungen ist dies allgemein möglich. Wir wollen hier aber nur die
einfachsten Fälle dazu behandeln.
a0 fest,
an+1 = aan + b a 6= 0.
(3.2)
Eine solche Beziehung hatten wir schon bei der Ratenzahlung gesehen. Wir erhalten
a1 = a · a0 + b, a2 = a2 a0 + ab + b, . . .
an = an · a0 + b + ab + . . . + an−1 b
oder
an = an a0 + b
1 − an
.
1−a
(3.3)
Fibonacci Folge Bei einem Gedankenexperiment zur Vermehrung von Kanninchen kam der Kaufmann und Mathematiker Leonardo di Pisa (1180–1250) (Fibonacci) auf die rekursive Folge an+2 = an+1 + an a0 = a1 = 1. Um ein Bildungsgesetz
für Folgen des Typs
an+2 = aan+1 + ban + c
(3.4)
herzuleiten, bestimmt man das charakteristische Polynom dazu
r2 = ar + b.
Sind dann r1 und r2 Lösungen dieser Gleichung, so ist
c
an = Ar1n + Br2n +
1−a−b
(3.5)
eine Lösung der Gleichung (3.4), wenn a + b 6= 1. Dabei sind A und B beliebig. Man
überprüft dies leicht durch Einsetzen
Ar1n+2 +Br2n+2 +
c
ac
bc
= aAr1n+1 +Bar2n+1 +
+bAr1n +bBr2n +
.
1−a−b
1−a−b
1−a−b
3.1 Folgen
91
Hierbei heben sich die verschieden unterstrichenen Terme jeweils weg.
Bemerkung: Die Formel (3.5) bleibt auch richtig, wenn r1 und r2 komplex sind.
Für die Fibonacci Folge erhält man gerade
rn+1 = rn + rn−1
oder
r2 = r + 1.
Diese Gleichung hat die beiden Lösungen
r
√
1
5
1
r± = ±
= (1 ± 5)
2
4
2
(3.6)
und man kann allgemein
n
n
an = A+ r+
+ A− r−
(3.7)
schreiben. Für n = 0, 1 muß gelten
1 = A+ + A−
1 = A+ r+ + A− r−
1
1
A± = (1 ± √ )
2
5
Man kann nun allgemein zeigen, daß an aus (3.7) mit diesem A+ und A− die genaue
Lösung unseres Problem ist.
Allgemeinere Gleichungen dieses Typs kann man nach dem gleichen Verfahren lösen
(siehe etwa S. Goldberg, Differenzengleichungen).
In der angewandten Mathematik und auch in der Biologie spielen die rekursiv definierten Folgen eine große Rolle. Das nächste Beispiel ist typisch für Populationsmodelle der Biologie.
Diskretes logistisches Wachstum
Es bezeichne an die Größe einer Population zur Zeit n sowie g die Geburtsrate und
s die Sterberate. Dann gilt im einfachsten Fall
an+1 − an = (g − s)an
oder
an+1 = aan
a = (1 + g + s).
(3.8)
Die Lösung davon ist
an = an a0 .
(3.9)
Die Lösung (3.9) ist aber nur bedingt richtig, denn bei großen Populationsdichten
führt der intraspezifische Wettbewerb zu einer Zunahme der Sterberate.
Im einfachsten Fall ist diese Änderung linear in der Populationszahl. Wir haben also
an+1 − an = (g − s)an − ba2n ,
b ≥ 0.
92
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Mit r = (g − s) und K =
r
b
gibt dies
an+1 − an = ran (1 −
an
).
K
(3.10)
2
Um (3.10) zu vereinfachen, schreibt man an+1 = (r + 1)an − r aKn . Mit xn =
b = r + 1 gibt dies schließlich
xn+1 = bxn (1 − xn ).
r
a ,
(r+1)K n
(3.11)
Wir nennen diese Beziehung das diskrete logistische Wachstumsgesetz. K wird
dabei die Trägerkapazität des Systems genannt, denn wenn an K überschreitet,
nimmt die Population ab.
Beispiel 3.3 r = 2, K = 1000, a0 = 100
a1
280
a2
a3
683, 2 1116, 1
a20
a30
925, 2 937, 7
a40
945, 4
a4
857
a5
1102, 1
a6
877
a41
1048, 6
a100
964, 7
a101
1032, 8
a7
a8
a9
...
1092, 7 890, 1 1085, 8
Die Frage ist hierbei, wie sich die an für sehr große n verhalten.
In der theoretischen Biologie werden solche Rekursionsgesetze der Form xn+1 =
f (xn ) gerne zur Beschreibung von Insekten- oder Tierpopulationen ohne Generationsüberschneidung verwandt.
1976 haben Hasse, Lawton und May eine große Zahl experimenteller Daten zum
Wachstum von Insektenproblemen durch eine nichtlineare Beziehung der Form
an+1 =
λan
β
(1 + αan−k )
(3.12)
beschrieben. Dabei wurden die Parameter λ und β entsprechend angepaßt. Etwas
allgemeiner hat Clark (J. of Math. Biology 3, 1976) Bartenwalpopulationen durch
eine Beziehung der Form
an+1 = λan + F (an−k )
(3.13)
beschrieben. Dabei ist λ die durchschnittliche Überlebenswahrscheinlichkeit für einen
Wal für ein Jahr und k gibt die Anzahl von Jahren bis zur Geschlechtsreife an. F
beschreibt dann die Anzahl der Nachkommen als Funktion der Populationsdichte.
R. May (Nature 261 (1976)) hat eine Reihe solcher Gesetze auf chaotisches Verhalten untersucht. Hoppensteadt und Keller (Science 1976) sowie der Verfasser (J.
Math. Biol. 2000) haben solche Modelle benutzt, um das periodische Auftreten der
magischen Zikaden zu beschreiben.
Aufgabe 3.1 Es sei a1 = 1 und an+1 = an + (n + 1)2 . Bestimme eine explizite
Formel für an .
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
93
Aufgabe 3.2 Bestimmen Sie die ersten 20 Terme aus dem logistischen Beispiel mit
r = 1, 5, a0 = 100 und K = 1000. Wie verhalten sich die an für große n?
Aufgabe 3.3 Es sei an = 1, 4 und an+1 = 21 (an +
1
).
an
Bestimmen Sie a2 , . . . , a10 .
Aufgabe 3.4 Zeigen Sie, daß die an in (3.7) die Fibonacci Differenzengleichung
erfüllen.
3.2
Konvergente Folgen und Reihen
(Schwann, 11. Schuljahr §4)
Eine Folge (an ) heißt konvergent, wenn es ein a ∈ R gibt, dem die Folgenglieder immer mehr zustreben, d. h. wenn |an − a| für große n immer kleiner wird.
Mathematisch präzisiert wird dies durch die folgende Definition festgelegt.
Definition: Eine Folge (an ) konvergiert, wenn es ein a ∈ R gibt, so daß für jedes
ε > 0 ein n0 = n0 (ε) existiert mit |an − a| < ε für alle n ≥ n0 .
In diesem Fall sagt man auch an konvergiert gegen a und schreibt an → a bzw.
a = lim an . Eine Folge, die nicht konvergiert, nennt man auch divergent.
Eine Folge (an ) heißt Nullfolge, wenn sie gegen 0 konvergiert, d.h. wenn |an | immer
kleiner wird.
Beispiele für Nullfolgen:
b) an = 1/(n + 1)α
d) an = ln n/n
a) an = 1/n
√
√
c) an = n + 1 − n
α>0
Um zu überprüfen, ob eine Nullfolge vorliegt, sollte man einfach (an ) für einige große
Zahlen n bestimmen. Dann bekommt man schon meist eine Idee.
Für Nullfolgen gilt:
(an ), (bn ) Nullfolge ⇒ (Aan + Bbn ) ist Nullfolge
(an ) Nullfolge, (bn ) beschränkt ⇒ (an · bn ) Nullfolge
Um Konvergenz zu verstehen, genügt es ein Gefühl für Nullfolgen zu haben, denn
es gilt (an ) konvergiert gegen a genau wenn (an − a) eine Nullfolge ist.
Bei Populationsmodellen spielt Konvergenz insoweit eine Rolle, als man meist erwartet, daß Populationen sich einem stabilen Gleichgewichtswert - wie beim logistischen
Modell - nähern. Beobachtet werden aber auch periodisches oder sogar chaotisches
Verhalten.
In der Definition von Konvergenz hängt das n0 in der Regel von dem gewählten ε
ab, das den Fehler bei der Annäherung an den Grenzwert angibt.
Es sei (bn ) eine Folge. Dann kann man die Summenfolge sn = b1 + b2 + . . . + bn
∞
P
bilden. Falls (sn ) konvergiert, lim sn = s, so sagt man
bi konvergiert. In diesem
Fall schreibt man auch
∞
P
1
1
bi = s. Falls (sn ) divergiert, so sagt man
P
bi divergiere.
94
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Beispiel 3.4 Wählen wir etwa ε =
i) an =
1
1
bzw. ε =
so ergibt sich für
1000
1000000
n
,
n+1
a = 1, n0 = 1000 bzw. n0 = 1000000
√
ii) Das Beispiel an = n n ist etwas schwieriger.
Zunächst gilt 1 ≤ an . Ferner zeigt man mit Hilfe der Binomischen Formel
n
2
für alle n.
n≤ 1+ √
n
√
Dies gibt sofort 1 ≤ n n ≤ 1 + √2n oder n0 = 4 · 106 bzw. n0 = 4 · 1012 . Diese n0 sind
aber nicht optimal, denn etwas genauer gilt
√
ln n 1
n
+
n≈1+
n
2
ln n
n
2
= f (n).
z. B. haben wir
f (10)10
=
9, 83
100
f (100)
= 99, 843
1000
f (1000)
= 999, 946
Beispiel 3.5 Die harmonische Reihe
∞
P
n=1
1
n
ist divergent, denn
1 1 1 1 1
1 1
1
1
1
1
+ + + + + ... + + +
+ . . . + n−1 + n−1
+ ... + n
2 3 4 5 6
8 9 16
2
2
+1
2
1 1 1 1
1
1
1
1
1
≥ 1 + + + + + ... + +
+ . . . + m−1 + n + . . . + n
2 4 4 8
8 16
2
2
2
1 1 1 1
1 1
= 1 + + + + + ... + +
2 2 2 2
2 2
n
=1+ .
2
1+
Eigenschaften konvergenter Folgen
1. Eine konvergente Folge hat genau einen Grenzwert.
2. Eine konvergente Folge ist beschränkt.
3. an → a, bn → b ⇒ can + dbn → ca + db, an · bn → a b.
4. an → a, bn → b ⇒
an
bn
→ ab , wenn bn , b 6= 0.
Eine Folge (an ) heißt monoton wachsend, wenn an ≤ an+1 für alle n. Entsprechend
definiert man monoton fallende Folgen. Es gilt nun
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
95
5. Eine monoton wachsende Folge, die nach oben beschränkt ist, konvergiert.
Dies hat eine wichtige Konsequenz.
∞
P
bi mit bi ≥ 0 konvergiert genau dann, wenn die Folge der PartialsumEine Reihe
i=1
men beschränkt ist.
Der Vorteil bei der letzten Aussage besteht darin, daß der Grenzwert nicht bekannt
zu sein braucht.
Beispiel 3.6 Es sei an =
3n3 +7n−8
.
4n3 −6n2 +4n−1
Wir kürzen hier durch n3 und erhalten
3 + n72 − n83
3
an =
6
4
1 → ,
4
4 − n + n2 − n3
wenn man (4) anwendet, da
7
, 8, 6
n2 n3 n
→ 0.
Es ist nicht immer einfach, den Grenzwert zu bestimmen. Als einfacher Test bietet
sich an, a100 , a1000 oder so explizit mit dem Taschenrechner auszurechnen. Meist
bekommt man so eine ungefähre Idee, was der Grenzwert wohl sein könnte.
P
1
1
1
1
Beispiel 3.7 Die Reihe ∞
n=1 n2 = 1 + 4 + 9 + 16 + . . . konvergiert. Betrachten wir
die Partialsumme
1 1
1
1
1
1
1
1 + + + ... + 2 ≤ 1 +
+
+
+ ... +
4 9
n
1·2 2·3 3·4
(n − 1)n
1
1
1 1
1 1
1
1
= 1+ 1−
+
+
+ ... +
= 1+1− ≤ 2.
−
−
−
2
2 3
3 4
n−1 n
n
P
π2
1
Der Grenzwert der Reihe ∞
n=1 n2 ist übrigens 6 , wie Euler 1734 zeigte.
Beispiel 3.8 Für |a| < 1 gilt an → 0 und für |a| > 1 gilt |a|n → ∞.
Beweis: Sei |a| = 1 + s > 1. Dann gilt |a|n = !
(1 + s)n = 1 + ns + . . . ≥ 1 + ns → ∞.
n
1
1
n
Wenn |a| < 1 so ist
→ 0.
> 1. Also |a| = 1
|a|
|a|
Das nachstehende Beispiel ist von großer Wichtigkeit und taucht in Anwendungen
immer wieder auf.
Beispiel 3.9 Geometrische Reihe
Es sei |a| < 1. Dann haben wir
1 + a + a2 + . . . + a n =
n
X
ai =
i=0
Also gilt
∞
X
n=0
ban = b
1
1−a
1 − an+1
1
→
.
1−a
1−a
|a| < 1.
(3.14)
96
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Beispiel 3.10 Es gilt
∞
X
n=1
denn
1
=1
n(n + 1)
n
X
1
k(k + 1)
k=1
n
X 1
1
−
=
k k+1
k=1
1
1
1 1
1 1
1
= 1−
+
−
+
−
+ ... +
−
2
2 3
3 4
n n+1
1
=1−
.
n+1
Das folgende Beispiel ist recht kompliziert und kann beim ersten Lesen übersprungen
werden.
Beispiel 3.11 Sei x ≥ 0 und an (x) = (1 + nx )n . Dann ist an monoton wachsend,
konvergent und
an (x) → ex .
(3.15)
Um dieses einzusehen, berechne an (x) mit Hilfe der Binomischen Formel.
Es gilt dann
k n+1
n n+1 x n X n x k X n + 1
x
x
1+
= 1+
=
≤
n
n
n+1
n+1
k
k
k=0
k=0
jedenfalls, wenn
k
k n+1
1
n
1
≤
.
n
n+1
k
k
Schreibt man diesen Ausdruck aus als
(n + 1)n . . . (n − k + 2)
n(n − 1) . . . (n − k + 1)
≤
nn . . . nk!
(n + 1)(n + 1) . . . (n + 1)k!
oder
1
k−1
1
k−1
) . . . (1 −
) ≤ 1 · (1 −
) . . . (1 −
)
n
n
n+1
n+1
so ist die Behauptung unmittelbar klar. Um zu zeigen, daß an (x) konvergiert braucht
man nur die Beschränktheit zu zeigen. Da (1 + nx )n ≤ (1 + ny )n falls x ≤ y, genügt
es, dafür x ∈ N anzunehmen. Nun ist aber (1 + nx )n ≤ ((1 + n1 )x )n = ((1 + n1 )n )x d.h.
an (x) ist beschränkt, wenn dies für x = 1 gilt.
1 · (1 −
Wir haben aber für
n
1
2
10
100
1000
106
an (1) 2 2, 25 2, 5937 2, 705 2, 7169 2, 7182805
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
97
Es sei nun an (x) → a(x). Dann zeigt man an (x)an (y) → a(x + y) oder a(x) · a(y) =
a(x + y). Daraus folgt, daß a(x) eine Exponentialfunktion ist, a(x) = a(1)x = ex
wenn wir noch
1
e = lim(1 + )n
n
definieren.
3.2.1
Verzweigungsprozesse
Schließlich wollen wir noch ein Beispiel betrachten, das der Mathematiker Galton
vor etwa 100 Jahren im Zusammenhang mit dem Aussterben von Familiennamen
untersuchte. Dabei machte Galton die folgenden Aussagen:
i) Der Familienname einer Sippe wird nur über die männlichen Mitglieder vererbt.
ii) Zu allen Zeiten gilt für ein männliches Mitglied der Sippe: Mit der Wahrscheinlichkeit p0 (p1 , p2 , . . . , ) gibt es 0(1, 2, . . .) männliche Nachkommen.
Es sei nun qn die Wahrscheinlichkeit, daß der Familienname mit der n-ten Generation
ausgestorben ist. Dann gilt.
q1 = p 0 .
(3.16)
Stammvater
p0
p1
p2
p3
1. Generation
Um qn+1 zu berechnen, betrachte den Wahrscheinlichkeitsbaum für unser Problem.
Mit der Wahrscheinlichkeit p0 hat der Stammvater keinen Sohn. Mit der Wahrscheinlichkeit p1 hat er einen Sohn, und dessen Nachkommen sind mit der Wahrscheinlichkeit qn in der (n + 1)-ten Generation verschwunden. Mit einer Wahrscheinlichkeit
von p2 hat er zwei Söhne, und die Wahrscheinlichkeit, daß die Nachkommen dieser
Söhne bis zur n-ten Generation aussterben, ist qn2 . Argumentiere analog für p3 , . . . .
Wir haben also
qn+1 = p0 + p1 · qn + p2 qn2 + p3 qn3 + . . . = f (qn ).
Dabei haben wir
f (x) = p0 + p1 x + p2 x2 + p3 x3 + . . .
(3.17)
98
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
gesetzt. (3.16) und (3.17) kann man nun als
q1 = f (0),
qn = f (f (. . . f (0)))
|
{z
}
(3.18)
n−mal
schreiben. Es gilt nun p0 , p1 , . . . ≥ 0. Daher ist f streng monoton, falls p0 < 1. Ferner
gilt
X
pi = 1 = f (1),
da jeder Nachkomme irgendeine Anzahl von Kindern hat. Da f streng monoton ist,
gilt
q1 ≤ q2 = f (q1 ) ≤ q3 ≤ . . .
und die qn konvergieren:
qn → q∞ .
Dann gilt, wie wir noch sehen werden, f (qn ) → f (q∞ ) und qn+1 = f (qn ) → q∞ . Dies
zeigt
f (q∞ ) = q∞ .
(3.19)
Die rekursive Beziehung qn+1 = f (qn ) kann übrigens auch noch sehr schön graphisch
dargestellt werden. Wir finden p0 im Schnittpunkt von f und der y-Achse. Durch
Spiegeln an der Diagonalen findet man p0 auf der x-Achse (q-Achse). Direkt darüber
liegt f (p0 ) = q1 auf der f -Kurve.
Diagonale
f
q1 = f (p0 )
p0
q2
p0 = q 1
q
Nach demselben Verfahren kann man nun q2 = f (q1 ) bestimmen. Das allgemeine
Verfahren, um qn+1 aus qn zu bestimmen, wird aus der Vergrößerung deutlich. Aus
diesen Bildern ersieht man, daß die qn monoton wachsen und gegen den Schnittpunkt
von f und der Diagonalen streben. Dies ist aber genau q∞ , denn f (q∞ ) = q∞ .
Um das q∞ zu bestimmen, müssen wir f noch genauer betrachten. Wir haben hier
2 Fälle
1. p1 + 2p2 + 3p3 + . . . ≤ 1.
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
99
f
1
p0
1
x
In diesem Fall hat f die nebenstehende Form und q∞ = f (q∞ ) hat q∞ = 1 zur
Folge, d.h. der Familienname stirbt langfristig aus.
2. p1 + 2p2 + 3p3 + . . . > 1.
f
q∞
p0
x
In diesem Fall hat f die einzige Lösung von f (q∞ ) = q∞ mit q∞ < 1, denn es
gilt stets qn < q∞ < 1.
Übrigens ist p1 + 2p2 + 3p3 + . . . gerade die Durchschnittszahl von Söhnen. Das bedeutet also, daß der Familienname langfristig nicht sicher ausstirbt, wenn im Durchschnitt mehr als ein Sohn da ist.
In der Biologie hat dieser Prozeß Anwendung auf das Aussterben bzw. Überleben
vorteilhafter Gene.
Hierbei setzt man meist noch
pn = e−λ
λn
n!
so daß
f (x) = e
−λ
(Poisson-Verteilung),
∞
X
λ n xn
n=0
n!
= eλ(x−1) .
(3.20)
100
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
In diesem Fall gilt λ = p1 + 2p2 + 3p3 + . . .
Für verschiedene λ sind die entsprechenden q∞ berechnet worden, siehe z.B. Crow
Kimura, Introduction to Populations Genetic Theory 1970, Harper Row.
Die folgenden Ergebnisse sind eher etwas für Fortgeschrittene, sind jedoch sehr wichtig, wenn man sich intensiver mit Folgen und Reihen beschäftigen muß.
*Populationsmodelle
Viele einfache Populationsmodelle mit nicht überlappenden Generationen, aber auch
Modelle aus der Genetik, führen auf Rekursionsbeziehungen der Form
yn+1 = f (yn ).
Graphisch läßt sich das wie folgt darstellen
f
Q
y=x
Pn
Pn+1
yn+1 yn
Um yn+1 zu bestimmen, geht man also zunächst zum Punkt Pn = (yn , f (yn )). Von
dort zum Punkt Q = (f (yn ), f (yn )) = (yn+1 , yn+1 ) und dann zum Punkt Pn+1 =
(yn+1 , f (yn+1 )) = (yn+1 , yn+2 ) auf dem Graphen von f . Dies iteriert man.
Schnittpunkte der Geraden y = x und der Kurve f (x) heißen Gleichgewichtspunkte.
Es ist also y ein Gleichgewichtspunkt wenn
f (y) = y.
Ein Gleichgewichtspunkt y ist stabil, wenn Punkte y0 nahe bei y zu Folgen yn+1 =
f (yn ) führen, die gegen y konvergieren. Hinreichend dafür ist, dass die Steigung f ′ (y)
von f in y |f ′ (y)| < 1 erfüllt, wie wir später noch sehen werden.
3.2.2
Selektion
Bevor Sie mit diesem Abschnitt beginnen, sollten Sie sich über die Grundzüge der
Genetik informieren. Grundlage der Evolution sind Mutation, Selektion und Isolation. Wir wollen hier die Selektion an Tieren untersuchen, die jeweils einen paarigen
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
101
Chromosomensatz haben (diploid). Genauer wollen wir die Vererbbarkeit einer Eigenschaft untersuchen, die in zwei Ausprägungen a und A vorkommt. Dazu machen
wir die folgenden Annahmen:
1. Die Partnerwahl ist zufällig.
2. Verschiedene Generationen sind getrennt.
3. Mutation und Migration sind vernachlässigbar.
Es bezeichne dann pn (qn ) den Anteil der A(a) Gene. An Genotypen haben wir dann
AA, Aa und aa. Diese Gentypen können zu einem unterschiedlichen äußeren Erscheinungsbild führen (Phänotyp) bzw. Fertilität (Fruchtbarkeit). Insgesamt haben
wir dann das folgende Bild
n-te Generation
Ursprungszellen
der Nachkommen
Paarung
AA
p2n
aA
2pn qn
aa
qn2
Heranwachsen
f = Fitnesskoeff.
fAA Pn2
2fAa pn qn
faa qn2
2gAa pn qn fAa
gaa faa qn2
Paaren+Nachwuchs gAA fAA p2n
g = Fertilität
Häufigkeit
Schreibt man noch gAA fAA = sAA ,. . . für die Selektionskoeffizienten, so erhält man
pn+1 =
rel. Anzahl aller A Gene der n + 1 Generation
2sAA p2n + 2sAa pn qn
=
rel. Anzahl aller Gene der n + 1 Generation
2sAA p2n + 4sAa pn qn + 2saa qn2
Da diese Ausdrücke homogen in pn und qn sind und da pn + qn = 1 gilt, führen wir
eine neue Variable
pn
un =
qn
ein und erhalten
un+1 =
sAA u2n + sAa un
sAA p2n + sAa pn qn
=
= f (un ).
saa qn2 + sAa pn qn
saa + sAa un
Läßt man den Fall sAA = sAa = saa außer acht, da dann pn = const gilt, so bleiben
die folgenden Fälle:
I: sAA ≥ sAa ≥ saa und mindestens eine strikte Ungleichung:
un+1 = un +
(sAA − sAa u2n + (sAa − saa )un
.
sAa un + saa
Hierbei gilt uN ր ∞. Ist sogar sAA > sAa , ist das Wachstum geometrisch, d.h. das
A Gen setzt sich schnell durch. Gilt sAA = sAa , dieses ist bei vielen rezessiven Genen
102
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
der Fall, so gilt un+i ≈ un + (sAa − saa )/sAa , d.h. un divergiert annähernd linear.
f
u1
u0
u2
u
II: sAA > saa > sAa
Für kleine u gilt f ′ (u) ≤ 1 und für große u gilt f ′ (u) ≥ 1. Also gibt es genau ein
u∗ mit f (u∗ ) = u∗ . Im Fall u0 > u∗ gilt un → ∞, im Fall u0 < u∗ gilt un → 0, d.h.
2 +su
u∗ ist ein instabiles Gleichgewicht. Der Fall sAA = saa > sAa führt auf f (u) = u1+su
und ergibt damit das gleiche Bild mit u∗ = 1.
f
f
u 0 u∗ u0
III: sAa ≥ sAA ≥ saa und mindestens eine Ungleichung ist strikt.
u
Wie man dem Diagramm entnimmt, streben alle un mit u0 < u∗ , u∗ Fixpunkt der
Gleichung monoton wachsend gegen u∗ und alle un mit u0 > u∗ streben monoton
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
103
fallend gegen u∗ . u∗ ist ein stabiler Gleichgewichtspunkt.
f
f
u0
u∗
u0
u
Ein Beispiel für dieses Verhalten ist die Sichelzellanämie. Diese wird durch einen
(rezessiven) Enzymdefekt im Hämoglobingen bewirkt. Die Folge sind eine Beeinträchtigung der Lebensdauer der roten Blutkörperchen (Hämoglobinopathie), die
in diesem Fall sichelartig verformt sind. Die Folge ist Blutarmut (Anämie), da die
verformten roten Blutkörperchen schneller in der Milz abgebaut werden. Bei zusätzlichen Infektionen ist dies lebensbedrohlich. In den Tropen bewirkt das Hämoglobin
S-Gen (a) eine erhöhte Malaria-Resistenz. Wir modellieren dieses durch die Werte
sAA = 0, 5, sAa = 1, saa = 0, 1 in den Tropen und sAA = sAa = 1, saa = 0, 1 in nicht
tropischem Gebiet. (rezessive Eigenschaft)
∗ Das Cauchy-Kriterium
Das obengenannte Konvergenzkriterium hat den Nachteil, daß es den Grenzwert a,
den man meist nicht kennt, in der Definition verwendet.
Von großer Bedeutung ist daher das Konvergenzkriterium von Cauchy.
Eine reelle Zahlenfolge (an ) konvergiert genau dann, wenn es für jedes r > 0 ein
n0 = n0 (ε) gibt, so daß
|an − an+k | < ε für n ≥ n0 und alle k.
Folgen, die diese Bedingung erfüllen, heißen Cauchy-Folgen.
Beispiel 3.12 Die Folge (an ) sei induktiv durch a0 = 1 und an+1 =
Dann gilt offensichtlich 1 ≥ an ≥ 21 für alle n und
1
1+an
definiert.
1
4
1 |an − am |
|an+1 − am+1 | = ≤ |an − am |.
−
=
1 + an 1 + am
|1 + an | |1 + am |
9
104
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Daraus erhält man schließlich
2
4
4
|an+1 − an+k+1 | ≤ |an − an+k | ≤
|an−1 − an+k−1 |
9n
n9
1
4
4
|a1 − a1+k | ≤
· → 0.
≤ ... ≤
9
9
2
für n → ∞. Also konvergiert (an ), an → a.
Dann gilt aber auch
1
1
.
→
1 + an
1+a
q
2
sein. Dies zeigt a + a = 1 oder a = 54 − 12 .
a ← an+1 =
Also muß a =
1
1+a
Eine wichtige Konsequenz aus dem Cauchy-Kriterium ist das
Vergleichskriterium
Eine Reihe
∞
P
bi konvergiert, wenn es eine konvergente Reihe
i=1
i=1
Man nennt die Reihe
n
P
∞
P
ci mit ci ≥ |bi | gibt.
ci auch eine Majorante und nennt das Vergleichskriterium
i=1
auch das Majoranten-Kriterium.
Das Vergleichskriterium ist bei weitem das wichtigste Konvergenzkriterium für unendliche Reihen. Als Vergleichsreihe nimmt man dabei besonders gern die geometrische Reihe
∞
X
1
2
3
1 + x + x + x + ··· =
xi =
für |x| < 1.
