Zivilgesellschaftliches Engagement in der alternden Gesellschaft

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Vera Klier, Köln
Zivilgesellschaftliches Engagement
in der alternden Gesellschaft: Gesellschaftliche
und politische Praxis aus Frauenperspektive
Referat auf dem Seminar „Seniora Nova – volle Kraft voraus“
– Zukunftsforum Altern –
Eine Kooperationsveranstaltung des Deutschen Frauenrates e. V. und der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
07. – 09. September 2012, Bildungszentrum Schloss Eichholz, 50389 Wesseling
Sehr geehrte Damen,
liebe engagierte Frauen,
ich danke Ihnen für Ihre Einladung, mit Ihnen zum Themenfeld Engagementpolitik
diskutieren zu dürfen.
Mit dem Titel Zivilgesellschaftliches Engagement in der alternden Gesellschaft:
Gesellschaftliche und politische Praxis aus Frauenperspektive haben Sie mir
bereits folgende Eckpunkte auf den Weg gegeben:
1) Demografischer Wandel – die Zukunft der alternden Gesellschaft
2) Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis – die Perspektive der Frauen
3) Partizipation in der Demokratie – zum Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat
4) Engagementinteressen von Frauen – werden wir im anschließenden World Café
diskutieren.
Die BAGSO
Lassen Sie mich zu Beginn aber erst noch einige kurze Worte zur BAGSO sagen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen besteht seit 1989, mit
zurzeit 110 Mitgliedsorganisationen. Dazu gehören auch die Seniorenorganisationen
der im Bundestag vertretenen Parteien, so u.a. die Senioren-Union. Ebenso sind die
Sozialverbände Mitglied, wie auch Sportverbände und kirchliche Einrichtungen.
Heute hier im Plenum besonders zu nennen sind die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands oder der Katholische Deutsche Frauenbund, der Deutsche
Evangelische Frauenbund und der Deutsche Frauenrat selbst.
Die BAGSO versteht sich gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft als Lobby
der älteren Menschen in Deutschland. Sie vertritt durch ihre Mitgliedsorganisationen
ca. 13 Millionen ältere Menschen. Natürlich gilt es, die nachfolgenden Generationen
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immer im Blick zu halten. In ihren Publikationen und Veranstaltungen zeigt die BAGSO Wege für ein möglichst gesundes und kompetentes Altern auf.
So setzt sie sich insbesondere für
- ein realistisches Altersbild in der Gesellschaft ein,
- für ein selbstbestimmtes Leben im Alter
- für die gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation älterer Menschen
- und für ein gesundes Altern, wozu auch die Sicherung der gesundheitlichen und
pflegerischen Versorgung zählt.
Alle drei Jahre veranstaltet die BAGSO
den Deutschen
Seniorentag. 2012
fand er unter Beteiligung der Bundeskanzlerin und des
Bundespräsidenten in
Hamburg statt, eine
Bilddokumentation ist
bei der Geschäftstelle
erhältlich.
Foto: BAGSO / Torsten Kollmer
Aktuelle Projekte sind z. B.
- die Geschäftsstelle im Europäischen Jahr des aktiven Alterns 2012
- die Broschüre „Wegweiser durch die digitale Welt“
- Multiplikatorenschulungen „Im Alter in Form“
- die Europäische Kooperation „WeDO“ zur Verbesserung der Pflege
Ich selbst habe von 2007 bis Juli 2012 bei der BAGSO als Projektkoordinatorin gearbeitet und zuletzt einen Internet-Ratgeber für ältere Menschen neu editiert. Mit dem
Themenfeld Engagementpolitik war ich vor allem in den Projekten „Memorandum
Mitgestalten und Mitentscheiden – Ältere Menschen in Kommunen“ beteiligt, auf dem
das Förderprogramm „Aktiv im Alter“ des BMFSFJ basierte und im Rahmen des europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011. Die Dokumentation der Konferenz
„Engagement bewegt Generationen“ habe ich Ihnen neben weiterem Material hier
mitgebracht.
Da ich heute zwar im Auftrag der BASGO, aber auch als Privatperson vor Ihnen
sprechen darf, erlaube ich mir, ein paar biografische Sprengsel in meinen Vortrag
aufzunehmen.
