Hartwig Walletschek - Abschied von einem Ideal

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NATURSCHUTZ
Die ökologischen Grundlagen für einen wirksamen Naturschutz
Abschied von einem Ideal
Von Hartwig Walletschek
Zwischen der Praxis des Naturschutzes und den Erkenntnissen, die sich aus den
Ergebnissen der ökologischen Forschung ergeben, klaffen große Lücken.
Erst allmählich beginnt sich die Einsicht durchzusetzen, daß das oberste Ziel des
Naturschutzes die Nachhaltigkeit sein muß. Bisher den Naturschutz dominierende
Aspekte wie der Artenschutz sind diesem Anspruch nur nachgeordnet.
is heute wird unter Naturschutz in Europa im
wesentlichen die Erhaltung der Kulturlandschaften des 19. Jahrhunderts verstanden. Als
Begründung geben diese Naturschützer an,
unsere Kulturlandschaften seien sehr artenreiche Lebensräume – und zwar angeblich Lebensräume, die
artenreicher seien als die ursprüngliche Naturlandschaft. Und da – so die weitere These – ein Ökosystem
desto stabiler sei je mehr Arten in ihm leben, hätten
die Kulturlandschaften eine erhöhte Stabilität.
Foto: Emanuel Gronau
B
Die Erkenntnisse aus der Sukzessionsforschung und
Paläo-Ökologie sprechen jedoch eine andere Sprache.
In der Geschichte der Biosphäre finden wir Belege
dafür, daß natürliche Ökosysteme unter vergleichbaren klimatischen Bedingungen Jahrzehntausende, ja
Jahrhunderttausende, bei gleichbleibender oder sogar
steigender Produktivität überdauern können. Natürliche Ökosysteme sind also in der Lage, dauerhaft zu
existieren, ohne abzuwirtschaften. Diesen Nachweis
bleiben die menschengeprägten Ökosysteme (Kulturlandschaften) noch schuldig.
Naturideale: Die im wesentlichen historisch geprägten Naturideale sind oft Leitbilder
menschlicher Naturgestaltung. Zu denken ist insbesondere an europäische Garten- und Parkformen aber auch an Kreuzgänge, Kloster- und Naturgärten oder klassische Villen. Bild: Landschaftspark der Villa Finck am Starnberger See.
Politische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
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NATURSCHUTZ
Politische
Ökologie
n Die Evolution der Nachhaltigkeit
Zum Autor
Hartwig Walletschek,
Jahrgang 1944, ist
Diplom-Biologe und
betreut bei der ErnstFriedrich-SchumacherGesellschaft für politische Ökologie
e. V., München, das
Thema „Ökologische
und anthropologische Grundlangen
nachhaltigen
Wirtschaftens“.
Kontakt
Hartwig Walletschek,
E.-F.-SchumacherGesellschaft für pol.
Ökologie e. V.,
Görresstr. 33,
80798 München,
Tel. (089) 529 770
Voraussetzung für stabile Ökosysteme scheint eine
perfekte Kreislaufwirtschaft zu sein. Das bedeutet,
die Stoffe, die notwendig sind, um die Leistungsfähigkeit des Ökosystems aufrechtzuerhalten, werden in extrem verlustarmen Kreisläufen geführt.
Das kann nur durch eine gute Koordination der Aufund Abbauprozesse erreicht werden. Es gibt Hinweise, die den Schluß nahelegen, daß diese Koordination im Laufe der Evolution der Ökosysteme verbessert wurde. Den Grad der erreichten Effizienz des
Ressourcenmanagements zeigen Untersuchungen
an intakten Urwäldern in verschiedenen Klimabereichen.
Wichtigstes Medium für die Stofftransporte in Ökosystemen ist das Wasser. Mißt man die Zusammensetzung des Regenwassers, das auf ein intaktes Urwaldgebiet niedergeht und vergleicht sie mit der der
Oberflächengewässer, die den Niederschlag aus diesem Gebiet abführen, so zeigen sich keine großen Unterschiede. Offenbar kann das Wasser auf seinem Weg
durch das Urwald-Ökosystem, diesem nur sehr wenige Ionen und andere Stoffe (Erosion) entreißen.