1
−
x
i=0
Dies führt dann auf die folgenden Kriterien.
P
Wurzelkriterium Eine unendliche Reihe ∞
n=1 bn ist konvergent, wenn es eine
Zahl 0 < a < 1 gibt, so dass |bn |1/n ≤ a für fast alle n.
Beweis: Für fast alle n bedeutet, dass |bn |1/n ≤ a für alle n von einem gewissen n0
ab. Dann aber gilt |bn | ≤ an für n ≥ n. Dann kann man sogar eine Konstante C
finden, so dass
|bn | ≤ can
für alle n.
P
n
Die unendliche Reihe ∞
n=0 Ca aber ist konvergent.
P
Quotientenkriterium Eine unendliche Reihe ∞
n=1 bn ist konvergent, wenn es ein
0 < a < 1 gibt, so dass |bn+1 /bn | ≤ a für fast alle n. Auch hier zeigt man wieder
|bn | ≤ Can für ein geeignetes C.
3.2 Konvergente Folgen und Reihen
105
Die Dezimaldarstellung
Eine reelle Zahl hat eine Darstellung der Form
317, 218765 . . .
oder allgemeiner a−l a−l+1 . . . a0 , a1 a2 a3 . . . ai ∈ {0, . . . , a}. Letzterer Ausdruck steht
dabei für
a−l · 10l + a−l+1 10l−1 + · · · + a0 · 1 −−1 +a2 · 10−2 + a3 · 10−2 + a3 · 10−3 + . . . .
Dieser Ausdruck stellt damit eine unendliche Reihe dar. Diese Reihe konvergiert,
P
denn das n-te Glied an · 10−n läßt sich durch 9 · 10−n abschätzen. Die Reihe ∞
n=1 9 ·
−n
10 ist aber konvergent.
Aufgabe 3.5 Zeigen Sie
n3 + 7n + 1
→0
n4 + 6n2
√
√
√
√
ii) n − 1 − n → 0. (Hinweis: Erweitern Sie mit n + 1 + n)
i)
iii)
√
3
4n2 + 6n + 7 − 2n → .
2
hq
(Hinweis: Schreiben Sie dafür 2n
1+
6n
4n2
+
7
4n2
iv) an = (1 − 12 )(1 − 31 ) . . . (1 − n1 ) → 0
i
−1 )
wenn n → ∞.
Aufgabe 3.6 Falls (an ) konvergent ist, so ist (an − an+1 = bn ) eine Nullfolge.
Aufgabe
3.7 Folgt aus
P
bn ?
P
(an + bn ) konvergent auch die Konvergenz von
P
an und
Aufgabe 3.8 Zeigen Sie: Aus an → a, bn → b und an ≤ bn folgt a ≤ b. Folgt aus
an < bn auch a < b?
Aufgabe 3.9 Zeigen Sie: (1 + n1 )n ≤
≤ 1 + 1 + 21 +
1
2·3
+
1
3·4
+
1
4·5
n
P
k=0
1
k!
+ . . . ≤ 3.
Aufgabe 3.10 Es gelte an → 0. Dann gilt (1 +
an n
)
n
(Hinweis: Wenden Sie die Binomische Formel an.)
Aufgabe 3.11
→ 1.
i) Welchen Bruch stellt 0, 123123 dar?
ii) Bestimmen Sie den Dezimalbruch für
5
.
13
106
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Aufgabe 3.12
i) Man zeige, daß eine Dezimalzahl, die schließlich periodisch
wird, stets einen Bruch darstellt.
ii) Umgekehrt hat jede Bruchzahl eine Dezimaldarstellung, die schließlich periodisch ist.
(Hinweis: zu i) Für den Beweis von (i) verwende Aufgabe 3.11(i).
zu ii) Orientieren Sie sich hier an Aufgabe 3.11(ii) und schauen Sie sich die
auftretenden Divisionsreste an.)
iii) Warum ist die Periodenlänge in
∞
P
1
Aufgabe 3.13 Berechne
2
n=1 n −
Aufgabe 3.14 Konvergiert
7
11
=
1
4
kleiner als 11?
∞
X
n=1
n−
∞ 1
P
?
2
n=1 n
1
2
1
n+
1
2
.
1
1
1
Aufgabe 3.15 Bestimmen Sie q1 , . . . , q10 und q∞ für p0 = , p1 = , p2 = und
4
4
3
1
p3 = (vgl. Gleichungen (3.16) und (3.17)).
6
Aufgabe 3.16 Bestimmen Sie q1 , . . . , q10 und q∞ für pn gemäß Aufgabe 3.15 mit
λ = 2 (vgl. Gleichung (3.20)).
Aufgabe 3.17 Bei einer Kontrolle von Schadinsekten durch sterile Männchen wird
man (Knipling) auf die folgende rekursiv definierte Folge geführt
Nn+1 = r
Nn2
,
(Nn + S)
N0 fest.
Dabei ist Nn die Anzahl der Weibchen in der n-ten Generation, S die Anzahl der
sterilisierten Männchen und r die Vermehrungsrate. Beschreibe das asymptotische
Verhalten von Nn in Abhängigkeit von N0 , S und r. Wann liegt Konvergenz vor?
√
√ √
n + 1 − n n?
Aufgabe 3.18 Konvergiert an =
Aufgabe 3.19 Es sei an =
v
u
u
t
|
2+
s
r
q
√
2 + 2 + . . . + 2. Konvergiert an ?
{z
}
nWurzeln
Aufgabe 3.20 Untersuche die Folge des diskreten logistischen Wachstums mit K =
1000, r = 2 und a0 = 200 auf Konvergenz. Bestimme den Grenzwert.
Aufgabe 3.21 Wie Aufgabe 3.20, aber mit r = 2, 5.
Aufgabe 3.22 Bestimme die ersten 20 Glieder der Folge gemäß 3.16 und 3.20 mit
λ = 1, 1.
3.3 Stetigkeit
107
Aufgabe 3.23 Untersuche auf Konvergenz
√
√
a) n3 + n − n3 − n = an
√
√
b) n3 + n2 − n3 − n2 = bn
√
n2 + 1
c) cn =
n+2
d) dn =
ln(n + 1)
√
n
Aufgabe 3.24 Es gelte an → a, bn → a. Dann gilt für die Folge a1 , b1 , a2 , b2 ,. . . auch
Konvergenz gegen a.
q
1
Aufgabe 3.25 Konvergiert n n+1
= an ?
Aufgabe 3.26 Konvergiert (21/n −
(n+1)
)?
n
Aufgabe 3.27 Sie betreiben eine Fischfarm. Zur Zeit ist der Bestand a0 =25000
Einheiten. Die Kapazität der Anlage beträgt 30000. Die Vermehrungsrate der Fische
ist 25 % pro Jahr. Im Jahre n werde die Menge bn abgefischt. Beschreiben Sie
die Bestandsentwicklung als rekursive Folge. Wählen Sie bn , n = 0, 1, . . ., so, daß
langfristig ein maximaler Gewinn erzielt wird.
Aufgabe 3.28 Zeigen Sie, daß 0, 13999 · · · = 0, 1400 . . . .
Aufgabe 3.29 Rechnen Sie beide Beispiele für die Sichelzellanämie durch.
Aufgabe 3.30 Wie schnell verschwindet ein letales rezessives Gen, z.B. Thalassämie
oder Phenylketonurie sAA = 1 = sAa , saa = 0.
Aufgabe 3.31 Suchen Sie weitere Beispiele für die Selektion und modellieren Sie
diese.
Aufgabe 3.32 Wie wirkt sich die Mutation aus? Was müssen Sie an diesem Modell
ändern? Beschreiben Sie den Verlauf einer vorteilhaften Mutante.
3.3
Stetigkeit
(Schwann, 11. Schulj. §4)
“Die Natur macht keine Sprünge.” Dieser Satz war lange Zeit eine der Maximen der
Naturwissenschaftler. Daher sollten auch nur solche Funktionen, die keine Sprünge
machen oder sich nur wenig ändern, wenn die Argumente sich nur wenig ändern, für
uns von großer Wichtigkeit sein. Die Funktionenklasse, um die es sich hier handelt,
ist die Klasse der stetigen Funktionen. Formal werden sie wie folgt definiert.
Definition: Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem Intervall Df = (a, b). Dann
heißt f stetig in a0 ∈ (a, b), wenn
an → a0 , an ∈ Df ⇒ f (an ) → f (a0 ).
108
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Wir schreiben dann auch limx→a f (x) = f (a), wenn dies für jede Folge an → a gilt.
Dafür genügt also, daß |f (x) − f (a)| beliebig klein wird, wenn |x − a| klein wird.
Ist f stetig in jedem Punkte des Definitionsbereichs, so heißt f stetig.
Stetige Funktionen bilden konvergente Folgen also wieder auf solche ab.
Beispiel 3.13
i) Polynome sind stetig.
ii) Potenzfunktionen sind stetig für x ∈ R+ .
iii) Exponentialfunktionen sind stetig auf R.
iv) Logarithmen sind stetig auf (0, ∞).
Gelegentlich sagt man auch, stetige Funktionen könne man ohne abzusetzen zeichnen.
Eigenschaften stetiger Funktionen
Für stetige Funktionen gelten die folgenden Sätze:
1. Summe, Produkt und Quotient (soweit erklärt) von stetigen Funktionen sind
stetig.
f, g stetig auf I = [a, b] ⇒ f + g, f · g stetig auf I. f /g stetig auf I mit
Ausnahme aller x, wo g(x) = 0. Dort aber ist f /g nicht erklärt.
2. Die Verkettung stetiger Funktionen ist stetig, wenn
f, g stetig ⇒ x → f (g(x)) ist stetig.
3. Zwischenwertsatz: Es sei f stetig auf I = [a, b]. Dann gibt es zu jedem Wert y
zwischen f (a) und f (b) ein c ∈ [a, b] mit f (x) = y.
4. Eine stetige, streng monotone Funktion f auf einem Intervall I besitzt dort
eine streng monotone stetige Umkehrfunktion f −1 .
Dies zeigt beispielsweise, daß x → x1/n , loga x stetig sind.
5. Eine stetige Funktion f auf einem abgeschlossenen Intervall nimmt dort ihr
Maximum und Minimum an.
Die Bedeutung dieser Eigenschaften wollen wir uns an 1 deutlich machen.
Sind also f und g reellwertige Funktionen auf (a, b), die in a0 ∈ (a, b) stetig sind, so
folgt für an → a0
•
•
f (an ) + g(an ) → f (a0 ) + g(a0 )
da f (an ) → f (a0 ) bzw. g(an ) → g(a0 ).
Also sind f + g und f · g stetig in a0 .
Beispiel 3.14 Die Funktion 3x6 + 7x2 − q ist auf ganz R erklärt und dort stetig,
denn
3.3 Stetigkeit
109
(i) 3 · x6 ist als Produkt stetiger Funktionen f (x) = x (Eigenschaft 1) stetig. Das
gleiche gilt für x2 .
(ii) Wiederum wegen Eigenschaft 1 ist die Summe stetig.
Genauso zeigt man:
Jedes Polynom ist stetig.
Beispiel 3.15 f (x) = (6x9 + 13x2 ) 6(7x
denn:
) ist für alle x ∈ R erklärt und stetig,
4 +12x−3
(i) (6x9 + 13x2 ) und (7x4 + 12x − 3) sind stetig (Eigenschaft 1).
4
(ii) 6(7x +12x−3) ist stetig wegen Eigenschaften 3 und 5.
(iii) Schließlich wenden wir nochmal die Produktregel an.
Beispiel 3.16 Die Funktion
f (x) =
(
0
5 3
x
4
x≤0
x≥0
ist stetig. Für x < 0 sieht die Funktion aus wie die konstante Funktion f (x) = 0,
die natürlich stetig ist. Analog sieht man, daß f für x > 0 stetig ist, da sie dort mit
der stetigen Funktion 45 x3 übereinstimmt. Also brauchen wir nur an der Nahtstelle
x = 0, wo die beiden Äste zusammenstoßen, auf Stetigkeit zu testen. Gilt aber
an → 0, so sieht man 0 ≤ f (an ) ≤ 45 |an |3 → 0. Also muß f (an ) → 0.
Bei zusammengesetzten Funktionen braucht man also nur zu prüfen, ob die Äste
zusammenstoßen.
unstetig
x
110
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Der Begriff der Stetigkeit wird besonders dann deutlich, wenn man sich klar macht,
wann eine Funktion unstetig ist. Dies kann passieren, wenn f irgendwo springt oder
zu sehr oszilliert.
Bemerkung: Die Definition oben überträgt sich ohne Änderung auf Funktionen,
die auf Teilmengen des Rn erklärt sind, wenn man die Konvergenz im Rn als koordinatenweise Konvergenz erklärt.
Aufgabe 3.33 Zeige, daß eine rationale Funktion f (x) =
P (x)
außerhalb der NullQ(x)
stellen des Polynoms Q stetig ist.
Da f meist in den Nullstellen von Q nicht definiert ist, sind solche Funktionen stetig!
Aufgabe 3.34 Zeige, daß die folgenden Funktionen stetig sind:
a) ln(1 + x)
√
b) x2 + 3x + 4
c) e
√
x+2
√
d) ln( x + 3x)
3.4
Potenzreihen
Da in der Mathematik viele wichtige Zahlen wie e, π oder ln 2 durch Folgen bzw.
Reihen ausgedrückt werden, ist es naheliegend, diese Technik auch auf Funktionen
fn (x) auszudehnen und ihre Grenzwerte zu betrachten, sofern diese existieren. Ein
Beispiel dazu hatten wir bereits gesehen.
x n
) → ex für x ∈ R.
n
Wegen der Probleme bei der Analyse solcher Funktionenfolgen, wollen wir uns hier
auf den wichtigsten Spezialfall beschränken.
Beispiel 3.17 (1 +
Definition: Eine Reihe
P (x) =
∞
X
n=0
an (x − x0 )n
(3.21)
heißt Potenzreihe um x0 mit Koeffizienten an . Um die Konvergenz einer solchen
∞
P
Reihe zu untersuchen, wählt man meist eine geometrische Reihe b
an , 0 ≤ a < 1
n=0
als Vergleichsreihe (Majorante).
Dies zeigt, daß die Reihe in (3.21) konvergiert, wenn
|an | |x − x0 |n ≤ an
oder
1
|an | n |x − x0 | ≤ a < 1.
3.4 Potenzreihen
111
Diese Bedingung ist auch fast notwendig, denn wenn die Reihe (3.21) konvergiert,
muß
lim |an | |x − x0 |n = 0
n→∞
sein, d. h., es muß für große n
1
|an | n |x − x0 | ≤ 1.
Um diese Bedingungen zusammenzufassen, betrachtet man
1
lim |an | n = ρ.
n→∞
(3.22)
1
Genauer ist ρ = lim sup |an | n , aber (3.22) genügt für die meisten Fälle.
Dann gilt:
Satz über die Konvergenz von Potenzreihen
a) Die Potenzreihe (3.21) konvergiert für alle x mit |x − x0 | < ρ1 - dabei ist
1
und ∞
= 0 - und stellt für diesen Bereich eine stetige Funktion dar.
1
0
=∞
b) Die Potenzreihe divergiert für alle x mit |x − x0 | > ρ1 .
∞
X
1 n
x
Beispiel 3.18 e =
n!
n=0
x
1
= ∞.
ρ
Die Reihe konvergiert daher für alle x.
Beispiel 3.19
∞
X
xn =
n=0
1
1
Geometrische Reihe = 1.
1−x
ρ
Die geometrische Reihe konvergiert genau für x mit |x| < 1.
Beispiel 3.20
∞
X
1
(−1)n+1 xn = ln(1 + x)
n
n=1
1
= 1.
ρ
Die Reihe konvergiert für alle x mit |x| < 1. Aus 3.20 erhält man (wenn man x durch
−x ersetzt)
∞
X
1 n
−
x = ln(1 − x).
n
n=1
Bildet man die Differenz der beiden Reihen, so gibt dies zusammen mit der Beziehung
ln a − ln b = ln ab für Logarithmen
Beispiel 3.21 ln
1+x
1−x
=2
∞
X
n=0
1
x2n+1
2n + 1
Mit dieser Reihe kann man viele Logarithmen direkt berechnen.
112
Folgen, Konvergenz und Stetigkeit
Beispiel 3.22 Für x =
1
3
erhalten wir
1
1
1 1
ln 2 = 2 ·
+
+ ·
+ . . . = 0, 6930
3 81 5 243
Genauer ist ln 2 = 0, 6931472.
Aufgabe 3.35 Berechnen Sie:
Aufgabe 3.36 Wo konvergiert
i) e3 ,
∞
X
n=0
Aufgabe 3.37 Entwickeln Sie
ii) ln 3
n
xn ?
n+1
x
= f (x) in eine Potenzreihe.
1−x
Aufgabe 3.38 Entwickeln Sie e(3x+1) in eine Potenzreihe um 0.
(Hinweis: Verwenden Sie die Reihe für ex .)
Aufgabe 3.39 Wo konvergiert P (x) =
dargestellt?
∞
X
2n xn und welche Funktion wird dadurch
n=1
Aufgabe 3.40 Bestimme eine Potenzreihe für ln(1 + x2 ). Was ist der Konvergenzradius?
2
Aufgabe 3.41 Welches ist die Reihe von ex und was ist der Konvergenzradius?
Aufgabe 3.42 Bestimme die Potenzreihe für f (x) = ln(1−x2 )−ln(1−x)−ln(1+x).
113
Kapitel 4
Differentialrechnung
Schwann, 11. Schulj. §5, Mathematik Sekundarstufe II, Analysis Grundkurs 12/13
4.1
Die Ableitung
Wir wollen diesen Abschnitt mit zwei Fragestellungen beginnen.
1. Was ist Geschwindigkeit?
2. Was ist eine Tangente an eine Kurve (x, f (x)) im Punkte (x0 , f (x0 ))?
Tangente
f
Sehnen
t
t1 t2 t3
t0
Die Position eines Objektes zur Zeit t sei f (t). Die Änderungsrate des Ortes wird
dann die Geschwindigkeit genannt. Um die Momentangeschwindigkeit im Zeitpunkt
t0 zu bestimmen, wählt man sich eine Folge von Zeitpunkten t1 , t2 , . . . , die gegen t0
streben.
Es ist dann
f (ti ) − f (t0 )
ti − t0
die Durchschnittsgeschwindigkeit in [ti , t0 ]. Man nennt diesen Ausdruck auch den
Differenzenquotienten.
114
Differentialrechnung
Man erwartet nun, daß
f (ti ) − f (t0 )
(4.1)
ti − t0
existiert. In diesem Fall wird man diesen Grenzwert die Geschwindigkeit in t0
f (ti ) − f (t0 )
nennen. Geometrisch interpretiert ist
gerade die Steigung der Sehne
ti − t0
durch (ti , f (ti )) und (t0 , f (t0 )). Falls also der Grenzwert (4.1) existiert, wird er gerade
die Steigung der Tangente im Punkt (x, f (x)) angeben. In diesem Fall “konvergieren”
die Sehnen also gegen die Tangente.
lim
i→∞
In Anwendungen tauchen Ableitungen meist als Veränderungsraten, d. h. als
Ableitungen nach der Zeit, auf. Beispiele sind Beschleunigung (Geschwindigkeit),
Leistung (Energie), Wachstumsrate, ....
Betrachten wir zum Beispiel den folgenden Graphen:
+ positive Steigung
- negative Steigung
0 Steigung 0
0
-
+
0
-
+
0
+
+
Wir wollen dies jetzt formal erfassen.
Definition: Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem Intervall (a, b). f heißt
differenzierbar in x0 ∈ (a, b), wenn
lim
x→x0
f (x) − f (x0 )
= f ′ (x0 )
x − x0
(4.2)
existiert. In diesem Fall nennt man f ′ (x) die erste Ableitung von f in x0 . Statt
df
f ′ (x0 ) schreibt man auch dx
(x0 ). f heißt in (a, b) differenzierbar, wenn f in jedem
Punkt differenzierbar ist.
f (x) − f (x0 )
ist genau die Steigung der Sehne S zwischen f (x) und
Bemerkung:
x − x0
f (x) − f (x0 )
f (x0 ). Die Existenz von lim
= f ′ (x0 ) bedeutet also, daß die Sekantenx→x0
x − x0
f (x) − f (x0 )
sehr nahe bei f ′ (x0 ) liegt, sofern x und x0 nahe beieinander
steigung
x − x0
liegen. Schreiben wir also
f (x) − f (x0 )
− f ′ (x0 ) = A(x, x0 ),
x − x0
4.1 Die Ableitung
115
so wird die Abweichung A der Sekantensteigung von der Tangentensteigung sehr
klein. Multipliziert man dies mit (x − x0 ) und formt den Ausdruck um, erhält man
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ) + A(x, x0 )(x − x0 )
(4.3)
Dies bedeutet, daß in unmittelbarer Nähe von x0 der Funktionsverlauf von f bis auf
den Fehler A(x − x0 ) = Φ durch die Gerade
f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ) gegeben ist.
φ
Dies ist aber gerade die Tangente.
f
x0
Die Tangente schmiegt sich also gut an die
Kurve in x0 an.
x
Eine Funktion f ist im Punkte x0 also differenzierbar, wenn sie sich dort
gut durch eine Gerade - die Tangente - approximieren läßt.
Die Bedeutung der Differentialrechnung liegt nun darin, daß die Untersuchung mit
f in x0 durch das Studium mit der Tangente ersetzt wird.
Ist y(t) eine zeitlich veränderliche Größe, so ist dy
gerade die Veränderungsrate
dt
von y. In diesem Sinne tritt die Ableitung häufig in der Naturwissenschaft auf. Es
gibt nun
Regeln für Ableitungen
(f + g)′ (x0 ) = f ′ (x0 ) + g ′ (x0 )
Summenregel
(4.4)
(f · g)′ (x0 ) = (f ′ g + g ′ f )(x0 )
Produktregel
(4.5)
Quotientenregel
(4.6)
(f /g)′ (x0 ) =
(f ′ g − g ′ f )(x0 )
g(x0 )2
Streng genommen ist dies so zu lesen: Es seien f und g in x0 differenzierbar. Dann
ist auch f + g in x0 differenzierbar und es gilt die Summenregel. Die anderen Regeln
sind analog zu interpretieren.
Die nächste Formel besagt auch, daß mit f und g auch f (g(x)) differenzierbar ist
f (g(x))′ = f ′ (g(x) · g ′ (x))
Kettenregel
(4.7)
116
Differentialrechnung
√
1
1
Beispiel 4.1 Es sei f (x) = 1 + x2 = (1 + x2 ) 2 . Dann ist f ′ (x) = 12 (1 + x2 )− 2 · 2x.
Wir wollen nun explizit die Ableitungen einiger Funktionen bestimmen.
Für x 6= x0 gilt
xn − xn0
= xn−1 + xn−2 x0 + . . . + x0n−1 .
x − x0
Offensichtlich existiert aber der Grenzwert x → x0 für den Ausdruck rechts. Man
erhält so
(xn )′ = nxn−1 .
(4.8)
x−x0
−1
e x − e x0
x0 e
=e
→ e x0
Beispiel 4.2
x − x0
x − x0
für x → x0 ,
∞
P yn
−1
∞
n!
X
ey − 1
y n−1
0
denn
=
=
→ 1 für y → 0. Wir sehen also
y
y
n!
n=1
(ex )′ = ex .
(4.9)
Aus den Regeln f ′ = f sowie der Normierung f (0) = 1 lassen sich in der Tat alle
Eigenschaften der Exponentialfunktion herleiten. Denn es gilt nach der Produktund Substitutionsregel
(f (x) · f (−x))′ = f ′ (x)f (−x) − f (x)f ′ (−x) = f (x)f (−x) − f (x)f (−x) = 0.
Also f (x) · f (−x) = konstant = f (0)2 = 1. Dies zeigt f (−x) = 1/f (x). Ferner sehen
wir für festes y, wenn man F (x) = f (x + y)f (−y) nach x differenziert
F ′ (x) = (f (x + y)f (−y))′ = f ′ (x + y)f (−y) = f (x + y)f (−y) = F (x).
Wegen F (0) = f (x + y)f (−y) = 1 gilt also F (x) = f (x) und damit
f (x + y) · f (−y) = f (x)
oder
f (x + y) = f (x)f (y).
Die e-Funktion ist also genau die Funktion, die f ′ = f und f (0) = 1 erfüllt.
Es ist genau diese Beziehung, die die Funktion ex so wichtig macht. Daher spricht
man dann von “natürlichen” Logarithmen, wenn man von der Umkehrfunktion
von ex redet.
√
√
√
√
x0 − x
x0 − x
1
1
√
√ √
√ → √
= √
für
Beispiel 4.3
= √
x0 − x
2 x0
( x0 − x)( x0 + x)
x0 + x
√
1
x → x0 . Also ( x)′ = √ .
2 x
Um die Ableitung der Umkehrfunktion f −1 von f zu bestimmen, setzen wir voraus,
daß f −1 differenzierbar ist - dies läßt sich zeigen - und differenzieren die Identität
f −1 (f (x)) = x nach x mit der Kettenregel
(f −1 )′ (f (x)) · f ′ (x) = 1
4.1 Die Ableitung
117
und erhalten
(f −1 )′ (f (x)) =
Dies bedeutet insbesondere, daß f −1
ton ist.
Beispiel 4.4 ln′ (ex ) =
1
ex
1
(x)
Umkehrregel.
(4.10)
f′
nur dort differenzierbar ist, wo f streng mono-
oder mit y = ex .
1
ln′ y = ,
y
(4.11)
Wenden wir dieses Ergebnis nun mit der Kettenregel auf f (x) = xa a ∈ R, x > 0 an
und differenzieren
ln f (x) = ln xa = a ln x
so erhält man
1
1
· f ′ (x) = a · .
f (x)
x
Dies zeigt f ′ (x) = a · x1 f (x) oder
(xa )′ = axa−1 .
(4.12)
Ein weiteres für uns bedeutsames Ergebnis ist die Tatsache, daß man Potenzreihen
gliedweise differenzieren darf. Genauer gilt:
∞
P
Es sei P (x) =
an (x − x0 )n eine Potenzreihe um x0 , die für alle |x − x0 |
n=0
< ρ1 - siehe §3.4 - konvergiert. Dann ist die Funktion in diesem Bereich differenzierbar, und man erhält die Ableitung von P durch gliedweises Differenzieren.
P ′ (x) =
∞
X
n=1
an · n(x − x0 )n−1 .
(4.13)
Darüber hinaus konvergiert diese Reihe auch für alle x mit |x − x0 | < ρ1 .
Betrachten wir dazu die folgenden Beispiele:
Beispiel 4.5
ex =
∞
P
n=0
xn
n
⇒ (ex )′ =
=
∞
P
n=1
∞
P
n=1
n n−1
x
n!
1
xn−1
(n−1)!
= ex .
Dies aber hatten wir bereits im Beispiel 4.2 gesehen.
Beispiel 4.6
ln(1 + x) =
ln(1 + x)
′
=
∞
P
n=1
∞
P
n=1
n
(−1)n+1 xn
(−1)n+1 xn−1 =
∞
P
(−x)n−1 =
n=1
1
.
1+x
Dies war genau die Formel (4.11). Umgekehrt kann man aus der geometrischen Reihe
und (ln x)′ = 1/x die Reihe für ln(1 + x) herleiten.
118
Differentialrechnung
Beispiel 4.7
∞
X
n=0
∞
∞
X
n
n+1 n X 1
xn =
x −
xn
n+1
n
+
1
n
+
1
n=0
n=0
=
∞
X
n=0
xn + x−1 ln(1 − x)
Beispiel 4.8 Die Funktion
f (x) = (7x9 + 3x2 ) · 3(12x
2 −6x)
ist auf ganz R erklärt. Als Ableitung erhalten wir nach der Produktregel
′
2
2
f ′ (x) = (63x8 + 6x) · 3(12x −6x) + (7x9 + 3x2 ) · 3(12x −6x) .
Es ist nun
2
2
3(12x −6x) = eln3·(12x −6x) .
Also gilt nach der Kettenregel
′
2
2
2
3(12x −6x) = ln3 · (24x − 6)eln3·(12x −6x) = ln3 · (24x − 6)3(12x −6x) .
Beispiel 4.9 Betrachten wir noch einmal die Funktion aus Beispiel 3.16. Sicher gilt,
wenn man wie dort argumentiert
(
0
x<0
f ′ (x) = 5
· 3x2 x > 0.