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Foto: BAGSO / Ulli Deck
Demografischer Wandel: die alternde Gesellschaft
Wir alle werden weniger, bunter, älter. Dieser demografische Dreiklang stellt uns die
Gesellschaft der Zukunft vor.
Lassen Sie es mich ganz einfach am eigenen Beispiel zeigen: Meine Mutter, Jahrgang 1927, hatte bei ihrer Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 59
Jahren (Angaben Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/
ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Sterbefaelle/Sterbefaelle.html). Ganz
ohne eigenes Zutun hatte ich mich mit meinem Geburtsjahr 1963 schon auf 73 Jahre
gesteigert. Meine Nichte wiederum, 40 Jahre nach mir geboren, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 83 Jahren – zehn Jahre mehr als ich! Und bezogen auf das durchschnittliche Lebensalter im Geburtsjahr meiner Mutter leben sie
und ihre Freundinnen und Freunde durchschnittlich 25 % länger!
Nun lasse ich mich aber nicht so schnell abhängen. Auch wenn ich 1963 durchschnittlich nur 73 Jahre alt werden sollte, kann ich heute mit einer Lebenserwartung
von immerhin 83 Jahren rechnen. Die sogenannte Fernere Lebenserwartung gibt
an, wie die Prognose ab einer bestimmten Altersstufe aussieht. Und leider sind bereits Menschen aus meinem Geburtsjahrgang durch Krankheit oder Unfall verstorben. Dies berechnen die statistischen Modelle ebenfalls ein:
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Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis
Wenn wir bis ins Jahr 1900 zurücksehen, wird besonders deutlich, wie intensiv diese
Veränderung verläuft: Eine Person, die im Jahr 1900 sechzig Jahre erreichte, hatte
durchschnittlich weitere 13 bis 14 Lebensjahre vor sich. Das Verhältnis zwischen
Männern und Frauen war annähernd gleich. Im Jahr 2000 konnte die Person, männlichen Geschlechts, mit 19 weiteren Jahren rechnen. Eine Frau erwarteten bereits
weitere 23,5 Jahre. Die Spreizung, die sich vor allem seit den 60er und 70er Jahren
des neunzehnten Jahrhunderts ergeben hat, bleibt in Zukunft mit etwa vier Jahren
Unterschied in etwa gleich, so die Prognosen.
Wie erklärt sich dieser Unterschied in der Lebenserwartung? Frauen rauchen weniger als Männer, sie trinken weniger und leben durchschnittlich gesünder. Auch sehen sie sich meist weniger Stress ausgesetzt, wobei diese Beobachtung – leider –
rückläufig ist.
Wie das sogenannte Klosterexperiment darlegte, spielen verhaltens- und umweltbedingte Faktoren eine große Rolle für das Altern. Bei einer Untersuchung wurden die
Lebensdaten von 12.000 Mönchen und Nonnen verglichen; sie differierten nicht sehr.
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Für unsere Diskussion hier ist der Befund insofern wichtig, als Frauen oft familiäre
Pflegeleistungen übernehmen: gegenüber der eigenen Elterngeneration oder für den
Gatten – und wenn sie selbst ein höheres Lebensalter erreichen, fehlt es ihnen selbst
an Betreuerinnen und Betreuern aus ihrem früheren Umfeld.
2009 waren unter den 65- bis 69-Jährigen 20 % der Frauen, aber nur 5 % der Männer
verwitwet. Ab 85 Jahren waren dann bereits 78 % der Frauen verwitwet, bei den
gleichaltrigen Männern lag der Anteil bei 37 % (Quelle: Statistisches Bundesamt: Im
Blickpunkt: Ältere Menschen in Deutschland und der EU, Wiesbaden 2011, im Internet unter https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Thematische
Veroeffentlichungen.html).
Ein wichtiger Einschub sei an dieser Stelle betont: ein höheres Alter geht nicht
zwangsläufig mit einem höheren Krankenstand einher. „Hochaltrige“ sind weltweit die
am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. Ein Drittel der Centenarians – also
Personen über 100 Jahre – kann den Alltag ohne Hilfen meistern, allerdings sind
auch weitere zwei Drittel auf – zum Teil – erhebliche Hilfen angewiesen.
