Bühne Peter Loidolt Archiv Michae l Haide r Foto linke Seite: Bühnenentwurf von Peter Loidolt zu „Die Katze auf dem heißen Blechdach“: Herrenhaus der Plantage in Louisiana mit Stereoanlage aus den Fünfzigerjahren, einer typischen H ­ ousebar, Football-Plakaten, Deckenventilator, das Schlafzimmer inspiriert vom Hemingway House in Key West. Heiß wie am Mississippi und am Wiener Ring gration, wusste sich schon vor der Premiere vom Publikum bedankt, als er in einem Interview sagte: „Sie wollen ­e inen starken Tobak haben. Schluss mit Anouilh und den zarten Sachen. Sie wollen aufgerüttelt sein.“ Der gebürtige Wiener Mittler sollte recht behalten: 54 Vorhänge. Solche theaternahen Makler wurden weniger. In Die Festspiele Reichenau zeigen „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams und „Doderers Dämonen“ von Nicolaus Hagg nach dem Roman von Heimito von Doderer. der Highbrow-Dramatik überflügelten längst die von der hochprofessionellen Schauspielerzunft getragenen Engländer die in Collegelabors groß gewordenen Transatlantiker. Wen kennt man noch aus den USA? Sam Shepard, Tony Kushner. Omnipräsent ist hingegen die Prosa auf den Listen der ewigen Nobelpreiskandidaten – voran Nabokov, Pynchon, Heimito von Doderer: „Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff“, ­Erstausgabe im Biederstein Verlag München 1956. Widmungsexemplar für die Schrift­ stellerin Dorothea Zeemann (1909–1993), in den Jahren der Fertigstellung des Romans ­Doderers Lebensbegleiterin und Lustobjekt. Sie war 1970 – 1972 Generalsekretärin des Österreichischen PEN-Clubs und veröffentlichte 1982 ihre Erinnerungen unter dem Titel ­„Jungfrau und Reptil“ im Suhrkamp-Verlag. Philip Roth, William Vollmann, D. F. Wallace, Jonathan Franzen. Dramaturgisches Drahtseil. Während im Burgtheater Claus Peymann von 1986 bis 1999 keinen Ehrgeiz für eine „Österreichische Dramaturgie“ erkennen ließ – Hugo von Hofmannsthals und Leopold von Andrians Kulturprogramm für die VON HANS HAIDER 24 morgen 3/16 stellt: „Dichter, Flucht und Alma“. Man blieb dabei im Juste Milieu, wenngleich Annemarie Düringer als Alma Mahler mit Hermann Scheidleder als Franz Werfel nicht über die Rax, sondern in den Pyrenäen ins rettende Exil kraxelten. Bald folgten Stippvisiten in andere ferne sommerlich-temperierte Begegnungsund Verwicklungszonen: Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“, Turgenjews „Ein Monat auf dem Lande“, Gorkis „Sommergäste“. Sommerhitze drückt auch auf „Big Daddies“ Baumwollplantage an den Ufern des Mississippi. Noch tragen viele Theatergeher die Bilder von Paul Newmans Whisky-Orgien und Elizabeth Taylors Verzweiflungsausbrüchen aus dem Film im Kopf. Dass die „Maggie“ von der späteren Josefstädterin Marion Degler ­ deutsch synchronisiert wurde, ist ver- gessen. Auch weitere Luftwurzeln verbinden Tennessee Williams (1911 – 1983) mit der Alten Welt – hing er doch an der Nabelschnur des europäischen Theaters, und blieb ihm Europa treu. In seinen Lehrjahren an Erwin Pis­ca­ tors „Dramatic Workshop“ in New York sog er die von jüdischen Flüchtlingen mitgebrachte Moderne begierig auf. Zwei jüdische Heimkehrer aus dem New Yorker Exil vermittelten „Cat on a Hot Tin Roof“ in den deutschen Sprachraum: der Deutsche Hans Sahl und der Österreicher Berthold Viertel. Schon acht Monate nach der Uraufführung 1955 kam das Südstaaten-Familienpasticcio in deren Übertragung im Düsseldorfer Schauspielhaus heraus. Ida Krottendorf, später am Burgtheater, gab die Maggie. Der Regisseur Leo Mittler, auch er zurück aus der amerikanischen Emi- Th al hof / OTS / C hr istian Mair Reichenau Im Programm der Festspiele Reichenau für 2016 überrascht der Name Tennessee Williams inmitten des gewohnten Menüs österreichischer Klassiker – diesmal Nestroys „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ und Schnitzlers „Liebelei“ sowie Dramatisierungen von Romanen Stefan Zweigs („Brennendes Geheimnis“) und Heimito von Doderers („Die Dämonen“). Zwar ist seit dem Gründungsjahr 1988 nichts so gefragt wie der österreichische Tonfall in der Wiener Dramatik aus Vormärz und