Wahrscheinlichkeitstheorie III 1.3 Martingale (Fortsetzung)

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Wahrscheinlichkeitstheorie III
1.3
Teil 2
Martingale (Fortsetzung)
(II) Stoppsatz
Wir haben in der VL WT II den Stoppsatz für Martingale in diskreter Zeit kennengelernt:
Ist (Xn )n∈N ein (Fn )n≥0 -Martingal dann gilt für beschränkte (Fn )n≥0 -Stoppzeiten S, T
mit S ≤ T , dass
E (XT | FS ) = XS .
Ist (Xn )n≥0 ein Submartingal, so gilt exakt mit demselben Beweis entsprechend
E (XT | FS ) ≥ XS .
In dieser Form werden wir den Stoppsatz auf den zeitkontinuierlichen Fall übertragen. Dazu
einige Vorbereitungen.
Von nun an sei wieder (Ft )t≥0 eine Filtration (mit kontinuierlicher Indexmenge [0, ∞)) auf
einem zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P ).
Lemma 1.38. Es sei T eine (Ft )t≥0 -Stoppzeit. Dann gilt:
(i) ∃ Stoppzeiten Tn mit Tn (Ω) endlich ∀n und Tn (ω) ↓ T (ω)∀n ≥ n0 (ω).
(ii) Sei S eine (Ft )-Stoppzeit und B ∈ FS , dann gilt:
B ∩ {S ≤ T }, B ∩ {S < T } ∈ FS∧T .
(iii) Sei (Xt )t≥0 Rd -wertig und adaptiert. Ist (Xt )t≥0 rechtsstetig, so ist XT FT -messbar.
Beweis. (i) Betrachte:
n
n2
X
k
1 k−1 k (T (ω)) + n1[n,∞[ (T (ω)) .
Tn (ω) :=
2 n [ 2n , 2n [
k=1
(ii)
B ∩ {S ≤ T } ∩ {S ∧ T ≤ t} = (B ∩ {S ≤ t}) ∩{S ≤ T }
{z
}
|
∈Ft
Dann gilt auch
= (B ∩ {S ≤ t}) ∩ {S ∧ t ≤ T ∧ t} ∈ Ft
|
{z
}
FS∧t -messbar
B ∩ {S < T } = (B ∩ {S ≤ T })\{S ≥ T } ∈ FS∧T .
(iii) Nach Satz 1.26 ist (Xt )t≥0 progressiv messbar und damit XT nach Satz 1.23
FT -messbar.
16
Theorem 1.39. Stoppsatz Es sei (Xt )t≥0 ein rechtsseitig stetiges Submartingal, S, T
beschränkte Stoppzeiten mit S ≤ T . Dann gilt:
XS ≤ E(XT |FS ) .
Falls (Xt ) Martingal, so gilt XS = E(XT | FS ). Insbesondere ist für jedes rechtsstetige
nichtnegative Submartingal (Xt )t≥0 und jedes t ≥ 0 die Familie
{XT : T Stoppzeit , T ≤ t}
gleichgradig integrierbar.
Beweis. Zunächst sei Xt ≥ 0 ∀t. Es sei S ≤ T ≤ t und G die Menge aller Stoppzeiten mit
S ≤ t und
XS ≤ E (Xt | FS ) .
Dann gilt für alle Stoppzeiten S mit S(Ω) endlich nach dem Stoppsatz für Martingale in
diskreter Zeit, dass S ∈ G. In der Tat: ist S(Ω) = {i0 , i1 , . . . , ik } eine Aufzählung des
Wertebereiches von S, so können wir nach Übergang zu
(
Fin für 0 ≤ n ≤ k
An :=
Fik sonst .
Xt , t ∈ S(Ω), als (An )n≥0 -Submartingal auffassen. Der diskrete Stoppsatz impliziert nun,
dass XS ≤ E (Xt | AS ). Nun gilt aber FS ⊂ AS (warum?) und damit folgt aus der
Projektivität der bedingten Erwartung
XS = E (XS | FS ) ≤ E (E (Xt | AS ) | FS ) = E (Xt | FS ) .
Die Familie {XS | S ∈ G} ist gleichgradig integrierbar, denn
sup E(XS ; XS ≥ R) ≤ sup E(Xt ; XS ≤ R)
S∈G
S∈G
≤ sup E(Xt ; Xt∗ ≥ R) → 0
R→∞
S∈G
aufgrund der Doobschen Maximalungleichung Satz 1.36.
