Überblick über die (neuen) vergaberechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte Dresden, 13. April 2017 Dr. Eva-Dorothee Leinemann Fachanwältin für Vergaberecht Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 97 GWB - Grundsätze der Vergabe (3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 2 Eignungskriterien Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 3 Eignung der Bieter Eignungskriterien müssen auftrags- unternehmensbezogen sein soziale, ökologische und ökonomischen Kriterien sind i.d.R. nicht an das Unternehmen selbst, sondern an die konkret zu beschaffende Leistung geknüpft daher wird eine Prüfung der Einhaltung als Eignungsanforderung i.d.R. nicht möglich sein Ausnahme: Umweltbetriebsprüfung EMAS der EU gem. § 49 Abs. 2 Nr. 1 VgV aber Ausschluss wegen früheren Verstößen möglich Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 4 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB in der Folge wird auch nur ein fakultativer Ausschlussgrund („Können“) in § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB vorgegeben: „dass öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen können, wenn das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat.“ Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 5 Ausführungsanforderungen Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 6 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 128 Abs. 1, 2 GWB - Auftragsausführung - Unternehmen haben bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten (z.B. Steuern, Arbeitsschutz, Mindestarbeitsbedingungen einschließlich Mindestentgelt ) - Öffentliche Auftraggeber können darüber hinaus besondere Ausführungsbedingungen festlegen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen (insbesondere wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange). Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 7 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 129 GWB - Auftragsausführung Ausführungsbedingungen, die der öffentliche Auftraggeber dem beauftragten Unternehmen verbindlich vorzugeben hat, dürfen nur aufgrund eines Bundes- oder Landesgesetzes festgelegt werden. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 8 Leistungsanforderungen Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 9 Bestimmungsfreiheit des Beschaffungsgegenstandes liegt beim Auftraggeber 1. Bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen ist der öffentliche Auftraggeber im rechtlichen Ansatz ungebunden. Die Wahl unterliegt der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. 2. Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive, auftragsbezogene und tatsächlich vorhandene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.05.2013, Verg 16/12 Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 10 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 31 Abs. 3 VgV Vorgaben bzgl. der Leistungsanforderungen unterliegen dem Leistungsbestimmungsrecht des AG „(3)Die Merkmale können auch Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Sie können sich auch auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstands einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen, auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind, sofern diese Merkmale in Verbindung mit dem Auftragsgegenstand stehen und zu dessen Wert und Beschaffungszielen verhältnismäßig sind.“ Auftraggeber kann (im Vorfeld) Nachweise verlangen. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 11 Nachweisführung der Erfüllung der gestellten Anforderungen durch Gütezeichen (§ 34 VgV) • Alle (!) Kriterien des Gütezeichens stehen mit Auftragsgegenstand in Verbindung • Anforderungen objektiv nachprüfbar und nicht diskriminierend • im Rahmen eines offenen und transparenten Verfahrens eingeführt, an dem alle relevanten Kreise teilnehmen können • Gütezeichen sind für alle Betroffenen zugänglich • Anforderungen werden von einem Dritten festgelegt, auf den der Wirtschaftsteilnehmer, der das Gütezeichen beantragt, keinen maßgeblichen Einfluss ausüben kann Wichtig: Der öffentliche Auftraggeber muss auch andere Gütezeichen akzeptieren, wenn sie gleichwertige Anforderungen an die Leistung stellen. