Dresdner Bilderpredigt Das Thema für diese Predigt ist das

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Dresdner Bilderpredigt
zum Linolschnitt von Alexander Alfs „Ecce homo“, 1980.
gehalten von Pfarrer Dr. Hans-Peter Hasse, Kirchgemeinde Dresden-Blasewitz
am Sonntag Palmarum, 29. März 2015 in der Bethlehemkirche und in der Heilig-Geist-Kirche
Biblischer Bezug: Johannes 19, 5.
Das Thema für diese Predigt ist das Bild
eines Dresdner Künstlers: Ein Linolschnitt
von Alexander Alfs mit dem Titel „Ecce
homo“. Dieser Titel ist ein Zitat aus dem
Johannesevangelium und illustriert einen
dramatischen Moment in der Geschichte
der Passion Jesu:
Jesus wurde von dem römischen
Statthalter Ponitius Pilatus verhört. Bei
diesem Mann lag bei Prozessen die
Entscheidung, ein Todesurteil zu
bestätigen oder nicht. Pilatus kommt nach
dem Verhör zu dem Ergebnis: Jesus ist
unschuldig!
Der Statthalter tritt aus seinem Palast
heraus auf den Platz, wo sich das Volk in
großer Menge versammelt hat, und erklärt
öffentlich: „Ich finde keine Schuld an
ihm.“ Als die Ankläger lautstark auf einer
Verurteilung Jesu bestehen, gibt er den
Befehl, Jesus zu geißeln. An dieser Stelle
bewegen wir uns hinein in die Geschichte und hören den Text aus dem
Johannesevangelium im 19. Kapitel:
„Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone
aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und
traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins
Gesicht.
Da ging Pilatus wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu
euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Und Jesus kam heraus
und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen:
Seht, welch ein Mensch!“ (Johannes 19, 1–5)
Dieser Ausruf des Pilatus umfasst in der lateinischen Bibel nur zwei Worte: Ecce
homo. Seht, welch ein Mensch! (So übersetzt es Luther.)
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Wie viele Bilder gibt es von dieser dramatischen Szene vor dem Palast des Pilatus.
Die Bilder hängen in Galerien und Kirchen, viele haben den Titel: „Ecce homo“.
Sie zeigen den Moment, als Pilatus Jesus dem Volk vorführt und dabei mit lauter
Stimme ruft: „Ecce homo. Seht, welch ein Mensch.“ Die Bilder der Alten Meister
zeigen in der Regel eine bewegte Szene mit vielen Menschen: Da ist Pilatus, der
mit seinen Leuten gerade aus dem Palast heraustritt. Und dann erscheint Jesus: die
Spuren der Folter sind ihm anzusehen. Er blutet, sein Körper ist zerschunden. Auf
dem Kopf trägt er eine Dornenkrone, er ist mit einem Purpurgewand bekleidet. So
wird er vorgeführt und verspottet, weil er behauptet haben soll, der „König der
Juden“ zu sein. Tatsächlich ging es im Verhör um diese Frage. Pilatus fragte ihn:
„Bist du der König der Juden?“. Und Jesus gab die rätselhafte Antwort: „Mein
Königreich ist nicht von dieser Welt ...“ Damit sagte er Ja und Nein zugleich: Ja,
dass er ein König ist, aber ein König ganz anderer Art, als es Pilatus und das Volk
meinten. So sagt Jesus in dem Verhör: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und
in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit
ist, der hört meine Stimme.“ Darauf Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ – An dieser Stelle
verwandelt sich das Verhör geradezu in ein philosophisches Gespräch. Pilatus
erscheint im Johannesevangelium mit sympathischen Zügen. Hat es das schon
einmal gegeben, dass ein römischer Statthalter, ein hochrangigner Poltiker und
Vertreter des römischen Kaisers einem gefangenen jüdischen Rabbi diese Frage
stellt: „Was ist Wahrheit?“
Pilatus war klar: Dieser Mann ist unschuldig! Ihm war auch klar, dass dieser Mann
nicht den Anspruch erhebt, ein König zu sein, der mit Macht und Glanz daher
kommt. Mehrmals sagt er, dass er ihn für unschuldig hält. Warum lässt er ihn dann
geißeln und verspotten? Im Johannesevangelium erscheint die Verspottung Jesu mit
den königlichen Insignien von Dornenkrone und Purpurmantel wie eine
theatralische Inszenierung, mit der Pilatus den Anklägern demonstrieren will:
Dieser kann niemals ein König sein. Seht ihn euch doch an, euren „König“ – wie er
da steht: mit Dornenkrone und Purpur. Soll das ein König sein?!
So wird Jesus der Menge vorgeführt.
„Seht, welch ein Mensch!“
Was bedeutet dieser Satz?
