Sozialisation - staff.uni

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Wi ntersemester 2006/07
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
3. Tei l "Bi ldungssoziologie"; PD Dr. Udo Thiedeke
1 6.01 .07 "Sozial isation"
Zusammenfassung:
− Das grundsätzl iche Problem der Sozial isation l iegt dari n, dass jedes i ndividuel le Verhalten oder Handel n potenziel l konti ngent, d. h. , unvorhersagbar ist.
− Soziale Ordnung erfordert aber die Ei nordnung der I ndividuen i n die Sozial ität, also
bspw. i n Zweierbeziehungen, Gruppen, Organisationen, al lgemei n gesprochen, i n die
Gesel lschaft.
− Hier treffen demnach i ndividuel le und soziale Si nnwelten aufei nander.
[vgl . Fol ie 1 ]
− I m al ltägl ichen Umgang zeigt sich die Sozial isationsproblemati k an sozialen und i ndi -
viduel len Verhaltenserwartungen, die aufei nander bezogen si nd, oft aber auch konfl i gieren. (Siehe dazu die sozialen und i ndividuel len Erwartungen i m Lehrer−Beruf) .
[vgl . Fol ie 2]
− I m Rahmen der Sozial isation treffen somit fremdreferentiel le und sel bstreferentiel le
Erwartungen aufei nander. Diese Konstel lation kennzeichnet Sozial isation als:
Einordnung von Individuen in die Sozialität.
[vgl . Fol ie 3]
− Soziologische Sozial isationstheorien basieren daher grundlegend auf der Perspektive
der Wechselwi rkung von I ndividuen, bzw. deren I nteraktion.
− Grundlagen dieser Theorien si nd zum ei nen die sog. Sozial phänomänologie, die auf
die Phi losophie von Edmund Husserl (1 859−1 938) zurückgeht. Danach erfassen die
I ndividuen die Phänomene der Welt durch subjektive I nterpretation. I n Ausei nander-
setzung mit den Weltsichten der anderen entsteht ei ne i ntersubjektive "Lebenswelt".
− Alfred Schütz (1 899−1 959) und sei ne Schüler Peter L. Berger (geb. 1 929) und Thomas Luckmann (geb. 1 927) haben das Lebensweltkonzept soziologisch fruchtbar
gemacht und daraus ei ne Wissenssoziologie entwickelt. Danach ist die Lebenswelt
als Al ltagswissen schon da, wenn wi r geboren werden und der Sozial isationsprozess
entwickelt sich als i ntersubjektive Konstruktion und I nterpretation dieses Wissens.
− Zum anderen stel lt der sog. (symbol ische) I nteraktionismus ei ne zweite wichtige
Grundlage soziologischer Sozial isationstheorien dar.
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− Hauptvertreter si nd George Herbert Mead (1 863−1 931 ) und sei n Schüler Herbert
Blumer (1 900−1 987) . Mead geht grundlegend davon aus, dass der Mensch ei n
'symbolverwendendes Tier" ist und sich vor al lem über die Sprache (verbale Gesten)
i n I nteraktion mit anderen sel bst reflektiert.
− Der Mensch entwickelt sich i n I nteraktion vom 'signifi kanten anderen' zum ' general i sierten anderen' . Mead spricht von der Entwicklung vom "I " (Ich) zum "Me" (Man),
die sich i m Übergang vom "play" (ki ndl iches Spiel) zum "game" (Gesel lschaftsspiel)
zeigt. Gel i ngt diese Sozial isation, dann kann das "self" (Sel bst) entstehen und symbol isch vermittelt werden.
− Mit Bl ick auf diese grundlegenden Perspektiven lässt sich zusammefassend festhal -
ten: Der Mensch eignet sich die soziale Wi rkl ichkeit i n ei nem symbol ischen Konstruktions− und I nterpretationsprozess i n I nteraktion mit anderen an und wi rd so zu ei nem sozial ei nzuordnenden I ndividuum.
[vgl . Fol ie 4]
− Verschiedene soziologische Sozial isationstheorien schl ießen hier an, betonen al lerdi ngs jewei ls unterschiedl iche Aspekte der Sozial isation.