Natürlich sind die meßbaren Verluste nicht unabhängig von der Geländeform und der Geologie des Untergrunds des Standorts des Ökosystems.
Sucht man in Gebieten, die während der letzten Kaltzeit von Eis bedeckt waren, nach „Gedächtnissen“ in
der Landschaft, die Hinweise dafür liefern, wie sich
die Verlustprozesse in dieser Landschaft nach dem
Rückzug des Eises mit der Entwicklung der Pflanzendecke (Primärsukzession) änderten, so bieten sich
Seen an, in denen auf Grund ihrer Geometrie weitgehend ungestörte Sedimentation stattfinden konnte.
Da zwischen den Verlusten einer Bodenfläche durch
Wassererosion und dem Ionenaustrag aus dem zugehörigen Bodenkörper durch die Sickerwässer eine
deutliche Korrelation besteht, kann aus der Art und
dem Umfang der ungestörten Sedimentation auf die
jährlichen Stoffverluste der Landschaft (in gelöster
und ungelöster Form) im Einzugsbereich des Sees geschlossen werden.
Der Stoffaustrag aus der Landschaft durch den
Wasserkreislauf entwickelt sich in folgenden Phasen:
l 1. Phase – von der vegetationslosen Landschaft nach
dem Rückzug des Eises bis zur Entwicklung einer geschlossenen Vegetationsdecke (Wald) (Dauer: ca. 3000
bis 4000 Jahre): Anfangs ist der Eintrag aus dem Einzugsgebiet hoch und sinkt allmählich je weiter sich
die Pflanzendecke entwickelt auf etwa ein Fünftel bis
ein Zehntel ab. Die Oberflächengewässer sind in dieser Phase wegen des relativ hohen Nährstoffeintrags
sehr produktiv.
Naturideale: Die Ende letzten Jahrhunderts aufkommende Gartenstadtbewegung versuchte mittels kleiner,
überschaubarer und z.T. autarker Städte die katastrophalen hygienischen Zustände in den überfüllten Industriestädten
Europas zu entschärfen. Bild: „Garden-City“ von J. Posener (1898), die als Einzelsegmente durch die Main Line Railway
hätten verbunden werden können.
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Politische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
Konfliktfelder
l 2. Phase – bis zur Entfaltung der Aktivitäten der
jungsteinzeitlichen Bauern (Dauer: ca. 6000 Jahre):
In dieser Phase erreicht die Pflanzendecke bzw. die
Gemeinschaft der Lebewesen an den verschiedenen
Standorten ihre optimale Struktur und Funktion (unterschiedliche Waldökosysteme). Dabei geht der Austrag aus der Landschaft anfänglich noch geringfügig
zurück (Optimierungsphase) und hält sich dann auf
diesem Niveau. Die Oberflächengewässer sind weitestgehend oligotroph (Klargewässer mit geringer
Biomasseproduktion).
l 3. Phase – bis zum frühen Mittelalter (Dauer: ca.
4000 Jahre): In dieser Phase steigt die Rodung der
Wälder für Siedlungs-, Acker- und Weideflächen ganz
langsam an. Der Austrag aus der Landschaft wird dadurch erhöht, kann aber noch von den Wasserpflanzen in den Uferregionen der Oberflächengewässer in
den ökologischen Kreislauf eingeschleust werden. Dadurch wird zwar die Niedermoorbildung beschleunigt,
aber der Nährstoffgehalt des freien Wassers bleibt
niedrig und die Sedimentationsraten in den Seen steigen nur geringfügig an.
l 4. Phase – bis zur industriellen Revolution (Dauer:
ca. 1000 Jahre): Durch die extreme Ausweitung der
Acker- und Weideflächen schrumpft der Waldanteil in
Mitteleuropa auf seine geringste nacheiszeitliche Ausdehnung. Der Stoffaustrag aus der Landschaft steigt
deutlich an und erreicht wieder Werte, die denen nach
dem Rückzug des Eises nahekommen. Die Oberflächengewässer beginnen zu eutrophieren.
