Replik auf Artikel von Urs P. Gasche vom 28. Oktober 2013: «Ungenügende Noten für Schweizer Spitäler» Publiziert von: Tagesanzeiger, Der Bund, 20 Minuten, Infosperber | Folgeartikel in: Le Matin, 20 minuti, 20 minutes Aussage im Artikel Stellungnahme ANQ und Swissnoso Es hängt oft vom Arzt ab, ob man sich im Spital infiziert. (Titel Tagesanzeiger Frontseite) Die Swissnoso-Wundinfektionserfassung enthält keine arztspezifischen Daten. Für ergänzende Erläuterungen siehe unten unter Aussage ‚ Trotzdem erfasst Swissnoso die Infektionsraten einzelner Chirurgen nicht’ Auffallend gross sind die Unterschiede bei Darmoperationen, wobei in der Schweiz jeder achte Patient eine Infektion erleidet, während es in Deutschland nur jeder elfte ist, in Frankreich jeder 13. und in den USA jeder 16. Direkte Vergleiche von Infektionsraten zwischen Ländern setzen voraus, dass die Methoden zur Erfassung der Infektionen weitgehend identisch sind. Dies ist in Bezug auf die genannten Länder nicht der Fall. In der Schweiz wird im Gegensatz zu Deutschland, Frankreich und den USA die Infektionserfassung bis 30 Tage nach dem Eingriffsdatum (nach Implantatchirurgie bis 1 Jahr danach) durchgeführt. Dadurch werden zusätzlich Infektionen festgestellt, die erst nach Spitalentlassung auftreten. Dies führt dazu, dass die Infektionsraten in der Schweiz höher sind, obwohl auch in den anderen genannten Ländern bei operierten Patienten Infektionen erst nach Spitalentlassung auftreten. Die Infektionsraten, die wir in der Schweiz durch eine im Vergleich zu den oben genannten Ländern qualitativ bessere Infektionserfassung erhoben haben, dürften näher bei der Realität sein als die Infektionsraten in diesen und auch anderen Ländern, wo die Infektionserfassung nur auf den relativ kurzen Zeitraum der Hospitalisation beschränkt ist. Anzufügen ist, dass Herr Gasche in seinem Artikel oft global von Spitalinfektionen spricht, während es bei der Swissnoso Infektionserfassung alleine um Wundinfektionen geht, die im Zusammenhang mit einem chirurgischen Eingriff stehen. Bei den insgesamt rund 9‘700 Darmoperationen pro Jahr käme es zu fast 400 Infektionen weniger, wenn die Behandlungsqualität in der Schweiz so gut wäre wie in Deutschland, und sogar zu fast 500 weniger, wenn die Qualität auf dem Niveau französischer Spitäler wäre. Der Vergleich der Infektionsraten zwischen Ländern mit unterschiedlichen Messsystemen, die sich unter anderem auch in der Art und Weise der Umsetzung der Messmethodik unterscheiden, ist, wie bereits oben erwähnt, nicht korrekt. Um die Infektionsraten verschiedener Länder oder Regionen auf wissenschaftlich seriöse Art und Weise zu vergleichen, wäre eine multinationale Studie notwendig, deren Koordination und Umsetzung zentral geleitet würde. Dazu wäre auch eine zentrale und unabhängige Validierung bzw. ein Monitoring der Studienzentren notwendig, wie dies für die Schweiz durch Swissnoso durchgeführt wird. Da diese Art der internationalen, länderübergreifenden Infektionserfassung nicht existiert, ist es auch nicht seriös, aus nicht vergleichbaren Zahlen Rückschlüsse auf Qualitätsunterschiede zu ziehen. 31. Oktober 2013 Seite 1 von 5 Aussage im Artikel Stellungnahme ANQ und Swissnoso Die Vergleichsstudie hat die Swissnoso im Auftrag des nationalen Vereins für Qualitätentwicklung in Spitälern (ANQ) durchgeführt. Bei der Erfassung postoperativer Wundinfektionen durch Swissnoso handelt es sich nicht um eine Studie sondern um ein kontinuierliches Projekt zur Qualitätssicherung in Bezug auf sogenannte nosokomiale, das heisst spitalerworbene, Infektionen. An der Medienkonferenz im August hat der ANQ lediglich Argumente verbreitet, die das schlechte Abschneiden der Schweiz relativieren sollten. Es handelt sich um erste Ergebnisse, welche mit der nötigen Vorsicht interpretiert