− So werden die funktionale Bedeutung gesel lschaftl icher Strukturen (etwa von I nstitutionen) für die Rol lenübernahme (strukturfunktional istischer Ansatz, z. B. von Talcott
Parsons), die Bedeutung veränderter soziostrukturel ler Lebensbedi ngungen für die
i ndividuel le Sel bstverwi rkl ichung (i ndividual istischer Ansatz, z. B. Ul rich Beck) oder die
kognitive Konstruktionsabhängigkeit von Weltbi ldi ldern bei der i ndividuel len Sel bst-
ei nordnung i n die Gesel lschaft (konstruktivistischer Ansatz, z. B. Ernst von Glasersfeld)
thematisiert.
[vgl . Fol ie 5]
− Trotz al ler theoretischer Unterschiede fäl lt i mmer wieder auf, dass der Sozial isationsprozess i n Phasen verläuft die sich qual itativ dari n unterscheiden, welche sozialen
Lernerfahrungen mögl ich si nd, wo und durch wen die Sozial isation stattfi ndet.
− Hier unterscheidet die Soziologie zunächst die Phase der pri mären Sozial isation i n
der soziale Verhaltensfähigkeit i m Elternhaus, vornehml ich durch I nteraktion mit den
Eltern und ggf. mit den Geschwistern, erlernt wi rd. Daran anschl iessend (al lerdi ngs
tei lweise auch überlappend) entwickelt sich die sekundäre Sozial isationsphase. Hier
werden zusätzl iche Kompetenzen vor al lem zur Übernahme sozialer Rol len erworben. Diese Sozial isation fi ndet außerhal b des Elternhauses statt (z. B. Peer Group,
Schule, Berufsleben) und erfolgt durch ' general isierte Andere' , die nicht zur Fami l ie
gehören. Heute zeigt sich zudem ei ne (wiederum tei lweise paral lele) Phase der tertiären Sozial isation, die man als Mediensozial isation (Massenmedien, I nternet) be-
zeichnen kann. Hier wi rd der Umgang mit Identitäts− und Weltkonstruktionen i m
Kontakt mit "vi rtual isierten Anderen" (Medienstars, Personae oder Avatare z. B. i n
Computerspielen) als Tei l sozialer Ei nordnung erlernt.
[vgl . Fol ie 6]
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Literaturhi nweise:
Zur Sozial phänomenologie:
Alfred Schütz, 1 981 : Der si nnhafte Aufbau der sozialen Welt. Ei ne Ei nleitung i n die verstehende Soziologie. Frankfurt/M. (1 932)
Peter L. Berger, Thomas Luckmann, 1 969: Die gesel lschaftl iche Konstruktion von Wi rkl ichkeit.
Ei ne Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt/M. (1 966)
Zum (symbol ischen) I nteraktionismus:
George Herbert Mead, 1 973: Geist, I dentität und Gesel lschaft aus der Sicht des Sozial beha-
viorismus. Frankfurt/M. (1 934)
Herbert Bl umer, 1 969: Symbol ic I nteractionism. Perspective and Method. Englewood Cl iffs,
N. J.
Zu soziologischen Sozial isationstheorien:
Peter Zi mmermann, 2006: Grundwissen Sozial isation. Ei nführung zur Sozial isation i m Ki ndes−
und Jugendalter. 3. , überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden. Besonders S. 50−83.
Zur Sozial isation al lgemei n und zu deren Phasen:
Al bert Scherr, 2002: Sozial isation, Person, I ndividuum, i n: Hermann Korte, Bernhard Schäfers
(Hrsg.): Ei nführung i n die Hauptbegriffe der Soziologie. 6. , erweiterte und aktual isierte Aufla-
ge. Opladen S. 45−66.
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 1
Die widersprüchl ichen Si nnwelten der Sozial isation
1 ) I ndividual ität:
2) Sozial ität:
konti ngente Verhaltens− und Handlungsmögl ichkeiten
der I ndividuen.
sozial getei lte Verhaltens− und Handl ungserwartungen,
die reduziert und überi ndividuel l festgelegt si nd.