l 5. Phase – bis heute (Dauer: ca. 200 Jahre): Durch
den Einsatz der fossilen und nuklearen Energieträger
nimmt die Intensität der Landnutzung (Bodenbearbeitung und -versiegelung, mineralische Düngung,
Wasserverbrauch) in dieser Phase enorm zu, begleitet
von einem dramatisch ansteigenden Schadstoffeintrag in die Landschaft. Dadurch werden die vielfältig
vernetzten lokalen Stoffkreisläufe aufgebrochen. Als
Folge davon schnellen die Stoffverluste der Landschaft in Mitteleuropa etwa auf das 100fache dessen
empor, was zu Zeiten des optimalen nacheiszeitlichen
Zustandes in der 2. Phase der Fall war.
In der 2. Phase erreichen die Lebensgemeinschaften
den Zustand des perfektesten Ressourcenmanagements ihres Standorts und damit den Zustand der
Nachhaltigkeit. Er ist gekennzeichnet durch maximale Biomasse im System, maximale Bruttoprimärproduktion, keine Nettoproduktion, hohe Prozeß- und
Strukturstabilität, hohe Verdunstung und großes
Wasserrückhaltevermögen.
Bei jedem Sukzessionsvorgang, der zum Beispiel
auf die massive Störung eines Waldökosystems durch
Windwurf, Schneebruch, Brand, Erdrutsch, Lawineneinbruch oder Kahlschlag folgt, spielen sich ähnliche Prozesse ab, wie oben angesprochen. Nach der
Störung steigen die Stoffverluste an den Wasserkreislauf rapide an und werden dann im Laufe einer
ungestörten Sukzession immer weniger. Das Ende
Politische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
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NATURSCHUTZ
Politische
Ökologie
der Sukzession ist dann erreicht, wenn sich eine Lebensgemeinschaft entwickelt hat, die, im Vergleich
zu anderen an diesem Standort möglichen, die geringsten Verluste aufweist. Da es nur wenige Untersuchungen gibt, die den gesamten Stoffaustrag durch
den Wasserkreislauf aus ungestörten und der Sukzession unterworfenen Ökosystemen über lange
Zeiträume bilanzieren, kann die obige Aussage noch
nicht als völlig gesichert gelten. Es sprechen jedoch
viele paläo-ökologische Befunde und aktuelle Einzelergebnisse dafür.
n Nachhaltigkeit und Naturschutz
Was der Wasserkreislauf aus einem Ökosystem heraustransportiert, ist für dieses unwiederbringlich verloren. Was davon ins Meer gelangt, ist für alle terrestrischen Ökosysteme ein irreversibler Verlust, weil
diese Stoffe damit aus ihrer Sicht aus dem ökologischen Kreislauf in den geologischen überwechseln,
und der so langsam ist, daß im Rahmen der Lebenserwartung terrestrischer Ökosysteme für sie keine
Chance besteht, je wieder an das verlorene Material
heranzukommen.
Um den Grad der Nachhaltigkeit der Landnutzung
bestimmen zu können, brauchen wir Referenzsysteme, in denen, begrenzt von Wasserscheiden, Lebensgemeinschaften so ungestört wie möglich ihren optimalen ökologischen Wirkungsgrad entfalten können.
Diese Referenzsysteme sollten den unter Nutzung stehenden Vergleichsgebieten hinsichtlich Klima, Geologie und Geländeform möglichst ähnlich sein. Da der
ökologische Wirkungsgrad der Landschaft
in der Regel durch die
Vernetzung der Öksysteme mit zunehmender Fläche steigt, sind
auch sehr großflächige
Referenzgebiete notDa der ökologische Wirkungsgrad wendig. Für den größder Landschaft in der Regel ten Teil Europas wädurch die Vernetzung der Öko- ren Urwälder die ansysteme mit zunehmender Fläche gemessenen Referenzgebiete. Da wir die
steigt, sind sehr großflächige aber nicht mehr besitReferenzgebiete notwendig. zen, können wir nur
Ersatz
beschaffen.
