„Verstehen Sie Alzheimer?“ Die Informationskampagne für besseres Verstehen und mehr Verständnis Auftaktveranstaltung am 19. Januar 2006 Alzheimer Krankheit – fortschreitende Veränderungen im Gehirn: Zukunftsperspektiven einer frühen und sicheren Diagnostik und Therapie Prof. Dr. med. Harald Hampel Geschäftsführender Oberarzt Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität Nussbaumstr. 7 80336 München Tel.: 089 5160-5877 Fax: 089 5160-5856 E-Mail: [email protected] Einführung Die soziodemographischen Entwicklungen, die mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft zu beobachten sind, haben in den letzten Jahren auch zu einer starken Zunahme dementieller Erkrankungen geführt. Demenzen, insbesondere die Alzheimer-Erkrankung, spielen daher in der allgemein- und fachärztlichen Praxis eine zunehmende Rolle. Heute leiden in Deutschland ca. 1,0 bis 1,5 Millionen Menschen an einer Demenzerkrankung, wobei die Alzheimer-Demenz mit 60 bis 80% die bei weitem häufigste dementielle Erkrankung ist. Der Leidensdruck für Patienten und Angehörige ist enorm. Allein die Kosten für die Heimunterbringung von Alzheimer-Demenz-Kranken belaufen sich jährlich auf schätzungsweise 10 Milliarden Euro. In der letzten Jahren konnte die Wirksamkeit einer symptomatischen antidementiven Behandlung bei Alzheimer-Demenz-Patienten überzeugend nachgewiesen werden: Ein modernes Antidementivum sollte sich zum einen positiv auf die Kognition des Patienten auswirken, d.h. auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis, die Orientierung und die sprachlichen Funktionen etc. Weitere wichtige Behandlungsziele sind der Erhalt der Lebensqualität und der Alltagskompetenz des Patienten sowie die Verringerung der Belastung der Angehörigen bzw. Pflegepersonen. Dem behandelnden Arzt stehen bereits heute wirksame Präparate zur Verfügung, so dass der therapeutische Nihilismus früherer Jahre in der Demenztherapie auf keinen Fall mehr angebracht ist. Zukunftsperspektiven in der Alzheimer-Therapie Kausal ansetzende Therapiestrategien im Sinne einer Heilung oder einer Verzögerung der pathophysiologischen Progression stehen aktuell noch nicht zur Verfügung. Mit den verfügbaren zugelassenen Medikamenten (Cholinesterasehemmer und Memantine) konnte eine symptomatische Wirkung bei Alzheimer-Patienten nachgewiesen werden. Neuere Ansätze zielen darauf ab, die Progression der Erkrankung zu verhindern: In experimentellen und klinischen Studien werden Substanzen intensiv untersucht, die z.B. den Amyloidstoffwechsel beeinflussen bzw. antiinflammatorisch wirken. Epidemiologische Studien weisen zudem auf eine prophylaktische Wirkung von Östrogenen und Statinen hin. Als unterstützend wirksam könnten sich auch Vitamine sowie Antioxidantien erweisen. Neu entwickelte Substanzen, die derzeit in klinischer Prüfung angewandt werden, sind u.a. Inhibitoren der Tau-Protein-Phosphorylierung und Stimulatoren der Synthese von Nervenwachstumsfaktoren. Die aktuell verfügbaren Therapeutika machen einen möglichst frühen Behandlungsbeginn und eine genügend lange Therapiedauer wünschenswert. Dies setzt eine möglichst frühe klinische Diagnose voraus. Die Früh- und Differentialdiagnose dementieller Erkrankungen ist insbesondere Aufgabe der Fachärzte bzw. von Spezialeinrichtungen, die als Gedächtnissprechstunden oder Memorykliniken in vielen größeren deutschen Städten etabliert sind. Perspektiven der Alzheimer-Frühdiagnostik Die Alzheimer-Erkrankung entsteht nicht „aus heiterem Himmel“. Schon 15 bis 30 Jahre vor den ersten diskreten klinischen Zeichen beginnt die Amyloidablagerung und die Bildung neurofibrillärer Bündel im Gehirn. Mit neu entwickelten bildgebenden Verfahren und laborchemischen Tests dürfte es somit zukünftig möglich sein, die Krankheit sehr viel früher als heute zu erfassen, also bereits im Stadium der leichten kognitiven Störung (prädementielles Stadium) bzw. sogar im präklinischen Stadium. Das heißt: Mit diesen Verfahren „gescreente“ Patienten könnten wesentlich früher und damit auch effizienter behandelt werden. Die Etablierung potentieller biologischer Prädiktoren zur frühen Vorhersage einer AlzheimerDemenz ist aktuell in einem besonders dynamischen und für die Klinik entscheidenden Stadium. Prototypverfahren und -marker werden aktuell in großen Netzwerkinitiativen national und international evaluiert und etabliert. Es ist somit zu erwarten, dass es in Zukunft aus der Kombination von Risikomarkern aus verschiedenen methodischen Bereichen (z.B. Vermessung des Hippokampusvolumens mit Hilfe der Kernspintomographie (MRT), Darstellung des kortikalen Hypometabolismus in der Positronenemisionstomographie (PET), Messung des erhöhten Gesamt- oder phosphorylierten Tau-Proteins im Nervenwasser) möglich sein wird, für einen einzelnen Patienten in einem frühen Krankheitsstadium mit nur diskreten kognitiven Ausfällen (leichte kognitive Störung) ein sehr genaues Wahrscheinlichkeitsmaß für das Vorliegen einer Alzheimer-Demenz-Pathologie im Gehirn anzugeben. Entwicklung spezifischer „biologischer Marker“ Bislang gab es noch keinen Biomarker, der im