4
Was aber ist f ′ (0)? Hier müssen wir nun tatsächlich den Differenzenquotienten hinschreiben. Es ist aber für x 6= 0
|
f (x)
5
f (x) − f (0)
|=|
| ≤ | x2 | → 0
x−0
x
4
für
x → 0.
Dies zeigt f ′ (0) = 0, denn für f ′ (0) gilt
|
f (x) − f (0)
− f ′ (0)| → 0.
x−0
Beispiel 4.10 Radioaktiver Zerfall Ist y(t) die Menge einer radioaktiven Substanz, die die Halbwertszeit T hat, so hatten wir
t
t
y(t) = y(0) · 2− T = y(0) · e− ln 2· T
(4.14)
gesehen. Die Zerfallsrate ist damit
y ′ (t) = −y(0)
ln 2 − ln 2· t
ln 2
T = −
e
y(t).
T
T
(4.15)
4.1 Die Ableitung
119
Wenden wir dies einmal an, um die Zerfallsrate oder Aktivität pro Sekunde des C 14
in 12 kg Kohlenstoff zu bestimmen.
Es ist T = 5750 Jahre = 1, 81332 · 1011 sec.
In 12 g Kohlenstoff sind etwa 6, 025 · 1023 Kohlenstoffatome enthalten. Da C 14 normalerweise in einer Konzentration von 10−12 in Kohlenstoff vorliegt, ist die Aktivität
= Zerfälle pro Sekunde von 12 kg Kohlenstoff
6, 025 · 1026 · 10−12 · 0, 69315 · 1, 81332−1 · 10−11 = 2303, 1
Zerfälle
.
sec.
Dies entspricht 11,5 Zerfällen pro Minute. Liby gibt für die spezifische Aktivität 15,3
an.
Aufgabe 4.1 Leiten Sie die Quotientenregel beim Differenzieren aus der Produktregel her.
Aufgabe 4.2 Differenzieren Sie
a) f (x) =
b) f (x) =
√
( 3 x − 1)
c) f (x) = √
( x − 1)
x2 − 2x
x2 − 4
1
x cos2 x
d) f (x) = tan x2
Aufgabe 4.3 An welcher Stelle hat der Graph von ex die kürzeste Entfernung zum
Nullpunkt?
Aufgabe 4.4 Diskutiere die Funktion
f (x) =
x2
x
.
+3
Aufgabe 4.5 Diskutiere die Funktion
f (x) =
x2
.
x4 + 27
Aufgabe 4.6 Zeigen Sie direkt mit Hilfe des Differenzenquotienten
′
1
1
= − 2.
x
x
Aufgabe 4.7 Bilden Sie die Ableitungen von
i) x2 ex
ii) ln(1 + x4 )
iii) ax
a>0
iv) loga x
120
Differentialrechnung
Aufgabe 4.8 Untersuchen Sie auf Differenzierbarkeit
i) x 7→ |x|n
ii) x 7→ ex
n = 1, 2, 3 . . .
2
Aufgabe 4.9 Bestimmen Sie die Gleichung der Tangente an der Kurve
y = 3x2 + 7x2 + 12x − 13
in x = 4.
Aufgabe 4.10 Auf R+ betrachte f (x) = xx . Bestimme f ′ .
(Hinweis: Es ist xx = ex·ln x .)
Aufgabe 4.11 Bestimmen Sie den maximalen Definitionsbereich von
r
1+x
f (x) = ln
,
1−x
und berechnen Sie dort f ′ .
Aufgabe 4.12 In einem Experiment verwenden Sie 1 µg Tritium (Halbwertszeit:
12,3 J.) als Spursubstanz. Wieviel Aktivität erwarten Sie?
Aufgabe 4.13 Untersuche auf Differenzierbarkeit
(
0 x≤0
f (x) =
x2 x ≥ 0
Aufgabe 4.14 Prüfe, ob die nachstehenden Funktionen differenzierbar sind, und
bestimme gegebenenfalls die Ableitung.
a) f (x) = |x|α α > 1
(
0 x≤0
b) f (x) =
x2 x ≥ 0
c) f (x) =
(
0 x≤0
0 x ≥ 0.
Aufgabe 4.15 In dem Buch von Libby, der für die Methode der Radiocarbondatierung den Nobelpreis erhielt, wird die spezifische Aktivität von Kohlenstoff mit 14-18
Zerfällen pro Minute und g Kohlenstoff angegeben. Leiten Sie daraus das Verhältnis
14 ]
der Konzentrationen [C
her.
[C 12 ]
Aufgabe 4.16 1955 wurde in Nevada die mumifizierte Leiche eines Indianers (Whiskey Lil) gefunden. Eine C 14 -Datierung ergab das 0,739-fache der Standard-C 14 Aktivität. Wie alt war diese Mumie?
4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor
121
Aufgabe 4.17 In der Biologie verwendet man häufig die folgenden Wachstumsgesetze für Populationen und Organismen:
1+b
Logistisches Gesetz: N (t) = N0 1+be
−kt , b, k > 0
Gompertz-Wachstum: N (t) = a exp(−be−kt ), a, b, k > 0
von-Bertalanffy-Wachstum: N (t) = N0 (1 − be−kt ), b, k > 0
Bestimme die Wachstumsraten N ′ (t) sowie die relativen Wachstumsraten
N ′ (t)
.
N (t)
Aufgabe 4.18 Bei Sterblichkeitsuntersuchungen bezeichnet meist l(x) die Anzahl
der Personen einer Gruppe von l0 Personen (Normierung), die das Alter x erreichen.
′ (x)
. Man kann µ als relative Sterbeintensität
Die Mortalität µ(x) ist dann µ(x) = − ll(x)
interpretieren. Wieso?
x
Bestimmen Sie µ für das Makeham-Gompertz-Sterbegesetz l(x) = ksx g c sowie für
x
das Sterbegesetz von de Moivre (1724) l(x) = l0 (1 − 86
).
Aufgabe 4.19 Die Gleichgewichtskonstante K bei chemischen Reaktionen hängt
−T0 )
] ab. Dabei sind
von der absoluten Temperatur gemäß K(T ) = K0 exp[−cT0 (T 2T
dK
K0 , c, T0 Konstante. Bestimme dT .
Aufgabe 4.20 Ein Fahrrad fährt in 20m Entfernung von Ihnen mit 15km/h auf
einer geraden Straße vorbei. Mit welcher Geschwindigkeit entfernt es sich von Ihnen.
Aufgabe 4.21 Das Bartalanffy Wachstumsgesetz gibt für die Länge von Fischen
die Form L(t) = L∞ (1 − l−kt ). Bestimme die Wachstumsrate der Länge sowie des
Gewichtes.
Aufgabe 4.22 Wie verändert sich die spezifische Aktivität einer Kohlenstoffprobe
mit dem Alter?
4.2
Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor
Wir haben oben gesehen, daß eine differenzierbare Funktion lokal durch ihre Tangente gut approximiert wird. Lokal bedeutet hier in einer Umgebung von x0 , und
Fehler
gut, daß der Fehler im Verhältnis zu (x − x0 ) klein ist, d.h.
→ 0 für x → x0 .
x − x0
Wir hatten mit (4.3)
f (x) ≈ f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 ).
(4.16)
Genauer gilt
Mittelwertsatz
Es sei f auf (a, b) differenzierbar und x, x0 ∈ (a, b). Dann existiert ein x∗ zwischen
x und x0 , so daß
f (x) = f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x∗ ).
(4.17)
Hinter dem Mittelwertsatz steht die folgende Überlegung:
122
Differentialrechnung
Steigung der Tangente
=
Steigung der Sekante
x0
x∗
x
Es gibt genau ein x∗ zwischen x0 und x, wo die Tangentensteigung f ′ (x∗ ) gleich der
(x0 )
ist, d. h., wo Tangente und Sekante parallel sind.
Sekantensteigung f (x)−f
x−x0
Aus dem Mittelwertsatz ergeben sich die Folgerungen:
Folgerung
a) f ′ = 0 auf (c, d) genau dann, wenn f konstant auf (c, d) ist.
b) f ′ (x) > 0 (< 0) auf (c, d) hat zur Folge, daß f streng monoton wachsend
(fallend) ist. In beiden Fällen existiert dort eine Umkehrfunktion.
c) f ′ (x) ≥ 0 (≤ 0) auf (c, d) ⇒ f ist dort monoton wachsend (fallend).
d) f hat lokales Extremum in x0 ⇒ f ′ (x0 ) = 0. Die Umkehrung gilt meist nicht.
Aus (4.17) folgt etwa
√
1+x≈1+
ln(1 + x) ≈ x
x
2
|x|
|x|
klein
klein
(4.18)
√
Beispiel 4.11 Berechnen wir näherungsweise 2. Es ist
q
q
√
1,96·2
2 =
1 + 0,04
=
1,
4
≈ 1, 4 + 1,4·0,02
1,96
1,96
1,96
√
= 1, 4 +
= 1, 4 + 0,02
1,4
2 = 1, 414213562 . . .
0,1
7
≈ 1, 414286. Genauer ist
Der Mittelwertsatz hat auch Anwendungen auf die Fehlerrechnung. Ist z.B. die Größe
x mit einem Wert x0 und Fehler ∆ bestimmt worden, so haben wir annähernd für
die Größe f (x)
f (x0 ± ∆) ≃ f (x0 ) ± f ′ (x0 )∆
d.h. der Fehler von f (x) ist annähernd |f ′ (x0 )∆|.
Den Mittelwertsatz kann man auch verwenden, um die Grenzwerte von indefinites
Ausdrücken auszurechnen.
4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor
123
Es gelte limx→x0 f (x) = 0 und limx→x0 g(x) = 0. Dann gilt: limx→x0
Regel von l’Hospital.
f (x)
g(x)
= limx→x0
f ′ (x)
g ′ (x)
Wir haben nämlich f (x) = f (x0 ) + f ′ (x)(x − x0 ) = f ′ (x∗ )(x − x0 ). Entsprechend gilt
g(x) = g ′ (x∗∗ )(x − x0 ). Läßt man nun x → x0 , so gilt x∗ → x0 und x∗∗ → x0 und
f (x)
f ′ (x∗ )(x − x0 )
f ′ (x0 )
= ′ ∗∗
≈ ′
g(x)
g (x )(x − x0 )
g (x0 )
wenn f ′ und g ′ stetig sind und g ′ (x0 ) 6= 0.
Beispiel 4.12
2. limx→0
1. limx→0
(ex −1)
x
sin x
x
= lim cos1 x = 1.
= limx→0 ex = 1.
Die Formel gilt auch für x0 = ∞. In diesem Fall führt x →
0.
1
x
auf Konvergenz gegen
Höhere Ableitungen
Ist die Ableitung f ′ einer Funktion f ebenfalls differenzierbar, so bezeichnet man ihre
Ableitung mit f ′′ , d.h. f ′′ = (f ′ )′ . Entsprechend definiert man höhere Ableitungen
rekursiv durch
′
f (n+1) = f (n) .
(4.19)
Mehrfach differenzierbare Funktionen lassen sich lokal durch ihr Taylor-Polynom
sehr gut approximieren. Genauer gilt als Verallgemeinerung des Mittelwertsatzes:
Satz von Taylor:
Es sei f auf (a, b) n + 1 mal differenzierbar. Dann gilt
f (x) =
n
X
f (k) (x0 )
k!
k=0
f (n+1) (x∗ )
(x − x0 ) +
(x − x0 )n+1
(n + 1)!
k
(4.20)
Dabei liegt x∗ zwischen x0 und x. Die Summe rechts in (4.20) mit x∗ = x0 bezeichnen
wir als Taylorpolynom vom Grad n + 1 für f .
Sehr häufig ersetzt man auch x∗ durch x0 und erhält dann die Taylor-Näherungsformel
f (n+1) (x0 )
f (x) ≈ f (x0 ) + f ′ (x0 )(x − x0 ) + . . . +
(x − x0 )n+1 .
(n + 1)!
(4.3) bzw. (4.20) ist Ausgangspunkt für viele brauchbare Näherungen.
Es liegt nun nahe (4.20) für n = ∞ als Darstellung von f zu verwenden. Natürlich
muß f dann beliebig oft differenzierbar sein, d.h. f (n) existiert für jedes n.
Die dann entstehende Reihe
P (x) =
∞
X
k=0
f (k) (x0 )
(x − x0 )k
k!
124
Differentialrechnung
heißt Taylor-Reihe für f mit Entwicklungspunkt x0 .
Allgemein ist es nicht richtig, daß P = f , aber in den meisten Fällen kann man in
Anwendungen davon ausgehen. Hat umgekehrt f eine Darstellung als Potenzreihe
f (x) =
∞
X
n=0
so haben wir
f
(k)
(x) =
∞
X
n=k
an (x − x0 )n ,
an n · (n − 1) . . . (n − k + 1)(x − x0 )n−k
(4.21)
(4.22)
und daher f (k) (x0 ) = ak · k!. Damit aber wird die Taylor-Reihe von f genau die
ursprüngliche Potenzreihe. Das war eigentlich auch zu erwarten. Insbesondere gibt
die Taylorreihe eines Polynoms genau dieses Polynom.
Mit diesen Formeln sind wir nun auch in der Lage, einige der Potenzreihen, die wir
oben hingeschrieben haben, abzuleiten.
Die Exponentialfunktion
Die Exponentialfunktion ist die bei weitem wichtigste Funktion der Biologie und der
angewandten Mathematik.
Ausgangspunkt für uns ist nun die Differentialgleichung (siehe auch p. 159 ff.)
y′ = y
y(0) = A,
(4.23)
d.h. gesucht ist eine Funktion y, die (4.23) erfüllt. Wegen (4.23) gilt dann
y (n) = y
für alle n = 1, 2, . . .
Damit aber haben
y (n) (0) = A
und die Taylor-Reihe für y ist
∞
X
A n
y(x) =
x
n!
n=0
(4.24)
Unsere Ergebnisse aus §3.4 und §4.1 zeigen nun, daß diese Reihe für alle x konvergiert
und (4.23) erfüllt. Ist nun z eine weitere mögliche Lösung von (4.23), d.h., gilt z ′ = z
1
und z(0) = A, so betrachte f (x) = z(x) y(x)
. Dann haben wir
f′ =
(zy − yz)
(z ′ y − y ′ z)
=
= 0.
y2
y2
Daher muß f konstant = 1 sein. Dies zeigt, daß die Lösung von (4.23) eindeutig
durch (4.24) gegeben ist. Schreiben wir nun
e(x) =
∞
X
xn
n=0
n!
4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor
125
so ist y(x) = Ae(x) die eindeutige Lösung von (4.23). Wegen der Kettenregel aber
gilt
e(x + x0 )′ = e(x + x0 ).
Wegen (4.23) gilt daher
e(x + x0 ) = e(x0 )e(x),
(4.25)
denn hier ist A = e(x0 ).
Aus (4.25) folgt nun leicht e(x) = e(1)x = ex .
Dabei haben wir
e(1) =
∞
X
1
=e
n!
n=0
(4.26)
gesetzt. Aus (4.23) folgt damit auch die Beziehung für Potenzfunktionen.
Die Tatsache, daß die Differentialgleichung y ′ = y genau die Lösung y(x) = y(0)ex
hat, macht die Exponentialfunktion so bedeutsam.
Die Veränderung von Sprachen, die genetische Uhr
Sprachen verändern sich. Neue Worte kommen hinzu oder fallen weg, Werte verändern
ihre Bedeutung, Schreibweise und Aussprache. Formal läßt sich dies wie folgt beschreiben. Man erstellt eine Liste L von Allerweltsworten, wie Vater, Mutter, Haus,
Sonne, laufen, . . . und verfolgt die Veränderung einer solchen Liste. Ist |L| = N die
Anzahl in einer solchen Liste, so wird nach 100 Jahren nur noch der Anteil |L|a,
0 < a < 1 verblieben sein. Nach 200 Jahren nur noch |L|a2 , und nach 300 Jahren
nur noch |L|a3 . Allgemein kann man also die Veränderung einer solchen Liste durch
|L(t)| = N (t) = |L(0)|at = N (0)e−tk ,
k = ln a−1
beschreiben. Dies ist das Vorgehen der Glottochronologie. Hat man nun zwei verschiedene Sprachen, so entwickeln sich diese Listen gemäß
N1 (t) = N (0)etk1 ,
N2 (t) = N (0)etk2
denn es wird mit gleich großen Listen von Allerweltsausdrücken gearbeitet. Dies
zeigt, dass sich die Sprachen gemäß
N (0)e−tk1 e−tk2 = N (0)e−t(k1 +k2 )
auseinander entwickeln. Kennt man nun diese Konstanten k1 und k2 , kann man den
Zeitpunkt bestimmen, wo sich die Sprachen trennten. Die Überlegung, daß nahe verwandte Sprachen sich erst kürzlich getrennt haben und daß die Übereinstimmung
ihrer Wertlisten ein Maß für die Zeit der Trennung ist, erhält damit eine quantitative
Bedeutung. Kürzlich wurden auf diese Weise die indoeuropäischen Sprachen untersucht [Nature 426, 2003, 435–438]. Hier sind noch ein paar Konstanten λ = e−k·1000 .
Englisch: λ = .766, Spanisch: λ = .790, Deutsch: λ = .854. Der Zeitraum ist dabei
1000 Jahre.
126
Differentialrechnung
Solche Überlegungen sind auch für Biologen wichtig, weil man Wertlisten durch Genbzw. Eiweißkomplexe ersetzen kann. In diesem Fall spricht man in der Biologie von
der genetischen Uhr. Kimura [The Neutral Theory Evolution, Cambridge 1983] hat
Veränderungen in der Liste der Aminosäuren des α-Haemoglobius (141 insgesamt)
studiert. Er fand, daß die Substitutionsrate etwa 0.89 · 10−9 ist, d.h. in 109 Jahren
wird in etwa 1 Aminosäure ersetzt. Für andere Proteine erhält man andere Werte
z.B. Ribonuklease 2.1 oder Cytochrome c 0.3. Siehe dazu auch J.F. Crow: Basic
Concepts in Population, Quantitative Evolutionary Genetics.
In der Tat gibt es erhebliche Parallelen zwischen der Sprachentwicklung und der
Entwicklung des Genpools beim Menschen. Auf diese Weise hat man in jüngster
Zeit die Wanderungen der Hominiden untersucht. Die genetische Uhr wurde auch
verwandt um den Stammbaum der Tiere präziser zu beschreiben.
Der natürliche Logarithmus
Aus (4.23) hatten wir die Ableitung für den natürlichen Logarithmus hergeleitet
ln′ x =
1
.
x
Dies bedeutet
ln(1 + x)′ =
Betrachte nun
f (x) = ln(1 + x) −
Dann gilt f ′ (x) =
1
1+x
−
∞
P
∞
X
1
1+x
(−1)n+1
n=1
(4.27)
xn
n
|x| < 1.
(−1)n+1 xn−1 = 0.
n=1
Dabei haben wir die Formel für die geometrische Reihe verwendet. Wiederum folgt
f = konstant = f (0) = ln 1 − 0 = 0.
Damit aber folgt
ln(1 + x) =
∞
X
(−1)n+1
n=1
xn
.
n
(4.28)
Die Potenzfunktion
Für |x| < 1 betrachte nun die Funktion
f (x) = (1 + x)a
Dann haben wir
und allgemeiner
a ∈ R.
(4.29)
f ′ (x) =
a(1 + x)a−1
f ′′ (x) = a(a − 1)(1 + x)a−2
f (n) (x) = a(a − 1) . . . (a − n + 1)(1 + x)a−n .
(4.30)
4.2 Der Mittelwertsatz und der Satz von Taylor
Dies zeigt für die Taylor-Reihe mit Entwicklungspunkt 0, daß
∞
X
a(a − 1) . . . (a − n + 1) n
a
(1 + x) =
x , a ∈ R, |x| < 1.
n!
n=0
127
(4.31)
Diese Reihe konvergiert tatsächlich in dem angegebenen Bereich.
Aufgabe 4.23 Berechne ln(1, 001) auf 10 Stellen genau.
Aufgabe 4.24 Sind f und g 4mal differenzierbar, so auch f · g. Bestimme (f · g)iv .
Aufgabe 4.25 Bestimmen Sie das Taylor-Polynom für ex bis zur 4. Ordnung für
x0 = 1.
Aufgabe 4.26 Durch Verdunstung nimmt der Radius einer Mottenkugel mit einer
konstanten Rate ab. Bestimme die Änderungsrate des Volumens.
Aufgabe 4.27 Ein Motorboot fährt auf einem geraden Kurs mit 10 km/h in einer
Entfernung von 100 m an Ihnen vorbei. Mit welcher Geschwindigkeit entfernt sich
das Boot von Ihnen?
Aufgabe 4.28 Zwischen der Kraft F eines Muskels und der Kontraktionsfähigkeit
v besteht der Zusammenhang
(F + a)(v + b) = c
a, b, c (positive Konstanten),
der von Hill gefunden wurde. Wie ändert sich v, wenn F sich um den kleinen Wert
∆ ändert?
q
Aufgabe 4.29 Für die Schwingungsdauer eines Pendels gilt T = 2π gl . Wenn
l = 1 m mit einer Genauigkeit von 0,001 m und g = 9, 81 m/sec2 bekannt sind, wie
groß ist dann der Fehler von T ?
√
Aufgabe 4.30 Erläutern Sie, warum sich x2 + 2 für große x wie etwa |x| verhält.
Was ist der Fehler?
Aufgabe 4.31 Berechne die Ableitungen:
√
1. f (x) = x 4 1 − x2
√
2. f (x) = ln 3 1 + x2
3. f (x) = e2+3 ln(1+x)
4. f (x) =
1+x
1−(1−x/1+x)
5. f (x) =
√
3
6. f (x) =
7. f (x) =
x3 + 2x + 1
x2 +7
3x5 −6x+3
√
2
e3ln x −1
x−1
Aufgabe 4.32 Berechne die höheren Ableitungen von f (x) = 2x5 + 6x4 − 7x3 und
entwickele f um 0 bis zur 4. Ordnung.
128
4.3
Differentialrechnung
Die trigonometrischen Funktionen
Sinus und Cosinus
Durch Translation und Drehung läßt sich jeder Winkel so legen, daß der Scheitelpunkt der Koordinatenursprung und der eine Schenkel gerade die positive x-Achse
ist.
y
α
α
x
Der Winkel wird dann durch Drehung im Gegenuhrzeigersinn, ausgehend von der
positiven x-Achse erzeugt. Eine volle Drehung entspricht dabei 360◦ im Gradmaß
und 2π im Bogenmaß. Mehrfache Drehung (z.B. 925◦ ) ist zugelassen.
Der Zusammenhang zwischen Gradmaß α und Bogenmaß t ist
α
· 2π = t
360
(4.32)
In der Mathematik verwendet man meist das Bogenmaß.
y
tan t
t
y = sin t
α
cos t = x
1
x
Das Bogenmaß eines Winkels t gibt gerade die Länge des vom Winkel aufgespannten Einheitskreisbogens.
4.3 Die trigonometrischen Funktionen
129
Der zweite Schenkel des Winkels schneide den Einheitskreis im Punkt (x, y). Man
definiert:
x = cos t,
y = sin t.
(4.33)
Offensichtlich gilt dann
cos2 t + sin2 t = 1
(4.34)
wegen des Satzes von Pythagoras.
Man definiert weiter den Tangens
tan t =
sin t
cos t
soweit cos t 6= 0
(4.35)
cot t =
cos t
sin t
soweit sin t 6= 0.
(4.36)
und den Cotangens
Die Funktionen lassen sich im Einheitskreis geometrisch deuten (Zeichnung). Ihre
Graphen sind nachstehend angegeben.
1
sin(x)
cos(x)
0.8
0.6
0.4
0.2
0
-0.2
-0.4
-0.6
-0.8
-1
0
1
2
3
4
5
6
Da alle diese Funktionen 2π-periodisch sind, d. h.
f (t + 2π · k) = f (t) k = 0, 1, 2, . . .
f = sin, cos, tan, cot
(4.37)
und darüber hinaus noch weitere Regelmäßigkeiten (Additionstheoreme) gelten, ge-
130
Differentialrechnung
nügt es, sich diese Funktionen nur auf [0, π2 ] anzusehen.
14
tan(x)
cot(x)
12
10
8
6
4
2
0
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
1.2
1.4
Additionstheorem
Für den Sinus und Cosinus gelten die folgenden Additionstheoreme
sin(x + y) = sin x cos y + cos x sin y
cos(x + y) = cos x cos y − sin x sin y
(4.38)
(4.39)
(4.38) und (4.39) kann man geometrisch beweisen. Ferner folgt (4.39) aus (4.38)
durch Differenzieren. Mit sin 0 = sin π = 0 erhält man aus (4.34), (4.38) und (4.39)
leicht
Sinus
Cosinus
π
4
1√
π
6
Winkel
1
2
1√
2
2
3
2
1√
2
2
π
3
1√
2
1
2
π
2
3 1
0
Mit Hilfe von (4.38) und (4.39) kann man auch leicht die Ableitung von Sinus und
Cosinus bestimmen. Wir benötigen dazu jedoch
sin′ 0 = 1
(4.40)
Dies folgt jedoch √
leicht aus der Darstellung des Sinus am Einheitskreis. Aus (4.40)
2
folgt nun cos h ≈ 1 − h2 ≈ 1 − h2 für kleine h. Wir schreiben dann
sin x(cos h − 1) cos x sin h
sin(x + h) − sin x
′
= lim
+
sin x = lim
h→0
h→0
h h
h
h
= lim − sin x ·
+ cos x = cos x
h→0
2
4.3 Die trigonometrischen Funktionen
131
und sehen
sin′ x = cos x.
(4.41)
Aus (4.38) folgt nun sin(x + π2 ) = cos x. Also cos′ x = sin′ (x + π2 ) = cos(x + π2 ) =
− sin x.
cos′ x = − sin x.
(4.42)
Damit erhalten wir sofort
1
= 1 + tan2 x
cos2 x
1
cot′ x = − 2 = −1 − cot2 x
sin x
tan′ x =
(4.43)
Die Arcusfunktionen
Da die trigonometrischen Funktionen 2π-periodisch sind und daher gleiche Werte
für verschiedene x annehmen, lassen sich die Umkehrfunktionen nicht ohne weiteres
bilden. Beschränkt man sich aber auf Intervalle, in denen die jeweiligen Funktionen
streng monoton sind, so geht das. Dies führt zu:
Definition: Die Umkehrfunktion von sin x auf (− π2 , π2 ) wird arcsin x, der (Hauptzweig von) Arcussinus, genannt. Entsprechend ist arccos x, der (Hauptzweig von)
Arcuscosinus, die Umkehrfunktion des Cosinus eingeschränkt auf (0, π).
3
arcsin(x)
arccos(x)
2.5
2
1.5
1
0.5
0
-0.5
-1
-1.5
-1
-0.8
-0.6
-0.4
-0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
1
132
Differentialrechnung
1.5
arctan(x)
1
0.5
0
-0.5
-1
-1.5
-20
-15
-10
-5
0
5
10
15
20
Berechnen wir nun noch die Ableitung dieser Funktionen. Wegen (4.10) haben wir
für die Ableitung der Umkehrfunktion g einer Funktion f ,
1
g ′ (x) =
f ′ (g(x))
,
sofern f ′ (g(x)) 6= 0.
p
1 − sin2 x. Mit g = arcsin x erhält man also
Es ist aber sin′ x = cos x =
arcsin′ x = √
1
.
1 − x2
(4.44)
√
Entsprechend führt cos′ x = − sin x = − 1 − cos2 x zu
arccos′ x = − √
Ebenso folgt aus (4.43)
arctan′ x =
1
.
1 − x2
1
1 + x2
(4.45)
(4.46)
Betrachte nun für |x| < 1
∞
X
x2n−1
f (x) =
(−1)n−1
− arctan x.
2n
−
1
n=1
Dann haben wir f ′ (x) =
∞
P
(−x2 )n−1 −
n=1
1
1+x2
= 0, denn die erste Summe ist die
geometrische Reihe in −x2 .
Daher gilt f (x) = f (0) = 0 und
∞
X
x3 x5 x7
x2n−1
=x−
+
−
+ ...
arctan x =
(−1)n−1
2n − 1
3
5
7
n=1
(4.47)
4.3 Die trigonometrischen Funktionen
133
Beispiel 4.13 Es ist nun tan 30◦ = tan π6 =
sin π6
cos π6
1
= √2 3 =
4
√1 .
3
Also muß
1
1
1
1
1
0, 90582
π
.
