Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd.1

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Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. Bd.1:
Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung,
Frankfurt a.M. 3/1985 & Bd.2: Zur Kritik der funktionalistischen
Vernunft, Frankfurt a.M. 3/1985
19.01.13
(empfohlene Zitierweise: Detlef Zöllner zu Jürgen Habermas, Theorie des
kommunikativen Handelns. Bd.1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche
Rationalisierung, Frankfurt a.M. 3/1985 & Bd.2: Zur Kritik der
funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a.M. 3/1985, 19.01.2013, in:
http://erkenntnisethik.blogspot.de/)
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Individuell oder singulär?
Grundbegriffe und Grenzbegriffe
Gemeinschaft als Kommunikationsgemeinschaft
Systemisch Unbewußtes
Kolonialisierung der Lebenswelten
Interdisziplinarität in den Grenzen eines methodologischen Dualismus
Transzendenz als Ebenendifferenz
Rollen versus Masken
Entwicklungsdynamiken als Lernprozeß
Nicht nur, weil der Sozialwissenschaftler seine Forschungsgegenstände, die sozialen Phänomene, immer schon verstanden haben muß, ist es problematisch,
wenn Habermas „Rollen“ als „soziale Tatsachen“ darstellt, deren „Faktizität ... keiner Begründung mehr (bedarf)“. (Vgl.Bd.2: S.347) Denn ungeachtet dessen, daß
‚Tat‘-Sachen ähnlich wie die Etymologie des Wortes „Faktum“ auf das GemachtSein von empirischen Ereignissen verweisen, die keineswegs als „Datum“, als
Gegebenes einfach so in der Welt vorkommen, meint Habermas, an dieser Stelle
konform mit dem konventionellen Sprachgebrauch von ‚Tatsache‘ und ‚Faktizität‘, doch eben genau dieses: die „Geltungsansprüche“ werden in den „Rollen“
objektiv aufbewahrt, wo wir sie nur noch entsprechend den situativen Anlässen
zu entnehmen brauchen. Ganz ähnlich verweist Habermas in seiner Besprechung
zu Tomasellos „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“ (2009) auf
den objektiven Charakter von Symbolen: „Symbolen sieht man gewissermaßen
ihre Kommunikationsfunktion an.“ (ZEIT-ONLINE 2009; vgl. auch meinen Post
vom 13.01.2013) – Wir finden Symbole samt ihren Geltungsansprüchen einfach
vor, wenn wir hinsehen.
In den sozialen Rollen als sozialen Tatsachen liegen also die „Geltungsansprüche“, die das kommunikative Handeln von Aktoren regulieren, faktisch vor. Daß
es zur Einlösung dieser Geltungsansprüche einer gemeinsamen Interpretationsleistung seitens der Beteiligten bedarf, ändert nichts an ihrer faktischen Geltung.
Dennoch führt diese Verschmelzung von „Geltungsansprüchen“ und „Rollen“
zu sozialen Tatsachen, die an die Inter-Faktizität von Merleau-Ponty und MeyerDrawe erinnert (vgl. meinen Post vom 05.12.2011), zu einer Vernachlässigung
der Funktion der Rolle als Maske, wie sie Plessner in seinem Buch zu den „Grenzen der Gemeinschaft“ (1924) beschreibt. (Vgl. meinen Post vom 16.11.2010) An
den Begriffen der „Rolle“ und der „Maske“ wird wieder einmal der Unterschied
zwischen Grundbegriffen und Grenzbegriffen deutlich. (Vgl. meinen Post vom 14.
01.2013) Der Begriff der „Rolle“ bildet einen Grundbegriff der Sozialwissenschaft. Der Begriff der „Maske“ bildet hingegen einen sozialen Grenzbegriff. Und
Plessner verwendet ihn nicht von ungefähr bei seiner grenzbegrifflichen Differenzierung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“: „Zum Grundcharakter des Gesellschaftsethos gehört ... die Sehnsucht nach den Masken ...“ (Vgl. Plessner 2001/
1924, S.41)
Der Begriff der Maske beinhaltet die Möglichkeit einer exzentrischen Positionierung der in Gesellschaften interagierenden Individuen. Die Masken ermöglichen es ihnen, sich gleichzeitig zu zeigen und zu verbergen: „Der Mensch verallgemeinert und objektiviert sich durch eine Maske, hinter der er bis zu einem gewissen Grade unsichtbar wird, ohne doch völlig als Person zu verschwinden.“
(Vgl. Plessner 2001/1924, S.82) – Dieser Mechanismus des gleichzeitigen SichZeigens und Verbergens erinnert nicht von ungefähr an Plessners Definition der
Seele als einem „noli me tangere“. (Vgl. Plessner 2001/1924, S.65)
Die Maske verhilft also zu einer Auflösung der Rousseauschen Mensch-Bürger-Antinomie, nicht gleichzeitig Mensch und Bürger sein zu können. Mit Hilfe
der Maske entzieht sich das Individuum den Zudringlichkeiten der Gesellschaft
(und der Gemeinschaft), so daß die Gesellschaft nun in Form der „Öffentlichkeit“
zur Bühne seiner Selbstbehauptung werden kann. Anstatt seine Rollen nur zu ‚leben‘, beginnt der Mensch sie nun in seinen alltäglichen gesellschaftlichen Beziehungen als Masken zu nutzen und mit ihnen zu spielen: „Dieses Reich der Alltäglichkeit ... kennen wir alle: es ist die Gesellschaft im Sinne der Einheit des Verkehrs unbestimmt vieler einander unbekannter und durch Mangel an Gelegenheit,
Zeit und gegenseitigem Interesse höchstens zur Bekanntschaft gelangender Menschen. Und wir kennen auch diesen tänzerischen Geist, dieses Ethos der Grazie:
das gesellschaftliche Benehmen, die Beherrschung nicht nur der geschriebenen und
gesetzten Konventionen, die virtuose Handhabung der Spielformen, mit denen sich
die Menschen nahe kommen, ohne sich zu treffen, mit denen sie sich voneinander
entfernen, ohne sich durch Gleichgültigkeit zu verletzen.“ (Vgl. Plessner 2001/
1924, S.80)
Weit entfernt davon, soziale Phänomene als Tatsachen zu beschreiben, verwandelt Plessner sie in eine Bühne, auf der die Individuen ihr Maskenspiel betreiben. Anstatt einer Verschmelzung von Rolle und Individuum das Wort zu reden,
plädiert Plessner für ein Spiel mit der Differenz, für einen tänzerischen Geist.
Dem habe ich hier nichts weiter hinzuzufügen.
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