MEDIZIN DIENSTAG, 24. APRIL 2007 | NR. 79 | 19 Hörgeräte verschwinden unsichtbar im Kopf Implantierte Verstärker verbessern den Komfort und bieten eine höhere Klangqualität BERNHARD EPPING | TÜBINGEN HANS SCHÜRMANN | DÜSSELDORF Schlecht zu hören, ist für ältere Menschen ein großes Problem. Dennoch tragen viele kein Hörgerät, weil sie nicht möchten, dass ihre Umwelt von ihrem Handicap erfährt. Ihnen kann jetzt geholfen werden. Gleich zwei amerikanische Firmen bieten auf dem europäischen Markt ein vollimplantierbares Hörgerät an, das von außen nicht sichtbar ist. Die USFirma Envoy Medical aus Saint Paul, Minnesota, besitzt seit einem Jahr die europäische Zulassung für ihr vollimplantierbares Hörgerät „Esteem“. Im Oktober 2006 folgte Otologics aus Boulder, Colorado, mit dem Gerät „Carina“. „Vollimplantierbare Systeme werden sich langfristig als Alternative etablieren“, sagt Rudolf Leuwer vom Klinikum Krefeld. Dieser Trend, sei nicht aufzuhalten. Die Hersteller versprechen eine nie gekannte Hörqualität. Weitere Vorteile: Der Gehörgang bleibt frei, keine Probleme mehr mit Schwitzen und womöglich Entzündungen. Keine lästigen Pfeiftöne mehr durch Rückkopplungen. Und vor allem: Niemand sieht, dass man einen Hörschaden hat. Die beiden Implantate sind ähnlich, in der Funktionsweise gibt es aber Unterschiede. Beim Esteem platzieren die Ärzte einen piezoelektrischen Sensor am mittleren der drei Knöchelchen im Mittelohr. Der überträgt die feinen Vibrationen der Gehörknöchelchenkette in elektrische Signale und schickt sie an einen hinter dem Ohr implantierten Prozessor. Verstärkt gehen sie von dort an ein zweites Piezoelement, das sie am Steigbügel, dem Knöchelchen direkt vor dem Innenohr, wieder in Vibrationen umsetzt. Der Verzicht auf Digitaltechnik und der besonders geringe Stromverbrauch der Piezoelektrizität machte es beim Esteem möglich, eine Batterie gleich mit zu implantieren. Aller- Unter der Haut Das Hörimplantat von Esteem verstärkt wie ein konventionelles Hörgerät, den empfangenen Schall. Allerdings wird dieser wie beim natürlichen Hören, nicht von außen, sondern über das Trommelfell und die Schwingungen am mittleren Knöchelchen des Mittelohrs erfasst. Prozessor Der Verstärker wird unter die Haut hinter dem Ohr implantiert. Vom Gerät führen zwei Kabel ins Mittelohr. Die Ärzte platzieren einen piezoelektrischen Sensor am mittleren der drei Knöchelchen im Mittelohr. Der überträgt die feinen Vibrationen der Gehörknöchelchenkette in elektrische Signale und schickt sie an den hinter dem Ohr implantierten Prozessor. Verstärkt gehen sie von dort an ein zweites Piezoelement, das sie am Steigbügel an der Hörschnecke (Cochlea), dem Knöchelchen direkt vor dem Innenohr, wieder in Vibrationen umsetzt. Piezoelemente Hammer Amboß Steigbügel Hörschnecke Trommelfell Ohr Handelsblatt | Quelle: Envoy dings ist nach etwa vier Jahren ein Batteriewechsel fällig und damit eine weitere Operation, die allerdings weniger aufwändig ist als die erste. Beim „Carina“, das einen winzigen Elektromagneten als Treiber nützt, wird dagegen ein implantierter Akku regelmäßig von außen nachgeladen. Zudem nimmt ein unter die Kopfhaut hinter dem Ohr implantiertes herkömmliches Mikrofon den Schall auf. „Das Richtungshören ist mit dem ’Esteem’ besser, denn die Funktion des äußeren Ohrs bleibt erhalten“, so die Einschätzung des Krefelder Klinkchefs Leuwer. Bei der Implantation des „Esteems“ muss allerdings die Gehörknöchelchenkette durchtrennt werden. „Sonst würden sich Wandler und Treiber stören“, erläutert Andreas Radeloff von der HNO-Klinik der Universität Würzburg das Problem. Muss das Hörgerät wieder ausgebaut werden, weil es nicht so funktioniert wie erwartet – was in mindes- tens zwei Fällen während der klinischen Erprobung hierzulande vorgekommen ist – lässt sich die Knöchelchenkette oft nicht wieder völlig herstellen. „Das Risiko wäre mir zu hoch“, sagt Radeloff. Leuwer hält das Problem für „beherrschbar“. Obendrein werde man das Mittelohr bei vielen Hörschäden in absehbarer Zeit eh nicht mehr brauchen. Leuwer: „Wir gehen künftig direkt aufs Innenohr.