= arctan √ = √ 1 −
+
−
+ ... ≈ √
6
3 · 3 9 · 5 27 · 7
3
3
3
Dies ergibt
π ≈ 3.138
Die Schwingungsgleichung
(M 10 §5)
Aus (4.41) und (4.42) folgt, daß der Sinus und der Cosinus die Differentialgleichung
y ′′ = −y
(4.48)
erfüllen. Wir wollen gleich sehen, daß dies auch im wesentlichen die einzigen Funktionen sind. Es gilt nämlich:
Jede Lösung f der Differentialgleichung (4.48) hat die Form
f (x) = f (0) cos x + f ′ (0) sin x
(4.49)
Der Beweis ist nachstehend angegeben, kann aber beim ersten Lesen überflogen
werden.
∗ Beweis: Betrachte g(x) = f (x)−f (0) cos x−f ′ (0) sin x. Dann gilt g(0) = g ′ (0) = 0
und
g ′ = f ′ + f (0) sin x − f ′ (0) cos x
und
g ′′ = f ′′ + f (0) cos x + f ′ (0) sin x = −f + f (0) cos x + f ′ (0) sin x = −g
g erfüllt also auch (4.48). Wir bilden nun
′
(g 2 + g 2 )′ = 2gg ′ + 2g ′ g ′′ = 2gg ′ − 2g ′ g = 0.
′
′
Also ist g 2 + g 2 konstant = g 2 (0) + g 2 (0) = 0 und damit ist g = 0.
Wir wollen nun die Taylor-Reihe für den Sinus und Cosinus bestimmen. Wegen (4.48)
gilt
sin(2n) x
= (−1)n sin x n = 1, 2, . . . und
sin(2n+1) x = (−1)n cos x n = 0, 1, . . .
Zusammen mit sin 0 = 0 und cos 0 = 1 gibt dies
sin x =
∞
X
(−1)n
n=0
x2n+1
.
(2n + 1)!
(4.50)
Durch Differenzieren erhalten wir daraus
∞
X
x2n
.
cos x =
(−1)n
(2n)!
n=0
(4.51)
134
Differentialrechnung
Beide Reihen konvergieren für alle x.
Betrachten wir einen Körper der Masse M , der an einer Feder aufgehängt ist.
Entfernen wir den Körper ein wenig aus
seiner Gleichgewichtslage, so wirkt auf
ihn durch die Feder eine rücktreibende
Kraft, die proportional zur Ausdehnung
y ist (Hookesches Gesetz). Es ist daher
y
M
M y ′′ = −ky
(4.52)
wegen des Newtonschen Gesetzes. k ist dabei die Federkonstante.
Schreiben wir (4.52) in der Form
y ′′ = −ω 2 y,
ω2 =
k
,
M
(4.53)
so folgt aus obigem Satz sofort
y(t) = y(0) cos ωt + y ′ (0) sin ωt.
(4.54)
Läßt man z.B. den Körper zur Zeit t = 0 los, so gilt y ′ (0) = 0 und
y ′ (t) = y0 cos ωt
(4.55′ )
Allgemeiner kann man sagen, daß sich (4.54) auch als
1
y(t) = (y(0)2 + y ′ (0)2 ) 2 cos(ωt + Φ)
(4.55)
schreiben läßt.
Da der Cosinus 2π-periodisch ist, ist die Schwingungsdauer T unseres Federsystems
r
2π
M
2π
T =
= 2π
, ω=
(4.56)
ω
k
T
Dieses Ergebnis hätten wir auch mit Dimensionsüberlegungen herleiten können.
Man kann nun zeigen, daß ziemlich allgemein jeder Schwingungsvorgang mit der
Periode T in der Form
∞
∞
X
X
2π
2π
(4.57)
f (t) = A +
Bn sin n t
An cos n t +
T
T
n=1
n=1
dargestellt werden kann.
Diese Darstellung entspricht der Zerlegung eines Tones in Grund- und Oberschwingungen. Physikalisch kann diese Zerlegung mit Hilfe von Oszillographen und Filtern
sichtbar gemacht werden.
Die Darstellung (4.57) ist natürlich nicht nur für die Amplitude von Schwingungen
wichtig, sondern kann auf alle Arten von periodischen Vorgängen, wie z.B. Herzschlag, Kräfte beim Laufen etc., angewandt werden. In der Mathematik wird die
Darstellung (4.57) im Rahmen der Fourier-Analyse untersucht.
4.3 Die trigonometrischen Funktionen
135
Aufgabe 4.33 Die Entfernung des Mondes (der Sonne) von der Erde beträgt etwa
384400 km (149, 6 · 106 km). Der Durchmesser des Mondes (der Sonne) beträgt 3476
km (1, 392·106 km). Welcher Himmelskörper erscheint größer? Unter welchem Winkel
sehen wir sie?
Aufgabe 4.34 Der Äquatorumfang beträgt etwa 40000 km. Welcher Strecke entspricht auf dem Äquator 1 Bogensekunde? Welchem Winkel entsprechen 10 km?
Aufgabe 4.35 Das räumliche Auflösungsvermögen des Menschen (des Wanderfalken) beträgt etwa 1’ (25”). Kann ein Mensch (ein Wanderfalke) auf 1 km noch eine
Maus erkennen?
π
Aufgabe 4.36 Zeigen Sie: i) sin x +
= cos x ii) sin(−x) = − sin x
2
iii) sin 2x = 2 sin x cos x iv) cos x = cos(−x)
Aufgabe 4.37 Wieso ist sin
1
π
= ?
6
2
Aufgabe 4.38 Berechnen Sie sin
π
unter Verwendung von Aufgabe 4.36 und 4.37.
12
Aufgabe 4.39 Zeigen sie für das System (4.52) den Energieerhaltungssatz in der
Form
1
1
1
′
′
M y 2 + ky 2 = E = const
M y 2 = kinetische Energie,
2
2
2
1 2
ky = potentielle Energie.
2
Aufgabe 4.40 Zeigen Sie:
i)
ii)
x+y
x−y
sin
2
2
x−y
x+y
sin
cos x − cos y = −2 sin
2
2
sin x − sin y = 2 cos
Aufgabe 4.41 Beweisen Sie die Additionstheoreme von Sinus und Cosinus mit Hilfe
von (4.49).
(Hinweis: Bei festen y erfüllt sin(x + y) die Gleichung sin′′ (x + y) = − sin(x + y).)
Aufgabe 4.42 Berechnen Sie sin(275◦ ) auf 4 Stellen genau.
Aufgabe 4.43 Berechnen Sie arcsin
1
1√
und arccos
2.
2
2
Aufgabe 4.44 Berechnen Sie f ′ (x) für
√
a) arcsin x
b) arcsin x + arccos x
√
2
c) arctan(x − 1) d) arccos 1 − x2
Aufgabe 4.45 Zeigen Sie mit Hilfe des Additionstheorems, daß
A sin wt+B cos wt = C sin(wt+ϕ). Bestimme ϕ und C. (ϕ wird auch Phase genannt.)
136
Differentialrechnung
Aufgabe 4.46 Die Steigung bei Straßen wird meist in Prozent angegeben und zwar
x
bedeutet x% Steigung, daß das Verhältnis von Höhe zur Straßenlänge gerade 100
ist.
Welches ist die Beziehung zu Grad, Steigung? Berechnen Sie dies konkret für 2%,
8% und 5%.
4.4
∗ Die komplexen Zahlen
Dieser Abschnitt kann beim ersten Lesen weggelassen werden.
Bisher haben wir alle unsere Rechnungen mit reellen Zahlen durchgeführt. Es ist aber
gelegentlich sinnvoll, dieses Zahlensystem noch zu erweitern. Dazu definieren wir in
R2 , der Menge aller Zahlenpaare (x, y), x, y ∈ R, eine Addition und Multiplikation
durch
(x, y) + (x′ , y ′ ) = (x + x′ , y + y ′ )
(4.58)
(x, y) · (x′ , y ′ ) = (xx′ − yy ′ , xy ′ + yx′ ).
y
(x + x′ , y + y ′ )
(x, y)
Die Addition entspricht hierbei
übrigens gerade der Vektoraddition in R2 .
(x′ , y ′ )
x
Legen wir diese Operatoren zugrunde, so nennt man solche Zahlenpaare (x, y) komplexe Zahlen und bezeichnet sie meist mit z, z ′ , . . . Also z = (x, y), z ′ = (x′ , y ′ ), . . .
Assoziativgesetz der Addition und Multiplikation:
(z + z ′ ) + z ′′ = z + (z ′ + z ′′ )
(z · z ′ ) · z ′′ = z · (z ′ · z ′′ )
Dies bedeutet gerade, daß Summen und Produkte von der Klammerung unabhängig
sind. Wie bei den reellen Zahlen gilt für die Addition und Multiplikation ein
Kommutativgesetz:
z + z ′ = z ′ + z, z · z ′ = z ′ · z
Ebenso gilt ein
Distributivgesetz:
z(z ′ + z ′′ ) = z · z ′ + z · z ′′
Man kann also mit komplexen Zahlen wie mit reellen Zahlen rechnen.
4.4 ∗ Die komplexen Zahlen
137
Tatsächlich kann man R auch als Teilsystem der komplexen Zahlen auffassen, wenn
man
x ∈ R mit (x, 0) ∈ R2
identifiziert. Bei dieser Identifizierung bleiben Summen und Produkte erhalten, denn
x + x′
entspricht
(x + x′ , 0) = (x, 0) + (x′ , 0)
x·x
entspricht
(x · x′ , 0) = (x, 0) · (x′ , 0).
Zur Vereinfachung schreibt man daher noch
i = (0, 1) = imaginäre Einheit
und kann dann jede komplexe Zahl z = (x, y) in der Form
z = (x, y) = (x, 0) + (0, y) = (x, 0) + (0, 1)(y, 0) = x + i · y
(4.59)
schreiben. Dabei haben wir noch (x, 0) bzw. (y, 0) durch x bzw. y ersetzt. Mit dieser
Schreibweise gilt dann also
i2 = −1
(4.60)
Es sei hier noch daran erinnert, daß bei reellen Zahlen x stets x2 ≥ 0.
Schreibt man also
z = (x, y) = x + iy,
so nennt man x den Realteil, x = Re z, und y den Imaginärteil, y = Im z, und
hat somit
z = Re z + i Im z.
(4.61)
Dies führt dann auf die Darstellung komplexer Zahlen in der komplexen Zahlenebene C = R2 .
Im
z
Im z
Re z
Re
z
Zur Vervollständigung der Operationen definiert man noch
−z = − Re z + i(− Im z)
138
Differentialrechnung
und hat dann
z + (−z) = 0
−(−z)
und
= z.
Mit
1 = (1, 0) = 1 + i · 0
erhält man
1 · z = z.
Es bleibt noch das Inverse von z = x + iy zu definieren. Wie man leicht sieht, gilt
für x2 + y 2 6= 0
x
y
(x + iy) ·
= 1,
−i 2
x2 + y 2
x + y2
so daß
Allgemeiner ist dann
1
x
y
= z −1 = 2
−
i
z
x + y2
x2 + y 2
z′
z
x, y 6= 0.
(4.62)
= z ′ · z1 .
Damit sieht man leicht (z −1 )−1 = z. Damit hat also C alle Eigenschaften von R, mit
Ausnahme der Ordnung.
Im
z
Für eine komplexe Zahl
z definiert man nun noch
die komplex konjugierte Zahl z durch z =
Re z − i Im z.
z′
Re
z′
z
In der Zahlenebene erhält man z also durch Spiegeln an der reellen Achse.
Das komplexe Konjugieren hat die Eigenschaften
z + z′ = z + z′,
(z) = z,
z = z
z · z′ = z · z′
i = −i
(4.63)
nur wenn z reell ist
Schließlich kann man noch den Absolutbetrag oder Betrag der komplexen Zahl
z durch
1
1
|z| = (x2 + y 2 ) 2 = ((Re z)2 + (Im z)2 ) 2
(4.64)
4.4 ∗ Die komplexen Zahlen
139
definieren.
|z| gibt also genau die Länge des Vektors z = Re z + i Im z an. Für den Betrag gilt
z · z = |z|2 ,
|z · z ′ | = |z| |z ′ |
|z + z ′ | ≤ |z| + |z ′ |
|z| = |z|,
z
z −1 =
|z|2
(4.65)
Aufgabe 4.47 Berechne Realteil, Imaginärteil und Absolutbetrag der folgenden
komplexen Zahlen:
1
;
i
1
;
1−i
1+i
;
1−i
a + ib
a − ib
a, b 6= 0,
a, b ∈ R
Aufgabe 4.48 Zeige, daß |z| = 0 nur wenn z = 0.
Wir wollen nun den Zusammenhang zwischen komplexen Zahlen und trigonometrischen Funktionen untersuchen. Dazu stellen wir z wieder in der komplexen
Zahlenebene dar. Ist dann ϕ der Winkel des Vektors z mit der reellen Achse, so
haben wir
Im
z
|z| sin ϕ
Re z = |z| · cos ϕ
(4.66)
Im z = |z| · sin ϕ
|z|
Man nennt dann
ϕ
|z| cos ϕ
Re
z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ)
(4.67)
1
die Polardarstellung von z. Dabei gilt | cos ϕ + i sin ϕ| = (cos2 ϕ + sin2 ϕ) 2 =
√
1 = 1.
Mit dieser Polardarstellung läßt sich die Multiplikation von komplexen Zahlen geometrisch deuten. Ist nämlich z ′ = |z ′ |(cos ϕ′ + i sin ϕ′ ), so sehen wir
z · z ′ = |z| · |z ′ |(cos ϕ + i sin ϕ) · (cos ϕ′ + i sin ϕ′ )
= |z · z ′ |(cos ϕ cos ϕ′ − sin ϕ sin ϕ′ + i cos ϕ sin ϕ′ + i sin ϕ cos ϕ′ )
= |z · z ′ |(cos(ϕ + ϕ′ ) + i(sin(ϕ + ϕ′ )).
Bei der Multiplikation werden also die Beträge multipliziert und die Winkel (Argumente) addiert.
Dies zeigt sofort
z n = |z|n · (cos nϕ + i sin nϕ).
(4.68)
140
Differentialrechnung
Man kann nun (4.68) umgekehrt verwenden, um die n-te Wurzel
aus komplexen
√
5
Zahlen zu ziehen. Wir wollen uns dies zunächst an dem Beispiel 1 + i verdeutlichen.
Wir wollen also die Gleichung
√
z 5 = 1 + i = 2(cos 45◦ + i sin 45◦ )
lösen.
Mit z = |z|(cos ϕ + i sin ϕ) haben wir also
|z|5 (cos 5ϕ + i sin 5ϕ) =
√
2(cos 45◦ + i sin 45◦ ).
Vergleicht man beide Seiten, erhält man
√
|z|5 = 2, cos 45◦ = cos 5ϕ
Dies gibt
|z| =
√
10
sin 45◦ = sin 5ϕ.
2 ϕ = 9◦ .
Dies ist aber nicht die einzige Lösung, denn da der Sinus und Cosinus 2π-periodisch
sind, kommen die Winkel
ϕk = 9◦ +
k · 360◦
= 9◦ + k · 72◦
5
(k = 0, 1, 2, 3, 4)
ebenfalls in Frage.
z2
z3
z1
9◦
1
2 10
z4
z5
1
Die Lösungen sind also in diesem Fall 2 10 (cos ϕk + i sin ϕk ) k = 0, 1, 2, 3, 4. Geometrisch bilden diese 5(!) Lösungen
gerade die Eckpunkte eines regelmäßigen 5-Ecks,
√
das dem Kreis mit Radius 10 2 einbeschrieben ist.
Will man allgemeiner die Gleichung
z n = r(cos ϕ + i sin ϕ)
(4.69)
4.4 ∗ Die komplexen Zahlen
141
lösen, so erhält man als Lösungen gerade
1
ϕ 360 · k
ϕ 360 · k
zk = r n cos
+
+
+ i sin
k = 0, 1, . . . , n − 1.
n
n
n
n
(4.70)
In diesem Fall bilden die n (!) Lösungen gerade die Eckpunkte
eines regelmäßigen
√
n
n-Ecks, das dem Kreis mit Mittelpunkt (0,0) und Radius r einbeschrieben ist.
Wir haben also gesehen, daß die Gleichung
z n = z0
genau n Lösungen hat. Viel allgemeiner gilt nun
Fundamentalsatz der Algebra
Ein komplexes Polynom vom Grade n, p(z) = a0 + a1 z + . . . an z n , an 6= 0, hat eine
Darstellung der Form
p(z) = an · (z − z1 )(z − z2 ) . . . (z − zn ).
(4.71)
Dabei sind die zi (i = 1, . . . , n) genau die n Nullstellen des Polynoms. Einige der zi
können dabei gleich sein.
Der Fundamentalsatz besagt also, daß ein Polynom vom Grade n genau n Nullstellen
hat, wenn man mehrfach auftretende Nullstellen auch mehrfach zählt. Wir hatten
oben den Fall p(z) = z n − r(cos ϕ + i sin ϕ) behandelt. Nur aufgrund des Fundamentalsatzes spielen die komplexen Zahlen in der Mathematik und in Anwendungen
eine so zentrale Rolle.
Bei der Polardarstellung komplexer Zahlen traten insbesondere die Ausdrücke cos ϕ
+ i sin ϕ auf. Mit der Potenzreihendarstellung von Cosinus und Sinus erhalten wir
∞
X
∞ ϕ2k
P
ϕ2k+1
k
(−1) + i
(−1)k
cos ϕ + i sin ϕ =
(2k)!
(2k
+
1)!
k=0
k=0
∞ ϕn
P
n
iϕ
=
i =e
k=0 n!
Dabei beschreibt der erste (zweite) Term im zweiten Ausdruck genau die (un)geraden
Terme des dritten Ausdrucks.
Wir haben also
cos ϕ + i sin ϕ = eiϕ
(Formel von Euler)
(4.72)
Aufgabe 4.49 Beweise den Fundamentalsatz für quadratische Polynome.
Aufgabe 4.50 Berechne alle Lösungen der Gleichung z 6 = −1.
Aufgabe 4.51 Ist z1 eine Nullstelle des reellen Polynoms p(z) = a0 +a1 z+. . .+an z n ,
ai ∈ R, so ist auch z 1 eine Nullstelle. Welche Konsequenzen hat dies für einen
Fundamentalsatz für reelle Polynome?
142
4.5
Differentialrechnung
Kurvendiskussion
(Schwann, 11. Schulj. §6)
Die Diskussion einer Kurve bzw. genauer einer Funktion, sollte folgende Punkte
behandeln:
i) (Maximaler) Definitionsbereich, Wertebereich
ii) Symmetrieeigenschaften
iii) Nullstellen
iv) Asymptotik
v) Extremwerte, Wendepunkte
vi) besondere Eigenschaften wie Konvexität oder Konkavität.
Bei diesen Untersuchungen spielt f ′ insoweit eine Rolle als:
f ′ (x) > 0 auf einem Bereich ⇒ f wächst dort streng monoton
f ′ (x) < 0 auf einem Bereich ⇒ f fällt dort streng monoton
f ′ (x) = 0 auf einem Bereich ist notwendige Bedingung für ein lokales
Extremum. Dieses Kriterium wird besonders häufig bei der Bestimmung
von Maxima und Minima von Funktionen verwandt.
f ′′ (x) ≥ 0 auf einem Bereich ⇒ f ist dort konvex (d.h. der Graph von f
hängt durch)
f ′′ (x) ≤ 0 auf einem Bereich ⇒ f ist dort konkav (d.h. −f ist konvex)
konvexe Funktionen
konkave Funktionen
Da man heute mit Rechnern relativ einfach Graphen der meisten Funktionen erstellen kann, wird die Kurvendiskussion meist nicht mehr so bedeutsam sein. Doch
ist es häufig wichtig, vor dem Einsatz von Rechnern zumindestens das qualitative
Verhalten der untersuchten Funktion zu kennen. Dies ist besonders wichtig, wenn
die Funktion als Lösung einer Differentialgleichung (siehe dazu §6) vorliegt oder
Gesetzmäßigkeiten beschreibt.
Deshalb wollen wir dazu nur einige Beispiele betrachten, zumal dieser Aspekt in der
Schule meist ziemlich breit behandelt wird.
4.5 Kurvendiskussion
143
Beispiel 4.14
f (x) = xn e−x
2
n = 0, 1, 2, 3, . . .
Die Funktion ist auf ganz R erklärt.
Falls n gerade ist, ist f gerade, d.h. f (x) = f (−x). Gerade Funkionen gehen unter
Spiegelung an der y-Achse in sich über. Falls n gerade ist, hat f nichtnegative Werte.
Wenn n ungerade ist, ist f ungerade (punktsymmetrisch), d.h. f (−x) = −f (x).
In beiden Fällen genügt es also, den Verlauf von f für x > 0 zu kennen. Es gilt
2
2
f (x) = 0 = xn e−x nur wenn x = 0, weil stets e−x > 0.
2
Da die Exponentialfunktion schneller wächst als jedes Polynom, muß xn e−x → 0
für x → ∞. Um die Extremwerte zu bestimmen, berechne
2
2
2
f ′ (x) = nxn−1 e−x − 2xn+1 e−x = xn−1 e−x (n − 2x2 ).
Dies zeigt:
Für x mit n − 2x2 > 0 wächst f streng monoton.
Für x mit n − 2x2 < 0 fällt f streng monoton.
p
Also liegt bei n2 = x ein Maximum vor.
f
pπ
2
Dies gilt auch wenn n > 0 beliebig reell ist.
1
Beispiel 4.15 x > 0, f (x) = x x
Zunächst einmal müssen wir f umschreiben als
1
f (x) = e x ln x = eg(x) .
Um das Verhalten für x → ∞ zu untersuchen, studiere zunächst g. Für x → ∞
setzen wir x = et und sehen
t
g(et ) = t → 0,
e
da die Exponentialfunktion schneller wächst als jede Potenz. Dies zeigt für x → ∞
2
1
1
ln x 1 ln x
ln
x
+ ...
+
f (x) = x x = e x
≈1+
x
2
x
Um die Asymptotik bei 0 zu bestimmen, berechnen wir
1
1
f ( ) = ( )n → 0 für n → ∞.
n
n
144
Differentialrechnung
Es ist nun
′
f (x) = e
1
x
ln x
1
1 1
1
− 2 ln x + 2 = 2 e x ln x (1 − ln x).
x
x
x
Dies zeigt:
f wächst streng monoton für 1 > ln x.
f fällt streng monoton für 1 < ln x.
Bei x = e liegt also ein Maximum vor. Hier ist noch eine kleine Wertetabelle
2
e
3
4
10
100
1000
√
√
f (x) 0, 0039 0, 25 1
2 1, 444668 1, 44225
2 1, 2589 1, 0471 1, 0069
x
0, 25
0, 5
1
Wie man sieht, ist y = 1 eine Asymptote für die Funktion.
∗ Das Newton-Verfahren
Man kann den Mittelwertsatz auch verwenden, um näherungsweise Nullstellen von
Funktionen f zu bestimmen.
Tangente von f in x0
f
Tangente von f in x1
x2
x1
x
x0
f
Dazu nehmen wir an, f sei differenzierbar und x0 sei näherungsweise eine Nullstelle
von f . Um die Nullstelle noch genauer zu bestimmen, schreibt man wie in §4.2 (4.16)
f (x) ≈ f (x0 ) + (x − x0 )f ′ (x0 )
und bestimmt die Nullstelle x1 der rechten Seite, d.h. der Tangente an den Graphen
von f in (x0 , f (x0 )):
f (x0 ) + (x1 − x0 )f ′ (x0 ) = 0
x1 = x0 −
f (x0 )
.
f ′ (x0 )
oder
(4.73)
4.5 Kurvendiskussion
145
In den meisten Fällen ist x1 dann eine bessere Approximation für die Nullstelle. Diese
Methode geht auf Newton zurück und wird Newtonsches Verfahren genannt.
Dieses Verfahren läßt sich iterieren, um so die wirkliche Nullstelle beliebig genau zu
bestimmen. Dies führt zur rekursiv definierten Folge
xn+1 = xn −
f (xn )
f ′ (xn )
(4.74)
Dieses Verfahren ist in der angewandten Mathematik von zentraler Bedeutung.
√
Beispiel 4.16 Berechnen wir noch einmal 2 näherungsweise. Mit
f (x) = x2 − 2 erhalten wir
x2 − 2
. Mit x0 = 1, 4 ergibt das
xn+1 = xn − n
2xn
0, 04
x1 = 1, 4 +
= 1, 414286 und
2 · 1, 4
x2 = 1, 414213564 x22 = 2 + 5 · 10−9
Beispiel 4.17 Wir wollen nun π noch etwas genauer bestimmen. Im vergangenen
Abschnitt hatten wir bereits π ≈ 3, 138 gesehen. Wir betrachten nun die Beziehung
sin π6 = 12 , gehen also von der Funktion
f (x) = sin x −
1
2
und dem Näherungswert x0 = 0, 523 aus. Dies ergibt dann als bessere Näherung
sin 0, 523 − 12
π
≈ 0, 523 − p
.
2
1 − sin2 0, 523
Den Ausdruck sin 0, 523 berechnen wir natürlich mit der Potenzreihe
x3
x5
x7
sin x = x −
+
−
+ ... .
6
120 5040
Wir erhalten sin 0.523 − 0, 5 = −0, 000519 und
π
6
≈ 0, 523 + 0, 000599
oder
(4.75)
π ≈ 3, 141594
Zum Vergleich π = 3, 1415926535 . . .
Das Verzweigen von Arterien
Es ist plausibel, anzunehmen, die Evolution in der Biologie wirke derart, daß die
meisten biologischen Prozesse optimal ablaufen. In der Tat hat Rashewsky dies in
146
Differentialrechnung
“Foundations of Mathematical Biology”, vol. III, ed. Rosen, zum Prinzip des optimalen Plans erhoben. Es ist allerdings nicht immer klar, was optimiert werden soll
bzw. was die Evolution tatsächlich optimiert.
Dessen ungeachtet wollen wir das Problem betrachten, bei dem der Reibungswiderstand bei
einer Arterienverzweigung minimiert wird. Auch
wenn das nebenstehende Bild insgesamt realistischer ist, nehmen wir an, die entsprechenden Arterienstücke seien gerade. Ausgangspunkt unserer
Überlegungen ist das Gesetz von Poiseuille. Danach ist der Strömungswiderstand einer Flüssigkeit
bei einem laminaren Fluß durch
R=k·
d
r4
gegeben.
Dabei ist d die Länge des Rohrs, r der Radius und k eine Konstante, die mit der
Viskosität der Flüssigkeit zusammenhängt. Die Flüssigkeit ist hier natürlich Blut.
Ein laminarer Fluß ist ein glatter Fluß ohne Wirbel. Wir legen das folgende Bild mit
den Längen d0 , d1 , d2 , r1 , r2 und Winkeln Θ0 und Θ zugrunde.
d2
r2
θ0
θ
d1
d0
r1
x
Der Winkel Θ ist dann so zu wählen, daß der Gesamtwiderstand
R=k
d2
d1
+k 4
4
r1
r2
minimal wird. Dazu müssen wir d1 , d2 und x durch Θ ausdrücken:
d0
d0
, d0 cotΘ = x.
= sinΘ, tanΘ0 =
d2
d1 + x
4.5 Kurvendiskussion
147
Durch Umformen erhält man schließlich
d1 = d0 (cotΘ0 − cotΘ).
Der Gesamtströmungswiderstand R ist nun
R(Θ) = k
d1
d2
cotΘ0 − cotΘ
1
+ k 4 = kd0 [
+
].
4
4
r1
r2
r1
sinΘr24
0
, so ist also
Setzt man hier noch R0 = kd0 cotΘ
r14
4
kd0
r2
kd0 1
] = R0 + 4 f (Θ)
− cotΘ
R(Θ) = R0 + 4 [
r2 sinΘ
r1
r2
zu minimieren. Es genügt, hierbei nun f zu betrachten. Wir erhalten mit der Quotientenregel
4
4
cosΘ
−sin2 Θ − cos2 Θ r2
1
r2
′
f =− 2 −
=
[−cosΘ +
].
2
2
sin Θ
sin Θ
r1
sin Θ
r1
Ein Extremwert liegt also bei
Θ = arccos
r2
r1
4
vor. Es bleibt nun noch zu überlegen, daß dies ein Minimum ist. Dazu überlegt man
sich, daß für r2 < r1 f ′ (Θ) zunächst für kleine Θ sehr negativ ist und für Θ ≈ π2
positiv wird. Es kann also nur ein Minimum vorliegen. Die Lösung zeigt, daß kleinere
Arterien unter einem steileren Winkel abzweigen sollten.