Während mit „hochaltrig“ meist Menschen bezeichnet werden, die älter als 80 Jahre
sind, sieht die Demografie – genauer – denjenigen Teil der Bevölkerung, von dessen
Gleichaltrigen bereits die Hälfte gestorben ist, als hochaltrig an. Man spricht auch
vom Vierten Alter.
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Wie werden nicht nur älter, wir werden auch weniger. Die Geburtenrate stagniert.
Was bedeutet das nun im Verhältnis der Altersgruppen untereinander?
Die Graphik umfasst den Zeitraum seit 1960 und schreibt die Entwicklung bis ins
Jahr 2060 weiter. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Schätzungen des
Statistischen Bundesamtes auf bestimmten Annahmen basieren, die sich gestalten
lassen. Das betrifft die Entwicklung der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung
und des Wanderungssaldos.
So lässt sich Zuwanderung steuern und so hat eine familienfreundliche Politik
Auswirkungen auf die Geburtenrate. Das Statistische Bundesamt berechnet in der
Regel bei der Bevölkerungsvorausberechnung drei Szenarien, während in der Presse und auch an dieser Stelle meist nur das mittlere Szenario wiedergegeben wird.
In diesem gilt für 2008: 19 % der Bevölkerung sind unter 20 Jahre alt, 55 % zwanzig
bis unter sechzig Jahre und 26 % über 60 Jahre alt. Für 2060 erwartet man, dass nur
noch 16 % unter 20 Jahre alt sind, 45 % im Altersbereich von über 20 bis unter 60
Jahre und 39 % über 60 Jahre alt sein werden – also eine Zunahme um 13 Prozentpunkte!
Noch interessanter wird es, wenn wir uns die Entwicklung der Altersstruktur ansehen: So gehören heute zur Bevölkerung im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren etwa
50 Millionen Menschen. Im Jahr 2060 werden es, je nach Ausmaß der angenomme-
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nen Zuwanderung, 27 % oder 34 % weniger sein – an der Stellschraube „Geburten“
wird sich nach den Prognosen nur wenig ändern.
Nach dem Jahr 2020 kommen die geburtenstarken Jahrgänge in das Alter ab 65.
Der Altenquotient steigt an. Er gibt die Anzahl der Menschen im Rentenalter je 100
Personen im Erwerbsalter wieder. Heute finden Sie knapp 50 Personen im Rentenalter, denen 100 Erwerbstätige gegenüber stehen. Dazu kommen weitere 33 Personen, die unter 20 Jahre alt sind und sich daher meist noch in Schule, Studium oder
Ausbildung befinden. Dies ergibt zusammen eine Summe von 88 Personen auf 100
Erwerbstätige.
(Natürlich beruht eine solche Darstellung auf Setzungen. Nicht jede Person über 20
Jahre ist erwerbstätig, viele sind erwerbslos, manche arbeiten deutlich länger als 65
Jahre – teils freiwillig, teils aus Geldnot. Andere gehen früher in Rente.) 2009 waren
in Deutschland immerhin 6 % der 65- bis 74-Jährigen und 1 % der Menschen ab 75
Jahren erwerbstätig. Das waren insgesamt 666.000 Personen, davon rund 250.000
Frauen. (Vgl. Statistisches Bundesamt: Im Blickpunkt: Ältere Menschen in Deutschland und der EU, Wiesbaden 2011).
Lassen Sie uns mit dieser Anmerkung noch einmal auf die grobe Entwicklungslinie
schauen: Heute stehen – sehr vereinfacht ausgedrückt – 100 Erwerbstätigen 88 Personen gegenüber, die noch in Schule und Ausbildung oder schon in Rente sind: das
ist die rote Linie, der Gesamtquotient. Und dieser steigert sich auf 118 Personen im
Jahr 2050.
Wir nähern uns einer der Kernfragen unserer anschließenden Diskussion : Wie
muss die Gesellschaft der Zukunft verfasst sein, damit der demografische
Wandel nicht zur Belastung für alle wird?