Sei Sn :=
[2n S]+1
2n
∧ t, Tn analog. Dann folgt Sn ↓ S, Sn (Ω) endlich, Sn ≤ Tn , also
lim XSn = XS ,
n→∞
lim XTn = XT
n→∞
P -f.s.
und in L1 (P ) wegen gleichgradiger Integierbarkeit. Mit dem diskreten Stoppsatz folgt
XS = E (XS | FS ) = lim E (XSn | FS )
n→∞
≤ lim E (E (XTn | FSn ) | FS )
n→∞
=
lim E (XTn | FS ) = E (XT | FS ) .
FS ⊆FSn n→∞
Insbesondere ist G gleich der Menge aller Stoppzeiten S mit S ≤ t, also auch der Zusatz
bewiesen.
17
(n)
Jetzt der allgemeine Fall: Xt nicht notwendigerweise
≥ 0.
Dann ist Yt
(n)
(n)
t ≥ 0 ein Submartingal, ≥ 0. Also YS ≤ E YT | FS , und damit
:= Xt ∨ (−n) + n,
XS ≤ XS ∨ (−n) ≤ E (XT ∨ (−n) | FS ) .
(1.2)
Da T ≤ t folgt
XT ∨ (−n) ≤ E(Xt ∨ (−n) | FT ) ≤ E (|Xt | | FT ) =: Y
| {z }
≤|Xt |
Mithilfe des Satzes von der monotonen Integration (Levischer Konvergenzsatz) folgt nun
E (Y | FS ) − lim E (XT ∨ (−n) | FS ) = lim E(Y − XT ∨ (−n) | FS ) = E (Y − XT | FS )
n→∞
n→∞
{z
}
|
≤Y −XT
= E (Y | FS ) − E (XT | FS ) .
Mit n → ∞ in (1.2) folgt XS ≤ E (XT | FS ).
Wir geben zum Schluss noch einige Ergänzungen zum Stoppsatz.
Satz 1.40. Es sei (Xt )t≤0 rechtsstetiges Martingal, T eine Stoppzeit, dann ist (XT ∧t )t≥0
wieder ein rechtsstetiges Martingal.
Beweis. Für 0 ≤ s ≤ t und B ∈ Fs folgt B ∩ {s < T } ∈ FT ∧s und damit
E (XT ∧t , B) = E (XT ∧t , B ∩ {s < T }) + E( XT ∧t , B ∩ {T ≤ s})
| {z }
=XT ∧s
= E (XT ∧s , B ∩ {s < T }) + E (XT ∧s , B ∩ {T ≤ s})
= E (XT ∧s , B)
Korollar 1.41. Es sei (Xt ) (Ft )-adaptiert, rechtsstetig. Dann ist (Xt )t≥0 ein Martingal
genau dann wenn E (XT ) = E (X0 ) für alle beschränkten Stoppzeiten T .
Beweis. „ ⇒ “ folgt aus dem Stoppsatz.
„ ⇐ “ wie im diskreten Fall.
Bemerkung 1.42. Wie bereits im diskreten Fall angemerkt, wird der Stoppsatz für
unbeschränkte Stoppzeiten im allgemeinen falsch. Als Beispiel betrachten wir diesmal eine
stetige Brownsche Bewegung (Bt )t≥0 mit Start in 0 und
T := inf{t ≥ 0 : Bt > +1} .
Dann gilt (wie im Falle der symmetrischen Irrfahrt) T < ∞ P -f.s. (Beweis später),
BT ≡ +1 (Begründung!), also
E(BT ) = 1
aber
E(B0 ) = 0 .
18
(III) Martingalkonvergenzsätze
Als nächstes übertragen wir die Martingalkonzergenzsätze auf den stetigen Fall. Dazu
benötigen wir in einem ersten Schritt die Verallgemeinerung des Doobschen Uprcrossing
Lemmas auf rechtsstetige Submartingale.
Es sei im folgenden wieder eine Filtration (Ft≥0 ) auf einem zugrundeliegenden
Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P ) gegeben. Weiter sei (Xt )t≥0 ein reellwertiger
adaptierter rechtsstetiger Prozess.
Für a < b und t0 > 0 sei
U (a, b; t0 )(ω) := inf{n ≥ 0 | t 7→ Xt (ω) überquert [a, b] höchstens n-mal in [0, t0 )}
die Anzahl der (abgeschlossenen) Aufwärtsüberquerungen des Intervalls [a, b] in der Zeit bis
t0 .
