Der Westen und die wirtschaftliche Stabilisierung des

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Vladimir Gligorov
Der Westen und die wirtschaftliche Stabilisierung des Westlichen
Balkans1
Einleitung
Die Vereinigten Staaten und die EU vertrauten bisher auf eine Reihe wirtschaftlicher
Instrumente, um die politische und wirtschaftliche Entwicklung auf dem westlichen Balkan zu
beeinflussen. Die Auswahl und Anwendung der Mittel wurde und wird hauptsächlich von
politischen oder sicherheitspolitischen Überlegungen und nicht so sehr von wirtschaftlichen
dominiert. Diese Aussage gilt für die gesamte Region wie auch für die einzelnen Länder. Die
Ergebnisse auf politischem und sicherheitspolitischem Gebiet sind nicht sehr überzeugend.
Anstatt sich auf dem Weg der wirtschaftlichen Stabilisierung und Entwicklung vorwärts zu
bewegen sind diese Länder wirtschaftlich instabil geblieben, sie befinden sich in einer Phase
wirtschaftlicher Depression und Desintegration.
In dieser Studie wird die Entwicklung nach dem Abkommen von Dayton, d. h. nach 1995,
beleuchtet. Auf einen regionalen Überblick folgen länderspezifische und generelle Beurteilungen, kritische Kommentare und politische Vorschläge.
Internationale Strategie und der westliche Balkan
Der „westliche Balkan“ ist eine Region, die Albanien und alle Staaten des ehemaligen
Jugoslawiens ohne Slowenien umfasst. Geographisch liegen diese Länder hauptsächlich auf
der Balkan-Halbinsel westlich einiger anderer Balkanstaaten (Rumänien, Bulgarien, Türkei
und Griechenland). Sie haben auch eine gemeinsame Geschichte, in vieler Hinsicht eine
Geschichte der Trennung und der schlechten Verständigung.
Das sind sehr schwache regionale Bindungen. Geographisch definierte Regionen sind
ziemlich willkürlich, während geschichtliche Verbindung etwa den Ausschluss von
Slowenien oder die Einbeziehung von Albanien nicht rechtfertigen. Auch können der
politische und wirtschaftliche Zerfall kaum eine Region konstruieren. Verbindend hingegen
ist die sicherheitspolitische Rolle: Als die Region des westlichen Balkans definiert wurde,
verband das Abkommen von Dayton Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien durch
ihre gemeinsamen Sicherheitsbelange. Jugoslawien und Albanien wurden außerdem durch
ihre gemeinsame Sorge betreffend die Sicherheit im Kosovo verbunden. Mazedonien wurde
der Gruppe zugezählt, da seine Stabilität von den Entwicklungen im Kosovo, in Albanien und
in Serbien abhängig ist. Der westliche Balkan wurde und ist nur im Hinblick auf
Sicherheitsfragen eine Region. Das definiert uns auch das Ziel, das die internationale
Gemeinschaft im westlichen Balkan haben könnte. Eine stabile Sicherheitslage ist das
Hauptinteresse all jener, die sich in dieser Region engagieren.
1
Übersetzte und gekürzte Fassung. Erstmalig erschienen unter dem Titel: The West and the Economic Stabilisation of
the Western Balkans. In: Zur Problematik der Stabilisierung des Westbalkans. Hg. von der Landesverteidigungsakademie Wien und vom Militärwissenschaftlichen Büro. Wien 2000 (=Studien und Berichte zur
Sicherheitspolitik 5/2000), S. 133-158.
In diesem Sinne formuliere ich meine Hauptthese: Sicherheitsbelange haben beim
internationalen Engagement auf dem westlichen Balkan über wirtschaftliche Stabilität und
Entwicklung dominiert.
Wenn das Ziel einmal festgelegt ist, dann wird die Wahl der Mittel wichtig. Bis zum
Abkommen von Dayton war Eindämmung das wichtigste Instrument. Als die
Hauptkriegsphase in Kroatien Ende 1991 vorbei war, musste man mit dem Ausbruch des
Krieges in Bosnien-Herzegowina rechnen, was auch geschah, und die Hauptstrategie war die
Begrenzung des Konfliktes auf das Territorium Bosnien-Herzegowinas. Als man erkannte,
dass diese Strategie nur dann zum Ziel führen werde, wenn es zuvor zu einer Schwächung
Jugoslawiens käme, wurde ein umfassendes Bündel von Sanktionen über das Land verhängt.
Handelsbeziehungen und andere geschäftliche Kontakte zu Jugoslawien wurden unterbunden.
Klarerweise zielte die internationale Strategie zu diesem Zeitpunkt nicht vorrangig auf
wirtschaftliche Stabilität ab. Tatsächlich wurde in mehr als nur einem Fall die wirtschaftliche
Instabilität nicht als nachteilig für das Hauptziel Sicherheit angesehen.
Instrumente der Wirtschaft wurden angewendet, um politische und sicherheitspolitische,
nicht aber wirtschaftliche Ziele zu verfolgen. Die Ansicht über die Rolle, die die
wirtschaftliche Stabilität spielen könnte, hat sich zwar zwischenzeitlich geändert, die Belange
der Sicherheitspolitik spielen aber noch immer eine vorrangige Rolle. Das hat Auswirkungen
auf die Art und Weise, in der sich der Westen „einbringt“: In den letzten zehn Jahren wurde
wiederholt geltend gemacht, dass die EU die Führung auf dem westlichen Balkan
übernehmen sollte. Dieses Ziel war schwer zu erreichen, da die EU internationale Strategien
nur unter Zuhilfenahme von wirtschaftlichen Maßnahmen entwickeln kann. Sie kann Direktund Wiederaufbauhilfe wie auch andere Arten finanzieller Unterstützung zur Verfügung
stellen, und sie kann vertragliche Beziehungen anbieten, die eine Integration in Richtung EU
verstärken. Aber die EU kann wesentlich weniger bewirken, wenn es sich um Außen- und
Sicherheitspolitik handelt. Daher hätte nur eine komplexe Strategie, die sich mit Sicherheit
ebenso beschäftigt wie mit wirtschaftlichen Interessen, ein konsistentes Vorgehen des
Westens gesichert. Da dies nicht stattfand, kamen die beiden Instrumente Sicherheit und
Wirtschaft unabgestimmt zum Einsatz.
Der Westen und der westliche Balkan
Nach dem Abkommen von Dayton begann die EU mit dem sogenannten regionalen Zugang
zum westlichen Balkan. Der westliche Balkan war innerlich zerfallen und hatte im Vergleich
zu anderen Balkanstaaten geringere politische und ökonomische Beziehungen zur EU. Daher
zielte der regionale Zugang auf eine kombinierte innerregionale und europäische Integration
ab. Die Idee dahinter war eine gewisse Koordination einer regionalen Integration mit der
Knüpfung engerer Bande zur EU. Es wurde nie ganz klar gemacht, wie das funktionieren
sollte, aber gemeint war, dass jedem Fortschritt in der innerregionalen Integration verbesserte
Beziehungen zur EU folgen sollten und umgekehrt. Auf Verschlechterungen in der innerregionalen Integration sollte eine ähnliche Entwicklung in den Beziehungen zur EU folgen.
