Merkwürdige Widersprüche

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PANORAMA
Präimplantationsdiagnostik
Merkwürdige Widersprüche
Gentests an Embryonen außerhalb des Mutterleibs sind in Deutschland erst seit Juli 2011 gesetzlich geregelt. Von Großbritannien, wo es schon seit zwanzig Jahren klare Vorschriften und eine
gut funktionierende Aufsichtsbehörde gibt, können wir noch einiges lernen.
Die bioethischen Rahmenbedingungen
litik auf, grundsätzlich zu entscheiden, ob
Indikation erlaubt, während die Vermei-
für die Präimplantationsdiagnostik (PID)
Gentests vor der Implantation nun erlaubt
dung einer Schwangerschaft mittels PID
bei künstlicher Befruchtung sind in jedem
seien oder nicht. Dieser Aufforderung kam
mit Haftstrafen geahndet wird.
Land etwas anders, da Geschichte, vor-
der Bundestag am 7. Juli 2011 nach; mit
Bis auf Italien, Österreich und die
herrschende Weltanschauung und Wis-
326 zu 318 Stimmen denkbar knapp wurde
Schweiz, wo die PID generell verboten ist,
senschaftskultur auf höchst komplexe
ein überparteilicher Entwurf angenommen,
gelten in Europa ansonsten weniger strenge
Weise zusammenwirken. Ausgerechnet in
der Gentests außerhalb des Mutterleibs zu-
Regeln (siehe Kasten). Großbritannien ist
Deutschland, wo alles gesetzlich geregelt
lässt, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit
insofern ein interessanter Sonderfall, als
scheint, war die Rechtslage aber bis zum
für eine schwerwiegende Erbkrankheit
dort 1978 das erste Retortenbaby Louise
Sommer 2011 unklar. Ein Verbot ließ sich
oder eine Tot- bzw. Fehlgeburt besteht.
Brown und 1996 das Klonschaf Dolly zur
zwar aus verschiedenen Vorschriften des
Ausdrücklich ausgeschlossen wurden Tests
Welt kamen. Pionierleistungen wie diese
auf Anomalien,
führten zu einer frühzeitigen und besonders
überzählige oder
fortschrittsfreundlichen Regelung der Rea-
mosomen (Aneu-
nicht ausdrücklich auf die PID bezogen,
ploidie) oder die Auswahl von Embryonen
konnte man durchaus straffreie Spezialfäl-
nach nicht krankhaften Merkmalen. An-
le konstruieren, um den Eltern zu einem
ders als bei der Schwangerschaftsvorsor-
genetisch unbelasteten Kind zu verhelfen.
ge ist es in Deutschland also im Rahmen
Diesen Weg wählte auch der Berliner
der PID bei Strafe verboten, zum Beispiel
Gynäkologe Dr. med. Matthias Bloechle
eine Trisomie 21 (Mongolismus), den
ganz bewusst, um endlich Rechtssicher-
HLA-Status (Gewebeverträglichkeit für
heit zu gewinnen. Er führte genetische
Transplantationen) oder das Geschlecht
Tests an exakt fünf Tage alten Embryonen
des Embryos als Selektionskriterium zu
aus genau den Zellen durch, die später den
bestimmen. Obwohl dies im genetischen
Mutterkuchen bilden. Anschließend zeigte
Labor natürlich problemlos möglich ist,
er sich selbst an und bekam vom Bundes-
werden verbotene Gentests mit bis zu
gerichtshof am 10. Juli 2010 Recht: Die
einem Jahr Gefängnis bestraft.
Untersuchung der Plazenta-Vorläuferzellen
Mit dem Präimplantationsgesetz wur-
von Embryonen mit mehr als acht Zellen
de nun in das ESchG ein §3a eingefügt,
sei nach dem ESchG erlaubt, da sie nicht
der die merkwürdigen Widersprüche in
mehr totipotent sind und somit durch die
der rechtlichen Bewertung der PID im
Entnahme für Untersuchungszwecke kein
Vergleich zur PND (Pränataldiagnostik)
potenzielles Leben zerstört werde.
wenigstens teilweise auflöst. Weiterhin
Um Ärzten derartige Spitzfindigkeiten
aber ist die Abtreibung zum Beispiel eines
zu ersparen, forderte das Gericht die Po-
mongoloiden Kindes bei medizinischer
trilliumreport 2011 9(3):143
PID in Europa
rot = verboten
gelb = ungeregelt
grün = erlaubt
Geschlechtsauswahl
doch da sich diese
fehlende Chro-
Auswahl immunkompatibler Embryonen
von 1990 ableiten,
Bis zu einem Jahr Gefängnis
für unerlaubte Gentests.
Aneuploidie-Screening
gesetzes (ESchG)
Diagnose von
Erbkrankheiten
Embryonenschutz-
Österreich
Schweiz
Italien
Deutschland
Niederlande
Belgien
Großbritannien
Frankreich
Dänemark
Schweden
Spanien
Portugal
Die Gesetzeslage zur PID ist von Land zu Land
unterschiedlich. In Deutschland gab es bisher
wie auch zum Beispiel in Irland keine klare Regelung. Seit Juli 2011 besteht eine begrenzte
Zulassung „bei hoher Wahrscheinlichkeit für
eine schwerwiegende Erbkrankheit“.
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genzglasbefruchtung auf der Insel, die zu
Unstrittig ist in Großbritannien die Zu-
zur Welt; damit liegt die Erfolgsquote mit
studieren sich aus deutscher Sicht durchaus
stimmung der HFEA, wenn durch die PID
PID bei etwa 30 Prozent. In Ländern mit
lohnt.
sichergestellt werden kann, dass sich ein
PID-Verbot sind es 10 bis 15 Prozent.