Theorem 1.43. (Doob’s Upcrossing Lemma) Es sei (Xt )t≥0 ein rechtsstetiges
Submartingal, t0 > 0 und a < b. Dann gilt:
E (U (a, b; t0 )) ≤
E ((Xt0 − a)+ )
.
b−a
Beweis. Für n ∈ N0 setze Xkn := X kn . Dann ist (Xkn ) ein (Fk2m )-Submartingal. Weiter sei
2
k0n := max{k | 2kn < t0 } und Un (a, b, k0n ) die Anzahl der Aufwärtsüberquerungen des
diskreten Submartingals X n bis k0n . Dann gilt nach der diskreten Version des Upcrossing
Lemmas (Theorem 4.13, VL WT II)
+
n − a)
E
(X
E ((Xt0 − a)+ )
k
0
E (Un (a, b; k0n )) ≤
≤
.
b−a
b−a
wobei in der letzen Ungleichung die Submartingaleigenschaft
von (Xt − a)+ ausgenutzt
n
+
wurde, so dass also wegen k0 < t0 folgt E (Xk0n − a) ≤ E ((Xt0 − a)+ ).
Aufgrund der Rechtsstetigkeit von t 7→ Xt folgt offenbar Un (a, b; k0n ) ↑ U (a, b; t0 ) woraus
sich mithilfe der monotonen Integration ergibt
E (U (a, b; t0 )) = lim E (Un (a, b; k0n )) ≤
n→∞
E ((Xt0 − a)+ )
.
b−a
Ganz analog zum diskreten Fall ergibt sich nun aus Doob’s Uprcrossing Lemma auch im
stetigen Fall der f.s.-Konvergenzsatz:
Korollar 1.44. (f.s. (Sub-) Martingalkonvergenzsatz) Es sei (Xt )t≥0 rechtsstetiges
Submartingal. Dann gilt:
(i) ∃Xt− (ω) := limsրt Xs (ω) ∈ R ∪ {±∞} P-f.a. ω und Xt− ∈ L1 (P ) ∀t ∈ (0, ∞)
(ii) Falls zusätzlich
sup E (|Xt |) < ∞
t≥0
so gilt ∃X∞ (ω) = limt→∞
∈ R P.f.a. ω und X∞ ∈ L1 (P ).
19
Beweis. (i) Nach Doob’s Upcrossing Lemma gilt E(U (a, b; t)) < ∞, also U (a, b; t) < ∞
P -f.s ∀t, a < b ∈ R, und damit existiert Xt− wie in (i) P -f.s. (Beweis wie im diskreten
Fall). Mit dem Lemma von Fatou folgt
E(|Xt− |) ≤ lim inf E(|Xs |) (|Xs | = Xs+ + Xs− = 2Xs+ − Xs )
sրt
= lim inf 2 E(Xs+ ) − E(Xs )
| {z } | {z }
sրt
≤E(X + )
≤
2E(Xt+ )
− E(X0 )
≥E(X0 )
< ∞, also Xt− ∈ L1 (P ).
(ii) Für a < b gilt
U (a, b; t) ↑ U (a, b; ∞) ,
also
t↑∞
E((Xt − a)+ )
t↑∞
b−a
E(U (a, b; ∞)) = lim E(U (a, b; t)) ≤ lim
t↑∞
≤ sup
t≤0
E(|Xt |) + |a|
<∞
b−a
und damit existiert X∞ wie in (ii) P -f.s. Wie in (i) zeigt man X∞ ∈ L1 (P ).
Der Lp -Martingalkonvergenzsatz gilt dann genauso wie im diskreten Fall:
Korollar 1.45. (LP -Martingalkonvergenzsatz) Es sei (Xt ) rechtstetiges Martingal.
(i) ("p = 1 Fall") Äquivalent sind:
(a) (Xt ) ist gleichgradig integrierbar.
(b) X∞ := limt→∞ Xt existiert in L1 (P ).
(c) ∃ Y ∈ L1 (P ) mit Xt = E(Y | Ft ) für alle t ≥ 0.
W
In diesem Falle gilt: X∞ = E(Y | t≥0 Ft ) P -f.s. und für alle
(Ft )t∈[0,∞] -Stoppzeiten S, T mit S ≤ T gilt
XS = E(XT | FS ) .
Insbesondere
ist (Xt )t∈[0,∞]
ein
(Ft )t∈[0,∞] -Martingal. Hierbei ist
W
S
F∞ := t≥0 Ft = σ t≥0 Ft .
(ii) ("p > 1 Fall") Äquivalent sind:
(a) supt≥0 E (|Xt |p ) < ∞.
(b) X∞ := limt→∞ Xt existiert in Lp (P ).
Der Beweis lässt sich unter Ausnutzung des f.s.-Martingalkonvergenzsatzes Korollar 1.44
Wort für Wort aus dem diskreten Fall übertragen (siehe Korollar 4.16, VL WT II).
Wie einschränkend ist nun die Annahme an ein Submartingal, rechtsstetige Pfade zu
besitzen? Eine Antwort hierauf gibt der nächste Satz.