Das Problem dieser Strategie lag darin, dass sich zwischen der Region und der EU ein
problematisches Netz von sehr unterschiedlichen Beziehungen spannen konnte. Und wirklich,
wenn man die Beziehungen ansieht, die die EU auf dem Balkan entwickelt hat, so sind die
Unterschiede auffallend.
Übersicht 1: Beziehungen zwischen Balkanstaaten im Übergang und der EU
•
„Europa-Abkommen“ (Bulgarien und Rumänien)
•
Kooperationsabkommen (Albanien)
•
Stabilisations- und Assoziationsabkommen (Mazedonien)
•
Teilnahme an einigen EU-Programmen (Bosnien-Herzegowina)
•
Handelserleichterungen (Kroatien)
•
Bis Herbst 2000 Sanktionen (Serbien)
•
Hilfe (Montenegro)
•
Spezielle Beziehungen (Kosovo)
Wenn man weiß, wie diese Maßnahmen und Abkommen zustande kommen, ist ganz klar,
dass hier das Schema Belohnung und Bestrafung (Zuckerbrot und Peitsche) dominiert. Im
Falle der Staaten, die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind, ist das Niveau
der Beziehungen zur EU weit unter jenes der Zeit gesunken, als diese Staaten ein Teil des
ehemaligen Jugoslawiens waren. Bei einigen ist auf kurz anhaltende Verbesserungen eine
Verschlechterung gefolgt. So genoss der Handel Jugoslawiens im Jahr 1996 eine bevorzugte
Behandlung. Danach wurden die Erleichterungen zurückgezogen, und die Sanktionen wurden
seither immer weiter verschärft. Ebenso wurde Kroatien in einige EU-Programme wie zum
Beispiel PHARE eingeschlossen, später aber aus diesen Programmen wieder entfernt. Die
Beziehungen zwischen der EU und Mazedonien waren von 1991 bis 1995 durch ein
griechisches Embargo belastet. Nach dem Ende der griechischen Blockadepolitik wurde der
Weg zu einem Kooperationsabkommen zwischen der EU und Mazedonien frei, der letztlich
bis zu Verhandlungen über den Abschluss des Stabilisations- und Assoziationsabkommen
führte. Die Beziehungen zu Albanien stagnieren, seit das Abkommen über eine Zusammenarbeit unterzeichnet wurde. Zusätzlich hat die EU besondere Beziehungen zu BosnienHerzegowina, dem Kosovo und Montenegro aufgebaut. Dabei besteht überhaupt keine
Klarheit darüber, wie diese speziellen Beziehungen in den regionalen Zugang passen.
Wenn man nicht nur den Fortschritt oder besser: den fehlenden Fortschritt hinsichtlich der
innerregionalen Integration und der Integration in die EU betrachtet, sondern auch den
Fortschritt hinsichtlich einer wirtschaftlichen Stabilität der Region und der Länder dieser
Region, wird man wenig Stabilität sehen. Nach dem Abkommen von Dayton und der
Übernahme des regionalen Zuganges kam es zu einer Reihe von Wirtschaftskrisen.
Übersicht 2: Krisen auf dem westlichen Balkan
•
1997: wirtschaftlicher Zusammenbruch Albaniens
•
1998: Zusammenbruch des Bankensystems in Kroatien und Beginn einer Rezession
•
1999: deutlicher Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten in Bosnien-Herzegowina
•
1999: Zusammenbruch Jugoslawiens
•
2000: große wirtschaftliche Schwierigkeiten in den meisten Staaten am westlichen
Balkan
Es gibt keine Stabilität in den Außenhandelsbeziehungen und Außenhandelsströmen der
Länder dieser Region. Zwar hat Mazedonien verschiedene Freihandelsabkommen mit den
Ländern der Region (mit Ausnahme von Albanien), aber das aktuelle Handelssystem und die
aktuellen Handelsströme sind sehr labil. Die Grenze zu Serbien ist für Mazedonien von großer
Bedeutung. Diese ist aber aus verschiedenen Gründen für den Handel oft geschlossen.
Manchmal werden auch die Tarife geändert oder andere Hindernisse in den Weg gelegt. Diese
Zustände führen zu unsteten Handelsströmen zwischen den beiden Ländern.
Auch der Handel zwischen Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien (Serbien und
Montenegro) unterliegt Veränderungen durch Regimewechsel. Indem das Kosovo eine
getrennte politische und wirtschaftliche Einheit wurde, hat sich die Situation noch weiter
verkompliziert. Ein System, das für den Handel im Kosovo anwendbar ist, muss noch
ausgearbeitet werden. In der Zwischenzeit hat man einige relevante Handelshemmnisse und verzerrungen eingeführt, die so leicht nicht wieder zu beseitigen sein werden.
Andere Aspekte wirtschaftlicher Stabilität zeigen ein gleichermaßen ernüchterndes Bild.
Drei entscheidende Ungleichheiten sollten erwähnt werden. Eine ist der laufende
Zahlungsausgleich. Alle Länder in dieser Region haben hohe oder sehr hohe Defizite im
laufenden Zahlungsverkehr.
Tabelle 1: Laufender Zahlungsausgleich (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)
1996
1997
1998
1999
Kroatien
-4,4
-12,3
-7,3
-7,1
Bosnien-Herzegowina
-27
-31
-28
Jugoslawien
-8,5
-11
-8,6
Mazedonien
-6,5
-7,4
-8,1
-4,2
Albanien
-9,1
-12,2
-6,3
-12,8
Quellen: Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW), Weltbank.
Diese Zahlen sind ein Alarmsignal, sie verweisen auf eine bedeutende Quelle potenzieller
Instabilität. Was die Entwicklung der Auslandsverschuldung betrifft, ist das Gefälle sogar
noch größer.
Tabelle 2: Auslandsverschuldung (in Milliarden US-Dollar, Ende der Periode)
1995
1996
1997
1998
1999
2000
Kroatien
3809
5308
7452
9584
9672
10000
BosnienHerzegowina
3361
3620
4076
2879
3055
3300
Jugoslawien
9000
9000
10500
11500
12500
13500
Mazedonien
1236
1172
1133
1399
1444
1600
Albanien
683
732
757
874
1000
1100
Quellen: WIIW, Nationale Statistiken, Schätzungen des Autors.