Konzepte von Zivilgesellschaft
Auf die Zivilgesellschaft kommen dabei zentrale Aufgaben zu. So verwundert es
nicht, dass der Begriff der Zivilgesellschaft in der politischen Diskussion boomt. Meist
wird darunter die Selbstorganisation einer lebendigen Bürgergesellschaft verstanden,
in Abgrenzung zum staatlichen Handeln und zum Markt, wie dies in der Nationalen
Engagementstrategie der Bundesregierung vom Herbst 2010 ausgeführt ist. (Sie ist
im Internet unter http://www.forum-engagement-partizipation.de/?...Engagementstrategie... wiedergegeben.)
Dabei umfasst der Begriff der Zivilgesellschaft mehr als nur den Bereich neben Staat
und Wirtschaft. Die Sechste Altenberichtskommission versteht darunter (S. 115f):
- einen Bereich, in dem die Bürgerinnen und Bürger freiwillig zusammenhandeln. Ihr
Engagement trägt zur sozialen Kohäsion der Gesellschaft bei.
- Die Handlungslogik der Zivilgesellschaft beinhaltet normative Orientierungen und
ist das Projekt einer guten Gesellschaftsordnung.
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- Der Staat baut auf die Selbstorganisations- und Gestaltungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht diese.
- Die Zivilgesellschaft trägt also ein anthropologisches wie auch ein rechtsstaatliches Fundament. Das ist die qualitative Grundlage gesellschaftlichen Zusammenlebens.
- Jede Generation ist auf die andere verwiesen. Die familialen und gesellschaftlichen Generationen sind vielfältig miteinander verbunden.
(Quelle: Sechster Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik
Deutschland. Altersbilder in der Gesellschaft. Bericht der Sachverständigenkommission an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Berlin 2010. Im Internet unter: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aelteremenschen,did=164568.html)
Mit dieser Definition befinden wir uns in einem hochpolitischen Feld, das Gesellschaft
beschreibt. Es geht künftig also um mehr als das Verhältnis von Staat und Familie,
von öffentlich versus privat. Auch werden sich diese starren Abgrenzungen künftig
noch mehr verringern. Die traditionelle Kernfamilie wird heute von einer Vielzahl an
Lebensformen ergänzt. Die Zahl der Ein-Personen-Haushalte steigt, auch wegen
der längeren Lebenserwartung der Frauen. 2010 waren bereits 40 % der 40.000 Privathaushalte in Deutschland Ein-Personen-Haushalte. Im Durchschnitt wohnen pro
Haushalt zwei Personen. In einer alternden Gesellschaft stellt dies neue Anforderungen an Haushaltsorganisation und gesundheitliche Betreuung. So werden auf die
Zivilgesellschaft künftig Aufgaben zukommen, die bislang noch dem privaten Bereich
– der Familie oder dem unmittelbaren sozialen Umfeld – zugewiesen werden.
Auch werden ihr Aufgaben übertragen, die von Seiten des Staates nicht oder nicht
mehr geleistet werden. Die Finanzlage der Kommunen engt ihren Handlungsspielraum erheblich ein. Freiwillige Leistungen werden verringert oder aus der Hand
gegeben. Sie kennen alle Beispiele wie Bürgerbusse, Bürgerschwimmbäder oder
Stadtteilbibliotheken, die ehrenamtlich geleitet werden.
Denken Sie auch nur an die „Tafeln“, die seit 1993 verwertbare Lebensmittel an bedürftige Menschen verteilen. 2009 versorgten sie ca. 1,5 Mio. Menschen einmal pro
Woche. Mit über 50.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern gelten sie als eine
der größten sozialen Bewegungen der heutigen Zeit.
Die Zivilgesellschaft wird durch die Bürgerinnen und Bürger gestaltet. Ihr Engagement und ihre Bereitschaft, neue Tätigkeitsfelder auszufüllen und veränderte Rollen
anzunehmen, hat große Bedeutung für den – etwas despektierlich gesprochen –
„sozialen Kitt“, der die Gesellschaft zusammenhält.
Welche Kriterien können verhindern, dass Freiwilligenarbeit zum kommunalen Notnagel wird? Sie definiert der Sechste Altenbericht:
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- Bürgerschaftliches Engagement umfasst alle traditionellen und modernen Formen des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern mit Gemeinwohlbezug (S.
129) und kennt immer auch eine politisch einfordernde Gestalt (S. 132).