20
Theorem 1.46. Es sei (Xt )t≥0 ein (Ft )t≥0 -Submartingal. Weiterhin sei die Filtration
(Ft )t≥0 rechtsstetig. Ist dann ebenfalls t 7→ E(Xt ) rechtsstetig, so besitzt (Xt )t≥0 eine
rechtsstetige Modifikation (X̄t )t≥0 die an jeder Stelle t > 0 f.s.-linksseitige Limiten besitzt
(und die natürlich ebenfalls ein (Ft )t≥0 -Submartingal ist).
Der Beweis verläuft wieder über die diskrete Version von Doob’s Upcrossing Lemma,
angewandt aus das Submartingal (Xt )t∈Q∩[0,∞) . In der Tat ergibt sich daraus, dass für alle
t≥0
∃Xt+ =
lim
Xs
P -f.s.
s↓t,s∈Q∩(0,∞)
und aufgrund der Rechtsstetigkeit von t 7→ E(Xt ) ergibt sich Xt = Xt+ . Da die
zugrundeliegende Filtration rechtsstetig ist, ist auch (Xt+ )t≥0 adaptiert und damit ist alles
Wesentliche gezeigt. Einen detaillierten Beweis findet man in [KS91].
Beispiel 1.47. Das folgende (Ft )t≥0 -Submartingal (Xt ) besitzt keine rechtsstetige
Modifikation. Ω = {a, b}, F = P(Ω), P Gleichverteilung auf Ω, Xt (ω) = 0 für t ∈ [0, 1],
(
1
für ω = a
Xt (ω) =
falls t > 1 ist.
−1 für ω = b
Es sei F die von X erzeugte Filtration. Dann ist X offenbar ein F-Martingal, das keine
rechtsstetige Modifikation zulässt (warum?). Da E(Xt ) ≡ 0, ist also insbesondere die
Filtration F nicht rechtsstetig.
1.4
Semimartingale und quadratische Variation
In gesamten Abschnitt betrachten wir ausschließlich stetige Martingale bzgl. einer
Filtration (Ft )t≥0 auf einem zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P ).
Definition 1.48. (i) A+ bezeichne die Menge aller stetigen reellwertigen adaptierten
stochastischen Prozesse mit monoton wachsenden Pfaden.
(ii) Für einen stochastischen Prozess (Xt )t≥0 definieren wir den zugehörigen
Variationsprozess
X
Vt (ω) := sup
|Xti+1 ∧t (ω) − Xti ∧t (ω)| , t ≥ 0
∆
i
wobei das Supremum über alle endlichen Teilmengen ∆ = {t0 , t1 , . . . , tn } ⊂ [0, ∞)
genommen wird. Der stochastische Prozess (Xt )t≥0 heißt von lokal beschränkter
Variation, falls Vt (ω) < ∞ für alle ω ∈ Ω und für alle t ≥ 0.
(iii) A bezeichne die Menge aller stetigen reellwertigen adaptierten stochastischen
Prozesse von lokal beschränkter Variation.
Bemerkung 1.49. (i) (Xt )t≥0 ∈ A impliziert für den zugehörigen Variationsprozess
(Vt )t≥0 ∈ A+
(ii) X ∈ A genau dann wenn X = U − L für Prozesse U, L ∈ A+ . Zum Beweis der
Implikation ⇒ setze man einfach U = 21 (Vt + Xt ) und L = 21 (Vt − Xt ). Beide sind
monoton wachsend (und stetig) und offensichtlich gilt U − L = X. Die umgekehrte
Implikation ⇐ ist klar.
21
Definition 1.50. (i) Ein adaptierter reellwertiger stochastischer Prozess M = (Mt )t≥0
heißt lokales Martingal bzgl. der Filtration (Ft )t≥0 , falls eine aufsteigende Folge
von Stoppzeiten (τn )n≥1 existiert mit τn ↑ ∞ P -f.s., so dass für alle n der gestoppte
Prozess
Ntn := Mτn ∧t , t ≥ 0
ein Martingal ist. Die Folge (τn )n≥1 heißt lokalisierende Folge des lokalen
Martingals M .
(ii) Mloc bezeichne die Familie aller stetigen lokalen Martingale, M0loc die Unterfamilie
aller stetigen lokalen Martingale M mit M0 (ω) = 0 für alle ω ∈ Ω. Schließlich
bezeichne M die Familie aller stetigen lokalen Martingale.
Bemerkung 1.51. Jedes Martingal ist natürlich auch ein lokales Martingal (z.B. mit
lokalisierender Folge τn = n, n ≥ 1). Umgekehrt ist nicht jedes lokale Martingal auch ein
Martingal. Als Beispiel betrachte man für eine stetige 3-dimensionale Bronwsche Bewegung
1
(Bt )t≥0 (mit Start in 0) den Prozess Mt := |x+B
, t ≥ 0, für ein x ∈ R \ {0}. Dann ist M
t|
ein lokales Martingal, aber kein Martingal. Der Beweis wird später mithilfe der Itô-Formel
gegeben.