Zusammen mit den Zahlen der Gesamtauslandsverschuldung sollten auch die Indikatoren
der Schuldenlast betrachtet werden. Tabelle 3 zeigt zwei davon. Wie man aus diesen Tabellen
ersehen kann, ist die Belastung in allen Fällen signifikant. Sie ist immer größer geworden und
wird auch in der näheren Zukunft weiter wachsen. Es kann mit Sicherheit angenommen
werden, dass die Krise nicht zu überwinden ist, wenn es nicht zu einem drastischen Anstieg
der Exporte und der internationalen Finanzbeteiligung kommt.
Tabelle 3: Schuldenindex 1999
(Albanien und Bosnien-Herzegowina 1998, Kroatien in Waren und
Leistungen.)
Schulden / BIP
Schulden / Export
Kroatien
48
109
Bosnien-Herzegowina
71
350
Jugoslawien
90
833
Mazedonien
42
120
Albanien
30
732
Quellen: WIIW, nationale Statistiken.
Die andere wichtige Quelle der Instabilität ist das fiskalische Defizit.
Tabelle 4: Zahlungsbilanz (in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)
Kroatien
1995
1996
1997
1998
1999
-0,7
-0,4
-1,2
0,5
-1,3
-4,4
-1,3
-2,8
-3,3
Bosnien-Herzegowina
Jugoslawien
-1,6
-3,4
Mazedonien
-0,7
-0,3
-0,4
-1,6
-3,5
Albanien
-9,4
-12
-7,4
-10,4
-10,9
Quelle: Weltbank
Diese Zahlen verweisen deutlich auf die finanziellen Defizite und in der Folge auch auf die
finanzielle Instabilität. Dies gilt vor allem für Bosnien-Herzegowina, wo die öffentlichen
Ausgaben von internationalen Geldflüssen gedeckt werden und wo es wenig Kredite gibt.
Deswegen ist das Finanzdefizit mit Sicherheit auch zu gering beziffert. In den anderen
Ländern gibt es durchaus ähnliche Probleme.
Ein anderes Problem sind die Schulden im öffentlichen, im Unternehmens- und im
Bankensektor. In Kroatien, Mazedonien und Jugoslawien ist diese Verschuldung hoch oder
sehr hoch. Wenn man diese Schulden als finanzielle Risiken wertet (d. h. einschließlich
budgetärer Verbindlichkeiten), verschlechtert sich die finanzielle Situation in diesen Ländern
wahrscheinlich um weitere 5 bis 10 % des Bruttoinlandsproduktes. Daher ist die finanzielle
Situation in dieser Region sehr angespannt.2
Ein anderer Ungleichheitsfaktor, der in dieser Region schwer wiegt, ist verbunden mit den
Eigentümlichkeiten des Arbeitsmarktes. Als Schlüsselindikator dient die Arbeitslosenrate, die
in Tabelle 5 angeführt wird. Andere Indikatoren hinsichtlich der Zahl der Arbeitslosen und
der strukturellen Aspekte der Arbeitslosigkeit, die hier nicht behandelt werden können,
ergeben ein noch schlimmeres Bild der Gesamtsituation.
2
Vgl. Vladimir Gligorov, State in the Balkans. Präsentiert auf der WIIW/London School of Economics-Konferenz in
Wien im November 1999. (http://www.wiiw.ac.at).
Tabelle 5: Arbeitslosenrate (in Prozent, für Mazedonien aus Arbeitsrate erschlossen)
1998
1999
2000
2001
Kroatien
18,1
20,8
22
22
Bosnien-Herzegowina
38
38
Jugoslawien
27,2
32
35
35
Mazedonien
34,5
32,4
32
32
Albanien
18
20
Quelle: WIIW, nationale Statistiken.
Die Tabelle zeigt, dass die Arbeitslosigkeit in der Region sehr hoch ist. Tatsächlich ist sie
noch gewachsen und vielerorts wird sie in den nächsten Jahren noch weiter ansteigen. Aber
diese Zahlen geben keine Auskunft über die Ursachen der Arbeitslosigkeit in der Region. Ein
großer Teil der beschäftigten Arbeitskräfte muss damit rechnen, in naher Zukunft seinen
Arbeitsplatz zu verlieren. Daher ist die Gesamtsituation auf dem Arbeitsmarkt noch ernster,
als es die Arbeitslosenzahlen ausdrücken.
Was hat der Westen mit dieser in hohem Maße instabilen Situation auf dem westlichen
Balkan zu tun? Natürlich wurden Anstrengungen unternommen, um das laufende
Zahlungsbilanzdefizit zu finanzieren und um Vorsorge für das Budget zu leisten, damit die
Länder in der Region einen gewissen Grad an wirtschaftlicher Stabilität behalten können. Vor
allem in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo waren Wiederaufbau und Revitalisierung
vorrangige Belange.
Wenn man sich aber die Entwicklungen in den oben angeführten Tabellen ansieht, gibt es
eine unausweichliche Schlussfolgerung: Was immer der Westen auf dem westlichen Balkan
gemacht hat, es hat nicht merklich zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Region beigetragen.
Dies muss auch Einfluss auf die Bewertung des sogenannten regionalen Zuganges zum
westlichen Balkan haben. Wenn man die verschiedenen Beziehungen betrachtet, die die EU in
dieser Region entwickelt hat, dann wird klar, dass etwas mit dem regionalen Zugang schief
gelaufen ist. Die Region hätte kaum stärker zerfallen können, als sie es nun ist, sowohl intern
als auch extern. Der regionale Zugang der EU zum westlichen Balkan hat nicht zur
wirtschaftlichen Stabilisierung der Region beigetragen, sondern eher einen Beitrag zu ihrem
Zerfall geleistet.
Übergang und Entwicklung
Durch die Aktionen der internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) war der Westen auch sehr
stark in das Geschehen involviert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die
Weltbank (WB) sind bei allen Ländern der Region stark eingebunden. Sie sind auch auf
verschiedene Weise im Kosovo und in Montenegro präsent, obwohl dieses Engagement
weniger sichtbar und weniger transparent ist, da solche Organisationen an sich nicht mit
politischen Einheiten arbeiten dürfen, die keine Staaten sind.
Was ist aber das Ergebnis dieses Engagements? Wenn man sich die Krisen auf dem westlichen Balkan ansieht, so wird klar, dass das Engagement in keiner Weise erfolgreich war.
Grundsätzlich sollten die IFIs nach einer Krise ins Spiel gebracht werden, um dem Land bei
ihrer Bewältigung zu helfen, oder vor einer Krise, um sie zu verhindern. Wenn jedoch eine
Krise ausbricht, während das Land etwa einem Programm des IWF folgt, so führt dies
unvermeidlich zu einer Beeinflussung der Qualität des Programms. Dies gilt auch für die
Weltbank. Wenn sich die soziale Situation und alle anderen Indikatoren, die die Weltbank
veranlasst hatten, sich zu engagieren, während des Engagements verschlechtern, so ist dies
ein klares Zeichen dafür, dass in der Planung des Programms oder in seiner Durchführung ein
Fehler aufgetreten ist.