werden müssen. Der ANQ hat keine Medienkonferenz durchgeführt. In seiner Medienmitteilung hat er entsprechend den Tatsachen auf die nötige Vorsicht bei der Interpretation im Rahmen eines internationalen Vergleichs hingewiesen (nicht völlig identische Erfassungsperiode bei der Erfassung der Infektionen nach Spitalaustritt). Swissnoso schreibt allerdings selber, dass die angewandte „Methode weitgehend identisch und somit vergleichbar mit anderen nationalen Erfassungsprogrammen“ war. Die Methode zur Erfassung der Infektionen und die Anwendung von Definitionen zur Kategorisierung von Wundinfektionen ist, was die Erfassung während des Spitalaufenthaltes angeht, tatsächlich mit anderen Erfassungsprogrammen vergleichbar. Wie bereits oben erwähnt, unterscheidet sich aber das Erfassungsprogramm von Swissnoso wesentlich dadurch, dass die Erfassung bis zum Tag 30 nach Operation ohne Implantation von Prothesenmaterial bzw. bis zu einem Jahr nach Implantation von Prothesenmaterial durchgeführt wird. Dieser Unterschied ist sehr wesentlich, da je nach Operationsart zwischen 30-80 % der Infektionen erst nach Spitalentlassung auftreten. Diese erst nach Entlassung auftretenden Infektionen führen zu einer im Vergleich mit Erfassungsprogrammen in anderen Ländern deutlich höheren Infektionsrate für die einzelnen Eingriffe. Würde man nur die Infektionsraten vergleichen, die durch Erfassung während des Spitalaufenthaltes zu Stande kommen, liesse sich die Aussage im Untertitel des Artikels, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine „hohe“ Infektionsrate aufweist, in keinster Weise aufrecht erhalten. Bei den Bypassoperationen jedenfalls muss die Erfassung von Infektionen erst nach Spitalaustritt etwa gleich gut erfolgt sein. Diese Aussage ist falsch. Weder in Deutschland noch in anderen Ländern findet eine derart komplette Erfassung von Wundinfektionen nach Spitalentlassung statt, wie sie in der Schweiz durchgeführt wird. Es ist falsch, aus der Beobachtung, dass fast 60 % der Wundinfektionen erst im Laufe eines Jahres nach der Operation auftreten, zu schliessen, dass die Infektionserfassung nach Spitalentlassung in Deutschland und der Schweiz gleich gut ist. Die Infektionserfassungsmethode in Deutschland ist Swissnoso bestens bekannt. Wir betonen nochmals, dass in Deutschland im Rahmen der KISS-Infektionserfassung keine systematische Infektionserfassung nach Spitalentlassung stattfindet. Der ANQ verschwieg Faktoren, welche die Schweizer Zahlen noch schlechter aussehen lassen könnten. Der ANQ weist auf Einschränkungen bei der Interpretation und bei Vergleichen mit ähnlichen Erhebungen hin und ist in der Bewertung von ersten veröffentlichten Ergebnissen zurückhaltend. Er ist seinen Mitgliedern gegenüber verpflichtet sachlich und fair zu argumentieren und Bewertungen in den richtigen Kontext zu setzen. Es wurden keine Fakten verschwiegen; es wurden die Vorgaben der SAMW beachtet, dass eine transparente Veröffentlichung von Daten nur dann erfolgen soll, wenn die Datenqualität sichergestellt ist. Diese war noch nicht Erstens hatte die Hälfte aller Spitäler nicht mitgemacht, darunter vermutlich solche, die ein 31. Oktober 2013 Seite 2 von 5 Aussage im Artikel Stellungnahme ANQ und Swissnoso schlechtes Abschneiden befürchteten. Und zweitens haben selbst die teilnehmenden Spitalären Daten zu einzelnen Operationen verweigert, möglicherweise zu solchen, bei denen sie ein schlechtes Abschneiden befürchteten. sichergestellt, weil der externe Validierungsprozess noch nicht durchgeführt war. Diese Sätze enthalten mehrere Unterstellungen. Zu Beginn des Projektes war die Teilnahme freiwillig. Der nationale Qualitätsvertrag, der Spitäler und Kliniken verpflichtet, an ANQ-Messungen teilzunehmen, ist erst seit Anfang 2011 in Kraft. Zuvor war die Beteiligung