Satz 1.52. Es sei (Mt )t≥0 ein stetiges lokales Martingal. Gilt dann
E sup |Mt | < ∞
t≥0
so ist M ein Martingal.
Beweis. Es sei (τn ) lokalisierende Folge, dann ergibt sich mithilfe des Konvergenzsatzes von
Lebesgue
lim Mt∧τn = Mt
n→∞
1
in L (P ) und damit für 0 ≤ s ≤ t
E (Mt | Fs ) = lim E (Mt∧τn | Fs )
n→∞
= lim Ms∧τn = Ms .
n→∞
Definition 1.53. Ein stetiger stochastischer Prozess der Form X = M + A mit M ∈ Mloc
und A ∈ A heißt stetiges Semimartingal. S bezeichne die Familie aller stetigen
Semimartingale. Wir bezeichnen die Zerlegung X = M + A als Doob-Meyer Zerlegung
(bzw. Semimartingalzerlegung) des Semimartingals X.
Wir werden später sehen, dass die Klasse der stetigen Semimartingale die richtige Klasse
stochastischer Integratoren bildet. Das folgende Theorem besagt, dass die Zerlegung eines
Semimartingals in lokales Martingal und adaptierten Prozess mit monoton wachsenden
Pfaden eindeutig ist, wenn man M0 = 0 annimmt.
Theorem 1.54. (Eindeutigkeit der Doob-Meyer Zerlegung) .
M0loc ∩ A = {0} .
Insbesondere ist für X ∈ S die Zerlegung X = M + A eindeutig, wenn man annimmt, dass
M0 = 0 ist.
22
Beweis. Es sei X ∈ M0loc ∩ A, also insbesondere X ein stetiges lokales Martingal von
beschränkter Variation. Weiter sei V der zugehörige Variationsprozess. Wir nehmen
zunächst an, dass
|Xt (ω)| + Vt (ω) ≤ K
gleichmäßig beschränkt in t und ω durch eine gemeinsame Konstante K. Zu ε > 0
definiere man iterativ Stoppzeiten durch T0 := 0 und
Tn+1 = inf{t ≥ Tn | |Xt − XTn | ≥ ε} , n ∈ N .
Zu fest gewähltem t sei Sn := Tn ∧ t. Dann folgt für n ∈ N
"
! n−1
X
XS2k+1 − XS2k
E XS2n = E
k=0
=E
=E
! n−1
X
k=0
! n−1
X
XSk+1 − XSk
XSk+1 − XSk
k=0
2
2
"
"
+ 2E
≤ εE
! n−1
X
k=0
! n−1
X
XSk XSk+1 − XSk
|XSk+1 − XSk |
k=0
"
"
≤ εE(Vt ) ≤ εK
wobei wir von der zweiten auf die dritte Formelzeile den Stoppsatz auf die beschränkten
Stoppzeiten Sn angewandt haben, woraus insbesondere
E XSk XSk+1 − XSk = E XSk E XSk+1 − XSk | FSk = 0
folgt. Da Tn ↑ ∞ folgt hieraus
E(Xt2 ) ≤ εK
und wegen ε > 0 damit E(Xt2 ) = 0, also Xt = 0 P -f.s. und dies schließlich für alle t.
Für den allgemeinen Fall betrachte man lokalisierende Folgen
T̃n := inf{t ≥ 0 | |Xt | ≥ n}
T̂n := inf{t ≥ 0 | Vt ≥ n}
und T̄n := τn ∧ T̃n ∧ T̂n ↑ ∞ (Begründung?). Dann folgt aus dem bisher gezeigten,
angewandt auf (XT̄ ∧t )t≥0 , dass XT̄n ∧t = 0 für alle n, somit Xt = 0 (im Grenzwert n → ∞)
und das schließlich für alle t.
Bemerkung 1.55. Die Aussage des letzten Theorems kann man auch so deuten: Ein
stetiges lokales Martingal von beschränkter Variation ist konstant (und damit letztlich
trivial). Jedes nichttriviale stetige lokale Martingal ist damit also notwendigerweise von
unbeschränkter Variation! Die Annahme der Stetigkeit bei dieser Aussage ist entscheidend
wie das Beispiel des kompensierten Poissonprozesses (Nt − λt)t≥0 zeigt. Dieser ist ein
Martingal mit Pfaden von beschränkter Variation, da beide, t 7→ Nt und t 7→ λt monoton
wachsend sind.
