Vesikorenaler Reflux • Was versteht man unter einem vesikorenalen Reflux? • Wie häufig ist ein vesikorenaler Reflux? • Welche Symptome treten auf? • Welche Gefahr besteht, wenn der Reflux nicht erkannt und therapiert wird? • Wie wird ein Reflux erkannt? • Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen? • Welche Operationskomplikationen können auftreten? • Wie sieht die Nachbehandlung aus? Was versteht man unter einem vesikorenalen Reflux? Unter einem Reflux – oft auch als VRR oder VUR abgekürzt - versteht man einen Rückfluss von Harn in den Harnleiter (vesikoureteraler Reflux) oder in das Nierenbeckenkelchsystem (vesikorenaler Reflux) während der Blasenfüllung und/oder der Blasenentleerung. Der Reflux führt zu einer wesentlich höheren Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Harnwegsinfekten und im Zuge dieser zur Nierenmitbeteiligung und einer eventuellen Nierenschädigung. Der Reflux kann Aufgrund einer angeborenen Veränderung des Überganges zwischen Harnleiter und Blase bestehen, oder – man spricht dann von einem sekundären Reflux – entstehen wenn der Druck in der Blase aufgrund von Abflussbehinderungen in der Harnröhre (insb. bei Buben – sog. Harnröhrenklappen) höher wird. Normalerweise wird ein Harnrückfluss dadurch verhindert, dass der Harnleiter ein Stück weit innerhalb der Blasenwand, zwischen Muskulatur und Schleimhaut verläuft sowie durch eine Muskelmanschette, die die Harnleiteröffnung verschließt. Der Verlauf des Harnleiters unter der Schleimhaut sowie die Ummantelung der Harnleiteröffnung und die Verankerung dieses muskulären Gewebes mit der Gegenseite bildet einen Rückflussschutz aus: Harn kann damit ungehindert von der Niere zur Blase fließen, ein Rückfluss wird jedoch verhindert. Wie häufig ist ein vesikorenaler Reflux? - 1 % bei asymptomatischen Kindern 20 – 50 % bei Säuglingen und Kleinkindern nach einem fieberhaftem Harnwegsinfekt Im ersten Lebensjahr häufiger bei Buben, danach häufiger bei Mädchen 30 % der Geschwister von Kindern mit einem bekannten Reflux haben ebenfalls einen Reflux Welche Symptome treten auf? Wiederholte Harnwegsinfekte im Säuglings- und Kleinkindesalter sind das häufigste Symptom eines Refluxes. Wenn Bakterien durch die Harnröhre in die Blase aufsteigen (Blasenentzündung / Cystitis) können bei älteren Kindern typische Symptome auftreten wie Brennen beim Harnlassen, gehäufter Harndrang, etc. Auch ein erneutes Einnässen tags oder nachts, nachdem Ihr Kind schon trocken war, kann hinweisend sein. Bei kleinen Kindern ist Fieber oft das einzige Symptom, weswegen eine genaue Harnuntersuchung bei unklarer Fieberursache wesentlich ist. Auch Gedeihstörungen, stark veränderter Harngeruch oder Harnverfärbungen (milchig-trüb, rot) sollten an einen Harnwegsinfekt denken lassen, und es sollte eine Harnkontrolle veranlasst werden. Welche Gefahr besteht, wenn der Reflux nicht erkannt und therapiert wird? Als Folge wiederholter Harnwegsinfekte bei unbehandelter Refluxerkrankung kann es zur Ausbildung von Nierennarben und in Folge zu einem schrittweisen Funktionsverlust der Niere kommen. Bei sehr ausgeprägten Refluxen kann bereits vor der Geburt eine Funktionseinschränkung der Betroffenen Niere resultieren. Bei Kindern mit ausgedehnten Nierennarben ist das Risiko erhöht, später einen Bluthochdruck zu entwickeln. Wie wird ein Reflux erkannt? Zumeist erfolgt nach einem oder mehreren fieberhaften Harnwegsinfekten