3+x
, x 6= −1, 1.
1 − x2
√ √x
Aufgabe 4.53 Diskutieren Sie die Funktion f (x) = ( x) , x > 0.
Aufgabe 4.52 Diskutieren Sie die Funktion f (x) =
Aufgabe 4.54 Bestimmen Sie alle Nullstellen der Funktionen i) sin x
Aufgabe 4.55 Diskutieren Sie die Funktion f (t) =
ii) cos x.
a + de−rt
mit a, b, c, d, r > 0.
b + ce−rt
√
Aufgabe 4.56 Berechnen Sie 5 7 mit dem Näherungswert 1,5 durch einmalige Anwendung der Newtonschen Näherung.
Aufgabe 4.57 Pennycuick beschrieb den Energieverbrauch von Zugvögeln, die mit
der Geschwindigkeit ν fliegen, durch die folgende Formel
E = Aρν 3 +
G2 1
.
Bρ ν
Dabei gibt der erste Term den Beitrag des Luftwiderstands. Der zweite Term beschreibt den Beitrag des Auftriebs. Hierbei ist ρ die Dichte der Luft, G das Gewicht
des Vogels und A = angeströmte Fläche · geometrischer Faktor.
Skizziere E(ν) und bestimme das Minimum. Welche Bedeutung hat dies für Zugvögel?
148
Differentialrechnung
Aufgabe 4.58 In der Enzymkinetik (Michaelis-Menten-Formel) treten Funkionen
der Form
ax
f (x) =
(a, K > 0) auf.
K +x
Diskutiere diese Funktion.
Aufgabe 4.59 Diskutiere und zeichne f (x) =
x2 − 4
.
(1 − x)(1 + x)
Aufgabe 4.60 Diskutiere und zeichne q(x) =
x3
.
2x − 4
√
Aufgabe 4.61 Diskutiere die Funktion f (x) = x3 − 3x2 + 2.
Bestimme den Definitionsbereich und ihre Maxima.
Aufgabe 4.62 In der Fischereibiologie verwendet man die Rekrutierungsfunktionen
αx
F (x) = αx exp − xx0 (Ricker) sowie G(x) = 1+x/x
(Beverton-Holt). Diskutiere diese
0
Funktionen.
4.6
Partielle Ableitung
Die nächstliegende Methode, die Differentialrechnung auch auf reellwertige Funktionen mehrerer Variablen auszudehnen, ist, jeweils nur die Differenzierbarkeit nach
einer Veränderlichen zu untersuchen. Wir wollen dies zunächst an Funktionen von
2 Variablen x und y diskutieren. Um unnötigen Schreibballast zu vermeiden, wollen
wir annehmen, daß alle Funktionen auf hinreichend großen Gebieten erklärt und
stetig sind.
Definition: Die Funktion f (x, y) ist im Punkt (x0 , y0 ) partiell nach x differenzierbar, wenn die Funktion x 7→ f (x, y0 ) nach x differenzierbar ist. In diesem Fall
0)
schreibt man df (x,x
(x0 , y0 ) = ∂f
(x0 , y0 ) und nennt diesen Ausdruck die partielle
dx
∂x
Ableitung von f nach x.
Die partielle Ableitung nach y wird entsprechend definiert.
Beispiel 4.18
i)
√
f (x, y) = x7 y 3 + 3x2 y 5 − 4 xy 2
∂f
(x, y) = 7x6 y 3 + 6xy 5 −
∂x
√2 y 2
x
√
∂f
(x, y) = x7 3y 2 + 15x2 y 4 − 8 xy
∂y
ii) f (x, y) = ex sin y ,
∂f
∂f
(x, y) = sin yex sin y ,
(x, y) = x cos yex sin y
∂x
∂y
4.6 Partielle Ableitung
iii) f (x, y) = xy ,
149
x > 0, y ∈ R
∂f
∂ y ln x
∂f
(x, y) = yxy−1 ,
(x, y) =
e
= ln xey ln x = ln x · xy
∂x
∂y
∂y
Sinngemäß überträgt sich die Definition auch auf Funktionen von 3 und mehr Variablen. Natürlich bleiben auch die alten Regeln des Differenzierens weiterhin gültig.
Beispiel 4.19
p
√ 1
f (x, y, z) = 3x2 y 4 z 7 − 4x17 y 1+z
+ x3 + y 2 + z
∂f
2
√ 1
+ 21 √ 33x 2
(x, y, z) = 6xy 4 z 7 − 68x16 y 1+z
x +y +z
∂x
∂f
1
(x, y, z) = 12x2 y 3 z 7 − 2x17 √1y 1+z
+ 21 √ 32y 2
x +y +z
∂y
∂f
√
1√ 1
1
(x, y, z) = 21x2 y 4 z 6 + 4x17 y (1+z)
2 + 2
x3 +y 2 +z
∂z
Da die partiellen Ableitungen wieder Funktionen von x, y . . . sind, kann man erneut
partielle Ableitungen bilden. Man schreibt dann z.B.
∂
f (x, y)
∂x
∂
∂2
∂
f (x, y) =
f (x, y)
∂y∂x
∂y ∂x
∂
∂ 3f
∂
∂
=
f
∂x∂y∂z
∂x ∂y ∂z
∂2
∂
f (x, y) =
2
∂x
∂x
oder
oder
√
Beispiel 4.20 f (x, y) = x7 y 3 + 3x2 y 5 − 4 xy 2
1
∂ 2f
= 42x5 y 3 + 6y 5 + 3 y 2
2
∂x
x2
∂ 2f
4
= 21x6 y 2 + 30xy 4 − √ y
∂x∂y
x
4
∂ 2f
= 21x6 y 2 + 30xy 4 − √ y
∂y∂x
x
∂2
∂2
f=
f . Man kann zeigen, daß dies generell gilt, wenn
∂x∂y
∂y∂x
alle zweiten partiellen Ableitungen stetig sind, und dies ist fast immer der Fall.
Hierbei fällt auf, daß
Zur Vereinfachung werden wir daher nur Funktionen betrachten, deren partielle Ableitungen bis zu einer gegebenen Ordnung existieren und stetig sind. Unter der Ord-
150
Differentialrechnung
nung einer mehrfachen Ableitung versteht man dabei die Gesamtzahl der Ableitungen. Zum Beispiel sind
∂ 4f
∂ 4f
und
∂x∂y∂x∂x
∂y∂y∂x∂y
partielle Ableitungen 4. Ordnung.
Mit der oben gemachten Annahme gilt dann
z.B.
∂ 3f
∂
∂
∂3
f=
, d.h.
und
∂x∂y∂y
∂y∂x∂y
∂x
∂y
können vertauscht werden.
Anschließend wollen wir uns noch den Mittelwertsatz für 3 Variable und den Satz
von Taylor für 2 Variable ansehen und einige Konsequenzen daraus herleiten.
Mittelwertsatz
f (x, y, z) = f (x0 , y0 , z0 ) +
∂
f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(x − x0 )
∂x
(4.76)
∂
∂
+ f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(y − y0 ) + f (x∗ , y ∗ , z ∗ )(z − z0 )
∂y
∂z
Dabei ist (x∗ , y ∗ , z ∗ ) ein Punkt der zwischen (x0 , y0 , z0 ) und (x, y, z) auf deren Verbindungsstrecke liegt.
Für die Taylor-Reihe bis zur 2. Ordnung erhält man für eine Funktion von 2 Variablen
f (x, y) ≈ f (x0 , y0 ) +
+
∂
∂f
f (x0 , y0 )(x − x0 ) +
(x0 , y0 )(y − y0 )
∂x
∂y
1 ∂ 2f ∗ ∗
(x , y )(x − x0 )2
2 ∂x2
(4.77)
∂ 2f ∗ ∗
(x , y )(x − x0 )(y − y0 )
+
∂x∂y
+
1 ∂ 2f ∗ ∗
(x , y )(y − y0 )2
2 ∂y 2
Die allgemeinen Formeln lassen sich entsprechend aus (4.76) und (4.77) gewinnen.
Wir wollen nun einige Anwendungen betrachten.
4.6 Partielle Ableitung
151
Fehlerrechnung
Die Größen x1 , . . . , xn seien mit den Fehlern ∆1 , . . . , ∆k bestimmt worden. Dann gilt
wegen (4.76)
f (x1 ± ∆1 , . . . , xk ± ∆k ) ≈ f (x1 . . . , xk ) ±
∂f
∂f
∆1 ± . . . ±
∆k .
∂x1
∂xk
Der Fehler der Größe f ist damit durch
k X
∂f
∆f ≈
(x
,
.
.
.
,
x
)∆
1
k
i
∂xi
i=1
(4.78)
abschätzbar.
Extremwerte
Hat eine Funktion von k Variablen x1 , . . . , xk einen Extremwert in (x∗1 , . . . , x∗k ), so
gilt dort
∂f ∗
(x1 , . . . , x∗k ) = 0,
(4.79)
∂xi
denn die Funktion xi → f (x∗1 . . . , x∗i−1 , xi , x∗i+1 , . . . , x∗k ) hängt nur von xi ab und hat
einen Extremwert bei x∗i .
Wir hatten dies schon bei der linearen Regression verwandt und wollen es nun auf
die Bestimmung der Maxima der Funktion
Beispiel 4.21 f (x, y) = sin(xy)e−(x
2 +y 2 )
anwenden. Zunächst fällt auf, daß
f (x, y) = −f (−x, y) = −f (x, −y) = f (−x, −y).
Es genügt daher, den Bereich x ≥ 0, y ≥ 0 zu untersuchen. Da fernerhin f (0, y) =
f (x, 0) = 0, können wir sogar x, y > 0 annehmen. Wir haben nun
∂f
2
2
2
2
= y cos(xy)e−(x +y ) − sin(xy) · 2xe−(x +y ) = 0
∂x
∂f
∂y
= x cos(xy)e−(x
2 +y 2 )
− sin(xy) · 2ye−(x
2 +y 2 )
= 0.
Dies führt auf die Beziehungen
y cos(xy) = 2x sin(xy)
x cos(xy) = 2y sin(xy).
Falls in diesen Beziehungen sin(xy) = 0 bzw. cos(xy) = 0, so folgt leicht x = 0 und
y = 0. Das aber hatten wir ausgeschlossen. Nun gilt
1y
1x
= tan xy =
.
2x
2y
152
Also
Differentialrechnung
y
x
=
x
y
oder
x
y
= ±1. Nach unserer Annahme muß also x = y und
x cos x2 = 2x sin x2
gelten. Da x 6= 0, erhalten wir
tan x2 =
1
2
oder x2 = (0, 4636476 + nπ) n = 0, 1, 2, . . .
Das absolute Maximum wird dabei für n = 0 angenommen.
Wir wollen schließlich aus dem Mittelwertsatz noch eine einfache Form der Kettenregel herleiten. Dazu betrachten wir zunächst wieder eine Funktion von 3 Variablen
x, y, z, die jedoch alle zeitabhängig sind, x = x(t), y = y(t), z = z(t). Wir haben
also
t → f (x(t), y(t), z(t))
und gesucht ist die Ableitung dieser Funktion an der Stelle t0 . Schreiben wir nun
x(t0 ) = x0 , . . . , z(t0 ) = z0 und verwenden noch
x(t) = x0 +
dx ∗
dz
(tx )(t − t0 ), . . . , z(t) = z0 + (t∗z )(t − t0 )
dt
dt
mit t∗x , t∗y , t∗z zwischen t und t0 , so erhalten wir aus (4.76)
f (x(t), y(t), z(t)) = f (x0 , y0 , z0 ) +
∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗
(x , y , z ) · (tx )(t − t0 )
∂x
dt
+
∂f ∗ ∗ ∗ dy ∗
(x , y , z ) · (ty )(t − t0 )
∂y
dt
+
∂f ∗ ∗ ∗ dz ∗
(x , y , z ) · (tz )(t − t0 )
∂z
dt
mit x∗ , y ∗ , z ∗ wie in (4.76).
Dies ergibt:
f (x(t), y(t), z(t)) − f (x0 , y0 , z0 )
∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗
(x , y , z ) (tx )
=
t − t0
∂x
dt
+
∂f ∗ ∗ ∗ dz ∗
∂f ∗ ∗ ∗ dx ∗
(x , y , z ) (ty ) +
(x , y , z ) (tz )
∂y
dt
∂z
dt
und mit t → t0
df
∂f
dx
(t0 ) =
(x0 , y0 , z0 ) (t0 )
dt
∂x
dt
+
dy
∂f
dz
∂f
(x0 , y0 , z0 ) (t0 ) +
(x0 , y0 , z0 ) (t0 )
∂y
dt
∂z
dt
da ja mit t → t0 auch x∗ → x0 , t∗x → t0 , y ∗ → y0 , t∗y → t0 . . .
4.6 Partielle Ableitung
153
Allgemeiner lautet dies
k
X ∂f
d
dxi
f (x1 (t), . . . , xk (t)) =
(x1 (t), . . . , xk (t)) ·
(t).
dt
∂x
dt
i
i=1
(4.80)
Aufgabe 4.63 Bilden Sie alle partiellen Ableitungen 1. Ordnung
i) f (x, y, z) = xy 2 z 3
ii) f (x, y, z) =
√
2
x ln(x + y) · e−y z 6 .
Aufgabe 4.64 Was läßt sich über eine Funktion f (x, y) sagen, für die
∂
f (x, y) = 0?
∂x
Aufgabe 4.65 Es seien f und g zweimal stetig differenzierbar und
∂2
∂2
h(x, t) = f (x+at)+g(x−at). Dann erfüllt h die Wellengleichung 2 h−a−2 2 h = 0.
∂x
∂t
Aufgabe 4.66 Bestimmen Sie die Extremwerte von f (x, y) = xye−(x
2 +y 2 )
.
x2
Aufgabe 4.67 Zeigen Sie, daß f (x, t) = √1t e− 4Dt eine Lösung der Diffusionsgleichung
∂ 2f
∂f
=D 2
∂t
∂x
ist.
Aufgabe 4.68 Ein Bademeister sieht von seinem Turm aus, wie ein Ertrinkender
um Hilfe schreit. Er möchte natürlich möglichst schnell zu Hilfe eilen. Welchen Weg
soll er wählen, wenn seine Geschwindigkeit an Land 4 km/h und im Wasser 2,5 km/h
beträgt? Orientieren Sie sich an der untenstehenden Skizze.
(Hinweis für Bademeister: Wenn Sie zuerst die Rechnung ausführen, kommen Sie in
jedem Fall zu spät.)
∗
Turm
α
a
0
x
β
Position des
Ertrinkenden
∗
(b, c)
Wasser
154
Differentialrechnung
Aufgabe 4.69 In Wasser ist das Produkt von Hydronium Ionenkonzentration [H3 0+ ]
und Hydroxyl Ionenkonzentration [OH − ] annähernd konstant = 1014 (Maßeinh.
Mol). Sei S = [OH − ] + [H3 O+ ]. Bestimme den Wert von [H3 O+ ] für den S minimal ist.
Aufgabe 4.70 Der Energieverbrauch vom Wellensittich in Jg −1 km−1 wird durch
E = v1 (0.31(v − 35)2 + 92) beschrieben. Dabei wird v in km/h gemessen. Welche
Geschwindigkeit ist am sinnvollsten?
Aufgabe 4.71 Für die Taufliegen fällt die Anzahl der Nachkommen y deutlich mit
der Populationsdichte x gemäß y = 34.53e−0.018x x−0.658 . Bestimme y und y ′ für
x = 20.
Aufgabe 4.72 Der Ertrag Y einer Pflanzensorte wächst nicht beliebig mit der
Düngung x, sondern genügt dem Gesetz von Mitcherlich. Sie wollen den Gewinn
c1 Y − c2 x maximieren.
y = y0 (1 − e−kx )
4.7
Extremwertaufgaben und andere Anwendungen
1. Eine Firma möchte 1l Dosen herstellen. Dabei soll der Blechverbrauch minimal
sein.
r
h
Ist die Höhe der Dose h und r ihr Radius, so gilt für das Volumen V = πr2 · h
und für die Oberfläche O = 2πr · h + 2r2 π. Da V fest vorgegeben ist, gilt
h = πrV 2 und damit
O = 2πr
Also
2V
V
+ 2r2 π =
+ 2r2 π.
2
πr
r
dO
2V
= − 2 + 4rπ
dr
r
p
V
dO
3
3
=
0
gibt
schließlich
r
=
oder
r
=
V /2π. Für diesen Wert muß ein
dr
2π
Minimum vorliegen, denn O(r) → ∞ für r → 0 und r → ∞.
4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen
155
2. Das Wachstum vieler Populationen wird recht gut durch das Logistische Gesetz
P (t) = P0
1
1 + ae−bt
beschrieben. Wann ist die Wachstumsrate maximal?
Wir haben nach der Quotientenregel für die normierte Wachstumsrate
P
P0
′
abe−bt
=
=
(1 + ae−bt )2
P
P0
2
abe−bt .
Also
P
P0
′′
=2
P
P0
′
abe
−bt
P
P0
−
P
P0
2
ab2 e−bt = 2
3
2
P
P
2 2 −2bt
abe
−
ab2 e−bt
P0
P0
und damit wird (P/P0 )′′ = 0 wenn 2(P/P0 )ae−bt −1 = 0 oder 2ae−bt = 1+ae−bt .
Also ae−bt = 1 oder ln a = bt, d.h. t = lnba . Setzt man diesen Wert oben ein,
erhält man gerade P = P0 /2.
3. Kugelstoßen
Unter welchem Winkel erzielt man beim Kugelstoßen die größte Weite?
y
v
ϕ
h
x
Die Abstoßgeschwindigkeit sei v0 und h sei die Abstoßhöhe. Dann gilt in der
ballistischen Phase
y ′′ = −g
g = Erdbeschleunigung
y ′ = −gt + v0 sin ϕ
y = h + v0 sin ϕt − 12 gt2 .
Der Stoß ist beendet zur Zeit t∗ , wenn y(t∗ ) = 0 oder
1
h + v0 sin ϕt∗ = gt∗2 .
2
156
Differentialrechnung
Die Weite ist dann v0 cos ϕt∗ = W . Für h = 0 erhält man t∗ = 2v0 sin ϕ g1 und
damit
1
w = 2v02 cos ϕ sin ϕ = v02 g −1 sin 2ϕ.
g
Diese Funktion hat ihr Maximum bei 45o .
Aufgabe 4.73 Löse auch den Fall h 6= 0.
4. Anpassen von Kurven
Biologie ist eine experimentelle Wissenschaft, d.h. alle Erkenntnisse beruhen
auf Daten. Gleichwohl strebt man in den Naturwissenschaften an, Daten und
Erkenntnisse gesetzmäßig zu erfassen. Gesetze geben nicht nur eine kompaktere
Darstellung von Beziehungen sondern geben auch kausale Zusammenhänge
zwischen verschiedenen Faktoren. Dazu wollen wir hier nur den einfachsten
Fall behandeln, nämlich den Zusammenhang zwischen zwei Größen X und
Y , z.B. X = Masse, Y Grundumsatz, X = Düngermenge, Y = Ertrag, X =
Temperatur, Y = Ausbeute eines chemischen Prozesses. Gegeben seien nun
die Meßwerte (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ). Gesucht ist ein Gesetz, d.h. eine Formel die
X und Y in Beziehung setzt, also
y = f (x).
Um zu sehen, ob so etwas sinnvoll ist, trägt man zunächst die Datenwerte in ein
Diagramm, das Streudiagramm ein. Jetzt kann man schon ungefähr sehen, ob
so ein Gesetz Sinn macht. Im einfachsten Fall erhält man einen Graphen, wo die
Daten alle auf einer glatten Kurve liegen (I). Das ist aber die Ausnahme, denn
meist sind die Daten noch mit Meßfehlern und zufälligen Fehlern behaftet.
Welche Funktion kommt also für in Frage, der Polygonzug oder die etwas glattere Kurve. Wir sehen schon, daß es eine große Zahl von Gesetzen (Funktionen)
gibt, z.B. kann man n Datenpunkte immer durch ein Polynom vom Grade n
exakt beschreiben. Das aber ist viel zu kompliziert. Wir müssen die Aufgabe
daher präzisieren.
Aufgabe 4.74 Beschreibe die Daten (x1 , y1 ), . . . , (xn , yn ) durch möglichst einfache Funktionen möglichst gut.
4.7 Extremwertaufgaben und andere Anwendungen
157
In dieser Anforderung stecken zwei entgegengesetzte Forderungen, nämlich einfache Darstellung und hohe Genauigkeit. Die Gesetze sollen also möglichst
einfach aber präzise sein.
In der Praxis wählt man dabei meist eine Familie von “flexiblen” Funktionen,
die noch von mehreren Parametern abhängen und wählt dann die Parameter
möglichst günstig. Hier ein paar Beispiele:
(a) Lineare Funktionen f (x, a, b) = ax + b
(b) Polynome f (x, a, b, . . . ) = axn + bxn−1 + · · · + e
(c) Exponentialfunktionen f (x, a, b) = ae+bx
(d) Potenzfunktion f (x, a, b) = axb
Eine weitere Forderung an die Parameter dabei ist: Die Parameter müssen innerhalb der Theorie interpretierbar sein und eine bestimmte Bedeutung haben.
Damit aber wird das Problem
(a) Finde eine geeignete Funktionenfamilie.
(b) Wähle die Parameter so, daß der Fehler möglichst klein wird.
Als Fehler wählt man meist die quadratische Abweichung, denn kleine Abweichungen
werden weitgehend vernachlässigt, während große Abweichungen stark zu Buche
schlagen. Der quadratische Fehler bei Wahl der Parameter a, b, . . . ist also
Q(a, b, . . . ) =
n
X
i=1
[yi − f (xi , a, b, . . . )]2 .
(4.81)
Damit ist das Problem: Wähle a, b, . . . , so daß Q(a, b, . . . ) minimal wird. Dies führt
sofort auf die Beziehungen
∂Q
= 0,
∂a
∂Q
= 0, . . . ,
∂b
(4.82)
die für die Daten gelten müssen. Fassen wir die Schritte zusammen:
1. Erstelle ein Steudiagramm.
2. Aufgrund des Diagramms wähle eine geeignete Funktionenklasse F(a, b, . . . ).
3. Q(a, b, . . . ) → min.
Hier einige Beispiele dazu:
Beispiel 1: Vermutetes Gesetz y(x) = ax (Proportionalität)
Q(a) =
n
X
(yi − axi )2
i=1
dQ
= −2
da
X
Pn
yi xi )
= a.
(yi − axi )xi = 0 ⇒ Pi=1
n
2
i=1 xi
(
158
Differentialrechnung
Dieses a ist übrigens genau das Minimum, denn Q als Funktion von a ist eine Parabel.
Beispiel 2: Die linearen Funktionen y(x) = ax + b
Q(a, b) =
n
X
(yi − axi − b)2
i=1
n
n
X
X
X
∂Q
= −2
(yi − axi − b)a = 0 ⇒
yi = a
xi + nb oder y = ax + b
∂k
i=1
i=1
n
n
X
X
X
∂Q
= −2
(yi − axi − b)axi = 0 oder
yi xi = a
x2i + nb.
∂a
i=1
i=1
159
Kapitel 5
Integralrechnung
Integralrechnung (Schwann, Analysis Grundkurs 12/13 § 4)
5.1
Flächeninhalt
Es sei f eine reellwertige Funktion auf dem beschränkten Intervall [a, b] mit nichtnegativen Werten.
Gesucht ist der Flächeninhalt F unterhalb des Graphen von f . Dieses
Problem müssen wir in zwei Teilprobleme aufspalten. Nämlich: Existiert
ein Flächeninhalt, und zweitens, wie
bestimmt man ihn?
f
F
a
b
x
Wir wollen die Bestimmung des Flächeninhaltes als Ausgangspunkt unserer Betrachtungen wählen.
Fi
f
x0 = a x1 x2
xi xi+1
b = xn x
Intuitiv würde man den Flächeninhalt F unterhalb des Graphen von f
bestimmen, indem man das Intervall
[a, b] in Teilintervalle [xi , xi+1 ] zerlegt und den Flächeninhalt Fi eines
jeden Streifens Fi bestimmt und aufsummiert,
P
F =
Fi . Fi können wir ungefähr bestimmen, indem wir uns einen Wert x′i ∈
′
′
[xi , xi+1 ] hernehmen und Fi durch den Streifen
P Fi = [xi , xi+1′ ] × [0,′ f (xi )] ersetzen.
Wir erhalten damit: F ist ungefähr gleich (xi+1 − xi ) · f (xi ) = F .
160
Integralrechnung
F ′ entspricht dabei der schraffierten
Fläche. Wenn die Funktion halbwegs
vernünftig ist, wird F ′ ungefähr gleich
F sein, sofern die Zerlegung fein genug
ist.
a
b
Wir wollen nun diese Überlegungen präzisieren. Für Sie ist es allerdings nicht erforderlich, alles im einzelnen nachzuvollziehen. Im allgemeinen genügt die Grundidee.
Definition: Es sei [a, b], a < b, ein endliches Intervall. Eine Zerlegung von [a, b]
ist dann eine Folge von Zahlen
a = x0 < x1 < . . . < xn = b.
Die Feinheit oder Weite der Zerlegung sei max (xi+1 − xi ) = w((xi )).
0≤i≤n−1
Alle Funktionen, die wir von nun ab betrachten, sollen reellwertige Funktionen sein,
die auf dem festen Intervall [a, b], a < b, erklärt sind.
Es sei f eine Funktion und a = x0 < x1 < . . . < xn = b eine Zerlegung von [a, b].
Ferner seien x′i ∈ [xi−1 , xi ], i = 1, . . . , n. Dann nennen wir den Ausdruck
S
(f, (xi ), (x′i )ni=1 )
=
n
X
i=1
f (x′i )(xi − xi−1 )
(5.1)
eine Riemann-Summe (R.S.) für f zu der Zerlegung (xi ) und den Zwischenpunkten (x′i ).
Wenn es nun einen Flächeninhalt F unter dem Graphen von f gibt, erwarten wir,
daß S(f, (xi ), (x′i )) → F , wenn die Zerlegung feiner und feiner gemacht wird. Dies
legt folgende Definition nahe.
Definition: f heißt (Riemann-)integrierbar (R.i.), wenn es ein F ∈ R gibt, so daß
es zu jedem ε > 0 ein δ(ε) > 0 gibt mit |F − S(f, (xi ), (x′i ))| < ε, sofern die Feinheit
der Zerlegung w((xi )) < δ.
Falls f R.i., so nennen wir F das (Riemann-)Integral von f über [a, b] und bezeichRb
nen es mit a f (x)dx. Man nennt f den Integranden, x die Integrationsvariable
und a und b die Grenzen des Integrals.
Bei dieser Definition muß man noch berücksichtigen, daß die Zahl F , falls sie existiert, eindeutig ist, weil dies für Grenzwerte gilt. Grob gilt also S(f, (xi ), (x′i )) →
Zb
f (x)dx = Fläche zwischen a, b unterhalb des Graphen von f . Also genau, was wir
a
erwartet haben.
5.1 Flächeninhalt
161
Bei Summen hatten wir
n
X
i=1
ai =
n
X
aj ,
j=1
d.h. die Summationsvariable spielt keine Rolle. Entsprechend gilt auch beim R.I.,
daß es unabhängig von der Integrationsvariablen ist. Also
Zb
f (x)dx =
a
Zb
a
f (t)dt =
Zb
f (s)ds . . . .
a
Beispiel 5.1 Es sei c, d ∈ [a, b] und c ≤ d. Ferner sei

 e c≤x≤d
f (x) =
 0 sonst.
f
e
Es sei nun (xi )ni=1 eine Zerlegung von
[a, b] der Weite w(x) < δ > 0, und es
sei c ∈ [xi0 −1 , xi0 ] und d ∈ [xi1 −1 , xi1 ].
a
c
d
b
Dann gilt offensichtlich für die zugehörige Zwischensumme S
e(xi1 −1 − xi0 ) ≤ S ≤ e(xi1 − xi0 −1 )
Rb
falls e ≥ 0, d.h. |S−e(d−c)| ≤ 2ew((xi )). Also existiert das Integral und a f (x)dx =
e(d−c), d. h., man erhält das erwartete Ergebnis. Ein allgemeines wichtiges Resultat
ist nun der folgende Satz. Er zeigt, daß die Flächen bzw. das Integral bei allen
anständigen Funktionen existieren.