“ Fest steht: Eine direkte Übertra- gung der Signale auf die Gehörknöchelchen verringert den Klirrfaktor, das Hören wird verzerrungsfreier. Ob man dadurch wirklich besser als mit konventionellen Geräten hört, bleibt mangels Vergleichsstudien aber offen, denn in heutigen Hörgeräten steckt immer mehr Software zur Korrektur von Verzerrungen und zur Unterdrückung von Störsignalen. Beide Implantate wurden an mehreren Dutzend Patienten in Europa und in den USA getestet. Bislang sind sie aber erst in Europa zugelassen, weil hier der Nachweis ausreicht, dass sie im Patienten technisch einwandfrei funktionieren. Die US-Zulassungsbehörde FDA ist da strenger: Dort müssen die Hersteller zusätzlich nachweisen, dass die Geräte auch den versprochenen medizinischen Nutzen bringen. Während Otologics in den USA noch Patienten für eine Teilnahme an klinischen Studien sucht, rechnet Envoy mit einem FDA-Urteil im Herbst dieses Jahres. „Die Operationen sind seit Ende 2006 abgeschlossen. Wir warten nun auf die abschließenden Studienergebnisse“, sagt Envoy-Geschäftsführer Liburdi. Die Geräte taugen für Erwachsene mit bestimmten Formen von Innenohrschwerhörigkeit, die zu einer einbis, je nach Schweregrad, mehrstündigen Operation bereit sind. Die Implantation des „Esteem“ kostet rund 25 000 Euro, das „Carina“ kaum weniger. Die Kassen zahlen nicht. Bislang haben sich sieben Patienten das Envoy-Gerät in Deutschland regulär implantieren lassen. Man spreche über eine „sehr spitze Zielgruppe“, ist sich Thomas Liburdi, Geschäftsführer der hiesigen Envoy-Dependance in Köln bewusst: „Aktive, gut situierte Menschen über 50.“ Dennoch ist Liburdi zuversichtlich. Envoy hat in Europa Niederlassungen in Frankreich, Italien, England, Österreich und bald auch in Spanien. „Wir rechnen damit, dass wir bis Ende des Jahre rund 100 Hörgeräte in Europa verkauft haben“, so Liburdi. Otologics steht dagegen noch ganz am Anfang. Das amerikanische Unternehmen bearbeitet den europäischen Markt zurzeit noch von Amerika aus und ist mit einer Internetseite in fünf Ländern in der jeweiligen Landessprache präsent. Text weiterleiten: Mail an forward@handelsblatt. com Betreff: Hörgerät (Leerzeichen) 19 (Leerzeichen) Mailadresse des Empfängers NACHRICHTEN Spezialkliniken behandeln Schlaganfall effektiver Schlaganfall-Patienten sollten sich nach Möglichkeit in neurologischen Spezialstationen behandeln lassen. In diesen so genannten Stroke Units, von denen es 170 in Deutschland gibt, gelinge es im Vergleich zu herkömmlichen Intensivstationen besser, schwerwiegende Behinderungen zu vermeiden. Das berichtet die Deutschen Gesellschaft für Neurologie unter Berufung auf eine italienische Studie. Von jenen Patienten, die im Verlauf des Schlaganfalls Hirnblutungen erlitten, überlebten in den Spezialstationen fast doppelt so viele. | ap Hirnstimulation hilft gegen Depressionen Eine Studie der Unikliniken Bonn und Köln gibt Menschen mit therapieresistenten Depressionen Anlass zur Hoffnung: Die Mediziner haben zwei Männer und eine Frau mit der so genannten tiefen Hirnstimulation behandelt. Alle drei Patienten litten jahrelang unter schwersten Depressionen, die sich weder mit Medikamenten noch durch andere Therapien in den Griff bekommen ließen. Durch die Stimulation verbesserte sich das Befinden bei der Probanden innerhalb weniger Tage. Die Forscher veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Studie, in der Zeitschrift Neuropsychopharmacology. | HB Fettpolster am Bauch wegtrainieren Überflüssiges Körperfett abzubauen ist die effektivste Maßnahme, um Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ 2 und Herzkreislauferkrankungen vorzubeugen. Dies ist ein Ergebnis eines Forschungsprojektes der Universität Tübingen. Präventionsprogramme sollten vor allem auf die Fettpolster im Bauchbereich zielen. Denn diese verursachen erhöhte Blutzucker- und Blutfettwerte sowie vermehrte Entzündungsvorgänge, die langfristig Herz und Stoffwechsel schädigen. | HB