«Gott ist nicht nur eine Kraft in uns»

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Montag, 26. August 2013 —
Bern
«Gott ist nicht nur eine Kraft in uns»
Delia Zumbrunn-Richner gehört zu der Gruppe junger Pfarrerinnen und Pfarrer, die auf die brisanten Glaubensaussagen der Muriger
Pfarrerin Ella de Groot reagiert haben. Im Interview sagt sie, worum es ihr geht – und dass sie den Synodalrat nicht ganz versteht.
Interview: Dölf Barben
der sich, salopp ausgedrückt, die
Frommen wiederfinden – aber Sie
hätten Mühe mit dieser Einteilung.
Unter Frommen fühle ich mich liberal
und unter Liberalen fromm. Ich bin
quasi eine liberale Fromme.
Frau Zumbrunn-Richner, was dachten Sie, als Sie zum ersten Mal von
den Ansichten Ihrer Pfarrkollegin
aus Muri, Ella de Groot, hörten?
Es ging ja zunächst um die Ankündigung
einer Radiosendung. Und da hiess es,
eine Pfarrerin rufe dazu auf, mit dem
Glauben aufzuhören. Da hatten ein paar
Kolleginnen und ich schon den Eindruck, hey, unser Auftrag ist es doch, die
Menschen zum Glauben einzuladen.
Inwiefern äussert sich das?
Ich interessiert mich für die Methoden
der Wissenschaft und nutze sie, um die
Bibel und den Glauben besser zu verstehen. Doch vielleicht treffender als liberal oder fromm wäre die Bezeichnung
«christologisch», weil sich mein Glaube
an Jesus Christus ausrichtet. Ich glaube,
in Jesus ist Gott uns Menschen auf
­Augenhöhe begegnet, und hat uns vorgelebt, wie er das Leben für uns Menschen meint.
Was dachten Sie nach der Sendung?
Ich habe die Sendung mehrmals angehört. Sie hat mich betroffen gemacht.
Wenn eine Pfarrerin sagt, es gebe keinen
Gott, es gebe keinen personalen Gott, ist
das aus meiner Sicht problematisch. Ein
personales Gottesbild ist zentral für den
christlichen Glauben.
Was verstehen Sie unter einem
personalen Gott?
Gott ist ein Du. Gott ist ein Gegenüber,
das mit uns in Beziehung sein will.
Nach der Radiosendung haben Sie
mit anderen jungen Pfarrerinnen
und Pfarrern öffentlich Stellung
genommen. Wie war das Echo
­darauf unter Pfarrern?
Die Reaktionen waren positiv. Ich hatte
sogar einen Anruf eines Zürcher Kollegen, der uns gedankt hat für unsere klaren Worte. Es haben auch Kolleginnen
und Kollegen reagiert, die zum Teil
schon lange im Kirchendienst stehen.
Wie steht es denn um den Glauben
der Pfarrer? Wie weit sind Frau de
Groots Ansichten verbreitet?
Dazu traue ich mir keine Aussage zu. Ich
kenne die Pfarrerschaft noch zu wenig.
Ich wüsste aber von keinem anderen
Kollegen, der Gott allein als Produkt
unserer Fantasie bezeichnen würde.
Sie haben in der Stellungnahme die
Kirchenverfassung zitiert, die den
Auftrag der Kirche umschreibt. «Wir
fragen uns», schrieben Sie,
«­inwiefern Ella de Groot dieser
Verpflichtung und Berufung
­nachkommen kann.» Heisst das,
dass Frau de Groot aus Ihrer Sicht
das Pfarramt aufgeben müsste?
Ich kann das nicht von aussen beurteilen. Das ist die Frage, die wir an sie stellen. Wie kann sie diesen Beruf ausüben,
bei dem der Glaube an Gottes Gnade
eine der Grundlagen bildet.
Reicht es nicht, wenn Frau de Groot
sagt, «Gott sei das Leben» oder «das,
was zum Leben drängt».
In diesem Punkt bin ich mit Frau de
Groot einig: Gott ist eine Kraft, die zum
Leben drängt. Das ist für mich eine Dimension Gottes – das ist biblisch gespro-
«Die Beziehung
zu Gott, das persönliche Du, gibt
einem Kraft.»
