DIE WELT HAMBURG 37 SAMSTAG, 8. OKTOBER 2016 VOJTA FRAGT NACH land gut leben. Bestimmt kann man als Banker oder Fußballspieler mehr Geld verdienen. (lacht) „Jeder Zahn ist wertvoll“ Faulen Zähne auch? Selbstverständlich. Die beiden großen Zahnkrankheiten sind die Parodontitis und die Karies, die früher als Zahnfäule bezeichnet wurde. Ein Gespräch über Ängste und die Kunst guter Implantate Kann man dadurch auch Mundgeruch bekommen? Durch diese Kombination können Sie heftigen Mundgeruch bekommen. Wie merke ich eigentlich, dass ich Mundgeruch habe? Das ist leider ein Problem. Das merken Sie am ehesten am Verhalten Ihrer Umgebung. Inwiefern? Dazu vielleicht ein Beispiel aus der Geschichte: Ludwig XIV. litt unter starkem Mundgeruch. Weil sein Leibarzt nicht wollte, dass er wie ein normaler Mensch an Zahnkrankheiten sterben könnte, hat er sich durch ihn alle Zähne rausreißen lassen, wodurch seine Kieferhöhle eröffnet wurde. Was passierte dadurch? Nahrungsreste gelangten in die Kieferhöhle und er hatte extremen Mundgeruch. Seine Maitresse riet ihm deshalb, ins Kloster zu gehen. Wenn’s ihm niemand sagte, sagte es ihm zumindest seine Maitresse. (lacht) I n Hamburg gibt es mehr als 1000 Zahnärzte. Rund 350 Zahnärzte geben als Schwerpunkt Implantologie an – man kann sich freiwillig zertifizieren lassen. Es besteht aber keine Verpflichtung dazu. Also kann sich jeder Zahnarzt auch als Implantologe bezeichnen. Es gibt darunter hervorragende Spezialisten. Einer von ihnen ist Dr. Bernhard Brinkmann. Er ist Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und gehört seit 2011 laut diversen Rankings zu Deutschlands Topärzten für Implantologie. Ein auf den Zahn fühlendes Gespräch über König Ludwig XIV., festsitzende Zahnkronen und den Chef als Primus inter Pares. VON NORBERT VOJTA DIE WELT: Herr Dr. Brinkmann: Was sind meine Zähne wert? JÜRGEN JOOST Dr. Bernhard Brinkmann und Autor Norbert Vojta in einem Besprechungszimmer der Zahnklinik ABC Bogen Zur Person Dr. Bernhard Brinkmann wurde am 16. August 1956 in Lindern geboren. Nach dem Abitur folgte ein Studium der Medizin und Zahnmedizin in Aachen, Hamburg und New York. 1995 eröffnete er seine erste Gemeinschaftspraxis in Hamburg. 1996 war er Arzt für Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie und Implantologie am Michaelis-Krankenhaus. 2000 wurde er leitender Arzt an der Zahnklinik ABC Bogen. Er ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Fachgesellschaften und gehört laut Rankings zu den Topärzten für Implantologie in Deutschland. BERNHARD BRINKMANN: Der Wert Ih- rer Zähne für Sie ist natürlich gar nicht zu beziffern. Wenn Sie den Materialwert ihrer Prothetik meinen, der ist bei Gold höher als bei Keramik. Ästhetisch anspruchsvollen keramischen Zahnersatz individuell anzufertigen setzt große Erfahrung und hohen Zeitaufwand voraus und ist deshalb natürlich teurer. Wird heute noch Gold verarbeitet? Immer weniger, es gibt immer mehr Keramik, weil die Patienten natürlich wirkende Zähne haben wollen. Metalle sind nicht durchscheinend und lichtundurchlässig. ANZEIGE Haben Sie bei meinen Zähnen auch Implantate entdeckt? Wenn Sie ein Implantat hätten, könnte ich es bei einer gründlichen Untersuchung entdecken. Implantate, die regelhaft gesetzt sind, sieht man so gar nicht. Ein gutes Zahnimplantat funktioniert ähnlich einer Zahnwurzel. Es sitzt fest im Kiefer und der Zahnersatz, also die Zahnkrone, wird auf ihm befestigt. Auch eine Brücke? Krone und Brücke bezeichnen Zahnärzte als Prothetik. Welche Prothetik das Implantat trägt, ist von der Planung abhängig. Man kann ein Einzelzahnimplantat mit einer hübschen Krone versorgen, Implantate können aber auch Brücken oder herausnehmbaren Zahnersatz tragen. Alles sieht aus wie natürliche Zähne. Niemand kann sehen, dass sich ein Implantat darunter versteckt. Haben Sie in der Zahnklinik ABC Bogen ein Alleinstellungsmerkmal? Bei uns arbeiten Spezialisten aller Disziplinen der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde unter einem Dach eng zusammen. Wir werden bei unserer Arbeit auch von Anästhesisten unterstützt. Es gibt regelmäßig fast seitengroße Anzeigen von Zahnärzten, die behaupten, dass man alle Zähne auf Implantaten an einem Tag ersetzen kann. Ist das Lüge und Betrug? In gewisser Weise ja. Was in seltenen Ausnahmefällen möglich ist, kann man nicht als Standardlösung darstellen. Bei den allermeisten Patienten ist es nicht möglich, die gesamte Versorgung an einem Tag zu machen und damit ein langfristig erfolgreiches Ergebnis zu erreichen. Sind Implantate eine fummelige Angelegenheit? Die chirurgischen Kenntnisse, die zum Einbringen von Implantaten erforderlich sind, werden häufig unterschätzt. Der Implantologe, also der implantierende Chirurg, sollte über großes manuelles Geschick verfügen. Erkennen Sie Implantate, die Sie gesetzt haben, im Röntgenbild wieder? Gut gesetzte Implantate erkenne ich im Röntgenbild. Ob sie dann von mir sind, oder nicht. (lacht) Haben die Menschen ein schwieriges Verhältnis zu ihren Zähnen? Ja, das ist häufig. Vielleicht schon fast in unserer DNA. Was meinen Sie damit? Dass die Angst vor Zahnkrankheiten sehr alt ist. Es ist kaum länger als 100 Jahre her, dass Zahnkrankheiten zu den häufigsten Todesursachen gehörten. Insbesondere seitdem der Mensch sesshaft wurde, seitdem er Getreide isst, hat er Angst vor Zahnschmerzen und den damit einhergehenden Problemen. Was sind Sie nun eigentlich? Zahnarzt oder Kieferchirurg? Ich bin Kieferchirurg. Neben Zahnmedizin muss man auch Humanmedizin studiert haben und eine fünfjährige Facharztausbildung zum Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen absolviert haben. Möchten Sie also nicht so gerne als Zahnarzt bezeichnet werden? Ich kann nicht sagen, dass ich nicht gerne als Arzt oder Zahnarzt bezeichnet werden mag, würde mich aber nach meinem Hauptarbeitsgebiet am ehesten als Chirurg sehen. Was ist der Unterschied zwischen einem Kieferchirurgen, der Sie sind, und einem Oralchirurgen? Ein Zahnarzt, der gerne operiert, kann sich, und das macht auch sehr viel Sinn, chirurgisch weiterqualifizieren. Er muss dann eine drei- bis vierjährige Weiterbildung zum Oralchirurgen machen und kann sich anschließend Fachzahnarzt für Oralchirurgie nennen. Er ist dann aber immer noch kein Kieferchirurg? Der Arzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie operiert deutlich über das oralchirurgische Spektrum hinaus. Reparieren Sie auch Pfusch von anderen Zahnärzten? Seitdem Implantate in sehr, sehr vielen Praxen angeboten werden, sehen wir in unseren spezialisierten Zentren eine erhebliche Zunahme an Implantatfällen, die wir wieder korrigieren müssen. Wie kommt das? Je höher der Erfahrungs- und Ausbildungsgrad des Implantologen und je häufiger der Arzt Implantate setzt, desto sicherer werden diese nachhaltig funktionieren. Ein guter Zahnarzt wird seinen Patienten im Zweifel einen geeigneten Spezialisten empfehlen. Was sind die häufigsten Beschwerden, mit denen die Patienten zu Ihnen kommen? Meiner Spezialisierung entsprechend kommen natürlich viele Menschen zu mir, die Implantate benötigen oder bei denen Kiefer und Zahnfleisch zur Aufnahme von Implantaten wiederhergestellt werden müssen. In den letzten Jahren sind es immer häufiger Patienten, bei denen andernorts durchgeführte Implantatbehandlungen korrigiert werden müssen. Grundsätzlich sollte man nicht unterschätzen, wie sehr sich Menschen durch Zahnkrankheiten kompromittiert fühlen. Wissen Sie, wie viele Implantate Sie bisher gesetzt haben? Das müssen mehr als 10.000 gewesen sein. (lacht) Ich finde, das ist schon relativ viel. Es ist jedoch nicht nur eine Frage der Zahl, es geht um die Qualität und nicht um die Quantität! Bringt Ihnen das nach so vielen Implantaten überhaupt noch Spaß? Ja, denn jedes Implantat bedeutet Wiederherstellung und damit die Lösung eines Problems meiner Patienten. Wozu benötigen Sie Anästhesisten? Viele Patienten, die zu uns