Dieser Ersatz müßte
sich am Konzept der
potentiell natürlichen Vegetation (sogenanntes PNVKonzept) orientieren. Nach diesem Konzept könnten
Referenzgebiete dadurch geschaffen werden, daß man
Flächen sich selbst überläßt, damit auf ihnen eine
natürliche Sukzession ablaufen kann. Dabei entwickeln sich Lebensgemeinschaften, die ihren ökologischen Wirkungsgrad allmählich verbessern und am
Ende das mögliche Optimum erreichen. Aus dem Ver-
”
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Das Konzept der Biosphärenreservate:
ie irreversiblen, ökologischen Schäden der Landschaft,
die durch die Absenkung der Nachhaltigkeit durch stoffliches Auswaschen entstehen, betragen heute ein Vielfaches von Industrie und Verkehr. Schuld daran ist eine Flächenbewirtschaftung, die die Mineral- und Nährstoffausträge in die
Gewässer nicht berücksichtigt und die weitgehend mengenorientierte, autonome Wasserwirtschaft. Sie stellen zur Zeit in der
Bundesrepublik die größte Gefahr für den Standort Deutschland und seine Gesellschaft dar. In den Biosphärenreservaten
könnte die Zukunft durch Entwicklung von dringendst notwendigen ökologisch integrativen Beobachtungs- Planungs- und Bewirtschaftungsalternativen gesichert werden.
Es herrscht zur Zeit kaum Einigkeit über einen methodischen Ansatz des Naturschutzes, weil das Schutzgut, der
„Prozeß-Natur“, bezüglich seiner räumlichen und zeitlichen
Verteilung kaum verstanden wird. Auch bezüglich der Zusammenhänge zwischen Funktionalität und Struktur von Natur
gibt es große Lücken. Die enorme Chance, die sich aus der
Ausweisung von Großschutzgebieten ergibt, ist aus diesen
Gründen bislang nur in sehr unzureichender Weise genutzt.
Ziele des Naturschutzes sind die Nachhaltigkeit der Naturnutzung und der Erhalt der Biodiversität. Es zeigt sich jedoch,
daß die Ziele in einer hierarchischen Beziehung zueinander
stehen, wobei die Nachhaltigkeit das allgemeinere und wichtigere Prinzip darstellt, während der Schutz der Biodiversität erst
unter dem Kriterium der Nachhaltigkeit ein richtungssicheres
Konzept bezüglich kurz-, mittel- und langfristiger Maßnahmen
im lokalen, regionalen bzw, globalen Zusammenhang darstellt.
Nachhaltigkeit der Nutzung läßt sich über den Wirkungsgrad
der Landschaft bestimmen wenn dieser als Stoffumsatz oder
Stoffwechsel des Systems unter Minimierung der irreversiblen
stofflichen Veränderung des Standortes verstanden wird. Biodiversität dagegen stellt als Struktur das Resultat eines an der
Nachhaltikeit orientierten Selbstorganisationsprozesses dar.
Der an einem Standort bei einer gegebenen
Dynamik in die Zönose (Organismengesellschaft) neu dazukommende Organismus wird dadurch ausgewählt, daß die Zönose mit der vollständigeren Kreislaufführung der Stoffe, d.h.
den geringeren stofflichen Verlusten, langlebiger ist. Die neue
Organismengesellschaft würde die benachbarte, weniger effiziente Zönose überdauern und allmählich über das Wachstum
räumlich ersetzen. Dies bedeutet aber auch, daß Arten oder
Gesellschaften, die diese Nachhaltigkeit am Standort absenken, ausgesondert werden und einer raschen Sukzession unterliegen. Eine Artenvielfalt, die ohne Schutzmaßnahme einer
raschen Sukzession unterworfen wäre, kann daher nur unter
zunehmendem Aufwand und Inkaufnahme einer verringerten
Nachhaltigkeit geschützt werden. Ein solcher Schutz beeinträchtigt das System durch irreversible, stoffliche Verluste bei
einer unnötig raschen Veränderung des Standorts. Eine räumlich und zeitlich durch den oben dargestellten Optimierungsprozeß selektierte Artenvielfalt müßte dagegen nicht geschützt
werden. Ein Eingriff in ein solches System versetzte dieses in
einen weniger optimierten Zustand und müßte als Störung bewertet werden.