Pfarrerin Delia Zumbrunn-Richner
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Für Delia Zumbrunn-Richner ist es klar: Ein personales Gottesbild ist zentral für den christlichen Glauben. Foto: Valérie Chételat
chen der Heilige Geist. Ich glaube jedoch, Gott ist nicht nur eine Kraft in uns,
sondern eine Kraft, die uns übersteigt.
Da sprechen wir vom Schöpfer, um zu
sagen, Gott ist über uns und seine Gedanken sind grösser als unsere Gedanken. Und Gott ist neben uns – ein Gegenüber. Am deutlichsten wird das in Jesus,
der als Mitmensch auf der Erde gelebt
hat und dank den biblischen Schriften
heute noch für uns «fassbar» ist.
Dann ist sie nur halb atheistisch?
Frau de Groot wirkt auf mich sehr inkonsistent. Zum einen sagt sie, sie habe sich
davon verabschiedet, von Gott zu reden,
gleichzeitig erklärt sie, was sie unter
Gott versteht.
Oder sind es bloss Wortklaubereien?
Man will nicht an Gott glauben, aber
auch nicht als Atheistin gelten. Wie
geht das?
Wenn Frau de Groot sagt, sie wolle nicht
als Atheistin dargestellt werden, verstehe ich nicht ganz, was sie damit
meint. Bei Klaas Hendrikse, dem holländischen Pfarrer, der vor zwei Jahren in
Bern war, verstehe ich es schon eher,
wenn er sich als gläubigen Atheisten
­bezeichnet.
Aber auch das begreift man als
Normalsterblicher nicht mehr.
Wer nicht an Gott – ein Gegenüber, das
uns übersteigt und für uns unfassbar ist
– glaubt, ist Atheist. Doch auch ein Atheist glaubt etwas, er glaubt, dass Gott
nicht existiert. In diesem Sinn würde ich
behaupten, dass jeder Mensch gläubig
ist, also irgendetwas glaubt.
Wenn Frau de Groot aber ebenfalls
eine gläubige Atheistin wäre, würde
sie ja genau genommen Gott
­leugnen. Ist es dann nicht ein
­ isschen komisch, wenn der
b
­Synodalrat in seiner Stellungnahme
von letzter Woche schreibt, Frau de
Groot tue genau dies eben nicht –
andernfalls müsste er, wie er
­festhält, «deutlich widersprechen».
Offen gesagt verstehe ich die Stellungnahme des Synodalrats in diesem Punkt
auch nicht.
Als Laie denkt man, eine Atheistin,
ob gläubig oder nicht, sei nicht
gerade die geeignetste Person für
den Kirchendienst, weil sie ja eben
nicht an einen Gott glaubt.
Ja, wenn es völlig egal wäre, ob jemand im
Kirchendienst an Gott glaubt, würde die
Kirche zu einem beliebigen wohltätigen
Verein. Aber: Was nicht im Vertrauen auf
Gott gründet, kann nicht Kirche sein.
Dann ist Gott für Sie etwas, das eine
Präsenz hat? Also etwas, das weiss,
dass Sie und alle anderen
­Lebewesen da sind? Etwas, das eine
Wirkung entfalten kann?
Ja, das würde ich so sagen: Gott ist ein
Gegenüber, das da ist, zwar im Ganzen
unfassbar, aber eine Wirkung entfalten
kann – wenn wir es zulassen. Ich glaube,
es ist erfahrbar, dass es Gott gibt.
Man konnte lesen, Sie gehörten eher
der evangelikalen Strömung an, in
Glaubensfrage
Die Grenze liegt bei Gottesleugnung
Ella de Groot, reformierte Pfarrerin in
Muri, hat Mitte Juli in der Sendung «Perspektiven» von Radio SRF 2 Aussagen gemacht, die aufhorchen liessen: «Es gibt
keinen personalen Gott, es gibt keinen
Gott.» («Bund» vom 19. Juli) Gott sei für
sie «das Leben, das, was zum Leben
drängt, was das Leben hält». Eine
Gruppe junger Pfarrerinnen und Pfarrer
reagierte umgehend: In der Landes­
kirche hätten vielfältige ­Glaubensformen
Platz; der kleinste gemeinsame Nenner
müsse aber «unser Glaube an Gott» sein.