Jede stetige reellwertige Funktion ist Riemann-integrierbar.
Allgemeiner sind auch stückweise stetige Funktionen integrierbar. Dabei ist eine
Funktion stückweise stetig, wenn sie stetig ist mit Ausnahme von endlich vielen
Punkten. Für uns bedeutet dies, daß praktisch alle in der Biologie auftretenden
Funktionen R.i. sind, d.h., Sie brauchen sich um die Existenz nicht zu sorgen (aber
wohl um die Berechnung!).
Dieser Satz bedeutet insbesondere, daß für solche Funktionen das Integral durch
beliebige Zwischensummen approximiert werden kann. Üblicherweise nimmt man
dabei äquidistante Zerlegungen xi = a + b−a
i und
n
x′i = xi oder = xi+1 .
Natürlich hilft die bloße Existenz des Integrals in Anwendungen gar nichts, sondern
wir benötigen noch Regeln, um Integrale zu berechnen. Dazu benötigen wir zunächst
einige Regeln, um mit Integralen umzugehen.
162
Integralrechnung
Eigenschaften des Integrals
a) Es seien f und g integrierbar. Dann ist f + g integrierbar und
Zb
(f (x) + g(x))dx =
Zb
g(x)dx +
f (x)dx.
(5.2)
a
a
a
Zb
b) Es sei f integrierbar und c ∈ R. Dann ist cf integrierbar und
Zb
cf (x)dx = c
a
Zb
f (x)dx.
(5.3)
a
c) Ist f integrierbar und f ≥ 0, so gilt
Zb
f (x)dx ≥ 0.
(5.4)
a
d) Sind f und g integrierbar und gilt f (x) ≥ g(x), so haben wir
Zb
f (x)dx ≥
a
Zb
g(x)dx.
(5.5)
a
Man zeigt dies mit Hilfe der Zwischensummen.
Zerlegungssatz
Es sei a < c < b. Dann ist f genau dann über [a, b] integrierbar, wenn es über [a, c]
und [c, b] integrierbar ist. In diesem Fall gilt
Zb
a
f (x)dx =
Zc
a
f (x)dx +
Zb
f (x)dx.
(5.6)
c
Interpretiert man die Integrale als Flächeninhalte, so sind diese Eigenschaften meist
unmittelbar klar.
5.2
Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
Bislang haben wir noch keine vernünftige Methode zur Hand, um Integrale zu bestimmen. Eine solche wollen wir nun herleiten. Tatsächlich ist dies für uns praktisch
die einzige Methode.
5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
163
Es sei nun f über [a, b] integrierbar. Wir betrachten dann die Funktion
F (x) =
Zx
f (t)dt,
(5.7)
a
die uns den Flächeninhalt unter f bis x angibt. Uns interessiert dabei aber F als
Funktion von x.
Offensichtlich ist nun F (x′ ) − F (x) das doppelt schraffierte Flächenstück und
F (x′ ) − F (x) ≈ f (x)(x′ − x)
f
falls x′ nahe bei x liegt.
Für stetige Funktionen gilt
F (x′ ) − F (x)
= f (x)
x →x
x′ − x
lim
′
a
x
d.h. F ist differenzierbar, und F ′ = f .
Ein solches F nennt man auch eine Stammfunktion von f .
x′
Wir haben damit das wichtige Ergebnis, das eine Beziehung zwischen Integration
und Differentiation herstellt.
Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
a) Es sei f eine stetige reellwertige Funktion auf [a, b]. Dann ist F (x) =
eine Stammfunktion von f , d.h., es gilt F ′ = f .
Rx
a
f (t)dt
b) Ist umgekehrt F eine Stammfunktion von f , so gilt
Zb
f (x)dx = F (b) − F (a) = F |ba .
a
Durch diesen Satz werden also Differentiation und Integration eng miteinander verknüpft, und man kann sagen: Integration ist die Umkehrung der Differentiation und umgekehrt. Dies ist bei weitem das wichtigste Ergebnis in diesem Abschnitt.
Sie sollten es daher hinreichend gut verinnerlichen.
Durch diesen Satz wird auch ein anderes Problem von uns gelöst. Läuft ein Prozeß
mit der Rate f (t) ab, so ist der Stoffumsatz bzw. Stoffdurchlauf im Zeitintervall [a, b]
Rt
Rb
gerade a f (t)dt = F (b) − F (a). Dabei ist F (t) = a f (s)ds.
Beispiel 5.2
Zπ
0
′
denn es gilt − cos x = sin x.
sin xdx = − cos π + cos 0 = 2,
164
Integralrechnung
Beispiel 5.3
Z2
xα dx =
1
(2α+1 − 1), α 6= −1
α+1
1
1
xα+1 )′ = xα .
denn ( α+1
Rπ 2
Beispiel 5.4 0 sin
R πxdx = I läßt sich so unmittelbar nicht berechnen. Da aber
offensichtlich auch 0 cos2 xdx = I ist, haben wir
2I =
Zπ
(sin2 x + cos2 x)dx =
Zπ
1dx = π oder I =
π
.
2
0
0
R2
Beispiel 5.5 Es ist 1 x1 dx = ln 2. Eine Näherungssumme dafür ist für x0 = 1, x1 =
1
+ 1, x2 = 1 + n2 , . . .
n
1
Sn =
n
1
1+
1+
1
n
1
+
1+
2
n
+ ...
!
=
1
1
1
1
+
+
+ ... +
n n+1 n+2
2n − 1
→ ln 2.
Wegen des Hauptsatzes führen alle wichtigen Ergebnisse der Differentialrechnung zu
entsprechenden Aussagen der Integralrechnung. Die Produktregel
(f · g)′ = f ′ g + g ′ f
beispielsweise führt zum Satz über die partielle Integration.
Partielle Integration
Es seien f und g differenzierbar, dann gilt:
Zb
′
f (x)g(x)dx = −
Zb
f (x)g ′ (x)dx + f (b)g(b) − f (a)g(a).
a
a
Beispiel 5.6
Z1
x
xe dx =
xex |10
0
−
Z1
1ex dx = e1 − (e1 − e0 ) = 1
0
Auch die Kettenregel
(F (g(x)))′ = F ′ (g(x))g ′ (x)
hat ein entsprechendes Ergebnis.
(5.8)
5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
165
Substitutionsregel
Es sei f stetig und g differenzierbar, und f · g sei definiert. Dann gilt
Zb
a
Zg(b)
f (y)dy.
f (g(x))g ′ (x)dx =
(5.9)
g(a)
Zum Beweis wähle F , so daß F ′ = f .
Beispiel 5.7
Z1
2x
dx =
1 + x2
Z1
=
Z1
0
1
· 2xdx (mit g(x) = 1 + x2 )
1 + x2
0
′
f (g(x)) · g (x)dx =
Z2
1
dy
y
1
0
= [ln y]21 = ln 2 − ln 1 = 0, 6931 . . .
Beispiel 5.8
Z1 √
1 − x2 dx.
−1
p
f (y) = 1 − y 2 , g(x) := sin x, g ′ (x) = cos x, sin π2 = 1, sin(− π2 ) = −1. Für x ∈
p
[− π2 , π2 ] ist cos x ≥ 0 also f (g(x)) = 1 − sin2 x = cos x.
π
Z2 p
Z1 p
1 − y 2 dy =
1 − sin2 x · cos xdx
− π2
−1
π
=
Z2
cos2 xdx =
− π2
π
(vgl. Beispiel 5.4).
2
√
Man beachte, daß 1 − x2 gerade den Halbkreisbogen beschreibt. Der Flächeninhalt
des Einheitskreises ist also gerade π.
Beispiel 5.9
Z
dx
=
sin x cos x
Z
1
dx =
tan x · cos2 x
Z
1
(tan x)′ dx = ln | tan x|.
tan x
Beispiel 5.10
Z
1
dx
=
sin x
2
Z
x dx
tan
=
ln
+ C.
sin x2 cos x2
2
166
Integralrechnung
Gesetz über das allometrische Wachstum
Es sei y(t) der Wert einer bestimmten Größe (Stoffmenge) zur Zeit t. Dann ist y ′ (t)
′ (t)
die Veränderungsrate dieser Größe und yy(t)
die relative Veränderungsrate.
Beispiel 5.11
i) s(t) sei der Ort eines Teilchens. Dann ist s′ (t) = v(t) die Geschwindigkeit, v ′ (t)
die Beschleunigung,
ii) y(t) sei die Größe (Anzahl) einer Population zur Zeit t. Dann ist y ′ (t) die
Wachstumsrate.
iii) y ′ /y ist dann die relative Wachstumsrate.
In der Biologie gilt für viele Größen x, y, z . . . (z.B. Gesamtmasse, Masse bestimmter Organe, Länge bestimmter Organe, Oberfläche. . . ) das Gesetz des allometrischen
Wachstums, d.h., die relativen Wachstumsraten sind proportional. Im Volksmund würde man sagen: Wer viel hat, dem wird noch mehr gegeben.
Mathematisch bedeutet dies also
c
y′
x′
= .
x
y
(5.10)
Wir integrieren nun (5.10) von 0 bis t und erhalten mit der Substitution u = x(t)
aus
Zt ′
Zx(t)
x
1
x(t)
dt =
du = ln x(t) − ln x(0) = ln
x
u
x(0)
0
x(0)
zunächst
y(t)
= c ln
ln
y(0)
x(t)
x(0)
= ln
x(t)
x(0)
c
Entlogarithmieren ergibt
y(t) =
y(0)
· x(t)c
c
x(0)
oder
y(t) = Ax(t)c .
(5.11)
Für Größen, die durch das allometrische Gesetz verknüpft sind, gilt also (5.11).
Dieser Zugang geht besonders auf J. Huxley (Problems of Relative Growth, London
1932) zurück. Das hier zitierte Buch enthält eine Fülle von Beispielen dazu.
Aufgabe 5.1 Finden Sie Stammfunktionen
5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
a)
b)
c)
d)
e)
f)
R
xdx
g)
R
et2 dt
h)
R
i)
R
− 14 x4 dx
dx
R
1
dt
2
R
x−2 dx
Aufgabe 5.2 Berechnen Sie
b)
R√
xdx
R
0
Z2
Ze2
Z4
sin
Zπ
cos xdx,
Z2
c)
sin xdx
π
d)
ln wdw
0
Aufgabe 5.3 Man berechne
Z2
a) (2 + 3x)dx,
c)
1
√ dx,
x
π
4
− x dx
0
0
Z2
(x + 3)2 dx
1
1
b)
2
dz
z3
πdx
R√
2pxdx
j)
R√
k)
2pxdp
R 2
l) 5 √
4 z dz
π
a)
R
167
d)
Z1 √
√
x+x6x
√
dx.
3
x
0
1
Aufgabe 5.4 Mittels Produktregel berechne man
a)
Z2
x · 2x dx,
Z1
√
x 1 + xdx,
Z2
ln xdx.
0
b)
0
c)
0
Aufgabe 5.5 Mit Hilfe der Produktregel bestimme man eine Stammfunktion zu
a) f : R+ → R, f (x) :=
ln x
,
x2
b) f : R → R, f (x) := sin2 x.
168
Integralrechnung
Aufgabe 5.6 Man beweise:
a) c > a, b ⇒
Zb
a
1
dx = ln(c − b) − ln(c − a).
x−c
b) Auf R\{c} ist ln |x − c| Stammfunktion zu
1
.
x−c
Aufgabe 5.7 Man berechne mit Hilfe der Substitutionsregel:
a)
Z1
x2 (1 + x3 )4 dx,
Z10
xe−x dx,
Z1
√
0
b)
2
0
c)
0
x3
dx (y = g(x) = x2 ).
2
1+x
Aufgabe 5.8 Berechne mit Hilfe der Variablentransformation
a)
Za
1
(ln t)2 dt.
t
Za
tan tdt.
Za
ex
dx
e2x + 1
Z1
(ax2 + b)5 xdx.
1
b)
0
c)
0
d)
0
Aufgabe 5.9 Berechne
|x| ≤ a.
Z
√
dx
mit Hilfe der Substitution x = a sin t sofern
a2 − x 2
Aufgabe 5.10 Berechne mit mehrfacher partieller Integration
Za
0
xn eax dx.
5.2 Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
Aufgabe 5.11 Berechne
Z2
169
√
x3 1 + x2 dx.
1
Aufgabe 5.12 Bestimme eine Stammfunktion zu xα ln x.
(Hinweis: Partielle Integration)
π
Aufgabe 5.13
Z2
0
cos x
dx (Substitution g = sin x).
1 + sin2 x
Aufgabe 5.14 Ist x →
Zx2
sin(t2 )dt differenzierbar? Bestimmen Sie ggf. die Ablei-
0
tung.
Aufgabe 5.15 Leiten Sie
Zx
2
et dt ab.
0
Aufgabe 5.16 Berechne
Zx
sin2 tdt mit Hilfe der partiellen Integration. Leiten Sie
0
aus diesem Ergebnis auch
Zx
0
Aufgabe 5.17 Berechne:
a)
Zπ
x sin xdx.
Zπ
x2 ex dx.
Z2π
cos xex dx.
Zπ
x2 cos xdx.
0
b)
0
c)
0
d)
0
cos2 tdt her.
170
Integralrechnung
5.3
Volumen, Flächen und Bogenlängen
Mit Hilfe der Integralrechnung können wir nun Flächen berechnen.
Wird beispielsweise die Fläche F durch f und
g berandet, so gilt
f
F =
(f − g)dx,
(5.12)
a
F
denn
g
a
Zb
b
Zb
f dx ist die Fläche unterhalb von f ,
a
x
während
Zb
gdx die Fläche unterhalb von g ist.
a
Mit Hilfe der Integration können wir auch Volumina bestimmen. Ist etwa ein Körper
gegeben, der durch die Flächen in x = a und x = b begrenzt wird und der an der
Stelle x den Querschnitt Q(x) hat, so gilt für das Volumen V dieses Körpers
Q(x)
x
a
b
V =
Zb
Q(x)dx.
(5.13)
a
Als Spezialfall von (5.13) wollen wir das Volumen eines Drehkörpers bestimmen, der
durch Rotation des Graphen einer Funktion f entsteht.
In diesem Fall ist
Q(x) = π · f (x)2
und wir erhalten
V =π
Zb
a
f (x)2 dx.
(5.14)
5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen
171
f
a
b
x
Wir haben hierbei natürlich f (x) ≥ 0 in [a, b] vorausgesetzt.
Beispiel 5.12 Das Volumen der Spindel, die durch Rotation der Funktion
f (x) = sin x um die x-Achse zwischen 0 und π entsteht, ist
V =π
Zπ
1
sin2 xdx = π 2 .
2
0
Beispiel 5.13 Bestimme das Volumen des Rotationsellipsoids, das durch Rotation
einer Ellipse mit den Hauptachsen a und b entsteht. Die Gleichung der Ellipse ist
x2 y 2
+ 2 =1
a2
b
oder
2
y =b
2
x2
1− 2
a
,
−a ≤ x ≤ a.
z
y
x
Also erhalten wir
Za x3
a 4π 2
x2
2
2
1 − 2 dx = 2πb x − 2 |a0 = 2πb2 a −
b a.
V = 2πb
=
a
3a
3
3
0
Um die Oberfläche (genauer Mantelfläche M ) eines Rotationskörpers zu bestimmen,
gehen wir von der folgenden Skizze aus. Dabei ist es klar, daß die Oberfläche sich
aus kleinen Oberflächensegmenten der Form
∆f
∆x
x
a
x
x + ∆x
b
x
x + ∆x
172
Integralrechnung
zusammensetzt.
Die Mantelfläche eines jeden solchen Segmentes ist ungefähr
oder
p
1
△O = (f (x) + f (x + △x)) · △x2 + △f 2 · 2π
2
2
s
1 ′
△f
△O ≈ 2π f (x) + f (x) △ x
△x
1+
2
△x
s
s
2
2
△f
△f
′
2
= 2πf (x) 1 +
△ x + πf (x) △ x · 1 +
△x
△x
Insgesamt erhält man für die Mantelfläche M
M = lim
△x→0
X
△O = 2π
Zb
f (x)
a
p
1 + f ′ (x)2 dx.
(5.15)
√
Beispiel 5.14 ∗ Oberfläche einer Kugel f (x) = R2 − x2
s
ZR √
ZR
2
1
x
M = 2π2
R 2 − x2 1 + 2
dx = 4π (R2 − x2 + x2 ) 2 dx
2
R −x
0
= 4πR ·
0
ZR
dx = 4πR2 .
0
Beispiel 5.15 Oberfläche der Spindel aus Beispiel 5.12
f (x) = sin x
M = 2π
Zπ
π
√
sin x 1 + cos2 xdx = 4π
0
Z2
√
sin x 1 + cos2 xdx.
0
Wir setzen hier cos x = u u′ = − sin x und erhalten
M = 4π
Z1 √
1 + u2 du.
0
Um dieses Integral zu lösen führen wir die Funktionen
1
1
C(x) = (ex + e−x ) und S(x) = (ex − e−x )
2
2
(5.16)
ein. Für diese Funktionen gilt
C 2 − S 2 = 1 und S ′ = C, C ′ = S
(5.17)
5.3 Volumen, Flächen und Bogenlängen
173
wie man leicht nachrechnet. Mit der Substitution u = S(t) erhalten wir mit a =
S −1 (1):
M = 4π
Z1 √
1 + u2 du = 4π
0
= 4π
Za
Za √
C 2 − S 2 + S 2 Cdt
0
C 2 dt = π
Za
(e2t + 2 + e−2t )dt
0
0
1
1 2a
−2a
(e − 1) + 2a + (1 − e )
= π
2
2
a
−a
= π e S(a) + 2a + e · S(a) = π ea + e−a + 2a
n p
o
√
= π {2C(a) + 2a} = π 2 1 + S 2 (a) + 2a = 2π[ 2 + a].
Die Funktionen C bzw. S werden übrigens hyperbolischer Cosinus bzw. hyperbolischer Sinus genannt.
1
Beispiel 5.16 Oberfläche des Parabelbogens f (x) = x2 zwischen 0 und 1. Es ist
2
Z1
1
1
O = 2π
x2 (1 + x2 ) 2 dx. Wir substituieren hier wieder x = S(t) und erhalten wie
2
0
oben O = π
Za
S 2 C 2 dt, und dies läßt sich leicht bestimmen.
0
Schließlich wollen wir noch eine Formel für die Bogenlänge eines Graphen herleiten.
Dazu sei f eine stetig differenzierbare Funktion auf dem Intervall [a, b].
∆f
∆B
∆x
a
x
f
x + ∆x
Dabei ist △B ≈
b
p
△x2 + △f 2 . Deshalb wird
B = lim
△x→0
oder
Die Bogenlänge B des Graphen von f
zwischen a und b setzt sich dann aus
Segmenten △B(x) zusammen.
X
△B(x) = lim
△x→0
X
s
1+
Zb p
1 + f ′ (x)2 dx.
B=
a
△f
△x
2
△x
(5.18)
174
Integralrechnung
Beispiel 5.17 Umfang U eines Kreises vom Radius R
√
f (x) =
R 2 − x2
s
ZR
ZR
dx
x2
1+ 2
.
dx = 4 R √
U = 4·
2
R −x
R 2 − x2
0
0
Setzen wir
x
R
= t, so wird daraus
U =4·R
Z1
0
√
dt
.
1 − t2
Mit t = sin u ergibt dies
U = 4R
π
π
Z2
Z2
0
cos u
p
du = 4R
1 − sin2 u
cos u
du = 2πR.
cos u
0
Aufgabe 5.18 Eine Holzkugel vom Radius R schwimmt im Wasser, und
Kugel ragt aus dem Wasser empor. Bestimme die Dichte des Holzes.
R
2
dieser
Aufgabe 5.19 Der Parabelbogen y = x2 , 0 ≤ x ≤ 1 werde um die x bzw. y-Achse
gedreht. Berechne die Volumina der entstehenden Rotationskörper.
Aufgabe 5.20 Bestimmen Sie das Volumen des Drehkörpers, der durch Rotation
des Kreises mit Radius R und Mittelpunkt (0, R) um die x-Achse entsteht. - Dies
ist ein Torus (Doughnut) mit minimalem Mittelloch.
Aufgabe 5.21 Berechne die unbestimmten Integrale von
1. xn ln x
n = 0, 1, 2
2. xn e−x
n = 0, 1, 2
Aufgabe 5.22 Bestimme das unbestimmte Integral
Rx
t3
dt.
z t2 −1
Aufgabe 5.23 Bestimme durch geeignete Variablensubstitution
1.
2.
3.
4.
5.
R2
x1/2
dx
1 1+x1/4
√
1− x
√
1 1+ x
R2
R2
dx
1 x1/2 +x1/3
√
√3x+2−1 dx
2
3x+2+1
R3
R7
(ln x)4
x
3
5.4 Uneigentliche Integrale
6.
7.
8.
R2
1
Rπ
0
R
√
175
dx
2x2 +3x+1
sin4 xdx
√
x3
x2 +4x+13
2
Aufgabe 5.24 Bestimme das Volumen des Rotationskörpers der durch e−x x ≥ 0
entsteht.
5.4
Uneigentliche Integrale
Die Definition des Riemann-Integrals setzt voraus, daß die Integrationsintervalle und
die Integranden endlich sind. Im folgenden wollen wir uns von diesen Einschränkungen lösen. Zur Vereinfachung setzen wir voraus, daß alle Integranden stückweise
stetig sind.
Unendliche Integrationsintervalle
Nehmen wir beispielsweise an, wir wollen die Fläche unter dem Graphen von
f (x) = x−α , α > 1 und x ∈ [1, ∞) bestimmen. Dann wird man zunächst
Zb
x−α dx =
1
1
[b−α+1 − 1]
−α + 1
für sehr große b bestimmen. Man sieht dann sofort, daß für b → +∞
b−α+1 → 0.
Wir setzen daher
Z∞
1
1
[1 − b−α+1 ] =
.
b→∞ α − 1
α−1
x−α dx = lim
1
Dieser Vorgang kann unmittelbar verallgemeinert werden.
Definition: Die Funktion f ist über das Intervall [a, ∞) Riemann-integrierbar, wenn
der Grenzwert
Zb
Z∞
lim
f (x)dx = f (x)dx
b→∞
a
a
existiert. Man sagt dann auch, daß das Integral konvergiere.
Dieser Begriff ist dem Konvergenzbegriff bei Reihen und Folgen sehr ähnlich, denn
für große b streben die Integrale einem Grenzwert zu.
Genauer bedeutet das: Zu ε > 0 existiert ein b0 = b0 (ε) mit
b
Z
Z∞
f (x)dx − f (x)dx < ε für alle b ≥ b0 .
a
a
176
Integralrechnung
Beispiel 5.18
Z∞
e−αx dx =
1 −αa
e ,
α
α>0
a
denn
Zb
1
1
1
e−αx dx = − e−αx |ba = + e−αa − e−αb .
α
α
α
a
Analog definiert man Integrale der Form
Za
f (x)dx.
−∞
Dagegen sagt man, daß
R∞
−∞
f (x)dx konvergiert, wenn für irgendein a ∈ R
Z∞
f (x)dx und
a
Za
f (x)dx.
−∞
existieren.
In diesem Fall setzt man:
Z∞
−∞
f (x)dx =
Za
f (x)dx +
−∞
Z∞
f (x)dx.
(5.19)
a
Man sieht dann leicht, daß diese Definition unabhängig von a ist. Schaut man sich
die Definition der Konvergenz (Existenz) uneigentlicher Integrale genauer an, stellt
man fest, daß sie der Konvergenz unendlicher Reihen sehr ähnlich ist. Dies ist in der
Tat der Fall, jedoch wollen wir diesen Gesichtspunkt hier nicht weiter vertiefen. Für
uns ist hier nur noch die Parallele zum Majorantenkriterium wichtig.
Majorantenkriterium
R∞
Das Integral a f (x)dx konvergiert, wenn es eine Funktion g gibt, für die gilt
i) g(x) ≥ |f (x)|
R∞
ii) a g(x)dx existiert.
In diesem Fall gilt insbesondere
∞
Z
Z∞
Z∞
f (x)dx ≤ |f (x)|dx ≤ g(x)dx.
a
a
Man nennt g dann eine Majorante für f .
a
(5.20)
5.4 Uneigentliche Integrale
177
Beispiel 5.19
Z∞
2
e−x dx
−∞
R∞
2
2
existiert. Wir müssen zeigen, daß −∞ e−x dx und 0 e−x dx existiert. Aus Symme2
triegründen genügt es, das zweite
Integral zu untersuchen.
Es ist aber √
e−x ≤ ee−x ,
R
R
2
∞
∞
da x2 ≥ x − 1 für x ≥ 0 und 0 ee−x dx existiert. Es ist −∞ e−x dx = π.
R0
Integraltest für Reihen
Es sei f monoton fallend auf [0, ∞). Dann konvergiert
∞
P
f (n) konvergiert und
n=1
∞
X
n=k
Z∞
f (n) ≈
R∞
1
f (x)dx genau dann, wenn
f (x)dx.
(5.21)
k− 21
Die Formel (5.21) ist dabei als eine Näherung für den Reihenrest zu verstehen.
Dieses Integralkriterium ist eigentlich die beste Methode, um über die Konvergenz
von Reihen Aussagen zu machen.
Beispiel 5.20
∞
P
1
n2
n=1
konvergiert, weil
rungsweise zu berechnen, schreiben wir
R∞
1
dx
x2
= − x1 |∞
1 = 1. Um nun
∞
P
n=1
1
n2
nähe-
Z∞
∞
∞
X
X
1 1
1
1
1
1
1
= 1 + + + ... +
+
≈ 1 + + ... +
+
x−2 dx
2
2
n
4 9
100 n=11 n
4
100
n=1
10,5
= 1.54977 +
1
= 1, 64501
10, 5
Der wahre Wert ist
π2
6
= 1, 64493 . . ..
Unbeschränkter Integrand
Mit der gleichen Methode wie bisher können wir auch den Fall eines unbeschränkten
Integranden behandeln. Wir wollen dies zunächst an einem Beispiel sehen.
Beispiel 5.21 f (x) = xα , −1 < α, x ∈ (0, 1]. Es ist
1
(1 − bα+1 ). Für b → 0 (von rechts) gilt dann
α+1
lim
b→0+
Z1
b
R1
b
xα dx =
1
1
(1 − bα+1 ) =
.
b→0+ α + 1
α+1
xα dx = lim
1
xα+1 |1b
α+1
=
178
Integralrechnung
R1
1
Wir schreiben dann 0+ xα dx = α+1
, α > −1.
Rb
Definition: a f (x)dx mit f unbeschränkt bei b existiert (konvergiert), wenn
lim
Zc
c→b
c<b a
f (x)dx =
Zb−
f (x)dx
a
existiert, d.h. wenn zu ε > 0 ein c0 = c0 (ε) existiert mit
c
Z
Zb−
f (x)dx − f (x)dx < ε für alle c mit b > c ≥ c0 .
a
Entsprechend definiert man
a
Rb
a+
f (x)dx, wenn f bei a unbeschränkt ist.
Hat man eine Funktion, die an mehreren Stellen unbeschränkt ist, muß man das
Integrationsintervall in Teilintervalle aufspalten, so daß in jedem nur eine Singularität von f liegt. Das Gesamtintegral konvergiert dann, wenn alle Teilintegrale
konvergieren.
Ferner ist klar, daß alle Integrationstechniken wie partielle Integration, Variablensubstitution etc. auch auf uneigentliche Integrale anwendbar sind, sofern die Operationen mit den Limesbildungen verträglich sind und die Integrale konvergieren.
Diese uneigentlichen Integrale sind hauptsächlich im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung wichtig.
R∞
Aufgabe 5.25 Zeigen Sie, daß Γ(s) = 0 xs−1 e−x dx für s ≥ 1 konvergiert, indem
R∞
R1
Sie 0 und 1 betrachten.
Aufgabe 5.26 Zeigen Sie durch partielle Integration, daß Γ(s + 1) = sΓ(s), s ≥ 1,
ist.
179
Kapitel 6
Differentialgleichungen
6.1
Populationsmodelle
Eine Differentialgleichung (DG) ist eine Gleichung, in der eine unbekannte Funktion y nebst ihren Ableitungen vorkommt. Die höchste vorkommende Ableitung
bestimmt die Ordnung der DG. Wir wollen immer davon ausgehen, daß die DG
nach der höchsten vorkommenden Ableitung aufgelöst ist. Man spricht dann auch
von expliziten DG.
