Evolutionsbiologie : Wann ist ein Mann ein richtiger Mann? - Nachrichten Wissenschaft - Natur & Umwelt - DIE WELT 10/05/2014 10:05 10. Mai. 2014, 10:05 Diesen Artikel finden Sie online unter http://www.welt.de/106334483 20.05.12 Evolutionsbiologie Wann ist ein Mann ein richtiger Mann? Bei Menschen gilt als echter Mann, wer stark ist und die Familie ernährt: Im Tierreich ist das oft anders. Aber egal ob Tier oder Homo sapiens – primär geht es immer darum, sich fortzupflanzen. Von Barbara Kollmann Foto: pa Mann, Gorilla Man kann eine Rolex tragen als Statussymbol oder die Flasche Club Mate. Man kann sich kleiden wie ein Pfau und im Büro den Pavian geben. Man kann homo- oder bisexuell sein, sein Leben mit One-Night-Stands verbringen oder ewig treu bleiben. Man kann alles. Aber was ist ein Mann? Forscher haben sich darauf geeinigt, dass bei Säugetieren derjenige die Frau ist, der die Eizellen beisteuert, und der Mann den Samen mit zur Paarung bringt. Doch damit fangen die Probleme erst an. Auch für Tiere. Ein Interview mit dem Evolutionsbiologen Volker Sommer. Welt Online: Was macht einen typischen Mann aus? Volker Sommer: Der "typische Mann" existiert nur statistisch gesehen, aber nicht im Einzelfall. So sind Männer der Primatenspezies Mensch größer als Weibchen, glotzen mehr Fußball, vertilgen mehr Pizza und begehen mehr Gewaltverbrechen – aber eben nur im Durchschnitt. Es existiert auch der kleinwüchsige Mann, jener, der Seifenopern liebt, am Essen mäkelt und von einer Frau umgebracht wird. Welt Online: Aber bei Tieren ist doch typisch männlich angesagt? Wieso reden wir sonst vom Alpha-Männchen oder vom Silberrücken? Sommer: Die mögen uns zwar als Erstes einfallen. Doch "die Tiere" sind ein vielfältiger Verein – zu dem wir ja ebenfalls zählen. Zudem dominieren in zahlreichen Gesellschaften Weibchen auch körperlich die Männchen – bei Hyänen ebenso wie bei Lemurenaffen und unseren nächsten Verwandten, den Bonobos. http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article106334483/Wann-ist-ein-Mann-ein-richtiger-Mann.html?config=print Page 1 of 3 Evolutionsbiologie : Wann ist ein Mann ein richtiger Mann? - Nachrichten Wissenschaft - Natur & Umwelt - DIE WELT 10/05/2014 10:05 Welt Online: Wieso lassen die Männchen das mit sich machen? Sommer: Die Männchen dieser Arten sind nicht unbedingt kleiner und deshalb von vornherein schwächer. Doch Männchen sind auf Weibchen angewiesen, um sich selbst fortpflanzen zu können. Deshalb lassen sie im Streit um Nahrung den Weibchen den Vortritt. Die sind dadurch besser ernährt und können den Männchen gesündere Nachkommen bescheren. Die Erklärung passt allerdings nicht immer, weil es durchaus vorkommt, dass die Gentlemen von Weibchen schwer verwundet oder gar getötet werden. Welt Online: Dann haben die Weibchen niemanden mehr, der sich mit ihnen um die Kinder kümmert. Sommer: Genau das ist der Punkt. Männchen sind für Weibchen nur nützlich, wenn sie in Kinder investieren. Und Männchen stehen vor der Frage, ob sie helfen oder lieber weiteren Weibchen hinterherlaufen. Entscheiden sie sich für den Donjuanismus, sind sie für Weibchen nur unnütze Fresser, die frau besser aus dem Weg räumt. Bei der Beseitigung dieses Problems formen Weibchen oft Allianzen, alleine würden sie das nicht schaffen. Welt Online: Aber es gibt doch auch gute Väter! Sommer: Durchaus. Weil es nicht immer möglich oder vorteilhaft ist, ein vielfachbegattender Rabenvater zu sein. Zum einen kann die Nahrung so im Lebensraum verteilt sein, dass Weibchen sehr vereinzelt leben. Dann ist es besser, bei einer Partnerin zu bleiben, weil man sonst von der einen zur anderen laufen müsste. Nur um dann rauszufinden, dass das nächste Weibchen bereits von einem Kollegen mit Sitzfleisch bewacht wird. Zudem ist es besser, in Kinder zu investieren, die ohne männliche Hilfe wahrscheinlich sterben würden. Bei südamerikanischen Krallenaffen etwa bringen die Weibchen regelmäßig Zwillinge zur Welt und werden kurz nach der Geburt erneut schwanger. Da müssen die Männchen beim Tragen, Pflegen und Versorgen der Kleinen tüchtig mithelfen. Welt Online: Können sich Männer auch um Kinder kümmern, mit denen sie nicht verwandt sind? Sommer: Das ist seltener. Doch sind Stiefväter in der Regel nicht nur nett, sondern haben eigennützige Motivationen. Bei Pavianen etwa freunden sich Junggesellen systematisch mit jungen Müttern an, kraulen ihnen das Fell und beschützen sie. Offenkundig in der Hoffnung, Vater des nächsten Kindes zu werden. Außerdem kümmern sich natürlich auch zahllose Männchen um Babys, weil sie glauben, der Vater zu sein – irrigerweise. Welt Online: Und was hat das Weibchen davon, das Männchen zu betrügen? Sommer: Wenn Weibchen ihren treuen Lebensgefährten kurz hintergehen und von einem feurigen Liebhaber schwanger werden, eröffnen sich ihren genetisch entsprechend ausgestatteten Söhnen vielleicht auch solche Gelegenheiten. Wenn zudem mehrere Männchen meinen, der Vater zu sein, begünstigen vielleicht alle das Weibchen. Oder versuchen zumindest nicht, das von einem Konkurrenten gezeugte Baby zu töten. Diese Logik erklärt übrigens, warum Männchen in der einen Situation Killer sind – und in der nächsten friedvolle Behüter. Welt Online: Das klingt aber so, als hätten Affen Wirtschaftswissenschaften studiert und würden Kosten und Nutzen abwägen. Sommer: Wenn wir Verhaltensforscher davon reden, dass Tiere Kosten und Nutzen gegeneinander aufrechnen, meinen wir nur, dass es so aussieht, als ob ein Lebewesen das täte. Es ist eine bildhafte Sprache. Selbst wir Menschen treffen reproduktive Entscheidungen in der Regel nicht rational. Unser Körper denkt für uns, und bei der Partnerwahl sind unbewusste Signale wie Geruch und Hormonkaskaden am Werke. Hat die Natur dann ihr Spiel gespielt, erfinden wir im Nachhinein dazu eine passende Geschichte. Welt Online: Sie haben oft publiziert, dass sich bei Tausenden von Tierarten Männchen homosexuell betätigen. http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article106334483/Wann-ist-ein-Mann-ein-richtiger-Mann.html?config=print Page 2 of 3 Evolutionsbiologie : Wann ist ein Mann ein richtiger Mann? - Nachrichten Wissenschaft - Natur & Umwelt - DIE WELT 10/05/2014 10:05 Sommer: Es gibt Berichte, dass 75 Prozent der Großen Tümmler in festen Männer-Lieben leben sollen – recht romantischen übrigens, sie wachen übereinander im Schlaf, und oft bleibt der Witwer nach dem Tod des Partners allein. Die Zahl der Spezies, bei denen gleichgeschlechtlicher Sex vorkommt, ist nicht bekannt, weil das Verhalten ja nur eines Bruchteiles der vermutlich Millionen von Tierarten überhaupt untersucht wurde. Homosexueller Sex gehört aber auf jeden Fall oft zur