Definition 1.56. Es sei D die Familie aller unbeschränkten Teilmengen
∆ = {0 = t0 < t1 < t2 < . . .} ⊆ [0, ∞). Für einen stochastischen Prozess X und ∆ ∈ D
definieren wir
n−1
X
2
∆
Tt (X) =
Xtk+1 − Xtk + (Xt − Xtk )2 , t ≥ 0
k=0
23
wobei k so gewählt, dass tk ≤ t < tk+1 . Wir sagen, dass X endliche quadratische
Variation besitzt, falls ein Prozess hX, Xi existiert, so dass für alle t ≥ 0 Tt∆ (X) in
Wahrscheinlichkeit gegen hX, Xit konvergiert für |∆| → 0, wobei
|∆| := sup{|tn+1 − tn | | n ≥ 1} die Feinheit der Zerlegung ∆ bezeichnet. Alternativ
verwenden wir auch die Bezeichnung hXit statt hX, Xit .
Bemerkung 1.57. Für die Brownsche Bewegung (Bt )t≥0 haben wir bereits gezeigt, dass
Bt2 − t ein Martingal ist. Aus dem folgenden Theorem folgt daher hBit = t, d.h. die
Bronwsche Bewegung besitzt endliche quadratische Variation t.
Theorem 1.58. (Existenz der quadratischen Variation für gleichmäßig beschränkte stetige
Martingale) Es sei M ∈ M0loc stetiges lokales Martingal, gleichmäßig beschränkt in (t, ω),
also insbesondere sogar Martingal. Dann ist M von endlicher quadratischer Variation und
hM it ist der eindeutig bestimmte Prozess in A+ für den Mt2 − hM it ein Martingal ist.
Beweis. Die Eindeutigkeit folgt aus Theorem 1.54. Bleibt also die Existenz zu zeigen. Zu
gegebener Zerlegung ∆ und tk ≤ s ≤ tk+1 gilt
E (Mtk+1 − Mtk )2 | Fs = E (Mtk+1 − Ms )2 | Fs + (Ms − Mtk )2
und daher folgt für 0 ≤ s < t
E Tt∆ (M ) | Fs = Ts∆ (M ) + E (Mt − Ms )2 | Fs
= Ts∆ (M ) − Ms2 + E Mt2 | Fs .
Insbesondere ist daher t 7→ Mt2 − Tt∆ (M ) ein stetiges Martingal, jedoch ist Tt∆ (M ) noch
nicht der gesuchte Prozess, da nicht notwendigerweise monoton wachsend.
Wir zeigen im folgenden, dass Tt∆ (M ) für |∆| → 0 in Wahrscheinlichkeit konvergiert. Dazu
sei a > 0 fest gewählt. Für zwei Zerlegungen ∆ und ∆′ bezeichne ∆∆′ die Vereinigung der
′
beiden Zerlegungen, d.h. ihre gemeinsame Verfeinerung. Dann ist Xt := Tt∆ (M ) − Tt∆ (M )
ein Martingal und gleichmässig beshränkt auf [0, t] × Ω für alle t ≥ 0. Dann ist aber auch
′
t 7→ Xt − Tt∆∆ (X)
wieder ein Martingal, das in t = 0 verschwindet. Insbesondere
ist
′
′
E (Ta∆ (M ) − Ta∆ (M ))2 = E (Xa2 ) = E Ta∆∆ (M ) . Wir wollen im folgenden zeigen,
dass
E Xa2 → 0 für |∆| + |∆′ | → 0 .
(1.3)
Einen Beweis dieser Aussage findet man in [RY94]. Da L2 (Ω, F, P ) vollständig, existiert
also eine Zufallsvariable hM ia , so dass lim|∆|→0 Ta∆ (M ) = hM ia in L2 (P ).
Es bleibt zu zeigen, dass der Prozess t 7→ hM it eine Modifikation in A+ besitzt, die in
t = 0 verschwindet und für die t 7→ Mt2 − hM it ein Martingal ist. Doob’s
Maximal-Ungleichung impliziert, dass für alle a > 0 der Prozess Tt∆ (M ) − hM it
gleichmäßig auf [0, a] gegen 0 in L2 konvergiert. Insbesondere besitzt hM it eine stetige
Modifikation. Klar ist ebenfalls, dass hM i0 = 0 und dass der Prozess hM it monoton
wachsende Pfade besitzt. Als Grenzwert adaptierter Prozesse, ist auch der Grenzwert
adaptiert. Als L2 -Grenzwert der Martingale t 7→ Mt2 − Tt∆ (M ) ist schließlich auch
t 7→ Mt2 − hM it ein Martingal. Damit ist der Satz vollständig bewiesen.
Wir werden im folgenden Theorem 1.58 auf allgemeine M ∈ Mloc verallgemeinern.
24
Lemma 1.59. Es sei M wie in Theorem 1.58. und T (beliebige) Stoppzeit. Weiterhin sei
MtT := MT ∧t das durch T gestoppte lokale Martingal. Dann gilt
hM T it = hM iT ∧t .