- Es enthält Autonomiespielräume zur Persönlichkeitsentfaltung und ermöglicht gesellschaftliche Mitgestaltung; gleichzeitig besteht die Gefahr der Instrumentalisierung, wenn es die begrenzte Leistungsfähigkeit des Sozialstaates kompensieren
soll (S. 137f).
In dieser Begriffsbestimmung konzentriert sich also
- der Gemeinwohlbezug
- der Diskurs um gesellschaftliche Ziele und
- die individuelle Autonomie, wie Partizipation gestaltet wird.
Nun ist nicht jedes Engagement bürgerschaftliches Engagement in diesem Sinne.
Nicht jeder soziale Fahrdienst dient unmittelbar der Persönlichkeitsentfaltung und die
Übernahme von Betreuungsaufgaben sieht oft bewusst keine autonomen Gestaltungsmöglichkeiten vor.
Lassen Sie uns daher noch einen Blick auf weitere Ergebnisse der Engagementforschung werfen. Seit dem Bericht der Enquetekommission des Deutschen Bundestags 2002 hat sich als Definition eingebürgert:
Das Ehrenamt – die Freiwilligenarbeit – das Engagement erfolgt
- freiwillig
- nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet
- gemeinwohlorientiert
- öffentlich bzw. im öffentlichen Raum
- wird in der Regel gemeinschaftlich/kooperativ wahrgenommen
(Quelle: Deutscher Bundestag / Enquete-Kommission »Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements«, Bericht Bürgerschaftliches Engagement: Auf dem Weg in eine
zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen 2002. Im Internet auf den Seiten des
Bundesministeriums des Inneren, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/
DE/Themen/Politik_Gesellschaft/GeselZusammenhalt/enquete_be.html, eingestellt.)
Partizipation in der Demokratie
Über die Zahl der Engagierten und über ihre Motive gibt der Freiwilligensurvey Auskunft, der seit 1999 im Auftrag des BMFSFJ im Fünf-Jahres-Zyklus erstellt wird. Dabei werden jeweils 20.000 Personen telefonisch befragt.
(Vgl. Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009 – Zivilgesellschaft, soziales Kapital
und freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004-2009,
http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=165004.html.
Dort auch eine Kurzfassung der aktuellen Erhebung mit Statistiken und Grafiken, die
hier aus urheberrechtlichen Gründen nicht wiedergegeben werden.)
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So waren 2009 36 % aller Bürgerinnen und Bürger ab 14 Jahren freiwillig in Verbänden, Initiativen oder Projekten aktiv und weitere 35 % sind in einem Verein oder
Gruppe tätig, ohne aber bestimmte Aufgaben zu übernehmen.
Allerdings differieren die Zahlen bei Männern und Frauen erheblich. Während Männer zu 40 % engagiert sind (also auch Aufgaben und Ämter übernehmen), beläuft
sich diese Zahl bei Frauen nur auf 32 %.
Diese „Engagementlücke“ betrifft vor allem die 20- bis 29-Jährigen, die in der beruflichen Ausbildung und in der Familiengründungsphase stehen, und die Frauen, die
über 70 Jahre alt sind. Hingegen ist das Engagement von Frauen in den Tätigkeitsfeldern Kindergarten und Schule umfangreich, aber oft zeitlich befristet. Der Freiwilligensurvey spricht hier vom „Familiengipfel“, bei dem sich die Engagementraten
von Frauen und Männern angleichen. Dies betrifft vor allem die Altersstufe der 40bis 44-Jährigen.
Das Engagement der über 60-Jährigen im Jahr 2009 hat sich um sieben Prozentpunkte im Vergleich zu 1999 auf 37 Prozent gesteigert, blieb aber im Vergleich zu
2004 stabil. In der Altersgruppe der über 70-Jährigen hat es in dem gleichen Zeitraum ein Plus von fünf Prozentpunkten auf 25 Prozent gegeben.
Das erklärt sich durch den zivilgesellschaftlichen Aufschwung der 1960er- und
1970er-Jahre und wird nach Meinung von TNS Infratest, die den Survey erstellen,
bei den jüngeren Seniorinnen und Senioren bald auslaufen.