In den Länderkommentaren, die später folgen, wird mehr darüber gesagt, aber eine
vollständige Bewertung der Maßnahmen der IFIs auf dem westlichen Balkan wird nicht
versucht. Der Punkt, der hier erwähnt werden sollte, ist der, dass die Probleme, mit denen sich
die IFIs auseinander setzen mussten, primär als Probleme des Überganges und nicht als solche
der Entwicklung behandelt wurden.3 Dies erklärt die meisten der begangenen Fehler. Im Falle
von Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Albanien wäre es etwa vernünftiger, sie als
Entwicklungsländer zu behandeln, die auch eine Transformation durchmachen müssen. Bei
Bosnien-Herzegowina und Mazedonien hätte dies aus der Tatsache hervorgehen müssen, dass
sie im ehemaligen Jugoslawien als Entwicklungsgebiete eingestuft waren, und das war auch
bei den IFIs so, da sie ausgiebige und seit langem bestehende Beziehungen mit dem
ehemaligen Jugoslawien hatten. Albanien konnte wirklich als nichts anderes als ein
Entwicklungsland gesehen werden. Der einzige Staat in der Region, den man als mehr oder
weniger typischen Staat in einer Übergangsphase hat sehen können, war Kroatien. Jedoch
sind die Fehler, die hier gemacht wurden, nicht unähnlich jenen, die in anderen Ländern
passierten. Der Grund dafür ist, dass die Hauptaufgabe in Kroatien in der Bildung von Nation
und Staat bestand, aber auch das kann eine Entwicklungsangelegenheit sein. Der Fehler bei
Kroatien war, es als voll funktionsfähigen Staat zu nehmen und das Standardrezept für den
Übergang anzuwenden. Das Ergebnis war alles andere als erfolgreich.
Es muss festgehalten werden, dass die IFIs in den meisten Fällen einen Erfolg reklamiert
haben, zumindest bei einem gewissen Punkt ihres Engagements. Das war der Fall bei
Kroatien, Albanien, Mazedonien und auch Bosnien-Herzegowina. Die Krisen auf dem
westlichen Balkan, dass diese „Erfolgsgeschichten“ zumindest übertrieben sind.
Fall I: Bosnien-Herzegowina4
In der Zeit nach dem Abkommen von Dayton ist Bosnien-Herzegowina der Schlüssel für die
Gesamtsituation. Der regionale Zugang der EU wurde in einem weiten Ausmaß im Hinblick
darauf entworfen, Bosnien-Herzegowina bei seiner Stabilisierung zu helfen. Er zielte darauf
ab, Kroatien und Jugoslawien zu einer Zusammenarbeit mit den internationalen
Organisationen zu veranlassen, um sicherzustellen, dass der Friede hält und die politische
Stabilität beständig wird. Ein anderes Ziel war die Verhinderung einer ähnlichen Krise an
anderen möglichen Krisenorten wie z. B. im Kosovo. Die wirtschaftliche Stabilität BosnienHerzegowinas wurde in folgenden Parametern gesehen:
•
radikaler Wechsel in den Institutionen, primär durch rasche Privatisierung
•
Preisstabilisierung, hauptsächlich durch die Einführung der Währungsaufsicht
•
Wiederaufbau der Infrastruktur und der sozialen Einrichtungen
•
Finanzhilfe und Unterstützung
Nach rund vier Jahren herrscht Konsens darüber, dass eine relativ hohe Preisstabilität erzielt
werden konnte und dass der Wiederaufbau gut vorangeschritten ist. Aber der Wechsel der
3
4
Vgl. Vladimir Gligorov, Final Report of the Task Force on Economic Strategy for South Eastern Europe,
New York 2000.
Vgl. Vladimir Gligorov, Bosnia and Herzegovina: Reconstruction without Development, Journal für
Südosteuropa I/2000.
Institutionen zeigt wenig oder keine Fortschritte, und die finanzielle Hilfe und Unterstützung
hat zu einer Wirtschaft geführt, die von Hilfe abhängig ist. In der Folge entstand auch eine
von Hilfe abhängige Gesellschaft.
Diese Wirtschaftsstrategie sollte politische Stabilität fördern. Es wurde argumentiert, dass
die wenig zufriedenstellenden wirtschaftlichen Ergebnisse im Zusammenhang mit ihrem
Beitrag zur politischen Stabilität des Landes, d. h. auch mit ihrem Beitrag zur Stabilität im
Bereich der Sicherheit gesehen werden müssen. Aber auch die aktuellen politischen und
sicherheitspolitischen Ergebnisse sind alles andere als überzeugend. Fast alle internationalen
Beobachter haben festgestellt, dass die politische Stabilität ohne militärische und politische
Präsenz aus dem Ausland nicht sichergestellt werden konnte. Man ist sich auch einig, dass das
Gleichgewicht der Sicherheitsstrukturen in sehr kurzer Zeit zusammenbrechen könnte, wenn
die ausländische Anwesenheit beendet werden würde.
Man kann daher sagen, dass die in Bosnien-Herzegowina verfolgte Strategie darin
erfolgreich war, den Frieden oder den Waffenstillstand in diesem Land zu erhalten, aber sie
führte zu einer Wirtschaft, die von Hilfeleistungen abhängig ist, und zu einem Land, das sich
nicht selbst verwaltet, weder in politischer noch in sicherheitspolitischer Hinsicht.
Was war der Beitrag des regionalen Zuganges der EU zu den Entwicklungen in BosnienHerzegowina? Zu Beginn hoffte man, dass die innerregionale Normalisierung den Prozess der
innerbosnischen Integration fördern würde, was durch eine schrittweise Verbesserung der
Beziehungen zur EU unterstützt werden sollte. Tatsächlich wurden Ende 1995 die Sanktionen
gegen Jugoslawien aufgehoben und 1996 traten Handelserleichterungen für Exporte in die EU
in Kraft. Kroatien wurde in gewisse EU-Programme wie zum Beispiel PHARE
aufgenommen. Allerdings wurden einige Jahre später wieder Sanktionen gegen Jugoslawien
verhängt und die Beziehungen zu Kroatien verschlechterten sich. Auch die Beziehungen der
EU zu Bosnien-Herzegowina wurden nicht verbessert. Der regionale Zugang hat nur sehr
wenig zur wirtschaftlichen und politischen Stabilität von Bosnien-Herzegowinas beigetragen.
Und was war der Beitrag der IFIs zur wirtschaftlichen Stabilisierung von BosnienHerzegowina? Nach dem Abkommen von Dayton formulierte die Weltbank ein ehrgeiziges
Programm für den Wiederaufbau von Bosnien-Herzegowina. Es wurde mit
5,1 Milliarden US-Dollar unterstützt. Die Ziele waren Wiederaufbau, Umformung und
anhaltende Entwicklung. Wie schon festgestellt wurde, kann der Wiederaufbau im großen und
Ganzen als Erfolg gewertet werden. Aber die Umformung muss erst einsetzen, und der
Beginn einer anhaltenden Entwicklung wird nun ungefähr für das Jahr 2006 angestrebt.