Wie hören Sie ihn?
In der Lutherübersetzung klingt er positiv und fast pathetisch: „Seht, welch ein
Mensch!“
Als wollte Pilatus sagen: Seht, was das für ein Mensch ist!
Ja, dieser ist ein wahrer Mensch!
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Ist das im Text wirklich so gemeint?
Man kann den Satz auch anders, neutral oder negativ verstehen in dem Sinn:
„Seht ihn euch doch an, diesen „Menschen“, diese jämmerliche Gestalt?
Das soll ein König sein?!“
Wie der Satz richtig zu betonen und zu deuten ist, darüber streiten sich die
Gelehrten.
Wenn etwas in der Bibel nicht eindeutig ist, braucht es eine Interpretation.
Das machen zum Glück nicht nur die Theologen, sondern auch Leute, die weitaus
begabter sind: Künstler.
Wie viele Künstler haben die Bibel illustriert und so den Text mit ihren Bildern
gedeutet und erklärt.
Zu diesen Künstlern gehört auch Alexander Alfs. Er wurde 1924 in Döbeln
geboren. Von 1948 bis 1952 studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in
Dresden. Danach arbeitete er freischaffend. Bekannt wurde er vor allem durch seine
Buchillustrationen. Über 70 Bücher hat er illustriert, dafür schuf er 2200 Grafiken.
Er arbeitete vor allem für die christlichen Verlage in der Zeit der DDR, für Bücher
des St. Benno-Verlages und der Evangelischen Verlagsanstalt. Als Christ hatte er
einen Bezug zu den christlichen Themen. Er gestaltete Kalenderblätter für den
evangelischen Kreuzkalender und für den katholischen Marienkalender. Als
Katholik hatte er eine starke Wirkung besonders in der katholischen Kirche. Immer
wieder beschäftigten ihn Themen der Bibel. Zum Thema „Ecce homo“ gibt es von
ihm mehrere Arbeiten. Ich habe für diese Predigt einen Linolschnitt ausgewählt, der
mir spontan auffiel, als er auf dem Benefiz-Grafikmarkt in der Versöhnungskirche
im vergangenen Jahr angeboten wurde. Eine kleine, fast unscheinbare Arbeit im
Kleinstformat von 8 x 13 Zentimetern – und doch hat dieses Bild, wie ich finde,
einen starken Ausdruck.
Das Bild ist eine Reduktion und Konzentration auf das Gesicht Jesu.
Im Unterschied zu vielen anderen Ecce-homo-Bildern, die die Szene mit Pilatus
und Jesus illustrieren, verzichtet der Künstler auf die historische Szenerie. Weder
Pilatus noch sein Palast ist dargestellt. Auch die Gegner Jesu und das Volk sind
nicht zu sehen. Eigentlich fehlt alles, was sonst zu den Illustrationen dieser Szene
gehört – und selbst die Gestalt Jesu ist nicht als Ganzporträt dargestellt, wie es die
Alten Meister gemalt haben: Jesus mit den gebundenen Händen, nur spärlich
bekleidet und mit den Spuren und Wunden der Geißelung. Das alles fehlt, oder
besser: es wird reduziert, vertieft und konzentriert auf etwas ganz Wesentliches: das
Antlitz Jesu, noch genauer – seine Augen.
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„Die Augen sind die Fenster der Seele“, sagte einmal die mittelalterliche Mystikerin
Hildegard von Bingen (1098-1179). Auch wenn der Betrachter Jesus nicht direkt in
die Augen schaut, werden in diesem Bild die Augen Jesu zu einem Fenster seiner
Seele. Ich empfinde den Blick Jesu als tief-traurig und nachdenklich.
Obwohl Jesus eine Krone mit langen und spitzen Dornen auf dem Haupt trägt, die
weh tun müssten, ist dennoch nicht der Schmerz dargestellt. Fast scheint es, als ob
Jesus das Tragen der Dornenkrone nichts ausmacht, er trägt sie ganz
selbstverständlich, als würde sie zu ihm gehören.
Es ist weniger das Leiden physischer Schmerzen, was uns hier in den Augen Jesu
begegnet, als vielmehr eine tiefe und nachdenkliche Traurigkeit. Der Blick ist leicht
nach unten gerichtet, die Augen sind weit geöffnet. So schaut ein Mensch, wenn er
den Blick nach innen richtet.
Dieses Jesusbild unterscheidet sich von den Ecce-homo-Bildern des Mittelalters.
Die Alten Meister setzten ihre Kunst darein, das Leiden Jesu zu zeigen – die
Wundmale der Geißelung, die gebundenen Hände Jesu und das Blut, das von dem
Haupt mit der Dornenkrone heruntertropft. Das sollte beim Betrachter Mitleid mit
den Schmerzen Jesu wecken.