Engagement – eine begriffliche Näherung
Ehrenamt – Engagement – Freiwilligentätigkeit: im deutschen Sprachraum gibt
es, anders als in anderen Sprachkontexten, gleich drei Bezeichnungen für freiwillige
gemeinwohlorientierte Tätigkeiten. Sie spiegeln sehr interessante Traditionslinien.
So bezeichnen manche Organisationen beispielsweise mit „Freiwilligem Engagement“ die gestaltende, aktive Mitwirkung von Interessierten. „Ehrenamtliche“ müssen
nach ihrer Auffassung hingegen nicht zwingend engagiert sein, der Begriff wird hier
eher als Abgrenzung zu den Hauptamtlichen verstanden.
Der Begriff „Ehrenamt“ klingt manchen heute unzeitgemäß. Gleichwohl hat er – vor
allem in Hinblick auf die kirchlichen Frauenorganisationen, die auf historischen Traditionslinien fußen, eine bedeutende Geschichte: Durch das bis 1908 bestehende Verbot, in politischen Vereinen mitzuwirken, blieb Frauen notwendigerweise nur das Ehrenamt als Ort gesellschaftlicher Betätigung vorbehalten. Um dieses Amt wahrnehmen zu können, mussten diese Frauen innerhalb ihrer Organisation gewählt, berufen
oder beauftragt sein, also demokratisch legitimiert sein. Dieser Ehrenamtsbegriff
bezieht in diesem Fall den Partizipationsaspekt bedeutend stärker ein als im ersten
Beispiel.
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„Freiwilliges Engagement“ oder Freiwilligenarbeit entspricht wiederum dem englischen Begriff „volunteering“ und hat sich in den letzten Jahren auch hier durchgesetzt, denken Sie an die Freiwilligenagenturen oder den Bundesfreiwilligendienst.
Ich schlage vor, diese Begriffe synonym zu behandeln, da eine klare Abgrenzung
meist nur aus der Perspektive jeweils einer Organisation erfolgt – und die Bedeutungen, wie gezeigt, zwischen den Organisationen oft differieren.
Foto: BAGSO / Daniela Ripp
Engagementinteressen von Frauen
Frauen sind nach den Ergebnissen des Freiwilligensurvey v. a. im sozialen Bereich
der Zivilgesellschaft engagiert: Kindergärten, Schule, Soziales, Gesundheit, Kirche
(je 5–7 %). Daran schließt die Beteiligungsrate von Männern mit je 5–6 % ebenfalls
an.
Die Teilhabe in diesem Bereich liegt bei älteren Frauen niedriger. Das erklärt der
Survey insofern, als mit einem solchen Engagementprofil neue Tätigkeitsfelder erschlossen werden müssen, wenn die Kinder älter bzw. aus dem Haus sind. Zu
diskutieren wäre aber sicher auch, inwieweit ein Rückgang von Engagement von
älteren Frauen in diesem sozialen Kontext mit der gleichzeitigen Übernahme
familiärer Pflegeleistungen korreliert.
Männer übernehmen in ihrer freiwilligen Tätigkeit eher Leitungsaufgaben wie beispielsweise in Vereinen und auch dort, wo das Tätigkeitsprofil eher vom Engagement
der Frauen bestimmt wird. Im Bereich „Sport und Bewegung“ beträgt diese Quote bei
Männern 13,4 % verglichen mit 7 % bei Frauen. Auch halten sich die Frauen in den
Engagementfeldern Politik, berufliche Interessenvertretung und bei der Feuerwehr
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deutlich zurück – manchmal sind sie allerdings auch im Old Boy Network nicht erwünscht!
Ältere Menschen kümmern sich, vor allem im sozialen Bereich, verstärkt um Seniorinnen und Senioren. Es lässt sich jedoch auch feststellen, dass ihre Tätigkeitsbereiche zunehmend umfangreicher werden, wie dies z. B. in der Mitwirkung in politischen
Gremien wie den Seniorenvertretungen, in den „Tafeln“ oder im Umwelt- und Naturschutz der Fall ist.
Dies wertet der Freiwilligensurvey zugleich als wichtigsten Trend der 2009er Untersuchung: Seniorinnen und Senioren bringen sich durch gemeinschaftliche Aktivität
und freiwilliges Engagement immer stärker in die Zivilgesellschaft ein. Sie werden
aber auch – bedingt durch die demografische Entwicklung – im betagten Alter zu einer Zielgruppe des freiwilligen Engagements, sodass sich Alters- und Zielgruppen
überschneiden werden.