der Spitäler freiwillig (aufgrund der damalige Freiwilligkeit kann keinem Spital unterstellt werden, eine Teilnahme verweigert zu haben). Mehrere Spitäler waren bei Start der Messung in anderen Messprojekten engagiert und mussten diese zuerst beenden, bevor sie bei Swissnoso teilnehmen konnten, da die Ressourcen für solche Messungen in der Regel beschränkt sind. Hierzu ist festzuhalten, dass sämtliche Universitätsspitäler und sehr viele grössere Spitäler (insgesamt 70) in der Deutschschweiz bereits seit Beginn der Swissnoso-Messung teilnahmen. Bereits vorher und parallel zur Swissnoso-Messung nahmen 23 Spitäler in der Westschweiz und im Tessin am Erfassungsprojekt teil, das von den Walliser Spitälern gegründet wurde. Diese Spitäler wurden 2011 in die Swissnoso-Messung integriert. Somit ist die Aussage, dass nur die Hälfte aller Spitäler mitmachte nicht korrekt. Zurzeit nehmen beinahe 150 Spitäler in der Schweiz an der Messung postoperativer Infektionen teil. Die Vermutung, dass Spitäler nicht teilnahmen, weil sie ein schlechtes Abschneiden befürchteten, ist eine Unterstellung und durch nichts zu belegen. Die Schweizer Spitäler sind im Gegenteil sehr daran interessiert, an dieser Infektionserfassung teilzunehmen. Dies ist daraus abzuleiten, dass die Infektionserfassung von Swissnoso sehr rasch auf ein breites Echo und ein grosses Interesse stiess, so dass es problemlos möglich war, die Messung in praktisch allen Schweizer Spitälern zu etablieren. Spitäler haben also nicht Daten zu einzelnen Operationen verweigert, sondern konnten aus acht verschiedenen Operationsarten die drei auswählen, die für sie von besonderem Interesse sind. Im Gegensatz dazu können sich Spitäler in Deutschland im Rahmen der KISS-Erfassung auf eine einzelne Eingriffsart beschränken. Die Auswahl der Eingriffe pro Spital wird unter anderem dadurch beeinflusst, wie häufig ein gewisser Eingriff in einem Spital durchgeführt wird. Es ist im Sinne einer aussagekräftigen Auswertung, dass Spitäler primär Operationen auswählen, bei denen pro Jahr hohe Fallzahlen generiert werden. In keinem Land wird gesetzlich vorgeschrieben, dass sämtliche chirurgische Eingriffsarten bezüglich Auftreten postoperativer Infektionen überwacht werden. Somit ist die in der Schweiz gewählte Vorgehensweise, was die Selektion der Eingriffsarten für die Erfassung angeht, sicher nicht schlechter als die Vorgehensweise in benachbarten Ländern Europas. Ergänzend ist festzuhalten, dass sämtliche teilnehmenden Spitäler, die Operationen am Dickdarm durchführen, die Infektionserfassung nach solchen Eingriffen ab Herbst 2013 obligatorisch durchführen müssen. Inzwischen wurde die Zahl der Eingriffe, die im Rahmen der Swissnoso-Erfassung monitorisiert werden können, noch erweitert, um den Spitälern die Möglichkeit zu geben, die Infektionsraten auch in weiteren chirurgischen 31. Oktober 2013 Seite 3 von 5 Aussage im Artikel Stellungnahme ANQ und Swissnoso Disziplinen zu messen. Drittens gab es – anders als etwa in Holland – keine unabhängige Stelle, welche die von den Spitälern gelieferten Daten kontrollierte. Der Möglichkeiten, Daten zu beschönigen, gibt es viele. Im Gegensatz zu praktisch allen anderen Erfassungssystemen beinhaltet das Erfassungssystem von Swissnoso eine Validierung durch eine unabhängige Instanz. Die Aussage von Herrn Gasche ist deshalb falsch. Swissnoso hat ein Validierungsprogramm etabliert. Das Validierungsteam ist von den Spitälern unabhängig und besucht die einzelnen Spitäler. Es wird sowohl die Erfassungsorganisation als auch die Erfassungsqualität systematisch und detailliert überprüft. Swissnoso leistet auf diesem Gebiet Pionierarbeit, die in der Intensität der Überwachung und Validierung weit über das hinausgeht, was in Holland durchgeführt wird. In anderen Ländern findet gar