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 12 Fall - Pflasterarbeiten: Neubau historischer Marktplatz Im Rahmen einer Neugestaltung des historischen Marktplatzes soll das vorhandene Pflaster durch Natursteinpflaster ersetzt werden. Natursteinpflaster ist den Produktbereichen zuordnen, bei deren Fertigung in Asien Kinderarbeit angetroffen werden kann. Deshalb soll ausdrücklich im Leistungsverzeichnis unter Bezugnahme auf die betroffenen Positionen die Fertigung der Natursteinpflaster unter Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gefordert werden. Hierfür wird zur Nachweisführung das Siegel von den Bewerbern/ Bietern verlangt. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 13 Gütezeichen - Problemstellung „Bei Zertifizierungssystemen bzw. Gütesiegeln wie z. B. Xertifix handelt es sich um privat getragene Initiativen, auf die sich Unternehmen freiwillig festlegen. Es handelt sich hierbei um marktbasierte Regulierungsinstrumente, die von Marktgesetzen wie Angebot und Nachfrage abhängig sind.“ BTDrucks 16/12988 S. 5 f. „Derzeit können sich die Steinmetzbetriebe nur auf Eigenerklärungen von Herstellern und Lieferanten stützen, die jedoch keinerlei Sicherheit hinsichtlich des Merkmals „frei von Kinderarbeit“ garantieren können. Verlässliche Zertifizierungssysteme und Gütesiegel unabhängiger Organisationen sind bisher nicht bekannt...“ BVerwG, Urt. v. 16.10.2013, 8 CN 1.12 Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 14 Gütezeichen - Problemstellung „Eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung, welche Zertifikate über Grabsteine, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, als vertrauenswürdig gelten können, ist weiterhin nicht festzustellen...“ VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29.04.2014, 1 S 1458/12 Die Berücksichtigung ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte im Vergabeverfahren stößt hier an ihre Grenze. Lösung europaweit und allgemein anerkannte Gütezeichen (Labels) schaffen, um die Überprüfung derartiger Aspekte zu ermöglichen, in Vorschriften bzw. Anhänge mit aufnehmen Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 15 Auswirkungen auf die Vergabepraxis Eigenerklärung des Bieter mit Ankreuzmöglichkeit Nachweis durch anzugebendes Siegel/Zertifikat Zusicherung über Vergewisserung, dass die Produkte ohne Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind oder „Ich/Wir erkläre/n, für mein/unser Unternehmen unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entsprechend § 347 HGB wirksame Maßnahmen ergriffen zu haben, um die Verwendung von Produkten zu vermeiden, die unter Missachtung der ILO- Kernarbeitsnormen gewonnen oder hergestellt worden sind.“ Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 16 Auswirkungen auf die Vergabepraxis Bietersicht ILO-Kernarbeitsnormen Definitionen der Formen der Kinderarbeit nicht eindeutig (schlimmsten bzw. allen anderen mehr oder weniger schlimmen Formen) jedoch erheblich für die Entscheidung, ob vergaberechtliches Verwendungsverbot entscheidende Staaten haben die ILO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert (z.B. Indien relevant für die Pflasterstein- bzw. Grabsteinproblematik) folglich keine Umsetzung in indisches Recht Wie soll die VSt bzw. der Handwerksmeister nun feststellen, ob die Grenze von weniger schlimmen Formen der Kinderarbeit im indischen Steinbruch überschritten wurde? Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 17 Unterschwellenvergabe, VK Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 29.11.2016, 3 VK LSA 45/16 1. Aufträge über Lieferleistungen dürfen nur an Bieter vergeben werden, die sich bei Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, die Leistungsbeschreibung ausschließlich mit Waren durchzuführen, die nachweislich unter Beachtung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen und hergestellt worden sind. Enthält die vom Bieter entsprechend verlangte Erklärung ein Ankreuzfeld, ist unerheblich, ob es für den Bieter ersichtlich gewesen ist, dass dieses Kreuz versehentlich nicht gesetzt wurde. 2. Fehlt eine inhaltlich mit dem Angebot verbundene Erklärung über die Herkunft der im Angebot kalkulierten Produkte, darf diese als Vertragsbestandteil nicht nachgefordert werden, weil dies eine unzulässige Nachbesserung des Angebots darstellen würde. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 18 Angemessenheit der Preise Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 19 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 60 Abs. 2 VgV – ungewöhnlich niedrige Angebote (1) Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung. (2) Der öffentliche Auftraggeber prüft die Zusammensetzung des Angebots und berücksichtigt die übermittelten Unterlagen. Die Prüfung kann insbesondere betreffen: … 4. die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Absatz 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften, oder … Ausschluss bei Missverhältnis zwischen Preis und Leistung möglich Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 20 Zuschlagskriterien Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 21 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 127 GWB (1) Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Grundlage dafür ist eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-LeistungsVerhältnis. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. (3) Die Zuschlagskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Diese Verbindung ist auch dann anzunehmen, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 22 Nachhaltige Aspekte im neuen Vergaberecht § 127 Abs. 4 GWB Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 23 Hinweis auf mögliches Umsetzungsdefizit Art. 67 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU Die Zuschlagskriterien dürfen nicht zur Folge haben, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird. Sie müssen die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und mit Spezifikationen einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, wie gut die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Im Zweifelsfall nehmen die öffentlichen Auftraggeber eine wirksame Überprüfung der Richtigkeit der von den Bietern beigebrachten Informationen und Nachweise vor. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 24 Nachweisführung § 58 Abs. 4 VgV (4) Für den Beleg, ob und inwieweit die angebotene Leistung den geforderten Zuschlagskriterien entspricht, gelten die §§ 33 und 34 entsprechend. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 25 Neuste Rechtsprechung zu Bewertungsmethode (Rechtslage vor dem 18.04.2017) Dem Bieter muss nicht im Vorhinein möglich sein, zu erkennen, welchen Erfüllungsgrad sein Angebot erreichen muss, um mit einer bestimmten Punktzahl bewertet zu werten. Ein reines Schulnotensystem ist dann nicht vergaberechtsgemäß, wenn für Bieter aus der funktionalen Leistungsbeschreibung, den Zuschlagskriterien einschl. ggf. notwendiger Unterkriterien und ihrer Gewichtung nicht zu erkennen ist, was der Auftraggeber von ihm erwartet. (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.03.2017, VII, Verg 39/16) D.h. sehr sozial (3 Punkte), ausreichend sozial (2 Punkte), wenig sozial (1 Punkt), nicht sozial (0 Punkte) funktioniert nicht! Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 26 Zusammenfassung - Ökonomische, ökologische und soziale Aspekte kann der Auftraggeber am effektivsten im Rahmen der Bestimmung des Beschaffungsgegenstandes (Leistungsanforderung) nach entsprechender Markterkundung berücksichtigen. - Als zusätzliche Ausführungsanforderung/Vertragsbedingung können Vorgaben auftragsbezogen gemacht werden. Ohne Überprüfungs- und Sanktionierungsmöglichkeit ist jedoch die Zielerreichung zweifelhaft. - Im Rahmen der Eignungsanforderungen ist die Berücksichtigung unzulässig. - Im Rahmen der Zuschlagskriterien ist die Berücksichtigung nur möglich, wenn die Erfüllung nicht zwingend und der vom Bieter angegebene Erfüllungsgrad durch den AG effektiv überprüfbar ist. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 27 Woran man bei den Nachhaltigkeitskriterien auch noch denken sollte Durch derartige Kriterien wird der Kreis der leistungsfähigen Bieter und damit der Wettbewerb erheblich einschränkt. • Folge höhere Preise und schlechtere Qualität Die Transparenz bei öffentlichen Vergaben wird verringert. • Folge Reduzierung der Anzahl der Wettbewerber gibt Raum für versteckte Begünstigung bestimmter Anbieter und Korruption, Rechtsunsicherheit Kleinere und mittlere Anbieter aber auch kleine Vergabestellen werden überfordert. • Folge Erhöhung des administrativen Aufwands und damit Erschwerung der Teilnahme an öffentlichen Auftragen für KMU Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 28 Weiterführende Literatur Prof. Dr. Jan Ziekow Rechtswissenschaftliches Gutachten zur rechtlichen Bewertung der Einbeziehung von ILO-Kernarbeitsnormen in das Vergabeverfahren, 5. Aufl., Stand 27.05.2016. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 29 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. Eva-D. Leinemann April 2017 Seite 30