02.06.2010 Friedel Bolle, Claudia Vogel Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen SS 2010 Inhalt 1. Einleitung 2. Sequentielle Spiele • • • Terminologie Spielbäume Lösen von Sequentiellen Spielen Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 2 1 02.06.2010 Motivation: Warum Spieltheorie? • Spiele in vielen Situationen des täglichen Lebens – WGs und Familien – Professoren und Studenten – Verabredungen • Weitere Anwendungsgebiete – Politik und Wirtschaft – Konfliktbewältigung – Evolutionäre Biologie – Sport Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 3 Der Beginn der Spieltheorie 1944 “Theory of Games and Economic Behavior“ Oskar Morgenstern & John Neumann Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 4 2 02.06.2010 Entscheidungen vs Spiele • Entscheidung: eine Situation in der eine Person zwischen verschiedenen Alternativen wählt ohne die Reaktion Dritter zu berücksichtigen • Spiel: eine strategische Entscheidungssituation, d.h. – Das Ergebnis hängt von den Entscheidungen mehrerer Entscheidungsträger ab, so dass ein einzelner das Ergebnis nicht unabhängig von der Wahl der anderen bestimmen kann. – Jeder Entscheidungsträger ist sich dieser Interdependenz bewusst und geht davon aus, dass sich alle anderen ebenfalls der Interdependenzen bewusst sind. – Jeder berücksichtigt die gegenseitigen Abhängigkeiten bei seiner Entscheidung. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 5 Spiele mit sequentiellen und simultanen Zügen • Sequentielle Spiele (Spiele in extensiver Form): die Spieler ziehen nacheinander – Beispiel: Schach • Spiele mit simultanen Zügen (Matrixspiele, Spiele in Normalform): Die Spieler ziehen gleichzeitig ohne die Züge der anderen Spieler zu beobachten. – Beispiel: Entwicklung neuer Medikamente in der Pharmaindustrie Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 6 3 02.06.2010 Interessenskonflikte der Spieler • Nullsummenspiel: ein Spieler gewinnt den Verlust des anderen – Vollständiger Interessenskonflikt zwischen den Spielern • Spiele führen oftmals zu Gewinnen für beide Spieler und sind keine Nullsummenspiele. – Beispiel: Joint Ventures Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 7 Einmalige vs wiederholte Spiele • Einmaliges Spiel (one-shot game): es gibt nur eine Interaktion zwischen den Spielern – Keine Information über den Gegner vorhanden • Wiederholtes Spiel: wiederholte Interaktionen zwischen den Spielern – Mit dem gleichen Gegner: Reputation Beispiel: langfristige Geschäftsverbindungen – Mit wechselnden Gegnern: Informationen über das übliche Verhalten Beispiel: Preisverhandlungen im Türkischen Basar Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 8 4 02.06.2010 Information • Vollständige Information: Jeder Spieler verfügt über alle Informationen – Beispiel: Schach • Unvollständige Information – Externe Unsicherheit: Es herrscht Unsicherheit über verschiedene Variablen (z.B. Wetter) – Strategische Unsicherheit: über die letzten Züge des Gegners • Asymmetrische Information: einige Spieler verfügen über mehr Informationen als andere – Beispiel: Arbeitsmarkt Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 9 Kooperative vs Nichtkooperative Spiele • Kooperative Spiele: die Spieler können Verträge durchsetzen – Beispiele: Europäische Union • Nichtkooperative Spiele: Kooperation muss sich von selbst durchsetzen, da es nicht durch eine dritte Partei durchsetzbar ist. – Beispiel: Die EU und Nicht-Mitliedsstaaten Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 10 5 02.06.2010 Beobachtungen und Experimente • Theorie und Realität sollten sich jeweils auf einander beziehen: – Die Realität sollte dabei helfen, die Theorie zu strukturieren – Ergebnisse der Theorie sollten einer Überprüfung in der Realität stand halten. • Überprüfung der Realität von strategischen Interaktionen durch: – Beobachtungen – Spezielle Experimente Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 11 Inhalt 1. Einleitung 2. Sequentielle Spiele • • • Terminologie Spielbäume Lösen von Sequentiellen Spielen Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 12 6 02.06.2010 Terminologie • Strategie: vollständiger Verhaltensplan • Auszahlung (Payoff): Nutzen eines Ergebnisses für einen Spieler – Erwartete Auszahlung: Wahrscheinlichkeitsgewichtete durchschnittliche Auszahlung • Rationalität: Ein Spieler ist in seinen Auszahlungen konsistent und wählt diejenige Strategie, die für ihn am besten ist. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 13 Das Nash-Gleichgewicht • Definition: Eine Strategiekombination s*=(s1*,…,sm*) heißt Nash-Gleichgewicht, wenn si* beste Antwort ist auf s-i* für alle i=1,…,m. • Kein Spieler sollte von seiner Strategie abweichen wollen, nachdem er die Aktionen seiner Gegner beobachten konnte, d.h. die gewählte Strategie ist die beste Antwort auf die Strategien der anderen Spieler. John Nash (*1928) Mathematiker & Ökonom Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (1994) Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 14 7 02.06.2010 Spielbaum 1/2 • Spielbaum: Präsentation eines Spieles in extensiver Form bestehend aus Knoten und Kanten • Knoten: Punkt an dem eine Kante beginnt oder endet • Kante (Ast): Jede an einem Knoten beginnende Kante präsentiert eine Strategie, die am Knoten gewählt werden kann. • Endknoten: Endpunkt des Spiels, an dem keine weiteren Aktionen möglich sind und die Auszahlungen der Spieler realisiert werden. • Strategie: eine Aktion an einem Knoten des Spielbaums • Strategie: ein vollständiger Verhaltensplan für einen Spieler, der für jeden Knoten angibt, welche Aktion gewählt werden soll. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 15 Spielbaum 2/2 Ann Go Stop Chris safe 3 5 3 1 Bob risky 2 Ann Natur Bad 50% 2 8 -1 2 10 6 Good 1 50% 1 6 3 4 0 1 3 Deb low high 0 -2.7 0 0 1.3 2 -11 3 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen up 2 7 4 1 down 1 -2 3 0 16 8 02.06.2010 Teilspiele 1/2 • Teilspiel ist der Restspielbaum, der von einem Knoten ausgeht, einschließlich der Bewertungen, die zu den Endknoten des Restspielbaums gehören (=ein Knoten, der kein Endknoten ist, und alle darauf folgenden Knoten) • Definition: Sei Γ‘ ein teilspiel von Γ. Dann induziert jede Strategie s von Γ eine Strategie s‘ von Γ‘ dadurch, dass Züge von s, die sich auf Knoten in Γ‘ beziehen übernommen werden. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 17 Teilspiele 2/2 Ann Go Stop Chris safe 3 5 3 1 Bob risky 2 Ann Natur Bad 50% 2 8 -1 2 10 6 Good 1 50% 1 6 3 4 0 1 3 Deb low high 0 -2.7 0 0 1.3 2 -11 3 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen up 2 7 4 1 down 1 -2 3 0 18 9 02.06.2010 Gleichgewichte in sequentiellen Spielen 1/2 • Definition: Ein Nash-Gleichgewicht heißt teilspielperfekt, wenn es auf jedem Teilspiel ein Nash-Gleichgewicht induziert. • Backward Induction (Rollback): Analyse der Strategiewahl eines Spieler an jedem Knoten des Spiels, beginnend mit dem Endknoten – Identifizieren und Streichen der Äste des Spielbaums, die von einem rationalen Spieler nicht gewählt werden – Die Strategie (vollständiger Handlungsplan) eines Spielers, die erhalten bleiben, nachdem alle nicht gewählten Kanten gestrichen wurden, zeigt das Gleichgewicht. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 19 Lösen von Spielbäumen 2/2 Ann Go Stop Chris Bob safe risky 3 5 3 1 Nature Erwartete Auszahlung: =1.5 Bad 50% 2 8 -1 2 Gleichgewicht: A: (Go, up) B: (1) C: (safe) D: (high) 10 6 Good 1 50% 1 6 3 4 0 1 3 2 Ann Deb low high 0 -2.7 0 0 1.3 2 -11 3 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen up 2 7 4 1 down 1 -2 3 0 20 10 02.06.2010 Beispiel 2: Raucher oder Nichtraucher? Entscheidung try heutige Carmen not 0 continue not -1 +1 try not zukünftige Carmen 0 not -1 +1 +1 Gleichgewicht: -1 heutige C: (not) zukünftige C: (continue) Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 21 Vorteile der Reihenfolge • First-mover advantage: es ist vorteilhaft, den ersten Zug zu haben • Second-mover advantage: es ist vorteilhaft den zweiten Zug zu haben – Beispiel: Preissetzung • In einigen Spielen ist das Ergebnis durch den Aufbau des Spiels bestimmt und die Reihenfolge der Züge spielt keine Rolle. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 22 11 02.06.2010 Übung 1 • Bestimmen Sie die Gleichgewichte in den folgenden Spielen a) X c a b Y d X Y e f -1 2 0 1 Y Y 0 1 g h i 2 2 -2 0 -1 3 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 23 Übung 1 • Bestimmen Sie die Gleichgewichte in den folgenden Spielen b) Spieler 1 b a Spieler 2 c S1: 1 S2: 1 S3: 1 Spieler 3 d e 0 0 3 f 3 3 0 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 2 0 1 24 12 02.06.2010 Übung 1 • Bestimmen Sie die Gleichgewichte in den folgenden Spielen A c) a b Zufall 5 8 2/3 1/3 B B c d A: 3 B: -4 1 2 e 5 8 f 7 9 Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 25 Übung 2 Unternehmen A kann eine Abteilung F&E aufbauen, die 10 Mio. Euro pro Jahr kostet. Diese Entscheidung ist allgemein bekannt (common knowledge). Sie gestattet, flexibel auf den Markteintritt eines weiteren Unternehmens zu reagieren. Bleibt A allein im Markt, so macht es einen Gewinn von 20 Mio. Euro pro Jahr (ohne Aufwendungen F&E). Entscheidet sich Unternehmen B zu einem späteren Zeitpunkt in den Markt einzutreten, so machen beide einen Gewinn von 5 Mio. pro Jahr, falls A keine F&EAbteilung aufgebaut hat. Falls A eine F&E-Abteilung hat, so macht A einen Gewinn von 10 Mio. Euro (ohne F&EAufwendungen) und B einen Verlust von 5 Mio. Euro. Stellen Sie die Situation als Spiel in extensiver Form dar und finden Sie das teilspielperfekte Gleichgewicht. Friedel Bolle, Claudia Vogel: Spieltheorie mit sozialwissenschaftlichen Anwendungen 26 13