Warum waren die Ergebnisse so mager? Die Gründe sind einfach:
Erstens beinhaltete das Dayton-Abkommen einen Verfassungsentwurf für Bosnien-Herzegowina, der die politischen Ziele der Konfliktparteien befriedigte, aber keine Unterstützung
für die wirtschaftliche Entwicklung bot. Das Ziel des Abkommens war mehr die Beendigung
des Krieges als die Institutionalisierung von wirtschaftsfördernden politischen und
institutionellen Rahmenbedingungen.
Zweitens schlug das von der Weltbank entworfene Programm einen Übergangsprozess vor,
der unter den vorhandenen politischen Vorgaben, wie sie im Kontext des Abkommens von
Dayton beschlossen wurden, unmöglich durchführbar war. Dieser Punkt wurde daher in der
aktuellen Wirtschaftspolitik der verschiedenen Behörden des Landes sehr oft übergangen.
Drittens wollte die EU die wirtschaftliche Belohung benützen, um politische Ziele zu
erreichen. Es stellte sich heraus, dass diese Strategie nicht wirkt. Die Ursache ist ziemlich
fundamental. Wie nicht nur in Bosnien-Herzegowina, sondern auch in Kroatien und
Jugoslawien zu erkennen ist, wirkt das wirtschaftliche Zuckerbrot dann, wenn die politischen
Schwerpunkte richtig gesetzt sind. Der wirtschaftliche Ansporn kann bei der sachgerechten
Entwicklung politischer Präferenzen behilflich sein, aber nur dann, wenn die Veränderungen
schon im Gange sind. Anderenfalls wird die wirtschaftliche Belohung nicht wirksam sein,
sondern eher kontraproduktiv, da sie zur Festigung der bestehenden politischen Einrichtungen
beiträgt. Letzteres passierte in Bosnien, wo die finanzielle Hilfe und die Verbesserung der
Wirtschaftslage die bestehende politische Struktur stärker stabilisierte, als es sonst der Fall
gewesen wäre.
Viertens konnte der regionale Zugang deshalb nicht funktionieren, weil die Belohnungen
nicht gerecht verteilt wurden. Es ist schwierig, die Länder einer Region zur Zusammenarbeit
aufzufordern, wenn sie unterschiedlich behandelt werden. Das war aber der Fall, denn nicht
nur die Staaten wurden unterschiedlich behandelt, sondern sogar die verschiedenen Einheiten
in Bosnien-Herzegowina. Diese Unterscheidung führte zu wirtschaftlichen und politischen
Verzerrungen, die schlussendlich den Zugang wirkungslos machten.
Fall II: Kosovo5
Der regionale Zugang sollte nachteilige Entwicklungen im Kosovo verhindern. Aber er tat
es nicht, weil die politischen Vorgaben sowohl in Serbien als auch unter der albanischen
Bevölkerung im Kosovo angesichts der politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die mit
dem regionalen Zugang verbunden waren, nicht realisiert werden konnten. Die parallelen
Initiativen mit einer ähnlichen Strategie, etwa die Initiative für wirtschaftliche
Zusammenarbeit in Südosteuropa (SECI – Southeast European Cooperative Initiative),
leisteten ebenfalls vernachlässigbare Beiträge zur wirtschaftlichen Stabilität der Region und
zur Verhinderung der Entwicklungen im Kosovo. Diese Strategien wurden auch nicht durch
das Verhalten gegenüber Jugoslawien gestärkt, das eher durch Ausschluss als durch
Integration gekennzeichnet war. Das bedeutete auch Ausschluss des Kosovo und daher
bestand nur eine geringe Möglichkeit, die Entwicklung dort zu beeinflussen, zumindest wenn
wirtschaftliche Anreize eingesetzt werden sollten, um politische und sicherheitspolitische
Ziele zu erreichen.
Nach dem Kosovo-Krieg war der Westen wieder mit der Aufgabe konfrontiert, wirtschaftliche Stabilität unter politisch ungünstigen Umständen zu erreichen. Es ist derzeit noch zu
früh um festzustellen, wie erfolgreich der Versuch war. Die Chancen stehen nicht besonders
gut. Anders als bei Bosnien-Herzegowina, wo der Übergangsprozess weit oben auf der Tagesordnung stand, sind die im Kosovo anstehenden Probleme viel grundlegender. Die höchste
Priorität liegt eigentlich beim Aufbau der Institutionen, sobald die Wiederaufbauhilfe und die
humanitäre Hilfe das Feld räumen. Aber der Aufbau der Institutionen wird eine schwierige
Aufgabe, denn es ist überhaupt nicht klar, was der Westen im Kosovo erreichen will.
Fall III: Jugoslawien6
Während Bosnien und das Kosovo Beispiele sind, wo das Zuckerbrot nicht wie vorgesehen
gewirkt hat, ist Jugoslawien ein Fall, wo sich die Peitsche als unwirksam erwiesen hat. Zwei
Arten von Sanktionen verhängte man gegen Jugoslawien mit dem Endziel, sein politisches
System und seine Politik radikal zu verändern. Zuerst war es das System der umfassenden
Sanktionen, das von der UNO verhängt wurde und das zwischen 1993 und 1995 in Kraft war.
Dann kamen jene Sanktionen, die als selektives System von den Vereinigten Staaten und der
5
6
Vgl. Vladimir Gligorov, The Issue of the Viability of Kosovo Economy. Präsentiert auf der Konferenz in Rom im
Dezember 1999. (http://www.unausa.org).
Vgl. Vladimir Gligorov, The Kosovo Crisis and the Balkans: Background, Consequences, Costs and Prospects. WIIW
Country Analysis and Country Profiles 13/1999.
EU zwischen 1995 und 2000 verhängt wurden. Generell geht die Entwicklung in Richtung
dieses Sanktionstyps und in Richtung höherer Selektivität von Sanktionen.
Eine selektive Anwendung von Sanktionen betraf Montenegro: Nachdem die Regierung in
Montenegro nicht mehr der Regierung in Belgrad folgte, waren gegen Serbien gerichtete
Sanktionen generell nicht gegen Montenegro anzuwenden. Anders als im Falle von Serbien
wurden daher Auslandsinvestitionen in Montenegro gefördert. Auch wurden die montenegrinischen Führer in den westlichen Hauptstädten begrüßt, und Montenegro wurde in Initiativen wie z. B. den Stabilitätspakt, von dem Serbien ausgeschlossen wurde, eingebunden.