keine Validierung statt. Somit ist es in der Schweiz sehr schwierig, Daten zu beschönigen. Die Daten werden online eingegeben und können nach Dateneingabe nicht mehr korrigiert werden. Die Validierung der Daten zeigt allfällige Diskrepanzen auf. Bis anhin weisen die Schweizer Spitäler, die am Swissnoso-Erfassungsprogramm teilnehmen in den meisten Fällen eine gute bis sehr gute Datenqualität auf. Hinzu kommt, dass die Vollständigkeit der Infektionserfassung nach Spitalentlassung bei den meisten Spitälern sehr hoch ist. Trotzdem erfasst Swissnoso die Infektionsraten einzelner Chirurgen nicht. Unterschiede bezüglich Infektionsraten zwischen Chirurgen sind in der Literatur beschrieben. Diese Chirurgenspezifische Infektionserfassung wird zurzeit weder in Deutschland, Frankreich oder Holland durchgeführt. Das Ziel der Infektionserfassung von Swissnoso ist primär, den Spitälern Daten zur Beurteilung der Infektionsrisiken in einzelnen Eingriffskategorien zu liefern. Diese Daten sollen es den Spitälern ermöglichen, bei Bedarf gezielte Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen. Die Erweiterung der Erfassung auf die Ebene einzelner Chirurgen ist denkbar im Rahmen der Weiterentwicklung der Swissnoso-Infektionserfassung. Man wolle das Denunzieren nicht fördern, lautet die Begründung. Da die Infektionserfassung von Swissnoso nicht auf die Aussage von Personal im Operationssaal abstützt, ist die Denunziation von Chirurgen kein Thema. Infektionen nach chirurgischen Eingriffen treten nicht bereits während der Operation auf, sondern, wie oben erwähnt, später während des Spitalaufenthaltes und noch später nach Entlassung. Somit hat das Personal im Operationssaal gar keine Kenntnis über die Infektionsraten einzelner Chirurgen. Falls grobe Verstösse gegen fundamentale Hygieneregeln im OP beobachtet werden, wird dies allenfalls spitalintern geregelt. Die erfassten Infektionsraten der einzelnen Spitäler wollen Swissnoso und der Verein für Qualitätsentwicklung in Spitälern nicht bekannt geben, auch nicht die Häufigkeit je nach Spitaltypen – Universitätsspitäler, Zentrumsspitäler und Regionalspitäler. Es bestehen Vereinbarungen mit den Mitgliedern des ANQ, Swissnoso und den Spitälern, dass eine erste Veröffentlichung nur in aggregierter Form durchgeführt wird, eine transparente Veröffentlichung wird zukünftig angestrebt. Dies setzt voraus, dass die Datenqualität zuverlässig ist und die Gremien des ANQ einer transparenten Veröffentlichung zustimmen. Es ist vorgesehen, die Daten im Jahre 2014 transparent pro Spital zu veröffentlichen. 31. Oktober 2013 Seite 4 von 5 Aussage im Artikel Stellungnahme ANQ und Swissnoso Wer eine nicht notfallmässige Darm- oder Bypassoperation vor sich hat oder ein künstliches Gelenk möchte, bleibt deshalb im ungewissen, wo er am ehesten riskiert, an einer vermeidbaren Infektion zu erkranken oder sogar zu sterben: Ob in einem Universitätsspital, einem Zentrums-spital oder einem Regionalspital. Auch die schwarzen Schafe unter den Spitälern kann man nicht meiden. Wie erwähnt, werden die Infektionsarten einzelner Spitäler zukünftig veröffentlicht werden. Die dafür notwendigen Vorarbeiten sind bereits weit fortgeschritten. Sie ermöglichen einen fairen Vergleich zwischen den Spitälern, der auch die Risikofaktoren und Begleitkrankheiten der Patienten umfasst. Es ist für die Patienten aber wichtig, zu realisieren, dass es bezüglich der Qualität einer chirurgischen Behandlung nicht nur die Infektionsrate zu berücksichtigen gibt, sondern auch den globalen Erfolg der Operation (z.B. gut funktionierende HüftTotalprothese). Die Beurteilung der Qualität der medizinischen Behandlung ist vielschichtig und erfordert eine viel differenziertere Betrachtungsweise als dies im Artikel von Herrn Gasche erfolgte. 31. Oktober 2013 Seite 5 von 5