„Dennoch gilt: Je älter die Engagierten, desto häufiger setzten sie sich auch für ältere Menschen ein (33 % der über 65-Jährigen, 38 % der über 75-Jährigen). Es
sind bevorzugt die älteren Frauen, die sich um ältere Menschen kümmern. Im
Vergleich zu Eltern, die sich besonders im Zusammenhang mit ihren Kindern engagieren, spielt beim Engagement für ältere Menschen Verwandtschaft kaum eine
Rolle. Es handelt sich also nicht um eine Verlagerung von Pflege- und
Betreuungsleistungen aus dem familiär-privaten in den öffentlichen Bereich.
Dennoch sind häuslich pflegende Menschen oft freiwillig engagiert, wohl auch, um
sich Rat, Austausch und Unterstützung für ihre private Pflege zu sichern.“
(Thomas Gensicke, 2010: Hauptbericht des Freiwilligensurveys 2009, S. 385, online unter http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/
publikationen,did=165004.html)
Mit diesem ausführlichen Zitat wird deutlich, dass sich die Grenzen zwischen öffentlich und privat verändern. So ließen sich folgende Fragen diskutieren:
- Wie freiwillig erfolgt das Engagement, wenn keine Alternativen z. B. zur Pflege der
Nachbarin bestehen, weil diese weder über finanzielle Mittel für eine hauptamtliche Pflege verfügt und/oder die eigenen Kinder nicht am Ort wohnen? Wie stark
äußert sich die Erwartungshaltung aus dem sozialen Umfeld, dass man in diesem
Fall „funktionieren“ muss?
- Kann man „nein“ zu den Anforderungen der Schulen sagen, bei Wandertagen Aufsicht zu führen, den Schulhof umzugestalten und Klassenräume zu streichen?
- Heute schon an morgen denken: einige Modelle wie Tauschringe bieten an, dass
man eigene Tätigkeiten feilbietet und zu einem späteren Zeitpunkt als
Dienstleistungen von anderen wieder erhält. Ist das noch freiwilliges Engagement
oder schlaues Kalkül, eine gute Zweck-Nutzen-Relation für das Alter?
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Der Rückzug von Kommune und Staat bei freien Angeboten fordert den Bürgerinnen
und Bürgern eine hohe Leistungsbereitschaft ab. Zwar formuliert die Nationale Engagementstrategie der Bundesregierung:
„Ein Mehr an Bürgerengagement ... bedeutet keinen Rückzug des Staates aus
seiner Verantwortung für soziale Aufgaben. .... Das Engagement der Bürgerinnen
und Bürger ... kann und soll kein Ersatz für notwendige, staatliche Leistungen sein
und sollte diesbezüglich nicht instrumentalisiert werden.“
Gleichwohl heißt es dort wenige Seiten später:
„Bürgerschaftliches Engagement ... findet vor dem Hintergrund, dass Staat und
Kommunen nicht mehr alles leisten können, vielfach neue Wertschätzung.“ (Engagementstrategie des Bundes, 2010)
Ein Bürgerbad managt man nicht „nebenbei“, hygienische wie sicherheitstechnische
Aspekte inklusive der Haftungsfragen machen das eigene Engagement nicht immer
freudvoll. Wer moderiert, wenn sich Konflikte bei Transportfragen mit Verkehrsunternehmen ergeben? Welche Initiative wird juristisch sicher bei Verträgen beraten?
Was sind daher die Kriterien für gutes Engagement?
Hierzu hat die BAGSO 2011 mit 120 Diskussionspartnerinnen und -partnern auf der
Kongerenz „Engagement bewegt Generationen“ in einem World-Café einige Erfahrungen zusammengetragen. Ich darf kurz anreißen:
- Das Wirkungsfeld ist ein öffentliches. Durch die eigene freiwillige Tätigkeit partizipiert man an der Gesellschaft und gestaltet sie mit.
- Freiwilligentätigkeit ist immer auch ein soziales Lernfeld. Das Teamerlebnis kann
inspirieren, auch im Widerspruch zum beruflichen Konkurrenzdenken.