Beweis. Der Stoppsatz impliziert, dass der Prozess t 7→ MT2 ∧t − hM iT ∧t ein Martingal ist.
Aus der Eindeutigkeit (Theorem 1.54) folgt somit
hM T it = hM iT ∧t , t ≥ 0 .
Definition 1.60. Es seien X n und Y rellwertige stochastische Prozesse. Wir sagen dass X n
gegen Y lokal gleichmäßig in Wahrscheinlichkeit konvergiert, limn→∞ X n = Y
ucp (aus dem Englischen: uniformly on compact sets in probability), falls für alle t > 0
sup0≤s≤t |Xsn − Ys | → 0 in Wahrscheinlichkeit.
Theorem 1.61. (Existenz der quadratischen Variation für stetige lokale Martingale) Es sei
M ∈ M0loc . Dann existiert ein eindeutig bestimmter Prozess hM i ∈ A+ mit hM i0 = 0 so
dass
M 2 − hM i ∈ Mloc .
Weiterhin gilt hM i = lim|∆|→0 T ∆ (M ) ucp, d.h. lokal gleichmäßig in Wahrscheinlichkeit.
Beweis. Die Eindeutigkeit folgt wieder aus Theorem 1.54. Definiere
Tn := inf{t ≥ 0 | |Mt | = n} und M n := M Tn . Dann ist M n ein beschränktes stetiges
Martingal. Theorem 1.58 impliziert die Existenz eines Prozesses hM n i ∈ A+ mit
hM n i0 = 0 so dass
(M n )2 − hM n i
ein Martingal ist. Für m ≤ n gilt (M n )Tm − hM m i und damit nach Lemma 1.59
hM n iTm ∧t = hM m it .
(1.4)
Für festes t ≥ 0 und auf der Menge {ω | Tm (ω) ≥ t} definieren wir
hM it = hM m it .
Dann ist hM i wohldefiniert wegen (1.4) und gleich limn→∞ hM n i. Da außerdem
(M n )2 − hM n i Martingal ist für alle n ergibt sich, dass M 2 − hM i ∈ Mloc .
Zum Beweis des zweiten Teils des Theorems wähle δ > 0 und t > 0 fest. Betrachte die
Stoppzeiten Tn wie oben und wähle k ∈ N mit P (Tk < t) ≤ δ. Auf der Menge {s ≤ Tk }
gilt
hM is = hM iTk ∧s = hM Tk is .
Daher folgt für ε > 0
∆
∆
P sup |Ts (M ) − hM is | ≥ ε ≤ δ + P
sup |Ts (M ) − hM is | ≥ ε, Tk ≥ t
0≤s≤t
0≤s≤Tk
∆
Tk
Tk
=δ+P
sup |Ts (M ) − hM is | ≥ ε, Tk ≥ t
0≤s≤Tk
∆
Tk
Tk
≤δ+P
sup |Ts (M ) − hM is | ≥ ε .
0≤s≤Tk
25
Theorem 1.58, angewandt auf das beschränkte Martingal M Tk , impliziert nun
∆
Tk
Tk
lim sup P sup |Ts (M ) − hM is | ≥ ε = 0 .
0≤s≤t
|∆|→0
Da δ > 0 und ε > 0 beliebig, folgt die Behauptung.
Theorem 1.62. Es seien M , N ∈ M0loc . Dann existiert ein eindeutig bestimmter Prozess
hM, N i ∈ A mit hM, N i0 = 0 so dass
M · N − hM, N i ∈ Mloc .
Darüberhinaus gilt
lim T ∆ (M, N ) = hM, N i
|∆|→0
wobei
Tt∆ (M, N ) :=
X
ucp
(Mtk+1 ∧t − Mtk ∧t )(Ntk+1 ∧t − Ntk ∧t ) .
k
Beweis. Definiere
hM, N i :=
1
(hM + N, M + N i − hM − N, M − N i) .
4
Wegen
1
(M + N )2 − (M − N )2 ,
4
folgt aus Theorem 1.61, dass M · N − hM, N i ∈ Mloc . Als Differenz zweier Prozesse in
A+ liegt hM, N i in A, woraus die Behauptung folgt.
M ·N =
Schließlich zeigen wir noch die Existenz der quadratischen Variation für allgemeine stetige
Semimartingale.
Satz 1.63. Es sei X ∈ S ein stetiges Semimartingal, X = M + A mit M ∈ M0loc und
A ∈ A. Dann folgt
T ∆ (X) → hM i ucp .
Man beachte: Die quadratische Variation des Semimartingals hängt nur von M , also dem
Martingalanteil des Semimartingals X, ab und ist im übrigen unabhängig von A.