Das Bild von Alexander Alfs zeigt eine andere Perspektive. Die Augen Jesu werden
zum Fenster seiner Seele. Wir können Anteil nehmen an seiner Traurigkeit, an
seiner Trauer über das Leiden in dieser Welt.
Das ist natürlich eine Annahme – denn wir können ja nicht wissen, was sich der
Künstler dachte und wir können auch nicht die Gedanken Jesu lesen.
Trotzdem teilt uns der Künstler durch die Augen Jesu eine Empfindung mit:
Nachdenklichkeit und Traurigkeit über alles, was Menschen in dieser Welt an Leid
erfahren:
... wenn Menschen ihre Leben verlieren: im Krankenbett, durch Unfall oder durch
eine Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen.
... wenn Menschen sich gegenseitig Gewalt zufügen – physisch und psychisch.
... wenn Menschen es nicht miteinander aushalten: Trennung von Ehen,
Partnerschaften und Familien.
... wenn Menschen plötzlich von schwerer Krankheit betroffen sind.
Solches Leid existiert überall auf der Welt.
Wenn die Passionszeit wirklich eine Passions-Zeit ist, also eine Zeit des Leidens,
dann geht es nicht nur um das Leiden Jesu damals vor 2000 Jahren, sondern um das
Leid in dieser Welt hier und heute.
Jesus hat das Leiden der Menschen zu seiner Zeit mitgelitten und getragen.
Und er trägt es auch heute.
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Durch sein Leiden und sein Mitleiden ist er uns nah in seiner Menschlichkeit.
„Seht, welch ein Mensch!“ – sagt Pilatus zu Jesus.
Ausgerechnet Pilatus, der für das Unrecht am Leiden Jesu steht und dessen Namen
wir im Glaubensbekenntnis jedes Mal nennen: „... gelitten unter Pontius Pilatus ...“
Ausgerechnet dieser Pilatus wird im Johannesevangelium zum Zeugen der
Unschuld und der Menschlichkeit Jesu: „Seht, welch ein Mensch!“ – so spricht
Pilatus von Jesus.
Ich denke: Alexander Alfs hat in seinem Bild genau diesen Punkt getroffen: die
Menschlichkeit Jesu.
Jesus ist hier nicht als König oder Gottessohn dargestellt, sondern er ist Mensch in
seinem Leiden, in seiner Traurigkeit über das Leid in dieser Welt.
Seine großen, weit geöffneten Augen sehen das Leid eines jeden Menschen.
Gerade auch das Leid, das sich nicht ändern lässt.
Das wir hinnehmen und aushalten müssen.
Jesus greift nicht ein, aber er leidet dieses Leiden mit – das ist seinen Augen
anzusehen.
Am Anfang haben wir ein Passionslied* gesungen, das aus Schweden zu uns
gekommen ist, da heißt es in der vierten Strophe:
Wir gehn hinauf nach Jerusalem,
zur Stätte der ewigen Klarheit.
Wo Leiden und Ohnmacht in unsrer Welt,
da finden wir Christus in Wahrheit.
* Lied: „Wir gehn hinauf nach Jerusalem“ (Text von Karl-Ludwig Voss 1970 nach dem schwedischen Original
von Paul Nilsson 1906), nicht im Evangelischen Gesangbuch enthalten.
Wo überall auf dieser Welt gelitten wird, da leidet auch Christus.
Das offenbart sein Wesen: seine Menschlichkeit.
Seine Liebe und seine Fähigkeit mitzuleiden.
Wenn die Alten Meister Jesus auf ihren Ecce-homo Bilder so malten, dass der
Betrachter zum Mitleiden am Leiden Jesu geführt werden sollte, dann hat unser
Bild genau die umgekehrte Perspektive: das Bild zeigt, wie Christus am Leiden
dieser Welt leidet, wie er es ansieht: traurig und nachdenklich.
Er wird uns dadurch nah als ein Christus, der groß ist und niedrig durch seine
Menschlichkeit.
„Seht, welch ein Mensch!“ – sagt Pilatus von Jesus.
Er hat recht mit diesem Wort, er wird unfreiwillig zum Zeugen der Menschlichkeit
Jesu.
Viele Künstler haben später versucht, diesen Moment festzuhalten und zu
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empfinden in ihren Bildern.
Alexander Alfs hat einen Linolschnitt gemacht, der klein und unerkannt nicht in
den großen Galerien hängt, der aber eines ganz wunderbar zeigt: die Augen Jesu.
Die großen, weit geöffneten Augen Jesu werden in diesem Bild zum Fenster seiner
Seele.
„... Wo Leiden und Ohnmacht in unsrer Welt,
da finden wir Christus in Wahrheit.“
Amen.
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