Beispiel 6.1
i) y ′ = ry
ii) y ′ = xy 2 + 2x
iii) y ′′ = −y
′
iv) y ′′ = y ′ y 2 + xy 2
sind explizite DG erster bzw. zweiter Ordnung, von denen wir (i) und (iii) schon
kennengelernt haben.
Eine Lösung einer DG ist eine differenzierbare Funktion y, die die Gleichung erfüllt.
Im allgemeinen hängt die Lösungsmenge einer DG der Ordnung k noch von k Parametern (Integrationskonstanten) ab.
Beispiel 6.2
1. y (k) = 0 hat als Lösung y = a0 + a1 x + . . . + ak−1 xk−1 , alle Polynome vom Grad
(k − 1). Die Koeffizienten sind die Parameter.
2. y ′ = ry hat als Lösung y = Aerx
3. y ′′ = −y hat als Lösung y = A sin x + B cos x.
DG treten in der Biologie besonders im Zusammenhang mit Modellen auf. Eine
große Klasse davon sind die Populationsmodelle.
180
Differentialgleichungen
Es sei y = y(t) die Zahl von Individuen in einer Population. Hierbei kann es sich
durchaus um Populationen von Tieren etc. handeln. Bezeichnet g = g(t) bzw.
s = s(t) die Geburts- bzw. Sterberate zur Zeit t, so erhält man als DG für das
Bevölkerungswachstum
y ′ = (g − s)y.
(6.1)
Sind die Zeiträume, in denen man das Bevölkerungswachstum untersucht, nicht zu
groß, so kann man g und s als konstant annehmen. Man erhält dann
y ′ = ry
r = g − s.
(6.2)
y(t) = y(0)er(t−t0 ) .
(6.3)
Die DG hat als eindeutige Lösung
(6.2) bzw. (6.3) beschreibt das sog. Malthussche oder exponentielle Wachstum. Dies
brachte Darwin auf die Idee des Kampfes der Arten untereinander und damit zur
Selektionstheorie.
Die DG (6.1) bzw. (6.2) gilt meist nur für kurze Zeiträume und bei nicht sehr dichten
Populationen, denn in dichten Populationen spielen Wettbewerb, Kämpfe und Nahrungsbeschaffung eine Rolle. Da die Wahrscheinlichkeit, daß sich zwei Individuen im
Konflikt gegenüberstehen, proportional zu y 2 ist, wird man statt (6.2) besser
y
y ′ = ry − ky 2 = ry 1 −
(6.4)
K
schreiben. (6.4) ist die bekannte logistische Gleichung. Läßt man noch Zu- und
Abwanderung zu, erhält man noch etwas allgemeiner
y
+ n(t).
y ′ = ry 1 −
K
Dabei ist n(t) die Nettozuwanderungsrate.
Die logistische DG (6.4) können wir auch in der Form
d( Ky )
y y
=
1−
d(rt)
K
K
schreiben. Mit den neuen dimensionslosen Variablen τ = rt und z = Ky haben wir
also
dz
= z(1 − z).
(6.5)
dτ
Durch Übergang zu den dimensionslosen Größen haben wir in (6.4) also die beiden
Parameter K, r eliminiert, und wir wissen, daß jede Lösung von (6.4) nur die Kombination rt bzw. Ky enthält. In Anwendungen ist es daher außerordentlich wichtig,
dimensionslose Größen zu verwenden.
Um (6.5) zu lösen, schreiben wir zunächst
1
1
1
= +
z(1 − z)
z 1−z
(Partialbruchzerlegung)
6.1 Populationsmodelle
181
sowie
1
dτ
1
1
=
=
+
.
(6.6)
z(1 − z)
dz
z 1−z
Dies ist möglich, sofern z(t) 6= 0, 1. Wir integrieren nun (6.6) von 0 bis τ und
verwenden z(0) = z0 . Dann haben wir
τ=
Zτ
0
1dt =
Zτ 0
1
1
+
z 1−z
dz
dτ =
dτ
Zz(τ )
z0
1
1
+
z 1−z
dz.
indem wir die Variable τ → z(τ ) substituieren. Insgesamt gibt dies
)
1 − z(τ )
z(τ )
τ = ln z − ln(1 − z) z(τ
− ln
z0 = ln
z0
1 − z0
oder
τ = ln
oder
z(1 − z0 )
z0 (1 − z)
z(1 − z0 )
.
z0 (1 − z)
Löst man diese Beziehung nach z auf, so erhält man schließlich
eτ =
z = 1 − e−τ
bzw.
y = K − Ke−rt
(1 − z0 )
z0 (1 − e−τ ) + e−τ
(6.7)
y0
(K − y0 )
=K
.
−rt
−rt
y0 (1 − e ) + Ke
y0 + (K − y0 )e−rt
(6.8)
1.2
1
0.8
0.6
Logistische Gleichung mit r=K=1, y(0)= 0.1, 0.2, 0.3, 0.4
0.4
0.2
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
182
Differentialgleichungen
1.4
Log. Gl. mit r=K=1, y(0)=0.1 und konst. Zuwanderung A=-0.1, -0.05, 0, 0.05, 0.1, 0.15, 0.2
1.2
1
0.8
0.6
0.4
0.2
0
0
1
2
3
4
5
6
Um die Wachstumsrate r mit Hilfe der linearen Regression zu bestimmen und um die
Abweichungen vom logistischen Wachstum deutlicher zu machen, wählt man häufig
eine andere Darstellung der Lösungskurve. Bezeichnet man mit ỹ = y(t)
die relative
K
(normierte) Größe, so wird aus (6.8)
ỹ(t) =
y0
ỹ0
,
ỹ
=
.
0
ỹ0 + (1 − ỹ0 )e−rt
K
Daraus gewinnt man durch elementares Umformen
ln
ỹ0
ỹ(t)
= ln
+ rt
1 − ỹ(t)
1 − y0
(6.9)
also eine Gerade. Auf diese Weise läßt sich also testen, ob eine Population dem
logistischen Wachstumsgesetz genügt. Ebenso eignet sich diese Form, um empirisch
r und ỹ zu bestimmen.
Die logistische Gleichung wurde mit Erfolg angewandt, um Populationen von
E. coli
McKendrick, Kasava Pai
1911
Hefezellen
Carlson
1913
Bevölkerung der USA
Pearl, Reed, Verhulst
1924
Drosophila melanogaster (Taufliege)
Pearl
1932
Pantoffeltierchen
Gause
1934
Daphnien
Slobodkin
1954
Drosophila semata
Ayala
1968
6.1 Populationsmodelle
183
zu beschreiben.
Die Daten von Pearl zur Bevölkerungsentwicklung von Drosophila führen zu
t
Tage
y
y
beobachtet berechnet
0
22
14
9
39
61
12
105
96
15
152
149
18
225
225
21
390
325
25
499
487
27
547
572
29
618
655
33
791
797
36
877
876
39
938
932
y(t) = 1035(1 + 71, 45e−0,166 t )
K = 1035
1000
800
600
400
200
5
0011 1010 0011
00111100 1100
1100
1
0
0110 10 1100
11
00
00
11
10
15
20
25
30
0011
11
00
10
35
40
184
Differentialgleichungen
Millions of Cells/ML−1
11
00
00
11
6
1
0
11
00
00
11
11
00
00
11
5
4
11
00
00
11
3
2
1
1
0
1
2
3
4
5
6
7
8
Wachstum von Escheria coli (McKendrick, Kesava Pai)
Für das Wachstum der US-Bevölkerung fand Verhulst 1845 r = 0, 03134 und K =
197, 27 · 106 .
Jahr
1790
1800
1810
1820
1830
1840
1850
1860
1870
1880
1890
1900
1910
1920
1930
N
x 106
3.9
5.3
7.2
9.6
12.9
17.1
23.2
31.4
38.7
50.2
62.9
76.0
92.0
106.5
123.2
berechnet
3.9
5.2
7.2
9.8
13.1
17.5
23.2
30.4
39.4
50.2
62.8
76.9
92.0
109.4
123.9
Wachstum der Bevölkerung der USA
(Inzwischen ist die Bevölkerung auf etwa 250 Millionen angewachsen. In der
Zeit von 1790 bis 1930 gab es eine erhebliche Zuwanderung.)
Daneben findet das logistische Modell Anwendung in der Soziologie bei sozialen Diffusionsphänomenen (Ausbreitung von Gerüchten, Krankheiten, Erfindungen, etc.).
Auch das Wachstum von Pflanzen oder Tumoren kann man so beschreiben (vgl. M.
Braun, Differentialgleichungen und ihre Anwendungen).
6.1 Populationsmodelle
185
Obwohl die Gleichung nicht immer übermäßig gute Beschreibungen liefert, wird sie
doch viel verwandt, da
i) die Lösung durch 3 Parameter festgelegt wird;
ii) diese Parameter leicht zu bestimmen sind und eine einfache Interpretation
haben.
Qualitative Diskussion von Populationsmodellen
Wir betrachten nun das etwas allgemeinere Populationsmodell
y ′ = (g − s)y = h(y)
(6.10)
wo g und s noch von y abhängen. Im allgemeinen haben g und s die folgende Gestalt
g
s
y
y
Dabei gehen wir von den folgenden Annahmen aus:
i) g fällt bei hohen Populationsdichten wegen des zunehmenden Konkurrenzkampfs.
ii) Aus dem gleichen Grund wächst s für große y.
iii) Bei sehr geringem y kann g klein sein, weil es schwieriger wird, Partner zu
finden (Allee-Effekt).
h
y
K0
K1
Diese Überlegungen führen zu einer
Funktion h, die etwa die nebenstehende Form hat, mit (6.10)
h(Ki ) = 0, i = 0, 1.
Wenn wir nun die Lösungen von (6.10)
betrachten, so haben wir die folgenden
Fälle zu unterscheiden.
i) y0 = y(0) = Ki dann gilt y(t) = Ki für alle t ≥ 0, d.h. die Ki sind Gleichgewichtslösungen.
ii) y0 < K0 , y(t) ց 0. Die Bevölkerung stirbt aus.
186
Differentialgleichungen
iii) K0 < y0 < K1 , y(t) wächst monoton gegen K1 .
iv) y0 > K1 , y(t) fällt monoton gegen K1 .
y
K1
Stabiles
Gleichgewicht
K0
Instabiles
Gleichgewicht
Aussterbebereich
t
Um die Fälle iii) und iv) genauer zu analysieren, wollen wir das Verhalten von y in
der Nähe von K1 bzw. K0 bestimmen. Dazu schreiben wir
z = y − Ki
i = 0, 1
(6.11)
und erhalten aus (6.10)
z ′ = y ′ = h(z + Ki ) ≈ h(Ki ) + h′ (Ki )z = h′ (Ki )z.
(6.12)
Diese elementare DG in z aber können wir lösen
z(t) = z(t0 ) exp(h′ (Ki )(t − t0 )).
(6.13)
Da h′ (K0 ) > 0, entfernen sich die Lösungen exponentiell von K0 , d. h., K0 ist ein
instabiler Gleichgewichtspunkt. Da h′ (K1 ) < 0, nähern sich die Lösungen K1
exponentiell, d.h. K1 ist ein stabiler Gleichgewichtspunkt.
Das Wachstum von Tumoren
Obwohl auch gelegentlich die logistische Gleichung zur Beschreibung des Wachstums
von Tumoren herangezogen wird, haben Experimente gezeigt, daß sich dafür viel
besser die DG von Gompertz eignet [J.R. Usher, D.A. Abercrombie, Case Studies
in Cancer . . . Int. J. Math. Educ. Sc. and Techn. 12 (1981)]
y
dy
= −ry ln
.
dt
K
(6.14)
6.1 Populationsmodelle
187
Die Parameter sind dabei wie in der logistischen Gleichung zu interpretieren. Die
Lösung von (6.14) ist
K
−rt
y(t) = y(0) exp ln
(1 − e )
y(0)
(6.15)
wie man leicht direkt nachprüft.
Auf experimenteller Basis haben Salmon, Brunton und Wheldon [J. clin. Invest 51
1967, Cell Tissue Kin. II 161] noch gezeigt, daß
y(0) ∼ K e−28,5
Dabei ist meist y(0) ∼ K e11 Zellen.
Um exponentielles Wachstum, logistisches Wachstum und Gompertz-Wachstum zu
vergleichen, skalieren wir zunächst t und y so um, daß r = K = 1 ist. Die Lösungskurven für die DG
y′ = y
y ′ = y(1 − y)
y ′ = −y lny
mit den Anfangswerten y(0) = 0, 1 sind unten abgebildet. Man sieht daraus, daß das
Anfangswachstum nach dem Gompertz-Gesetz außerordentlich schnell erfolgt. Dies
gilt besonders, wenn y(0) sehr klein ist, da das h aus (6.10) in diesem Fall bei 0 eine
sehr große Steigung hat.
1.2
exponentiell
gompertz
logistisch
1
0.8
0.6
y’= g(y), y(0)= 0.1
0.4
0.2
0
0
1
2
3
4
5
6
7
188
6.2
Differentialgleichungen
Separierbare Differentialgleichungen
Eine DG heißt separierbar, wenn sie die Form
y ′ = g(y)h(x)
(6.16)
hat. In Bereichen, wo g(y) 6= 0, kann man dann schreiben
y′
= h(x).
g(y)
(6.17)
Hat man (6.16) mit den Anfangsbedingungen y0 = y(x0 ) zu lösen, so erhält man aus
(6.17) durch Integration nach x
Zx
x0
h(s)ds =
Zx
x0
y′
dx =
g(y)
Zy(x)
dw
.
g(w)
y0
Die Integration von (6.16) ist damit auf die Berechnung der Stammfunktionen von
h und g1 zurückgeführt. Bei diesem Verfahren ist jedoch zu beachten, daß g(y) 6= 0
sein muß. Die Fälle, in denen g(y) = 0 ist, müssen gesondert betrachtet werden.
Radioaktiver Zerfall
Wir betrachten einen Stoff, der ein radioaktives Material enthält. y(t) bezeichne die
Menge des radioaktiven Materials zur Zeit t. Da der radioaktive Zerfall eines Atoms
durch Prozesse im Atomkern ausgelöst wird und dieser im Vergleich zum Gesamtatom sehr klein ist (Faktor 105 ), ist die Zerfallsrate proportional zur vorhandenen
Menge radioaktiven Materials
dy
= −αy.
(6.18)
dt
α wird die Zerfallskonstante genannt. Mit der Anfangsbedingung y(t0 ) = y0 ist die
Lösung von (6.18)
y(t) = y(t0 )e−α(t−t0 )
(6.19)
wie man leicht direkt verifiziert. (6.19) ist das radioaktive Zerfallsgesetz. Experimentell ist dieses Gesetz für viele radioaktive Materialien bestätigt worden. Bei
radioaktiven Materialien rechnet man meist nicht mit der Zerfallsrate, sondern mit
der Halbwertszeit. Das ist die Zeit T , bis vom ursprünglichen Material nur noch
die Hälfte da ist.
Man weiß auch (Breitenecher, Schwerd), daß CO aus dem Blut nach einem Exponentialgesetz mit einer Halbwertszeit von etwa 2,5–2,6 Stunden ausgeschieden wird.
Dies gilt allgemeiner für die Ausscheidung von Drogen und Medikamenten (mit Ausnahme von Alkohol). Ist nämlich y(t) die Konzentration einer Droge im Körper, so
ist nach dem Massenwirkungsgesetz die Abbaurate proportional zu y(t) · [Enzym].
Da die Konzentration des jeweils zuständigen Enzyms meist sehr groß und damit
annähernd konstant ist, gilt (6.18).
6.2 Separierbare Differentialgleichungen
189
Dämpfung von Strahlen
Wir wollen nun die Dämpfung von Strahlen untersuchen, die in einen Körper eindringen (z. B. Licht in Meerwasser, radioaktive Strahlung in eine Abschirmwand
etc.). Wir bezeichnen mit y(x) die Strahlenmenge (Intensität), die bis zur Tiefe
x vorgedrungen ist. Die Intensitätsabnahmerate sei a.
y(0)
x + △x
a kann x-abhängig sein. Dann haben wir
dy
= −a(x)y.
dx
Wir erhalten aus (6.20)
(6.20)
y′
= −a(x)
y
oder nach Integration
y
ln
=−
y(0)
Zx
a(s)ds.
0
Das Dämpfungsgesetz ist also
y(x) = y(0)e
−
Rx
a(s)ds
0
.
(6.21)
Falls a von x unabhängig ist, haben wir
y(x) = y(0)e−ax .
Das Abkühlungsgesetz
Man weiß aus Experimenten, daß mit guter Genauigkeit der Wärmeverlust eines
Körpers proportional zu seiner Oberfläche A und der Temperaturdifferenz ist. Für
gilt also
die Wärmeverlustrate dQ
dt
dQ
= −const · A · (T − T0 ).
dt
Dabei ist T0 die Umgebungstemperatur. Da die Wärmemenge Q eines Körpers proportional zur Temperatur ist, Q = cT, c = spezifische Wärme, erhält man
dT
= −kA(T − T0 ).
dt
(6.22)
Mit y = T − T0 erhalten wir y ′ = −kAy oder y(t) = y(t0 )e−kA(t−t0 ) . Schließlich gibt
dies
T (t) = T0 + (Ta − T0 )e−kA(t−t0 ) .
(6.23)
190
Differentialgleichungen
Dabei ist Ta die Anfangstemperatur zur Zeit t0 .
Für Leichen hat man z.B. k = .061 (Windstill, unbekleidet auf dem Rücken liegend)
Ta = 20o gefunden. Zur höheren Genauigkeit fügt man in der Rechtsmedizin meist
noch einen weiteren Exponentialterm hinzu.
Fall mit Reibung
Wir wollen nun den Fall eines Körpers unter dem Einfluß der Schwerkraft betrachten,
wobei die Reibung nicht vernachlässigt wird. Wählen wir unser Koordinatensystem
so, daß die positive y-Richtung nach unten zeigt, so haben wir für die Position y(t)
zur Zeit t die DG
my ′′ = mg − mγ(y ′ )n y(0) = 0.
(6.24)
Dabei ist m die Masse des Körpers und γ die Reibungskonstante. Für mγ gilt ungefähr
mγ = cρA.
Dabei ist ρ die Dichte des Mediums, A die umströmte Fläche und c eine Konstante,
die von der Gestalt des Körpers abhängt. Faßt man (6.24) als DG für v = y ′ auf,
liegt eine DG 1. Ordnung vor.
v ′ = g − γv n .
(6.25)
Eine ähnliche
pDiskussion wie in Abschnitt 6.1 zeigt, daß v asymptotisch einem Grenzwert v∞ = n g/γ zustrebt. Dieser Grenzwert ist dadurch beschrieben, daß bei v∞
die Reibungskraft genau durch die Schwerkraft kompensiert wird.
v
v∞
t
Für kleine v und große ausgedehnte Körper mit geringer Dichte, die in zähen Flüssigkeiten fallen, ist etwa n = 1, während für dichte glatte Körper und Geschwindigkeiten (in Luft) bis 250 m/sec n = 2 zu setzen ist. Wir können (6.25) als Gleichung in
t
dimensionslosen Größen schreiben, wenn wir w = v/v∞ und x =
setzen. Dann
v∞ /g
wird aus (6.25)
dw
= (1 − wn ).
(6.26)
dx
Diese DG hat für n = 1 die Lösung
ln(1 − w) = −x
oder
−x
w = 1 − Ce .
6.3 Lineare Differentialgleichungen
191
Aufgabe 6.1 Bei einer Zimmertemperatur von 180 C kühlt ein Toter innerhalb von
6 Stunden um 60 C ab. Der Gerichtsmediziner hat eine Mastdarmtemperatur von
250 C festgestellt. Wann trat der Tod ein? (Zahlen frei nach Schwerd, Rechtsmedizin,
4. Aufl.)
Aufgabe 6.2 In der Bundesrepublik leben z.Z. (2000) etwa 80 Mio. Deutsche. Pro
Jahr werden etwa 10 Kinder auf 1000 Einwohner geboren, und die mittlere Lebenserwartung ist etwa 74 Jahre. Wie groß wird die Bevölkerung der Deutschen im Jahre
2010 sein?
(Hinweis: Pro Jahr sterben also auf 1000 Einwohner etwa 1000
).
74
Aufgabe 6.3 Drogen oder Chemikalien werden in Körpern häufig mit konstanter
relativer Rate eliminiert. Stellen Sie die DG auf, und überlegen Sie, warum so ein
Gesetz gelten könnte und wo die Grenzen für ein solches Gesetz liegen (z.B. bei der
Alkoholelimination). Schauen Sie sich dazu einmal das Massenwirkungsgesetz an.
Aufgabe 6.4 Warum fallen große Regentropfen schneller als kleine?
Aufgabe 6.5 Lundquist und Wolthers (Acta pharm. et tox. 1958) geben als DG für
Vc
die Alkoholelimination dc
= − c+K
an. Dabei ist c(t) die Konzentration des Alkohols
dt
und V und K sind positive Konstanten. Lösen Sie diese DG und diskutieren Sie die
Lösung.
Aufgabe 6.6 Wir beschreiben das Wachstum eines als kugelförmig angenommenen
Einzellers wie folgt: Die
Masse des Tieres sei M und R sein Radius. Dann ist seine
√
2
3
2
Oberfläche 4πR = 36πM 3 . Nahrung wird über die Oberfläche durch Diffusion
aufgenommen und im Körper (Volumen) verbraucht. Dies gibt
2
M ′ = aM 3 − bM, a, b > 0.
Diskutieren Sie die Gleichung qualitativ. Welche Gleichung für R erhält man, wenn
man M = 34 πR3 setzt? Lösen Sie die entsprechende Gleichung.
Aufgabe 6.7 Um die Nachkommenschaft von Fischen zu studieren, hat Ricker für
die Anzahl y(t) der Fischlarven ein Gesetz der Form y1 dy
= −cx angenommen. Dabei
dt
ist x die Anzahl der Weibchen der Elterngeneration. Warum könnte ein solches
Gesetz gelten?
Aufgabe 6.8 Für eine Tierpopulation gelte das logistische Gesetz y ′ = ry(1 − Ky ) −
a. Dabei bezeichnet a die (konstante) Rate des Aberntens. Löse die Gleichung! Für
welche a ist der Ertrag lanfristig am größten?
6.3
Lineare Differentialgleichungen
Eine lineare DG erster Ordnung hat die Form
y ′ = a(x)y + b(x).
(6.27)
192
Differentialgleichungen
Wir wollen diese DG mit der Anfangsbedingung
y(0) = y0
lösen. Dazu sei
A(x) =
Zx
a(t)dt
(6.28)
(6.29)
0
eine Stammfunktion von a. Da für b = 0
y = y0 eA(x)
eine Lösung von (6.29) ist (vgl. Kapitel 6.2), liegt es nahe, einen Ansatz der Form
y(x) = eA(x) z
(6.30)
zu versuchen. Einen solchen Ansatz nennt man in der Theorie der DG Variation der
Konstanten. Wir erhalten dann
y ′ = aeA z + eA z ′ = aeA z + b
oder
z ′ = be−A .
Damit ist die Lösung von (6.27) mit der Anfangsbedingung (6.28)


Zx
y(x) = eA(x) y0 + b(t)e−A(t) dt .
(6.31)
0
Die Verschmutzung der großen Seen. Das Modell von Rainey
Die Verschmutzung von Seen und Gewässern stellt heute ein ernstes Problem für
die Menschen dar, die ihr Trinkwasser aus diesen Gewässern beziehen. H. R. Rainey hat mit einem sehr einfachen Modell diese Situation für die großen Seen in
den USA untersucht (Science 195, 1967, 1242–1243). Dazu machte er die folgenden
Annahmen:
1. Die Regenmenge entspricht genau der verdunsteten Wassermenge.
2. Die zufließende Verschmutzungskonzentration ist konstant.
3. Im See bzw. Gewässer findet schnell eine totale Durchmischung statt.
Es sei nun
V
das Volumen des Sees,
p
die Verschmutzungskonzentration des Sees,
q
die Verschmutzungskonzentration des einfließenden Wassers,
r
die Rate, mit der das Wasser in den See fließt,
k
die biologische Abbaurate der Verschmutzung, Verlust durch Sedimentation etc.
6.4 Schwingungsgleichung
193
Dann gilt für die Veränderung der Gesamtmenge an Schadstoffen im Zeitintervall
△t
Die Lösung ist
△(V · p) = r(q − p) △ t − kV p △ t
r
rq
p′ =
−p
+ k = b − ap.
V
V
(6.32)
b
1 − e−at
a
d. h., langfristig ist die Schadstoffkonzentration ab .
p(t) = p0 e−at +
Dieses Modell ist ein Spezialfall eines Einkompartimentsystems.
Aufgabe 6.9 Wird einem Menschen oral eine Medizin verabreicht, so kommt man
im einfachsten Fall zu der Differentialgleichung

 C 0≤t≤T
C ′ = kC + f mit f (t) =
 0 t>T
für die Konzentration. Dabei ist k die relative Eliminationsrate und T ≈ 10 min, die
Zeit, bis sich die Tablette aufgelöst hat. Lösen Sie diese DG mit C(0) = 0.
Aufgabe 6.10 Ein radioaktives Material A zerfalle in zwei Schritten über das Material B in C.
µ
λ
A −→ B −→ C
Bezeichnen λ und µ die Zufallsraten und A(t), B(t), C(t) die Stoffkonstanten, so
gilt A′ = λA, B ′ = −µB + λA, C ′ = µB.
Lösen Sie dieses System mit A(0) = A0 , B(0) = C(0) = 0, indem Sie die Lösung
von A(t) in die Gleichung von B einsetzen.
Aufgabe 6.11 Man schätzt, daß es zur Zeit 100.000 t Schellfisch im Atlantik gibt.
Die ungestörte Population wächst um 2% jährlich. Es werden jährlich 2500 t (2000t)
abgefischt. Was passiert?
6.4
Schwingungsgleichung
Die Schwingung einer Feder
111
0
00 0
1 1
011
00 10
011
1
00 1
0 0
111
00 10
Gleich- m
gew.
y
Man bezeichne mit y(t) die Auslenkung eines Federsystems der Masse
M aus der Gleichgewichts- oder Ruhelage. Man weiß dann, daß für nicht
zu große Auslenkungen die rücktreibende Kraft proportional zur Auslenkung ist (Hookesches Gesetz).
194
Differentialgleichungen
Aufgrund des Newtonschen Gesetzes hat man dann
M y ′′ (t) = −ky(t)
(6.33)
Masse · Beschleunigung = rücktreibende Federkraft
Dabei nennt man k die Federkonstante. Darüber hinaus wirkt noch die Luftreibung
und innere Reibung als Bremskraft. Diese ist meist proportional zur Geschwindigkeit, d.h. zu y ′ . Unter Berücksichtigung der Reibung wird aus (6.33) daher
M y ′′ = −ky − γy ′
(6.34)
Division durch M und Umordnung ergibt schließlich
y ′′ + by ′ + ay = 0;
a > 0.
(6.35)
Aus Gründen, auf die wir hier nicht näher eingehen können, betrachtet man zunächst
die zu (6.35) gehörige charakteristische Gleichung
λ2 + bλ + a = 0.
(6.36)
Um diese Gleichung zu lösen, schreiben wir
b2
λ + bλ +
=
4
2
b
λ+
2
2
=
b2
−a .
4
Wir haben dann 3 Fälle zu betrachten
1. Die Reibung ist klein, 4a > b2 . Die Lösung ist mit ω 2 = a −
b
y(t) = e− 2 t [A sin ωt + B cos ωt].
b2
4
(6.37)
Man kann dies direkt durch Differenzieren verifizieren. Hier liegt also eine
gedämpfte Schwingung vor.
2. Die Reibung ist groß, b2 > 4a
y(t) = Aeλ+ t + Beλ− t
(6.38)
dabei sind λ± die Lösungen von (6.36).
3. Aperiodischer Grenzfall b2 = 4a
b
y(t) = (a + Bt)e− 2 t .