Beweis. Es gilt
Tt∆ (X) =
X
(Xtk+1 ∧t − Xtk ∧t )2 = Tt∆ (M ) + 2Tt∆ (M, A) + Tt∆ (A) .
k
Nun gilt
|Tt∆ (M, A)| = |
X
(Mtk+1 ∧t − Mtk ∧t )(Atk+1 ∧t − Atk ∧t )|
k
≤
sup
|Mtk+1 − Mtk |
tk ∈∆ ,tk ≤t
X
|Atk+1 ∧t − Atk ∧t | → 0
k
denn M besitzt stetige Pfade, also ist t 7→ Mt (ω) lokal gleichmäßig stetig, und damit
lim
sup
|∆|→0 tk ∈∆ ,tk ≤t
|Mtk+1 − Mtk | = 0 .
26
Analog zeigt man
Tt∆ (A) =
X
(Atk+1 ∧t − Atk ∧t )2
k
≤
sup
|Atk+1 − Atk |
tk ∈∆ ,tk ≤t
X
|Atk+1 ∧t − Atk ∧t | → 0 .
k
Nun folgt die Behauptung des Satzes aus Theorem 1.61.
Zum Abschluss des Abschnittes noch einige Aussagen zur Struktur stetiger
quadrat-integrierbarer Martingale.
Definition 1.64. Es sei
H := {M ∈ M | sup E |Mt |2 < ∞}
t≥0
die Menge der L2 -beschränkten stetigen Martingale.
Theorem 1.65.
(i) Es sei M ∈ H, dann konvergiert M gegen M∞ f.s. und in L2 .
(ii) H ist (nach Übergang zu Äquivalenzklassen) ein (reeller) Hilbertraum bezüglich der
Norm
1
1
2 2
kM kH := lim E Mt2 2 = E M∞
.
t→∞
(iii) Die folgende Norm
kM k := E
ist äquivalent zu kM kH .
sup Mt2
t≥0
21
(iv) Ist M ∈ H0 (Unterraum aller Martingale M in H mit M0 = 0), so existiert
hM i∞ = limt→∞ hM it P -f.s. und es gilt
kM k2H = E (hM i∞ ) .
Beweis. (i) Folgt aus dem Martingalkonvergenzsatz 1.45.
(ii) Die zweite Gleichheit folgt aus der L2 -Konvergenz. Bleibt nur noch die Vollständigkeit
von H zu zeigen. Zu diesem Zwecke sei M n eine Cauchy-Folge in H. Dann ist
n
insbesondere M∞
, n ≥ 1, Cauchy-Folge in L2 (Ω, F, P ) und damit konvergent gegen ein
n
M∞ , also limn→∞ M∞
= M∞ in L2 (P ). Dann aber folgt auch
n
lim Mtn = lim E (M∞
| Ft ) = E (M∞ | Ft )
n→∞
n→∞
in L2 (P ) für alle t ≥ 0. Die Familie der bedingten Erwartungen E (M∞ | Ft ), t ≥ 0, ist
offensichtlich ein quadratintegrierbares Martingal. Wir wollen im folgenden zeigen, dass es
ein stetige Modifikation besitzt. Dazu beachte man, dass die Doobsche
Maximalungleichung 1.36 impliziert, dass
n
m 2
P sup (Mt − Mt ) ≥ ε → 0 für m, n → ∞ .
0≤s≤t
27
M.a.W., die Folge M n ist sogar lokal gleichmäßig konvergent und daher ist
Mt∞ := lim Mtn = E (M∞ | Ft ) , t ≥ 0
n→∞
eine stetige Modifikation.
(iii) Die Äquivalenz der Normen folgt aus den beiden folgenden Ungleichungen
2
2
2
E sup Mt ≤ 4E M∞ ≤ 4E sup Mt
t≥0
t≥0
(siehe Doobsche Maximalungleichung 1.36).
(iv) Aus Theorem 1.61 folgt, dass Mt2 − hM it ∈ Mloc . Es sei wie üblich
Tn := inf{t ≥ 0 | |Mt | = n}. Dann folgt
E MT2n ∧t = E (hM iTn ∧t ) .
Aus dem Lemma von Fatou folgt für n → ∞ und t → ∞
2
E M∞
≤ lim inf E MT2n ∧t = lim inf E (hM iTn ∧t ) = E (hM i∞ ) ,
n→∞,t→∞
n→∞,t→∞
wobei in der letzten Gleichheit monotone Integration angewandt wurde.
Umgekehrt folgt
2
E (hM i∞ ) = lim E (hM iTn ∧t ) = lim E MT2n ∧t ≤ E M∞
n→∞,t→∞
n→∞,t→∞
aus dem Stoppsatz 1.39 angewandt auf das Submartingal Mt2 .
Zugehörige Unterlagen
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