Eine ähnliche Annäherung wurde gegenüber der serbischen Opposition und gegenüber den
lokalen Behörden in Serbien gewählt. Der Opposition und den Städten in Serbien wurde Hilfe
zuteil. Daneben wurde eine schwarze Liste erstellt, auf der jene Personen verzeichnet waren,
die nicht in die Vereinigten Staaten und die EU einreisen und dort keine Geschäfte abwickeln
durften.
Was sind die Folgen von selektiven Sanktionen? An sich sollten sie zu einer Unterscheidung
zwischen jenen, die von den Sanktionen betroffen sind und jenen, die ausgenommen sind,
führen. Diese unterschiedliche Behandlung soll zu erwünschten politischen Veränderungen
führen. Geschah dies im Falle Jugoslawiens? Ja, in allen wichtigen Fällen wurden die
verschiedenen politischen Interessen unterschiedlich beurteilt.
Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass diese Sanktionen das erwünschte Ziel auch
erreichten. Der Grund dafür ist, dass nicht die UNO diese Sanktionen verhängt hatten, wie es
zwischen 1993 und 1995 der Fall war, sondern die Vereinigten Staaten und die EU. Eine
Reihe anderer Staaten wendeten sie auch an, aber es blieb immer noch eine ziemlich große
Zahl an Staaten, mit denen die Regierung Geschäfte machen konnte. Daher förderten diese
Maßnahmen jenes wirtschaftliche Chaos, das sowohl von der serbischen Regierung als auch
von den anderen zu ihrem Vorteil ausgenutzt wurde.
Ein zusätzliches Problem der selektiven Sanktionen war ihre trennende Kraft. Sie stürzten
die verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Akteure in Konflikte. Es gab aber ganz
offensichtlich keine Instrumente, um die Entwicklung und das Ergebnis dieser Konflikte zu
beeinflussen. Es bestand daher immer das Risiko, dass die Situation entgleiten könnte. Das
war nicht nur in Serbien und Montenegro eine deutliche Gefahr. Serbien stand sogar knapp
vor einem Bürgerkrieg.
Differenziert beurteilt wäre es vielleicht besser gewesen, wenn überhaupt keine Sanktionen
verhängt worden wären. Wenn man die Entwicklung in Kroatien anschaut, so könnte man
argumentieren, dass die Vermeidung von Sanktionen für das Eintreten von politischen
Veränderungen förderlich war. Denn selektive Sanktionen führen eine politische Elite
zusammen, stärken ein Regime, auch wenn die Konflikte zwischen dem Regime und
verschiedenen Regionen und sozialen Strömungen zunehmen. Sanktionsgeber müssen mit
politischen Eliten differenziert umgehen, wenn sie einen friedvollen politischen Übergang
bewirken wollen.
Andere Fälle7
Wenn man die Strategien des Westens gegenüber den anderen Ländern auf dem westlichen
Balkan bewertet, muss ihr Erfolg als gemischt beurteilt werden – bestenfalls. Es soll hier nicht
um eine detaillierte Diskussion gehen, sondern nur um einige grundsätzliche Anmerkungen.
7
Vgl. Vladimir Gligorov, Final Report of the Task Force on Economic Strategy for South Eastern Europe.
New York 2000.
Für Mazedonien, Kroatien und Albanien kann tatsächlich keine konsistente Strategie
ausgemacht werden. Die Aktionen der IFIs, der EU und der Vereinigten Staaten wurden nicht
aufeinander abgestimmt und haben sich grundsätzlich nicht gegenseitig unterstützt. So konnte
die EU für Mazedonien das lähmende Embargo nicht verhindern, das zum ungünstigsten
Moment für die Region und für das Land von Griechenland Anfang 1994 verhängt wurde.
Ungefähr zur selben Zeit führte Mazedonien ein Stabilisierungsprogramm als Teil eines
Übergangsprogramms durch, das vom IWF und von der Weltbank unterstützt wurde. Es ist
klar, dass das griechische Embargo in diesem Kontext nicht hilfreich war. Was hingegen
geholfen hat, war die Präsenz von UNO-Truppen unter amerikanischer Beteiligung. Versuche
zur Stabilisierung der Sicherheitslage wurden nicht durch Bemühungen zur Förderung der
politischen und wirtschaftlichen Stabilität unterstützt. Im Falle von Mazedonien wurde die
Intensität der Beziehungen zur EU ohne irgendwelche Erklärungen zurückgenommen.
Mazedonien wurde völlig anders behandelt als Slowenien, obwohl beide von der gleichen
Ausgangsposition als ehemalige Staaten Jugoslawiens starteten.
Albanien ist ein Beispiel für eine andere Form mangelnder strategischer Koordination. Dort
wurde ein Stabilisierungs- und Übergangsprogramm von den IFIs getragen – gleichzeitig mit
der Unterstützung der Vereinigten Staaten für eine zunehmend unbeliebtere Regierung. Die
EU ließ sich lange Zeit, bis sie Interesse an Albanien zeigte. Daher berührte der
Zusammenbruch der Institutionen dieses Landes nahezu niemanden. Als sich die Lage
stabilisiert hatte, schien sich diese Absenz von Strategie etabliert zu haben.
Der Fall Kroatien ist wesentlich komplexer. Nach dem Abkommen von Dayton verlor
Kroatien zunehmend jene Unterstützung, die es sowohl von den Vereinigten Staaten als auch
von der EU gehabt hatte. Es behielt jedoch die finanzielle und politische Unterstützung der
IFIs sowie jene der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Erst als
Kroatien sich entschied, seine Beziehungen zu den IFIs einzufrieren (1997), änderte sich die
Situation. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sich die politische und wirtschaftliche Situation so
weit verschlechtert, dass es zu einer Krise kam.
Der Stabilitätspakt8
Nach der Kosovo-Krise wurde eine ehrgeizige Initiative gestartet – der Stabilitätspakt (SP).
Die Ziele des SP sind Stabilität und Wohlstand. Das Instrument dafür sind Treffen an
mehreren runden Tischen und finanzielle Hilfe für Projekte mit regionaler Bedeutung und
Wirkung. Diese Treffen sollten die Vertreter der südosteuropäischen Länder in regionalen
Initiativen und Projekten zusammenführen. Die Stiftungskonferenz fand Ende März 2000 in
Brüssel statt und gewährte rund 2,4 Milliarden Euro für eine große Anzahl an Projekten. Der
Großteil des Geldes wurde Wirtschaftsprojekten im Bereich der Infrastruktur zugeteilt. Sie
werden „Schnellstart-Projekte“ genannt und sollten innerhalb von 12 bis 18 Monaten
begonnen oder beendet werden. Später sollen nochmals rund 2 Milliarden Euro für Projekte
gesammelt werden, die innerhalb von 24 Monaten begonnen oder beendet werden. Auch
Langzeitprojekte wurden ins Auge gefasst, aber es ist noch nicht klar, wann sie diskutiert,
angenommen und wie sie finanziert werden.