(6.39)
6.4 Schwingungsgleichung
195
Ein Modell zum Glukose-Toleranz-Test
Im menschlichen Körper wird der Blutzuckerspiegel durch eine Reihe von Hormonen wie Insulin, Glukagon, Adrenalin, . . . geregelt. Bei der Zuckerkrankheit liegt
ein erhöhter Blutzuckerspiegel vor, weil Insulin unzureichend vorhanden ist. Beim
Blutzuckertoleranztest (GTT) wird dem Patienten auf nüchternen Magen (dann hat
der Blutzuckerspiegel G seinen Normalwert G0 ) eine große Dosis I von Glukose intravenös oder oral verabreicht. Danach wird der Blutzuckerspiegel des Patienten in
regelmäßigen Abständen, alle 21 Stunde oder alle Stunde, gemessen und festgestellt,
wie schnell sich der Blutzuckerspiegel dem Normalwert nähert. Der GTT ist also ein
Test auf die Regulierbarkeit des Zucker-Hormon-Systems. Wir wollen dazu ein einfaches Modell betrachten, das auf Ackermann, Gatewood, Rosevaer und Molnar (in
Concepts and Models of Biomath. ed. Hainmets 1969) zurückgeht. Dazu aggregieren
wir alle Hormone zu einer gemeinsamen Größe H. Der Blutzuckerspiegel wird dann
mit G bezeichnet. Offensichtlich ist dann
G′ = F1 (G, H) + I;
H ′ = F2 (G, H)
(6.40)
F1 beschreibt die Regulierung des Blutzuckerspiegels im Körper. I(t) ist die Rate des
extern zugegebenen Blutzuckers. Die Hormonregulierung wird durch F2 beschrieben.
Nach langer Zeit stellt sich im Körper ein Gleichgewicht ein, wenn I = 0 (nüchterner
Magen). Dieses sei G0 , H0 . Dann gilt natürlich als Bedingung des Gleichgewichts
F1 (G0 , H0 ) = 0,
F2 (G0 , H0 ) = 0.
(6.41)
G = G0 + g.
(6.42)
Wir schreiben nun
H = H0 + h,
g und h sind dabei die Abweichungen vom Gleichgewicht. Üblicherweise nimmt man
an, daß g und h klein sind.
Durch diesen Ansatz wird der Tatsache Rechnung getragen, daß G0 und H0 individuell verschieden sein können.
Wir entwickeln nun F1 und F2 um (G0 , H0 )
Fi (G0 + g, H0 + h) =
∂Fi
∂Fi
(G0 , H0 )g +
(G0 , H0 )h + kleiner Rest.
∂G
∂H
Aus (6.40) wird dann annähernd
g ′ = −ag − bh + I;
h′ = cg − dh.
(6.43)
Wir müssen nun noch die Vorzeichen der verschiedenen Konstanten bestimmen.
∂F1
Es ist
< 0, denn der Körper reagiert auf eine Erhöhung von G mit einer
∂G
Verringerung von G durch erhöhte Aufnahme von Zucker durch die Zellen. Also ist
∂F1
< 0.
−a =
∂G
Da eine Vergrößerung von G eine verstärkte Ausschüttung von Hormonen zur Folge
∂F2
hat, ist
> 0.
∂G
196
Differentialgleichungen
∂F1
= −b <
Wird der Hormonspiegel erhöht, verringert sich der Zuckerspiegel, d.h.
∂H
0.
Ebenso reagiert der Körper auf eine Erhöhung des Hormonspiegels durch Verringe∂F2
rung desselben. Also ist
= −d < 0.
∂H
Die Konstanten a, b, c und d sind daher alle positiv, und je schlechter der Körper
reagiert, um so kleiner sind sie.
Die üblichen Reaktionszeiten dieses Systems liegen in der Größenordnung von mehreren Stunden. Dagegen dauert die intravenöse Zufuhr der Glukose etwa 10 Minuten,
eine vergleichsweise kurze Zeit.
R
Wir lösen daher (6.43) unter der Annahme, daß die Gesamtdosis D = Idt innerhalb
einer ganz kurzen Zeit bei t = 0 zugeführt wurde. Mit (6.43) führt dies zu den
Anfangsbedingungen
g(0) = h(0) = 0, g ′ (0) = D
(6.44)
und der vereinfachten Gleichung
g ′ = −ag − bh,
h′ = cg − dh.
(6.45)
Da h bzw. H kaum beobachtbar ist, müssen wir h eliminieren. Wir erreichen dies
durch Differenzieren der ersten Gleichung
g ′′ = −ag ′ − bh′ = −ag ′ − b(cg − dh)
= −ag ′ − bcg + d(−ag − g ′ )
Wir erhalten
g ′′ + (a + d)g ′ + (bc + ad)g = 0.
(6.46)
Aus Beobachtungen weiß man nun, daß der Fall I (letzter Abschnitt)
4(bc + ad) > a2 + 2ad + d2
(6.47)
vorliegt. Die allgemeine Lösung von (6.46) ist daher
g(t) = e−
(a+d)
·t
2
mit
2
ω = bc + ad −
[A sin ωt + B cos ωt]
a+d
2
2
= bc −
a−d
2
2
(6.48)
Wegen der Anfangsbedingung ist B = 0 und D = Aω. Die Lösung unseres Problems
ist also, abgesehen von einer geringen Zeitverzögerung,
g(t) = e−
a+d
·t
2
·
D
sin ωt.
ω
(6.49)
Nachstehend ist eine Darstellung eines (normalen) GTT wiedergegeben. Dabei ist
2π
2
≈ 2 Stunden und a+d
≈ 100 Minuten.
ω
6.5 Kompartiment Modelle
197
180
160
Glukose Exzess (mg/dl)
140
120
100
80
60
40
20
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Funktioniert das Hormon-Glukose-Regelsystem nicht vernünftig, so werden die kritischen Parameter a, b, c und d kleiner und damit die typischen Zeiten des Systems
2
und 2π
größer. In der Praxis verwendet man meist die Größe ω02 = bc + ad als
a+d
ω
Index für das Vorliegen von Diabetes.
Darüber hinaus macht dieses Modell deutlich, daß dieselben mathematischen Gleichungen sich für grundverschiedene Prozesse ergeben können.
Aufgabe 6.12 Ein Sportler hat eine Absprunggeschwindigkeit von 9 m/sec. Er
springt mit einem Winkel von 170 ab. Beim Absprung ist sein Schwerpunkt 1,2
m über der Erde und bei der Landung 0,5 m. Wie weit springt er? Sie können die
Luftreibung vernachlässigen.
6.5
Kompartiment Modelle
Viele biologische Systeme können unter dem Begriff des Kompartimentmodells subsummiert werden. Ein Kompartiment ist dabei eine Menge an Substanz, die kinetisch homogen und eindeutig reagiert. Ein Kompartimentsystem besteht dann aus
mehreren Komponenten, die durch Austausch von Material wechselwirken. Dabei
können auch von außen Materialien eingegeben werden (Inputs) und die einzelnen
Kompartimente können Materialien nach außen abgeben (Outputs).
Häufig wird in Darstellungen ein Kompartiment durch einen Kasten beschrieben.
Die Kästen sind untereinander durch Pfeile verbunden, die die Flüsse zwischen den
Kompartimenten angeben. Bezeichnen wir noch mit qi die Menge im i-ten Kompar-
198
Differentialgleichungen
timent und mit fji die Stromstärke von i nach j, so erhält man ein Netzwerk von
verbundenen Kästen:
ii (t)
qi
fji
Ein allgemeines Kompartimentmodell,
von dem nebenstehend ein Ausschnitt gezeigt ist, führt dann auf das DG-System
fij
f0,i
qi′ (t) = −(f0,i +
X
fij )qi +
j6=i
X
fji qj + ii (t),
i = 1, . . . , n.
(6.50)
j6=i
Die fij sind dabei häufig zeitunabhängig und führen dann auf Systeme mit konstanten Koeffizienten. Auch der Fall wo die fij zeitabhängig sind, tritt vielfach auf.
Nichtlineare Kompartimentsysteme liegen vor, wenn die f ’s auch noch von den q’s
abhängen. In Anwendungen genauso bedeutsam, wie das Lösen von (6.50) ist das
sog. Identifikationsproblem, d.h. es muß festgestellt werden, ob ein konkretes System
tatsächlich durch ein Kompartimentsystem (6.50) beschrieben wird. In der Biologie
gibt es dazu die sogenannten Tracer-Methoden.
Hier ein paar Beispiele:
Beispiel 6.3
q1
λ1
q2
λn−1
λ2
qn
Dieses Kompartimentmodell beschreibt den Kaskadenzerfall einer radioaktiven Substanz, wie z.B. U 238 .
Der Weg des Alkohols durch den Körper kann durch das folgende System gut beschrieben werden:
0,1
Magen
Blut
k
Das einfachste Epidemiemodell kann durch
Gesunde
Infizierte
Imune
beschrieben werden.
Besonders viele Anwendungen haben solche Kompartimentmodelle in der
6.5 Kompartiment Modelle
199
Biologie und Medizin:
Kreislaufmodelle für Drogen und Spurenelemente
Ökologie:
Kreislaufmodelle für Umweltgifte,
Modelle des Wasserhaushaltes,
Modelle für ganze Ökosysteme, Nahrungsketten
Ökonomie:
Input – Outputmodelle (meist jedoch nicht dynamisch)
Nachstehend noch ein typisches Pharmakinetisches Modell. Für allgemeine Probleme und Verfahren der Pharmahokinetik siehe etwa Wellhöner Pharmakologie und
Toxikologie.
Pharmakokinetik von Barbituraten
Barbiturate werden vielfach als Narkosestoffe verwandt. Es ist daher wichtig, die
Kinetik dieser Stoffe im Körper zu studieren und zu modellieren.
Nach der Injektion gelangt das Barbiturat über den Blutkreislauf in den ganzen
Körper, aber insbesondere ins Gehirn. Dort führt es zur Narkotisierung des Patienten. Daneben gelangt das Barbiturat in das Fettgewebe, wo es gespeichert wird,
sowie die Leber, wo es abgebaut wird. Dies modellieren wir durch ein 3 Kompartimentmodell.
G
Gehirn
B
DG
F
Blut
Leber
DF
Fett
A
Abbildung: Das 3−Kompartiment−Modell
DG bezeichnet die Diffusionsrate zwischen Gehirn und Blut, DF diejenige zwischen
Fett und Blut. Die Abbaurate in der Leber wird mit A bezeichnet. Die Volumen der
jeweiligen Kompartimente werden mit VG , VF bzw. VB bezeichnet. Daraus ergeben
sich die folgenden Differentialgleichungen:
VG x′G = −DG (xG − xB )
VF x′F = −DF (xF − xB )
VB x′B = DG (xG − xB ) + DF (xF − xB ) − AxB .
Die Funktionen xG , xB und xF sind dabei die Konzentrationen des Barbiturates in
200
Differentialgleichungen
den einzelnen Kompartimenten. Für sie gelten die Anfangsbedingungen
xG (0) = 0
xF (0) = 0
VB xB (0) = Dosis.
Die Volumen der Kompartimente werden in l und die Konzentrationen in mg/l
angegeben. Die Zeitmessung erfolgt in Stunden.
Für die Modellrechnungen werden die Werte eines Mannes von ca. 80 kg Körpergewicht ohne Lebererkrankungen herangezogen. Dieser besitzt 5-6 l Blut und seine
Leber wiegt ca. 1500 g, was einem Volumen von etwa 1.5 l entspricht. Deshalb wird
VB = 7
gewählt.
Der Fettanteil im menschlichen Körper kann sehr unterschiedlich sein. Er liegt durchschnittlich zwischen 5 % und 25 % des Körpergewichtes. Für den zugrundegelegten
Durchschnittsmann wird also in etwa
VF = 10
gelten. Das mittlere Gewicht des Gehirns beträgt beim Mann 1375 g, demnach wird
VG = 1.375.
Es soll eine Dosis von 500 mg Thiopenton injiziert werden.
Die Wirkung von Thiopenton im Gehirn entfaltet sich nach wenigen Minuten und
dauert dann je nach Dosis einige Stunden. Die Anreicherung im Fett hält deutlich
länger an. Auch die Halbwertzeit der Blutkonzentration ist verhältnismäßig groß.
Daher muß die Diffusionsrate DG wesentlich größer sein als DF .
Die Abbaurate muß sehr hoch liegen, da überflüssiges Betäubungsmittel in der ersten, schnellen Phase in kurzer Zeit abgebaut wird.
Mit der Wahl der Abbau- bzw. Diffusionsraten von
DG = 4
DF = 0.7
A = 15
erhält man folgende Abbildung:
Logarithmischer Plot der Mengen [mg] von Thiopenton nach einer Dosis von 500
mg
Die Abbildung zeigt, daß das Thiopenton im Blut in den ersten vier Stunden sehr
schnell abgebaut wird. Danach tritt die langsame Abbauphase mit einer Halbwertzeit
von gut 10 Stunden ein.
Im Gehirn ist bereits nach wenigen Minuten eine Menge von knapp 75 mg Thiopentons vorhanden. Das Betäubungsmittel wird dann im Gehirn etwa genau so
6.5 Kompartiment Modelle
201
1000
G
B
F
100
10
1
0.1
0.01
0
5
10
15
20
schnell wie im Blut abgebaut. Die Begründung hierfür liegt in der relativ hohen
Diffusionsrate zwischen Gehirn und Blut. Die schnelle Abbauphase im Gehirn dauert etwas länger als im Blut, da die Diffusionsrate zwischen beiden kleiner ist als die
Abbaurate der Leber.
Nach 2-3 Stunden ist die Konzentration im Gehirn soweit abgesunken, daß der Patient aus der Narkose aufwacht.
Im Fettgewebe ist die maximale Konzentration von 38 mg erst nach ca. zwei Stunden
erreicht. Durch die geringe Diffusionsrate zwischen Fett und Blut wirkt das Fettgewebe danach als Thiopentonspeicher. Die Größe diese Diffusionsrate ist daher auch
maßgeblich für die Halbwertzeit in der langsamen Abbauphase.
Lösung eines linearen Systems
An dieser Stelle ist es nicht möglich, genauer auf die Theorie der linearen Systeme
einzugehen. Daher werden wir hier nur die Bestimmung der Lösung skizzieren und
die Bedeutung davon skizzieren.
Gegeben ist also ein System der Form
y1′ = a11 y1 + a12 y2
y2′ = a21 y1 + a22 y2
(y1 , y2 )(0) = (y10 , y20 )
(6.51)
1. Schritt: Bestimme die charakteristischen Werte. Ein charakteristischer Wert von
202
Differentialgleichungen
(6.51) ist eine Nullstelle des Polynoms P (λ)


a11 − λ
a12
 = (a11 − λ)(a22 − λ) − a12 a21 .
P (λ) = det 
a21
a22 − λ
(6.52)
2. Schritt: Wir nehmen 
an, P(λ) hatdiebeiden verschiedenen Nullstellen λ1 und
v11
v21
λ2 . Bestimme Lösungen   und   von
v12
v22
a11 vi1 + a12 vi2 = λi vi1
a21 vi1 + a22 vi2 = λI vi2
Die Lösung von (6.51) hat dann die Form


 
 
y1 (t)
v11
v

 = A   eλ1 t + B  11  eλ2 t .
y2 (t)
v12
v22
(6.53)
Die Konstanten A, B müssen dann durch yi (0) = yi0 bestimmt werden. In Andwendungen kann man meist gar nicht alle Größen yi messen, weil diese Kompartimente
nicht unbedingt zugänglich sind. Ist etwa das Kompartiment 1 Blut, so hat die
Konzentration der Arznei im Blut wegen (6.53) die Form
y1 (t) = A′ eλ1 t + B ′ eλ2 t
(6.54)
Entsprechend gilt für ein 3 Kompartimentsystem mit
y1′ = a11 y1 + a12 η2 + a13 η3
y2′ = a21 y1 + a22 η2 + a23 η3
y3′ = a31 y1 + a32 η2 + a33 η3
(6.55)
yi (0) = yi0
i = 1, 2, 3
1. Schritt: Bestimme die charakteristischen Werte λ1 , λ2 , λ3 . Diese sind Lösung des
charakteristischen Polynoms P (λ).

a11 − λ


P (λ) = det  a21

a31
a12
a13
a22 − λ
a23
a32
a33 − λ



 =(a11 − λ)(a22 − λ)(a33 − λ) + a12 a23 a32

(6.56)
+ a13 a21 a32 − a31 (a22 − λ)a13
− a32 a23 (a11 − λ) − (a3 3 − λ)a21 a12
2. Schritt: Sind alle λ1 , λ2 , λ3 verschieden, so hat die allgemeine Lösung die Form
yi (t) = Ai eλ1 t + Bi eλ2 t + Ci eλ3 t
i = 1, 2, 3.
Die Konstanten Ai , Bi , Ci müssen dabei wie oben und aus den Anfangsbestimmungen bestimmt werden.
6.5 Kompartiment Modelle
203
Form der Lösungen:
Die typische Lösung eines pharmakokinetischen Problems hat also die Form
y(t) = Aeλ1 t + Beλ2 t + . . .
(6.57)
und ist also eine Summe von Exponentialtermen. Die Anzahl der Summanden ist
dabei durch die Anzahl n der Kompartimente bestimmt. Meist ist n = 2 oder 3.
Da Medikamente und Drogen im Körper – meist der Leber – abgebaut werden, gilt
λi < 0. Nehmen wir nun n = 3 und λ1 < λ2 < λ3 < 0 an. Dann verschwindet der
Ausdruck Aerλ1 t am schnellsten und Ceλ2 t überlebt am längsten, d.h. wir haben für
große t
ln y(t) = (ln(Aeλ1 t + Beλ2 t ) ≈ ln Ceλ3 t = ln C + λ3 t.
(6.58)
In der logarithmischen Darstellung erhält man für große t also annähernd eine Gerade. Dies ist im Thiopenten Beispiel deutlich zu sehen. Die Steigung dieser Geraden
ist λ3 (negativ!) und ln C läßt sich ebenfalls aus dem Graphen bestimmen.
Als nächstes betrachte ln(y(t) − Ceλ3 t ) = ln(Aeλ1 t + Beλ2 t ) ≈ Beλ2 t = ln B + λ2 t.
Bestimme entsprechend B und λ2 und fahre so fort. Diese Prozedur wird exponential
peeling genannt.
Hier sind noch zwei weitere Beispiele von Kompartiment Systemen.
Künstliche Niere (Haemodialyse)
Zellulärer
Bereich
D1
Diffusion
Extraz.
Bereich
D2
Diffusion
Künstl.
Niere
Harnsäure
Ketone
Laktatstoffwechsel
Zellulärer
Bereich
Extraz.
Bereich
Literatur
Wellköner: Pharmakologie und Toxikologie, Springer Verlag
Freund, Gendry: Laktate Kinetik after short strenuous exercise Europ. J. Appl. Phys.
1978 39
Anderson: Compartmental Modeling and Tracer Kinetics. Lect. Notes Math. Biol.
50
Rubinov: Introduction to Mathematical Biology
204
Differentialgleichungen
Enzyme Kinetik (Michaelis Menten Theorie)
Das Massenwirkungsgesetz besagt, daß die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion proportional zum Produkt der Konzentration aller an der Reaktion beteiligten
Konstituenten ist.
Enzyme katalysieren die Transformation von Molekülen (Substrat) in andere Formen
(Produkt). Dabei kann in der Reaktion auch noch ein zusätzlicher Rest entstehen.
Diese Katalyse läuft über ein Enzym Substrat Komplex. Entscheidend bei einer
katalytischen Reaktion ist, daß das Enzym am Ende der Reaktion wieder vorliegt.
Wir betrachten
E = Konz. von Enzym
k1
K2
E+S
C
E+P
S = Konz. von Substrat
C = Enzymsubstratkomplex
k−1
Es gilt dann also
dE
= −k1 ES + (k−1 + k2 )C
E(0) = E0
dt
dS
= −k1 ES + k−1 CS(0) = S0
dt
dP
= k2 CP (0) = P0 (= 0)
dt
dC
= k1 E · S − (k−1 + k2 )CC(0) = C0 (= 0)
dt
(6.59)
Man braucht also nur die Pfeile zu verfolgen. Dieses System ist nicht geschlossen
lösbar. Allerdings gilt
d
(E + C) = 0
dt
oder
E(t) + C(t) = E0 + C0 ,
denn Enzymmoleküle sind entweder frei oder im Complex gebunden. Auf diese Weise
läßt sich die Gleichung für E auf (6.59) eliminieren. Da P auch nicht auf der rechten
Seite auftaucht, haben wir es schließlich nur mit
S ′ = −k1 (E0 + C0 − C)S + k−1 CS(0) = S0
C ′ = k1 (E0 + C0 − C)S − (k−1 + k2 )C
C(0) = C0
(6.60)
zu tun. Dieses System ist immer noch zu kompliziert. In vielen Fällen jedoch verändert
sich S nur sehr langsam, d.h. S ′ ist klein und es bildet sich ein sogenannter Quasistationärer Zustand. Löst man die erste Gleichung von (6.60) mit S ′ (t) ≈ 0 auf,
erhält man
(E0 + C0 )S(t)
C(t) =
.
(6.61)
(K + S(t))
Zur Verbesserung der Genauigkeit kann man nun C(t) aus (6.61) in (6.60) einsetzen
und erhält mit leichten Umformungen
k2 (E0 + C0 )S
dS
=
.
dt
(K + S)
(6.62)
6.5 Kompartiment Modelle
205
Man nennt dies auch die Reaktionsgeschwindigkeit V . Mit C0 = 0 ist die Anfangsgeschwindigkeit V (0) gerade
k2 E0 S0
V0 =
.
K + S0
K wird Michaelis Menten Konstante genannt.
206
Differentialgleichungen
207
Musterklausuren
Beispiel 1
I:
1) Bestimmen Sie die quadratische Funktion (Parabel) f für die gilt:
1
f (0) = , f ′ (1) = 0;
2
Z2
f (x)dx = 2.
0
2) Die Meßwerte (x, y) : (1, 2), (2, 3), (4, 7) sollen durch eine quadratische
Funktion beschrieben werden. Welchen Wert erwarten Sie für x = 5?
II:
1) a) Welche Bruchzahl wird durch 0, 987 987 987 . . . beschrieben?
n2 + 1
√
? Wenn ja, wogegen?
b) Konvergiert an =
(n + 2) n2 + 3
2) Konvergiert
12n2 + 27n + 3
6n2 + 3
− 2
,
4n
2n + 4n + 1
sin n
?
b) bn =
n
a) an =
III:
1) Die Holzmenge in einem jungen Wald wächst fast exponentiell mit etwa
3,5% pro Jahr. Um wieviel Prozent ist der Bestand in 12 Jahren gewachsen, und wann hat er sich in etwa verdoppelt?
2) Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,32 Jahre =3, 885 · 108 sec. Welche
Aktivität (Zerfälle pro Sekunde) hat ein µ g
Tritium?
Wann ist von dieser Menge nur noch 40% übrig.
(Hinweis: Avogadrosche Zahl: 6, 022045 · 1023 /M ol)
IV:
1) Wo schneidet die Tangente in x = 1 an den Graphen von y =
y-Achse?
1
die
1 + x2
2) Der Wert einer Funktion f in x = 1, 1 ist 2,45; entsprechend hat sie den
Wert 2 in 1,24. Welchen Wert würden Sie in 1,15 erwarten? (Interpolieren
Sie linear!)
V: Diskutieren Sie die Funktionen
208
Differentialgleichungen
x
1 + x2
2
2) (2x + x3 )e−x = g(x)
1) f (x) =
VI: Berechnen Sie die Stammfunktionen von
1)
a) x sin x2
b) 2x
2)
a) x2 ln x
b) xe−x
Beispiel 2
I: Gleichungen
1) Bestimmen Sie die Lösungsmenge von:
3x1 + 4x2 + 5x3 + 6x4 = 17
4x1 + 5x2 + 6x3 + 7x4 = 20
5x1 + 4x2 +
x1 +
x2 +
x3 −
x4 = 12
x3 +
x4 =
4.
2) Lösen Sie 2 · 2x + 4x = 3.
II: Geraden
1) Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden durch (7, 8), die parallel zur
Geraden 3x + 2y = 7 ist.
2) Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden durch (2, 3) und (27, 19), und
finden Sie die Gleichung der dazu parallelen Geraden durch (0, 0).
III: Exponentielles Wachstum
1) Die Wachstumsrate einer Kolonie von Hefepilzen beträgt 1,5% pro Tag.
Nach wie vielen Tagen ist sie auf das 1,5 (2,5)-fache angewachsen?
2) In einer Woche vermehrt sich der Mehlkäfer bei 20◦ C von 1000 auf 1428.
Bei 30◦ C wächst er in 20 Tagen von 600 auf 935.
Vergleichen Sie die Verdoppelungszeiten.
IV: Folgen
Untersuchen Sie auf Konvergenz und bestimmen Sie gegebenfalls die Grenzwerte.
√
3n2 + 4 n + 7
√
1) a)
= an
4n4 + 1
b) Welchen Bruch beschreibt 3,787878. . .?
√
n2 + 2n + 5
2) a)
= an
2n + 3
6.5 Kompartiment Modelle
b)
∞
P
209
2−2n
n=0
V: Differentialgleichungen
1) Bestimmen Sie die Tangente an der Kurve von f (x) = 2 · 2x im Punkte
(2, 8).
2) Bestimmen Sie die Ableitungen von
√
a) f (x) = sin( x + 2)
b) g(x) = 2x cos(x2 )
VI: Integralrechnung
1) Bestimmen Sie eine Stammfunktion von
√
a) f (x) = 3 x + 1
b) g(x) = x2 cos(x3 )
2) Berechnen Sie
a)
R3
√
x3 1 + x2 dx
1
b)
Rπ
sin x dx
0
Beispiel 3
I: Konvergenz
√
√
1) Untersuchen Sie an = n3 + 2n + 2 − n3 + 2n auf Konvergenz.
∞
P
2) Untersuchen Sie
n · 2−n auf Konvergenz.
n=1
II: Potenzreihen
1) Wo konvergiert
n2
xn ?
4
n=1 n + 1
∞
P
n
∞ xn
P
2) Wo konvergiert
?
n
n=1 n
III: Differenzieren
Bilden Sie die Ableitungen von
√
1) a) ln 1 + x4
2
b) e3+ln(1+x )
√
2) a) sin(x + 1 + x3 )
√
b) e3x+2 ln 1+x
210
Differentialgleichungen
IV: Partielles Differenzieren
Bilden Sie alle partiellen Ableitungen 1.Ordnung
1) a) x3 ln(1 + y 2 )
√
b) x7 y 9 z + 1
2) a) sin3 x · y 2
p
b) sin(x · y · z) · xy 2 z 3
V: Integralrechnung
Berechnen Sie die nachstehenden Integrale
1) a)
R3 √
x 1 + x dx
0
b)
R1
2
xex dx
0
2) a)
b)
R1
0
R2
1
VI:
x(5x2 + 4x)3 dx
(ln x)3
dx
x
1) Berechnen Sie das Volumen des durch Rotation von y =
1 um die x-Achse erzeugten Rotationskörpers.
√
x + 1, 0 ≤ x ≤
2) Welches Volumen
√ hat der Rotationskörper, der durch Rotation des Graphen von y = x, 0 ≤ x ≤ 1 um die y-Achse erzeugt wird?
Beispiel 4
1. Bestimmen Sie alle Lösungen des Gleichungssytems
x1 + x2 = 0, x2 + x3 = 0, x3 + x4 = 0, x4 + x5 = 0, x1 − x5 = 0.
2. Sie stehen in Schulau an der Elbe, und ein Schiff fährt in 200 m Entfernung
an Ihnen mit 10 km/h vorbei. Beschreiben Sie die Entfernung des Schiffes in
Metern als Funktion der Zeit.
3. Berechnen Sie
lim
n→∞
√
n2 + 1 + 1
.
2n
4. Diskutieren Sie die Funktion
2
(x3 + x)e−x = f (x).
5. Bestimmen Sie die Tangente an den Graphen von f (x) = x3 im Punkte (1, 1).
6.5 Kompartiment Modelle
211
6. Bestimmen Sie die Stammfunktion zu
xe3x
und berechnen Sie
2 +2
= f (x)
Z1 √
x 1 + x2 dx.
−1
Beispiel 5
1. Bestimmen Sie eine quadratische Funktion f mit den Eigenschaften: f (2) = 3,
f ′ (1) = 1 und f (1) − f (0) = 2.
2.
4n3 + 7n2 − 17n − 2
? Wenn ja, wogegen?
a) Konvergiert an = √
n2 + 1(2n2 + 3)
∞
P
1
b) Konvergiert
?
2
n=1 2n + 1
3. Diskutieren Sie die Funktion
f (x) =
4. Wo schneidet die Tangente von f (x) =
x
.
1 + x4
√
x in x = 2 die y-Achse?
5. Bestimmen Sie eine Stammfunktion von
f (x) = x sin(3x2 + 1).
6. Berechnen Sie
Z1
0
x2 e−(3x
3 +4)
dx.
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