«Kirche ohne Gott ist nicht Kirche.»
Letzte Woche äusserte sich ­schliesslich
der Synodalrat der Reformierten ­Kirchen
Bern-Jura-Solothurn: De Groot verstehe
sich nicht als Atheistin; sie versuche vielmehr, die Botschaft der Bibel in einer
neuen Sprache zu formulieren. Damit
erfülle sie ihren Auftrag, das Evangelium
nach bestem Wissen und Gewissen zu
verkünden, schrieb die Kirchenleitung.
Mit ihren Auffassungen bewege sie sich
«im Spektrum dessen, was in der reformierten Kirche vertreten wird».
Die Grenzen dieses Spektrums werden aufgezeigt: «Leugnen Mitglieder der
Pfarrerschaft Gott, müsste der Synodalrat deutlich widersprechen und sie auf
ihre Verpflichtung durch Ordination und
Verfassung erinnern», steht in der Mitteilung. De Groot habe mit einigen Äusserungen selbst dazu beigetragen, dass
dieser Eindruck entstanden sei. Sie habe
dabei wohl zu wenig beachtet, «dass religiöse Aussagen sehr differenziert sein
müssen». In der Kirchenverfassung steht
in der Tat: Die Kirche «weiss sich berufen zum Glauben an Gottes rettende
Gnade (. . .) und zu der Hoffnung auf das
Kommen des Reiches Gottes.» Und: «Sie
ruft ihre Glieder (. . .) zu Busse, zum
Glauben und zur Heiligung (. . .).» (db)
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Jesus ist fassbarer als Gott. Seine
Gleichnisse und alles, was er tat, ist
für sich alleine betrachtet doch
schon grossartig. Wäre es nicht
möglich, ein Pfarrer zu sein, der
sich an Jesus orientiert, dem es aber
egal ist, ob dieser nun tatsächlich
Gottes Sohn ist oder nicht?
Die Frage, wie wir handeln, ist zentral.
Handeln und beten gehören aber zusammen. Die Beziehung zu Gott, das persönliche Du, gibt einem Kraft zum Handeln.
Auch Jesus hat sich immer wieder zurückgezogen für das Gebet – erst nachher ging er zu den Leuten. Und immer
wieder stellte er den Bezug zu Gott, dem
Vater, her.
Somit fehlt einem Pfarrer am
­Spitalbett etwas, wenn er vom
Glauben abgefallen ist?
Er macht etwas ganz Richtiges, wenn
er bei diesem kranken Menschen ist.
Aber ich glaube, es ist schwieriger, an
einem Spitalbett zu sitzen ohne das
Wissen, von Jesus Christus geschickt
worden zu sein. Er ist es, der einen für
diese Aufgabe stärkt und einen auch
dazu ermächtigt. Mir würde etwas fehlen, wenn ich nicht in diesem Wissen
hin zu kranken Menschen gehen
könnte.
Können Sie einem Sterbenden mit
gutem Gewissen Trost spenden,
indem Sie ihm sagen, dass es ein Jenseits gibt?
Ich vertraue darauf, dass es nach dem
Tod weitergeht und wir auch dann aufgehoben sind in Gottes Händen. Das
kann ich mit gutem Gewissen sagen.
Aber versprechen kann ich es nicht.
Delia Zumbrunn-Richner ist 28-jährig
und eben erst – am Samstag im Berner
Münster – als evangelisch-reformierte
Pfarrerin ordiniert worden. Sie lebt mit
ihrem Mann in Hondrich in der Kirchgemeinde Spiez, wo sie Anfang August ihre
erste Pfarrstelle angetreten hat.
«Sie ruft ihre Glieder (. . .) zur Busse,
zum Glauben und
zur Heiligung.»
Verfassung der Reformierten Berner Kirche.
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