eine sogenannte Miktionszysturethrographie (MCUG, siehe unten) im Rahmen derer der Reflux festgestellt werden kann. Bei einem Teil der Kinder erfolgt die Diagnostik schon vor Auftreten von fieberhaften Infekten auf Grund von Auffälligkeiten im Ultraschall, familiärer Vorbelastung oder Begleiterkrankungen. Unsere Philosophie ist es, die Untersuchungen so „kindgerecht“ wie möglich zu gestalten: so wenige Untersuchungen wie unbedingt notwendig, geringst mögliche Invasivität und geringst mögliche Strahlenbelastung. Die Basisdiagnostik umfasst: • klinische Untersuchung • Harndiagnostik • Ultraschalluntersuchung der Nieren und der Blase inkl. Restharnbestimmung • Blasenfunktionsdiagnostik (Miktionsprotokoll) • Refluxtest: Miktionszysturethrogramm (MCUG) • Nierenfunktionstest: Isotopennephrographie (DMSA) Der eigentliche Refluxnachweis erfolgt mittels Miktionszysturethrogramm (MCUG). Dabei handelt es sich um eine Röntgenuntersuchung, bei der die Blase langsam mit einem Kontrastmittel gefüllt wird, bis Ihr Kind möglichst unter Untersuchungsbedingungen Harn lassen kann. Das Kontrastmittel wird über einen dünnen Katheter in die Blase gebracht, der Katheter selbst mit Hilfe eines örtlich betäubenden Gleitmittels über die Harnröhre eingeführt. Alternativ kann das Kontrastmittel - nach lokaler Betäubung der Haut mit einer Creme - über eine Blasenpunktion mit einer dünnen Kanüle in die Harnblase eingebracht werden. Wenn notwendig und/oder erwünscht, in Abhängigkeit vom Alter des Kindes erfolgt die Untersuchung in Absprache mit den Eltern in Sedierung (Schlafmittel, keine Narkose). Die Eltern sind bei der Untersuchung anwesend. Während der Füllung und während des Harnlassens erfolgen kurze Röntgenkontrollen, um einen Kontrastmittelrückfluss in den Harnleiter oder das Nierenbeckenkelchsystem nachweisen zu können. Neben Aussagen zu Größe, Form, Lage und Funktion der Harnblase erlaubt die Untersuchung eine Aussage über das Ausmaß des Refluxes (Refluxgrad I-V), die Seitenlokalisation und mögliche Begleitpathologien z.B. Harnröhrenengen etc. Reflux Grad I – V Um die Belastung Ihres Kindes durch Röntgenstrahlen möglichst zu minimieren, werden neben dem herkömmlichen MCU zum Refluxnachweis oder -ausschluss zunehmend auch andere Refluxtests durchgeführt. Insbesondere zur Verlaufskontrollen bieten wir die Durchführung eines strahlenfreien Sono-MCUG’s (nur mit Ultraschall) oder Isotopen-MCUG‘s an. Bei älteren Kindern erfolgt die komplette Diagnostik inkl. MCUG und Isotopenuntersuchung tagesstationär. Bei kleineren Kindern und Säuglingen wird nach individueller Abstimmung ein Aufenthalt mit einer Übernachtung eingeplant. Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen? Ziel der Therapie ist, die Nieren vor den Folgen der Refluxkrankheit zu bewahren. Eine eventuell bereits bestehende Nierenschädigung kann durch die Operation allerdings nicht behoben werden. Je nach Art und Schweregrad der Erkrankung stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. 