Was kann der SP bewirken? Die Initiative selbst hat große Erwartungen geweckt. Aber die
Umsetzung war bis zum heutigen Tage enttäuschend. Die Treffen haben nur wenige regionale
Initiativen hervorgebracht. Die Projekte, die in den kommenden 12 bis 18 Monaten finanziert
8
Vgl. Vladimir Gligorov, Stability Pact and Prospects for Balkan Reconstruction. Präsentiert am WIIWFrühlingsseminar am 31. 3. 2000.
werden müssen, werden helfen, aber sie werden die Situation in der Region nicht drastisch
verändern. Daher bleibt der SP mehr ein Versprechen als irgend etwas anderes.
Herausforderungen für die Politik9
Wenn sich die Situation auf dem westlichen Balkan ändern soll, so wird man die folgenden
Veränderungen in der Politik vorantreiben müssen:
Erstens muss es zu einer generellen intraregionalen Handelsliberalisierung kommen. Zur
Zeit werden die wirtschaftlichen Aktivitäten durch die Kleinräumigkeit des Marktes und
durch die hohen oder sehr hohen Abwicklungskosten, die Handel und Investment belasten,
spürbar beeinträchtigt. In Bosnien-Herzegowina und Jugoslawien ist nicht einmal der
Binnenhandel frei. Der Handel zwischen den Ländern unterliegt starken Schwankungen und
das dient nicht der Unterstützung kontinuierlicher wirtschaftlicher Aktivitäten. Diese
Schranken machen die ohnehin kleinen Märkte der Region noch kleiner. Damit der Handel
überhaupt eine Rolle bei der Entwicklung der Wirtschaft in der Region spielen kann, müssen
diese Schranken beseitigt werden.
Zweitens muss der interregionale Handel liberalisiert werden, besonders jener mit der EU.
Der wichtigste Handelspartner aller Länder in dieser Region ist die EU. Daher sind
Handelsbeziehungen mit der EU lebenswichtig. Die beste Lösung wäre eine einseitige
Aufhebung der EU-Handelsschranken für diese Länder. Unter der Annahme, dass freier
Handel den Wettbewerb anregt, wäre es auch wichtig, dass die Länder der Region keine
hohen Abgaben auf Importe aus der EU belassen. Die wahrscheinlich beste kurzfristige
politische Option wäre daher eine Zollunion mit der EU.
Drittens ist auch der Welthandel ein wichtiger Faktor. Daher sollten die Länder der Region
ihren Eintritt in die World Trade Organisation (WTO) beschleunigen.
Viertens helfen Investitionen bei der Bekämpfung des wichtigsten Wirtschaftsproblems, der
Arbeitslosigkeit. Sowohl heimische wie auch ausländische Investitionen müssen merklich
gesteigert werden. Das ist eine schwierige Aufgabe, weil Investitionen in dieser Region zur
Zeit mit einem hohen Risiko verbunden sind. Diese Risiken müssen auf die eine oder andere
Weise im Auge behalten werden. Der Schlüssel dafür liegt in der Entwicklung eines gesunden
Bankensystems. Es besteht ein Bedarf an gesunden Großbanken, die klarerweise vor allem
ausländische sein werden, zugleich aber auch an gesunden spezialisierten und lokalen
Banken. Die Ersteren würden das Risiko bei Bankeinlagen reduzieren. Die Letzteren würden
jene Lokalkenntnisse und jenes Wissen einbringen, die notwendig wären, um die Entwicklung
von kleinen und mittleren Betrieben zu finanzieren, die den Schlüssel für eine Verbesserung
am Arbeitsmarkt darstellen. Das gesamte Bankensystem muss durch verschiedene Formen
von Risikoversicherungen gestützt werden.
Fünftens ist die Auslandsverschuldung sehr hoch und sie steigt weiter an. Es ist in keinem
Falle zu erwarten, dass Jugoslawien selbst in der Lage sein wird, seine immensen
Auslandsschulden abzutragen. Aber auch die anderen Länder haben wachsende Probleme mit
ihren Auslandsschulden. Diese Schulden erhöhen das Risiko bei Investitionen. Daher wird in
vielen Fällen eine Strategie des Schuldenerlasses notwendig sein.
Sechstens wird man auf die Einhaltung der Gesetze verstärkt achten müssen. Dies ist ein
sehr großer Bereich, auf den hier nicht genauer eingegangen werden kann, aber es ist klar,
9
Vgl. Vladimir Gligorov, M. Kaldor, L. Tsoukalis, Balkan Reconstruction and European Integration. London 1999. Vgl.
auch Vladimir Gligorov, Final Report.
dass einige der wichtigsten Probleme in der Region ihren Ursprung in einer mangelnden
Einhaltung der Gesetze haben, ja in ausgesprochener Gesetzeslosigkeit.
Siebtens muss die Finanzpolitik entscheidend reformiert werden. Auch hier gibt es eine
ganze Reihe von Punkten, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Natürlich müssen in
vielen Fällen Ausgaben im Militär- und Sicherheitsbereich reduziert werden. Aber auch
andere Ausgaben müssen neu überdacht werden. Zugleich muss die Finanzbasis wesentlich
erweitert und die Steuerlast gesenkt werden.
Achtens darf die Finanzpolitik nicht mehr ausschließlich auf Preisstabilität ausgerichtet sein.
Sie muss auch die Kosten dieser Stabilität berücksichtigen. In vielen Fällen wurde die Preisstabilität auf Kosten sehr hoher Zinssätze erzielt, die nicht zu hohen Zuwachsraten, sondern
eher zu einer sinkenden Produktion in Korrelation stehen. Mit dieser Finanzpolitik kann man
nicht überleben. Sowohl die Wechselkursrate wie auch die Zinspolitik wird zu überdenken
sein, um eine Preisstabilität mit niedrigen Zinssätzen zu erreichen, die zu einem anhaltenden
Wachstum führen würde.
Wirtschaft und Sicherheit
Der Unterschied zwischen den „Herausforderungen der Politik“, also den Aufgaben, die zu
erfüllen gewesen wären, und jenen, die unter dem Titel des regionalen Zuganges der EU und
unter den Auspizien des SP verfolgt wurden, zeigt ganz klar, dass es Änderungen in der
internationalen Strategie geben muss, wenn die gesteckten Ziele noch wünschenswert sind.