kommen, haben schon schlechte Erfahrungen gemacht und Angst vor der Behandlung. Unsere Anästhesisten unterstützen uns dann, damit wir unsere Patienten so angst- und schmerzfrei wie möglich behandeln können. Wie nehmen Sie den Patienten ihre Angst? Wir führen mit jedem unserer Patienten zunächst ein ausführliches Gespräch. Dabei vermeiden wir die typische Behandlungssituation, die für viele unserer Patienten schon angsteinflößend ist. Ist nicht eigentlich jeder Zahn erhaltungswürdig? Zahnerhaltung ist das erklärte Ziel, jeder Zahn ist wertvoll. Aber es gibt natürlich auch Zähne, die man nicht erhalten kann. Wir haben klare Kriterien, dieses zu beurteilen. Sie sind mit Ihrer Zahnklinik Mitglied der „European Centers for Dental Implantology“ (ECDI). Das bedeutet? Vor sieben Jahren haben sich implantologische Zentren in Deutschland und weiteren europäischen Ländern in dieser Organisation zusammengeschlossen. Schwerpunkt unserer Arbeit ist die Weiterentwicklung der dentalen Implantologie. Alle Zentren sind auch auf die Implantatversorgung der Patienten bei schwierigen Situationen spezialisiert. Wie viele Zentren gibt es in Deutschland? In Deutschland gibt es 17 Zentren. Wir haben regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen und alle Zentren führen gemeinsame Implantatstatistiken und beteiligen sich an Forschungsprojekten. Zurzeit führen wir die, nach meinem Wissen, weltweit größte Studie zu Implantatverlusten durch. Wie oft müssen Zahnärzte zur Fortbildung? Für Ärzte und Zahnärzte gibt es eine vorgeschriebene Punktzahl, die durch Fortbildungen und Kongressbesuche erreicht werden muss. Im zahnärztlichen Bereich wird für die Implantologie allerdings keine zusätzliche Qualifikation vorausgesetzt. Warum wird das nicht zertifiziert? Man kann sich freiwillig zertifizieren lassen, aber es besteht keine Verpflichtung. Grundsätzlich kann sich jeder Zahnarzt als Implantologe bezeichnen. Zu welchem Zahnarzt gehen Sie? Selbstverständlich zu den Zahnärzten, mit denen ich hier in der Zahnklinik zusammenarbeite. Wie ist das, wenn der Chef auf dem Stuhl sitzt? Ich verstehe mich nicht als Chef, sondern eher als Primus inter Pares. Meckert der Primus inter Pares bei der Behandlung auch rum, wenn ihm etwas nicht gefällt? Kann man damit gut Geld verdienen? Wenn man nach der Gebührenordnung abrechnet, kann man damit in Deutsch+ Ich meckere schon, wenn mir etwas nicht gefällt. (lacht) Haben Sie schon mal selbst beim Zahnarzt Angst gehabt? Selbstverständlich. Es gibt nach meiner Meinung niemanden, der sagt, dass er sich völlig angstfrei auf einen Zahnarztstuhl setzt. Wenn Sie Kinder haben sollten, kommen die dann auch zu Ihnen in die Klinik? Meine Frau und ich haben drei Kinder und die kommen auch zu uns. Behandelt Papa dann ganz anders? Ich bin Gott sei Dank in der Lage, meine Kinder in meiner eigenen Praxis von meinen Kollegen behandeln zu lassen. Warum heißt der Weisheitszahn Weisheitszahn? Weil er normalerweise erst im fortgeschrittenen jugendlichen Alter durchbricht. Er ist der letzte Zahn, der mit der sich entwickelnden „Weisheit“ den Durchbruch hat. Mir ist mit fast 63 Jahren der erste Weisheitszahn gezogen worden. Wa- rum hatte ich so viel Angst davor? Es gibt kaum einen Bereich der Medizin, vor dem Menschen mehr Angst haben, als vor der Kieferchirurgie. Vielleicht weil das Entfernen von Zähnen früher fast immer mit erheblichen Beschwerden einhergegangen ist. Sollte man sich seine Weisheitszähne früh herausnehmen lassen? Es ist nicht zwingend, kann aber von Vorteil sein. Warum von Vorteil? Weisheitszähne, die nicht richtig durchbrechen, können erhebliche Probleme verursachen. Haben Sie Ihre Weisheitszähne noch? Nein. Dann besitzen Sie keine Weisheit mehr. Das ist so. Das haben Sie doch in diesem Interview schon bemerkt, oder? (lacht) T Norbert Vojta ist Journalist und Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Sein nächstes Interview erscheint am 23. Oktober in der „Welt am Sonntag“. ANZEIGE