Bereits 1990 verabschiedete das britische
Kind ohne Erbkrankheit entwickelt. Eine
Ganz allgemein ist die PID in Europa
Parlament ein Gesetz bezüglich der „Be-
Kampfzone war und ist hingegen die Er-
ein eher selten angewendetes Verfahren.
zeugung von
Selbst in Belgien mit seiner sehr freizü-
„rettenden
gigen Gesetzgebung werden jährlich nur
Geschwis-
ca. 350 Tests durchgeführt. Umgerechnet
tern“,
also
auf die Bevölkerungszahl liegt die Häufig-
(Human Fertilisation and Embryology
die Auswahl von Embryonen nach dem
keit in Großbritannien um den Faktor 10
Authority) gegründet. Ihre Hauptaufga-
Kriterium, einem existierenden kranken
niedriger. Für Deutschland rechnet die
be ist die Regulierung und Kontrolle der
Kind helfen zu wollen.
Nationale Akademie der Wissenschaften
fruchtung und Embryologie beim Menschen“, und
ein Jahr später wurde die
Vor einem „Dammbruch“
muss sich niemand fürchten.
Aufsichtsbehörde HFEA
IVF-Kliniken, daneben gilt sie aber auch
Wie das geht? Als Musterfall gilt die Fa-
als Schiedsgericht bei allen kniffligen Fra-
milie Hashmi, deren Sohn Zain unter einer
gen der Medizinethik. Dies erwies sich als
seltenen Blutkrankheit, der β-Thalassämie,
Glücksfall. Denn als Anfang des neuen
leidet. Stammzellen aus der Nabelschnur
Jahrhunderts die konfliktträchtige PID-
eines Neugeborenen mit genetisch nahezu
Diskussion weltweit hochkochte, hatte
identischen Gewebeeigenschaften waren
das Land bereits eine seit über zehn Jahren
die einzige Hoffnung der Familie. Doch
etablierte und in der Öffentlichkeit ange-
nach mehreren Versuchen hatten die Eltern
sehene Institution, die Gentests an künst-
zwar eine Menge Kinder mit unterschied-
lich befruchteten Eizellen in medizinisch
lichsten genetischen Eigenschaften, aber
begründeten Fällen genehmigen konnte.
keines mit passenden Stammzellen. Sie
stellten deshalb den Antrag, einen Embryo
mit dem geeigneten Gewebetyp ohne Thalassämie-Gen auswählen zu dürfen. Letzte-
In-vitro-Fertilisation (IVF)
res war das entscheidende Kriterium, das die
Etwa vier Millionen Babies wurden bereits im
Reagenzglas (lat. in vitro) gezeugt, in Deutschland ist es derzeit etwa jedes 80. Kind.
HFEA bewog, dem Antrag zuzustimmen,
künftig mit etwa 200 PID-Tests pro Jahr.
Satanische „Ferse“
Die Briten gelten als recht locker im Umgang mit
der Welt. Um Befindlichkeiten anderer mussten
sich die Insulaner aber auch wirklich weniger
Sorgen machen als wir Kontinentaleuropäer,
und das mag einer der Gründe sein, warum sie
„heiße Eisen“ in den Biowissenschaften wie zum
Beispiel geklonte Schafe oder Retortenbabies
bemerkenswert gelassen angingen.
Vermutlich dachte sich auch der britische Geburtshelfer Ian Donald nicht allzu viel dabei,
als er 1958 das erste Ultraschallbild eines Kindes im Mutterleib anfertigte. Zehn Jahre später
kämpfte der „Vater der Pränataldiagnostik“ vehement gegen den Abortion Act, der eine weite
sozialmedizinische Indikationenregelung für
da andernfalls ja auch die Gesundheit des
Lebensretters selbst auf dem Spiel stand.
Eine „Pro Life“ Gruppe klagte gegen
Vor einem „Dammbruch“ muss sich wohl
auch hierzulande niemand fürchten.
diesen Lebensrettungsversuch und stiftete
Bildquelle: Wikipedia
Beim klassischen Verfahren werden die nach
Hormonbehandlung der Frau in Vollnarkose
gewonnenen Eizellen mit aufbereitetem Sperma inkubiert. In mehr als der Hälfte der Fälle
kommt heute die im Bild gezeigte intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) zum
Einsatz. Dabei wird ein einzelnes Spermium
unter dem Mikroskop mit einem Mikromanipulator in die vorbereitete Eizelle injiziert.
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einige Verwirrung, da das Gericht in diesem
Dr. Michael Groß
Fall der HFEA die Entscheidungsbefugnis
Mitglied der Redaktion
absprach. In den folgenden Instanzen erhielt
die Familie Hashmi allerdings dennoch die
Erlaubnis, ein „immunkompatibles“ Geschwisterkind künstlich zu zeugen.
Allzu groß ist die Zahl der von der HFEA
zu bearbeitenden Anträge in Großbritannien allerdings ohnehin nicht; nach den
Das Gesetz zur Regelung
der Präimplantationsdiagnostik PräimpG ist nachzulesen unter: www.bundesrat.
de/cln_228/nn_2034972/
SharedDocs/Beratungsvorgaenge/2011/0401-500/0480-11.html
neuesten vorliegenden Statistiken nahmen
im Jahr 2008 insgesamt 182 Patientinnen
die PID in Anspruch, was gerade einmal
0,4 Prozent aller in-vitro-Fertilisationen
entspricht. 54 davon brachten 66 Kinder
trilliumreport 2011 9(3):144
Komplette HFEA Statistiken
1991-2006 unter: http://www.
hfea.gov.uk/docs/Latest_
long_term_data_analysis_
report_91-06.pdf
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