Der Unterschied kann auf Grundlage jener These erklärt werden, die zu Beginn dieser Studie
formuliert wurde: Sicherheit war das wichtigste Thema für den Westen, und daran orientierte
sich das internationale Engagement. In der Folge ersannen und exekutierten EU und IFIs, die
über keine starken Instrumente der Sicherheitspolitik verfügen, wirtschaftliche Strategien,
aber man konnte nicht erwarten, dass diese zu einer anhaltenden wirtschaftlichen Stabilität in
der Region und in den einzelnen Ländern dieser Region führen würden. Die erzielten
Ergebnisse können wie folgt charakterisiert werden:
Erstens wurden Sicherheitsrisiken eingedämmt, obwohl die auf dem westlichen Balkan
entwickelte Sicherheitsstruktur weit davon entfernt ist, zu einer langfristigen politischen
Stabilität zu führen. Noch immer sind große Teile des Territoriums auf dem westlichen
Balkan umstritten, es gibt eine Reihe von Protektoraten oder verdeckten Protektoraten, die
Gesetze werden nicht eingehalten, und es gibt Regionen, in denen Gesetzlosigkeit herrscht.
Tatsächlich ist nicht klar, ob es eine Vision hinsichtlich des endgültigen Status für den
westlichen Balkan gibt.
Zweitens sind die Volkswirtschaften auf dem westlichen Balkan entweder nicht lebensfähig,
oder sie kämpfen hart ums Überleben. Es gibt keinen Zweifel, dass der aktuelle Zugang nicht
haltbar ist. Wiederaufbau, humanitäre Hilfe und Stützung der Einkommen können nicht mehr
viel länger andauern. Diese Maßnahmen können sich als destabilisierend erweisen, da sie eine
Wirtschaft mit signifikanten Ungleichgewichten zurücklassen, die in große Schwierigkeiten
gerät, wenn die Hilfsmaßnahmen verringert werden oder auslaufen.
Drittens hat die Aussicht auf eine Integration in die EU immer weniger Anziehungskraft,
besonders wenn es sich nicht um ein Versprechen, sondern um eine Perspektive handelt, da
die Länder immer schlechter entwickelt sind – sowohl hinsichtlich des BIP als auch in der
Ausstattung ihrer Institutionen. Der Grund liegt darin, dass der Zeitpunkt für die EUIntegration immer weiter in die Zukunft verlegt wird und daher in der Innenpolitik der Region
und der einzelnen Länder eine geringere Rolle spielt.
Viertens macht eine Verknüpfung von intraregionaler und interregionaler Integration nur
dann einen Sinn, wenn die Ausgangsposition aller Länder die gleiche ist. Andernfalls ist der
regionalbezogene Zugang nicht wirksam. Es bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder werden
alle Länder gleich behandelt oder von Fall zu Fall beurteilt. Im ersteren Fall würde jedes Land
den gleichen Anreiz zur Zusammenarbeit haben, während beim letzteren Modell ein klares
Wettbewerbssystem vorliegen würde. Der regionale Zugang kombiniert den regionalen mit
dem bilateralen Zugang, und das Ergebnis sind Verwirrungen, die eher hinderlich sind als
dass sie zu einer intraregionalen und interregionalen Integration führen.
Fünftens sollte der Schlüssel zu einer internationalen Strategie hinsichtlich einer
wirtschaftlichen Stabilität in der Region Entwicklung heißen. Im Speziellen sollte es ein
Bündel von Maßnahmen sein, ausgerichtet auf Arbeitslosigkeit und die Gesamtsituation auf
dem Arbeitsmarkt. Das heißt, es müsste viel mehr Investitionen geben als jetzt. Die
Transformation sollte viel stärker im Zusammenhang mit einem Entwicklungsprozess
gesehen werden.
Die hier geforderte Änderung der internationalen Strategie wird kaum möglich werden,
bevor nicht die Frage nach der Zugehörigkeit umstrittener Territorien in der Region
beantwortet ist. Wenn man die fehlende Übereinstimmung der internationalen Gemeinschaft
in dieser wichtigen Frage betrachtet, so kann man nur schwer eine tiefgreifende
Strategieänderung bezüglich des westlichen Balkans erwarten. Der regionale Zugang, der sich
eher als verzögernd erwiesen hat, kann vernachlässigt werden, und ein Bündel von mutigen
Maßnahmen sollte ergriffen und durchgeführt werden, wie sie unter dem Kapitel
„Herausforderungen
der
Politik“
vorgeschlagen
wurden.
Handel
und
Investitionsmöglichkeiten sind entscheidend. Wenn einmal das Wachstum in die Region
zurückkehrt, wird sich die Situation ändern.
EU-Stabilisations- und Assoziationsabkommen sollten mit allen Ländern in der Region
unterzeichnet werden. Das würde die Region auf den Weg in die EU schleusen. Der
Sicherheitspakt könnte das wichtigste Vehikel bei der Einführung einer neuen Strategie
werden, die auf Beschäftigung und Integration abzielt. Dieses Maßnahmenbündel könnte
Entwicklung und Wachstum mit sich bringen und daher zur wirtschaftlichen Stabilisierung
und zum Gewinn von Sicherheit beitragen. Auch kann die EU bei der Formulierung und
Durchführung der neuen Strategie führend sein.
Zusammenfassung
Die Aussichten für den westlichen Balkan sind nicht allzu vielversprechend. Die Probleme
sind entmutigend, die innenpolitische Lage ist instabil und das internationale Engagement ist
hauptsächlich von Sicherheitsfragen geprägt und nicht von wirtschaftlichen Überlegungen. In
einem großen Teil des Gebietes sind die politischen Umstände für eine gesunde Wirtschaftspolitik nicht sehr förderlich und in einigen Fällen ist die erreichte Stabilität gefährdet. Es ist
nicht schwierig zu sagen, was gemacht werden sollte, aber es ist schwer, es umzusetzen –
zumindest auf kurze Sicht.
Anhang: zusätzliche Tabellen
Tabelle 6: Westlicher Balkan: Basisdaten 1998
Bevölkerung
BIP
BIP pro Kopf
Millionen
Milliarden US-Dollar
US-Dollar
Kroatien
4,6
21,3
4520
Bosnien-Herzegowina
4,2
4
920
Jugoslawien
10,6
17,4
Mazedonien
2
3,5
1750
3,4
3,1
810
Albanien
Quelle: WIIW, Weltbank
Tabelle 7: Westlicher Balkan: Wirtschaftsdaten
Kroatien
Bosnien-Herzegowina
1990-1998
durchschnittliches
Wachstum in Prozent
-2,4
1989=100
1998
78
29,9 (1996)
Jugoslawien
-7,1
52
Mazedonien
-1,2
72
Albanien
-0,8
86
Quelle: WIIW, Weltbank
Tabelle 8: Westlicher Balkan: Beitrag zum Bruttoinlandprodukt
Industrie in Prozent
Landwirtschaft in Prozent
Kroatien
25
9
Bosnien-Herzegowina
25
25
Jugoslawien
34
20
Mazedonien
20
12
Albanien
10
60
Quelle: WIIW, Weltbank
Dr. Vladimir Gligorov
Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Wien
Übersetzung aus dem Englischen: Edda Engelke
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