D
Konfliktfelder
Entwicklungszellen für einen integrativen Naturschutz?
Präzisierbarer
Ansatz
Von Wilhelm Ripl
Biosphärenreservate haben das Ziel, die
Natur nachhaltig schützen zu lernen.
Dieses Ziel erfordert genaues Wissen über
natürliche Prozesse und
ihre Selbstregelung in der Natur.
Natur ist als Prozeß das Resultat der Energetik (Wechselwirkung zwischen dem dynamischen Medium Wasser bzw. der
Organismengesellschaften, dem Boden und der Atmosphäre)
und der sich daraus ergebenden Stoffdynamik. Sie kann daher
auch nur funktional, über die ablaufenden Prozesse in ihrer
Verteilung und Kopplung, verstanden und geschützt werden.
Der Versuch die Natur in ihrer Struktur unabhängig von ihren
energetischen Randbedingungen, z.B. der Integrität des gesamten Kühl- bzw. Temperaturausgleichssystems über den
Wasserhaushalt, ihren funktionalen Kopplungen auf der
Fläche konservierend zu schützen, ist zum Scheitern verurteilt.
Diese Aussage trifft ebenso für den Erhalt und Schutz einer
einzelnen Art oder des Erbguts zu. Den beiden letztgenannten
Schutzzielen kann ebenfalls nur über die Steigerung der Nachhaltigkeit und der Erhöhung des landschaftlichen Wirkungsgrads auf der gesamten Fläche nachgekommen werden.
Im Folgenden soll die Funktionalität der Natur als Basis für
die Gesellschaft genauer hinterfragt werden. Zu den unverzichtbaren Leistungen der Natur für die Gesellschaft gehören:
l Die Erhaltung der für die Organismen und die Gesellschaft
notwendigen Temperaturbereiche in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung. Die Integrität des Kühlsystems in der besiedelten Landschaft ist wieder herzustellen. Dies kann durch
Vorhaltung von zusätzlicher Vegetation und oberflächlicher
Bodenfeuchte in Feuchtgebieten geschehen.
l Der stabile Landschaftswasserhaushalt als Basis für die Verteilung der Triebfedern der Landschaftsprozesse. Die gesicherte Versorgung der Vegetation wie auch der Gesellschaft
mit Wasser in ausreichender Menge und Qualität. Die Integrität des Klimas und der lokalen Wasserkreisläufe ist durch
die starken Eingriffe in die Gebietswasserhaushalte für die Zukunft in Frage gestellt.
l Die Stabilisierung der Zusammensetzung und der Prozesse
in der Atmosphäre über Wasserhaushalt und Organismengesellschaften in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung. Die
Stabilisierung steht wieder mit der Temperaturverteilung in der
Landschaft und dem Wasserhaushalt bzw. der Pflanzenvertei-
lung in engster Beziehung. Auch hier ist die Entstehung immer
großflächigerer stark überwärmter Ackerflächen und die Eliminierung von Feuchtgebieten bzw. Vernichtung von Kühlflächen
ein Hauptfaktor für den Transport von Schadstoffen, wie z.B.
Ozon Stickoxide oder Methan, in die oberen Schichten der Atmosphäre, da diese Teilprodukte aus natürlichen Prozessen
nicht mehr an bodennahen, feuchten Flächen zu unschädlichen Produkten zu Ende reagieren können.
l Die Sicherung der pflanzlichen Produktivität in der Landschaft als Nahrungs- und Rohstoffbasis für Mensch und Tier.