Tagesordnung. Durch lustvolle gegenseitige Belohnungen lassen sich Bündnisse mit Geschlechtsgenossen festigen. Oder die Männchen üben miteinander, was beispielsweise Delfine tun, damit sie später im Ozean die Weibchen richtig umschwimmen und begatten können. Welt Online: Dann handelt es sich aber um Bisexualität, nicht um Homosexualität. Sommer: Ja, oft ist das so. Doch bei manchen Tieren findet Sex nur mit Partnern des eigenen Geschlechts statt. Bei indischen Tempelaffen und Gorillas beispielsweise bilden sich Junggesellenbanden, wenn Männchen von stärkeren Artgenossen am Zugang zu Weibchen gehindert werden. Die Junggesellen haben unter Umständen ihr Leben lang nur mit anderen Männchen Sex. Da kann man sagen, das sei aus der Not geboren. Männchen mit rein homosexueller Orientierung, die im Wahlversuch nur ihresgleichen begatten, existieren allerdings auch – etwa zahlreiche Schafsböcke. Welt Online: Die sollten nach der strengen Lehre längst ausgestorben sein, weil sie ihr Erbgut nicht weitergeben. Sommer: Schwule Männchen können sich einerseits indirekt fortpflanzen, etwa indem sie Brüdern oder Schwestern ermöglichen, zusätzliche Neffen und Nichten aufzuziehen. Eine rein homosexuelle Orientierung könnte andererseits auch dadurch entstehen, dass die gemischterbige Veranlagung mehr Kinder beschert. Sowohl bei Schafen wie bei Menschen scheinen jene Weibchen fruchtbarer zu sein, die unterschwellig homosexuell veranlagt sind. Pflanzen die sich mit einem Mann fort, bei dem das auch so ist, entstehen zuweilen Nachkommen, die auf beiden Chromosomen diese Erbinformation besitzen und dadurch exklusiv homosexuell werden. Welt Online: Klingt weitaus komplizierter als "Survival oft the Fittest", Weitergabe eigener Gene und Ähnliches. Sommer: Ja, ist es auch. Denn die Biologie hat sich längst von der Vorstellung verabschiedet, dass uns Gene und Instinkte ein bestimmtes Verhalten aufzwingen. Stattdessen wirkt die Umwelt stets mit ererbten Eigenschaften zusammen. Das erklärt, warum wir – und andere Tiere – in der einen Situation dies tun und in der nächsten etwas anderes. Und warum es Menschen mit dieser und welche mit jener Veranlagung gibt. Somit lautet das Motto: Feiert die Vielfalt. Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind allerdings oft weniger ein Vergnügen ... Das Verhältnis der Geschlechter birgt Konfliktstoff, eben weil Männchen mit geringem Investment – im Extremfall einem Spermium – Kinder in die Welt setzen können, während bei Säugetieren wie uns Menschen die Weibchen automatisch durch Schwangerschaft und Stillzeit belastet sind. Welt Online: Also können Männer und Frauen nicht miteinander glücklich werden? Sommer: Die Evolution belohnt nicht Starrheit, sondern Flexibilität. So spricht nichts dagegen, in unserer modernen Umwelt alle möglichen Lösungen anzustreben. Traditionelle Großfamilien gehören dazu ebenso wie die neueren Kleinfamilien, die PatchworkKombinationen oder dass gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam Kinder aufziehen. Da muss stets verhandelt werden, um eine tragbare Lösung zu entwickeln. Und bei der kann man – und frau – sogar recht glücklich sein. © Axel Springer SE 2014. Alle Rechte vorbehalten http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article106334483/Wann-ist-ein-Mann-ein-richtiger-Mann.html?config=print Page 3 of 3