Internationaler Kongress für gemeindeorientierte Suchttherapie Chancen und Grenzen … Holz ist geduldig, und oft bietet es, innen wie außen, bizarre Strukturen. Beide Eigenschaften gefallen Hermann-Lutz Daake. Der 49-jährige alkoholkranke Mann freut sich, als eine interessante Patina zum Vorschein kommt, während er mit einem Hammer einen alten Balken von seiner morschen Oberfläche befreit. Die Holzstruktur gibt ihm das Kunstwerk vor – genauso wie die Arbeit ihm seine Tagesstruktur vorgibt. »Das ist existenziell für mich!«, sagt er. denen es um den »Kick«, um das schlichte Rauscherlebnis und das Gefühl von Dominanz und »Power« gehe. Für diese Patienten ist es schwierig, gute Gründe für Abstinenz zu finden. Prof. Dr. Martin Driessen machte zudem deutlich, dass man beide Gruppen nicht immer klar voneinander trennen könne und die Grenzen teilweise verschwimmen würden. Das erschwere die Therapie zusätzlich. »Und wenn Patienten auf positive Verstärker überhaupt nicht anspringen, dann müssen wir schauen, welche anderen Faktoren wir eventuell nicht im Blick haben«, so Martin Driessen. Möglicherweise habe man es mit einer dritten Gruppe zu tun: den Gewohnheitstrinkern. Hermann-Lutz Daake arbeitet jeden Vormittag drei Stunden in einer Kreativwerkstatt der Gesellschaft für Arbeits- und Berufsförderung in Bielefeld. Dort baut er Vogelhäuschen und Schaukelpferde, gestaltet bizarre Kunstwerke oder restauriert Möbel. Zurzeit ist Hermann-Lutz Daake trocken und fühlt sich »relativ stabil«. Die Arbeit, besonders aber seine Familie sind für ihn eine wichtige Motivation, um seine Sucht in den Griff zu bekommen. Dass beides lohnende Ziele sind, ist dem Bielefelder besonders bewusst geworden, seit er in Bethel nach dem CRA-Ansatz therapiert wird. »Diese Methode hilft mir«, freut er sich. Der Therapie-Ansatz »Community Reinforcement Approach« (CRA) funktioniert nach dem »Prinzip Belohnung«. Für Menschen, die alkoholabhängig oder drogensüchtig sind, muss es gute Gründe geben, um den Konsum zu beenden. Darum bezieht das Konzept erstrebenswerte Lebensziele in die Behandlung mit ein. Das kann eine Lebenspartnerschaft sein, eine eigene Wohnung, der Erhalt des Arbeitsplatzes oder der Erwerb des Führerscheins. Das CRA-Modell aus den USA wird 12 Die Betheler CRA-Experten (v. l.) Dr. Martin Reker, Dr. Georg Kremer, PD Dr. Ralf Demmel und Prof. Dr. Martin Driessen freuten sich über die große Resonanz der Tagung. federführend von dem leitenden Betheler Arzt und Experten für Abhängigkeitserkrankungen, Dr. Martin Reker, in Deutschland verbreitet und etabliert. Bei vielen suchtkranken Menschen, wie Hermann-Lutz Daake, wird der Ansatz erfolgreich angewendet. Doch nicht bei allen Patienten kann das Modell »Eins-zu-Eins« umgesetzt werden. Über die Möglichkeiten und Grenzen des international anerkannten Therapie-Ansatzes diskutierten Mitte März rund 260 Suchttherapie-Experten aus ganz Deutschland in Bielefeld-Bethel. Der mittlerweile dritte Kongress für gemeindeorientierte Suchttherapie im Assapheum fand unter der Leitung von Dr. Martin Reker statt. Besondere Schwierigkeiten stellen die Experten fest bei Menschen mit hirnorganischen Folgeschäden, mit TraumaFolgestörungen oder mit Herkunft aus anderen Kulturkreisen. Bei der Tagung in Bethel wurden darum individuelle CRA-Therapieformen vorgestellt. Prof. Dr. Martin Driessen, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, erläuterte zu Beginn der Tagung die unterschiedlichen »Typen« alkoholabhängiger Menschen, vor allem den »Relief-Trinker« und den »Reward-Trinker«. Relief-Trinker sind überwiegend