1. Konservative Therapie: Besteht insbesondere bei kleinen Kindern mit gering ausgeprägtem Reflux die Aussicht, dass sich der mit steigendem Alter nicht mehr relevant für das Kind und auch nicht mehr nachweisbar wird (sog. Maturation). So kann unter vorbeugender Gabe von Antibiotika die weitere Entwicklung abgewartet werden. Während dieser Zeit ist es notwendig, niedrig dosiert – meist einmalig abends – ein Antibiotikum zu geben, um das Auftreten von Harnwegsinfekten zu verhindern. Wir empfehlen eine konservative Therapie über maximal ein Jahr und dies überwiegend im ersten Lebensjahr, da hier die Wahrscheinlichkeit einer Maturation am größten ist. 2. Endoskopische Unterspritzung der Harnleitermündungsstelle endoskopische Ostiumumterspritzung: Ähnlich wie bei einer Blasenspiegelung wird in Narkose ein Instrument unter Sicht durch die Harnröhre in die Harnblase eingebracht. Über das Instrument wird dann eine Substanz - z.B. Deflux® - direkt unter die Schleimhaut des Harnleiters und unter der Einmündungsstelle des Harnleiters in die Harnblase eingespritzt, die die Harnleitermündung anhebt und leicht einengt und dadurch den Reflux beseitigt. Die Risiken des Eingriffs sind gering. Je nach Refluxgrad und klinischem Verlauf kann es notwendig sein den Erfolg durch eine erneute Refluxprüfung nachzuweisen. Meist genügt jedoch eine klinische Visite in Kombination mit einem speziellen Ultraschall, dabei (sogenannter 4D Ultraschall) kann die injizierte Substanz im 3D Bild exakt lokalisiert werden, diese neue Untersuchungstechnik erspart den meisten Kindern eine erneute Katheteruntersuchung. Die Erfolgsrate ist von der Ausprägung des Refluxes abhängig. Sie liegt bei Grad I-III Refluxen bei über 90 %, bei Grad IV und V ist sie deutlich niedriger und erfordert evt. mehrere Operationen bzw. Narkosen. Deshalb werden höhergradige Refluxgrade (IV und V) je nach individueller Situation des Kindes primär offen chirurgisch im Sinne einer Harnleiterneuimplantation (siehe unten) behandelt. Bei bis zu 10% der zunächst erfolgreich behandelten Kinder muss mit einem späteren Wiederauftreten des Reflux gerechnet werden (durch Abbau oder „Wanderung“ des Depots in der Blase). Sollte ein Reflux weiter bestehen oder wieder auftreten, kann eine erneute Harnleiterunterspritzung erfolgen oder eine offene Operation zur Anwendung kommen. 3. Offen operative Antirefluxoperationen / Antirefluxplastik: Mehr langfristigen Erfolg versprechen die offen operativen Operationsverfahren mit einer Erfolgsrate von ca. 95%. Grundprinzip ist den Harnleiter in einen verlängerten Tunnel unter der Schleimhaut während seines Durchtritts durch die Blasenwand zu verlagern und die Harnleitermündung an die physiologische Position zu verlagern. Blase und Harnleiter werden durch einen Unterbauchschnitt freigelegt. Je nach Einoder Beidseitigkeit und Ausprägung des Refluxes gibt es verschieden Operationsmöglichkeiten (Antirefluxplastik in Lich Gregoir-Technik, in Mathisentechnik, in Cohen-Technik, in Leadbetter-Politano-Technik, in Psoas Hitch-Technik etc.). Welches Operationsverfahren für Ihr Kind am geeignetsten ist und welche Vor- und Nachteile die einzelnen Verfahren für Ihr Kind bieten, wird in einem persönlichen Gespräch erörtert. Prinzipiell unterscheidet man Operationsverfahren mit und ohne Eröffnung der Harnblase zur Verlagerung des/der Harnleiter. Verlagerung des/der Harnleiter ohne Eröffnung der Harnblase/ Antirefluxplastik nach Lich Gregoir: Die Blasenwand wird von außen neben der Einmündungsstelle des fehlgebildeten Harnleiters in die Harnblase über eine Strecke von etwa 3 cm bis zur Blasenschleimhaut eingeschnitten, der Harnleiter in diese Rinne verlagert und die Muskulatur darüber wieder verschlossen. Die Blasenschleimhaut selbst wird nicht eröffnet. Verlagerung des/der Harnleiter mit Eröffnung