- Lernen und Handeln stärkt die Persönlichkeitsentwicklung, oder wie die Vorsitzende der BAGSO, die Gerontologin Professorin Ursula Lehr mit Hinweis auf den Soziologen Tartler betont: Die Zeit der „roleless role of the aged“ ist vorbei – der „rollenlosen Rolle des älteren Menschen“.
- Engagement hilft, soziale Kontakte zu halten oder neu zu finden. Mit Blick auf das
Alter und die veränderten Familienstrukturen ergeben sich neue Handlungsfelder
gerade für ältere Frauen. Dafür braucht es Ermöglichungsräume, die von Kommunen und Organisationen geschaffen werden sollten.
- Im sozialen Miteinander können hochbetagte Frauen Ängste vor Verlust und Alleinsein verringern (höhere Lebensalterszeit).
- Eine „gute Gesellschaft“ fängt die Vulnerabilität des Alters – die nicht zwangsläufig
die eigene sein muss – auf und integriert sie.
- Engagement tut Gutes – und tut gut, sowohl in der Selbstverantwortung für ein
aktives Altern als auch in der Mitverantwortung für die Gesellschaft.
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Als Fazit lassen Sie mich daher zusammenfassen:
Gutes Engagement stiftet Sinn, wird gesellschaftlich wertgeschätzt und bietet
Raum für Selbstverwirklichung.
Allerdings kennen Sie selbst Engagementbarrieren wie:
- Kostenerstattung und Aufwandsentschädigung werden selten gezahlt bzw. können
seitens der Träger gar nicht gezahlt.
- Auch die bloße Zeitspende kostet Geld – immateriell.
- So bietet dagegen eine förderliche Anerkennungskultur auch materielle Hilfen
wie Bildungsmöglichkeiten und Raum für Austausch an.
Natürlich gilt: ehrenamtliches Handeln kann nicht monetär ausgeglichen werden und
die Diskussion um Taschengelder oder Aufwandspauschalen birgt viel Konfliktpotential. Aber: die Währung ist Wertschätzung – und das gilt für beide Seiten: für die Engagierten, und für die Verbände und Institutionen, in denen sich Menschen freiwillig
engagieren. Mit dieser Aufforderung, die Rahmenbedingungen in den eigenen Organisationen zu prüfen, möchte ich meinen Vortrag schließen.
Die Diskussion im World Café könnte, wenn Sie es möchten, anknüpfend folgende
Fragen behandeln:
- Häufig wird das Engagement von Frauen nicht öffentlich wahrgenommen, weil es
im unmittelbaren familiären Umfeld stattfindet.
Wie gezeigt, definiert der Freiwilligensurvey freiwillige Tätigkeit als „aktive öffentliche Beteiligung“ in Gruppen, Vereinen, Organisationen oder Einrichtungen, welche über private, erwerbsbezogene oder auf Erholung bezogene Zwecke hinausgeht.“
Was ist aus ihrer Sicht zu tun, damit das Engagement der Frauen gesellschaftlich stärker wahrgenommen wird?
- Engagement ist nie nur „soziale Dienstleistung“ für andere Menschen, sondern ist
Teil der Persönlichkeitsentwicklung. Menschen wollen durch ihr ehrenamtliches
Handeln die Gesellschaft mitgestalten, Kontakt zu anderen Personen halten bzw.
neu finden und Bestätigung erhalten.
Wie können Organisationen wie Vereine und Parteien, aber auch die Kommunen
ihre Angebotsstrukturen verbessern, damit sich Frauen interessiert engagieren
können?
- Engagement muss man sich „leisten können“ - zeitlich, wie auch finanziell. Viele
Organisationen erstatten noch nicht einmal mehr Fahrtkosten. Manche zahlen Aufwandsentschädigungen oder Taschengelder. Konflikte entstehen zusätzlich, wenn
Überschneidungen zu gering bezahlten Tätigkeiten entstehen, wie bei 1-EuroJobs oder im Bundesfreiwilligendienst.
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Wie kann Beteiligung für Frauen gewährleistet werden, wenn diese nur über ein
geringes Einkommen verfügen?
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse und wünsche anregende Diskussionen im anschließenden World Café!
Foto: BAGSO / Frederika Hoffmann
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