Angst- oder Stresstrinker. Sie trinken, um einen entspannten positiv-emotionalen Zustand zu erlangen. Bei den RewardTrinkern hingegen stehen die Stimulationseigenschaften des Alkohols im Vordergrund. Für die Anwendung und den Erfolg der CRA-Therapie sind diese unterschiedlichen Beweggründe von großer Bedeutung. Relief-Trinker Realitätsverlust Große Erfahrung mit »chronifizierten Trinkern« hat Privatdozent Dr. Ralf Demmel, seit zwei Jahren therapeutischer Leiter des Heimathofs von Bethel.regional. Der Diplom-Psychologe und Dozent an der Universität Münster lenkte die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich im Gehirn, der beim Menschen Bei den Relief-Trinkern greife der CRA-Ansatz nur schwer, wenn der Betroffene an einer Depression oder an einem Trauma leide, informierte Prof. Driessen. Denn die Patienten wüssten, dass bei einem Verzicht die negativen Gefühle Überhand gewinnen würden. Der Belohnungseffekt alleine reiche dann nicht aus. Man müsse Sinn stiftende Anreize bieten und bei einem Verzicht gleichzeitig die negativen Auswirkungen bekämpfen – zum Beispiel über entsprechende Medikamente. Schwierig ist die CRA-Therapie auch bei den Reward-Trinkern, Hermann-Lutz Daake hilft die CRATherapie. Fotos: Elbracht Chancen und Grenzen des »Prinzips Belohnung« Rund 260 Suchttherapie-Experten aus ganz Deutschland diskutierten über spezielle Patientengruppen bei der CRA-Therapie. wichtig für die Emotionen ist: auf den »orbitofrontalen Cortex«. Der Bereich habe viele Funktionen, die für die Therapie wichtig seien. »Da geschieht zum Beispiel so etwas wie ein ›Update‹. Dabei wird geprüft, ob das, was ich erwartet habe, wirklich geschieht«, so Ralf Demmel. Bei vielen suchtkranken Menschen scheine in diesem Teil des Stirnhirns aber etwas schief zu laufen. Die Patienten würden oft an einem »fundamentalen Steuerungsdefizit« leiden. »Bei vielen passiert dieses ‚Update‘ anscheinend nicht mehr. Ihre Erwartungen sind völlig veraltet. Ältere Patienten halten sich immer noch für 20 und überschätzen sich.« Für die Behandlung sei dieser Realitätsverlust mühsam. »Sie unterschätzen ihr Rückfallrisiko und sind blind für Risiken.« Dann gehe es nicht darum, ihre Zuversicht zu fördern, sondern eher darum, sie zu erden, ohne sie zu frustrieren. »Das ist eine schwierige therapeutische Balance.« Eine besondere Herausforderung bei der CRA-Therapie ist auch der »Star« unter den suchtabhängigen Patienten. Andreas Jung, leitender Psychologe der AHG Klinik Münchwies, beschrieb die Herausforderungen mit »Narzissten«. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen hätten ein übersteigertes Selbstwertgefühl. Sie hielten sich für etwas Besonderes. Entsprechend würden sie gegenüber ihren Therapeuten auftreten. »Es ist schwierig, wenn wir so jemanden vor uns haben«, weiß Andreas Jung. Das Verhalten werde von den Patienten nicht als Störung wahrgenommen. Daher mache es keinen Sinn, sie zur Einsicht zu bewegen. Häufige Therapieabbrüche, belastete therapeutische Beziehungen und Probleme mit anderen Patienten seien oft die Folge. Bei dem Verhalten handele es sich um eine »Überlebensstrategie zum Schutz der eigenen Verletzlichkeit«. Andreas Jung stellte ein Programm vor, dass es ermöglicht, wertschätzend und empathisch mit diesen Patienten umzugehen. Das Programm setze auf Transparenz und »nicht-konfrontative Motivationsstrategien«, so der Diplom-Psychologe, und es orientiere sich an den Ressourcen des Patienten. Wichtige Bestandteile seien Persönlichkeitsspiele mit Psychoedukation und speziellen therapeutischen Übungen. – Gunnar Kreutner – 13