der Harnblase/ z.B. Antirefluxplastik nach Mathisen , Politano-Leadbetter, oder Cohen: Die Blase wird eröffnet. Der Harnleiter wird an seiner Einmündung in die Harnblase freigelegt und in einen neu geschaffenen Blasenschleimhauttunnel eingenäht. Insbesondere bei erweiterten Harnleitern (Megaureter) oder einer zusätzlich bestehenden Engen der Harnleitermündungen hat sich diese Methode bewährt. Die verschiedenen Operationstechniken unterscheiden sich in dem Verlauf des neu gebildeten Tunnels. Mit diesen Techniken können bei beidseitigem Reflux beide Seiten mit einer Operation problemlos korrigiert werden. Welche Operationskomplikationen können auftreten? Insgesamt sind Komplikationen selten. Schwerere Blutungen sind extrem selten, kleine Blutergüsse, Wundheilungsstörungen oder überschießende kosmetisch störende Narbenbildung sind selten, lassen sich jedoch nicht mit Sicherheit ausschließen. Insbesondere bei Operationsverfahren, bei denen die Blase eröffnet werden musste, wird der Harn für einige Tage blutig verfärbt sein. Dies ist jedoch zumeist harmlos. Durch Schwellung des Gewebes kann es zu einer Harnstauung kommen, die den Kindern meist keine Beschwerden bereitet und mit zunehmender Wundheilung rückläufig ist. Als Spätfolge können in sehr seltenen Fällen narbige Einengungen (Strikturen) des Harnleiters entstehen, die einen Folgeeingriff notwendig machen. Ein erneuter Harnrückfluss (Rezidiv-Reflux) von der Blase in den Harnleiter oder bis zur Niere lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen (etwa 5%). Eine erneute Operation kann dann erforderlich werden, insbesondere wenn erneut wiederkehrende Infektionen der Harnwege auftreten. Natürlich kann in diesem Rahmen nur ein Überblick über mögliche Risiken gegeben werden. Bitte fragen Sie im persönlichen Aufklärungsgespräch nach allem, was Sie wissen möchten. Wie sieht die Nachbehandlung aus? Auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus muss die vorbeugende Antibiotikagabe u.U. noch für einige Zeit fortgesetzt werden und Ihr Kind sollte sich nach einem offen operativen Eingriff noch für 2-4 Wochen körperlich schonen. Nach endoskopischer Ostiumunterspritzung ist natürlich keine besondere Schonung nötig. Anschließend erfolgen Harn- und Ultraschallkontrollen nach 3 Wochen und 3 Monaten und 1 Jahr. Nach offen operativen Eingriffen besteht aufgrund der hohen Erfolgsrate keine Notwendigkeit für einen weiteren „Routine-Refluxtest“ (Miktionszysturethrogramm, MCUG). Nach endoskopischer Ostiumunterspritzung wird abhängig vom Schweregrad des Refluxes sowie des klinischen Verlaufs nur in Ausnahmefällen drei Monate nach dem Eingriff eine MCUG-Kontrolle durchgeführt. Wir verwenden im Rahmen der Routinnachkontrollen eine spezielle Ultraschalltechnik („4D Ultraschall“ oder künstliche „Blasenspiegelung“) um frühzeitig mögliche Rezidive erkennen zu können. Diese Eltern- und Patienteninformation soll Ihnen helfen, das Gespräch mit uns vorzubereiten und die häufigsten Fragen zu beantworten. Ziel sollte die bestmögliche Behandlung Ihres Kindes sein. Dies geht nur durch eine gute Zusammenarbeit. Dazu brauchen wir Ihre Mitarbeit. Um Ihrem Kind unnötige Untersuchungen ersparen und sie kompetent beraten zu können, bitten wir sie daher, alle Vorbefunde mitzunehmen. Nur so ist ein individuelles, wenig belastendes Eingehen auf die spezielle Situation jedes Patienten möglich. Ihr kinderurologisches Team