klinischen Alltag mit ausreichender Sicherheit zur spezifischen Diagnose einer Alzheimer-Demenz herangezogen werden konnte. Neuerdings konnten jedoch Alzheimer-charakteristische Veränderungen von Proteinen im Liquor von Alzheimer-Demenz-Patienten nachgewiesen werden. Neben dem Tau-Protein und dem ß-Amyloid 1-42 ist insbesondere das hyperphosphorylierte Tau-Protein ein viel versprechender und möglicherweise spezifischer Parameter der AD: Ein an Threonin 231 phosphoryliertes Tau-Protein (p-tau231) scheint spezifisch für die Alzheimer-Erkrankung zu sein und tritt sehr früh im Verlauf der Erkrankung auf. Mit dem Nachweis dieses Proteins im Nervenwasser könnte in Zukunft die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung wesentlich früher und sicherer erfolgen als bisher. Dieses Verfahren wird aktuell – international federführend – vom Alzheimer-Gedächtniszentrum an der LMU evaluiert. Entwicklung moderner bildgebender Verfahren (Neuroimaging) Mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren – basierend auf fortentwickelten Computergestützten Tomographen und speziell entwickelter Auswertesoftware zur Darstellung spezifischer Gehirnstrukturen – lassen sich nicht nur andere Ursachen für ein dementielles Syndrom ausschließen, sondern auch direkt Gehirnveränderungen nachweisen, die positiv auf das Vorliegen einer Alzheimer-Erkrankung hinweisen. Solche positiven Marker der Alzheimer-Erkrankung sind vor allem der Substanzverlust in Hirnregionen, die von großer Bedeutung für die Gedächtnisleistung sind, also der Hippokampus und der Entorhinalkortex, zwei Strukturen, die an der Innenseite des Schläfenlappens verborgen liegen, aber mit den Mitteln der MRT sichtbar gemacht und vermessen werden können. Aber auch andere Gehirnveränderungen, die für die Alzheimer-Erkrankung charakteristisch sind, etwa der Faserverlust des Balkens (Corpus callosum), der beide Hirnhälften verbindet, sowie eine Abnahme der Dichte und der Dicke des Hirnmantels lassen sich mit der modernen Kernspintomographie abbilden. Weitere Ansätze zur früheren Erfassung von neurodegenerativen Veränderungen im Gehirn konnten zudem durch die so genannte funktionelle Bildgebung erreicht werden, bei der ein Rückgang oder eine Veränderung der Aktivierbarkeit der Hirnrinde gemessen wird. Seit kurzem wird versucht, den Untergang von Nervenfasern bzw. Leitungsbahnen im Gehirn durch die Methode des so genannten Diffusion Tensor Imaging (DTI) direkt zu visualisieren. In Kombination mit bildgebenden Verfahren, mit denen Funktionen des Gehirns abgebildet werden können, etwa mit der PET, mit der direkt der Zuckerstoffwechsel der Nervenzellen dargestellt werden kann, oder mit der funktionellen Kernspintomographie (fMRT), mit der die Aktivierung von Nervenzellverbänden bei einer Gedächtnisleistung gezeigt werden kann, lässt sich die Diagnose der Alzheimer-Erkrankung früher und mit höherer Sicherheit stellen. Darüber hinaus kann die Wirkung einer Behandlung auf die Hirnstruktur und -funktion beim einzelnen Patienten im Krankheitsverlauf dargestellt werden, wodurch eine optimierte Behandlung des Einzelnen und eine raschere Entwicklung neuer Therapeutika möglich wird. Sowohl die Untersuchung auf Biomarker-Proteine im Nervenwasser (Liquor), als auch die Untersuchung auf positive Krankheitsmarker in der Bildgebung ist bisher noch nicht Teil der klinischen Routinediagnostik bei Demenz-Erkrankungen, obwohl beide Verfahren mittlerweile in zahlreichen nationalen und internationalen wissenschaftlichen Studien umfangreich dokumentiert sind. Das seit mehreren Jahren etablierte „Kompetenznetz Demenzen“, ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderter Zusammenschluss deutscher universitärer Expertenzentren der klinischen Demenz-Forschung, hat sich daher zur Aufgabe gemacht, diese neuen Verfahren auf ihre Anwendbarkeit in der klinischen Routine hin zu testen und die am besten etablierten Verfahren in die klinische Patientenversorgung zu überführen. Nationale und internationale Alzheimer-Forschungs-Netzwerke Das Alzheimer Gedächtniszentrum der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München bildet das Nationale Referenzzentrum für Strukturelle Bildgebung des Gehirns im Kompetenznetz Demenzen. Die Münchener Forscher publizierten kürzlich die erste grosse internationale Multi-Center-MRT-Studie als Voraussetzung für die weiteren internationale und nationale Übertragung der modernen Bildgebungsmethoden in die Diagnostik und breiten ärztlichen Anwendung. Zudem ist das LMU-Zentrum, Referenzzentrum für Alzheimer Biomarkerforschung in der europäischen Netzwerkinitiative (EADC, EU-ADNI) in Kooperation mit der großen Alzheimer-Initiative der Nationalen Gesundheitsbehörden der USA (US-ADNI) (National Institutes of Health [NIH], National Institute on Aging [NIA]) beteiligt, die in diesem Jahr begonnen hat. Literatur zum Thema und zum Vortrag Hampel H, Padberg F, Möller HJ (Hrsg.): Alzheimer Demenz - Klinische Verläufe, diagnostische Möglichkeiten, moderne Therapiestrategien, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 2003, 503 Seiten.