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 2
Typische Sozial isationserwartungen i m Erwartungsraster
"Lehrer − Schule"
1 ) Soziale Erwartungen (Bsp.):
Kol legiales Verhalten und Handel n;
Sel bstkontrol le vor der Klasse;
formal isiertes Handel n i m Rahmen des
Arbeitsvertrags;
Engagement für gesel lschaftl iche
Leistungsansprüche.
2) I ndividuel le Erwartungen (Bsp.):
Sel bstverwi rkl ichung i m Beruf;
Ei nkommens− und Statuserwar-
tungen; Normal itätserwartungen
gegenüber der eigenen Person;
Sozial isationserwartungen gegenüber
anderen.
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 3
Defi nition von Sozial isation
"Sozial isation" mei nt die Ei nordnung von I ndividuen i n die Sozial ität.
−> ' Sozial ität' bezeichnet al le Formen sozialer Wi rkl ichkeit, z. B. Zweierbeziehungen, Gruppen, Organisationen und i m umfassendsten Si nn die
Gesel lschaft.
−> Bei der Sozial isation werden Erwartungen gebi ldet, bestätigt oder ent-
täuscht, die sich von der Gesel lschaft 'fremdreferenziel l ' auf das I ndivi −
duum, aber auch 'sel bstreferenziel l ' vom I ndividuum auf die Gesel lschaft
richten.
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 4
Grundlagen soziologischer Sozial isationstheorien
1 ) "Sozial phänomenologie" (Husserl , Schütz, Berger/Luckmann u. a.)
− Postulate:
−> Das I ndividuum ordnet sich durch I nterpretation und Aneignung ei ner
"Lebenswelt" sozial ei n.
−> Das Wissen der Lebenswelt wi rd i n ei nem "i ntersubjektiven Prozess"
mit anderen konstruiert und angeeignet.
2.) "(symbol ischer) I nteraktionsmus" (Mead, Bl umer u. a.)
− Postulate:
−> Der Mensch reflektiert sich als "symbolverarbeitendes Tier" über
"verbale Gesten" i m Kontakt mit anderen als "general isierter
anderer".
−> I n ei nem Lernprozess entsteht das "Sel bst" (self), i ndem das "Ich"
(I), i m Kontakt mit "signifi kanten anderen", i m "Spiel " (play) zu
ei nem "Man" (Me) entwickelt wi rd, das sich i n ei nem "Gesel l -
schaftsspiel " (game) an "general isierten anderen" reflektiert.
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 5
Systematischer Vergleich von soziologischen Sozial isationstheorien
Perspektive
strukturfunktional
i ndividual istisch
konstruktivistisch
Bedeutung der
hoch
mittel
niedrig
Bedeutung des
niedrig
hoch
hoch
Sozial isations-
Rol lenübernahme
I ndividual isierung
Sel bstanpassung
Sozial isations-
I nternal isierung
I nterpretation
Konstruktion
Sozial isations-
Strukturen /
I nstitutionen
I ndividuel les soziales
Umfeld
Wahrnehmung und
Sozial isationstyp
Fremdsozial isation
Sel bstsozial isation
Adaption
Sozial isations-
Gleichgewicht von
Sel bstverwi rkl ichung
Strukturel le Kopplung
Gesel lschaft
I ndividuums
prozess
modus
i nstanz/−en
ergebnis
Rol lenanforderungen
der I ndividual ität
kognitive Verarbeitung
Ri ngvorlesung: "Gesel lschaftl iche Entwickl ung, Sozial isation und Bi ldung"
2. Sozial isation
Fol ie 6
Die Sozial isationsphasen i m Vergleich
Pri märe Sozial isation
Sekundäre Sozial isaton
Tertiäre Sozial isation
Begi nn
Geburt
Heranwachsen
Mediennutzung
Wissen
Elementare Sozial ität
Erweiterte Kompetenzen
Wi rkl ichkeitskonstruktion
I nstanzen
Fami l ie
Fremde
Vi rtual isierte
Medien
Emotionen
Reflexionen
Synthesen
Agenturen
Elternhaus
I nstitutionen
Vi rtuel le Real ität
Orientierung
Fremdreferenz
Fremd−/Sel bstreferenz
Medien
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