Dazu bedarf es verlustarmer Stoffkreisläufe. Diese können erzielt werden, wenn die Verdunstung maximiert und die Austräge der pflanzennotwendigen Stoffe durch Versickerung des
Regenwassers minimiert werden. Dieser Prozeß bestimmt die
„Alterung“ der Landschaft.
l Die Rückgewinnung von Nutzstoffen aus den Abfällen sowie
die Entgiftung der Böden. Zur Zeit werden die Nutzstoffe Phosphor und Stickstoff aus Abwässern als Schadstoffe mit hohem
finanziellem Aufwand entfernt, und die pflanzennotwendigen
Basen dem Meer überantwortet. Die anfallenden, für die Vegetation nutzstoffreichen Schlämme werden verbrannt oder zu
kaum mehr vertretbaren Kosten auf Mülldeponien endgelagert: Der irreversible Verlust der darin enthaltenen Nähr- und
Mineralstoffe schädigt bereits heute Landschaft und Vegetation in wesentlich höherem Ausmaß, als dies für die damit vergesellschafteten „Schadstoffmengen“ jemals gezeigt wurde
und diese, der sich ständig erneuernden Natur jemals hätten
Schaden können.
n Perpektiven
Hier müßten die Möglichkeiten der Großschutzgebiete genutzt
werden. Durch die lokale Einführung von ökonomischen Randbedingungen in der Landwirtschaft auf der bestgeeigneten und
kleinsten notwendigen Fläche könnte eine intensivierte Nahrungsmittelproduktion erfolgen. Dies würde auf der restlichen
Fläche sehr extensiv genutzte Wald- und Feuchtgebiete ermöglichen. Dazu bedarf es, daß die heute bereits üblichen
Transferzahlungen in der Land- und Forstwirtschaft vorrangig
für die Bereitstellung von Wasser bezüglich Menge, Güte und
klimawirksamen Wasserhaushalt auf der Fläche an den Landwirt marktmäßig geleistet werden. Ferner scheint es wichtig,
daß in diesen Gebieten die Wasserwirtschaft der Flächenbewirtschaftung beratend zu- oder nachgeordnet wird, da sowohl
Menge wie Güte des Wassers insbesonders in Seen und Flüssen vorrangig durch die orts- und zeiteingebundene Bewirtschaftung der Fläche im Einzugsgebiet bestimmt wird. Selbst
für dichtbesiedelte Gebiete könnte der Flächenbewirtschafter
die Ver- und Entsorgungsfunktion für Wasser und organische
Stoffe genossenschaftlich übernehmen. Die autonome Wasserwirtschaft, die sowohl durch die großflächige Entwässerung
der Landschaft, wie auch durch die Grundwassernutzung für
den Großteil der Landschafts- und Klimaschäden verantwortlich ist, müßte in einem nach Nachhaltigkeit strebenden System der Flächenbewirtschaftung nachgeordnet sein und vom
Politische Ökologie · 43 · November/Dezember ‘95
Zum Autor
Prof. Dr. Wilhlem Ripl,
geb. 1937,
Ökologe/Limnologe,
Studium an der Universität Lund, Schweden,
bis 1978. Seit 1979
Dozent am Fachbereich Gesellschaft
und Umwelt, am
Institut für Ökologie
der TU Berlin.
Kontakt
Wilhelm Ripl,
TU Berlin,
Institut für Ökologie,
FB Limnologie,
Hellriegelstr. 6,
1000 Berlin 33,
Tel. 030/314-71341,
Fax 030/823-9667
Literatur
* Ripl/Hildmann: Wasserhaushalt und Basenverluste aus der
Landschaft als zentrale
ökologische Probleme.
Beck Verlag, München
1994, Jahrbuch Ökologie 1995
* Ripl: Management of
Water Cycle and Energy Flow for Ecosystem
Control – The EnergyTransport-Reaction
(ETR) Model.
ELSEVIER – Ecological Modelling, 1995
* Fritz/Huber/Levi:
Nachhaltigkeit.
Wissenschaftl.