Fin-deSiècle. Doch mit dem von Elia Kazan 1958 verfilmten Tennessee-WilliamsEvergreen „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ probiert das erfolgreiche Impresario-Paar Peter und Renate Loidolt nicht zum ersten Mal Neues aus. Für 1994 wurde beim Kärntner Alexander Widner sogar ein neues Stück be- morgen 3/1625 Fotos: Dimo Dimo v Bühne Joseph Lorenz und David Oberkogler sind in der Bühnenfassung von Doderers Dämonen zu sehen. Stefanie Dvorak begibt sich frei nach Tennessee Williams als Katze auf das heiße Blechdach. Beides zu sehen in diesem Sommer im Theater Reichenau. wackelige Erste Republik – fand sie in Reichenau ein Exil. In einer passenden Kulisse! Reichenaus Kurtheatersaal ist ein Denkmal des „Heimatstils“, in welchem das mariatheresianische Rokoko weiterleben sollte wie im „Rosenkavalier“. Für „Cat on a Hot Tin Roof“ musste Peter Loidolt ein Gegenbild dekorieren. Kreißt der Ventilator, wird feuchtheiße Atmosphäre geboren. Drahtseil. Im vielfach gewundenen und gebrochenen Erzählfluss, mit gezählten 147 Einzelpersonen und großen Massenszenen, geht der Justizpalast in der Arbeiterrevolte von 1927 in Flammen auf. Gewunden, gebrochen auch die Lebenslinie des Dichters: Der Kleinaristokrat trat 1933 der in Österreich illegalen ­NSDAP bei; er ging auf Distanz, als ihm zu viel Pöbel die Sonne unterm Hakenkreuz trübte, und brach mit den Nazis 1940, als er katholisch wurde. In der Prein unweit von Reichenau hatte Doderer im Riegelhof (er steht derzeit zum Verkauf) sein familiäres Sommerquartier. 1966 ist er in Wien gestorben. Vorbilder für Figuren in der „Strudlhofstiege“ und in den „Dämonen“ trafen sich noch viele Jahre am Stammtisch im „Blauensteiner“ am Beginn der Josefstädter Straße. Darunter die treudeutsche Schwester Astri sowie die sozialdemokratische Schriftstellerin und Journalistin Dorothea Zeemann, in Meister Doderers SM-Spielen eine freudvoll gedemütigte Partnerin. Der Dichter war nach Erscheinen der „Dämonen“ für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, doch eine anonyme Anzeige aus Wien deckte in Stockholm seine Parteivergangenheit auf. „Katholisch und nationalsozialistisch“: Dieser Pau- Dramaturgischer Drahtseilakt. Zu neuen Räumen war Loidolt mehrmals unterwegs. Das Südbahnhotel am Semmering küsste er zur Jahrtausendwende mit den „Letzten Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus bis zur Dachterrasse wach. Seit sieben Jahren vermodert der Bettenpalast wieder, weil zusätzliche Sicherheitsauflagen das Theaterspielen ­ unmöglich machten. Seit 2005 erlaubt der von Franz Fehringer und Eduard Neversal geplante Reichenauer „Neue ­ Spielraum“ ein rundum einsehbares – darum Darsteller und Regie besonders forderndes – Mimenspiel. Dort balancieren heuer in der Bühnenfassung des Doderer-Buchs „Die Dämonen“ (1956) Joseph Lorenz in der Rolle des Chronisten „Sektionsrat Geyrenhoff“ sowie ein großes Ensemble für viele Episodenrollen auf einem dramaturgischen 26 morgen 3/16 schalschimpf auf alle Österreicher dröhnt in Thomas Bernhards Übertreibungskunstrepertoire in Richtung Doderer konkret. Im Ringen um Weltgeltung blieb keiner der beiden fair. Doch waren es jüdische Emigranten, die Doderer in London und New York als Kritiker Rosen streuten: Heinz Politzer (er nannte den Schriftsteller einen „Sprechsteller“), Hilde Spiel, Frederic Morton. Das begeisternde Vorwort für die zweibändige amerikanische Ausgabe im Verlag Knopf verfasste Thornton Wilder. Der Schutzbundkommandant Julius Deutsch bescheinigte Doderer, dass er den Aufstand vom 15. Juli 1927 absolut richtig beschrieben habe. Doderers ExSekretär und kritischer Biograf Wolfgang Fleischer (1943–2014) meinte, ­Doderer, ein Absolvent des renommierten Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung, habe weder Rot noch Schwarz wehtun wollen. n Alles Reichenau Im Großen Saal und im Neuen Spielraum des Theaters Reichenau stehen zwischen 1. Juli und 4. August nicht weniger als 118 Theatervorstellungen und vier Konzerte auf dem Programm. Alle Infos und die Möglichkeit zu Kartenbestellungen finden Sie auf www.festspiele-reichenau.com