Verlagsgesellschaft,
Stuttgart 1995. Darin:
Ripl/Hildmann: „Nachhaltige Bewirtschaftung
von Ökosystemen aus
wasserwirtschaftlicher
Sicht“. S. 69-80
* Ripl/Hildmann: Handbuch der Ökosystemforschung.
Ökosysteme als
thermodynamische
Notwendigkeit –
Systemökologische
Überlegungen,
1995, im Druck.
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Politische
Ökologie
Konfliktfelder
gleich von Referenzgebieten mit unterschiedlichem
Eintrag über die Atmosphäre, der ja nicht verhinderbar ist, kann man wahrscheinlich auf die Bedeutung
dieses Eintrags für die Nachhaltigkeit rückschließen.
Bei dieser globalen Betrachtung sollte nicht vergessen werden, daß auch die Leistungen, zu denen die einzelnen Arten fähig sind, für die Entwicklung der
menschlichen Wohlfahrt (Medizin, Biotechnologie,
Meßtechnik, Biomechanik) von großer Bedeutung sein
können. In der Vielfalt der Lebewesen und ihrer ausgeklügelten Wechselbeziehungen steckt die Erfahrung,
die die Organismen in ihrer bisherigen Evolution gesammelt haben. Es ist deshalb von uns Menschen
töricht, diese Informationsträger zu liquidieren, bevor
wir die in ihnen steckende Erfahrung ergründet haben.
Ein europaweites Biotopverbundsystem aus Referenzgebieten (Naturschutzgebieten) unterschiedlicher
Größe, das an die zwanzig Prozent der Fläche unseres
Kontinents umfasst, könnte wahrscheinlich allen Anforderungen gerecht werden, wenn die Nutzung der übrigen Flächen von den heute schon möglichen Einsichten
geleitet wird. Das heißt: Die mit bisher bekannten landwirtschaftlichen Methoden bewirtschaftete Fläche sollte so klein wie möglich sein, nur an bestimmten Stellen
in der Landschaft liegen sowie zwischen sich und den
abführenden Oberflächengewässern ein Feuchtgebiet
(zum Beispiel Niedermoor) vorfinden. Die Funktion des
Feuchtgebiets besteht darin, daß es in der Lage ist, den
unvermeidlichen, erhöhten Austrag aus der Landwirtschaftsfläche einzufangen und in Biomasse umzuwandeln. Wird das eingefangene Material durch geeignete
Bewirtschaftung des Feuchtgebiets wieder zurückgebracht auf die Landwirtschaftsflächen, so entsteht ein
zusätzlicher Kreislauf, der hilft, die irreversiblen Verluste der landwirtschaftlichen Nutzgebiete deutlich zu
vermindern. Selbstverständlich ist es auch notwendig,
daß sämtliche Endprodukte, die bei der Verwertung der
Ernte anfallen, wieder auf die Produktionsflächen
zurückgebracht werden. Kuppen- und Hanglagen sollten wegen ihrer besonderen Anfälligkeit für Verluste
stets von Wald bedeckt sein.
Der Flächenanteil, der auf die verschiedenen Nutzungsformen der Landschaft entfällt, müßte sich dabei
gegenüber heute dramatisch verändern. Die Waldbedeckung müßte in der Größenordnung von 60 Prozent
liegen (heute ca. 30 Prozent), die landwirtschaftliche
Fläche sollte 25 Prozent nicht übersteigen (heute ca. 55
Prozent), den Feuchtgebieten (ohne Seen) wären etwa
zehn Prozent zuzugestehen (heute ca. 0,5 Prozent) und
für die Siedlungs- und Verkehrsflächen (heute Flächen
mit besonders hohem Austrag) verblieben drei bis vier
Prozent (heute fast 12 Prozent). Daß trotz dieser anderen
Aufteilung noch immer 20 Prozent der Fläche jeglicher
menschlicher Nutzung entzogen sein sollte, ist eine Vorsichtsmaßnahme, die in den immer noch mangelhaften ökologischen Kenntnissen begründet ist.
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